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Dunkles Kapitel der Inselhistorie

Das "Russenlager" von Langeoog im Spiegel einer neuen Veröffentlichung

Von Hanni Steiner

Über die Nordsee-Insel Langeoog gibt es wunderbare Bücher: Natur, Geschichte, Kurbetrieb, Döntjes. Ein neuer Band aber steht zu diesem Sortiment schon durch seine Aufmachung quer, doppelt so breit wie hoch, mit einer Banderole verschlossen. Der darauf abgebildete Stacheldraht verwehrt den schnellen Zugriff auch symbolisch, denn einen schnellen Zugriff hat es auf das Thema dieses Buches noch nie gegeben - auf das Leiden und Sterben sowjetischer Kriegsgefangener im Arbeitslager Nr. 7 auf Langeoog. Ihr Schicksal ist auch nach über 60 Jahren nicht restlos geklärt. Das bisher aufgefundene Material hat jetzt der Leiter der evangelischen Freizeit- und Fortbildungsstätte Haus Meedland auf Langeoog, Helmut Junk, in einen großen Zusammenhang gestellt und auf 76 Seiten mit zahlreichen Fotos veröffentlicht. Ausgangspunkt ist für den 50-Jährigen "Haus Meedland": Als es 1947 dem damaligen Landesjugendpfarrer der Bremischen Evangelischen Kirche, Werner Brölsch, gelang, seiner Kirche eine Baracke und das umliegende Gelände auf dem Langeooger "Meedland" zu sichern, da ging es ihm um Erholung für Jugendliche aus der zerbombten Stadt. Fünfzig Jahre später, 1997, feierten diese Ehemaligen auf Langeoog den runden Geburtstag ihres geliebten "Haus Meedland", das sich inzwischen zu einem respektablen Freizeitheim ausgewachsen hatte. Betreten schauten sie sich allerdings an, als sie darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie im Überschwang ihrer eigenen Erinnerungen etwas Wichtiges vergessen hatten - das Gedenken an jene Menschen, die 1941/42 auf dem gleichen Gelände furchtbar gelitten hatten: 300 bis 400 russische Gefangene. Sie waren aus dem Kriegsgefangenenlager Wietzendorf in der Lüneburger Heide nach Langeoog gebracht worden, um dort Befestigungsanlagen und einen Flugplatz zu bauen. Im Gegensatz zu ebenfalls nach Langeoog verschleppten französischen Gefangenen wurden die Russen hier so behandelt wie fast überall in Deutschland - schlimmer als Vieh. Schwere Arbeit, miserable Unterbringung, brutale Wachmannschaften und ständiger Hunger waren die Ursachen, dass rund ein Drittel von ihnen binnen kurzer Zeit starb. Die Toten wurden, wenn es dunkel war, hinter dem damals neuen Inselfriedhof in einem Massengrab verscharrt. Die Einheimischen auf Langeoog verhielten sich gegenüber den Gefangenen ebenfalls nicht anders als die Menschen im "Reich": Die Mehrzahl sah weg, wenige versuchten zu helfen. Wo die Überlebenden geblieben sind, weiß niemand. Nur eine Hand voll Menschen sind nach 1945 dem Spuren der Gefangenen nachgegangen. Dazu gehört der Wangerooger Gastwirt Hans-Jürgen Jürgens, der sich zwei Jahrzehnte lang mit den Jahren 1939 bis 1945 an der Küste und auf den Inseln beschäftigte. Der Langeooger Gemeindearchivar Franz Horb hat die Geschichte der Russen für einen Aushang am Friedhof aufgeschrieben. Dort hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1952 Stelen mit den Namen der Gefangenen aufgestellt. In den 70er und 80er Jahren war es der Langeooger Lehrer André Noltus, der besonders intensiv nachforschte und hartnäckig ältere Langeooger befragte. Bereits 1967 hatte der Berliner Journalist Arthur Frenske die Namen der Toten an einen russischen Kollegen weiter gegeben. Ihre Veröffentlichung in der Zeitung "Iswestija" gelangte erst in den 80er Jahren in die Hände einer Frau in Russland, deren Mann seit 1941 als verschollen galt: Maria Kurilowa, Witwe von Nikolaj Kurilow, erhielt auf diese Weise nach 45 Jahren Gewissheit über das Schicksal ihres Mannes. Zwei Mal konnte sie sein Grab auf Langeoog besuchen. Das Elend der russischen Gefangenen und das Versäumnis bei der 50-Jahr-Feier haben Helmut Junk keine Ruhe gelassen. Seit 1997 Leiter des "Haus Meedland", hat er das inzwischen zusammengetragene Material durchgearbeitet, Kontakt zu Archiven aufgenommen und zu denen, die vor ihm auf Spurensuche gegangen waren. Ihn habe die Frage "Wie kam so eine Situation zustande?" umgetrieben, sagt der gelernte Sozialpädagoge. Die Bremische Evangelische Kirche stärkte dem Autor bei seiner Arbeit den Rücken und unterstützte ihn finanziell. Die Dokumentation mit dem Titel "Todesursache: Allgemeine Körperschwäche. Arbeitskommando 7 - sowjetische Kriegsgefangene auf Langeoog 1941/42" hat 73 Seiten und wurde vom Grafikbüro Rank gestaltet. Sie enthält zahlreiche Fotos und Gefangenenlisten und ist in Bremen für 15 Euro erhältlich im Haus der Kirche, Franziuseck 2-4, im forum Kirche in der Hollerallee 75, im Kapitel 8 an der Domsheide und im "Haus Meedland" auf Langeoog.

Weser Kurier vom 11.10.05

Weitere Informationen


Ein Schicksal

Nikolai Michailowitsch Kurilow
•19.12.1915 in Serpuchow,
+ 21.1.1942 auf Langeoog

Bislang weiß man nur von einem Gefangenen mehr als die dürren Daten auf einer Karteikarte. Nikolai Michailowitsch Kurilow wurde am 19. Dezember 1915 in Serpuchow, rund 100km von Moskau entfernt, geboren. Nach dem Schulbesuch folgte er seinem Wunsch, zur Marine zu gehen und trat 1936 In die Marineakademie in Leningrad (heute St. Petersburg) ein. Nach einer Beinoperation wurde er in die Marinebasis Kronstadt vor Leningrad versetzt und arbeitete dort im Stab der Baltischen Flotte. Im Januar 1939 heiratete er leine Frau Maria, im Dezember des selben Jahres kam ihre Tochter zu Welt. Maria Kurilowa wuchs ebenfalls in Serpuchow auf und kannte Nikolai seit ihrer Kinderzeit. Sie schreibt über ihn:

"Unsere Heimat ist Serpuchow, eine Stadt, die 100 Kilometer von Moskau entfernt liegt. Von Kindheit an schwärmte er davon, Marinemann zu werden. Er ließ sich vom Sport hinreißen, er ritt ein Pferd und ich wurde auch manchmal mitgenommen, hatte auch Autofahrerschein.
 

Wir sind zusammen groß geworden. Wir waren Nachbarn, er wohnte zwei Häuser weiter. Nikolai wurde 1915, ich 1918 geboren. Wir besuchten dieselbe Schule, immer waren wir unzertrennlich, auf der Eisbahn und während des Schilaufens. Wir unternahmen auch Ausflüge mit den Fahrrädern stadtauswärts, in den Wald. Nikolai war eine Leseratte. Er war romantisch, edelmütig, mit ritterlichen Charakterzügen. Aber er hatte auch den Schalk im Nacken, war Anführer der Jungen, manchmal Raufbold.
 

Nikolai war Naturfreund, er mochte Blumen und schenkte sie mir, er hatte Tiere und Vögel gern, aber er hasste Katzen. Als er 3 oder 4 Jahre alt war, sah er, wie eine Katze ein aus dem Ei gekrochenes Küken gefressen hatte.

Nach dem Schulabgang trat er in die Marinehochschule in Leningrad ein. (...) Im Januar 1939 heirateten wir, im Dezember kam unsere Tochter zur Welt. Nikolai diente im Stab der Baltischen Flotte. Er hatte ruhigen, entschlossenen Charakter, ein Mensch mit "Seemannskern". Nikolai war gesellig, mochte "salzige" Seemannswitze. Die Freunde hatten Achtung vor ihm, seine Vorgesetzten schätzten seinen Dienst. In der Familie war er ein idealer Vater und Ehemann. Er liebte mich und unsere Tochter mit heiliger, überirdischer Liebe. Ich schäme mich jetzt, dass ich ihn so nicht lieben konnte. (...)"

Nach dem Überfall der Wehrmacht auf die UdSSR am 22. Juni 1941 war diese glückliche Zeit zuende. Nikolai war bei der Verlegung von Teilen der Flotte von Kronstadt nach Tallinn dabei. Bei Kampfhandlungen wäre er beinahe ertrunken. Durch den zunächst raschen Vormarsch der deutschen Truppen wurden auch aus Marineverbänden Bodentruppen gebildet, um die Angreifer vor Leningrad aufzuhalten. Zu einem dieser Verbände gehörte auch Nikolai. Bei den Kämpfen vor Nowy Petrodworez (Peterhof) im Oktober 1941 wurde er schwer verwundet und geriet in deutsche Gefangenschaft. Von da an verliert sich für seine Frau seine Spur. Frau Kurilowa schreibt dazu:

"1947 brach der Krieg aus. (...) Dann nahm er an den Landungstruppen Nowy Peterhof teil. Danach folgten die Gefangenschaft und der schreckliche unmenschliche Tod auf der Insel Langeoog. Er war damals 26 Jahre alt!"

Der Journalist Arthur Fenske aus Berlin erfuhr durch Zufall während eines Langeoog-Aufenthaltes von der Existenz des "Russenfhedhofes" und notierte sich die Namen der hier Begrabenen. Über Sergej Jeremin, einen Kollegen in der UdSSR wurde die Liste mit einer kurzen Notiz in der "Iswestija" veröffentlicht:

"Die Suche wird fortgesetzt
In der Nordsee unweit vom Strand der BRD liegt die Insel Langeoog. Die Nazis haben hier 300 sowjetische Gefangene elend zu Tode gequält. Na stehend die Namen der sowjetischen Menschen, die in diesem Lager 1942 umgekommen sind. (Es folgen 22 Namen, darunter der von Nikolai Kuhlow)"

Irgendwann in den achtziger Jahren hörte die Schwester von Nikolai Michailowitsch Kurilow davon, dass eine Namensliste in einer Zeitung veröffentlich worden war, ohne aber näheres zu erfahren. Sie erzählte Maria Kurilowa davon und diese durchforstete drei Monate lang jeden Tag die Bibliothek in Riga (ihrem damaligen Wohnort) und wurde schließlich in einer Ausgabe der "Iswestija" von 1967(!) fündig. Über diese Kette kam um 1984 der Kontakt nach Langeoog zustande.

Dort war der Realschullehrer Andre Noltus da beschäftigt, Licht in die Geschichte der sowjetischen Kriegsgefangenen zu bringen. Er sammelte Material, befragte Zeitzeugen und trug einen große Fundus an Dokumenten zusammen.

Über Umwege bekam er Kontakt zu Frau Kurilowa und ermöglichte schließlich den ersten Besuch von Maria Kurilowa am Grab ihres Mannes im Juni 1986.

45 Jahre nach seiner Gefangennahme wusste sie wenigstens, wo ihr Mann begraben war.

Nikolai Michailowitsch Kurilow war einer von 5,7 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener. Er war einer von 3,3 Millionen, die in den Lagern und Arbeitskommandos zugrunde gingen oder ermordet wurden; einer von 3,3 Millionen, von denen jeder einzelne genau wie er seine Träume, Wünsche, Pläne für sein Leben hatte, das nur so kurz war; einer von 3,3 Millionen, die Frau, Kindern, Eltern, Geschwister, Freunde zurücklassen mussten.


Todesursache: Allgemeine Körperschwäche

Aus dem Vorwort: "Tu deinen Mund auf für die Stummen und die Sache aller, die verlassen sind" (Sprüche 31, 8). Dieser Vers aus dem Buch der Sprüche der Bibel ist auf der Schwelle zur Kapelle eingraviert. Er kann verstanden werden als Anrufung Gottes, sich derer zu erbarmen, die ohne Schutz niederträchtiger Gewalt ausgesetzt sind. Dieser Vers ist gleichzeitig die Aufforderung an uns alle, sich an die Seite derer zu stellen, die Gewalt leiden, und insbesondere ist er eine Aufforderung an uns alle, dafür zu sorgen, dass das, was damals den Rotarmisten angetan wurde, nie wieder geschehen möge. Wir danken Helmut Junk für seine Erinnerungsarbeit und hoffen, dass dieses Buch vielen Gästen von Haus Meedland zum Anlass wird, sich an die schreckliche und schändliche Vergangenheit, die an Haus Meedland für immer haften wird, zu erinnern und damit Schritte zu tun hin auf den uns gebotenen Weg der Versöhnung.


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