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Ein Haushalt auf Pump

Blick in Bremens Kasse - Die Grenzen der Kreditaufnahme

Von Franca Reitzenstein

Für die öffentlichen Haushalte gibt es eine gesetzliche Höchstgrenze bei der Aufnahme von Krediten. Diese Regelung hat nicht nur den Sinn, die investiven Ausgaben des Staates in vertretbaren Dimensionen zu halten. Viel wichtiger ist ein Faktor, der auf der Unterscheidung von investiven und konsumtiven Ausgaben beruht. Die Finanzierung auf Pump ist nur bei den Investitionen erlaubt. Ausgaben im konsumtiven Bereich, zum Beispiel für Sozialausgaben, Gehälter oder Subventionen, dürfen nicht auf Kredit finanziert werden. Bei den Ausgaben für Investitionen ist die Schuldenaufnahme gestattet, weil sich der Staat aus diesen Maßnahmen eine Art Rendite erhofft. Bei der Erschließung von Gewerbegebieten steht die Ansiedlung von Unternehmen im Vordergrund. Wenn eine solche Planung aufgeht, steigert das die Einnahmen beispielsweise bei der Gewerbesteuer. Oder es entstehen neue Arbeitsplätze, und die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Dann müsste auch weniger Geld für soziale Transferleistungen wie Hartz IV bereitgestellt werden. In Bremen steht diese Regelung in Artikel 131 a der Landesverfassung. Neue Kredite dürfen insgesamt die Höhe der Investitionen nicht überschreiten. Gegen dieses Verfassungsgebot verstößt aber der Doppelhaushalt 2006/2007. Mit 550 Millionen wird in diesem Jahr die Grenze der Kreditaufnahme überschritten. 2007 werden es aller Voraussicht nach nochmals 500 Millionen Euro sein. Trotzdem hat die Bürgerschaft den Haushalt jetzt in der 1. Lesung beschlossen. Haben die Abgeordneten damit die Verfassung gebrochen? Richtig ist, dass der Haushalt 2006/2007 ein Verstoß gegen die Verfassung ist. Das führt allerdings nicht dazu, dass der Haushalt gar nicht beschlossen werden dürfte. Er wird trotzdem verabschiedet. Das erlaubt eine Ausnahme in besagtem Artikel 131 a der Verfassung. Wenn mit der Kreditaufnahme eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewehrt werden soll, dann darf die Grenze der Kreditaufnahme überschritten werden. Das ist eine hohe Hürde. Die Feststellung, ob eine solche Störung vorliegt, ist äußert komplex und schwierig. Es soll dem Staat nicht leicht gemacht werden, sich auf diese Ausnahme zu berufen. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist nicht mehr intakt, wenn verschiedene Faktoren, wie die Stabilität des Preisniveaus, das Wirtschaftswachstum und der Beschäftigungsstand aus dem Ruder laufen. Das muss die Verwaltung prüfen. Denn es genügt nicht, eine solche Störung zu behaupten. Sie muss nachweisbar und nachhaltig vorliegen. Wird dieser Fall bejaht - und das ist in Bremen derzeit der Fall - kann die Bürgerschaft die Aufnahme von Krediten ausweiten. Die Parlamentarier dürfen dann zwar mehr Schulden machen, als sie für Investitionen brauchen. Diese Schulden müssen aber für Vorhaben eingesetzt werden, die die Störung im Wirtschaftssystem beheben sollen. Jede Haushaltsposition muss dem Anspruch standhalten, an der Auflösung der Störung mitzuwirken. Das musste der Senat bei diesem Doppelhaushalt erstmalig darlegen. Begründet werden Ausgaben dann mit erwarteten positiven Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau oder das Wirtschaftswachstum. Zwar führt diese Begründungspflicht zu einem höheren Maß an Kontrolle im Umgang mit dem Geld der Steuerzahler. Ob die Realität dann allerdings mit der Begründung übereinstimmt - also ob sich die getätigte Ausgabe tatsächlich vorteilhaft auf die Gesamtwirtschaft auswirkt - ist kaum überprüfbar. Manchmal vergehen Jahre oder Jahrzehnte, bis der Effekt derartiger Ausgaben sichtbar wird. Wer sich selbst überzeugen will, von welchem Vorhaben sich der Bremer Senat welche Effekte verspricht, kann das im Materialband zu den Bremischen Haushalten tun. Er hat über 1000 Seiten.

Weser Kurier vom 25.02.2006

"Jede Krise birgt eine Chance"

Interview mit Helmut Seitz, Gutachter Bremens vor dem Gang nach Karlsruhe

Bevor Bremen in Kürze seine Klage einreicht, um vor dem Bundesverfassungsgericht eine finanzielle Hilfestellung zu erstreiten, hatte sich der Senat argumentativen Beistand bei Wissenschaftlern geholt. Zu den zentralen Gutachtern gehört Professor Helmut Seitz vom Lehrstuhl für Empirische Finanzwissenschaft und Finanzpolitik an der Technischen Universität Dresden. Unser Redakteur Wigbert Gerling sprach mit Helmut Seitz über seine fachliche Flankierung für Bremen.

Frage: Wie bewerten Sie die Strategie des Bundeslandes Bremen, das mit seinem Normenkontrollantrag für das Verfassungsgericht darauf setzt, dass ein Teil der Schuldenlast abgenommen wird?

Helmut Seitz: In Bremen gibt es doch die Erkenntnis über das, was für das Land notwendig ist. Es geht um drei Punkte - und zwar in dieser Reihenfolge: Eigenanstrengungen mit dem Ziel, die Ausgaben zu begrenzen und zurückzuführen; die Feststellung einer extremen Haushaltsnotlage, aus der dann Ansprüche auf Hilfe von der Solidargemeinschaft abgeleitet werden können; Verhandlungen über eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen im Zusammenhang mit dem zweiten Teil der Föderalismusreform.

Fangen wir mit internen Sparbemühungen Bremens an. Immer häufiger gab es in den vergangenen Monaten die Mahnung, es müsse auch eine Untergrenze der Ausgabenbegrenzungen festgelegt werden, damit das Land am Ende nicht kaputtgespart wird. Ist der Eindruck richtig, dass da derzeit die wissenschaftliche Methodik noch verwirrend ist?

Der Ansatz, welche Absenkung der Ausgaben man einem Land abverlangen kann, ist methodisch noch nicht bis ins Letzte untersucht. Es gibt natürlich Grenzen, die bei Einsparungen nicht unterschritten werden können. Bremen kann ja nicht sagen: Wir zahlen keine Sozialhilfe mehr aus, weil das Geld fehlt. Oder: Wir schaffen aus Kostengründen die Polizei ab. Meine Modellrechnungen zeigen, dass für Stadtstaaten davon auszugehen ist, dass diese zur angemessenen Aufgabenerfüllung - ohne Einbeziehung der Zinslasten - Ausgaben tätigen müssen, die je Einwohner gerechnet bei etwa 125 Prozent des Wertes in Flächenländern liegen. Gegenwärtig leistet sich Bremen aber Ausgaben die - wiederum ohne Zinslasten - bei 137 Prozent des Länderschnitts liegen. In den vergangenen Jahren lag diese Quote in Bremen sogar bei über 140 Prozent. Ohne dass dieses Potenzial zur Eigenanstrengung ausgeschöpft wird, wird Bremen keine Chance in Karlsruhe oder bei der Solidargemeinschaft haben.

Zu Punkt zwei mit Blick auf die Klage in Karlsruhe: Steckt denn nach Ihrer Analyse das kleinste Bundesland nun unverändert in einer extremen Haushaltsnotlage?

Ja. Bremen ist nicht in der Lage, die hohe Schuldenlast alleine zu bewältigen.

Finden Sie es richtig, wenn der Senat in der Klageschrift den Anspruch auf eine Teilentschuldung in den Vordergrund rückt? Und vor allem: Wie hoch müsste der Betrag sein, damit sich am Ende der ganze Aufwand auch gelohnt hat?

Ich weiß ja nicht, ob Bremen mit der Forderung nach einer konkreten Summe nach Karlsruhe geht. Die mögliche Zahl hängt von unterschiedlichen Szenarien ab. Ich habe zwei konzipiert und komme zu dem Ergebnis, dass es etwa vier Milliarden Euro sein müssten. Auf jeden Fall bin ich der Ansicht, dass es richtig ist, die Teilentschuldung in den Mittelpunkt zu stellen. Ich sehe dazu keine Alternative. Und darüber hinaus finde ich, dass Bremen gut beraten ist, wie geplant zweigleisig zu fahren: Teilentschuldung und parallel die politischen Verhandlungen. Das Land kann da den glücklichen Zustand ausnutzen, dass zeitlich passend über die zweite Stufe der Föderalismusreform mit dem Thema Bund-Länder-Finanzbeziehungen gesprochen wird.

Letzteres klingt sehr nach St. Nimmerleinstag. Muss man nicht eher verzweifeln, wenn man dazu verdonnert ist, auf greifbare Ergebnisse zu warten, wenn Bund und Länder über Geld streiten?

Es gibt für das Land Bremen keinen Grund zur Verzweiflung. Jede Krise birgt auch eine Chance. Und Erneuerungen entstehen immer unter Druck. Ich kann Ihren Pessimismus nicht teilen. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist dieser Teil der Föderalismusreform mit Neuregelungen zum System der Finanzverteilung festgeschrieben. Und die Große Koalition aus CDU und SPD hat erklärt, sie wolle hier den großen Wurf versuchen. Ich glaube, das kann auch eine Große Koalition am besten.

Da kennen Sie aber vielleicht die Schwankungen im Handlungswillen der Großen Koalition in Bremen nicht.

Ich bin da optimistischer als Sie. Und ich erinnere daran, dass zum Beispiel 1969 auf Bundesebene eine große Finanzreform gelungen ist. Aber richtig ist, dass es nie einfach ist, wenn es ums Geld geht. Es gibt keine Reform, ohne dass es auch Verlierer gibt.

Sie haben vor einigen Monaten für Schlagzeilen gesorgt, weil Sie als - von Bremen beauftragter - Gutachter auch die Frage der Selbstständigkeit des Landes angeschnitten hatten, wodurch sich in Bremen ein Gefühl von Frevel ausbreitete.

Ein Gutachter soll ja nicht alles gut reden, sondern begutachten. Sonst ist er ein schlechter Mann, den man am besten sofort hinauswirft. Meine Anmerkungen zur Bremer Selbstständigkeit, die im übrigen in einem separaten Papier außerhalb des Gutachtens vermerkt wurden, umfassten nur wenige Zeilen, es kam aber der Eindruck auf, es sei die Weltrevolution ausgerufen worden. Die Frage der Selbstständigkeit wird im Zusammenhang mit der Klage aber auf jeden Fall auf den Tisch kommen. Und es ist doch besser, man stellt sich rechtzeitig darauf ein. Also kann man mich in Bremen doch dafür loben. Man darf sich auch nicht täuschen: Die Herausforderungen, die auf Bremen zukommen, sind alles andere als einfach. Hier wird mit harten Bandagen gekämpft. Eben weil es um Geld geht.

Mit Ihren Anmerkungen insbesondere zur Frage der Selbstständigkeit sind Sie ja in Bremen geradezu berühmt geworden. Hat Sie das verblüfft?

Ja, schon. In Berlin zum Beispiel wird die Diskussion mit emotionsloser Nüchternheit geführt. Von Bremerinnen und Bremern aber habe ich nach der Veröffentlichung bestimmt 250 E-mails bekommen - kaum Beschimpfungen, aber sehr viel Konstruktives.

Wagen Sie eine Prognose zu den Chancen Bremens vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe?

Meine Prognose steht im Prinzip in dem vorgelegten Gutachten: Wenn Bremen eine glaubwürdige und nachhaltige Politik der Eigenanstrengungen betreibt und zentrale Pflöcke zur Umsetzung dieser Eigenanstrengungen auch eingehauen hat, dann wird Bremen eine Chance haben. Es dürfte klar sein, dass man an Bremen wesentlich härtere Anforderungen stellen wird als 1992, weil Bremen bereits von 1994 bis 2004 erhebliche Sanierungshilfen erhalten hat, die sich auf etwa 8,5 Milliarden Euro belaufen. Das Argument "Wir brauchen mehr Geld" ist natürlich weder überzeugend noch ausreichend! Aber, wie gesagt: Jede Krise hat auch ihre Chance. 

Das Seitz-Gutachten kann man sich per Post zuschicken lassen. Bitte ein Email mit Angabe der Postanschrift schicken an: Hermann.Pape@finanzen.bremen.de
Weser Kurier vom 25.02.2006

Bremens Finanzpolitik im Visier von Experten

Gutachter folgte Einladung der Grünen zur Debatte über die Haushaltsnotlage

Von Elke Hoesmann

Teils Zustimmung, teils Kritik: Die Thesen des Finanzwissenschaftlers Helmut Seitz, der im Auftrag des Senats ein Gutachten zur Vorbereitung der bremischen Verfassungsklage erarbeitet hat (siehe Interview oben), wurden gestern auf einer Veranstaltung der grünen Bürgerschaftsfraktion diskutiert. Zunächst hatte Seitz im Haus der Bürgerschaft die finanzpolitische Notlage Bremens erläutert und dabei auch kritisiert, dass das Land seine konsumtiven Primärausgaben schon früher, in der ersten Sanierungsperiode, stärker hätte reduzieren müssen. Dem widersprach der Bremer Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel. Das Land habe "ganz enorme Einsparungen" vorgenommen und sei etwa im Bildungsbereich inzwischen an der unteren Einsparungsgrenze angelangt. Zur Seitz-Aussage, Bremen habe in den vergangenen Jahren überproportionale Investitionen getätigt, sagte Hickel, das strukturell benachteiligte Land habe auch seine Wirtschaftskraft stärken müssen. Und da sei einiges passiert, auch wenn es Flops gegeben habe. Beim Gang vor das Verfassungsgericht verfolge Bremen eine falsche Strategie, wenn es nur auf Teilentschuldung setze, betonte Hickel. Auch eine Veränderung des Verteilungsmaßstabs "Einwohnerzahl" müsse Thema in Karlsruhe sein. Die grüne Fraktionsvorsitzende Karoline Linnert begrüßte es, dass die fiskalischen Auswirkungen der Bremer Sanierungspolitik stärker in den Vordergrund rückten. Die Große Koalition habe jahrelang die angeblichen Erfolge von Investitionen herausgestellt und Kritiker verbal niedergemacht. Linnert: "Was mussten wir uns nicht alles anhören von Herrn Perschau." Dabei sei Bremen an den getätigten Investitionen "verblutet". Die Koalition habe sich nicht nur fiskalisch, sondern auch argumentativ in die Sackgasse gewirtschaftet. "Wer nimmt uns Bremer denn überhaupt noch ernst?" Bremens weitere Einsparmöglichkeiten seien begrenzt, wenn man nicht die Axt an die Wurzel des Gemeinwesens legen wolle, so die Grüne. Auch Seitz machte deutlich, dass er an der radikalen Berliner Sparstrategie zweifele. Allerdings sollten in Bremen "Ineffizienzen" bei laufenden Primärausgaben abgebaut werden. So könnten gut verdienende Eltern die Schulbücher ihrer Kinder durchaus selbst bezahlen. Wenig sinnvoll sei es auch, "hoch subventionierte Theaterkarten an reiche Leute zu verkaufen".

Weser Kurier vom 25.02.2006

Rückzahlungen binden die öffentliche Hand

An seiner Schuldenlast wird das Land noch Jahrzehnte zu tragen haben

Von Franca Reitzenstein

Als die Große Koalition 1995 ihre Arbeit aufnahm, sollte Bremens Haushalt ausgeglichen werden. Dazu haben SPD und CDU die so genannte Sanierungsstrategie ins Leben gerufen. "Sparen und Investieren" war von nun an das Motto der Bremer Politik. Dahinter steckte die Überlegung, einerseits eigene Einsparungen zu erzielen. Gespart werden sollte zum Beispiel bei den Personalkosten, freiwilligen Aufgaben und im Sozialbereich. Andererseits hatten SPD und CDU die Hoffnung, die staatlichen Investitionen würden die Wirtschafts- und Steuerkraft Bremens ankurbeln. Dadurch erhöhten sich mit wachsender Wirtschaftkraft die Steuereinnahmen und der Finanzsenator bekäme wieder Geld in den Säckel und könnte Schulden abbauen. Soweit der Plan.

Ausgaben auf Pump

In der Wirtschaft bedeutet die Sanierung eines Unternehmens, den Betrieb wieder leistungsfähig zu machen. Die finanziellen Verhältnisse sind zu ordnen und aufzubessern. Viel anders ist das bei einem öffentlichen Haushalt auch nicht. Wäre der Haushalt in Bremen saniert, könnte wieder mehr Geld ausgegeben werden für Kinderbetreuung, Schulen, Universität oder Krankenhäuser. Der Unterschied zwischen dem heutigen und einem sanierten Haushalt ist: Bremen müsste Ausgaben nicht auf Pump finanzieren, sondern könnte die nötigen Mittel aus eigener Kraft erbringen. Haushaltssanierung bedeutet also das Abtragen der Schulden, Einsparen von unnötigen oder zu hohen Ausgaben und Steigern der Einnahmen. Mit einem Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben ist es nicht getan.

1,875 Milliarden neue Schulden

Aktuell übersteigen die Ausgaben die Einnahmen in Bremen. Im Land Bremen besteht in diesem Jahr bereits eine Lücke von fast 542,9 Millionen Euro. Im nächsten Jahr sind es weitere 515 Millionen. Nicht besser sieht es auf der Ebene der Stadtgemeinde aus. Dort fehlen heute 397 Millionen und ein Jahr später 380 Millionen Euro. Auf das Jahr gerechnet, bedeutet das zusammengenommen eine Lücke von fast 940 Millionen Euro in diesem und von weiteren 895,4 Millionen Euro im Jahr 2007.So kommt es zu einer Nettoneuverschuldung von etwa 1875 Millionen Euro im Rahmen des Doppelhaushaltes, der gestern in der Bürgerschaft debattiert wurde. Zum Vergleich: Von dem Geld könnte man in Borgfeld 7500 Einfamilienhäuser kaufen.

Bremen sitzt in der Schuldenfalle

Bremen sitzt - wie die meisten öffentlichen Haushalte - in der Schuldenfalle. Denn die Schulden Bremens beliefen sich Ende 2004 schon auf über 11 Milliarden Euro. Kredite müssen aber auch vom Staat getilgt werden und so steigen die Ausgaben zur Schuldentilgung mit wachsender Verschuldung. Diese enormen Rückzahlungen fesseln die öffentliche Hand in Bremen. Schon heute ist klar: An der Schuldenlast werden Stadt und Land noch Jahrzehnte zu tragen haben. Denn die Summe ist mittlerweile so hoch, dass sie allein durch Einsparungen nicht mehr zu erbringen ist.

Sparen allein genügt nicht

Die Große Koalition sucht den Ausweg aus dem Dilemma mit verschiedenen Maßnahmen: Bremen fordert mehr Geld aus dem Länderfinanzausgleich und klagt vor dem Bundesverfassungsgericht auf weitere Sanierungsbeihilfen. Ob überhaupt und wann sich daraus jemals konkrete Zahlungen ergeben, steht allerdings in den Sternen. Denn die Haushaltslage des Bundes und der übrigen Bundesländer ist nicht weniger kritisch. Und niemand sieht schließlich das Geld gern in fremde Haushalte fließen. So lange führt erstmal kein Weg an eigenen Sparanstrengungen vorbei. Doch selbst wenn es gelingt, die laufenden Kosten zu begrenzen, stehen die Zinslasten weiter unbewältigt im Raum. Die Sanierung der Bremischen Haushalte ist ein Marathonlauf und geschafft sind erst wenige Kilometer.

Weser Kurier vom 24.02.2006

Bürgermeister bereiten Spar-Liste vor

Jens Böhrnsen und Thomas Röwekamp beraten über Investitionskürzungen von 30 Millionen Euro

Von Michael Brandt

Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und Bürgermeister Thomas Röwekamp (CDU) haben sich gestern zusammengesetzt, um den Investitionsknoten im Haushalt zu lösen. Sie wollten ausloten, wie in den Jahren 2006 und 2007 jeweils 30 Millionen Euro bei den Investitionen gespart werden können. Heute sollen die Beratungen fortgesetzt werden. Im Senatsumfeld kursiert erstmals eine Liste aus der Finanzbehörde zum Grundinvestitionsprogramm (GIP), aus dem die je 30 Millionen Euro genommen werden sollen.

Dabei handelt es sich um den Topf, aus dem Straßen repariert, Schulen und Reviere saniert und Hochschulbauten gefördert werden. Wie berichtet, hatte die jüngste Rechnung des Nußbaum-Ressorts belegt, dass sich im so genannten Anschluss-Investitionsprogramm bis 2009 nur noch rund 62 Millionen Euro befinden. Jetzt liegt also eine ähnliche Darstellung für das GIP vor, das 2006 rund 355 Millionen Euro umfasst. Es fällt deshalb rund 150 Millionen Euro niedriger aus als in den Vorjahren, weil Teile des Investitionshaushalts umgebucht worden sind.

Fachleute betonen, es handele sich dabei um keine Kürzung. Deutlich wird aus der Liste, wo noch Spielräume bestehen - und wo nach Ansicht der Ressorts keine Verhandlungsmasse mehr vorhanden ist. So soll etwa geprüft werden, ob Bremen Zahlungen an den Bund für Baumaßnahmen an Mittelland- und Küstenkanal sowie an der Mittelweser reduzieren kann. Sparpotenzial: eine Million Euro pro Jahr. Andere Punkte sind greifbarer. So sind zum Beispiel noch nicht alle Mittel fest gebunden, die für die Gesamtsanierung des Übersee-Museums eingeplant waren.
Konkrete Projekte

Die 30-Millionen-Einsparungen hat der Senat im vergangenen Jahr beschlossen. Seitdem beraten Politik und Ressorts, woher sie das Geld nehmen sollen. Ein Vorschlag der Finanzbehörde, die Summe nach einem komplizierten Schlüssel pauschal auf die Ressorts umzulegen, verlief im Sande. Gestern haben dem Vernehmen nach Böhrnsen und Röwekamp erstmals über konkrete Projekte verhandelt, auch wenn eine abschließende Streich-Liste offenbar noch nicht zustande gekommen ist.

Zur Disposition stand unter anderem, so hieß es im Umfeld der Beratungen, die Sanierung der Gefängnisse in Bremen über einen längeren Zeitraum zu strecken, wie es bereits Justiz-Staatsrat Ulrich Mäurer angekündigt hat. Auf ähnliche Art und Weise könnte auch der geplante Neubau des Klinikums Mitte in die Länge gezogen werden, um so die einzelnen Haushaltsjahre weniger zu belasten. Ein weiteres geeignetes Projekt für dieses Verfahren: Die Einführung des Digitalfunks für die Polizei könnte auf die längere Bank geschoben werden.

Heute sollen, so lautete der Fahrplan, die Gespräche unter vier Augen fortgesetzt werden. Auf der Agenda haben die Bürgermeister aber nicht allein ein Debatte über die zweimal 30 Millionen Euro. Es soll außerdem das "Hamburger Modell" debattiert werden. Dahinter verbirgt sich das von Böhrnsen anvisierte Ziel, bis 2012 die Investitionen in Bremen auf das Niveau Hamburgs zu senken.

Weser Kurier vom 24.02.2006

Studie belegt: Bremen kann aus eigener Kraft allein extreme Haushaltsnotlage nicht überwinden

Finanzsenator legte dem Haushalts- und Finanzausschuss das Seitz-Gutachten "Nachhaltigkeitspolitik in Bremen" mit Ergebnissen von Modellrechnungen vor

Der Senator für Finanzen hat jetzt dem Haushalts- und Finanzausschuss die Endfassung eines Gutachtens von Prof. Dr. Helmut Seitz (TU Dresden, Lehrstuhl für Empirische Finanzwissenschaft und Finanzpolitik) zum Thema "Nachhaltigkeitspolitik in Bremen: Ergebnisse von Modellrechnungen zur Überwindung der Haushaltsnotlage" übersandt. In diesem Gutachten untersucht Prof. Seitz insbesondere die Frage, ob das Land Bremen aus eigener Kraft zur Sanierung des Haushalts fähig ist. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann die finanzielle Hilfe der Solidargemeinschaft eingefordert werden.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Bremen aus eigener Kraft eine nachhaltige Finanzpolitik nicht realisieren könne. Schon das begrenzte Ziel einer konstanten Schuldenquote sei nur zu erreichen, wenn der Stadtstaat seine Ausgaben in einem Umfang absenke, bei dem das Ausgabenniveau der Flächenländer deutlich unterschritten werde. Damit müssten aber die Bürger des Landes Bremen im Ländervergleich eine dramatisch schlechtere Versorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen hinnehmen. Insofern kann das vorgelegte Gutachten als Beleg für den Tatbestand einer extremen Haushaltsnotlage dienen, aus der sich das Land ohne die Hilfe der bundesstaatlichen Gemeinschaft nicht mehr befreien kann.

Die Studie stellt unterschiedliche Anpassungsstrategien hinsichtlich der Entwicklung der Primärausgaben dar und entwickelt Überlegungen zur Verteilung der Anpassungslasten auf den investiven und den konsumtiven Bereich.

Prof. Seitz untersucht an Hand von Modellrechnungen, in welchem Umfang finanzielle Hilfen zu Bewältigung der Haushaltskrise erforderlich wären und nennt dabei Beträge in der Größenordnung zwischen 4 und 8 Mrd. €. Der Finanzwissenschaftler macht allerdings deutlich, dass es sich dabei um Szenarien handelt und keinesfalls um Ansatzwerte für die Finanzplanung des Landes Bremen. Deshalb ist erneut darauf hinzuweisen, dass Bremen vor dem Bundesverfassungsgericht nicht einen konkreten Betrag einfordert, sondern eine Grundsatzentscheidung zur Fortsetzung und zum erfolgreichen Abschluss des Sanierungsprozesses herbeiführen will.

Die Studie betritt insofern Neuland, als erstmals der Fragestellung nachgegangen wird, wo eine Ausgabenuntergrenze liegt, die auch von einem Haushaltsnotlagenland nicht unterschritten werden sollte, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen Aufgaben erfüllt werden sollen. Eine Anwendbarkeit dieser Berechnungen für zukünftige Haushaltsentscheidungen sieht der Finanzsenator allerdings derzeit nicht als gegeben an, weil es sich um Modellbetrachtungen handelt, die vielfältige Annahmen und Setzungen über zukünftige Entwicklungen erfordern.

Ergänzend hat Prof. Seitz eine vergleichende Methodenstudie vorgelegt, mit der er die bisher vorgelegten Einwohnerwertungs-Gutachten einer kritisch vergleichenden Analyse unterzieht. Er stellt dar, dass auf Basis der vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) entwickelten Methode eine Veränderung der Einwohnerwertung nicht begründbar sei, verbindet dies aber zugleich mit der Aussage, dass die BBR-Methode der Sondersituation der Stadtstaaten nur unzureichend gerecht wird. Sachgerecht sei eine Analyse auf der methodischen Grundlage des ersten Großstadtvergleichs des Ifo-Instituts aus dem Jahr 1986. Das ist aber nur möglich, wenn die Flächenländer bereit seien, die Daten über die Finanzströme an die Großstädte in transparenter und nachvollziehbarer Form nach einem klar definierten Abgrenzungsschema offen zu legen. Dies ist aber bisher nicht der Fall und nach Auffassung des Senators für Finanzen wesentliches Ziel künftiger Verhandlungen.

Senat vom 24.02.2006

"Drastische Investitionskürzung würde Bremen zurückwerfen"

Wirtschaftssenator Jörg Kastendiek (CDU) fordert Justierung der Politik: Maßgeblich sind Ziele der Wirtschaftspolitik

Runter mit den Investitionen - Maßstab muss das niedrigere Niveau von Hamburg sein. Dies gehört zur Strategie, die Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) jüngst vorgelegt hat. Senator Jörg Kastendiek (CDU), Senator für Wirtschaft, Häfen und Kultur, warnt davor, gleich von vornherein eine statistische Messlatte anzulegen. In einem Gespräch mit unserem Redakteur Wigbert Gerling erläuterte Ressortchef Kastendiek seine Position.

Frage: Wie halten Sie dagegen, wenn vor allem in der Sprache von Statistiken über künftige Investitionen von und für Bremen gesprochen wird?

Jörg Kastendiek: Bei der Festlegung von politischen Zielen ist es nicht verantwortungsvoll, nur mit Statistiken und Zahlen zu operieren - diese dürfen zu keinem Politik-Ersatz werden. Es muss inhaltlich klar sein, was mit Investitionen konkret erreicht werden soll. Für mich bedeutet das erste Ziel die Schaffung von Rahmenbedingungen, damit die Bremerinnen und Bremer einen Arbeitsplatz erhalten. Danach muss man die Investitionsquoten - natürlich im Rahmen des finanziellen Spielraums - ausrichten.

Der Bürgermeister peilt das Investitionsniveau von Hamburg an.

Der Vergleich mit Hamburg hilft leider nicht weiter - dort gelten ganz andere Voraussetzungen. Wir müssen durch Investitionen den Strukturwandel fortsetzen, damit daraus auch zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen können. Dieser Zusammenhang sollte in der Diskussion jedem bewusst sein.

Welche Sektoren haben Sie da im Auge?

Ich denke an die dienstleistungsorientierte Wirtschaft, an Wissenschaft, Technologie und auch an die Logistik. Der Hafen ist gerade wegen der Investitionen zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Allein im vergangenen Jahr sind hier gut 300 neue Arbeitsplätze entstanden, mittelbare Effekte aus der hafennahen Wirtschaft nicht eingerechnet. Also: Investitionen in die Logistik lohnen! Hierdurch kann das Land auch zukünftig am weltweiten Wachstum teilnehmen. Andere Investitionen in die Airport-Stadt, den Technologiepark oder auch die A 281 zur Anbindung des Güterverkehrszentrums zeigen, dass durch Investitionen auch private Investitionen angelockt werden können.

Haben die Investitionen in der politischen Debatte an Konjunktur eingebüßt?

Ich wehre mich dagegen, dass Investitionen in der öffentlichen Wahrnehmung diskreditiert werden. Leider geht dadurch der Blick für das Wesentliche verloren. Bremen muss sich auch weiterhin aktiv engagieren, um den Strukturwandel fortzusetzen. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Ich sage voraus, dass eine drastische Kürzung der Investitionen Bremen um mindestens zehn Jahre zurückwerfen würde. Als Wirtschaftssenator stehe ich dafür, auch weiterhin die Luft- und Raumfahrt, den Mittelstand und die Innovationen durch die Verbindung von Wirtschaft und Wissenschaft zu fördern. Hier müssen wir weiter Schwerpunkte für die Menschen in Bremen setzen.

Denke Sie bei Investitionen an Kultur?

Die Kultur - Bremen hat eine lebendige Kultur - hat für sich genommen einen Eigenwert. Aber sie ist natürlich auch als Standortfaktor wichtig, wenn es gilt, hochwertige Arbeitsplätze für Bremen zu akquirieren. Bein Investoren wird auch gefragt, wie das kulturelle Umfeld in einer Stadt aussieht.

Setzen Sie sich mit Ihrem Werben für Investitionen von dem Strategiepapier ab, das Bürgermeister Böhrnsen vorgelegt hat?

Es geht mir um eine inhaltliche Justierung der Investitionspolitik. Man sollte deshalb den Blick für die wesentlichen Dinge nicht verlieren.

Weser Kurier vom 23.02.2006

SPD will alte Beschlüsse kippen

Klausur: Investitionen streichen

Von Michael Brandt

Die Bremer SPD-Bürgerschaftsfraktion hat sich gestern während einer kurzen Klausurtagung mit dem Strategiepapier von Bürgermeister Jens Böhrnsen auseinander gesetzt. Dabei hat sich die Partei auf ein weiteres Positionspapier verständigt. Offenbar bereitet die SPD weitere Kürzungen bei den Investitionen vor. Auch bereits beschlossene Projekte sollen auf den Prüfstand. Welche Investitionsvorhaben gekippt werden sollen, mochte Sprecher André Städler gestern noch nicht sagen. In dem Positionspapier heißt es, dass die bisherigen Anmeldungen der Senatsressorts für das so genannte Anschluss-Investitionsprogramm (AIP) gegenstandslos seien. Die Reste des AIP sollen dem Grundinvestitionsprogramm zugeschlagen werden. Parallel wird vom Finanzsenator eine Aufstellung erwartet, welche Investitionsmittel in den kommenden Jahren bereits durch frühere Entscheidungen gebunden sind, für welche Summen es Verpflichtungen gibt und was noch verfügbar ist. Fraktionschef Carsten Sieling: "Investitionsentscheidungen zu Lasten kommender Haushalte darf es nicht mehr geben."In dem Papier wird auch die bisherige Leistung Bremens bewertet: "Die Sanierungsstrategie hat in Hinblick auf die Haushaltslage Bremens den prognostizierten Erfolg nicht gebracht." Die Anstrengungen, einen Eigenbeitrag zur Sanierung zu schaffen, müssten erheblich sein. Die Fraktion geht davon aus, dass die Einschnitte in Bremen und Bremerhaven spürbarer werden. Dies sei zwar schmerzhaft, aber notwendig, um noch gravierendere Einschnitte in die Lebensqualität durch den Verlust der Bremer Selbstständigkeit zu verhindern. Erneut bezeichnete gestern Sieling die von Bürgermeister Jens Böhrnsen vorgestellte Strategie als alternativlos dar.

Weser Kurier vom 28.01.2006

"Über die Erfolge reden"

Aktuelle Stunde im Parlament zum Strategiepapier von Bürgermeister Böhrnsen

Von Wigbert Gerling

Mit einer Werbung für die Leistungsfähigkeit und Lebendigkeit des Bundeslandes hat gestern Bürgermeister Jens Böhrnsen auf die auswärtige Kritik an Bremen reagiert. Niemals in den vergangenen 60 Jahren, so sein Eindruck, seien die "Attacken so hart gewesen" wie jüngst. Bremen müsse "dringend in die Offensive" und habe dabei "keine Zeit zu verlieren". Das Forum für die Aussprache über Zustand und Zukunft des Landes bot gestern eine aktuelle Stunde im Landtag. "Wagen und weichen: Bürgermeister skizziert neue Strategie" - so lautete das Thema, das die Grünen angemeldet hatten. Grundlage war Böhrnsens Strategiepapier "Mit Entschlossenheit und Augenmaß die finanzielle Zukunft und die Selbstständigkeit für den Stadtstaat Bremen sichern." Bekanntlich regiert derzeit eine Koalition aus SPD und CDU - und die Grünen sind in der Opposition. Einige Eindrücke aus der aktuellen Stunde: Die Oppositionschefin Karoline Linnert findet viele lobende Worte für das Papier des SPD-Bürgermeisters; in der CDU regt sich keine Hand zum Applaus, nachdem Böhrnsen geredet hat; SPD-Fraktionschef Carsten Sieling wählt als Zielscheibe für kritische Anmerkungen seinen CDU-Kollegen Hartmut Perschau aus. Wie berichtet, hatte Böhrnsen in seinem Papier unter anderem für die Senkung der Investitionsausgaben plädiert und vorgeschlagen, bei der geplanten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf eine Teilentschuldung des Landes zu setzen. Parallel halte Bremen an den eigenen Sparanstrengungen fest.Karoline Linnert erklärte, Böhrnsen habe eine "gute Diskussionsgrundlage" geliefert. "Ausdrücklich" befürworteten die Grünen die Absicht, die Investitionen zu kürzen. Es sei der "Kitt der Koalition" gewesen, viel Geld auszugeben: "Das ist nun alle," so Linnert. Aus Sicht von SPD-Fraktionschef Sieling hat Böhrnsen eine "neue, alternativlose Ausrichtung der Landespolitik" vorgegeben. Hier zeige sich der "Schneid", den Ex-Bürgermeister Hans Koschnick jüngst von der Politik eingefordert habe. Es gehe im weiteren Verlauf der Diskussion nun nicht mehr darum, ob die Richtung stimme, sondern wie die Politik umgesetzt werde. Dieser Lesart mochte sich CDU- Fraktionschef Hartmut Perschau nicht anschließen. Das Rathaus-Papier habe keineswegs den Rang einer "dogmatischen Zwangsmaßnahme, der alle zu folgen haben". Der Senat sei "keine Ich-AG des Bürgermeisters". Aus Sicht von Perschau drängt nun die Zeit, um die Klage vorzubereiten: "Jetzt Dampf machen", lautete sein Appell. Bürgermeister Jens Böhrnsen empfahl, angesichts der Angriffe von außen "über die Erfolge des attraktiven Bundeslandes Bremen zu reden". Die Universität, so ein Beispiel, sei bundesweit unter den ersten Zehn, die Hafenumschlagsanlagen bedeuteten eine wichtige Dienstleistung "für den Exportweltmeister Deutschland". Die "Attacken" gegen Bremen wies er zurück. "Richtig anstrengend" sei die Forderung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, der sich dafür ausspreche, die Hürde zur Änderung der Ländergrenzen zu senken. (Siehe auch nebenstehenden Bericht).

Weser Kurier vom 27.01.2006

"Ruhig ein bisschen mehr Schneid!"

Hans Koschnick über Bremens Rolle im Länderkonzert

Es sieht manchmal so aus, als würde die Luft dünner. In immer kürzeren Abständen fühlen sich Ministerpräsidenten bemüßigt, über eine Neuordnung der Länder laut nachzudenken. Unsere Redakteur Wigbert Gerling sprach mit Ex-Bürgermeister Hans Koschnick über die Position Bremens.

Frage: Jüngst hat Hamburg das Heft in die Hand genommen und spricht offen von einem grenzübergreifenden Schulterschluss mit Schleswig-Holstein. Gerät das Bundesland Bremen da im Verhältnis zu Niedersachsen nicht in die Defensive, in die Position "Kaninchen vor der Schlange"?

Hans Koschnick: Ich bin der Meinung, dass das Prinzip des Föderalismus sowie die geschichtliche Bedeutung gewachsener Länder - und Bremen ist eines von wenigen - viel deutlicher gemacht werden muss. Ganz sicher nicht für das Bundesverfassungsgericht, aber für das Bewusstsein der eigenen Bevölkerung. Bremen hat viel zu bieten, viel zu "verkaufen", aus der Geschichte heraus und auch aus dem, was hier täglich geschieht. Klappern gehört zum Handwerk. Man kann ja ruhig auch ein bisschen Stolz auf Bremen vermitteln.

Müsste die Landesregierung nicht von sich aus entsprechend selbstbewusst auf die Verantwortlichen in Niedersachsen zugehen und damit die Debatte über die Zuschnitte der Länder aktiv angehen?

Sie redet ja mit Ministerpräsident Christian Wulff. Aber es darf nicht bei vertraulichen Gesprächen der Politiker bleiben, das muss auch offensiv und offen sein. Wir sind doch auch auf der EU-Ebene ein anerkannter Partner. Man sollte mutig nach außen auftreten. Ich beobachte zum Beispiel, wie die Handelskammer viel stärker als früher auch öffentlich für Bremen eintritt.

Sind aber nicht sogar zarteste Versuche, mit den Niedersachsen gerade im Umland gemeinsam Politik zu gestalten, meist kläglich daneben gegangen?

Na, ganz so ist es nicht. Aber tatsächlich sind manche Ansätze versandet. Die eingefahrenen Strukturen von Verwaltung sind manchmal zäh. Die Verbindungen haben nicht die Intensität, die notwendig wäre.

Würden Sie bei besagten offensiven und offenen Gesprächen mit Niedersachsen auch einmal die Frage stellen, ob bei einer Länderfusion nicht Bremen statt Hannover die Hauptstadt sein müsste?

Wer so etwas fordert, erweckt den Eindruck, als habe er den Niedergang des Schnapsherstellers Güldenhaus verpasst. Man muss nur auf die Landkarte gucken: Bremen ist nicht im Zentrum, da hat Hamburg geografisch einfach eine bessere Lage. Der Knotenpunkt im Nordwesten kann nur Hannover sein. Bremen ist der richtige Platz für die Raumfahrt und den maritimen Bereich, aber nicht für das Agrarministerium.

Manche propagieren ein Modell wie in den Niederlanden - Hauptstadt Den Haag, Amsterdam die Metropole. Bremen die Hauptstadt und . . .

. . . das sind Träume, so etwas a là Frankfurt und Wiesbaden.

Glauben Sie an eine Bremer Offensive mit politischer Ausstrahlung, an die Renaissance eines Bremen-Gefühls?

Ja. Das klappt aber erst, wenn man selber überzeugt ist, dass die Selbstständigkeit des Landes Sinn macht - auch für die Nachbarn. Und da sage ich: ruhig ein bisschen mehr Schneid! Man muss noch deutlicher machen, was Bremen erreicht hat. Ich erwähne hier als Beispiel die Hafenwirtschaft. Da wurde mit großem Erfolg umstrukturiert. Bremen ist insgesamt in der Wirtschaftskraft stark gewachsen.

Dennoch kommt der Eindruck auf, das politischer Werben um ein gefestigtes Bremen-Bewusstsein habe nicht gerade Hochkonjunktur.

Vielleicht gibt es derzeit eine gewisse Scheu, auch einmal richtig für Bremen zu klappern. Aber das muss sein, das gehört dazu. Und es ist wichtiger denn je.

Wenn man das aktuelle Auftreten der anderen Stadtstaaten Berlin und Hamburg betrachtet - würden Sie für Bremen da eine gewisse politische Kleinmütigkeit diagnostizieren?

Das ist der richtige Begriff. Ich bin gegen die Kleinmütigkeit in unserem Raum.

Weser Kurier vom 25.01.2006

Grüne Anziehungskraft

Ansturm beim Neujahrsempfang - Gedanken über Bremens Selbstständigkeit

Von Bernd Schneider

Die Grünen üben eine größere Anziehungskraft aus, als sie selbst erwartet haben. Das gilt zumindest für ihren Neujahrsempfang gestern in der Kantine des alten Postamts 5 am Hauptbahnhof. "120 Anmeldungen hatten wir", sagte der Landesvorsitzende Dieter Mützelburg. "200 Leute sind gekommen." Folge, so die Abgeordnete Anja Stahmann: "Es gab Beschwerden, dass die Garderobe zu klein war." Viel grüne Polit-Prominenz hatte den Mantel dort abgegeben: die Europa-Abgeordnete Helga Trüpel, die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, die Bremer Fraktionschefin Karoline Linnert, die Bürgerschaftsabgeordneten Karin Mathes, Karin Krusche, Silvia Schön, Matthias Güldner, Jens Crueger und andere. Auch ein SPD-Mantel war vertreten - der von Landeschef Carsten Sieling. "Ich nehme jede Einladung zum Neujahrsempfang an", sagte er. Gern hätte er auch mit dem Koalitionspartner gefeiert. "Aber da war ich nicht eingeladen." Was wird aus den Bundesländern, speziell aus Bremen? Diese Frage bewegte die Grünen gestern mehr als jede andere. Anlass war der Vortrag von Gastrednerin Krista Sager. Die gebürtige Bremerin - bis November Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, heute Fraktionsvize - habe sich immer gewundert über das Auftreten Bremens in der Föderalismus-Kommission, die das Verhältnis zwischen Bund und Ländern neu geordnet hat. Bremen habe stets Seite an Seite mit Bayern argumentiert - und damit Positionen jenes Landes übernommen, das am stärksten auf die Auflösung Bremens als Bundesland drängt. Bremen lasse sich damit auf einen unguten Wettbewerb zwischen den Ländern ein, so Sager. Gemeinsame Standards in Sachen Strafvollzug, Heimunterbringung, Umweltschutz, bei Bildung und Wissenschaft drohten verloren zu gehen. In Sachen Bildung wolle sich der Bund in einem Maße zurückziehen, "das es nirgendwo in der Welt gibt - nicht einmal in den USA". Für Schulabschlüsse und dem Zugang zu Universitäten drohe die gemeinsame Grundlage verloren zu gehen. Und ein Projekt wie die jüngste Vier-Milliarden-Förderung für den Ausbau von Ganztagsschulen sei dann nicht mehr möglich. Zur aktuellen Bremer Politik sagte Mützelburg: Mit seiner jüngsten Grundsatzerklärung zur Bewahrung der Bremer Selbstständigkeit liege SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen richtig. "Es sind Punkte dabei, die wir schon lange fordern." Böhrnsen müsse nun aber viel konkreter werden. Landesvorstandssprecherin Susan Mittregna sagte, man könne dem Bürger nicht immer mehr abverlangen, ohne ihm gleichzeitig mehr Rechte zur Mitbestimmung einzuräumen.

Weser Kurier vom 21.01.2006

Laue Litanei

Kommentar von Wigbert Gerling

Ein schönes Strategiepapier - schön fade. Die lange erwartete Kursbestimmung des neuen Bürgermeisters Jens Böhrnsen (SPD) rüttelt nicht auf - die angesammelten Inhalte eignen sich dann schon eher als medizinisch wertvolle Bettlektüre bei akuten Einschlafproblemen (es sei denn, man ist leidenschaftlicher Fan von finanzwissenschaftlichen Abhandlungen).

Wer sich von Texten nicht gerne fesseln lässt, der kommt auf den 15 Seiten, die der Präsident des Senats gestern schrill dosiert unter die Leute brachte, voll auf seine Kosten. Die ohnehin vertraute Zahlenhuberei hat weiter Hochkonjunktur, bleibt weiter über weite Strecken Politik-Ersatz.

Der Vertrieb dieser lauen Litanei war schon deshalb schrill, weil nur wenige Auserwählte, zu denen zum Beispiel sogar Senatskollegen nicht gehörten, an der Entstehung des Werks teilhaben durften. Eine Nacht- und Nebelaktion. Langsam festigt sich der Eindruck, die Neuen im Rathaus wollten eine alte Tradition aufnehmen. So, wie es in der Ära Klaus Wedemeier zur Mode geworden war - Marke AEG: abschotten, einmauern, geheimniskrämern.

Der Bürgermeister hatte, nicht zuletzt wegen der Personalpolitik, ohnehin einen unglücklichen Start. Holprig ging es los, nun geht es offenbar humpelnd weiter. Das, was nun hochtrabend als Strategiepapier ausgegeben wurde, ist über weite Strecken eine Auflistung von Altbekanntem, sauber aufgeschrieben, übersichtlich in Kapitelchen unterteilt, brav.

Immerhin - das Deckblatt hat das Zeug dazu, Aufmerksamkeit zu erregen und den Verdacht zu nähren, es würden ja doch bloß alte Kamellen verabreicht. Links oben steht "Jens Böhrnsen, Präsident des Senats", korrekt, rechts unten das Datum der Veröffentlichung: "20. Januar 2005". Klar, kleiner Irrtum - aber ein überzeugender.

Weser Kurier vom 21.01.2006

Weniger Investitionen und Gang vors Gericht

Bürgermeister Böhrnsen stellt Strategiepapier vor / Verärgerung hinter den Kulissen

Von Wigbert Gerling

Ungewöhnlich war schon der Ort: Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hatte gestern den Senatssaal im Rathaus ausgewählt, um "Eckpunkte einer Bremer Strategie" zur finanziellen Sicherung des Landes vorzustellen. Demnach sollen die Geldbeträge für Investitionen deutlich verringert werden. Zudem wolle Bremen vor dem Bundesverfassungsgericht eine "Teilentschuldung" erstreiten. Ungewöhnlich waren aber auch die Begleitumstände der Veröffentlichung, mit der Böhrnsen auch die jüngsten Attacken gegen die Selbstständigkeit des Landes kontern wollte. Offizielle Kommentare blieben zwar moderat, hinter den Kulissen aber gab es Kritik von höchstem Schärfegrad. In Koalitionskreisen gab es "stinksaure" Reaktionen, weil der Bürgermeister sein Papier nur in seinem engsten Zirkel abgestimmt, andere Regierungsmitglieder aber erst in letzter Minute eingeweiht hatte. "Er hat wohl schon nach kurzer Amtszeit vergessen, dass der Senat ein Kollegialorgan ist", lautete einer von vielen Kommentaren. Am Mittag hatte Jens Böhrnsen Seite an Seite mit seinem neuen Staatsrat Hubert Schulte sein Konzept erläutert: "Mit Entschlossenheit und Augenmaß die finanzielle Zukunft und die Selbständigkeit für den Stadtstaat Bremen sichern", so die Überschrift zu den dann folgenden 15 Seiten. Der Regierungschef betonte, Bremen sei leistungsfähig, die unbestreitbar "extreme Haushaltsnotlage" nicht selbst verschuldet. Eine Kursbestimmung war seit einiger Zeit erwartet worden, zumal Bremen in Kürze beim Bundesverfassungsgericht vorstellig werden will, um Verbesserungen im bundesweiten System der Finanzverteilung durchzusetzen. Klage in Karlsruhe, eigene Anstrengungen beim Sparen, Verhandlungen mit dem Bund über eine angemessene Finanzausstattung von Stadtstaaten - dieses sollen die drei Säulen der Strategie sein. Das Bundesland hat laut Böhrnsen in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viel für Investitionen ausgegeben, was "notwendig und richtig" gewesen sei. Nun sei die Zeit für einen Kurswechsel: Bremen werde sich an Hamburg orientieren und die Investitionen von 686 Millionen Euro im laufenden Jahr auf 495 Millionen im Jahr 2009 zurückfahren. Böhrnsen gab auch die Losung für den Gang vor das Verfassungsgericht aus. Ziel sei eine Linderung der Schuldenlast - per einmaliger Zahlung oder auf Raten. Die Klärung der Fragen, ob beispielsweise die Steueraufteilung zwischen Land und Umland gerecht sei oder der Bund mehr Geld für die Häfen überweisen müsse, bleibe Verhandlungen mit dem Bund vorbehalten. Das von Böhrnsen "als seine Meinung vorgelegte Papier", so CDU-Bürgermeister Thomas Röwekamp, bestätige im Kern die bisherige Position des Senats. CDU-Fraktionschef Hartmut Perschau erklärte, Böhrnsen habe "keine wesentlichen neuen Fakten" präsentiert, aber eine "erfreulich klare Zusammenfassung" der bekannten Überlegungen. "Kein großer Wurf", lautete das Fazit der grünen Fraktionschefin Karoline Linnert. Die Handelskammer begrüßte es, dass Böhrnsen eine "Gesamtstrategie für eine nachhaltige Stabilisierung" des Haushalts vorgelegt habe.

Weser Kurier vom 21.01.2006

Bundeshilfe: Bremen will Verfassungsgericht anrufen

Bürgermeister Jens Böhrnsen will den Anspruch des Landes festschreiben lassen

DPA

Das Land Bremen will wegen seiner hohen Schulden noch im Februar das Bundesverfassungsgericht anrufen. Das Gericht soll nach den Worten von Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) einen Anspruch des Stadtstaates auf Bundeshilfe feststellen. Die Entscheidung der Verfassungsrichter über eine gleich gelagerte Klage des Landes Berlin wolle Bremen nicht abwarten, sagte Böhrnsen am Freitag. Aus eigener Kraft könne sein Land die finanzielle Notlage nicht beheben.

Als Beitrag zur finanziellen Sanierung werde Bremen den eingeschlagenen Sparkurs forcieren. Das 663 000 Einwohner starke Bremen hat derzeit rund 13 Milliarden Euro Schulden. Etwa ein Achtel des Jahresetats von rund 4 Milliarden Euro muss für Zinsen ausgegeben werden. Diese Last könnte nach den Angaben von Böhrnsen ohne eine Reduzierung der Ausgaben in den kommenden Jahren noch wachsen.

Die so genannte Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist einer der Bausteine in einem umfassenden Sanierungskonzept, das Böhrnsen dem Senat und der Bürgerschaft zur Zustimmung vorlegen will. Bestandteil des Konzepts sind außerdem ein strikter Sparkurs bei den so genannten konsumptiven Ausgaben sowie eine Absenkung der Investitionen des Landes. Sie sollen in den kommenden sechs Jahren schrittweise um insgesamt 38 Prozent verringert werden.

Strategisches Ziel aller Anstrengungen ist nach den Worten des Regierungschefs die Rückgewinnung politischer Handlungsspielräume sowie die Sicherung der Selbstständigkeit des Bundeslandes.

Weser Kurier vom 20.01.2006

Nordwest-Staat mit Bremen als Hauptstadt?

Podiumsdiskussion über die Zukunft des Landes - Nußbaum verteidigt Klage in Karlsruhe

Von Christian Dohle

Der Druck auf Bremen wächst, immer mehr Befürworter einer Länder-Neuregelung melden sich zu Wort. Für Bremen könne das Chance und Risiko zugleich sein, meint Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos): "Wenn man sachlich argumentieren will, kann man den Spieß auch umdrehen. Warum soll es nicht einen Nordwest-Staat mit der Hauptstadt Bremen geben?" Stadtstaat Bremen ohne Zukunft? Das war die Frage, der sich neben Nußbaum auch der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel und der Rechtswissenschaftler Erich Röper im Uni-Gästehaus auf dem Teerhof widmeten - im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Eine Uni für alle". Vor etwa 100 Zuhörern verteidigte Finanzsenator Nußbaum die angekündigte Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, warnte aber auch vor den Risiken. "Bremen hat keine Verbündeten. Denn wir wollen Geld." Deshalb setze der Senat bei der Sanierung des Landes neben der Klage auch auf Verhandlungen mit dem Bund. Bremen strebe vor Gericht nochmals eine Teilentschuldung an, sagte Nußbaum. Eine dauerhafte Lösung der Finanzprobleme aber müsse in politischen Verhandlungen gelöst werden. Bekommt Bremen zum dritten Mal vom Bundesverfassungsgericht finanzielle Hilfe zugesprochen? "Es gibt außerhalb Bremens immer weniger, die den Stadtstaat wollen", sagte Hickel mit Blick auf die Wissenschaft und die Politik, aber er machte auch auf eine positive Haltung des höchsten deutschen Gerichts Hoffnung. "Beim Bundesverfassungsgericht bin ich mir noch nicht sicher", sagte der streitbare Wirtschaftswissenschaftler. Ganz anders Erich Röper. "Ich sehe keine Strategie für die kommende Zeit", griff er den Senat und seine Berater an. Man habe sich keine Verbündeten gesucht, trotz der Finanzhilfe in Höhe von 8,5 Milliarden Euro mehr Schulden als zuvor und gebe das Geld weiter mit vollen Händen aus - beispielsweise für den Concordia-Tunnel, wie Röper ausdrücklich kritisierte. Der Rechtswissenschaftler: "Es gibt einige Senatoren, die im Ausgabeverhalten eingeschränkt werden müssen." Noch mehr Sparen auch bei den Investitionen - das ist deshalb für Nußbaum unausweichlich, um beim Bundesverfassungsgericht überhaupt eine Chance zu haben. Andernfalls, so der Finanzsenator, brauche man gar nicht nach Karlsruhe fahren.

Weser Kurier vom 19.01.2006

Bremer Phalanx gegen Kritiker

Streit um Selbstständigkeit und Länder-Neugliederung

Von Michael Brandt

Die Taktfrequenz wird erhöht. Die Diskussion um Länder-Neuordnung und Selbstständigkeit der Stadtstaaten kocht alle paar Tage hoch. Und weckt in Bremen nach wie vor den spontanen Zorn der Politiker. Jüngst nun fingen sich Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulf (CDU) und erneut der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Schelte aus Bremen ein. Und auch der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel mischt weiter in der Debatte mit. Ministerpräsident Wulff hatte kürzlich in einem Zeitungsinterview erklärt, die gesetzlichen Hürden für eine Zusammenlegung der Länder seien zu hoch. Eine Neugliederung müsse auch ohne Mehrheit bei einer Volksabstimmung möglich sein. Dem widerspricht unter anderem Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD). Die Identifikation der Menschen mit ihrem Land sei kostbarer, als "am Reißbrett entworfene Optimierungsvorschläge von Betriebswirten". Über die Zukunft der Länder müssten laut Grundgesetz letztlich die Bürger selbst entscheiden. Böhrnsen setzt statt auf eine Länder- auf eine Föderalismusreform. Dabei müsse die Finanzverteilung zwischen den Bundesländern angepasst werden. Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) kritisierte die Äußerungen des niedersächsischen Regierungschefs als "Geringschätzung des Bürger- und Wählerwillens". Weber weiter: "Wer die Bedeutung von Volksabstimmungen auszuhöhlen versucht, treibt ein gefährliches Spiel mit der Verfassung." Weber bekennt sich wie Böhrnsen in einer Erklärung zum Prinzip des Föderalismus’.Erneut unbeliebt gemacht hat sich dieser Tage auch Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin. Die jüngsten Äußerungen des Berliners in der "Welt" hat Jens Böhrnsen vor dem Plenum der Handelskammer am Montag als unerträglich und "nächste Etappe seines politischen Amoklaufs" bezeichnet. Sarrazin hatte Bremen aufgrund der Haushaltslage den Anspruch auf weitere Hilfszahlungen vom Bund abgesprochen. Außerdem sagte er, für Bremen und das Saarland wäre es am besten, sie würden in anderen Ländern Aufnahme finden. Böhrnsens Antwort: "Mich ärgert ziemlich, wer da redet und was da geredet wird - denn von Sachkenntnis ist dieses Gerede in aller Regel herzlich wenig getrübt. "Vor dem Hintergrund der Existenzdebatte lenkt Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel von der Bremer Universität in einem aktuellen Manuskript den Blick auf die Region. Die beste Garantie für den Erhalt der Selbstständigkeit sieht er darin, dass Bremen die Regionenbildung grenzübergreifend vorantreibt - mit den Kommunen als gleichberechtigten Partnern. Aus der Sicht Hickels macht eine Auflösung des Landes Bremen und die Schaffung eines Nord- oder Nordweststaates keinen Sinn. Die Nachteile würden auch fiskalisch überwiegen, schreibt er. "Sicher ist, dass die Auflösung des Stadtstaates Bremen zu großen Nachteilen für die Region führen würde."

Weser Kurier vom 18.01.2006

Das kleinste Bundesland als "Kraftquelle des Nordwestens"

Buchvorstellung im Rathaus - Thema: Die Zukunft der Stadtstaaten

Von Wigbert Gerling

Zwölf Verfasser, 235 Seiten, ein Thema: "Die Zukunft der Stadtstaaten". So lautet der Titel eines Buches, das gestern im Rathaus vorgestellt wurde. Bürgermeister Jens Böhrnsen erklärte, in den Texten hätten sich "kluge Köpfe mit unterschiedlichem Zugang" mit der Rolle der Stadtstaaten beschäftigt, mit "Kern- und Schicksalsfragen" des Landes. Die Frage der Selbstständigkeit Bremens habe nicht nur mit Daten und Fakten, sondern auch mit der "Identifikation der Menschen" zu tun und müsse "zum Gespräch in der Stadt" gemacht werden. Bremen habe den Rang einer "Kraftquelle der Nordwestregion". Herausgeber des Buches sind Günter Dannemann, Leiter der Forschungsstelle Finanzpolitik, und Stefan Luft, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bremen. Zu den Autoren gehören unter anderem Ex-Staatsrat Frank Haller, Handelskammerpräses Patrick Wendisch, Ex-SPD-Landeschef Detlev Albers und Dieter Vesper, Finanzexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Die Buchbeiträge gehen zurück auf Vorträge, die die Verfasser im Sommersemester 2005 im Rahmen einer Ringvorlesung in Bremen gehalten hatten. Das Vorwort zu dem Buch hat Finanzsenator Ulrich Nußbaum verfasst. Er betonte, es gehöre zum Reiz des Buches, dass sich die Autoren nicht ausschließlich mit reinen finanzpolitischen Fragen beschäftigt, sondern auch weiterführende Fragen der "Sinnhaftigkeit von Stadtstaaten" behandelt hätten. Der Chef des Finanzressort machte aus seiner Haltung keinen Hehl: "Die Stadtstaaten haben sich nicht überlebt." Stefan Luft verwies in seinen Anmerkungen zum Inhalt unter anderem auf den Beitrag von Rudolf Hickel, der zu dem Schluss komme, dass bei einer Auflösung des Stadtstaates Bremen "die Nachteile gegenüber den Vorteilen auch fiskalisch überwiegen". Verlierer einer Fusion wären nicht nur die beiden Städte Bremen und Bremerhaven, "sondern die gesamte Region". Detlev Albers wiederum habe detaillierte Vorschläge für eine Metropolregion Bremen/Oldenburg beigesteuert. Dannemann plädierte in einem ergänzenden Kommentar zu dem Buch dafür, an der Uni zur "Profilbildung" einen Schwerpunkt Verfassungsrecht zu setzen. Zudem betonte er, dass Bremen bundesweit keineswegs allein mit Finanzsorgen zu kämpfen habe. Er warb für die Selbstständigkeit. Sollte sie verloren gehen, würde Bremen "ein verlängertes Niedersachsen".

Weser Kurier vom 13.01.2006

Vor der Klage erst verhandeln?

Überlegungen von Bürgerschaftspräsident Weber beim Neujahrsempfang

Von Wigbert Gerling

Verhandlungen statt Verhandlung? Ist dies die richtige Reihenfolge beim Bemühen Bremens um Finanzhilfen? Diese Frage hatte Parlamentspräsident Christian Weber gestern beim Neujahrsempfang im Parlament für die Gäste parat. Besucher waren zuhauf ins Haus der Bürgerschaft gekommen. Bürgermeister Jens Böhrnsen war erstmals als Bürgermeister dabei, der Bremerhavener Oberbürgermeister Jörg Schulz war angereist, und auch die Fraktionschefs Karoline Linnert (Grüne), Carsten Sieling (SPD) und Hartmut Perschau waren unter den Gästen. Überdies eine ganze Reihe von Ehemaligen, zum Beispiel Ex-Innensenator Helmut Fröhlich und Ex-Staatsrat Günter Niederbremer. Präsident Weber kommentierte die Vorbereitungen des Senats für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, wo das kleinste Bundesland eine bessere Position im bundesweiten System der Finanzverteilung erstreiten möchte. Die große Koalition in Bremen, die eine erfolgreiche Arbeit für sich reklamiere, setze sich für eine bessere Finanzausstattung zugunsten Bremens ein, so der Präsident. Seine Überlegung: Wäre es nicht "momentan lohnender", vor einem Konfliktkurs mit der Klage zunächst auf Verhandlungen zu setzen, zumal es im Bund inzwischen ebenfalls ein rot-schwarzes Regierungsbündnis gebe? Weber: "Die Alternative ’Konsultation statt Konfrontation’ sollte zumindest noch einmal stärker zum Nachdenken anregen." Eine Klage bliebe dann immer noch als letztes Mittel. Der Parlamentspräsident erinnerte unter anderem auch an die Diskussion um das Akteneinsichtsrecht für Abgeordnete. Es gebe Versuche, dieses "Instrument zu entschärfen". Informationsrechte und Transparenz aber seien für die Kontrollfunktion von Parlamentariern von zentraler Bedeutung. Der Präsident: "Wir sind bereit, über alles zu reden. Ich bin jedoch nicht bereit, die schleichende Aushöhlung von Rechts- und Arbeitsgrundlagen unserer Abgeordneten hinzunehmen." Die Kritik, Abgeordnete würden ihre Rechte missbrauchen und die Geheimhaltungspflicht verletzten, wies Weber zurück. Weber griff auch die Kritik an der Größe des Parlaments auf. Bereits 2001, so betonte er, sei die Zahl der Abgeordneten von 100 auf 83 verringert worden. "Einen weiteren Abbau halte ich für nicht erforderlich, und er wäre auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich."

Weser Kurier vom 11.01.2006

Finanzsenator Nußbaum: Bremen bedarf dringend weiterer Hilfen

Von Wigbert Gerling

Das Land Berlin hat es schon gemacht, das Saarland auch - und Bremen ist drauf und dran, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einzureichen. Auf diesem Weg soll eine bessere Position im bundesweiten System der Finanzverteilung erstritten werden. Dem Verfahren wird politisch ein besonderer Rang eingeräumt: Bürgermeister Jens Böhrnsen hob hervor, dass der Gang nach Karlsruhe "eine der entscheidenden Herausforderungen für die Sicherung der Bremer Selbständigkeit und der Zukunft des Landes" sei. Keine Frage, die Klage in Karlsruhe gilt als Schicksalsfrage für das Bundesland und wird die politische Diskussion 2006 bestimmen.

"Senat beschließt Klage vor dem Bundesverfassungsgericht." Das war am 16. August 2005 die Überschrift zu einer Mitteilung aus dem Rathaus. Das Kabinett bereite einen entsprechenden "Normenkontrollantrag" vor und verfolge damit das Ziel, "den Anspruch der Freien Hansestadt Bremen aufgrund der fortbestehenden extremen Haushaltsnotlage auf weitere Sanierungshilfen und auf eine stadtstaatengemäße aufgabengerechte Finanzausstattung höchstrichterlich feststellen zu lassen".

Finanzsenator Ulrich Nußbaum hatte Anfang September 2005 in einem Brief an den damals noch amtierenden Bundesfinanzminister Hans Eichel deutlich gemacht, wie prekär die Lage in Bremen sei. Die Notlage, so ein Zitat aus seinem Brief nach Berlin, werde sich "auch bei Fortsetzung äußerster Konsolidierungsanstrengungen zukünftig weiter verschlechtern, weil die Zinslasten sehr schnell weiter ansteigen werden." Bremen sei von einer finanzpolitischer "Normallage" weit entfernt und bedürfe "dringend weiterer Hilfen der bundesstaatlichen Solidargemeinschaft".

Vor diesem Hintergrund laufen die Vorbereitungen für die Klage auf Hochtouren. Um die politische Zielsetzung zu unterfüttern, gab das Kabinett fünf wissenschaftliche Gutachten in Auftrag - unter anderem bei dem renommierten Professor Helmut Seitz vom Lehrstuhl für empirische Finanzwissenschaft und Finanzpolitik an der Technischen Universität Dresden. Überdies wurde Johannes Hellermann zum Prozessvertreter bestellt; er gehört zur Fakultät für Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld und hat dort den Lehrstuhl für öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht.

Die Fachleute prüfen unter anderem einen Aspekt, der in der politischen Diskussion immer wieder hervorgehoben wird: werden die finanzschwachen Länder bei der bundesweit gültigen Aufgabenverteilung überfordert? Bremen investiert immer aufs Neue hohe Beträge in die Häfen - von modernen und deshalb konkurrenzfähigen Umschlagsanlagen aber profitiere die gesamte Republik. Gut 110 Millionen Euro habe Bremen allein im vergangenen Jahr für die Häfen ausgegeben, der Bund aber steuere gerade mal gut zehn Millionen bei. Also sollte in Karlsruhe unter anderem ein höherer Zuschuss zu den "Hafenlasten" auf die gerichtliche Tagesordnung kommen.

Ein anderer Argumentationsstrang: Einem Stadtstaat wie Bremen, der als Großstadt und Oberzentrum viele - kostspielige - Einrichtungen auch für die Bevölkerung im Umland vorhalte und finanziere, könnte bei den Finanzzuweisung pro Kopf ein höherer Beitrag gewährt werden ("Einwohnerwertung"). Überdies gehört in der finanzpolitischen Debatte im Vorfeld der Bremer Klage auch das Stichwort "Teilentschuldung" zum festen Repertoire.

Seitz hatte jüngst eine "Kombinationsstrategie" umrissen. Der dazugehörige Dreiklang: Teilentschuldung, um finanzielle "Altlasten" abzubauen, dazu Bemühungen um höhere Einnahmen und "erhebliche Eigenanstrengungen" des Landes bei der Begrenzung der Ausgaben. Anders gesagt: ein harter Sparkurs. Nur bei einem solchen "Zusammenspiel" könne eine langfristige Stabilisierung der Finanzlage erwartet werden. Eine Teilentschuldung alleine, so sein Hinweis, brächte lediglich einen Zeitgewinn - "in zehn Jahren," so der Wissenschaftler, "würde das Land mit hoher Wahrscheinlichkeit aber wieder vor ähnlichen Haushaltsproblemen stehen".

Das kleinste Bundesland hat bereits einschlägige Erfahrungen mit dem Bundesverfassungsgericht. Nach zwei Urteilen der Richter wurden Bremen zwischen 1994 und 2004 Sanierungshilfen in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro zugebilligt.

Die Landesregierung betont, dass die Auflagen, die mit diesen Finanzhilfen verbunden gewesen seien, "in allen Punkten erfüllt" worden seien. Konsequent seien alle Anstrengungen unternommen worden, um die öffentlichen Ausgaben wirksam zu begrenzen. Allerdings hätten sich die Rahmenbedingungen im vergangenen Jahrzehnt ungünstig entwickelt, womit nicht nur Bremen zu kämpfen habe. So seien beispielsweise die Einnahmen über die Steuern "nur mäßig gewachsen" und hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

"Wir müssen," so Bürgermeister Böhrnsen, "unsere guten Gründe und vielfältigen Argumente für einen erneuten Gang nach Karlsruhe jetzt mit Energie und Sachverstand, mit Hochdruck und Sorgfalt zu einer schlüssigen und überzeugenden Klagestrategie ausformulieren und weiterentwickeln."

Weser Kurier vom 02.01.2006

"Bremen-Gegner nehmen zu"

Hickel warnt: Kaum ein Finanzwissenschaftler tritt für Stadtstaaten ein

Von Christian Dohle

Für das Land Bremen wird beim Kampf um den Erhalt der Selbstständigkeit die Luft offenbar dünner. "In der Finanzwissenschaft gibt es kaum noch namhafte Persönlichkeiten, die für den Erhalt der Stadtstaaten votieren", sagt der Bremer Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel. Ausnahme seien allein die Gutachter, die das Land wegen der Vorbereitung der bremischen Verfassungsklage engagiert habe. Und selbst dort seien die Reihen nicht geschlossen auf Pro-Bremen-Kurs. Hickel verweist exemplarisch auf das jüngst vorgelegte Seitz-Gutachten. Der Dresdner Professor nämlich habe im Anhang an seine vom Senat in Auftrag gegebene Stellungnahme dazu aufgefordert, die Neuordnung des Finanzsystems dazu zu nutzen, zumindest optimale Startbedingungen für eine Länderfusion Bremens und Niedersachsens zu schaffen. Hickel: "Die Aufregung war vor allem beim Geldgeber für das Gutachten groß." Zumal, wie Hickel beobachtet hat, sich mittlerweile auch viele Stimmen aus Bremen und Bremerhaven vom Stadtstaat abkehren. Hickel fordert die Politik deshalb auf, weniger Wert auf die finanzpolitischen Folgen einer Länderfusion zu legen. Zwar sei es richtig, dass ein Nordstaat rund 500 Millionen Euro weniger aus dem Länderfinanzausgleich erhalte und deshalb nicht nur Bremen, sondern auch Niedersachsen ein Verlierer einer solchen Fusion sei. Das Argument aber sei in der Debatte wenig hilfreich, meint der Wissenschaftler: "Die reichen Bundesländer wollen ja gerade weniger in den Finanzausgleich einzahlen." Bremen müsse deshalb begründen, weshalb sich das Land im föderalen Bundesstaat lohne, meint Hickel. Beispielsweise durch eine enge, direkte Verknüpfung zwischen der Landesaufgabe Wissenschaft und der kommunalen Aufgabe Wirtschaft. Der Uni-Professor befürwortet die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf finanzielle Hilfe, doch seien die Risiken nicht zu unterschätzen. So könne das Gericht durchaus eine Neugliederung der Ländern fordern. Aus bremischer Sicht wäre das eine Katastrophe.

Weser Kurier vom 31.12.2005

Ursprünglich höhere Abweichungen erwartet

Bürgerschaft verabschiedet zweiten Nachtragshaushalt - Kritik von Grünen und FDP

Von Michael Brandt

Die Bürgerschaft hat gestern mit den Stimmen der Koalition dem zweiten Nachtragshaushalt für 2005 zugestimmt. Heißt: Zum zweiten Mal im laufenden Jahr musste der Haushalt den Realitäten angepasst werden. Anfang des Jahres ist Bremen bereits gezwungen gewesen, einen ersten Nachtragshaushalt aufzustellen, um auf das Ausbleiben der Mittel aus dem Kanzlerbrief zu reagieren. Das aktuelle Paket nun ist bereits im Senat verabredet worden und umfasst Nachbesserungen in Gesamthöhe von knapp 120 Millionen Euro. Das Geld soll zum Teil durch Einsparungen, eigene Erlöse und durch eine Kreditaufnahme in Höhe von 34,5 Millionen Euro erbracht werden. Enthalten sind im Nachtragshaushalt Mehrausgaben der Ressorts, aber auch zahlreiche kleinere Positionen, wie das Defizit beim Rhododendron-Park, mehr Eigenkapital für VHS und Stadtbibliothek oder Sanierungsmittel für das Überseemuseum. Die Koalitions-Finanzpolitiker Cornelia Wiedemeyer (SPD) und Helmut Pflugradt (CDU) verteidigten den zweiten Nachtragshaushalt. Wiedemeyer attestierte, die Ressorts hätten sich in den vergangenen Monaten bemüht, sparsam mit dem Geld umzugehen. Pflugradt unterstrich, dass seit dem Frühjahr durchaus höhere Abweichungen erwartet worden seien. Der CDU-Fraktionsvize griff in seinem Beitrag nicht nur Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin an, sondern auch Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos): "Sie sind nicht in der Rolle des Über-Senators." Laut Pflugradt regiere der Finanzsenator in die Fachressorts hinein. Cornelia Wiedemeyer stellte sich vor Nußbaum. Dieser befinde sich sehr wohl in der Position, Ausgaben daraufhin zu prüfen, ob sie der Verfassung entsprächen. Kritik am Nachtragshaushalt kam von der Opposition. Jan Köhler von den Grünen stellte fest, Bremen hätte es auch mit Kanzlerbrief in diesem Jahr nicht geschafft, einen verfassungskonformen Haushalt vorzulegen. "Handlungsspielräume gibt es nicht mehr." Es sei von Anfang an zu erkennen gewesen, so Köhler weiter, dass die Haushaltsansätze für Sozialleistungen und das Justizressort insgesamt zu niedrig seien. Es sei ferner nicht erkennbar, wie Bremen einen Doppelhaushalt für 2006 und 2007 vorlegen wolle, mit dem man vor Gericht in Karlsruhe überzeugen könne. Auch Willi Wedler (FDP) monierte, dass sich trotz der Lage Bremens in Denken und Handeln nichts geändert habe. "Es wird weiter so agiert, als wäre alles in Ordnung." Wedler mahnte an, der Senat solle das bisherige Ausbleiben des Solidarpakts erklären.

Weser Kurier vom 15.12.2005 

 

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