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Islam und Menschenrechte

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Inhalt

RömerberggesprächeAnkündigung der Frankfurter Römerberggespräche

Bericht und Dokumentation zu den Römerberggesprächen

Weiterer Artikel von Egon Flaig, Presseecho und Links

Artikel von Siegfried Kohlhammer

Weitere Links

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Frankfurter Römerberggespräche: Geltung der Menschenrechte

Zum Thema Menschenrechte haben am Samstag im Frankfurter Schauspiel die 34. Römerberggespräche begonnen. Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler diskutierten über die "Geltung der Menschenrechte. Die alte Konfrontation oder ein neuer Dialog?" 

Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg sieht in dem Streit um die Mohammed-Karikaturen ein "offensichtliches Symptom, das auf einen tieferen Defekt der Zivilisation deutet". In seinem Vortrag "Freiheit zur Karikatur oder Karikatur der Freiheit?" betonte Muschg, dass Takt im Umgang der Völker miteinander eine wichtige Rolle spiele, wenn ein integrativer Prozess in Gang gesetzt werden solle. Beginnen müsse dieser Prozess bei der "aktiven Vorstellungskraft für die Position des anderen".

Auf dem Programm standen auch Diskussionsbeiträge des Theologen Friedrich Wilhelm Graf sowie des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler.

In einem unter den Zuhörern umstrittenen Vortrag stellte der Historiker Prof. Egon Flaig aus Greifswald die Frage, warum Menschenrechte nur in Europa und nicht im islamischen Herrschaftsbereich entstanden seien. Nach seinen Worten ist die islamische Scharia den Menschenrechten immer übergeordnet. Generell basierten Menschenrechte auf der Gleichheit aller Menschen, sagte der Professor. Diese stehe in der islamischen Gemeinschaft jedoch in Frage.

Die Nürnberger Prozesse und die Menschenrechte

Am Sonntag lesen Ensemblemitglieder des Schauspiels Frankfurt Reportagen und Augenzeugenberichte zu den Nürnberger Prozessen, u.a. von Louis Aragon, Alfred Döblin, John Dos Passos, Erich Kästner, Erika Mann und John Steinbeck.

Vor sechzig Jahren, im Oktober 1946, wurden in Nürnberg die ersten Urteile gegen nationalsozialistische Kriegsverbrecher gesprochen. Politiker und Völkerrechtler betonen seitdem die globale Aufgabe, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden und zu bestrafen. Aber haben die Nürnberger Prozesse den Gedanken, dass es universale, unveräußerliche Menschenrechte gibt, in der Praxis weitergebracht? In vielen Staaten werden diese Rechte missachtet, unterdrückt, umgelogen und außer Kraft gesetzt.

Doch die Idee, dass dem Einzelnen zum Beispiel menschenwürdige Lebensbedingungen, die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und der Schutz vor dem Zugriff der Macht zustehen, lässt sich nicht auslöschen. Die Geltung der Menschenrechte erscheint kontroverser denn je – angesichts des politischen Begriffswirrwarrs, der Krisen der UNO, des religiösen Fanatismus, terroristischer Attentäter und angesichts von Politikern, die aus dem Bedürfnis nach Sicherheit den Zwang zu einem Überwachungsstaat ableiten wollen.

Diese Tagung soll das gegenwärtige Spannungsfeld der Konflikte beleuchten. Gewiss sondieren die Vorträge und Debatten aber auch Wege zu einem neuen internationalen Dialog.

(Quelle: Römerberggespräche e.V.)

HR vom 28.10.2006  

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Die Geltung der Menschenrechte - Die alte Konfrontation oder ein neuer Dialog?

Die "Geltung der Menschenrechte" ist das Thema der 34. Römerberggespräche, die am Samstag, 28. Oktober, im Chagall-Saal des Schauspiels Frankfurt stattfinden. Äußerer Anlass für dieses Thema, das in acht Vorträgen renommierter Fachleute aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird, ist der 60. Jahrestag der Nürnberger Prozesse gegen führende Köpfe aus Wehrmacht und NS-Regime.

Seitdem betonen Politiker und Völkerrechtler die globale Aufgabe, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden und zu bestrafen. Dennoch werden in vielen Staaten Menschenrechte missachtet, unterdrückt und außer Kraft gesetzt. Die Geltung der Menschenrechte erscheint kontroverser denn je – angesichts des politischen Begriffswirrwarrs, der Krisen der UNO, des religiösen Fanatismus, terroristischer Attentäter und angesichts von Politikern, die aus dem Bedürfnis nach Sicherheit einen Zwang zum Überwachungsstaat ableiten wollen.

Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg, ehemaliger Präsident der Akademie der Künste in Berlin, sondiert in seinem Eröffnungsvortrag die verbreitete Verzagtheit gegenüber terroristischen Bedrohungen, die sich von religiöser "Beleidigung" herleiten. Annette Weinke, die als Historikerin über die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland gearbeitet hat, spricht über die Nachwirkung und Beispielkraft des Nürnberger Prozesses für das Völkerstrafrecht.

Aus juristischer Sicht geht Stefan Oeter, der in Hamburg lehrende Professor für deutsches und internationales Recht, der Frage nach, ob die Universalität der Menschenrechte vielleicht gar eine "gedankliche Falle" darstellt. Tono Eitel, früherer deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen, legt einen Erfahrungsbericht über die Arbeit der UNO vor, deren Menschenrechtskommission gegenwärtig auch von ihren Verächtern wie beispielsweise Kuba besetzt wird.

Der Greifswalder Althistoriker Egon Flaig, Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin, eröffnet die Folge der Auseinandersetzungen mit dem religiös formulierten Fanatismus. Der in München lehrende evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf beleuchtet unter dem Titel "Gottesrecht, Menschenrechte, Wertekrieg" das Thema religiöser Deutungskämpfe.

Ayyub Axel Köhler, heute Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, wird sich mit dem Verhältnis des Islam zu den Menschenrechten und der politischen Forderung nach einem "deutschen Islam" befassen. Zum Abschluss des Nachmittags spricht Rainer Forst, Politologe und Philosoph an der Frankfurter Universität, über die Konflikte bei der Durchsetzung von Toleranz als der Grundlage politischen Zusammenlebens...

Bad Vilbel Online vom 23.10.2006

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Römerberggespräche: Am Ende hat entweder Gott Recht - oder die Regierung

Von Judith von Sternburg

Auch an diesem Nachmittag gab es eine Phase, in der im Publikum Suren, Hadith- und Bibelverse hin- und herflogen. Jesus in Johannes 8, 1-11 machte der Ehebrecherin gegenüber eine noble Figur im Vergleich zum Mohammed der Hadith-Überlieferung ("Steinigt Sie"!). Solche Abgleichungen sind nicht ertragreich, aber psychologisch interessant. Man weiß etwas, aber nicht genau. Man ist beunruhigt.

So zeigte sich am Wochenende bei den 34. Römerberggesprächen im Frankfurter Schauspiel, dass "Die Geltung der Menschenrechte" auch heute (oder heute wieder) ohne Religion kaum zu diskutieren ist. Schade, dass wir uns alle so schlecht auskennen. Es sei erstaunlich, spottete der Theologe Friedrich Wilhelm Graf (Berlin), wie viele Islamexperten nach dem 11. September 2001 aufgetaucht seien. Da musste sich nicht nur mancher Zuhörer angesprochen fühlen.

Wurzeln des Übels?

Vorausgegangen war ein Vortrag des Historikers Egon Flaig (Greifswald), kürzlich mit ähnlichen Thesen in einem FAZ-Artikel ("Der Islam will die Welteroberung") aufgefallen. Er versuchte zu erklären, weshalb es keine islamischen Menschenrechte geben könne. Nicht nur liege die Wurzel der Menschenrechte in der europäisch-christlichen Kultur, motiviert durch den Kampf gegen die Sklaverei. Auch könnten sie sich nicht gegen zwei Grundsätze der islamischen Scharia (Gesetzgebung) durchsetzen: erstens den Dschihad (Krieg gegen die Ungläubigen), der nicht zuletzt eine individuelle Pflicht darstelle, und entsprechend "sind Attentate und Terroranschläge das Richtige. El Kaida ist keine Verirrung, sondern entspricht dieser Traditionslinie"; zweitens die "Dhimmitude", die muslimische Diskriminierung Andersgläubiger, in der Flaig das schlimmere Vorbild für die spätere Entrechtung der Juden im Westen sieht.

Zugegebenermaßen auch in der Kürze des Vortrags blieb das ebenso in der Luft hängen, wie die kursorisch aufgelisteten Untaten des islamischen Welt. "Die moslemischen Eroberungen gehören zu den härtesten Unterwerfungskriegen der Geschichte." Das dachten wir uns, und wer hat wohl die anderen härtesten Unterwerfungskriege geführt? Eigenartig zudem, dass Flaig wie von ungefähr mehrfach die Erwähnung totalitärer politischer Systeme einflocht. Das ist von Stimmungsmache nicht mehr weit entfernt. Scharf war anschließend die Kritik, groß aber auch der Beifall. Man weiß etwas, aber nicht genau. Man ist beunruhigt.

Insofern war die Rede von Ayyub Axel Köhler, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, vielleicht nicht die glücklichste, eine Tour de Force durch den Koran mit jenen Suren, die Gutes besagen. Höhnisch klang das Kichern im Saal, als Köhler die Sure zitierte, aus der hervorgeht, dass Zwangsheirat im Islam verboten sind. Nicht weiter verfolgen wollen wir hier, was Köhler mit der "gesunden Gesellschaft" meinte, in der jeder Moslem laut Koran das Recht habe zu leben, und zwar "moralisch und ethisch" gesund.

Der Schwenk der deutschen Kirchen

Es blieb anderen Rednern vorbehalten, zu klären, dass die Menschenrechte und die Toleranz, ohne die sie schwerlich zu haben sind, keine christliche Erfindung darstellen. Alle drei monotheistische Religionen, so der protestantische Theologe Graf, täten sich schwer mit den universalen Menschenrechten. Eine Skepsis gegen Verfassungsstaatlichkeit und staatliche Gesetze, eine systematische Diskriminierung von Frauen, eine scharfe Ablehnung von Homosexualität liege ihnen näher als "liberaler Menschenrechtsindividualismus". Noch vor 50 Jahren hätten die deutschen christlichen Kirchen mit dem Begriff der Menschenrechte wenig anfangen können, als deren Bewahrer sie sich heute definierten.

Die zunehmend aggressive Sprache - "semantische BigMacs" - hänge mit dem Konkurrenzkampf auf dem Religionsmarkt zusammen. Graf wies darauf hin, dass Afrika heute mehrheitlich christlich sei, "da fragen Sie mal, wer hier aggressiv missioniert". Er warnte zugleich davor, die Aggression von Teilen des Islams als "mittelalterlich" abzutun. Vielmehr handele es sich um eine moderne, nicht nur muslimische Tendenz zum "Hardcore-Gläubigen". Auch der Politologe Rainer Forst (Frankfurt) zeichnete nach, wie Toleranz "gegen die Macht der Kirchen und der sich religiös legitimierenden Staatsgewalt erkämpft werden" musste.

Geht es aber den Menschenrechten jenseits der Behinderungen durch die Religionen besser? Der Jurist Stefan Oeter (Hamburg) schilderte, wie es ihnen nach wie vor an Mitteln zu Durchsetzung fehle, wie aber andererseits Sanktionen nach hinten losgingen (etwa im Irak). Am Beispiel der Nürnberger Prozesse gegen NS-Verbrecher machte die Historikerin Annette Weinke auf "Ungereimtheiten" aufmerksam. So sei es der Anspruch Nürnbergs gewesen, "der (staatlichen) Macht rechtliche Grenzen zu setzen". In der Rhetorik der UN hingegen habe nach dem Zweiten Weltkrieg erneut die "Macht des Nationalstaates" im Vordergrund gestanden. Da die Mitglieder der UN Nationalstaaten sind, nimmt das nicht Wunder.

Der Schriftsteller Adolf Muschg prägte mit Blick auf den Karikaturenstreit in Dänemark und nachfolgende Fälle rund um das Thema "Verletzung religiöser Gefühle" die schöne Formulierung vom "alsbald präventiv tätigen Entsetzen", ein anderes Wort dafür, dass der Westen ins Schwimmen geraten ist. Dabei ist die Lage manchmal ganz übersichtlich. Szenenapplaus gab es für den von Forst zitierten Kirchenlehrer Sebastian Castellio, der dem rigiden Kollegen Calvin im 16. Jahrhundert schrieb: "Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten."

FR vom 29.10.2006

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Es kann keine islamischen Menschenrechte geben

Von Egon Flaig

Menschenrechte sind universal. Sie lassen sich durch nichts einschränken. Deswegen kann es keine spezielle islamische Interpretation geben. Denn diese Religion ordnet alles der Scharia, der Rechtslehre des Islam, unter und setzt somit die Universalität der Menschenrechte außer Kraft.

Mich interessiert jetzt nicht die außerordentlich spirituelle Theologie des Islam, sein radikaler Monotheismus mit der reinsten Transzendenz: ohne Trinität, ohne Opfertod, ohne Heilige. Das bewundere ich; und es fasziniert mich. Aber genau darum geht es nicht. Sondern es geht um die Juridifizierung der sozialen und politischen Ordnung, um die Scharia.

Dass die Schariaa selber historischen Modifikationen unterliegt, ist selbstverständlich. Aber die vier islamischen Rechtsschulen selber bezeichnen diese Ordnung als Scharia, als göttliche Ordnung, von Menschen ausgelegt. Dass die Auslegungen sich verändern, ist eine banale Einsicht. Entscheidend ist die Konstanz der Tradition um wichtige Kernpunkte, eine Tradition die aufrechterhalten wird durch das, was Jan Assmann die Textpflege im kulturellen Gedächtnis nennt. Es geht mir auch nicht um die Scharia insgesamt, sondern um zwei Dinge:

  1. den Auftrag, Krieg gegen die Ungläubigen zu führen, bis die ganze Welt unter islamischer Herrschaft steht, dieser Krieg heißt Dschihad,

  2. um die Dhimmitude, das ist der französische Begriff für den Status der Nicht-Muslime unter muslimischer Herrschaft.

Egon FlaigSeit Beginn der klassischen Zeit (9. bis 11. Jahrhundert) teilen die muslimischen Juristen die Welt in zwei Teile, nämlich das "Haus des Islam" und das "Haus des Krieges". (…) Diese Zweiteilung hängt nicht davon ab, wo Muslime in großer Anzahl sind oder gar die Mehrheit darstellen, sondern davon, wo der Islam herrscht - in Gestalt der Scharia - oder wo er nicht herrscht. Diese Dichotomie ist also keine religiöse, sondern eine politische. Zwischen diesen beiden Teilen der Welt herrscht naturgemäß so lange Krieg, bis das Haus des Krieges nicht mehr existiert und der Islam über die Welt herrscht (Sure 8, 39 u. 9, 41). Daher besteht nach klassischer Lehre für die muslimische Weltgemeinschaft die Pflicht, gegen die Ungläubigen Krieg zu führen bis diese sich bekehren oder sich unterwerfen. Dieser Krieg heißt Dschihad.

Die Gemeinschaft der Muslime (Umma) ist folglich eine politische Gemeinschaft; das heißt, in ihrem Inneren kann es keinen Krieg geben - ausgenommen dem gegen Rebellen und gegen Häresien. Einzig der Krieg zur Unterwerfung der Ungläubigen ist legitim gewesen und obendrein Pflicht. (…) Ist es eine individuelle Pflicht oder eine kollektive? Wenn es eine kollektive Pflicht ist, dann muss die muslimische Gemeinschaft in regelmäßigen Abständen Angriffskriege gegen die Ungläubigen führen. Wenn es eine individuelle Pflicht ist, dann müssen die Gläubigen auf eigene Faust Krieg gegen die Ungläubigen führen, falls die Emire zu lange Frieden mit dem Feind halten. Fatalerweise besteht darüber innerhalb der orthodoxen Tradition seit dem 9. Jahrhundert keine Einigkeit. Viele Rechtsgelehrte definieren den Dschihad als individuelle Pflicht jedes tauglichen Muslim. Konsequenz dieser Lehre: wenn jeder einzelne Muslim alleine oder gruppenweise auf eigene Faust kriegerisch agieren muss, dann sind Attentate und Terroranschläge das Richtige. Al Qaida ist keine Verirrung, sondern entspricht dieser Traditionslinie. (…) Wer das abstreitet, kennt seine eigene Geschichte nicht. (…)

Der Kriegszustand dauert an, bis das Haus des Krieges vernichtet und die Welt erobert ist. Folglich sind Angriffskriege selbstverständlich und theologisch gerechtfertigt gewesen. (…) Friedensverträge, welche islamische Herrscher mit nicht-islamischen abschlossen, gelten nur als Waffenstillstände; deshalb wurden sie in der Regel für höchstens zehn Jahre abgeschlossen; zwei Rechtsschulen erlaubten nur drei bis vier Jahre Frieden. Die kurzen Fristen ermöglichten es den militärisch überlegenen Muslimen die Gegenseite unentwegt zu erpressen; auf diese Weise sind im Laufe der Jahrhunderte riesige Mengen an Geldern und Menschen an die muslimische Seite geflossen. Als sich die Kräfteverhältnisse verschoben, mussten muslimische Herrscher die Praxis ändern. So schloss 1535 Suleiman der Prächtige mit dem französischen König einen Frieden, der so lange gelten sollte, wie der Sultan lebte - ein Bruch mit der Tradition. (…)

Immer wieder wird bestritten, dass der Dschihad heute noch aktuell sei. Doch Peters kam in seiner großen Studie zum Ergebnis, dass auch im 19. und 20. Jahrhundert sehr viele Rechtsgelehrte der klassischen Doktrin anhängen. Er schreibt in seinem Buch "Islam and Colonialism": "Modernistische Autoren unterstreichen den defensiven Aspekt des Dschihad und betonen, Dschihad außerhalb des islamischen Territoriums sei nur gestattet, wenn die friedliche Verbreitung des Islam behindert wird oder wenn Muslime, die unter Ungläubigen leben, unterdrückt werden. Demgegenüber weichen fundamentalistische Autoren kaum von der klassischen Doktrin ab und betonen den expanionistischen Aspekt."

Der Haken dabei ist: die Modernisten vertreten in der Konsequenz genau dieselbe Lehre wie die Fundamentalisten. Denn der Dschihad ist ja berechtigt, wenn Muslime unterdrückt werden. Und ob Muslime unterdrückt werden, wer entscheidet das? Das entscheiden nicht die Gerichte in den säkularen Verfassungen, das entscheiden nicht die Menschenrechte. Das entscheiden die Normen der Scharia. (…)

Die dritte Islamische Gipfelkonferenz von 1981 bekräftigte in ihrer 5. Resolution die Gültigkeit der Dschihad-Doktrin für die Gegenwart: "Die islamischen Länder haben in ihrer Resolution klargestellt, dass das Wort Dschihad in seinem islamischen Sinn gebraucht wird, der keine Interpretation oder Missverständnis zulässt, und dass die praktischen Maßnahmen zu seiner Erfüllung zu ergreifen sind in Übereinstimmung damit und in ständiger Konsulation zwischen den islamischen Ländern." Das sagten nicht ein paar Spinner. Das sagten offizielle Vertreter von Staaten. Das war 20 Jahre vor dem 11. September 2001. Wenn das Leugnen aufhört, beginnt die Selbstbesinnung. Wir dürfen gespannt sein, wie diese Vergangenheitsbewältigung aussieht.

Der Dschihad führt zur Konversion, zur Tötung, zur Versklavung oder zur Dhimmitude. Was ist das? In der Scharia sind die Muslime die Herren, die Anhänger anderer Buchreligionen (Christen, Juden, Parsen) die Unterworfenen (Dhimmi); dabei handelte es sich in der klassischen Zeit des Islam nicht um religiöse Minderheiten, sondern gewaltige Mehrheiten, vor allem in Syrien, Anatolien, Nordafrika (Christen):

Die Unterworfenen durften keine Waffen tragen, sie waren wehrunfähig, somit keine vollwertigen Männer; ihre Schuhe und ihre Kleider mussten speziell geschnitten sein, um sie kenntlich und lächerlich zu machen; Christen und Juden mussten besondere Farbmerkmale tragen (aus dieser Diskriminierung entstand der Judenstern). Ihre Häuser mussten niedriger sein, ihre Türschwellen abgesenkt. Sie durften nicht auf Pferden reiten, sondern nur auf Eseln, damit sie ständig an ihre Erniedrigung erinnert wurden. Sie zahlten einen besonderen Tribut, den sie persönlich entrichten mussten, wobei sie einen Schlag an den Kopf erhielten. Sie mussten vor Muslimen den Kopf senken und auf der linken Seite gehen. Sie mussten sich von Muslimen schlagen lassen ohne sich wehren zu dürfen; schlug ein Dhimmi zurück, dann wurde ihm die Hand abgehackt oder er wurde hingerichtet. Die Zeugenaussage eines Dhimmi galt nicht gegen Muslime. Muslime brauchten für Vergehen an einem Dhimmi nur halbe Strafe zu tragen; und wegen eines Dhimmi konnten sie nie hingerichtet werden; umgekehrt waren grausamste Hinrichtungsarten überwiegend den Dhimmi vorbehalten.

Die Dhimmitude ist kein Nebenprodukt der islamischen Eroberungen, sondern ein offen verkündigtes Ziel des Dschihad selber. Die Dhimmitude versetzte die Nicht-Muslime in eine radikale Alterität: Die Menschen in diesem Zustand als "Bürger zweiter Klasse" zu bezeichnen ist Schönrednerei. (…) Islamische Toleranz hieß: Duldung der Unterworfenen als Gedemütigte und Erniedrigte.

Sprechen wir von der Diskriminierung der Juden? 400 Jahre nach dem Islam schritt die Westkirche auf dem IV. Laterankonzil 1215 zu Maßnahmen, die uns barbarisch anmuten. Aber sie waren weitgehend eine Kopie der muslimischen Diskriminierungen. Mit einem Unterschied: wenn man die rechtlichen Bestimmungen vergleicht, dann ging die Entrechtung und Erniedrigung der Juden im Spätmittelalter nicht so weit wie in der Dhimmitude. (…)

Kenner der Materie wissen das schon seit langem. Und die Leugner kommen immer mehr unter Druck und müssen ganze Forschungen diffamieren. Das passiert immer, wenn Durchbrüche in der Forschung sich anbahnen und wenn Paradigmenwechsel sich vollziehen. Das neue Paradigma könnte lauten: die rechtlich fixierte Unterdrückung Andersgläubiger - ausgenommen die Häresien - war unter dem Halbmond deutliche schwerer als unter dem Kreuz. (…)

Als Unterdrückungszustand hielt sich die Dhimmitude mehr als tausend Jahre lang, bis der Druck der europäischen Mächte auf das osmanische Reich und schließlich die direkte Besetzung osmanischer Gebiete zu einer allmählichen Abmilderung der Dhimmitude führte. Die islamischen Gesellschaften haben die Dhimmitude nicht freiwillig abgeschafft, ebenso wenig wie die Sklaverei. Sie sind dazu gezwungen worden vom europäischen Imperialismus. (…)

Die Scharia beinhaltet die Dhimmitude. Egal wie abgemildert die Scharia hier und dort ist: sie ist auf radikalste Weise anti-demokratisch und anti-menschenrechtlich. Die Dhimmitude lebt wieder auf. Islamische Länder haben als letzte die Sklaverei abgeschafft; und einige von ihnen führen sie seit 15 Jahren wieder ein, so im Sudan. Die Scharia lässt das zu; sie ist eine parafaschistische Ordnung. (…) Der Scharia-Islam ist einer der schlimmeren Feinde von Menschenrechten und Demokratie.

Viele Muslime leugnen die Dhimmitude. Aber es nützt genauso wenig etwas, wie den Genozid an den Armeniern zu leugnen oder den Genozid an den Juden. Die Leugnung selber muss jeden aufmerken lassen, dem die Menschenrechte heilig sind. Denn wer leugnet, ist unfähig zu erkennen, wer er kulturell ist und wie er geschichtlich dazu wurde. Unter der Maske des Antiimperialismus beschuldigen Muslime und islamophile Intellektuelle den Westen.

Der Unterschied ist freilich, dass der Westen von Anfang an, seit dem 16. Jahrhundert seine eigene Selbstkritik leistete und darum zu den Menschenrechten gelangte. Und eben diese kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte wird durch Leugnungen über die islamische Geschichte systematisch behindert. Wer die historische Wahrheit einfordert, wird als Kulturkrieger bezeichnet. Genau umgekehrt verhält es sich, Kulturkrieg führt, wer leugnet und wer Leugnungen mit Tabus und Sprechverboten zu sichern versucht. Wir erleben im Moment genau das. Wenn eine Seite diesen Krieg eröffnet, dann kann die andere Seite diesem Krieg nur ausweichen, indem sie einfach kapituliert. Wollen die europäischen Intellektuellen diese Kapitulation?

Im August 1990 verabschiedeten die Außenminister der "Organisation der islamischen Konferenz" in Kairo einen Entwurf einer "Erklärung der Menschenrecht im Islam". Die Erklärung (…) steht unter dem Vorbehalt, dass sie mit der Scharia übereinstimmen müssen. Der Artikel 24 lautet: "Alle Rechten und Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt werden, unterstehen der islamischen Scharia." Und im Artikel 25 liest man: "Die islamische Scharia ist die einzige zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung.". Wenn die Scharia den Menschenrechten übergeordnet ist, dann gibt es eben keine Menschenrechte, dann gilt eben die Scharia. Stellen Sie sich vor, Franco, Hitler oder Stalin hätten die Menschenrechte ausgerufen; und Stalin hätte hinzugefügt: Alle diese Rechte unterstehen der kommunistischen Idee; und Hitler hätte hinzugefügt: Sie unterstehen der nationalsozialistischen Ordnung. Solche Menschenrecht sind keinen Pfifferling wert, weil die Verfasser sie im Prinzip leugnen. Anders gesagt: sie leugnen genau den Anspruch auf universale Menschenrechte, die von keiner Ordnung außer Kraft gesetzt werden dürfen.

In einer Diskussion berief sich in den 90er Jahren ein iranischer Ayatollah auf die Kairoer Erklärung, um die Ungleichheit zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu rechtfertigen: er argumentierte, die Menschen sind in ihrer Würde nur potentiell gleich, aktuell jedoch nach Graden der Tugend und der Rechtgläubigkeit verschieden. Da liegt der Hase im Pfeffer. Es gibt also keine Menschenrechte. Und es wird sie auch niemals als islamische Menschenrechte geben. Weil es absurd ist, nach islamischen Menschenrechten zu suchen. Menschenrechte sind weder christlich, noch europäisch, noch islamisch. Sie sind entweder universal oder sie sind nicht.

Egon Flaig lehrt Altertumswissenschaften an der Universität Greifswald. Er beschreibt sich selbst als "weit entfernt von der traditionellen deutschen Althistorie". Er forscht interdisziplinär und orientiert sein Instrumentarium an dem des Soziologen Pierre Bourdieu.
Die in Auszügen dokumentierte Rede hielt Flaig am 28.10.2006 auf den 34. Römerberggesprächen (Thema: Die Geltung der Menschenrechte.) 
FR vom 30.10.2006

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Der Islam will die Welteroberung

Von Egon Flaig

"Dann wollen wir, dass die Fahne des Islam wieder über diesen Landschaften weht, die das Glück hatten, eine Zeitlang unter der Herrschaft des Islam zu sein und den Ruf des Muezzins Gott preisen zu hören. Dann starb das Licht des Islam aus und sie kehrten zum Unglauben zurück. Andalusien, Sizilien, der Balkan, Süditalien und die griechischen Inseln sind alle islamische Kolonien, die in den Schoß des Islam zurückkehren müssen. Das Mittelmeer und das Rote Meer müssen wieder islamische Binnenmeere wie früher werden." Diese Sätze stammen nicht von Al Qaida; sie finden sich im Programm, das der Gründer der Muslim-Brüderschaft Hassan Al Banna in einer Rede formulierte. Die Bruderschaft zählt heute Millionen und hat sich weit über Ägypten hinaus verbreitet. Ihre Intellektuellen agieren in Europa und in den Vereinigten Staaten; sie gelten als moderat" und werden von den Medien entsprechend bedient. Planmäßige Rückgewinnung "verlorener" Gebiete gehört in die Programme von Staaten, welche um territoriale Machtausübung kämpfen, also von politischen Gemeinschaften. Wie kann sie ins Programm einer Religion gehören? Ist der Islam eine Religion wie andere?

Seit Beginn der klassischen Zeit zwischen dem neunten und dem elften Jahrhundert teilen die islamischen Juristen die Welt in zwei Teile, nämlich das "Haus des Islam" und das "Haus des Krieges". Diese Zweiteilung hängt nicht davon ab, wo Muslime in großer Anzahl leben oder gar die Mehrheit darstellen, sondern davon, wo der Islam herrscht - in Gestalt der Scharia - oder wo er nicht herrscht. Diese Dichotomie ist also keine religiöse, sondern eine politische. Zwischen diesen beiden Teilen der Welt herrscht naturgemäß so lange Krieg, bis das Haus des Krieges nicht mehr existiert und der Islam über die Welt herrscht (Sure 8, 39 und 9, 41). Daher besteht nach klassischer Lehre für die muslimische Weltgemeinschaft die Pflicht, gegen die Ungläubigen Krieg zu führen, bis diese sich bekehren oder sich unterwerfen.

Dieser Krieg heißt Dschihad. Lautete der Missionsauftrag Jesu, alle Völker zu bekehren, ihnen aber ihre politische Ordnung zu lassen, so besteht das Ziel des Islam darin, alle Nichtmuslime politisch zu unterwerfen, ihnen aber ihre Religion zu lassen, falls es Buchreligionen sind. Der allgemeine Befehl Gottes zum Dschihad wird entnommen aus Sure 9, 29. Gewiss, winzige pazifistische Strömungen im Islam haben diese Interpretation nicht akzeptiert. Die Schiiten akzeptieren sie zwar, verlangen aber, dass ein echter Imam die muslimische Gemeinschaft anführt (und auf einen solchen warten sie schon mehr als dreizehn Jahrhunderte), daher gilt für sie vorläufig nur der defensive Dschihad, also falls die muslimische Gemeinschaft angegriffen wird.

Dagegen haben die andere Strömungen, etwa die so genannten charidschitischen, die Aussage von Sure 9, 29 radikalisiert: Sie sehen im Dschihad eine individuelle Pflicht jedes tauglichen Muslim, welche als sechste Säule neben den anderen fünf kardinalen Pflichten steht. Konsequenz dieser Lehre: Wenn jeder entweder an der kollektiven Kriegführung gegen die Ungläubigen teilnehmen muß oder - falls die muslimische Gemeinschaft dafür momentan zu schwach ist - allein, gruppenweise auf eigene Faust kriegerisch agieren muss, dann sind Attentate und Terroranschläge das Richtige. Was die Charidschiten für den offensiven Dschihad verlangen, gilt bei den meisten Vertretern der orthodoxen Lehre der Sunna für den defensiven: Wird der Islam angegriffen oder islamisches Territorium von Ungläubigen besetzt, dann wird der Dschihad zur individuellen Pflicht; eine Fatwa des Großmufti der Al-Azhar-Universität in Kairo von 1948 - gerichtet gegen Israel - lässt daran keinen Zweifel. Jedwede feindliche Macht, welche sich an die Haager Landkriegsordnung hält und streng unterscheidet zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, gerät hierbei in größte Schwierigkeiten.

Der Kriegszustand dauert an, bis das Haus des Krieges vernichtet und die Welt erobert ist. Darum nennt Majid Khadduri den Islam eine "göttliche Nomokratie auf imperialistischer Basis". Friedensverträge, welche islamische Herrscher mit nichtislamischen abschlossen, gelten nur als Waffenstillstände; deshalb wurden sie in der Regel für höchstens zehn Jahre abgeschlossen; zwei Rechtsschulen erlaubten nur drei bis vier Jahre Frieden. Die kurzen Fristen ermöglichten es den militärisch überlegenen Muslimen, die Gegenseite unentwegt zu erpressen; auf diese Weise sind im Laufe der Jahrhunderte riesige Mengen an Geldern und Menschen an die muslimische Seite geflossen. Als sich die Kräfteverhältnisse verschoben, mussten muslimische Herrscher die Praxis ändern. So schloss 1535 Suleiman der Prächtige mit dem französischen König einen Frieden, der so lange gelten sollte, wie der Sultan lebte - ein Bruch mit der Tradition. Christliche Theologen versuchten - angesichts einer Pluralität von Staaten - zu definieren, was ein "gerechter" Krieg war und was nicht; Kriege einzig um des Glaubens willen galten überwiegend nicht als gerecht. Für muslimische Gelehrte ist hingegen das "Haus des Islam" eine politische Einheit, welche keinen inneren Krieg duldet; darum ist allein der Krieg zur Unterwerfung der Ungläubigen legitim gewesen und obendrein Pflicht, wie der berühmte Gelehrte Ibn Chaldun im vierzehnten Jahrhundert kategorisch sagt: "Im Islam ist der Dschihad gesetzlich vorgeschrieben, weil er einen universalen Auftrag hat und gehalten ist, die gesamte Menschheit freiwillig oder gezwungen zur Religion des Islam zu bekehren."

Die Kriegsregeln des Dschihad sind flexibel. Von der Schonung über Massenversklavung bis zur massenhaften Tötung ist nach Khadduri alles möglich, genau wie bei Griechen und Römern. Das unterscheidet die heiligen Kriege des Islam fundamental von denjenigen des alttestamentlichen Israel, welche vorsahen, dass außerhalb Israels alles Männliche zu töten, auf israelischem Boden hingegen alles Lebendige überhaupt zu vernichten war (Deuteronom. 20, 10-20). Wir pflegen uns darüber zu empören, was die Kreuzfahrer 1099 in Jerusalem anrichteten. Indes, die Kreuzfahrer handelten nach gängigem Kriegsrecht; muslimische Eroberer taten derlei unentwegt und überall: 698 traf es Karthago, 838 Syrakus; der berüchtigte Wesir des Kalifats von Córdoba, Al Mansur, führte in siebenundzwanzig Jahren fünfundzwanzig Feldzüge gegen die christlichen Reiche Nordspaniens, versklavend, vernichtend und verwüstend; es traf Zamora (981), Coimbra (987), León, zweimal Barcelona (985 und 1008), dann Santiago de Compostela (997).

Am furchtbarsten verwüsteten die Dschihads das damals noch so städtereiche byzantinische Anatolien; das Massaker von Amorium (838) ist lange ein Fanal geblieben; die städtische Kultur Anatoliens hat sich davon nie wieder erholt.

Der Seldschuke Alp Arslan ließ ganze armenische Städte massakrieren, am furchtbarsten 1064 die Hauptstadt Ani. Mehr als berechtigt darum das Urteil von Bat Ye'or: "Die Maßlosigkeit, die Regelmäßigkeit und der systematische Charakter der von den islamischen Theologen zur Norm erhobenen Verwüstungen unterscheiden den Dschihad von anderen Eroberungskriegen." Gewiss, die Massenversklavung blieb das beliebteste Kriegsziel. So entstand schon im achten Jahrhundert die größte Sklavenhaltergesellschaft der Weltgeschichte; sie benötigte eine ständige Zufuhr immer neuer Sklaven; sie transformierte den afrikanischen Kontinent zum größten Sklavenlieferanten, ein Schicksal, welchem Europa knapp entkam.

Singulär ist die enorme Geschwindigkeit, mit der binnen neunzig Jahren ein arabisches Großreich zwischen Südfrankreich und Indien entstand, ohne dass ein einzelner Eroberer die Expansion gelenkt hätte. Der erfolgreichste Imperialismus der Weltgeschichte erregte nicht zuletzt die Bewunderung Hegels: "Nie hat die Begeisterung als solche größere Taten vollbracht." Wenn "Begeisterung" solches vermochte, worauf beruhte sie? Die Antwort ist einfach: auf dem Märtyrertum. Ein Ereignis des Jahres 963 in Konstantinopel illustriert das: Kaiser Nikephoros Phokas hatte soeben die arabischen Besatzer aus Kreta vertrieben; nun plante er einen großen Krieg, um Ostanatolien und Nordsyrien von der muslimischen Herrschaft zu befreien. Ein Konzil sollte ihm helfen; eindringlich bat er die versammelten Bischöfe, sie sollten Soldaten, die im bevorstehenden Kampf fielen, zu Märtyrern erheben. Diesen Soldaten wäre also das Paradies sicher gewesen. Der Patriarch stellte sich gegen den Kaiser: Kein kirchliches Konzil sei imstande, Gottes Ratschluss zu antizipieren; allein Gott entscheide über das Heil.

Eine welthistorische Schlüsselszene. Der Kaiser wusste, was auf dem Spiele stand. Immer wieder hatten die Byzantiner erleben müssen, wie die muslimischen Truppen mit einer Tapferkeit kämpften, zu der die Christen nicht imstande waren. Gefallene Muslime gelten als Märtyrer für den Glauben und marschieren als Gefallene geradewegs ins Paradies. In den beiden Religionen unterscheidet sich der Begriff des Märtyrers fundamental. Christliche Märtyrer imitieren das Leiden Jesu, erleiden passiv Folter und Tod; muslimische Märtyrer sind aktive Kämpfer.

Maßgeblich für die Todesbereitschaft der Krieger ist das unverbrüchliche Versprechen, dass, wer für seinen Glauben stirbt, das ewige Heil erhalte (Sure 4, 74-76). Muslime sollten einer zehnfachen Übermacht standhalten (Sure 8, 66-67); spätere Rechtsgelehrte erlaubten, wie Khadduri schreibt, den Rückzug, falls man einer mindestens doppelten Übermacht des Feindes gegenüberstand. Da die entscheidende Ressource jedes Krieges der kämpfende Mensch und seine Opferbereitschaft ist, half es den Byzantinern nichts, technisch den Arabern und Seldschuken gleichwertig zu sein; langfristig mußten sie unterliegen, falls ihre Kampfmoral nicht dieselbe Höhe erreichte. Höhere Todesbereitschaft bringt enorme Vorteile in der Gefechtssituation: so lassen sich waghalsige Operationen angehen und kühne Manöver, die den Feind überraschen und verwirren; so lassen sich Siege erzwingen, die technisch und materiell fast nicht möglich scheinen, und Schlachten gewinnen, die unter üblichen Bedingungen verloren sind.

Nikephoros wusste um die militärischen Konsequenzen von Sure 4, 74-76; er war der erste, der die prinzipielle kriegerische Unterlegenheit der christlichen Religion zu korrigieren suchte. Doch die Bischöfe der Ostkirche sahen sich außerstande, ihre Theologie so zu manipulieren, dass ein kriegerisches Märtyrertum hätte entstehen können. Dabei blieb es. Die byzantinischen Kaiser mussten ihre schweren Abwehrkriege gegen die ständigen sarazenischen und seldschukischen Aggressionen führen, ohne dass ihnen die Religion dort half, wo Hilfe am nötigsten war.

Erst die Westkirche veränderte die theologisch-politische Situation: als Papst Urban II. 1095 zum ersten Kreuzzug aufrief, versprach er den christlichen Kriegern den Erlass der Sünden: Gefallene Kreuzeskrieger umgingen demnach das göttliche Gericht; sie wurden insofern den Märtyrern gleichgestellt, obschon ihnen dieser Name verwehrt blieb. Der Papst als Oberhaupt einer monarchisch organisierten Kirche tat genau das, was ein Konzil östlicher Bischöfe nicht vermochte: Er verfügte über das Heil. Die Papstkirche konnte nun ebensolche "Heiligen Kriege" führen, wie der Islam es seit Jahrhunderten zu tun pflegte. Worin unterscheiden sich dann Kreuzzüge und Dschihad? Kreuzzüge konnte allein der Papst ausrufen; daher blieben sie sehr selten - verglichen mit den unzähligen, unaufhörlichen und ubiquitären Dschihads der islamischen Welt.

Und die Ziele von Kreuzzügen blieben genau begrenzt; im November 1095 nannte Urban II. in Clermont Grund und Ziel des Kreuzzuges: "Es ist unabweislich, unseren Brüdern im Orient eiligst Hilfe zu bringen. Die Türken und die Araber haben sie angegriffen und sind in das Gebiet von Romanien (Konstantinopel) vorgestoßen; und indem sie immer tiefer eindrangen in das Land dieser Christen, haben sie diese siebenmal in der Schlacht besiegt, haben eine große Anzahl von ihnen getötet und gefangen genommen. Wenn ihr ihnen jetzt keinen Widerstand entgegensetzt, so werden die treuen Diener Gottes im Orient ihrem Ansturm nicht länger gewachsen sein." Die ersten Kreuzzüge bezweckten, entweder bedrängten Christen zu Hilfe zu kommen oder die Heiligen Stätten in Palästina zu befreien oder von den Muslimen unterworfene Christen zu befreien. Dagegen hielten die muslimischen Rechtsgelehrten immer am Endziel fest, das "Haus des Krieges" zu erobern und alle Ungläubigen zu unterwerfen.

Urban II. sah richtig. Wäre Konstantinopel schon 1100 gefallen, dann hätte die enorme militärische Kraft der türkischen Heere Mitteleuropa vierhundert Jahre früher heimgesucht. Dann wäre die vielfältige europäische Kultur wahrscheinlich nicht entstanden: keine freien städtischen Verfassungen, keine Verfassungsdebatten, keine Kathedralen, keine Renaissance, kein Aufschwung der Wissenschaften; denn im islamischen Raum entschwand das freie - griechische! - Denken eben in jener Epoche. Jacob Burckhardts Urteil - "Ein Glück, dass Europa sich im ganzen des Islams erwehrte" - heißt eben auch, dass wir den Kreuzzügen ähnlich viel verdanken wie den griechischen Abwehrsiegen gegen die Perser.

Indes, wurden Kreuzzüge nicht häufig missbraucht? Gewiss. Kreuzzüge "entgleisten" und wurden "zweckentfremdet", wie etwa jener, der 1204 zur Eroberung des christlichen Konstantinopel führte. Doch das passierte mit Dschihads weitaus häufiger. Wenn die Sklaven knapp wurden, führten Emire nicht nur Dschihads gegen nichtmuslimische Völker, welche zu versklaven geboten war, sondern immer häufiger auch gegen islamisierte Völker, unter dem Vorwand, es seien keine wahren Muslime. Das geschah vorwiegend in Afrika und gegen Schwarzafrikaner, so, als zuerst Songhay 1468, dann die Marokkaner 1552 Mali überfielen, so auch, als seit dem achtzehnten Jahrhundert religiöse Reformer im Sahel ihre Dschihads gegen die muslimisierten Haussa-Städte führten, woraus das Kalifat Sokoto entstand - mit der drittgrößten Sklavenmenge nach Brasilien und den amerikanischen Südstaaten. An den Folgen dieser immer weiter gehenden Dschihads mit ihren Genoziden und Massenversklavungen leidet Afrika bis heute.

Indes, für welche politische Ordnung führten die Muslime ihre Heiligen Kriege mit dieser Vehemenz und diesem Erfolg? Für die Scharia. Eine politische Ordnung, die erstens Herren und Unterworfene streng absondert, zweitens die politische und soziale Ordnung der menschlichen Verfügung weitgehend entzieht. Bleiben wir beim ersten Aspekt: In der Scharia sind die Muslime die Herren, die Anhänger anderer Buchreligionen - Christen, Juden, Parsen, Buddhisten - Unterworfene, "Dhimmi"; dabei handelte es sich nicht um religiöse Minderheiten, sondern um gewaltige Mehrheiten, vor allem in Syrien, in Anatolien, oder um die Christen Nordafrikas.

Die Unterworfenen durften keine Waffen tragen, sie waren wehrunfähig, somit keine vollwertigen Männer. Christen und Juden mussten besondere Farben oder Kleidungsstücke tragen (diese Diskriminierung führte zum Judenstern), um als "Dhimmi" kenntlich zu sein; sie durften nicht auf Pferden reiten, sondern nur auf Eseln, damit sie ständig an ihre Erniedrigung erinnert wurden; sie zahlten einen Tribut (Jizya), den sie persönlich entrichteten, wobei sie einen Schlag an den Kopf erhielten. Sie mußten sich von Muslimen schlagen lassen, ohne sich wehren zu dürfen; schlug ein "Dhimmi" zurück, dann wurde ihm die Hand abgehackt, oder er wurde hingerichtet. Die Zeugenaussage eines "Dhimmii" galt nicht gegen Muslime; diese brauchten für Vergehen an einem "Dhimmi" nur halbe Strafe zu tragen; und wegen eines solchen Unterworfenen konnten sie nie hingerichtet werden. Umgekehrt waren grausamste Hinrichtungsarten überwiegend den "Dhimmi" vorbehalten.

Sogar jene Diskriminierung der Juden, zu der vierhundert Jahre nach dem Islam die Westkirche auf dem IV. Laterankonzil von 1215 schritt und die uns so barbarisch anmutet, bezweckte und erreichte keine Erniedrigung dieses Ausmaßes. Eine besondere Drangsalierung brachte die türkische Herrschaft: seit 1360 wurde in unregelmäßigen Abständen bis zu einem Fünftel aller christlichen Kinder in die Sklaverei abgeführt. Sie wurden zwangsbekehrt.

Diese Sklavenmenge dürfte im Laufe von vier Jahrhunderten in die Millionen gegangen sein; davon wurden Hunderttausende ausgewählter Knaben zu fanatischen Muslimen und zu Elitekämpfern erzogen, zu den berüchtigten Janitscharen: eine Politik zur systematischen Vermehrung der muslimischen Bevölkerung und zur allmählichen Auslöschung der Christen. Sie hatte Erfolg. Die "Dhimmitude" versetzte die Nichtmuslime in eine radikale Andersheit: Die Menschen in diesem Zustand als "Bürger zweiter Klasse" zu bezeichnen ist Schönrednerei. Wie der Nationalsozialismus die Menschen in Herren- und Untermenschen auf rassischer Basis spaltete, so hat es die Scharia auf religiöser Basis getan. Als erste Weltreligion schuf der Islam eine Apartheid, in der die christlichen oder auch parsischen Mehrheiten kolonisiert und allmählich islamisiert wurden. Islamische Toleranz hieß: Duldung der Unterworfenen als Gedemütigte und Erniedrigte. All das ist durch Studien zur "Dhimmitude" bekannt. Aber wer will von den millionenfachen Opfern hören?

Der Islam hat riesige Territorien religiös "gesäubert": der zweite Kalif machte den Hidjaz, also Arabien außer dem Jemen, "christenrein" und "judenrein"; die Alternative hieß Konversion oder Vertreibung. Das hat - von alttestamentlichen Fällen abgesehen - niemals zuvor eine Religion gemacht. Ebenso "reinigten" die Almohaden und Almoraviden ihr Spanien nach dem Zusammenbruch des Kalifats 1031: Zehntausende Juden wie Christen mussten entweder konvertieren oder ins christliche Nordspanien oder in die Levante fliehen. Gewiss, englische und französische Könige und dann die Könige Spaniens selber taten später das gleiche; sie wandten dabei ein muslimisches Rezept an.

Und die Pogrome? Seit dem Kalifen Al-Mutawakkil (847 bis 861) schwappten immer wieder Verfolgungen über den Orient und Nordafrika, wobei Juden und Christen zwangsbekehrt, vertrieben oder massakriert wurden. Die ständige Zerstörung von Kirchen ging bis ins vorletzte Jahrhundert weiter. Allmählich zerlaufen auf dem verklärten Bild des muslimischen Spanien, welches der europäische Antiimperialismus im neunzehnten Jahrhundert geschaffen hat, die blumigen Farben. Sorgfältige Aufarbeitung der Dokumente bringen darunter ein anderes Bild zum Vorschein. Dort kam es 889 in Elvira und 891 in Sevilla zu umfassenden Pogromen gegen Christen. Im marokkanischen Fez wurden 1033 über 6000 Juden massakriert. 1058 wurde das christliche Antiochia unter Folter und Todesdrohungen muslimisch gemacht.

Das erste große Pogrom gegen Juden auf europäischem Boden fand 1066 im muslimischen Granada statt; dabei kamen 1500 jüdische Familien um. 1135 wurde das Judenviertel Córdobas niedergebrannt, die Zahl der Massakrierten nicht zu wissen mag heilsam sein. 1159 standen sämtliche Christen von Tunis vor der Wahl, zu konvertieren oder zu sterben. Um diese Zeit wurde das ehemals so vitale Christentum Nordafrikas vollends vernichtet. Die Pogrome im christlichen Herrschaftsgebiet sind kein Ruhmesblatt der europäischen Kultur; aber ihre Ausmaße bleiben zurück hinter jenen der islamischen Welt. Wir brauchen dringend eine vergleichende Geschichte religiöser Unterjochung.

Reden wir von Integration der Juden? Nirgendwo unter der Herrschaft des Islam, und auch nicht im spanischen Kalifat, waren Juden Bürger ihrer Stadt; sie blieben stets Unterworfene. In manchen deutschen Städten - Worms, Augsburg und anderen - des Hochmittelalters waren die Juden Stadtbürger besonderen Rechts, sie hatten das Recht, Waffen zu tragen, und waren besser gestellt als ärmere christliche Einwohner. Sie waren bis ins vierzehnte Jahrhundert, als sich ihre Situation verschlechterte, weit besser integriert, als die Juden im muslimischen Spanien es jemals sein konnten. Wer die politische Integration für die wichtigste hält, kann nicht umhin, Augsburg über Córdoba zu stellen. All das ist seit über fünfzehn Jahren wissenschaftlich bekannt. Aber wer will es hören?

Seine Vergangenheit nicht zu kennen heißt, sie wiederholen zu müssen. Wer weiterhin das Märchen von der islamischen Toleranz verbreitet, behindert jene muslimischen Intellektuellen, die ernsthaft an jener Reform des Islam arbeiten, die im neunzehnten Jahrhundert so Erfolg versprechend begann. Denn er beraubt sie der Chance, eine Vergangenheit zu überwinden, die ansonsten zur abscheulichen Gegenwart zu werden droht. Gelänge es den Reformern, den Islam radikal zu entpolitisieren, dann könnten die Muslime zu wirklichen Bürgern in ihren Staaten werden. Übrig bliebe jene hochgradig spirituelle Religion, die nicht nur Goethe fasziniert hat: Hegel nannte den Islam die "Religion der Erhabenheit". Dazu könnte er werden.

FAZ vom 16.09.2006

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Kampf der Kulturbanausen

Von Daniel Bax

"Orhan Pamuk ist der Westen", jubelte Frank Schirrmacher nach der Verleihung des Literaturnobelpreises an den türkischen Schriftsteller in der FAZ, denn er markiere "die äußerste Front unseres westlichen Lebensstils und seiner Überzeugungen" gegenüber dem Islam. Markige Worte, wie sie wohl in einen Leitartikel gehören. Nur war diese Interpretation gelinde gesagt gewagt, denn sie widersprach nicht nur dem oft geäußerten Selbstverständnis des Autors wie auch der Begründung der schwedischen Akademie für ihre Auszeichnung. An dieser Einordnung wurde auch deutlich, dass Schirrmacher bislang offenbar noch keine einzige Zeile von Pamuks Werk, in dem sich westliche und östliche Traditionen aufs Innerste verschränken, gelesen haben konnte, denn sonst hätte er solch eine kühne Behauptung wohl nicht zu treffen gewagt.

Nun steht es jedem Journalisten frei, Unsinn zu schreiben. Doch Frank Schirrmacher ist ja nicht irgendwer, sondern steht als Mitherausgeber einer der einflussreichsten Zeitungen der Republik vor. Das Problem weist also tiefer und ist symptomatisch, zumal Frank Schirrmacher als eine Leitfigur eines Feuilletons gilt, in dem auch gesellschaftspolitische Debatten geführt werden. Dieses Feuilleton gilt vielen als Gegenmodell zum traditionellen, auf Kultur im engeren Sinne fokussierten "Rezensionsfeuilletons", das auf Literaturkritiken, Filmbesprechungen und ähnlichem Rezensionswesen basiert.

Die Annahme, dass sich aus der Beschäftigung mit Literatur, Kunst oder auch Alltagskultur heraus ein anderer, vielleicht genauerer Blickwinkel auf die Welt finden ließe, hat dazu geführt, dass sich das Feuilleton heute mit gesellschaftlichen Debatten aller Art beschäftigt, von der "Unterschicht" bis zur Gentechnik. Wenn aber der frühere FAZ-Feuilletonchef die Bücher nicht mehr liest, mit denen er argumentiert, wird darin eine grundsätzliche Fehlentwicklung deutlich: Das Feuilleton hat sich von seinem Gegenstand gelöst - zu Gunsten einer enthemmten Meinungsfreude, die es sich an den Ufern aktuell grassierender Ideologien bequem macht.

Deutlich wird das beim Reden über den angeblichen "Kampf der Kulturen". Als populäres Ideologem wird Samuel Huntingtons notorisch gewordene Kampfformel hierzulande gern herangezogen, um die Schwierigkeiten bei der Integration von muslimischen Einwanderern oder die Herausforderung des islamistisch gefärbten Terrorismus zu einer Art Entscheidungsschlacht zwischen Morgen- und Abendland zu stilisieren. Auch im Feuilleton wird das Schlagwort gern aufgegriffen. Frappierend ist nur, mit wie viel Demagogie und wie wenig Sachkenntnis sich dabei auskommen lässt.

Das Feuilleton der FAZ etwa machte kürzlich, anlässlich der Diskussion um die Regensburger Papst-Rede, mit einer flammenden Schlagzeile auf. "Der Islam will die Welteroberung", schrieb da der Althistoriker Egon Flaig und rührte auf ganzen zwei Seiten eine brachiale Interpretation islamischer Geschichte mit einem Lob der Kreuzzüge und der Reconquista, der Rückeroberung der iberischen Halbinsel durch die katholischen Könige Spaniens, zu einem kruden Pamphlet zusammen. Dass er großzügig den Islam als Religion und die islamistische Ideologie der ägyptischen Muslimbrüder gleichsetzte, dass er islamisches Recht mit den Nürnberger Rassegesetzen verglich - Letztere schnitten bei ihm übrigens besser ab -, und dass er bei alledem eine antiislamische Kampfschrift der Autorin Bat Ye'Or zitierte, hätte eigentlich genügen müssen, um ihn für eine seriöse Debatte zu disqualifizieren. Kaum vorstellbar jedenfalls, dass die FAZ auch einen Artikel mit der Überschrift "Das Judentum will die Weltherrschaft" gedruckt hätte.

Man konnte diesen Beitrag als Beispiel dafür lesen, wie wenig manche Vertreter der deutschen Geschichtswissenschaft offenbar von der Welt außerhalb Europas wissen. Man musste diesen Beitrag aber auch als Zeichen dafür sehen, auf welche Abwege ein Feuilleton geraten kann, dass vor allem auf Knalleffekte setzt. Denn an der teils hysterischen, teils völlig entgleisten "Islam-Debatte" lässt sich nur besonders augenfällig ablesen, wie sehr aufgeregte Stimmungsmache mancherorts an die Stelle fundierter Analyse getreten ist.

Das ist ein Trend, der sich auch bei anderen Medien erkennen lässt...

taz vom 31.10.2006

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Duldung und Demütigung

Von Siegfried Kohlhammer

Ist der Islam tatsächlich eine so tolerante und friedfertige Religion, wie nach den Terroranschlägen vom 11. September allerorten behauptet wird? Geschichte und Gegenwart sprechen dagegen

Nach den Massakern des 11. September 2001 beeilten sich führende westliche Staatsmänner, ihren verschreckten Bürgern zu versichern, dass die Terrorakte nichts mit dem Islam zu tun hätten - der Islam sei vielmehr eine tolerante, friedliebende Religion. Es scheint mir aus aktuellem Anlass sinnvoll, diese Beteuerungen einer "dogmatischen Islamophilie" auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen, denn - wie der 11. September gezeigt hat - Illusionen zu hegen, kann nachteilige Folgen haben. Es ist jedoch auch nicht meine Absicht, gegen solides Beweismaterial zu behaupten, dass der Islam nie anders als intolerant war oder sein kann, sondern dass er wie alle nicht vom Gewaltmonopol eines säkularen Rechtsstaats gebändigten Religionen zu allem fähig ist.

Das Kronjuwel in der Schatzkammer islamischer Toleranz ist die Institution der Schutzbefohlenen (dhimma). Sie beruht auf Koranversen, auf Prophetenworten und -taten (hadith) und weiteren der über Jahrhunderte sich entwickelnden religiösen Rechtsbestimmungen, die Teil dessen sind, was der rechtgläubige Muslim zu tun und zu lassen hat. Die Institution der Dhimma wird als Vertrag interpretiert, der den unterworfenen Andersgläubigen Leben, Eigentum (einschließlich des Rechts, Handel und Gewerbe zu betreiben) sowie die Ausübung ihrer Religion und Selbstverwaltung gewährt gegen die Zahlung spezieller Kopf- und Landsteuern und weiterer Leistungen sowie der Loyalität gegenüber dem islamischen Staat. Das ist nicht wenig. Aber es ist weder spezifisch islamisch noch neu, noch besonders tolerant. Und es ist kein Vertrag.

Auch juristischen Laien ist bekannt, dass ein unter Gewaltandrohung zustande gekommener Vertrag null und nichtig ist - es ist kein Vertrag, sondern "ein Angebot, das man nicht ablehnen kann", wie Don Corleone es formuliert hätte. Dass Gewaltandrohung zugrunde liegt, ergibt sich schon daraus, dass der so genannte Vertrag das Leben gewährt, das bei Nichteingehen auf das Vertragsangebot verloren ist. Unter anderem gegen die Zahlung von Schutzgeldern. "Schutzgelderpressung" wäre insofern eine polemische, dem Sachverhalt aber angemessenere Bezeichnung als "Vertrag".

Dass Gewalt drohte, daran besteht kein Zweifel: "Die Invasion des Nahen Ostens bedeutete keineswegs eine freudige, befreiende Erfahrung, sondern ging mit einem hohen Maß an Tod und Zerstörung einher. Die Bewohner derjenigen Städte, die im Sturm genommen worden waren, wurden entweder getötet oder in die Gefangenschaft verschleppt und verloren ihr Eigentum", schreibt der US-amerikanische Professor für jüdische Geschichte Norman A. Stillman. Die britische Autorin Bat Ye'or stellt fest: "Die arabischen Eroberungen … waren begleitet von enormen Zerstörungen. Mehr noch als die christlichen Quellen beschreiben die muslimischen Chroniken die Plünderung und Einäscherung ganzer Städte und zahlloser Dörfer und die an der Bevölkerung begangenen Massaker, ihre Versklavung und Deportation."

Bei dem Hamburger Orientalisten Albrecht Noth liest sich das so: "Nun hat natürlich die Vertragsbereitschaft der muslimischen Eroberer nicht ausgeschlossen, dass es im Verlauf der futuh (Eroberungen) auch immer wieder zu Kämpfen mit der jeweils einheimischen Bevölkerung gekommen ist. Die Muslime hatten ihre militärische Stärke, sei es in Gefechten, sei es bei der Belagerung von festen Plätzen, des Öfteren erst einmal zu demonstrieren, bevor ihre nichtmuslimischen Kontrahenten zu der Überzeugung kamen, dass eine vertragliche Einigung mit den Muslimen für sie die vorteilhafteste Lösung sei."

An solchen Demonstrationen hatte es schon der Prophet bei zahlreichen Razzien, Belagerungen, Eroberungen und Vertreibungen nicht fehlen lassen (einschließlich der Folter), am eindringlichsten im Jahre 627 bei der Massakrierung der Juden vom Stamme Banu Qurayza. Sir William Muir, der bedeutendste britische Islamwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, schreibt in The Life of Muhammad: "In der Nacht wurden quer über den Marktplatz der Stadt Gräben ausgehoben, groß genug, um die Leichen der Männer aufzunehmen. Am Morgen befahl Mohammed, der selber zu den Zuschauern der Tragödie gehörte, dass die männlichen Gefangenen in Gruppen von jeweils fünf oder sechs herbeigeführt werden sollten. Jede Gruppe hieß man dann in einer Reihe am Rande des Grabens niedersitzen, der bestimmt war, ihr Grab zu werden; dort wurden sie enthauptet und die Leichen hinabgestoßen. … Die Schlächterei, die am Morgen begonnen hatte, dauerte den ganzen Tag und wurde bei Fackelschein bis in den Abend hinein fortgesetzt. Nachdem er so den Marktplatz mit dem Blut von sieben- oder achthundert Opfern getränkt und den Befehl erteilt hatte, die Erde über den Leichen zu glätten, ließ Mohammed das furchtbare Schauspiel hinter sich, um bei den Reizen Rihanas Trost zu finden, deren Ehemann und männliche Verwandten alle gerade in dem Massaker umgekommen waren." Die anderen Frauen und die Kinder wurden in die Sklaverei verkauft.

Die Dhimmainstitution ist keine spezifisch islamische Erfindung, sondern eine Variante zahlreicher vorgegebener Modelle imperialer Einbindung von religiös und kulturell heterogenen minoritären oder majoritären Bevölkerungsgruppen, auf deren Wirtschaftskraft, Steuergelder und Expertise man nicht verzichten wollte und die deshalb vor der Tötung, Ausweisung oder Zwangsassimilation und -konversion bewahrt wurden. Sie ist die universelle Praxis der römischen und mittelalterlichen Imperien. Ein Vergleich des christlichen Europas mit den islamischen Staaten in diesem Zusammenhang zeigt keineswegs eine Opposition intolerant/tolerant, vielmehr eine weitgehende Übereinstimmung.

Neben den religiösen Geboten lag dem Dhimmastatus - ebenso wie dem der nichtchristlichen Minderheiten in Spanien, Sizilien und den Kreuzfahrerstaaten - das Prinzip der utilitas zugrunde. Die Existenz der Ungläubigen im Land des Islam, heißt es bei Bernard Lewis, einem der ausgewiesensten Kenner des Nahen Ostens, erklärt sich dadurch, dass "sie unterschiedlichen nützlichen Zwecken dienten, vor allem ökonomischen".

Umar, der zweite Kalif, legte den Gläubigen den Schutz der Dhimma ans Herz, einerseits weil der Prophet es so gewollt habe, andererseits weil "sie für den Lebensunterhalt eurer Familien sorgen". Mit erfrischender Offenheit beantwortete einer der Gefährten des Propheten die Frage, was die Muslime den Tributpflichtigen denn verdankten, mit folgender Auskunft: "Sie helfen dir, deiner Armut zu entkommen, um dich mit dem Reichtum zu versorgen, über den du verfügst."

Was der Historiker Joshua Prawer über die Kreuzfahrerstaaten sagt, lässt sich Wort für Wort auf die islamischen übertragen: Aus der äußerst geringen Zahl der Eroberer im Verhältnis zu den Eroberten und dem entschiedenen Unwillen Ersterer, einer produktiven Tätigkeit nachzugehen, ergab sich "ein deutliches Grundmuster der Koexistenz: Die Kreuzfahrer hatten niemals beabsichtigt, Produzenten von Grundnahrungsmitteln oder irgendeiner anderen Form von Reichtum zu sein, da sie sich als Herrscher sahen, die die Einheimischen ökonomisch ausbeuteten. Diesen wurde durch politischen und militärischen Druck die Rolle von Lieferanten zugewiesen. Die neue Gesellschaft bestand so von Anfang an aus Eroberern und Eroberten, Ausbeutern und Ausgebeuteten."

Die Aufnahme der seit 1492 von der Iberischen Halbinsel vertriebenen Juden durch den Sultan Bayezid II. ist wohl das am häufigsten angeführte Beispiel islamischer Toleranz (und christlicher Intoleranz). Um das damit einhergehende Schwarzweißbild ein wenig zu korrigieren - es ist ja auffällig, dass die habituellen Schwarzweißbild-, Schrecklichevereinfacher- und Komplexitätsreduzierungskritiker im Fall der Konfrontation von Christentum und Islam den Mund nicht aufkriegen -, sei daran erinnert, dass keineswegs alle vertriebenen Juden der Einladung ins Osmanische Reich folgten: Einige gingen in christliche Länder Europas, Italien vor allem, und dort vor allem in den Kirchenstaat, oder siedelten sich im Languedoc an, andere zogen in die portugiesischen Küstenstädte Nordafrikas, wo sie an deren Verteidigung gegen die Angriffe der Muslime teilnahmen.

Obwohl neben Spanien und Portugal auch England, Frankreich und deutsche Länder - um nur die wichtigsten zu nennen - die Juden für Jahrhunderte des Landes verwiesen, gab es doch immer andere europäische Länder, die sie aufnahmen, von Polen und Litauen über Savoyen bis zur mächtigen Republik Venedig (später die protestantischen Länder), und aus demselben Grund wie der Sultan.

Die Juden sind 1492 und in den folgenden Jahren nicht zum ersten Mal von der Iberischen Halbinsel vertrieben worden: Der Terror der Almohadenherrschaft (1130 - 1212) machte mit Zwangsvertreibungen und -konversionen, Verfolgungen und Massakern al-Andalus (und das von ihnen beherrschte Nordafrika) weitgehend juden- und christenrein. (1159 verschwanden die letzten christlichen Gemeinden Nordafrikas unter den Verfolgungen Abd al-Mu'mins. 1126 schon hatten die Almoraviden Christen nach Marokko deportieren lassen.) 1033 waren in Fez etwas sechstausend Juden einem antijüdischen Massaker zum Opfer gefallen, 1066 waren es etwa viertausend in Granada. 1232 kam es zu einem Judenmassaker in Marrakesch. 1465 lebten in Fez wieder genug Juden, um sie in einem Massaker, das sich auf das gesamte Land ausbreitete, fast vollständig auslöschen zu können.

Das letzte große Judenpogrom in der arabisch-islamischen Welt fand 1945 in Tripoli und den umliegenden Gemeinden unter den Augen der britischen Besatzer statt, dauerte bis zu Gründung des Staates Israel 1948 an und wurde dann durch die Emigration beziehungsweise Vertreibung der Juden abgelöst.

Die Juden der Iberischen Halbinsel waren dem türkischen Sultan auch deshalb willkommen, weil er so Zwangsumsiedlungen von Juden vermeiden konnte, wie sie schon nach der Eroberung Konstantinopels zur Schaffung einer ökonomisch aktiven und steuerlich ertragreichen Hauptstadt vorgenommen worden waren. Lewis: "Der osmanischen Regierung lag viel daran, jüdische Bevölkerungsgruppen in den neu eroberten christlichen Städten anzusiedeln. Die Juden wurden manchmal dazu überredet, manchmal dazu gezwungen."

Und im Gegensatz zu den Christen galten die Juden als politisch verlässlich, da sie keiner Parteinahme für die mit den Türken verfeindeten christlichen Staaten verdächtig waren. Sie "wurden als nützliche und produktive Elemente betrachtet und als ein Instrument imperialer Politik benutzt". Vor allem das von ihnen mitgebrachte Kapital und ihr technologisches Wissen, ihre sprachlichen, das heißt Übersetzerfähigkeiten und anderes Expertenwissen bildeten die Grundlage einer "Art symbiotischer Beziehung mit den Türken, die der Dienste bedurften, die jene zu leisten vermochten". In dem Maße aber, wie ihre Fähigkeiten und Dienste obsolet wurden und an Wert verloren, ihre Kontakte zu Europa abbrachen, verschlechterte sich der Status der Juden, verminderte sich die ihnen gewährte Toleranz.

Mit dem Versiegen der jüdischen Einwanderung gegen Ende des 16. Jahrhunderts versiegte auch der Zustrom europäischen Wissens, europäischer Technologie: "Die Kenntnisse und Fertigkeiten, die zuvor den Juden und ihren türkischen Herren von Nutzen gewesen waren, veralteten, und die Juden hatten nicht länger irgendetwas Besonderes oder Nützliches anzubieten" und wurden durch Christen ersetzt.

Lewis spricht von "der wachsenden Segregation, der schwindenden Toleranz, der verminderten Partizipation, der zunehmenden - materiellen sowohl wie intellektuellen - Armut" der Juden im Osmanischen Reich in einem Klima allgemein zunehmender sunnitischer Orthodoxie. Für die Juden in den arabischen Ländern des Reiches stellt Stillman fest: "Das 16. Jahrhundert war ein kurzes strahlendes Zwischenspiel in der langen Abenddämmerung des späten islamischen Mittelalters." Der Jude hatte seine Schuldigkeit getan, der Jude konnte gehen. Nein, als Beispiel für eine dem Islam innewohnende vortreffliche Toleranz taugt das Schicksal der Juden im Osmanischen Reich nicht.

Die Grenzen einer auf dem Utilitasprinzip beruhenden Toleranz sollten ihre positiven lebens- und glaubensrettenden Seiten nicht vergessen machen. Es geht mir nicht um einen moralischen Rigorismus, der das Gute nur getrennt vom Nützlichen als Gutes anerkennen will, ist jenes doch sicher dessen zuverlässigster Freund und Helfer, solange beide dasselbe Ziel verfolgen. Aber die Utilitastoleranz des Dhimmastatus ist nur die eine Seite der islamischen Toleranz - und nun zu den bad news.

Eine auf absolute Wahrheit Anspruch erhebende universale Offenbarungsreligion wie der Islam (oder das Christentum) sieht sich mit dem Problem konfrontiert, wie sie mit den Mitgliedern anderer Religionen verfahren soll, die sich auf ihrem Herrschaftsgebiet befinden. Will sie sich der mit der Uneinsichtigkeit der Andersgläubigen gegebenen frechen Provokation ("Glaub ich nicht!") und Infragestellung des eigenen absoluten Wahrheitsanspruchs nicht durch Tötung oder Vertreibung entledigen (und dem steht das Utilitasprinzip - auch in Form religiöser Gebote und Verbote - entgegen), muss ein Modus gefunden werden, der die überlegene Wahrheit der eigenen mit dem Fortbestehen der anderen Religion(en) verbindet: der Modus ihrer öffentlichen und sinnfälligen, beiden Seiten wahrnehmbaren Demütigung und Erniedrigung.

Da beide Religionen nicht gleichzeitig die absolute göttliche Wahrheit sein können - die moderne Spaltung in den privaten religiösen und den säkularen gesellschaftlich-staatlichen Bereich, die nur im ersteren den Absolutheitsanspruch konzediert und so die gleichberechtigte Koexistenz aller Religionen im letzteren Bereich ermöglicht, ist ja nicht gegeben -, muss die Überlegenheit der einen durch die Unterlegenheit der anderen ihren sinnfälligen Ausdruck finden.

Man kann sich das als ein Nullsummenspiel der Anerkennung vorstellen: Religion A kann nur anerkannt und geehrt sein, wenn Religion B erniedrigt und gedemütigt ist - je anerkannter Religion A, desto verächtlicher Religion B; die eigene Religion erhöhen heißt die andere demütigen. "Der Islam herrscht, er wird nicht beherrscht", lautet ein überliefertes Wort des Propheten: Es kann nur Erhöhung oder Erniedrigung, Anerkennung / Ehre oder Verachtung / Ehrlosigkeit geben.

Die Gleichberechtigung der anderen Religion anzuerkennen, wäre nicht nur ein absurder Widerspruch zum Anspruch der einen absoluten Wahrheit, sie stellte auch eine sträfliche Vernachlässigung religiösen Ernstes und Eifers dar. Die Verachtung und Demütigung der anderen Religion(en) ist somit nicht dem Belieben der einzelnen Gläubigen anheim gestellt und deren Sadismus oder Gutmütigkeit, sondern religiöse Pflicht. Mit anderen Worten: Der Preis für die Duldung durch das Utilitasprinzip des Dhimmastatus ist die Demütigung. Das geht schon aus der grundlegenden Koranstelle 9, 29 hervor, wo die Tributzahlung (jizya) mit der demütigenden Unterwerfung einhergeht. Beides nur ermöglicht und gewährt die Duldung der Existenz.

Ihren alltäglichen Ausdruck fand dieses Prinzip der institutionalisierten Demütigung in Geboten und Verboten, die alle Formen der Begegnung von Muslimen und Ungläubigen regelten: wie und wann zu grüßen ist (von freundlichen oder tröstenden Worten wird abgeraten), dass der Ungläubige sich auf der Straße in bescheiden-unterwürfiger Haltung fortzubewegen und dem Muslim Platz zu machen hat, dass er nicht auf einem Pferd (einem edlen Tier) reiten darf, sondern allenfalls auf einem Maultier oder Esel und auch das nur im Damensitz, und dass er absteigen muss, wenn er einem Muslim begegnet, dass er diskriminierende Kleidung, Kopfbedeckung, Schuhe (im Extremfall sind ihm diese sogar verboten) oder dem Judenstern entsprechende Abzeichen zu tragen hat.

Dass er sich mit Steinen bewerfen, am Bart zerren, ins Gesicht schlagen und prügeln lassen muss, ohne sich wehren zu dürfen; der Waffenbesitz ist ihm ohnehin untersagt, und einen Muslim zu schlagen, zieht die Todesstrafe nach sich, dass seine Zeugenaussage vor Gericht geringeren Wert hat als die eines Muslims und für den Fall, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Muslim handelt, wertlos ist.

Dass ein Ungläubiger keine Autorität irgendwelcher Art über einen Muslim ausüben darf, dass ihm sexuelle Beziehungen zu Musliminnen und deren Heirat bei Todesstrafe untersagt sind, dass er keine neuen Gotteshäuser bauen, allenfalls die bestehenden nach - teuer zu bezahlender - Erlaubnis der Behörden renovieren darf, dass Kreuze auf den Kirchen und Glocken(läuten) in deren Türmen verboten sind ebenso wie lautes Klagen bei Trauerzügen und so weiter und so fort.

Angesichts der endlosen Reihe von Demütigungen, Erpressungen, Vertreibungen und Pogromen, denen die Andersgläubigen unterm Islam ausgesetzt waren (und sind), darf man vielleicht auf eine detaillierte und präzise Widerlegung der einschlägigen kritischen Werke durch jene Islamwissenschaftler hoffen, die unermüdlich den Gebetsruf von der islamischen Toleranz in den Medien und von ihren Lehrstühlen erschallen lassen.

Siegfried Kohlhammer, Jahrgang 1944, ist Lektor am Institut für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Staatlichen Universität Yokohama. Das von ihm herausgegebene Buch "Die Freunde und Feinde des Islam" (Steidl Verlag, Göttingen 1996, 223 Seiten) ist leider nur noch antiquarisch erhältlich. Die Langfassung des Textes findet sich im Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken, Nummer 639
taz vom 21.09.2002

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Warum es nicht stimmt, dass die islamische Welt bloß Opfer westlicher Vorurteile, Irrtümer, Abneigungen ist

Von Siegfried Kohlhammer

Ist unser Verhältnis gegenüber den arabischen Ländern und ihrer Literatur von Unkenntnis, Vorurteilen und Zerrbildern bestimmt? Keinen anderen Begriff benutzen die Islamisten häufiger, wenn sie den Westen als Feind des Islam attackieren, als den des Kreuzzüglers. Mit den Kreuzzügen begann angeblich der bis heute anhaltende Krieg des Westens zur Schwächung und Vernichtung des Islam, dem es mit allen Mitteln Einhalt zu gebieten gilt, bevor es zu spät ist. Auch moderate, zur Verständigung bereite oder säkulare Muslime sehen in den Kreuzzügen eine wesentliche Ursache für das gespannte und von Misstrauen bestimmte Verhältnis der islamischen Welt zum Westen.

Und wie denn auch nicht? Waren die Massaker des ersten Kreuzzuges, zumal bei der Einnahme Jerusalems, nicht Ereignisse, die sich dem individuellen wie kollektiven Gedächtnis unauslöschlich einbrennen mussten? Und gab es in der Folge nicht genug weitere Ereignisse, die ein "Feindbild Westen" immerhin verständlich machten? Aber wenn dem so ist, warum sollte dann angesichts der jahrhundertelangen islamischen Eroberungen und Razzien, die weit nach Europa hineinreichten, der Massaker und Versklavungen - noch im Zeitraum zwischen 1530 und 1780 wurden etwa eine Million europäischer Christen in die Sklaverei allein in die nordafrikanischen Barbareskenstaaten verschleppt -, ein jahrhundertealtes "Feindbild Islam" weniger verständlich sein?

Weder in dem einen noch in dem anderen Fall aber stimmt dieses Bild ganz mit den historischen Fakten überein. Darauf weisen schon die arabischen Wörter für Kreuzzug hin, nämlich al-hurub al-salibiyya oder harb al-salib, die Lehnprägungen aus den europäischen Sprachen sind - und zwar des 19. Jahrhunderts. Bis dahin hatten die Kreuzzüge als eine separate historische Einheit weder in den Geschichtsbüchern oder Chroniken noch im kollektiven Gedächtnis existiert; das erste Buch in arabischer Sprache zu diesem Thema (1865) war eine Übersetzung aus dem Französischen, und erst 1899 erschien das erste eigenständige arabische Werk über die Kreuzzüge. Der ägyptische Gelehrte Sayyid 'Ali al-Hariri, erkannte darin aber bereits den propagandistischen Wert des Begriffs und wandte ihn gegen die Engländer. Woraus man lernen kann, dass, wer die Vergangenheit vergisst, sie später aus dem Ausland importieren muss.

Aber auch im christlichen Europa führte die Konfrontation mit dem Islam keineswegs nur überall und immer zu einem Feindbild, zu Dämonisierung, Verteufelung. Schon im Mittelalter finden wir oft erstaunliche Dokumente des Interesses, der Achtung, ja der Bewunderung im Hinblick auf die islamische Welt. Während die kirchliche Propaganda einerseits wesentlich zur Verteufelung des Islam beitrug, war die Kirche doch andererseits die entscheidende Institution, worüber die ersten genaueren Informationen über die islamischen Religion eingeholt wurden.

Das Interesse der Kirche am Islam war zunächst defensiv begründet. Man wollte die islamische Häresie, den islamischen Unglauben widerlegen, ab dem 13. Jahrhundert hoffte man, die Muslime zu missionieren. In beiden Fällen mussten dafür genauere Kenntnisse eingeholt werden, denn die Widerlegung oder Bekehrung sollte qua ratio erfolgen - wie der Islam schloss auch das Christentum Zwangsbekehrungen aus.

Solche Kenntnisse lassen schon Werke aus den ersten Jahrzehnten der Kreuzzüge erkennen. So wendet sich 1120 William von Malmesbury gegen die damals noch verbreiteten Vorstellungen, die Muslime verehrten in Mohammed ihren Gott (er sei vielmehr sein Prophet, korrigiert William) oder seien Polytheisten. Vor 1110 hatte Petrus Alfonsi, ein zum Christentum konvertierter spanischer Jude, die erste annähernd objektive Darstellung Mohammeds und seiner Religion gegeben. Später wird im Auftrag des Abtes von Cluny, Petrus Venerabilis, der selber über respektable Islamkenntnisse verfügte, die erste Fatwaübersetzung fertig gestellt (1143 von dem Engländer Robert of Ketton).

"Ich greife euch nicht mit Waffen an, wie es viele von uns häufig tun, sondern mit Worten; nicht mit Gewalt, sondern mit Vernunft; nicht im Hass, sondern in der Liebe. Ich liebe euch; euch liebend, schreibe ich euch; euch schreibend, lade ich euch ein zum Heil", so Petrus Venerabilis an die Adresse der Muslime. Auch im 13. Jahrhundert fand die Idee einer friedlichen Missionierung - als Alternative zur militärischen Unterwerfung - bedeutende Fürsprecher in Roger Bacon und Raimundus Lullus, die nicht nur die Notwendigkeit gründlicher Kenntnisse der fremden Religion, sondern auch der fremden Sprachen betonten (Lullus lernte selber Arabisch). 1312 unterstützte das Konzil von Vienne die Aufforderung zum Fremdsprachenerwerb, insbesondere des Arabischen.

Das Interesse am Islam und Orient wurde bald Sache von Gelehrten. Nicht mehr die Kirche oder der Hof, sondern die Universität war die Institution, wo diesem - nun missionsunabhängigen - Interesse von Fachgelehrten nachgegangen wurde. 1539 wird am Collège de France der erste Lehrstuhl für Arabistik eingerichtet. Etwa 250 Jahre vor der arabischen Welt gründet ein Medici 1586 die erste Druckerei für arabische Texte. Eine nicht mehr abreißende Reihe von Grammatiken, Wörterbüchern, Texteditionen beginnt für den Bereich der orientalischen Sprachen zu erscheinen, kulminierend in der Bibliothèque orientale von 1697, veröffentlicht von jenem Antoine Galland, der die "Geschichten aus Tausendundeiner Nacht" dem Vergessen entreißen sollte.

Auch Feindschaft gegenüber dem Islam als Religion führte nie dazu, die islamische Kultur und ihre geistigen wie materiellen Produkte abzulehnen. Ein totalitärer Unfug wie der, "islamische Physik" oder "islamische Kunst" ihrer Herkunft wegen abzulehnen, kam dem Mittelalter nicht in den Sinn. Aller Islamfeindschaft, allen Kreuzzügen und Türkenkriegen zum Trotz "hat der Westen nichts als Bewunderung für die Künste des Orients gehabt" (Richard Ettinghausen). Von entscheidender Bedeutung für die Geschichte Europas aber wurde die Aneignung der Wissenschaften, der Mathematik und der Philosophie, wie sie die islamischen Ländern von der Antike, aus Persien, Indien übernommen und weiterentwickelt hatten.

Die einschlägigen Leistungen der islamischen Welt und ihre Bedeutung für Europa sind hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist, dass ein solcher Prozess des interkulturellen Wissenstransfers der empfangenden Seite enorme Leistungen abverlangt. Es bedarf der Anerkennung der Überlegenheit der anderen Seite. Das heißt auch: der Unterlegenheit der eigenen, was nicht einfach ist in einer Gesellschaft, zu deren obersten Werten die Ehre gehört. Die mühselige Arbeit der Aneignung fremden Wissens beginnt also mit der Anerkennung der eigenen Ignoranz. Und diese Arbeit fand ausschließlich auf christlichem Boden statt - in Spanien vor allem und Sizilien zunächst, und dann in den europäischen Zentren des Lernens und Lehrens. In diesem Sinne waren Christen aus allen Teilen Europas und spanische Juden die "Lichtbringer Europas". Die islamische Seite war an diesem Prozess desinteressiert, warum auch hätte sie sich daran beteiligen sollen?

Dieses Desinteresse der islamischen Seite hielt an, als das christliche Europa aufgeholt hatte und die islamischen Errungenschaften zu überbieten begann. Niemand dort interessierte sich für Abaelard oder Hume, für Galileo oder Newton. Heute beschwört die islamische Welt unermüdlich und beleidigt, dass der Westen ihr doch alles verdanke, ohne zu fragen, warum sie ihre Schätze etwa ab dem 13. Jahrhundert in die Rumpelkammer zu stecken begann und nicht mehr beachtete. Averroeismus gab es nur im Westen, nicht in der islamischen Welt, und nicht dort, sondern europäischen Philosophen galt Avicenna als dux et princeps philosophiae.

Die große positive Bedeutung, die das mittelalterliche Spanien für ein genaueres und objektiveres Islambild in Europa und die Aneignung arabischer Kultur im weitesten Sinne hatte, wird fast gänzlich überschattet durch das schreckliche, lange Ende (1492-1609) des Zusammenlebens von Christen, Muslimen und Juden in den Königreichen Kastilien, Aragon, Navarra und Portugal. Die rechtlichen und institutionellen Modalitäten dieser jahrhundertelangen kulturell und ökonomisch sehr produktiven Convivencia dreier Religionsgemeinschaften entsprachen weitgehend denen des muslimischen al-Andalus, das generell als leuchtendes Beispiel islamischer Toleranz angeführt wird. Die Convivencia im mittelalterlichen Spanien verdiente, als analoges Beispiel christlicher Toleranz besser bekannt zu werden. Die mittelalterliche Literatur bietet einige erstaunliche Beispiele für eine geradezu neuzeitlich anmutende Bewunderung der Muslime und Formulierungen des Toleranzgedankens. Wolfram von Eschenbach mit seinem "Parzival" ist nur das bekannteste Beispiel - dort heißt es: "Die nie die Botschaft vom Glauben der Taufe empfangen haben - ist das Sünde, wenn man jene erschlagen hat wie Vieh? Große Sünde nenne ich das! Ganz und gar von Gottes Hand sind schließlich die zweiundsiebenzig Völker, die er erschuf." Die berühmte Rede der Gyburg im Kriegsrat, in der sie den Heiden den Status der Gotteskindschaft zugesteht, wird auch "Toleranzrede" genannt, und beide Textstellen sind in eine Unesco-Sammlung zum Thema Menschenrechte aufgenommen worden.

Im Jahrhundert der Aufklärung werden solche Ausnahmen zur Regel. Die Oriento- und Islamophilie der Aufklärer zeichnet ein idealisiertes Bild der islamischen Welt - ihrer gleichsam aufgeklärten deistischen Religion (keine Kirche, keine Kleriker, keine Inquisition, keine Bücherverbrennungen oder autos da fé ... so glaubte man), ihrer Toleranz, ihrer gerechten Gesetzgebung und undogmatischen Vernunft. Autoren wie Pierre Bayle oder Edward Gibbon, Montesquieu, Voltaire, Lessing malten an diesem Bild des edlen Muslim mit, dessen europakritische Funktion der des edlen Wilden entsprach.

Man könnte annehmen, dass die Romantik in ihrer Wendung gegen die Aufklärung sich auch gegen deren positives Bild der islamischen Welt, des Orients wenden würde. Mit der Romantik aber erreichte die Orientbegeisterung neue Höhen, wenn auch freilich die Gründe und Begründungen dafür andere waren. Im Orient sei "das höchste Romantische" zu finden, schreibt Friedrich Schlegel 1800. Drei Jahre später empfiehlt er den Weg in den Orient zu den Quellen eines noch nicht modern zerfaserten, ursprünglich einheitlichen geistigen Enthusiasmus.

Die Zahl der romantischen Werke orientalischer Thematik, seien es Epen oder Gemälde, Opern oder Gebäude, ist groß und mit den bedeutendsten Namen der Zeit verbunden - von Byron bis Delacroix, von Rossini bis Lamartine, Goethe, Nerval, Meyerbeer, Vernet... All dies wird oft als Exotismus abgetan: eine Schwärmerei, die Projektion eigener Wünsche und Bilder auf einen im Grunde unbekannten Orient. Auch wo dies zutraf, wurde dadurch doch nicht die große produktive Leistung der Romantiker verhindert, nämlich dass sie durch ihre Begeisterung die wissenschaftliche Sammlung und Erforschung orientalischer Quellen und Werke, das Studium orientalischer Sprachen und Kunstwerke vorangetrieben und so - qua Philologie, Geschichtsschreibung und Archäologie - die objektive Kenntnis gefördert haben.

Eine anachronistische Kritik der Orient- und Islambilder und der einschlägigen künstlerischen wie wissenschaftlichen Werke, die nicht auch deren Leistungen anerkennt, sondern nur die betrübliche Tatsache zu konstatieren vermag, dass jene Menschen nicht so klug und moralisch hochstehend waren, wie es ihre Kritiker heute sind, ist nicht sehr produktiv. Während jene versuchten, wie immer unzureichend, etwas Neues zu sehen, zu beschreiben, zu verstehen (oder auch zu imaginieren), fällt diesen immer nur derselbe geist- und trostlose Refrain ein: "Tut nichts, der Westler wird verbrannt!"

Es gibt keine vorneuzeitliche Kultur/Zivilisation, die sich selbst relativiert hätte, keine, die das Ideal der objektiven Selbst- und Fremdwahrnehmung auch nur aufgestellt hätte. Einen Großteil dessen, was wir über diese Reiche wissen, verdanken wir aber den modernen westlichen Wissenschaftlern, ihren Methoden und Techniken, ihrem Interesse, ihrer Hingabe.

Mit Aufklärung und Romantik waren die beiden bis heute grundlegenden Interpretationsmuster der westlichen Welt orient- und islamophil konnotiert sowie araberfreundlich. Auch der neuzeitliche Kolonialismus und Imperialismus waren keine antiislamischen Unternehmen. Soweit dabei Ideologie neben ökonomischen und realpolitischen Gründen eine Rolle spielte, lautete deren Schlachtruf "Zivilisation!", nicht "Dieu le veut!" Ein "Feindbild Islam" spielte längst keine Rolle mehr.

Dass die islamische Welt in ganz besonderer Weise Opfer westlicher Vorurteile, Irrtümer und Abneigungen sei - das stimmt einfach nicht.

Der Publizist und Übersetzer Siegfried Kohlhammer, geboren 1944, war von 1978 bis 2004 Lektor vorwiegend in Asien. Aufsehen erregte er 1995 mit seinem Essay "Die Freunde und die Feinde des Islam"im Merkur, den die Zeitschrift nach dem 11. September 2001 noch einmal abdruckte.

Die Welt vom 18.09.2004

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Wie friedlich ist der Islam?

Von Hans-B. Maier

Ein britischer Staatsbürger muslimischer Herkunft, seit seiner Geburt in England zu Hause, fliegt ins Land seiner Eltern und erklärt einem Fernsehreporter an der afghanischen Grenze am 31.10.2001, er wolle seinen Glaubensbrüdern im Heiligen Krieg beistehen; er sei auch bereit, auf britische Soldaten zu schießen. Von dem zwanzigjährigen Amerikaner John Walker Lindh, der als Talibankämpfer von den US-Streitkräften gefangen genommen wurde, hören wir, dass er Bin Laden, mit dem er mehrmals direkten Kontakt hatte, auch dann die Treue gehalten habe, als ihm die Pläne für den Anschlag vom 11. September bekannt geworden seien.

Islamistische Gewalt und ein mehr oder weniger aktives Sympathisieren mit terroristischem oder zumindest menschenrechtswidrigem Verhalten von Muslimen ist ein weltweites Problem. Dabei ist zunächst zu fragen: Was ist Islamismus und was ist Islam? Und hilft uns eine solche Unterscheidung? dass es im Fatwan – anders als jedenfalls im Neuen Testament – programmatische Gewalt-Aufrufe gibt, kann jeder sehen, der z. B. in der von Annemarie Schimmel kommentierten Reclam-Ausgabe die unter dem Stichwort "Heiliger Krieg" angegebenen Stellen nachschlägt. Trotzdem meinen viele, man dürfe keinen Zusammenhang zwischen dem Islamismus und dem Islam sehen. In der Zeitschrift "Merkur" hat Siegfried Kohlhammer in einem Aufsatz über "Die Feinde und die Freunde des Islam" bereits 1995 festgestellt, dass man in Deutschland und anderen westlichen Ländern auf die zunehmenden Gewalt- und Terrorattacken von Islamisten jedesmal geradezu reflexhaft nach einem bestimmten Muster reagiere. Dazu gehörten die Appelle, man dürfe nun kein "Feindbild Islam" aufbauen, und man müsse erkennen, dass es den Islam gar nicht gäbe und dass der ("der"?) Islam eigentlich sehr tolerant sei. Wie wirklichkeitsfremd solche psychologisch durchaus erklärbaren Reaktionen sind, weist Kohlhammer mit Argumenten und Beispielen nach, die so wichtig und so erschütternd sind, dass sein Essay zur Pflichtlektüre für alle wird, die sich mit diesen existentiellen Problemen ernsthaft auseinandersetzen wollen. Nach dem 11. September haben die Herausgeber des "Merkur" denselben Text noch einmal abgedruckt, und zwar im Novemberheft des vergangenen Jahres (S. 958-978).

Auch jetzt erleben wir ja wieder die bekannten Verdrängungsmuster. Bin Laden und seine "Gotteskrieger" hätten nichts mit dem Islam zu tun. Dafür einige Beispiele: Hans Magnus Enzensberger spricht in der FAZ vom 18.09.2001 von einer allgemeinen Paranoia und wirft Drogensüchtige, HIV-Positive und "narzisstisch gekränkte Schüler", die zum Messer greifen, mit den Terror-Strategen in einen Topf. Andere glauben, der Terror lasse sich allein aus politischer Ungerechtigkeit in Palästina und anderswo erklären. Ein Muslim mit deutschem Namen behauptet im "Rheinischen Merkur" vom 28.09.2001, den Dschihadismus gebe es erst seit knapp hundert Jahren, und bemüht für die ägyptischen Muslimbrüder die Nazis und die Bolschewiki. Häufig ist auch zu hören, die Übersetzung "Heiliger Krieg" sei ein (böses?) Missverständnis. "Dschihad" sei der spirituelle innere Kampf; Krieg sei nur zur Verteidigung des Glaubens erlaubt. Wieder andere sagen, die Aufrufe im Koran zur Bekämpfung oder Vernichtung der Ungläubigen gälten nicht den Juden und Christen; sie ständen sogar unter einem besonderen Schutz. Und schließlich wird daran erinnert, dass der Koran auch viele schöne und friedfertige Stellen enthalte und zu einer wunderbaren Poesie und einer tiefen Mystik (Sufismus) inspiriert habe. Zu diesen Reflexen gehört auch die Gleichsetzung muslimischer Terroristen mit "dem Christentum" in Geschichte und Gegenwart: Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbrennungen, "christlicher Terror" in Nordirland. Das kommt nicht etwa nur von Zeitgenossen, die der christlichen Botschaft fern stehen, sondern gerade auch von Christen, die selbstkritisch und korrekt sein wollen. Oder es wird umgekehrt an Beispiele vorbildlicher muslimischer Toleranz in früheren Jahrhunderten erinnert, etwa an die Duldung von Christen und Juden durch hochkultivierte islamische Herrscher in Spanien. Wer auf Gewaltsuren im Koran aufmerksam macht, bekommt oft zu hören, auch von Nichtmuslimen, die den Koran gar nicht in die Hand nehmen, diese Stellen gebe es nicht, sie seien falsch übersetzt, ganz anders gemeint, dürften nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Oder aber, sie seien zeitbedingt, nur aus der damaligen Situation Mohammeds heraus (als richtig und berechtigt) zu verstehen. Und die Bibel wimmele schließlich auch von solchen Stellen; wobei es kaum jemand für nötig hält, zwischen dem Alten und dem Neuen Testament zu unterscheiden.

Auf einige dieser Gesichtspunkte sei noch ein wenig eingegangen. Was das Palästina-Problem betrifft, so kann man die derzeitige Politik Israels kaum gutheißen, zumal unter der derzeitigen Regierung. Die verständliche Verzweiflung und Verbitterung der Palästinenser sollte uns aber nicht blind dafür machen, dass es auf ihrer Seite ein Potential an zerstörerischem Fanatismus gibt, das eindeutig mit dem Koran zusammenhängt: In welchem nicht-islamischen Land würden junge Menschen, und seien sie noch so schwer unterdrückt und gedemütigt und ohne Perspektive, auf die Idee kommen, als Bewerber für Selbstmordattentate Schlange zu stehen? Wo würden Mütter voll Stolz und Zustimmung dabeistehen und lächeln, wenn ihre sechsjährigen Kinder vor der Kamera verkündeten, sie wollten es auch bald dem großen Bruder gleichtun, der sich bereits als heiliger Märtyrer direkt ins Paradies hinübergebombt habe? Je mehr Feinde ein Attentäter in den Tod gerissen hat, um so größer ist der Jubel, weshalb auch die Freudentänze vieler Palästinenser über die Ereignisse in New York und Washington nicht allzu sehr verwundern sollten. Was beim Palästinaproblem bezeichnenderweise immer wieder unbeachtet bleibt, ist der Umstand, dass viele, wenn nicht gar die meisten Muslime in Palästina und anderswo dazu entschlossen sind, den Staat Israel bis zur Liquidierung zu bekämpfen, und zwar in jedem Fall, also ganz unabhängig davon, welche Politik Israel betreibt, einfach deswegen, weil Palästina und Jerusalem von ihnen als islamischer Boden beansprucht werden – und vielleicht auch, weil der Koran selbst Vorurteile gegen Juden (und Christen) schürt. Die Weltgemeinschaft müsste sich endlich dazu bekennen, dass man von Israel nicht erwarten kann, es solle diesen absoluten Vernichtungswillen der anderen akzeptieren – es sei denn, man wäre der Meinung, dass der Staat Israel tatsächlich keine Existenzberechtigung besitze. Wird dieses Existenzrecht aber von der Völkergemeinschaft grundsätzlich anerkannt, und sei es nur, weil man die Geschichte seit 1948 nicht rückgängig machen kann, so gilt: Sobald die Palästinenser in menschenwürdiger Autonomie (und möglichst bald auch in einem eigenen Staat) leben, haben die "Freiheitskämpfer" auf ihrer Seite, die dann immer noch mit Attentaten gegen israelische Menschen und Einrichtungen vorgehen, als das zu gelten, was sie dann wirklich sind: als islamische Terroristen.

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Gewalt im Koran

Über die religiös-politischen Machtansprüche, die ein Moslem grundsätzlich vertrete, schreibt der aus Algerien stammende Islamwissenschaftler Mohammed Arkoun am 18.10.01 in der "Welt": "Alles, was im Koran gesagt wird, hat das Ziel, die bestehenden Religionssysteme vorerst zu disqualifizieren und dann, auf längere Sicht, zu eliminieren. Dabei handelt es sich einerseits um den Polytheismus, andererseits um die 'Völker des Buches', also Juden und Christen." Wer kann nach einem Blick in die Geschichte und in den Koran noch glauben, das Islamismus-Problem sei erst durch den Zionismus oder durch modernes Globalisierungsunrecht aufgekommen? Auch wenn "Dschihad" an manchen Stellen symbolisch verstanden werden kann, bleiben Suren wie 2,191: "Und erschlagt sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wannen sie euch vertrieben; denn Verführung ist schlimmer als Totschlag ..." (Mit "Verführung" ist auch das gemeint, was den Mitgliedern von Shelter Now vorgeworfen wurde. Wo haben in Deutschland oder weltweit Muslime gegen diese – korangetreuen – Menschenrechtsverstöße protestiert?) In 8,39 heißt es: "Und kämpft wider sie, bis kein Bürgerkrieg mehr ist und bis alles an Allah glaubt ...", in 47, 4:"Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt; ..." In der neueren Koranübersetzung von Rudi Paret (1979) lautet diese Stelle: "Und wenn ihr (auf einem Feldzug) mit den Ungläubigen zusammentrefft, dann haut (ihnen mit dem Schwert) auf den Nacken!" Hier ist also eine Relativierung und Differenzierung insofern möglich, als man diese Tötungsbefehle nicht auf jeden Moslem in jeder Situation zu beziehen hat. dass es aber Mohammed in der damaligen Situation jedenfalls darum geht, dass die Andersgläubigen im Kampf umgebracht werden sollen, ist keine Frage: Was hätte ein Schwert sonst am Nacken des Gegners verloren? Man liest, dass diejenigen, die im Heiligen Krieg töten und getötet werden, besondere Glückseligkeit im Paradies erwarte (z. B. 9,20; 47,5 und 6) und dass Allah, wenn die Kämpfer ihr Vermögen (!) für den Sieg spendeten (!), dieses "Darlehen" verdoppeln werde (57, 10 und 11). Vom "Dschihad im echten Sinn" sagt Annemarie Schimmel (Sch 2, S. 12), er müsse vom Imam ausgerufen werden, "der die Gegner erst einmal auffordern muss, den Islam anzunehmen" – als würde dieses zuvor erforderliche Ultimatum die Sache besser machen!

Auf die Frage, ob Juden und Christen als Ungläubige zu gelten hätten, gibt der Koran widersprüchliche Antworten. Anfangs hofft Mohammed noch mehr auf deren Zustimmung, vor allem auf die der Juden. Im Herbst 622 entschließt er sich zur Emigration (Hedschra) von seiner Heimatstadt Mekka nach Yathrib, dem späteren Medina. Bis zum 11. Februar 624 bemüht er sich eifrig um die dort lebenden jüdischen Beduinenstämme, wie den aus dieser Zeit stammenden Suren zu entnehmen ist, übernimmt auch israelitische Rituale. Zum Bruch kommt es, weil die Juden ihm nicht folgen wollen, ihm nachweisen, dass er ihre Bibel, auf die er sich immer wieder bezieht, gar nicht richtig kenne und dass der Koran voller Irrtümer sei. Von da an müssen die Muslime ihre Gebete nach Mekka und nicht mehr nach Jerusalem ausrichten, und Mohammed verkündet nun mit der von ihm beanspruchten göttlichen Koran-Vollmacht (Sure 2,127), die Ka’ba in Mekka sei von Abraham und seinem Sohn Ismael erbaut worden (vgl. dazu z. B. Mircea Eliade, "Geschichte der religiösen Ideen", Freiburg, Herder/Spektrum 1983, S. 78 ff.). Da, wo Juden und Christen später als "Schutzbefohlene" einen Sonderstatus genießen, geht es um ihre steuerliche Ausbeutung (Sch 2, S. 116; Gl, S. 312). Es gibt aber auch Stellen, wo sie wie alle Nichtmuslime zu den Ungläubigen gehören, z. B. in 9,29. Von diesem Feindbild leben manche Koran-Passagen geradezu. Man sammelt sich gegen etwas. Interessierte brauchen nur einmal die zweite Sure daraufhin zu untersuchen, wie oft "die anderen" mit Begriffen bezeichnet werden wie: die Ungläubigen, die Ungerechten, die Frevler, die Verlorenen, die Verführten, die Abtrünnigen; auch von Satanen ist die Rede, und natürlich immer wieder von den Feinden – weil sie sich nicht der mohammedanischen Gruppe anschließen wollen. In 9,30 soll Allah die Christen totschlagen, weil sie reden wie die Ungläubigen: Sie sagen, der Messias sei Allahs Sohn. ("Allah schlag sie tot!"/ nach Rudi Paret wörtlich: "Gott bekämpfe sie!" Hier ist auch noch zu fragen: Spricht hier eigentlich Allah, wie ja für den ganzen Koran behauptet wird, oder nicht doch der Mensch Mohammed?) Verboten ist die Freundschaft mit Juden und Christen (5,51): "Oh ihr, die ihr glaubt, nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden; .... Siehe, Allah leitet nicht die ungerechten Leute." (Rudi Paret: "Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden. ... Gott leitet das Volk der Frevler nicht recht.") Die auffallend rasche Islamisierung ursprünglich christlicher Länder – wie in der heutigen Türkei und in Nordafrika – kam nicht durch freie Entscheidungen für einen Glauben zustande, der die Konvertiten in ethischer oder spiritueller Hinsicht mehr überzeugt hätte. Natürlich wurde der Islam teilweise auch mit dem Schwert ausgebreitet. Und selbst wenn die Buchreligionen ausgenommen wären von der Gewalt und Feindschaft, was wäre das für eine Beruhigung?

Auch die sanften Stellen im Koran und die islamische Mystik sind ein schwacher Trost, unter anderem deshalb, weil diese Strömungen nie größere gesellschaftliche Bedeutung erreicht haben. Von Glasenapp schreibt, dass sie "den streng Gläubigen von jeher als eine schlimme Ketzerei" gegolten hätten (Gl, S. 329).

Zur Gleichsetzung islamischen Terrors mit Gewalttaten, die in Zusammenhang mit dem Christentum genannt werden, ist zu sagen, dass in christlichem Namen und im Auftrag der Kirche unfassbare Grausamkeiten verübt worden sind, abgesegnet und sogar initiiert durch hohe kirchliche Würdenträger wie einen Bernhard von Clairvaux, was besonders schockierend und letztlich unbegreiflich für den sein muß, der aus einem Einblick in die Schriften dieses Mannes eine Ahnung von seiner sonstigen Gesinnung gewonnen hat. Während der Kreuzzüge waren die Opfer dieser Greueltaten vor allem Muslime. Es gibt dafür keine Rechtfertigung. Gerade das kann man aber heute von allen Vertretern christlicher Kirchen hören: dass es sich hier um einen Irrweg handelte, um zutiefst unchristliche Verfehlungen. Ein Beweis dafür ist das Neue Testament selbst, das ja nicht nur frei von jeder Gewaltprogrammatik ist, nicht nur ausdrücklich den Verzicht auf jede Gewalt und sogar Lieblosigkeit fordert, sondern die Nächstenliebe und selbst die Feindesliebe verlangt. dass es im Alten Testament anders aussieht, ist bekannt. Aber auch hier müsste man sehr differenziert nach der Textsorte fragen, wenn es um Gewalt geht. Die Gewalttaten, von denen hier (oft nur bildlich) gesprochen, berichtet, erzählt, geträumt, gedichtet, phantasiert wird, auch von klagenden und verzweifelt fluchenden Psalm-Betern, sind jedenfalls nie Handlungsanweisungen einer historisch so fassbaren Person wie im Falle Mohammeds, die den Lesern oder Hörern als prophetische Autorität und zugleich als Feldherr und Machtpolitiker konkret sagt, was sie jetzt und in der Zukunft zu tun haben: Wenn die und die Situation eintritt, dann sollt ihr ... Außerdem hat man als Christ auch die Freiheit, sich auf den zu berufen, der in der Bergpredigt gesagt hat: "Den Alten wurde gesagt ... Ich aber sage euch ..."

Wenn man unter "christlich" die eigentliche Botschaft versteht, die man – wenn auch nicht nur – im Neuen Testament finden kann, so wird klar, wie absurd die Behauptung ist, auch da gäbe es doch Gewalt oder gar Terrorismus. dass es sich mit dem Koran anders verhält, ist noch zu zeigen. Schließlich aber ist der Verweis auf eine gewalttätige christliche Praxis oder gar Lehre insofern nicht hilfreich und auch irreführend, als wir ja zunächst einmal danach fragen dürfen und sogar müssen, wie es heute aussieht. Da wird Nordirland genannt. Die Rede von einem "christlichen Terrorismus" ist aber deswegen völlig unangemessen, weil es in diesem perversen Bürgerkrieg in keiner Weise um irgendwelche Glaubensinhalte oder gar um Gebote des Neuen Testaments geht. Die Kontrahenten könnten sich heute genauso gut auf zwei verschiedene Fußballmannschaften berufen. Man hat auch noch nie gehört, dass ein IRA-Bombenleger zur Tat seine Heilige Schrift mitgenommen hätte (wie das etwa bei Mohammed Atta der Fall war) oder dass er in der Nacht davor inbrünstig darin gelesen und gebetet hätte. Im übrigen ist die Paranoia in Nordirland derzeit weltweit der einzige Fall, wo Gewalttäter und Terroristen in politisch-territorialen Auseinandersetzungen mit christlichen Etiketten versehen werden. Zu fragen bleibt immerhin, warum die beiden Kirchen, denen in Nordirland so schlimm geschadet wird, sich offiziell nicht mehr von diesem Wahnsinn distanzieren, nicht deutlicher darauf hinweisen, dass die dort aktiv Beteiligten keinerlei Recht haben, sich bei ihren Untaten katholische oder evangelische Christen zu nennen.

Von Muslimen begangene Menschenrechtsverletzungen, Gewalt- und Terrortaten jedoch lassen sich nicht nur unmittelbar aus dem Koran ableiten, sondern sie werden auch tatsächlich millionenfach aus diesem Buch abgeleitet, und zwar in der Gegenwart, von Regierungen und Einzelpersonen, sogar in zunehmendem Maß. In dem oben erwähnten Aufsatz betont Siegfried Kohlhammer unter Berufung auf einen muslimischen Wissenschaftler, dass "die fundamentalistische Weltsicht heute die vorherrschende unter den Muslimen" sei (S. 977). Der Islamismus nimmt zu, und laut Amnesty International werden "in keinem einzigen der 46 islamischen Länder ... die in der Deklaration der Menschenrechte von 1948 angeführten Rechte" respektiert (S. 965). In manchen islamischen Staaten wie z. B. im Sudan werden unsägliche Greueltaten begangen. Oft sind es Christen, die diskriminiert und grausam verfolgt werden, etwa in Ägypten, Pakistan, Osttimor – und eben im Sudan, dessen Staatspräsident vor einer Fernsehkamera Osama Bin Laden als einen zutiefst religiösen Helden des Islam beschreibt, ebenso wie der Vorsitzende des Rates der islamischen Geistlichkeit in Mombasa, eine Einschätzung, die auch dem Selbstverständnis dieses – subjektiv idealistisch gesonnenen – Mannes entsprechen dürfte. (Diese im September 2001 bei uns in der Sendung "Jagd auf Bin Laden" ausgestrahlten Fernsehinterviews wurden zwar vor den September-Anschlägen aufgenommen. Aber auch damals waren schon "kleinere" Terrorakte Bin Ladens, mit zahlreichen Todesopfern, bekannt gewesen.)

Wie stellen sich prominente Islam-Vertreter in Deutschland zu solchem Terror? Ein Imam aus Nürnberg namens Jussuf Usa wird im Bayerischen Fernsehen am 24.9.2001 gefragt: "Sind die Taliban Islam?" Antwort: "Islam ist das heilige Gesetz, ist Koran. ... Ob sie (die Taliban) tolerant sind, ob sie gut sind, das weiß nur Gott." Das heißt, vielleicht sind sie gut! Jedenfalls will oder darf er nichts Negatives über sie sagen, sich nicht von ihnen distanzieren. dass sich führende Muslime in Deutschland nicht klar genug vom Terrorismus absetzen, ist ein bekanntes Phänomen. In vielen Fällen hat man den Eindruck, dass sie taktieren. Das gilt z. B. für den Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland und Direktor des Islamischen Zentrums in München-Freimann, Ahmet Al-Khalifa. Die Süddeutsche Zeitung spricht einmal (am 27./28.10.2001) in Frageform von der "Taqiya", dem islamischen Gebot der Verstellung. Al Khalifa ist Gesprächspartner des bayerischen Kultusministeriums für islamischen Religionsunterricht und steht zugleich (laut SZ vom 2./3.10.2001) im Verfassungsschutzbericht. Seinen Asylantrag hat er damit begründet, dass er in Ägypten als Mitglied der Muslimbruderschaft (!) (die das Grundgesetz per definitionem nicht anerkennen kann) verfolgt worden sei. Von einem Mann, der wegen des ersten Anschlags auf das World Trade Center als Terrorist verurteilt wurde und zuvor im Islamischen Zentrum in München-Freimann aus- und eingegangen war, sagt Al Khalifa, dass er in seinem Zentrum "nur ein paar Monate gewohnt" habe, da lebten "viele Leute". (Auch von den muslimischen Einrichtungen in Deutschland, in denen sich die Terroristen um Mohammed Atta vor ihrem letzten Einsatz aufgehalten haben, kommen vor allem Reaktionen der Abwehr, kaum Hinweise auf irgendwelche grundsätzlichen Einsichten, Distanzierungen, Kursänderungen.) Al Khalifa äußert sich noch über Muslime, die offensichtlich zum Teil auch bei uns über den 11. September gejubelt haben, folgendermaßen: "Wenn mich mein Nachbar lange genug ärgert, kann ich dann meine Schadenfreude unterdrücken, wenn bei ihm zuhause eine Wasserleitung bricht?" (SZ vom 2./3.10.2001)

Wohlgemerkt, hier geht es nicht um Menschen, die aktiv und offen gegen unsere Gesetze verstoßen, wie etwa der "Kalif von Köln" Metin Kaplan, der wegen eines – prompt befolgten – Mordaufrufs verurteilt wurde und zusammen mit zahlreichen Anhängern vor Gericht "mit einer kaum zu glaubenden Unverblümtheit" (SZ vom 20.9.2001) verkündete, ihn interessiere das deutsche Recht überhaupt nicht, sondern nur die Scharia. Aber muss einen bei einem Partner wie Al Khalifa nicht auch ein Unbehagen beschleichen? Hat man verstanden, will man verstehen, dass Integration mit Solidarität zu tun hat und etwas anderes sein muss als die Etablierung von Parallelgesellschaften? Nach den Anschlägen in New York und Washington äußerten Politiker in Deutschland die Hoffnung, sie würden aus muslimischen Begegnungszentren zahlreiche sachdienliche Hinweise auf verdächtige Personen bekommen, welche sich offensichtlich in diesen Bereichen aufgehalten hatten, Hinweise von Mitbürgern also, die etwas hätten bemerkt haben müssen und nun bereit sein müssten, mit den Behörden gegen den Terror zusammenzuarbeiten. Und dann war man sehr enttäuscht darüber, dass man keinen einzigen Hinweis bekam. Vielleicht eine notwendige Ent-Täuschung? Zu denken geben muss einem auch Nadeem Elyas, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, der zum Ausdruck bringt, man sollte sich als Muslim in diesem Land eben (vorerst?) damit abfinden, dass man die Scharia "flexibel" handhaben müsse (SZ vom 27.9.2001).

Wie wichtig es ist, dass wir uns über unsere Maßstäbe im klaren sind, hat sich an einem kleineren Beispiel auch gezeigt, als deutsche Gerichte das Problem, ob bei uns in größerem Umfang geschächtet werden dürfe, davon abhängig machten, wie zwingend die islamische Religion es vorschreibe. Man sprach von Religions- und Berufsfreiheit. Was aber, wenn sich, wie hier der Fall, Widersprüche zum hiesigen Tierschutzgesetz ergeben?

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Beschwichtigungen

Zum Stichwort "Feindbild Islam" noch einige Überlegungen. Siegfried Kohlhammer weist darauf hin, dass es eher um das Feindbild in den Köpfen der Zeitgenossen geht, die überall schlimme Feindbild-Bastler am Werk zu sehen glauben. Man warnt vor einem Phantom, vor Vorurteilen, die in dieser suggerierten Form gar nicht existieren. In Wirklichkeit wird eher beschwichtigt, wobei an die Stelle von Argumenten oft Beteuerungen treten. Warum diejenigen verharmlosen, die es vielleicht doch nicht so harmlos meinen, ist klar. Was sind die Motive derer, die auf nicht-muslimischer Seite beschwichtigen? Erstens: Man will – ganz allgemein – keine Scherereien haben, auch nicht gedanklich. Zweitens: Man fürchtet den Vorwurf der Intoleranz (oder gar Fremdenfeindlichkeit), will zeigen dass man keine "dumpfen" Vorurteile, keine Superioritätsphantasien pflegt. Drittens: Man sieht immer weniger Grund, sich zu einer eigenen kulturellen Identität zu bekennen. Viertens: Religion spielt in Westeuropa kaum noch eine Rolle, ist den meisten völlig gleichgültig. Das gilt insbesondere für das Christentum. Fast alles andere scheint attraktiver, zumindest akzeptabler zu sein. Fünftens: Manche halten kritische Äußerungen über den Islam auch im Hinblick auf ihre eigene Sicherheit für riskant. Ein einziger Fanatiker würde ja genügen. In Deutschland soll es an die dreitausend gewaltbereite muslimische Extremisten geben, eine Zahl, die von Beschwichtigern wiederum eifrig in Frage gestellt wird. Festzustellen ist zum Feindbegriff noch, dass jeder Mensch dann Feinde (und nicht Feindbilder) hat, wenn er von anderen Menschen bedroht wird. Bin Laden ist unser Feind, ob wir wollen oder nicht. Auch Jesus hatte Feinde und sah, dass andere Feinde hatten. Sonst hätte er nicht umgebracht werden und nicht die Feindesliebe aufbringen können. Das Christentum lehrt, dass man den Feind nicht hassen und ihm verzeihen soll. Es lehrt nicht, dass man keine Feinde haben, sie nicht sehen, sich nicht vor ihnen in acht nehmen dürfe.

Wegen dieses hohen Ideals der Nächsten- und Feindesliebe wird es immer ein leichtes sein, den Christen Versagen vorzuwerfen, auch in einer Zeit ohne Kreuzzüge. Und doch bewirkt diese Ausrichtung auf ein völlig unerreichbares Vorbild, dass es zu allen Zeiten auch eine unverfälschte christliche Tradition gegeben hat, die uns heute dazu veranlassen würde, bei einem christlichen Geistlichen, der Hass oder gar Mord predigen würde, unter Protest aus der Kirche zu gehen. Wir würden sagen: Dazu komme ich doch nicht in die Kirche! Was ist das für ein Pfarrer? Man weiß aber, dass es bei islamischen Freitagsgebeten und auch in Koranschulen ganz anders zugehen kann.

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Zweifel am Propheten

Und das hat offensichtlich mit dem Koran und mit Mohammed selbst zu tun. Man müsste zumindest versuchen, Muslimen zu vermitteln, dass es kein unfreundlicher Akt oder gar ein persönlicher Angriff auf islamische Gläubige und die ihnen heiligen Werte sein soll, wenn wir offen sagen, dass und warum wir im "Westen", beispielsweise als Christen, Mohammed natürlich keineswegs für ein untadeliges Vorbild und gar für sündenfrei halten können, wie das für die Muslime gilt (Sch 3, S. 48; Sch 2, S. 50). Die unvoreingenommen Autoren stimmen darin überein, dass er zumindest eine überaus schillernde und rätselhafte Persönlichkeit war, voll von Widersprüchen, und dass er Taten verübt hat, die moralisch äußerst fragwürdig und schockierend waren.

Von Glasenapp stellt fest, dass Mohammeds auf Gott zurückgeführte Eingebungen mit schweren psychophysischen Erschütterungen verbunden gewesen seien und dass er in späterer Zeit "diese Anfälle dann hatte, wenn er moralisch höchst anfechtbare Anordnungen erließ oder sogar seinen sexuellen Wünschen dadurch eine größere Autorität verleihen wollte, indem er sie als eine göttliche Verkündigung ausgab" (Gl, S. 304). Zu denken ist dabei z. B. an Sure 33,50, wo dem Propheten diesbezügliche Privilegien zugestanden werden. Es gibt auch Suren, bei denen es um persönliche Heimzahlung geht: Nr. 112 z. B. ist die Abrechnung mit Verwandten, die ihn nicht als Propheten anerkennen. Manche Forscher sagen deutlich, mit Bezug auf Stellen im Koran, er habe seine Offenbarungen nach Bedarf bekommen, um seine Anweisungen im privaten und politischen Bereich zu legitimieren. Es ist zwar richtig, dass er sich immer nur als Sprachrohr Allahs ausgegeben hat, insofern also bescheiden war. Aber gerade dadurch mussten seine Gläubigen natürlich immer Allah und seinem Propheten gehorchen. Seine "umma", die Gemeinde der Gläubigen, war ja von Anfang an ein auf Expansion bedachtes politisches Gebilde, das (vor allem ab 622) nur mit großer Autorität zu organisieren war. Mircea Eliade sagt, Mohammed habe in seiner Funktion als Koran-Prophet die arabische Nation geschaffen. Immer wieder liest man, er habe dabei mit List und Verstellung gearbeitet, mit (frommem) Betrug, mit Gewalt, so z. B. bei Eliade, Glasenapp, Tor Andrae, Gustav Mensching. In der 17. Sure ist gar von einer nächtlichen Himmelsreise von der Ka’ba nach Jerusalem die Rede, die dazu gedient habe, seine Anhänger zu beeindrucken. Bekannt ist auch, dass Mohammed zur Durchsetzung seiner Ziele Friedensgesetze gebrochen, Gefangene grausam umgebracht, Karawanen zu Beutezwecken überfallen hat (Sch 2, S. 44 f.; Gl S. 305 ).

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Unterschiede zwischen Christentum und Islam

Nun können auch angefochtene Menschen zu Trägern von Segen und Offenbarung werden. Aber auch die Botschaft selbst ist für den unvoreingenommenen Beobachter ein Problem: Der Koran, so heißt es, unterscheide sich von allen anderen Offenbarungen dadurch, dass er nicht Gegenstand einer Diskussion sein könne, für jeden Moslem völlig unantastbar sei.

Er stammt nach muslimischer Auffassung nicht von Mohammed (weshalb Muslime nicht "Mohammedaner" genannt werden wollen), sondern von Gott selbst, und zwar, weil das – so der Zirkelschluss – im Koran steht. Dieser Zirkelschluss ist das eigentliche Problem. Das Buch habe schon immer in der vorliegenden Form existiert, in arabischer Sprache also. (Mit der Vorstellung von einer Präexistenz diese Buches verträgt sich eines besonders schlecht: die Tatsache, dass Mohammed zahlreiche Suren offensichtlich für den politischen Tagesbedarf herausgebracht bzw. wieder eingezogen hat.) Der Koran kann nach islamischem Denken eigentlich auch nicht übersetzt, sondern nur auf arabisch rezitiert werden, ist im Idealfall auswendig zu lernen, auch wenn man die Worte nicht versteht. Schon das Vortragen von Koranversen gilt als verdienstvoll. "Koran" bedeutet "Rezitation". Der Umstand, dass nicht-fundamentalistische Juden und Christen ihre Offenbarungsschriften als Niederschlag von unterschiedlichen und historisch bedingten Gotteserfahrungen sehen, bei deren Überlieferung sich auch Unstimmigkeiten ergeben können, wird als Beweis dafür genommen, dass sie falsch seien. Das heißt also: Gerade die Tatsache, dass die Aussagen der Bibel nicht auf einen Menschen zurückgehen, sondern auf viele, während der Koran eben mit der Glaubwürdigkeit dieses einen Menschen steht und fällt, spricht für Muslime gegen die Seriosität der Bibel und für den Anspruch des Koran. dass Mohammed im Laufe seiner Verkündigungen viele Verse zurückgezogen und durch andere ersetzt hat, nach Bedarf, wie kritische Beobachter sagen müssen, gilt als Ausdruck dafür, dass Allah die Freiheit habe, sich zu widersprechen. Sure 2, 106: "Was Wir auch an Versen aufheben oder in Vergessenheit bringen, Wir bringen bessere oder gleiche dafür. Weißt du nicht, dass Allah über alle Dinge Gewalt hat?"

Überall da, wo der Koran von der Bibel abweicht, gilt seine Darstellung als Korrektur der jüdischen und christlichen "Fälschungen" (Sch 1, S. 11). Welche "Fälschungen" korrigiert der Koran? Jesus wird anerkannt, aber nur zur Bestätigung mohammedanischer Aussagen und als letzter Vorläufer des eigentlichen Propheten. Er wurde nie gekreuzigt, das war ein anderer (4,157; in Kommentaren zu dieser Stelle, so kann man von Muslimen erfahren, stehen Begründungen wie diese: Es war schon dunkel, als Jesus gefangen genommen wurde. Deshalb konnten die Schergen nicht sehen, dass sie den Falschen gefasst hatten. Oder: Wenn der Verhaftete wirklich Jesus der Prophet gewesen wäre, so hätte er vor Pilatus nicht schweigen können, sondern sich verteidigen müssen. – Hier spürt man besonders deutlich, wie der Wunsch der Vater des Gedankens ist.) Es gibt nach islamischer Darstellung keine Erlösungsbedürftigkeit; kein Golgatha, kein Ostern, kein Pfingsten. Gott kann auch kein Vater sein. Die Trinität ist Vielgötterei von Ungläubigen. Besonders verwerflich und verächtlich ist die Idee der Feindesliebe. Allah gebietet nichts anderes als: Auge um Auge ... (5, 44 – 47).

dass sich das Christentum mit dem Islam vergleicht, ist nahe liegend, wird den Christen durch solche Korrekturansprüche ja geradezu aufgedrängt – im Unterschied beispielsweise zu dem äußerst differenzierten und unserer Mentalität schwerer zugänglichen Buddhismus, wo man ja immer unsicher ist, was da überhaupt zu vergleichen ist, und ob man der anderen Botschaft je gerecht werden kann. Für den Vergleich zwischen Christentum und Islam gilt aber nun: Von den wesentlichen christlichen Aussagen bleibt nichts übrig. Ist es wirklich so intolerant – oder vielleicht einfach realistisch, wenn man dann feststellt, dass diese Religion, wenn sie die Herzstücke des Christentums programmatisch und aktiv als Fälschungen abtut, nicht nur unchristlich ist, sondern auch antichristlich? Und ist es wirklich nur rechthaberische Ideologie, wenn ein Christ von dem, was uns von Jesus überliefert ist, den Eindruck hat, dass es da um eine ganz andere Qualität geht? Um eine Lichtgestalt von einer wohl wirklich einmaligen Offenheit nach oben und zu den Menschen hin. Berichtet wird, dass Jesus sich gerade denen, die aus der Liebe ganz herausgefallen waren, zugeneigt hat, ihnen einzeln nachgegangen ist, dass er die Güte in Person war, frei von jedem Egoismus. Historisch gesichert ist, dass er viele Feinde hatte und dass keiner seiner Gegner ihm eine einzige Falschheit oder Untat nachsagen konnte, offensichtlich deshalb, wie er ganz in und aus der Liebe gelebt hat. Warum sollte man als Christ nicht bekennen, dass ein Prophet Jesus, der dem eigentlichen Propheten Mohammed und seiner Lehre als Vorläufer dienen soll, mit dem historischen Jesus nichts zu tun hat – geschweige denn mit dem verkündigten Christus? Und trotzdem hört man heute häufig, nicht nur von völlig uninformierten Privatleuten, sondern oft auch von offiziellen Vertretern christlich-muslimischer Begegnungsstätten, im wesentlichen stimmten Islam und Christentum doch überein.

Ein besonderes Merkmal islamischer Mentalität scheint zu sein, dass es (noch?) zu wenig um Dialog, Offenheit, Freiheit, Wahrheitssuche geht und wohl eher um Festlegung (auch theologisch: Prädestination), um Gesetzlichkeit (fünf Säulen), um die in einem Kollektiv Identität stiftende Durchsetzung von Macht- und Besitzansprüchen – selbst noch im Paradies: Man(n) bekommt "Jungfrauen mit schwellenden Brüsten", die noch keiner besessen hat (78,33; 55,72). Es gibt Gnade und Vergebung, aber nur nach völliger Unterwerfung (="Islam") unter den Willen Allahs – und (!) seines Propheten. Dieser Durchsetzungsanspruch scheint auch anstelle einer Theologie zu herrschen. Historische Tatbestände werden geleugnet (Kreuzigung; Beeinflussung Mohammeds durch – freilich sehr oberflächliche – Kontakte mit jüdischer und christlicher Überlieferung, auch im Umgang mit einem Cousin seiner ersten Frau, der Christ war), ebenso wie philologische: Nach 61,6 hat Jesus einen Gesandten namens Ahmad vorausgesagt, was wie "Muhammad" "der Vielgepriesene" bedeutet. In einer Anmerkung dazu erklärt A. Schimmel, die Muslime behaupteten, dass der versprochene Paraklét im Johannesevangelium (14,16.26; parákletos=der Beistand, der Heilige Geist) eine christliche "Fälschung" sei: Es müsse heißen "periklytós" (=der Vielgepriesene), eine uralte homerische Vokabel, die das Neue Testament nicht kennt.

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Schwieriger Dialog

In einer ehrlichen Begegnung mit Muslimen sollten Christen deutlicher sagen, woran sie glauben und was sie für wahr halten – und warum, vielleicht etwas deutlicher als Lessing im "Nathan" mit seiner Botschaft von der Gleichgültigkeit. Wer bei uns das Christentum ablehnt, sollte nicht möglichst viel Christliches unter "Fundamentalismus"-Verdacht und dann auf eine Stufe mit dem islamistischen Terror stellen. Es gibt meines Wissens nur einen Bereich, wo man christliche Fundamentalisten mit Gewalt in Verbindung bringen darf. Gemeint sind die militant fanatischen Abtreibungsgegner in Amerika, die glauben, die Tötung ungeborener Kinder gäbe ihnen das Recht, dafür den Abtreibungsarzt zu töten. Ansonsten sind christliche Fundamentalisten meist sehr friedfertige Menschen, die nicht in der Lage oder nicht bereit sind, zu verstehen, dass die Aussagen der Bibel oft nicht wörtlich, sondern in einem symbolischen Sinn zu verstehen sind. Aus Angst, sie könnten ihren Glaubenshalt verlieren, verlangen sie, Gott müsse die Welt in sechs Tagen zu 24 Stunden geschaffen haben.

Der Spiegel hat sogar (am 8.10.01) eine biblische Sagengestalt wie Samson und christliche Jugendsekten, die Jesus-Plakate herumtrugen, mit Bin Laden verglichen. Auch nicht-christliche Zeitgenossen sollten daran interessiert sein, dass gewisse christliche Grundwerte, die in allen islamischen Staaten und zum Teil auch von Muslimen bei uns mehr oder weniger missachtet werden, Geltung bekommen, auch in Form von Verträgen, schon im Hinblick auf rechtsstaatliche Normen: Trennung von Religion und Staat (Gebt dem Kaiser, ...; Mein Reich ist nicht ...); Würde aller Menschen – unter Verzicht auf jegliche Scharia; die Gleichberechtigung der Frau (in 4,34 z. B. wird zum Schlagen widerspenstiger Ehefrauen aufgerufen. Nach 4, 11 soll eine Tochter nur halb so viel erben wie ein Sohn.); Meinungs- und Glaubensfreiheit und das Recht, friedlich für eine Glaubensüberzeugung zu werben oder sich vom Islam loszusagen, ohne von der Ermordung (z. B. durch eine "Fatwa", wie Salman Rushdi) bedroht zu sein.

Ein ernsthafter Dialog wird schwierig sein, sowohl über politisch-rechtliche als auch (und besonders) über religiöse Vorstellungen, was ja für den Muslim nicht zu trennen ist. Er wird aber um so eher möglich sein, je deutlicher beide Seiten, Muslime und Nicht-Muslime, zum Ausdruck bringen, was sie, auch langfristig, wollen und was sie nicht akzeptieren können, um den Spielraum für Kompromisse offen auszuloten. Ein friedliches Nebeneinander oder auch ein Gegenüber in respektvollem Abstand ist besser als ein Miteinander, dem die ehrlichen Voraussetzungen fehlen. Ehrlicher wäre z. B., dass wir aufhörten, bei uns mit zweierlei Maß zu messen: So kann es nicht darum gehen, wer eine Salman-Rushdi-Fatwa verkünden oder ob Bin Laden einen Heiligen Krieg ausrufen darf, sondern nur darum, dass solche Handlungen als Straftaten und schwere Menschenrechtsverletzungen in keinem Fall zu akzeptieren sind. Aus ähnlich prinzipiellen Gründen sollten bei uns alle Wert darauf legen, dass nur die Muslime im Westen Moscheen bauen dürfen, die sich glaubhaft dafür einsetzen, dass auch in allen muslimischen Ländern christliche Kirchen oder buddhistische Tempel errichtet werden können. Es geht darum, dass wir uns definieren, den Muslimen mit klaren Konturen gegenübertreten, um für sie ernstzunehmende Partner zu sein. Wenn sie hören, dass Vertreter des Westens zwar einen Krieg gegen ein islamistisches Terrorregime (Taliban) beginnen, aber dann allen Ernstes darüber diskutieren, ob man den Krieg im Fastenmonat Ramadan nicht lieber unterbrechen sollte, so kann das auf muslimischer Seite nur unerwünschte Reaktionen auslösen, nämlich eher Verachtung für eine Schwäche des anderen. dass eine solche Inkonsequenz gewürdigt und umgekehrt auf Bräuche der anderen Religion Rücksicht genommen würde, das wäre schon ein allzu naive Erwartung.

Sehr wichtig ist bei alledem die Frage, inwiefern muslimischer Abscheu gegen unsere Gesellschaft berechtigt ist: Pornographisierung, Ego- und Spaßgesellschaft, hemmungsloser Materialismus, alles Phänomene, die oft einfach mit Demokratie gleichgesetzt werden. Hier könnten wir viel von den Muslimen annehmen. Nicht nur, um andere weniger vor den Kopf zu stoßen, sondern auch im Interesse unserer eigenen gottgewollten Menschenwürde.

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Literatur

  • Der Koran. Übers. von Max Henning, Stuttgart 1991 (Reclam); Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel = Sch 1

  • Annemarie Schimmel, Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen. München 1996 (dtv) = Sch 2

  • Annemarie Schimmel, Die Religion des Islam. Stuttgart 1990 (Reclam) = Sch 3

  • Helmuth von Glasenapp, Die fünf Weltreligionen. Düsseldorf/Köln 1963 = Gl

  • Hans-B. Maier ist Gymnasiallehrer in Vilsbiburg (Niederbayern) und Volkshochschul-Dozent in München.

Die Neue Ordnung 1/2002

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Islam Debatte: Historischer Chauvinismus

Eine Kritik der Thesen von Egon Flaig

"Hätte es nicht jene mütterliche Liebe der Kirche gegeben, ... auch wenn sie am Ende den mündig gewordenen Bürger allzu sehr bedrängte ..., wären die europäischen Völkerscharen in arabische Räuberhaufen ausgeartet." Georg Friedrich Sartorius, Geschichte des Hanseatischen Bundes, Bd. 1, Göttingen 1802, S. IV.

Von Martin Behrens - Die Schari’a sei, „egal wie abgemildert, auf radikalste Weise ... anti-menschenrechtlich”, befindet der Greifswalder Althistoriker Egon Flaig in der Januar-Ausgabe des Greifswalder Universität-Magazins Moritz in seinem (äussert scharfsinnigen und in vielen Punkten zutreffenden) Essay „Djihad und Dhimmitude - Warum der Scharia-Islam gegen die Menschenrechte steht”.

Der Aufsatz ist eine überarbeitete Version eines Flaig-Artikels aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. September 2006. Wegen des Vorwurfs der Beleidigung des Islams hat Ägypten die Ausgaben der FAZ verboten. Die Regierung betonte, sie werde keine Veröffentlichungen dulden, die den Islam beleidige oder zu Hass oder Geringschätzung irgendeiner Religion aufriefe. Das ist natürlich kein demokratischer Schritt. Und vordergründig mag er Flaigs These von der nicht existenten „Toleranz des Islam“ bestätigen. Doch es zeigt auch, welche Büchse der Pandora Flaig quasi im Windschatten der Regensburger Papst-Rede geöffnet hat. Sein Text ist ein Beispiel für jene Tendenz innerhalb der Geschichtswissenschaften, aber auch anderer Geisteswissenschaften, sich zunehmend für eine neue „Wertedebatte“ instrumentalisieren zu lassen.

Welches wissenschaftliche Anliegen liegt seiner Auseinandersetzung mit dem Islam zu Grunde? Denn neu sind seine Thesen nicht.

Flaig strebt immer wieder den Vergleich von Dschihad und Kreuzzügen an. Er legt Wert auf jenes von ihm skizzierte neue Paradigma, wonach „die rechtlich fixierte Unterdrückung Andersgläubiger ... unter dem Halbmond deutlich schwerer als unter dem Kreuz” gewesen sei.

Mit akribischer Sorgfalt will er dies belegen: „Was die Kreuzfahrer 1099 in Jerusalem anrichteten, das hatten die moslemischen Heerführer schon längst unentwegt praktiziert: 698 traf es Karthagos, 838 Syrakus; ... es traf Zamora (981), Coimbra (987)”, usw. Historisch liegt Flaig ja richtig. Dennoch ist seine Auflistung an Perversion kaum zu überbieten. Christliche und muslimische Massaker gegeneinander aufzurechnen, halte ich für historisch wie politisch illegitim, wenngleich eine Dämonisierung der Kreuzzüge sicher auch ahistorisch wäre. „Was haben wir nun wissenschaftlich gewonnen?”, fragt Flaig selber in anderem Zusammenhang. Ich möchte diese Frage in den Raum stellen.

Flaigs Argumentation ist in ihrer Essenz chauvinistisch: Er versucht, eine kulturelle Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Islam zu konstruieren und historisch zu legitimieren. Ein Beitrag zur Verständigung der Weltreligionen ist das sicher nicht. Gut: provozieren, polemisieren will er. Das ist auch nötig, um die Wissenschaft weiter zu entwickeln. Revisionismus ist unabdingbar. Es stellt sich jedoch bei Flaig die Frage nach der Aufgabe der Geschichte: Was soll, was kann, was darf sie leisten - und was nicht? „Seine Vergangenheit nicht zu kennen heisst, sie wiederholen zu müssen. Wer weiterhin das Märchen von der islamischen Toleranz verbreitet, behindert jene muslimischen Intellektuellen, die ernsthaft an jener Reform des Islam arbeiten ...“, schrieb Flaig in seinem Essay für die FAZ. Dem möchte ich widersprechen. Wenn uns die Geschichte eines gezeigt hat, dann, dass wir nicht aus ihr lernen können. Wir als Historiker sollten sie also nicht selber schon instrumentalisieren.

Überdies benutzt er „Scharia-Islam“ als wenig differenzierten Kampfbegfriff. Er sei „das radikalste Gegenteil der europäischen Bürgergesellschaften“, welche „am perfektesten realisiert in antiken Stadtstaaten“ gewesen sei, wo „freie Rede [und] mehrheitliche Abstimmung den Willen der Gemeinschaft herstellten. Nichts davon im Scharia-Islam“, so Flaig. Mit welchem Recht will Flaig die europäische Bürgeridee dem Islam aufdrängen? Genau diese imperiale Geisteshaltung wirft er dem „Scharia-Islam“ doch vor, wenn er (völlig undiferenziert) sagt, der Dschihad sei „naturgemäss ein Angriffskrieg und als solcher theologisch gerechtfertigt”, da, „wer Muslime zu bekehren sucht, ... überall wo die Scharia herrscht, getötet” werde. Nur weil die islamische Gesellschaftsidee anders (kollektiver) als die europäische ist, muss sie nicht minderwertig sein! So sehr wir auch die unsere schätzen. Es wurden auch in islamischen Ländern Rechte auf Rede- und Meinungsfreiheit auf Grundlage der Schari’a gewährt (vgl. Biel, S. 214). Zudem ist die Schari’a ja kein starres Gebilde, sondern passt sich den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen an.

„Viele Muslime leugnen die Dhimmitude”, die Ungleichbehandlung von Nicht-Muslimen im Islam, so Flaig. „Wenn das Leugnen weitergeht und wenn die Wissenschaft selber zum Terrain wird, auf dem die Leugner nach Belieben ... diffamieren dürfen, dann können nur noch Anti-Leugnungsgesetze helfen .... [Diese] greifen leider tief ein in den freien Austausch der Gedanken. Aber sie sind die logische Folge einer Wandlung des intellektuellen Feldes: nämlich wenn die wissenschaftliche Praxis nicht mehr universalen Regeln auf Wahrheit verpflichtet ist, sondern wenn ein multikulturelles Eigenrecht die Intellektuellen jeglicher Kultur auf ‘ihre eigene’ Wahrheit einschwört.“ Hier zeigt sich die Angst Flaigs vor einer „Hinrichtung der Geschichte“, die er 2006 bei der Tagung „Wahre Geschichte - Geschichte als Ware“ vortrug: Auch dabei dreht es sich um die Frage nach dem „Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (Nietzsche). Geschichte, fürchtet Flaig, könne vollständig für das kulturelle Gedächtnis instrumentalisiert werden. Sein Plädoyer ist daher eines dafür, dass die Geschichtswissenschaft eine Wahrheit annehmen müsse, die sich auf eine „äussere, objektive Realität” bezieht. Hier stimme ich ihm zu.

Doch Flaig lässt sich mit seinem Essay genau vor diesen Wagen spannen, lässt sich instrumentalisieren. Durch seinen Ansatz versucht er das kulturelle Gedächtnis des Christentums rein zu waschen, statt nach den tieferliegenden Ursachen des aufkeimenden Islamismus zu fragen. Zeigt nicht die extreme Reaktion der (islamischen) ägyptischen Regierung, dass sie bemüht ist, der Radikalen im Lande Herr zu werden? Beschreibt Flaig nicht gerade die politische Instrumentalisierung des Islams und Dschihads - denn der ist bekanntlich Interpretationssache? Dass er ein theologisch gerechtfertigter Angriffskrieg ist, ist völliger Unsinn, der mich schaudern lässt.

Die Hintergründe aber, die zur Radikalisierung einiger islamischer Gruppen und Gelehrter führen, spart Flaig aus; auch, dass es weltweit einen wachsenden religiösen Fundamentalismus gibt und dass die Perspektivlosigkeit in der „islamischen Welt” (ein meines Erachtens furchtbarer Begriff, der vor allem der Manifestation einer fiktiven Opposition zweier Lager dient) ihr Übriges dazu beiträgt. Und woraus ist diese Perspektivlosigkeit entstanden? Die Tendenzen der Kolonialisierung islamischer Religionen durch europäische Mächte sind ja nichts Neues. Das Auftreten der Vereinigten Staaten im Irak steht da in einer historischen Kontinuität.

Überdies: Guantánamo und Abu Ghuraib sind nicht eben Beispiele einer zivilisierten Macht, die in Europa als grösste Demokratie der Welt gefeiert wird. Mögen Kritiker die Folterskandale in Abu Ghuraib auch als individuelles Fehlverhalten abtun, so steht Guantánamo auf einem anderen Blatt: hier müssen wir von staatlich sanktionierter Folter und einem konsequenten Bruch aller Völker-, Kriegs-, und Menschenrechte sprechen - unter dem Vorwand des Kampfes für eben jene. „Viele Rechtsgelehrte definieren den Djihad als individuelle Pflicht”, so Flaig. Die Konsequenz: „dann sind Attentate und Terroranschläge das Richtige ... Al Qaida ist keine Verirrung, sondern entspricht dieser Traditionslinie.” Aber es ist eben nur eine Traditionslinie. Flaig selber gesteht ein, dass über diese Linie „fatalerweise ... innerhalb der orthodoxen Tradition seit dem 9. Jh. keine Einigkeit” herrsche. Ist das nicht ein positives Zeichen? Hier macht sich Flaig die Argumentation der Al Qaida zu eigen, statt zu differenzieren.

„Wie der Nationalsozialismus die Menschen in Herren- und Untermenschen auf rassischer Basis spaltete, so hat es die Scharia auf religiöser Basis getan“, behauptet Flaig. Dies ist natürlich völliger Irrsinn. Gleiches lässt sich dann auch über das Alte Testament der Christen und die Mishneh Torah der Juden sagen: „Heute wirst du erkennen, dass der Herr, dein Gott, wie ein verzehrendes Feuer selbst vor dir hinüberzieht. Er wird sie [die im Unrecht sind, MB] vernichten und er wird sie dir unterwerfen, sodass du sie unverzüglich vertreiben und austilgen kannst, wie es der Herr dir zugesagt hat.“ (Dtn 9,3 - 5. Buch Mose).

So lässt sich eben nicht argumentieren. Vielmehr sollte man die Alternativen zur fundamentalistischen (also: zur politisierten) Interpretation solcher Zitate aufzeigen, um einer wirklich fruchtbaren Diskussion Hilfestellung zu leisten. Flaig higegen betreibt übelsten Kulturkampf, der leider immer mehr Akzeptanz im akademischen Feld gewinnt. In solchen Pamphleten sehe ich eine viel größere Gefahr einer Faschisierung der Gesellschaft als zum Beispiel im Aufkeimen der NPD.

Vielleicht ist Flaigs Paradigma aber auch gar nicht so neu, sondern in einer Kontinuität zu sehen, die sich schon vor 200 Jahren bei Satorius offenbarte - und die man eigentlich überwunden glaubte.

Islamisch Zeitung vom 24.01.2007 und Die Rote Fahne vom 25. 01.2007

Der Autor Martin Behrens lebt als freier Journalist in Pasewalk und Szczecin und schreibt u.a. regelmäßig für den Nordkurier und Jungle World, sowie für konkret, das jüdische Wochenmagazin tachles (Schweiz) und Woxx (Luxemburg) und studierte Geschichtswissenschaften und Anglistik/Amerikanistik an den Universitäten Bielefeld, Szczecin und derzeit in Greifswald.


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