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Goethe contra Newton

Von Hannelore Schwedes
Westermanns Pädagogische Beiträge, 1975, Seite 63 bis 73

Inhalt

Einführung

 I.    Experiment und Theoriebildung
           Analogien zur Unterrichtssituation

 II.   Der Aspektcharakter naturwissenschaftlicher Weltsicht
       Philosophische Voraussetzungen
           Analogien zur Unterrichtssituation

 III.  Didaktische Perspektive

 Anmerkungen


Es wäre sicher interessant, sich mit Goethes Farbenlehre unter rein historischem Aspekt zu beschäftigen, mit ihrer Stellung im Kontext der zeitgenössischen Naturwissenschaft und in Bezug auf die Optik Newtons. Das ist jedoch nicht das Anliegen dieses Aufsatzes, vielmehr geht es hier in der Darstellung des Streites Goethe gegen Newton um die Erhellung von Haltungen und Einstellungen, die wir in ähnlicher Weise auch bei Schülern im naturwissenschaftlichen Unterricht, speziell im Physikunterricht, beobachten können.

Goethe hat sich etwa zwanzig Jahre seines Lebens mit dem Gebiet der Farbenlehre beschäftigt, ehe er im Jahre 1810 bei Cotta in Tübingen sein in dieser Zeit entstandenes Werk mit den Ergebnissen seiner naturwissenschaftlichen und historischen Studien erscheinen ließ. Das Werk enthielt drei Teile, einen didaktischen Teil mit dem Entwurf der Farbenlehre, einen polemischen Teil als Auseinandersetzung mit der Theorie des Lichts von Newton und einen historischen Teil1.

Nach unserer physikalischen Erkenntnis ist Goethes Theorie der Farben falsch. Wenn man aber einmal Goethes Argumentationen und seine Experimente nachzuvollziehen sucht, wird man überrascht von einer in sich schlüssigen Theorie und ist erstaunt über seine scharfen und genauen Beobachtungen. dass er unrecht hatte, war von ihm kaum zu entscheiden. Er war im Sinne von P. K. Feyerabend2 ein 'braver Empirist', der den Mut hatte, eine alternative Theorie zu erfinden, um Kritik an der bestehenden überhaupt erst zu ermöglichen.

Das Urteil 'Newton hat recht, Goethe hat unrecht' ist Allgemeinurteil, leider auch häufig abschätziges Werturteil. Goethe wird als origineller naturwissenschaftlicher Laie, als Allroundman gesehen. Seine Naturwissenschaft wird zitiert, um ihn als Universalisten zu kennzeichnen. Sie wird als Nebentätigkeit eingeschätzt (wie er sie selbst nie sah!), und dabei wird übersehen, dass Goethes naturwissenschaftliche Arbeiten und Entdeckungen für einen anderen als Lebensleistung ausgereicht hätten. Sie sind zwar für ihn Nebentätigkeiten, aber nichtsdestoweniger will Goethe auch auf diesem Gebiet ganz ernst genommen werden. Er versteht sich nicht als Dilettant.

Goethes Auseinandersetzung mit Newton, die ihren Niederschlag besonders im polemischen Teil von Goethes Farbenlehre3 gefunden hat, scheint uns deshalb interessant, weil wir hier beobachten können, wie zwei Persönlichkeiten aufeinandertreffen, die zwei idealtypische Positionen vertreten. Newton steht für die klassische, 'richtige', uns geläufige, exakte Naturwissenschaft; Goethe dagegen charakterisiert mit seiner Haltung den allgemein gebildeten, philosophisch interessierten, mit Vorurteilen belasteten, emotional engagierten, nicht speziell auf die Naturwissenschaft festgelegten Menschen. In der von Goethe leidenschaftlich geführten Auseinandersetzung mit dem lange verstorbenen Gegner erkennen wir einen typischen Konflikt zwischen dem Nicht-nur-Naturwissenschaftler, dem gebildeten Laien, dem 'normalen' Menschen einerseits und dem Naturwissenschaftler andererseits.

Wenn wir uns Goethes Polemik gegen Newton, die geprägt ist von seiner Persönlichkeit und seinen Denkvoraussetzungen, vor Augen führen, wenn wir uns Goethes Einwände und Vorbehalte, seine Widersprüche und Blockierungen klarmachen, wenn wir aufzeigen, von woher Goethe denkt und wie sich das auf sein Verhalten gegenüber Newtons Optik auswirkt, können wir Verhaltensweisen von Schülern gegenüber dem Physikunterricht und dem Physiklehrer besser verstehen, einordnen und werten. Wir können dann sehen, dass sich in dem Verhalten unserer Schüler, das häufig als Desinteresse, Faulheit, Ablehnung, Unverstand oder mangelnde Begabung beschrieben wird, neben sicher vorhandenen individuellen Mängeln einzelner Schüler ganz allgemeine Einstellungen zur Naturwissenschaft äußern; dass dieses Verhalten also keineswegs eine Ablehnung der Naturwissenschaft an sich beinhaltet, vielmehr, dass sich in ihm eine partielle Unzufriedenheit ausdrückt, und dass sich die Schüler mit ihrem ernstzunehmenden Protest gegen eine bestimmte Art der Vermittlung von Naturwissenschaft und gegen einen bestimmten Anspruch der ihnen begegnenden Naturwissenschaft auflehnen4.


I. Experiment und Theoriebildung

Einstellung zum Beweis durch Experiment

Ein entscheidender Punkt im Widerspruch Goethes gegen Newton ist die unterschiedliche Beurteilung der Aussagekraft von Theorie und Experiment. Newton steht in der Tradition des Empirismus, das heißt, er geht von beobachteten Tatsachen aus, aus denen Verallgemeinerungen gewonnen werden können. Seine 1704 erschienene Optik begann er mit dem Satz:

"Es ist nicht meine Absicht, in diesem Buch die Eigenschaften des Lichtes durch Hypothesen zu erklären, son­dern nur sie anzugeben und durch Rechnung und Experiment zu bestätigen."5

Entsprechend formulierte er in einem Brief an Paradies in Bezug auf die Farbenlehre:

"Ich sehe nicht, wie in irgendeiner Wissenschaft Gewissheit erlangt werden kann, wenn Wahrheit und Realität der Gegenstände sich durch die Möglichkeit von Hypothesen erweisen sollen; denn Hypothesen können in großer Zahl entworfen werden und werden jeweils neue Probleme zu überwinden scheinen"6;

und man könnte fortfahren: nur ein induktives, auf Versuchen aufbauendes Gedankensystem kann Anspruch erheben, eigentliche Erkenntnis zu sein. Gegen diese Methode Newtons schreibt Goethe:

". . . dass sich durch Erfahrungen und Versuche eigentlich nichts beweisen lässt. . . man kann Erfahrungen und Versuche in einer gewissen Ordnung aufführen, man kann eine Erscheinung aus der anderen ableiten, man kann einen gewissen Kreis des Wissens darstellen, man kann seine Anschauungen zur Gewissheit und Vollständigkeit erheben . . . Folgerungen hingegen zieht jeder für sich daraus . . . Alles, was Meinungen über Dinge sind, gehört dem Individuum an, und wir wissen nur zu sehr, dass die Überzeugung nicht von der Einsicht, sondern von dem Willen abhängt; dass niemand etwas begreift, als was ihm gemäß ist und was er deswegen zugeben mag. Im Wissen wie im Handeln entscheidet das Vorurteil alles und das Vorurteil, wie sein Name wohl bezeichnet, ist ein Urteil vor der Untersuchung." (30)7

Goethe setzt an den Anfang einer Untersuchung die Hypothese; er formuliert das, was heute mit Vorverständnis gemeint wird, und in seiner Beschreibung der Beziehung zwischen Theorie und Experiment stimmt er mit den Ergebnissen der neueren wissenschaftstheoretischen Untersuchungen über naturwissenschaftliche Theoriebildung überein8. Goethe empfindet Newtons Vorgehen schlicht als Schwindel:

"dass Newton und seine Schule dasjenige mit Augen zu sehen glauben, was sie in die Phänomene hineintheorisiert haben, das ist es eben, worüber man sich beschwert." (217)

Diese grundsätzliche Einstellung lässt Goethe Newtons Versuchen gegenüber sehr skeptisch sein; zum Beispiel bezweifelt er die Genauigkeit, die Newton für seine Versuche behauptet.

Genauigkeit von Versuchen

Newton hatte einen Pappstreifen, der zur Hälfte rot, zur Hälfte blau war, mit dünnen schwarzen Fäden umwickelt und dieses Objekt mit einer Linse abgebildet. Dabei stellte er fest, dass ein scharfes Bild der Fäden auf der blauen Hälfte näher an der Linse lag als das scharfe Bild der Fäden auf der roten Hälfte. Goethe, der diesen Versuch wiederholte, meinte nun, dieser Unterschied sei gar nicht feststellbar. Die Messungenauigkeit für die Ortsangabe des schärfsten Bildes sei größer als der von Newton angegebene und interpretierte Lageunterschied von blauem und rotem Bild9.

Was für Newton Bestätigung und Beweis seiner Theorie war, ist für Goethe nicht überzeugend. Goethe interpretiert eher qualitativ als quantitativ. So diffamiert er Newtons Befund als den Versuch, mit ihm ein Vorurteil zu bestätigen und formuliert: Wir müssen die Befunde für eine "bloß mit den Augen des Geistes gesehene Erscheinung halten und angeben". (76)

Miniexperimente

Ebenso, wie Goethe kleinen Messdifferenzen misstraut, empfindet er Misstrauen gegen minutiöse Versuchsanordnungen.

Zu Newtons Versuchen, in denen durch einen Spalt ein schmales Lichtbündel erzeugt wird, bemerkt er:

"Und warum soll denn diese Ritze so schmal sein? Bloß damit man nicht sehe, was eigentlich vorgeht und was getrieben wird." (341)
 

"Warum war die Öffnung so klein? Doch nur, dass die Beobachtung schwerer und jeder Unterschied un­merklicher wäre." (255)

Die Papierstückchen, die Newton ins Licht einzelner Spektralfarben hält und beobachtet, kommentiert er:

"Was soll nun wieder dieses winzige Scheibchen?. . . Doch freilich sind wir mit winzigen Öffnungen . . . zu operieren gewohnt; warum nicht auch mit Papierschnitzeln!" (263)

Wahrnehmung der Sinne ist mehr als jede Messung

Goethe insistiert darauf, die Welt aufgrund seiner sinnlichen Erfahrungen zu erleben und zu interpre­tieren. Sie sind das primäre; Messungen haben höchstens ergänzenden Charakter. "Wir haben schon bei Gelegenheit der physiologischen Farben dasjenige, was man sonst Augentäuschungen zu nennen pflegt, als Tätigkeiten des gesunden und richtig wirkenden Auges gerettet und wir kommen hier abermals in den Fall, zu Ehren unserer Sinne und zur Bestätigung ihrer Zuverlässigkeit einiges auszuführen."10 Er sagt, durch Messungen könne man allerhand beweisen und versuchen, alles mögliche glaubhaft zu machen. "Eigentlich aber ist es (gemeint ist die Versuchsanordnung) nur darauf angelegt, das ganze den Sinnen zu entziehen!" (368) Er wehrt sich gegen Newtons Vergleich des siebenfarbigen Spektrums mit den sieben Tönen der Tonleiter und schreibt in diesem Zusammenhang: ". . . der Irrtum, dass diese Farben unter sich ein feststehendes Maßverhältnis haben, wird zugleich mit eingeführt und gewinnt durch Messungen und Berechnungen ein ernsthaftes und sicheres Ansehen." (463)

Das heißt: 'Messungen' und 'Berechnungen' sind nicht Grundlage von Erkenntnis, sondern Tricks, Falsches glaubhaft zu machen.

Das Theorie-Praxis-Verhältnis

Goethe geht aus von alltäglichen Beobachtungen, er argumentiert mit den Sinnen. Newton macht Laborexperimente, er argumentiert mit Messungen. Goethe wehrt sich von seinem anderen Ansatz aus gegen die weltfremde Physik Newtons. Er wirft ihm vor, die Praxis, die Erfahrung, sogar das alltägliche Erleben seiner Theorie unterzuordnen. Goethe hat ein starkes Argument auf seiner Seite:

"Hieraus (aus der unterschiedlichen Brechung der im weißen Licht enthaltenen Farben) leitet er (Newton) nun zum Behuf der Praxis, wie er glaubt, unwiderleglich ab: dass die dioptrischen Fernröhren nicht zu verbessern seien. Die dioptrischen Fernröhren sind aber verbessert worden und nur wenige Menschen haben sogleich rückwärts geschlos­sen, dass eben deshalb die Theorie (Newtons) falsch sein müsse . . ." (236)

Das ist für Goethe der beste Beweis: etwas, das von der physikalischen Theorie her unverständlich und unmöglich erscheint, geht in der Praxis doch! Also ist das Primäre die Praxis, auf die man sich beziehen muss.

Goethe weiß aus Erfahrung, dass man sowohl mit dem Auge als auch durch Linsen scharfe Bilder von mehrfarbigen Gegenständen erhalten kann. Von diesem Wissen aus macht er sich lustig über Newtons Theorie, die für verschiedene Farben die größte Bildschärfe an unterschiedlichen Orten vorhersagt: farbige Gegenstände müssten uns ja "durchaus verworren erscheinen, wenn sich die Sache wirklich so verhielte". (77) Geradezu empörend findet Goethe es, wie sich Newton bei den Experimenten über die Mischung der Spektralfarben über den Augenschein, die Praxis, hinwegsetzt und aufgrund seiner vorgefertigten Theorien das bei der Mischung entstehende Grau zu Weiß erklärt.

"Nur wünschte ich, dass die sämtlichen Newtonianer dergleichen (graue) Leibwäsche tragen müssten, damit man sie an diesem Abzeichen von anderen vernünftigen Leuten unterscheiden könnte." (572)

Nur ein Experiment wird interpretiert

Goethe experimentiert auch. Aber er macht eine große Anzahl ähnlicher Experimente und bringt in seiner Darstellung viele unterschiedliche Beispiele, um ein Phänomen zu erhellen.

"Wir haben diesen Apparat der Vorbilder, um zur Gewissheit zu gelangen, bis ins Überflüssige vervielfältigt . . . Newton sucht dagegen seinen Schüler immer nur an gewissen Bedingungen festzuhalten, weil veränderte Bedingungen seiner Meinung nicht günstig sind." (74)

Hinter dieser Verdächtigung steht ein allgemeineres Problem der Begriffsbildung. Goethe gehört zu denen, die sehr viele gleichartige Erfahrungen sammeln müssen, um daraus Einsichten und Verallgemeinerungen abzuleiten, um Begriffsbildungen zu vollziehen. Er kann nicht so denken wie Newton, der mit relativ wenigen Erfahrungen Abstraktionen vollzieht und dann versucht, seine Hypothesen in einzelnen neuen Situationen zu überprüfen. Goethe braucht die Variation von wesentlichen und unwesentlichen Variablen.

Störende Nebeneffekte

Die Diskussion von Randbedingungen, Nebeneffekten und Einwänden gehört für Goethe essentiell zur Auseinandersetzung mit einer Theorie. Wer Nebeneffekte nicht diskutiert, ist unredlich; wer sie verhüllt, versteckt, hat etwas zu verbergen (vgl. z. B. [120] oder [423] bis [444]). Völlig unverständlich ist ihm die Autoritätsgläubigkeit der Newtonschüler, die Versuchsbedingungen nicht mehr hinterfragbar macht und unerwünschte Nebeneffekte als "Dreckeffekte" ignorieren lässt.

"Der Meister (Newton) nämlich kannte recht gut die Umstände, welche seiner Lehre widerstrebten. Er verschwieg sie nicht, er verhüllte, er versteckte sie nur; doch erwähnt war derselben.
 

Brachte man nun nachher den Newtoniänern einen solchen Umstand als der Lehre widerstreitend vor, so versicherten sie: der Meister habe das alles schon gewusst, aber nicht darauf geachtet, seine Theorie immerfort für gegründet und unumstößlich gehalten; und so müssten denn wohl diese Dinge von keiner Bedeutung sein." (211)


Analogien zur Unterrichtssituation

Die bisher geschilderte Auseinandersetzung Goethes mit Newton spiegelt typische Situationen unseres Physikunterrichts wider. Dazu einige Beispiele. Im Unterricht wird ein Experiment in der Regel zum Aufbau und zur Bestätigung einer Theorie benutzt und fast nie zur Falsifikation einer Hypothese. Das Experiment ist die Instanz, die sagt, richtig oder falsch, obwohl viel für die Auffassung Poppers spricht, dass Hypothesen durch Experimente zwar falsifiziert, nicht aber bestätigt werden können. Als Lehrer formulieren wir jedoch häufig: "Das Experiment hat bewiesen, hat uns gezeigt, so ist es." Die Brownsche Molekularbewegung, zum Beispiel das Zittern einiger Milchtröpfchen im Wasser, im Mikroskop beobachtet, "beweist" die Existenz der Moleküle, der Millikan-Versuch "beweist" die Existenz der Elementarladung, die Elektrolyse wässriger Schwefelsäure "beweist" die Zusammensetzung des Wassers aus Wasserstoff und Sauerstoff im Verhältnis 2:111. Welche Diskrepanz zu Goethes Einschät­zung der Beweiskraft von Experimenten!

Zentrale Methode unseres Physikunterrichts ist die Begegnung mit Experimenten. Zu bestimmten Phänomenen, Gesetzen usw. suchen wir nach dem besten Experiment für den Unterricht: nach einem oder einigen wenigen Experimenten, die den Sachverhalt am reinsten und klarsten zeigen. Sie sollen den Schülern Einsichten vermitteln, indem sie interpretiert werden und Grundlage der Theoriebildung darstellen. Vorausgesetzt ist dabei immer, dass unsere Schüler in gleicher Weise wie wir denken, in gleicher Weise wie wir schlussfolgern, sich auf den gleichen qualitativen und quantitativen Umgang mit dem Experiment und seinem Ergebnis einlassen wie wir. Diese Erwartung ist jedoch falsch.

Viele Versuche, die wir Schülern zeigen, sind nicht so sonnenklar, wie sie uns scheinen. Wir machen uns nur meist nicht bewusst, wie viel Vorwissen wir für die Darstellung und Erklärung eines Experimentes bereits mitbringen, wie festgelegt wir durch unser naturwissenschaftliches Denkgebäude sind. dass weißes Licht sich aus verschiedenfarbigem Licht zusammensetzt, ist uns - wie viele andere naturwissenschaftliche Erkenntnisse - so selbstverständlich geworden, dass uns andere Vorstellungen gar nicht erst in den Sinn kommen und dass wir Zweifel daran nicht recht ernst nehmen.

Wir sind enttäuscht, wenn unsere Schüler von der Beweiskraft unserer Experimente und ihrer 'richtigen' Interpretation nicht fasziniert oder doch wenigstens überzeugt sind.

Immer wieder werden wir überrascht von den Denkstrukturen unserer Schüler, sofern wir sie überhaupt zutage fördern und kennenlernen. Die oft 'falschen' Erklärungsweisen unserer Schüler verblüffen uns häufig, scheinen uns absurd oder dumm. Wir müssen uns jedoch klarmachen: Wer schon eine Theorie hat, ist geneigt, Experimente und Messungen als Bestätigung für seine Theorie zu verwenden, sie als Beweis zu nehmen. Wer dagegen wie unsere Schüler diese Theorie erst lernen soll, hat berechtigte Zweifel an solchen Experimenten und ihrer Überzeugungskraft. Diese Zweifel werden für den verstärkt, der dann noch mit Experimenten konfrontiert wird, die von ihrer Anlage her einen Schwindel vermuten lassen. Nach der These von B. Boldt12, der zuerst das Kuhnsche Konzept der Paradigmaverschiebung auf die Analyse der Entwicklung kindlicher Theoriebildungen über Naturvorgänge anwendete, setzt das Lernen des modernen Paradigmas zunächst die Auseinandersetzung mit dem alten voraus, wenn man vermeiden will, dass es als Störzentrum erhalten bleibt. In ähnlicher Weise beschreibt T. S. Kuhn die Situation an den Universitäten. Die Darstellung der Physik in wissenschaftlichen Lehrbüchern charakterisiert er beispielsweise folgendermaßen:

"Teils durch Auslese und teils durch Verzerrung werden die Wissenschaftler früherer Zeitalter ausdrücklich so dargestellt, als hätten sie nach der gleichen Reihe fixierter Probleme und in Übereinstimmung mit der gleichen Reihe fixierter Kanons gearbeitet, welchen die letzte Revolution in der wissenschaftlichen Theorie und Methode den Stempel der Wissenschaftlichkeit aufgeprägt hat, d. h. die heute als gültig anerkannt sind. Verschwiegen wird die Existenz wissenschaftlicher Revolutionen, verschwiegen wird die Existenz anderer oder gar alternativer als der zur Zeit gültigen Theorien."13

Diese Eingleisigkeit bei der Ausbildung des wissen­schaftlichen Nachwuchses in Physik wie in anderen Wissenschaften ist leider auch in der Schule übernommen worden. Dagegen gilt, was Feyerabend so formuliert:

"Wo man zur spekulativen und freien Entfaltung von Alternativen ermutigt, dort werden brillante und unterhaltsame Gedanken in großer Zahl erfunden . . ."14

und er fordert: Wir brauchen Gedankenfreiheit in Bezug auf das dogmatische Gebäude der Wissenschaft,

"wenn unser Wissen angenehm, unterhaltsam und menschlich bleiben soll"15.

Wenn wir als Lehrer in einem Experiment auf der Genauigkeit einer Messung insistieren und aus signifikanten, aber kleinen Messunterschieden weitreichende Schlussfolgerungen ziehen wollen, weigern sich unsere Schüler, zu folgen. Wir wollen sie zu genauem Messen und Beobachten erziehen; sie erklären sich eine Messdifferenz vielleicht eher durch Zufall oder durch Messungenauigkeiten. Wir führen Miniexperimente durch, einerseits weil die technische Entwicklung generell auf die Verkleinerung der Formate drängt, andererseits weil etwa durch eine Projektion an die Wand wieder ein großes Bild sichtbar gemacht werden kann. Unsere Schüler aber empfinden Unbehagen, sie haben das Gefühl, selbst nicht nachprüfen zu können, gar getäuscht zu werden; sie sollen die Beschreibung eines anderen übernehmen.

Im Physikunterricht wird die Voraussetzung gemacht, dass die Sinne uns täuschen können und dass es daher besser ist, sich auf Messinstrumente zu verlassen, zum Beispiel bei der Temperaturmessung; dass Messinstrumente genauer messen als unsere Sinne; dass wir für manche Phänomene wie etwa den elektrischen Strom gar kein Sinnesorgan haben. Dennoch bleibt unsere Grundhaltung, unsere spontane Reaktion: Das habe ich mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört, selbst gerochen, selbst gespürt. Wir erfahren die Welt mit unseren Sinnen, die Sinne helfen uns, uns in ihr zurechtzufinden. Daher reagieren unsere Schüler auf die Reduzierung sinnlicher Wahrnehmung und die Relativierung ihrer Richtigkeit mit Abwehr: sie wollen sich Sicherheiten nicht wegnehmen lassen. Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, wollen wir glauben dürfen, wollen wir für real und verlässlich ansehen. Auf derselben Ebene liegt die Hochschätzung der Praxis über jede Theorie. Schüler halten alles für möglich. Eine Begrenzung des Möglichen durch die (abgeleitete und durch Experimente bewiesene) Theorie gibt es für sie nicht.

Die Auswahl gerade des einen besonderen Versuches ist für den Unterrichtenden begründet; der Schüler aber kann das Urteil, dass dies der wichtigste und beste Versuch ist, selbst nicht nachvollziehen, da er andere ähnliche Versuche nicht kennt und die Entscheidung der Auswahl nicht beurteilen konnte. Die Empfindung bleibt, dass es durchaus noch andere Versuche geben könnte, die etwas anderes oder das genaue Gegenteil beweisen. Auf das Bestreben des Naturwissenschaftlers, ein Phänomen so klar und durchsichtig, gleichzeitig aber auch so kurz wie möglich darzustellen, reagieren die Schüler mit dem Gefühl, dass ein Versuch überinterpretiert wird. Sie gehen auf innere Distanz; die Interpretation mag ja richtig sein, überzeugt sind sie nicht.

Dasselbe gilt auch für die Beurteilung, was an einem Versuch wichtig und interpretationswürdig ist. Der Lehrer teilt mit, was bedeutsam und was als notwendiges Beiwerk oder als störende Nebeneffekte anzusehen sei. Sobald diese Wertungen aber nicht selbst nachvollzogen werden können, sobald Nebenwege nicht selbst gegangen werden dürfen, entsteht der Eindruck der Willkür, das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden. Die Autoritätsforderung, der nicht sachlich entgegengetreten werden kann, die aber auch nicht als notwendig einsichtig wird, führt zur Abwehr.


II. Der Aspektcharakter naturwissenschaftlicher Weltsicht / Philosophische Voraussetzungen

Goethes Widerspruch gegen Newton wird durch eine alternative Theorie bestimmt, die ihrerseits wieder in einer anderen Haltung zum Leben und zur Welt begründet ist. Dieser Unterschied wird von Goethe selbst sehr deutlich herausgestellt in seiner Charakterisierung Newtons im historischen Teil der Farbenlehre. Goethe stellt die wechselvollen politischen Ereignisse zur Zeit Newtons dar und fährt dann fort:

"Wie muss nicht durch eine solche Zeit ein jeder sich angeregt, sich aufgefordert fühlen! Was muss das aber für ein eigener Mann sein, den seine Geburt, seine Fähigkeiten zu mancherlei Anspruch berechtigen und der alles ablehnt und ruhig seinem von Natur eingepflanzten Forscherberuf folgt!"16

Newton wird beschrieben als ein Mensch mit Scheuklappen, der sich um nichts als um seine Physik kümmert. Die gleichen Scheuklappen muss man sich - nach Goethe - auch anlegen, wenn man sich mit Newtons Theorie beschäftigen will:

"Greift die Sache an wie ich; geht auf meinem Wege; richtet alles ein, wie ichs eingerichtet habe; seht wie ich, schließt wie ich, und so werdet ihr finden, was ich gefunden habe: alles andere ist vom Übel. Was sollen hundert Experimente, wenn zwei oder drei meine Theorie auf das beste begründen? Dieser Behandlungsart, diesem unbiegsamen Charakter ist eigentlich die Lehre ihr ganzes Glück schuldig."17

Goethe kreidet Newton an, dass er den gesamten Bereich der subjektiven Farb-Eindrücke vernachlässigt, den er breit dargestellt hat:

". . . er wird sie dadurch auf einmal los, dass er sie der Einbildungskraft zuschreibt." (596)

Gegen diese eingeengte Betrachtungsweise des Naturwissenschaftlers Newton protestiert Goethe; er empfindet sie als unangemessen, sie entwürdigt für ihn die Phänomene und trifft nicht ihre ganze Breite im Erfahrungs- und Erlebnisbereich. Er empfindet Newtons Physik als Einengung und Verarmung: "Doch immer dreht er sich nur in einem engen Kreise und stellt seinen kümmerlichen Hausrat bald so, bald so zurechte." (188)

Licht, Einengung des Lichtes

So ist zum Beispiel das Licht - das zentrale Phänomen der Farbenlehre - für Goethe auch während seiner naturwissenschaftlichen Untersuchungen sehr viel mehr als ein beliebiger Untersuchungsgegen­stand. Es behält für ihn alle affektiven Komponenten und Wertungen. Das untersuchte Licht ist Sonnenlicht, ist 'Urlicht' (82), es wird als ein 'Wesen' bezeichnet (27), es wird in die Nähe des Göttlichen gestellt18, die Farben werden als "Taten und Leiden"19 des Lichts bezeichnet usw.; den Bedingungen, die beim Experimentieren aus dem weißen Licht farbige Erscheinungen hervorbringen, gesteht er "Wert und Würde" (20) zu. Von daher wird verständlich, dass Goethe Newtons Versuche nicht neutraldistanziert beschreiben kann:

"Man gebe doch acht, auf welch rohe Weise Newton sein weißes Licht zusammenkrämpeln und filzen will." (519) "Er gibt den brechenden Mitteln allerlei Formen, den Raum, in dem er operiert, richtet er auf mannigfaltige Weise ein, er beschränkt das Licht durch kleine Öffnungen, durch winzige Spalten, und bringt es auf hunderterlei Art in die Enge." (18)

und Newtons Ergebnis beschreibt er protestierend so:

". . . Newton . . . schließt daraus, . . . dass alle Farben der Körper eigentlich nur integrierende Teile des Lichtes seien, welche auf mancherlei Weise aus dem Licht herausgezwängt, geängstigt, geschieden und sodann wohl auch wieder gemischt worden." (595)

Verhältnis zur Natur

Das Licht hat diese besondere Qualität als ein Stück Natur. Wer sich ihr mit eingeengtem Blickfeld unangemessen nähert, vergewaltigt sie. Für Goethe spannt Newton die Natur auf die Folter,

"um sie zu dem Bekenntnis dessen zu nötigen, was er schon vorher bei sich festgesetzt hatte. Allein die Natur gleicht einer standhaften und edelmütigen Person, welche selbst unter allen Qualen bei der Wahrheit verharrt." (114)

Goethe sieht sich selbst als Ritter, der sich der "gekränkten Unschuld" der Natur annimmt. Naturwissenschaftler wie Newton aber verhalten sich ihr gegenüber wie "Inquisitoren", sie können nur Halbwahrheiten hervorbringen. Es wäre besser gewesen, "wenn er der Natur die Ehre erzeigt" (500) hätte. Stattdessen verstellt Newton die Sicht der Natur: seine Lehre "ist nur ein Wortkram, mit dem sich deshalb so gut kramen lässt, weil man vor lauter Kram die Natur nicht mehr sieht." (635)

Dinge mit menschlichen Eigenschaften belegen

In den angeführten Zitaten werden den Größen 'Licht' und 'Natur' menschliche Eigenschaften und Empfindungen zugeschrieben. dasselbe macht Goethe in vielen anderen Zusammenhängen: Strahlen "eilen vor" (88), "der violette Saum geht aber immer seiner Wege fort" (92), die farbigen Ränder "drängen sich immer inniger zusammen" (103); auch humorvolle Beschreibungen kommen vor:

"Denn wenn es der roten Grenze beliebte, deutlich zu werden, so hätte die blaue keine Lust, und wenn diese sich endlich bequemte, so wäre es jener nicht gelegen." (80)

Diese Ausdrucksweise ist mehr als dichterische Ausschmückung; sie bezeichnet das emotionale Verhältnis zu Größen wie 'Licht' und 'Natur'. Sie dokumentiert die Breite des Erlebens und Empfindens, die für ihn beim Experimentieren nicht ausgeschlossen ist.

Allergie gegen Fremdwörter, Mathematik, die Sprache der Physik

Dem entspricht Goethes Anspruch an die Darstellung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Er moniert bereits am ersten Satz Newtons "jene captiöse Methode" der Darstellung (24); er stößt sich am ersten Fremdwort "Refrangibilität - Wie springt doch auf einmal dieses abstrakte Wort hervor!" (26) Diese Kritik ist mehr als eine formale Kritik, es ist zugleich Kritik an der Arbeitsmethode, an der von Newton verkörperten naturwissenschaftlichen Art, sich bestimmten Phänomenen zu nähern. So weist Goethe der Mathematik zur Beschreibung der Natur nur einen sehr eingeschränkten Geltungsbereich zu, denn die Sprache der Mathematik engt ein und begrenzt die sprachlichen Möglichkeiten, die Goethe doch so vortrefflich beherrschte.

Das Leben, das hinter allem steckt, fangen wir mit Formeln nicht ein, ja wir geraten in Gefahr es beim Hantieren mit ihnen zu vergessen.

"Könnte man ... in einer mannigfaltigen Sprache seine Betrachtungen über Naturphänomene überliefern, hielte man sich von Einseitigkeit frei und fasste einen lebendigen Sinn in einen lebendigen Ausdruck, so ließe sich manches Erfreuliche mitteilen."20
 

"Jedoch wie schwer ist es, das Zeichen nicht an die Stelle der Sache zu setzen, das Wesen immer lebendig vor sich zu haben und es nicht durch das Wort zu töten."21

Und dies gilt nicht nur für die mathematischen Formeln, sondern in gleicher Weise für Fremdwörter und die naturwissenschaftliche Fachsprache und Terminologie.

Philosophische Voraussetzungen

Der Widerspruch Goethes gegen Newton gründet sich letztlich auf Denkvoraussetzungen, die auf einer unterschiedlichen philosophischen Betrachtungsweise der Welt beruhen. Goethe denkt von einem dualistischen Weltbild aus, beeinflusst vom Neuplatonismus und der Renaissance- und Aufklärungsphilosophie. Sein Denken ist geprägt von solchen Gegensätzen wie Tod - Leben, Leib - Seele, Geist - Materie, gut - böse, Licht - Finsternis. Die Wirklichkeit ist in Polaritäten gespalten, ihre Pole sind nicht aufeinander zurückführbar. Diese Gegensatzpaare liefern eine Gesamtanschauung, die die Widersprüche in der dem Menschen begegnenden Wirklichkeit zu verstehen sucht, nämlich als Ergebnis des Widerstreites zweier das Dasein beherrschender bzw. ihm innewohnender Mächtigkeiten. Diese Polarität meint Goethe in allen Naturphänomenen zu finden.

"Treue Beobachter der Natur, wenn sie auch sonst noch so verschieden denken, werden doch darin miteinander übereinkommen, dass alles, was erscheinen, was uns als ein Phänomen begegnen solle, müsse entweder eine ursprüngliche Entzweiung, die einer Vereinigung fähig ist, oder eine ursprüngliche Einheit, die zur Entzweiung gelangen könne, andeuten und sich auf eine solche Weise darstellen. Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole, die ewige Synkrisis und Diakrisis, das Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben und sind."22

Goethe betrachtet es als sein Verdienst, den Begriff der Polarität in die Farbenlehre eingeführt zu haben,

"das schöne Kapitel der Farbenlehre aus seiner atomistischen Beschränktheit und Abgesondertheit, in die es bisher verwiesen, dem allgemeinen dynamischen Flusse des Lebens und Wirkens"

wiedergegeben zu haben23.

Die dualistische Sichtweite in Bezug auf die Farbenlehre beschreibt Goethe folgendermaßen:

"Wir sehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der anderen die Finsternis, das Dunkle, wir bringen Trübe zwischen beide, und aus diesen Gegensätzen, mit Hülfe gedachter Vermittlung, entwickeln sich, gleichfalls in einem Gegensatz, die Farben, deuten aber alsbald durch einen Wechselbezug unmittelbar auf ein gemeinsames wieder zurück."24

Wie man ein anderes als ein dualistisches Weltbild haben könnte, ist ihm völlig unverständlich.

"Wem es nicht zu Kopf will, dass Geist und Materie, Seele und Körper . . . die notwendigen Doppelingredienzien des Universums waren, sind und sein werden, die beide zusammen wohl als Stellvertreter Gottes angesehen werden können, - der hätte das Denken längst aufgeben sollen."25

Soviel Dummheit traut Goethe selbst Newton, der mit seiner Optik in der Tradition des Monismus steht, nicht zu:

"Seine Lehre hat nur den Schein, dass sie monadisch oder unitarisch sei. Er legt in seine Einheit schon die Mannigfaltigkeit, die er herausbringen will, welche wir aber viel besser aus der eingestandenen Dualität zu entwickeln und zu konstruieren glauben." (22)

Goethes Ausgangsthese - durch das Zusammenwirken von Licht und Finsternis entstehen die Farben - ist in Einklang mit seinem ganzen Weltbild. Seine Naturwissenschaft und seine Philosophie bilden eine Einheit. Newtons Optik, die sich streng auf dem Boden des Empirismus bewegt, ist in Goethes philosophisches Gebäude nicht zu integrieren.

Dem Empiristen Newton sind Theorien, die teilweise hypothetisch oder metaphysisch angelegt sind, zumindest suspekt. Nur ein induktives Gedankensystem, das von beobachtbaren Tatsachen ausgeht und durch Verallgemeinerung fortschreitet, kann Anspruch erheben, eigentliche Erkenntnis zu sein. Aber wie könnte Goethe sich mit der reinen Erfahrung begnügen und auf eine Metaphysik verzichten? Denn Goethes Erkenntnisinteresse ist es doch zu erkennen, "was die Welt im Innersten zusammenhält".


Analogien zur Unterrichtssituation

Wenn wir Schülerverhalten beobachten und zu interpretieren suchen, so ist leicht zu erkennen, dass sich der Protest unserer Schüler gegen den Physikunterricht nicht nur auf das Experimentieren und dessen Auswertung bezieht, sondern dass er auch einer unbefriedigten Situation entspringt bzw. Ausdruck enttäuschter Erwartungen ist.

Auch das Weltbild unserer Schüler ist dualistisch bestimmt, sie denken in dualistischen Kategorien, so wie sie in unserer Sprache vorgeprägt sind. Finsternis ist ebenso Realität wie Licht, Kälte ebenso wie Wärme. Sind nicht die Schwierigkeiten, die Schüler bei physikalischen Begriffsbildungen haben - wenn sie beispielsweise Hitze als viel, Kälte als wenig Wärmemenge begreifen sollen oder wenn sie Bremsen als negative Beschleunigung sehen sollen - letztlich in ihrer dualistischen Sichtweise der Welt begründet?

Ebenso wie Goethe haben die Schüler eine emotionale Einstellung zu Phänomenen wie zum Beispiel dem Licht. Auch für Schüler wird es assoziiert mit Helligkeit, Freude, Glück; es ist seinem Wesen nach verschwenderisch, wie könnte es da zusammengesetzt sein wie ein Puzzlespiel, das man nach Belieben in seine Teile zerlegen und wieder zusammensetzen kann.

Dieses emotionale Vorverständnis hat F. Dessauer in seinem Newton-Buch sehr gut in der Gestalt des Newton-Schülers beschrieben, der, zum ersten Mal mit Newtons Ergebnissen konfrontiert, sagt:

"Das kann man nicht verstehen. Wie denn! - Licht, das von der Sonne kommt - oder von dem Stern da oben, der ja wohl auch eine Art von Sonne sein soll - ist doch nicht ein Ding, das man in Teile zerlegen kann und wieder zusammensetzen, wie - ja, wie der Schneider ein Kleid, der Wagner ein Rad - das ist doch das Einheitlichste, was es gibt. Wenn ich daherreite im Sonnenaufgang, morgen früh mit Dir, dann kommt die Flut von Licht und Wärme hier zur Linken auf uns zu, wir sehen und fühlen, wie es uns entgegenstrahlt, alle Dinge erwärmt und erhellt, so wird der Tag, und das soll 'zusammengesetzt' sein, 'zerlegbar'?"26

Empfindungen kommen im naturwissenschaftlichen Unterricht zu kurz, auf die subjektiven Reaktionen, Interpretationen und Erlebnisse gegenüber Phänomenen wird keine Rücksicht genommen27. Insgesamt erscheint die Welt der Physik als eine verarmte Welt. "Physikalische Optik beschränkt sich selbst auf das, was von Licht und Farbe einem Blindgeborenen mitgeteilt werden kann."28

Diese Verarmung der Welt drückt sich besonders in der 'verkümmerten' Sprache der Physik aus. Alles, was Leben hat, wird ausgeschieden. Schüler lernen die Fachsprache, sie soll ihnen eine genaue und exakte Beschreibung der physikalischen Sachverhalte ermöglichen; gleichzeitig wird eine solche Beschreibung dadurch langweilig, abstrakt und leblos. So wie Goethe merken die Schüler, dass die Sprache ihre Entfaltungsmöglichkeiten einengt, dass sie durch die starren Schemata für die Beschreibung von Experimenten immer nur auf eine Sichtweise hin ausgerichtet werden. Die Nüchternheit der Sprache, zu der die Schüler gezwungen werden, empfinden sie als übergestülpt. Animistische Beschreibungsweisen werden als Relikt mythischer Vorstellungen verworfen und nicht als eine Art lebendiger Darstellungsweise gewertet. Dieser Animismus aber zeigt "ein uraltes Bedürfnis der Menschheit . . . Solche Sprachweise wie aus Gespensterfurcht autoritär verscheuchen zu wollen, wäre töricht . . . Animistische Rede ist teilnehmende Rede"29.

Die Schwierigkeiten und Gefahren, die mit dem abrupten, traditionslosen Einführen der Fachsprache verbunden sind und die dadurch entstehen, dass die Ausdrucksweise der Schüler, die ihrem Denken entspricht, nicht aufgenommen wird, hat Wagenschein30 in seinem Aufsatz "Naturwissenschaftliche Bildung und Sprachverlust" beschrieben31. Der Zwang zur Exaktheit lässt die Schüler die Lust am Formulieren verlieren; exakte, in der Fachsprache formulierte Sätze - ich denke zum Beispiel an die so beliebten Merksätze - schaffen eine Kluft zwischen dem Phänomen und dem formulierten Text, lassen den Schüler einen Satz auswendig lernen, der für sie kaum noch einen Bezug zum erlebten Phänomen hat. Der Lebenspuls geht verloren.

Schüler wehren sich gegen den asketischen Charakter der Naturwissenschaften und der Naturwissenschaftler. Deren Weltfremdheit ist ihnen suspekt. Beschäftigung mit Naturwissenschaft scheint zu Weltfremdheit zu verführen und das Desinteresse am bunten Leben zu fördern. So, wie es Goethe unverständlich ist, dass Newton sich als kräftiger, gesunder Mann nicht an der Politik seiner Zeit beteiligt und versucht, Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen, so verstehen auch die Schüler nicht, dass sie sich auf den naturwissenschaftlichen Bereich zurückziehen sollen - und sei es nur für einige Stunden. Sie sehen nicht ein, dass sie sich mit den Interessen des 'Naturwissenschaftlers' identifizieren sollen, dass sie sich verhalten sollen, wie es etwa dem folgenden Goethe-Zitat entspricht:

"So soll den ächten Botaniker weder die Schönheit noch die Nutzbarkeit der Pflanzen rühren, er soll ihre Bildung, ihr Verhältnis zu den übrigen Pflanzenreichen untersuchen."32

Schüler haben andere Erkenntnisinteressen als Naturwissenschaftler. Ihre Situation charakterisiert Goethe im Zusammenhang mit dem letzten Zitat auf folgende Weise:

"Sobald der Mensch die Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in Bezug auf sich selbst und mit Recht. Denn es hängt sein ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder missfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nutzen oder schaden."33

Schüler haben also Erkenntnisinteresse an allem, was Bezug zur menschlichen Existenz hat. Sie wollen sich selbst und ihre eigene Situation deuten, sie stellen die Sinnfrage34.

Darüber hinaus haben die meisten Schüler Fragen, die in den Bereich der Metaphysik fallen. Aber auch hier erhalten die Schüler im allgemeinen keine befriedigende Antwort. F. Dessauer stellt dies in seinem oben zitierten Newton-Buch dar35. Er schildert sehr anschaulich den Schüler, der nach dem Wesen des Lichtes fragt, der auf dieser Frage insistiert, weil dies das Eigentliche ist, das ihn interessiert; und er setzt dagegen Newton, der derartige 'Spekulationen' nach dem Wesen des Lichtes zurückweist, weil man sie experimentell nicht überprüfen kann, der sagt, über das Wesen des Lichtes weiß man nichts und kann man nichts wissen.

Die Situation wird noch dadurch erschwert, dass Naturwissenschaftler Versprechungen machen, die ihre Wissenschaft nicht einlösen kann, nämlich Welterkenntnis und Weltdeutung zu liefern, die Welt in ihrer Gesamtheit zu interpretieren. Die gewiss großartigen Erfolge der naturwissenschaftlichen Methode und die Sehnsucht nach einer einheitlichen Sichtweise der Welt führen zu dieser Hochstapelei. Die Physik ist eine Enklave, die nur zu leicht für die Welt gehalten wird. Naturwissenschaftliches Denken und Vorgehen stellt jedoch nur einen Aspekt möglicher Weltbetrachtung dar, der allerdings häufig der Gefahr nicht entgeht, verabsolutiert zu werden. Die Einsicht, dass Wissenschaft nicht "die" Wahrheit verwaltet, hat sich noch nicht durchgesetzt, obwohl sie von anerkannten Naturwissenschaftlern wie zum Beispiel J. B. Conant ausgesprochen wurde, oder wie S. Thiel36 es formulierte:

"Wissenschaftliche Ergebnisse können nicht als Elemente einer universalen Ontologie oder als Ersatz einer Metaphysik gedeutet werden."

Es bleibt dabei durchaus die Frage offen, ob wir nun deshalb als Lehrer im naturwissenschaftlichen Unterricht auf jede Art von Metaphysik verzichten sollen oder nicht gerade das Thema der Weltdeutung mit aufnehmen müssen. Denn einerseits betrifft dies wichtige Interessen unserer Schüler, andererseits begäben wir uns der Möglichkeit, den Stellenwert der Naturwissenschaften, ihre Möglichkeiten und Grenzen, deutlich zu machen.

Die Analyse von Science-fiction-Literatur, die bei Schülern hoch im Kurs steht, wäre in dieser Hinsicht ein lohnendes Thema.

Dabei könnte und müsste auch die Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode in anderen wissenschaftlichen Disziplinen und in weiten Bereichen unserer politisch-sozialen Umwelt aufgezeigt und mit deutlichen Fragezeichen versehen werden.


III. Didaktische Perspektive

Wir haben versucht, die Auseinandersetzung Goethes mit Newtons Optik als Paradigma für die Ausein­andersetzung unserer Schüler mit dem Physikunterricht darzustellen. Goethes Haltung, insbesondere seine emotionale Haltung zur Naturwissenschaft, stand dabei im Vordergrund. Denn als Naturwissenschaftlern scheint uns die Haltung Newtons und seine Sicht der Physik hinreichend bekannt und vertraut. Auch glauben wir, dass die Mehrzahl unserer Schüler in ihrer Einstellung zur Naturwissenschaft mit der Haltung Goethes identifiziert werden muss. Leider resultiert aus den Protesten und Abwehrreaktionen unserer Schüler keine so brillant formulierte Polemik. Abgesehen davon, dass unsere Schüler aufgrund ihrer naturwissenschaftlichen Kenntnisse keine ihnen gemäße Gegentheorie aufstellen können, so wie Goethe es vermochte, fehlt es ihnen auch am nötigen sprachlichen Ausdrucksvermögen. Dazu kommt, dass wir als Lehrer der Naturwissenschaften meist ein gestörtes Verhältnis zur Polemik haben. Polemik verträgt sich nicht mit dem Postulat von der Wertfreiheit der Naturwissenschaften. Ihnen angepasst scheint nur eine möglichst sachliche und emotionslose Gegenüberstellung und Abwägung der Argumente. Goethe hält sich jedoch nicht an eine solche Vorschrift, sondern er bringt seine ganze Person in diesen Streit ein und scheut selbst vor persönlichen Angriffen gegen Newton nicht zurück. Unsere Schüler jedoch fühlen sich, noch ehe sie ihren Widerspruch überhaupt formulieren können, der im allgemeinen sachlich, emotional und wertend zugleich sein wird, dem Anspruch ausgesetzt, dass bei der Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Problemen nur "sachliche" Argumente angebracht seien. Dies alles führt dazu, dass die Unmutsäußerungen unsere Schüler viel diffuser und unbestimmter, häufig nonverbal sind. "Wie langweilig", "so ein Unsinn", "das ist mir zu hoch", "Biologie ist viel interessanter", "das kann ich mir nicht vorstellen"; die Wasserhähne des Physiksaales zum Wasserspritzen missbrauchen oder Versuchsgeräte zweckentfremdet für unterhaltsamere Spiele benutzen, Stören im Unterricht, abschalten, auch totales Desinteresse, alle diese Schüleräußerungen können Ausprägungen dieses Unmuts sein. Es geht darum, Verständnis für diese Haltung unserer Schüler zu entwickeln. Denn als Physiklehrer sind wir nicht berufen, uns nur für den Nachwuchs an Technikern, Ingenieuren und Physikern zu engagieren, sondern für alle37; und noch immer gibt es die Kluft zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern, die Wagenschein in ihrer Wirkung als Sprachbarriere folgendermaßen beschreibt:

"Deshalb wohl erscheint diese Fachsprache dem Laien wie eine kalte und stachelige Barriere, aufgebaut vor der Natur. Umgekehrt empfindet der Physiker die Umgangssprache als nebulöse Hindernisse. Es ist dieselbe Barriere von zwei verschiedenen Seiten gesehen."38

Es ist diese Barriere, die auch zu der unterschiedlichen Einschätzung von Polemik führt.

C. P. Snow prägte in diesem Zusammenhang den Slogan von den "zwei Kulturen"; er formuliert:

"Literarisch Gebildete auf der einen Seite - auf der anderen Naturwissenschaftler, als deren repräsentativste Gruppe die Physiker gelten. Zwischen beiden eine Kluft gegenseitigen Nichtverstehens. Manchmal - und zwar vor allem bei der jungen Generation - Feindseligkeit und Antipathie, in erster Linie mangelndes Verständnis. Man hat ein seltsam verzerrtes Bild voneinander. Selbst im Bereich der Gefühle ist die Einstellung so grundverschieden, dass sich nur schwer eine gemeinsame Basis findet."39

An diesem gegenseitigen Nichtverstehen sind wir als Physiklehrer nicht unschuldig, denn wir haben es bislang noch nicht als unsere Aufgabe im Physikunterricht empfunden, bis hinunter in den Bereich der Gefühle und Einstellungen eine gemeinsame Basis zu finden und zu gründen.

Drücken wir es im Bild der Kluft aus: Als Lehrer sollen wir nicht mit Lockrufen und Versprechungen operieren, die Schüler dazu animieren, den Sprung über die Kluft zu wagen und Jünger der Physik zu werden. Wir sollten auch nicht enttäuscht sein über Schüler, die vielleicht interessiert über die Kluft hinüber schauen, aber den Sprung nicht wagen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, Brücken zu bauen, Brücken, die tragfähig für unsere Emotionen sind, Brücken, auf denen man bequem hin- und herspazieren kann, ohne vergessen zu müssen, wie es auf der jeweils anderen Seite aussieht.


Anmerkungen

1 Goethe entwirft in diesem Werk eine Theorie der Farben, die von dem Gegensatzpaar Licht und Finsternis ausgeht. Farben entstehen aus dem Zusammenwirken von Licht und Finsternis durch die Ver­mittlung eines 'trüben' Mediums. Dieses 'trübe' Medium kann ein wirklich trüb erscheinender Stoff sein - wie Luft, Rauch etc. - oder ein durchsichtiger - wie etwa Glas. So entstehen die dioptrischen Farben 1. Klasse bzw. 2. Klasse (= Spektralfarben).
Farben sind 'Halblichter' oder 'Halbschatten'; wenn man sie alle zusammenmischt, ergibt sich grau, die Mischung von schwarz und weiß, von Licht und Finsternis.
Die 'Trübung' vor dem Hellen ergibt die Farbe Gelb, die 'Trübung' vor dem Dunklen die Farbe Blau; deren direkte Mischung ergibt Grün. Gelb wird 'verdichtet' zu Gelbrot, Blau zu Blaurot. Eine 'Vereinigung' dieser beiden Rot ergibt Purpur. Die Sonne erscheint - durch die 'Trübung' der Luft - Gelb, bei starker 'Trübung' auch Rot; der Himmel als 'Trübung' vor der Finsternis' Blau. Das Prisma - ein 'trübes' Medium - vermittelt ebenfalls das Zusammenwirken von Licht und Finsternis. Es verschiebt z. B. das Bild eines kleinen weißen Quadrates auf einer schwarzen Unterlage; das so entstehende verschobene Bild ist ein 'getrübtes' Nebenbild, "wo der voreilende Saum des trüben Nebenbildes sich vom Dunkeln über das Helle zieht, erscheint das Gelbe; umgekehrt wo eine helle Grenze über die dunkle Umgebung hinaustritt, erscheint das Blaue". Zitiert nach: Johann Wolfgang von Goethe, Zur Farbenlehre, didaktischer Teil. dtv-Gesamtausgabe 1963, Bd. 40, S. 67, Paragraph 239.

2 P. K. Feyerabend, Wie wird man ein braver Empirist? Ein Aufruf zur Toleranz in der Erkenntnistheorie. In: Lorenz Krüger (Hrsg.), Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften. Kiepenheuer und Witsch 1970, S. 303 - 335, spez. 325 f.

3 Am leichtesten ist uns die dtv-Ausgabe von Goethes Farbenlehre zugänglich (1963 erschienen). Allerdings erlebt man bei dieser Aus­gabe eine bittere Enttäuschung: Der Mittelteil des Werks - der polemische Teil, der uns in Bezug auf unser Thema besonders interessiert - fehlt vollständig. Der Herausgeber begründet diese Auslassung damit, Goethe habe hier voreingenommen meist sinnlose Rügen ausgeteilt, die er besser gelassen hätte.
Man kann nur vermuten, dass verschiedene Gründe zu dieser Auslassung geführt haben: eine grundsätzliche Angst vor scharfer Polemik; die Auffassung, in naturwissenschaftlichen Diskussionen habe Polemik keinen Platz, weil nur sachlich, nicht auch emotional, zu argumentieren sei; schließlich der Versuch, die (scheinbare) Blamage des großen Goethe nicht noch durch einen erneuten Nachdruck offenkundig zu machen.

4 Einen ähnlichen Ansatz macht auch Theodor Litt in seinem Buch 'Naturwissenschaft und Menschenbildung', Quelle und Meyer, Heidelberg, 3. Auflage 1959 in dem Kapitel 'Goethes Naturanschauung und die exakte Naturwissenschaft' S. 133 - 167, wenn er S. 134 schreibt: ". . . spürt man deutlich, dass hier nicht eine wissenschaftliche Theorie wider die andere steht, sondern ein ganzer Mensch sich gegen eine als Lebensbedrohung empfundene Gegenmacht zur Wehr setzt. Wenn es gerade ein Goethe ist, der so leidenschaftlich Widerstand leistet, dann ist der Frage nicht auszuweichen, wie es zu dieser Ablehnung kommen konnte und in wie weit die bestrittene Geistesmacht (die Naturwissenschaft) Eigentümlichkeiten aufweist, die diese Gegenwehr berechtigt erscheinen lassen."
Insgesamt geht es Litt jedoch nicht um eine Beschreibung typischer Haltungen gegenüber den Naturwissenschaften, sondern um eine Standortbestimmung beider Betrachtungsweisen und die Zerlegung der ihnen eigenen Grenzen, aus der dann auch die Beilegung des Konflikts erwachsen soll.

5 lsaac Newton, Optics. Dover Publications, Inc. 1952, s. 1. My Design in this Book is not to explain the Properties of Light by Hypothesis, but to propose and prove them by Reason and Experi­ments.

6 J. B. Cohen (Hrsg.), Isaac Newtons Papers and Letters on Natural Philosophie Cambridge, Mass. 1958, S. 106.

7 J. W. v. Goethe, Die Schriften zur Naturwissenschaft, herausgegeben im Auftrag der Deutschen Akademie der Naturforscher der Leopoldina. Band 5, Zur Farbenlehre, polemischer Teil, bearbeitet von R. Matthaei. Hermann Bohlhaus Nachf., Weimar 1958, S. 12. Die Zahl (30) in der runden Klammer bezeichnet den entsprechenden Paragraphen im polemischen Teil.
Alle folgenden Goethe-Zitate aus dem polemischen Teil entstammen der obigen Ausgabe und werden mit der betreffenden Paragraphen-Nummer (Zahl in runder Klammer) gekennzeichnet.

8 Ganz ähnlich formulierte vor kurzem der Wissenschaftstheoretiker P. K. Feyerabend, a. a. O., S. 326: "dass weder Tatsachen noch abstrakte Vorstellungen zur endgültigen Legitimation von Ideen hin­reichen, sondern dass diese Legitimation nur durch einen willkürlichen Entschluss herbeigeführt werden kann. Wenn aber Erfahrungstatsachen eine solche Funktion zu übernehmen scheinen, dann steckt dahinter ein einfacher Schwindel . . ." 
Über die Rolle von Vorurteilen in der Wissenschaft vergleiche auch: Galina Wutschetitsch, Die Emotionen der Wissenschaftler. In: Bild der Wissenschaft, 10 (1973), S. 646 - 654.

9 Vgl. den Anfang von Paragraph (76) des polemischen Teils.

10 J. W. v. Goethe, Farbenlehre, didaktischer Teil, dtv 40, a. a. O., S. 53, Paragraph 180.

11 Dies ist sogar eine bewusste, didaktisch motivierte Täuschung der Schüler. Sie kommt dann heraus, wenn es einem Schüler einfällt, dass destilliertes Wasser den Strom gar nicht leitet.

12 W. B. Boldt, Application of Thomas S. Kuhn's View of Science to Science Teaching: An Exploratory Study. A Paper presented to the Forty-Second Annual Meeting of the Nat. Ass. for Res. in Sc. Teaching. Pasadena, Calif., Feb., 6-9, 1969.

13 T. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Suhrkamp 1967, S. 1S3.

14 P. K. Feyerabend, a. a. O., S. 325.

15 P. K. Feyerabend, a. a. O., S. 304.

16 J. W. v. Goethe, Geschichte der Farbenlehre, zweiter Teil, dtv-Gesamtausgabe, Band 42 (dtv 42). München 1963, S. 58.

17 J. W. v. Goethe, dtv 42, a. a. O., S. 59.

18 J. W. v. Goethe, dtv 40, .a. a. O., S. 14.

19 J. W. v. Goethe, dtv 40, a. a. O., S. 5.

20 J. W. v. Goethe, dtv 40, a. a. O.. S. 166, Paragraph 753.

21 J. W. v. Goethe, dtv 40, a. a. O., S. 166, Paragraph 754.

22 J. W. v. Goethe, dtv 40, a. a. O., S. 162, Paragraph 739.

23 J. W. v. Goethe, dtv 40, a. a. O., S. 164, Paragraph 746.

24 J. W. v. Goethe, dtv 40, a. a. O., S. 54, Paragraph 175.

25 J. W. v. Goethe, Brief an Knebel. Zitiert nach RGG, Bd. 2, 3. Aufl. J. C. B. Mohr, Tübingen 1958, Spalte 1668 f.

26 F. Dessauer, Weltfahrt der Erkenntnis, Leben und Werk Isaac Newtons. Rascher Verlag, Zürich 1945, S. 46 f.

27 Vgl. zur Frage der mangelnden Berücksichtigung der emotionalen Bedürfnisse von Schülern im Physikunterricht: H. Schwedes, Die Rolle der Affektivität im Physikunterricht. In: WPB, 25 (1973), S. 606 - 609. Vgl. auch "Affektive Erziehung im Physikunterricht?!"

28 M. Wagenschein, Naturwissenschaftliche Bildung und Sprachverlust. In: Neue Sammlung, 11 (1971), S. 504.

29 M. Wagenschein, a. a. O., S. 505.

30 M. Wagenschein, a. a. O.

31 Im Unterschied zu Wagenschein ist für mich die Wertschätzung animistischer Redeweise nicht darin begründet, dass sie das intellektuelle Denken vorbereitet und erleichtert, sondern dass animistische Rede komplexes Denken ermöglicht wegen der in ihr enthaltenen Koppelung affektiver und kognitiver Gehalte.

32 J. W. v. Goethe, Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt. 1793. Sämtliche Werke, Jubiläums-Ausgabe Cotta, Bd. 39, S. 15.

33 Vgl. z. B. W. Jung, Beiträge zur Didaktik der Physik. (Diesterweg) Frankfurt/M. 1970, S. 8: "Interesse erregte, was für den Menschen interessant schien, was Bezug hatte auf die menschliche Existenz. Hierher gehören die Science-Fiction berührenden Probleme der Relativitätstheorie (Zeitparadox, Zeit-Reise u. ä.) oder die mit der Atombombe zusammenhängenden Fragen."

34 W. Jung a. a. O.

35 F. Dessauer, a. a. O.

36 S. Thiel, Abschied von den Schulfächern? Fernziele - Schulfächer - Wissenschaftstheorie. In: WPB 23 (1971), S. 130.
Es wäre in der Tat begrüßenswert, wenn jeder Physiklehrer wirklich verstanden und akzeptiert hätte, dass Physik nur eine der möglichen "einsinnigen Zugriffsformen" (Thiel) zur Welterkenntnis ist. Ob das Problem für die Schüler allerdings dadurch gelöst wird, dass man ihnen dieses Unvermögen der physikalischen Betrachtungsweise bewusstmacht, wage ich zu bezweifeln. Auch das gleichzeitige Nebeneinanderstellen mehrerer Zugriffsweisen hilft nicht viel weiter, denn wie soll der Schüler das integrieren, was wir kaum zu leisten vermögen.

37 Dabei ist es durchaus fraglich, ob es im Sinne der späteren Techniker, Ingenieure oder Physiker sein kann, den Unterricht auf eine rein fachwissenschaftliche Basis zu stellen; denn nach allem was man bisher über die Sozialisationswirkungen des naturwissenschaftlichen Unterrichts weiß, ist es gerade die Ausrichtung an der universitären Fachwissenschaft mit ihren Normen, an der Ideologie der Wertfreiheit, der Zweckrationalität und der Leistungsgesellschaft, die die bei Naturwissenschaftlern festgestellten Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensdispositionen - wie Schwierigkeiten im Umgang mit der eigenen Subjektivität, mit eigenen Emotionen, Bedürfnissen und Interessen, geringe Kontaktneigung, Ausweichen vor Konflikten, geringes politisches Engagement - verstärken. (Veronika Reiß - unveröffentlichtes Manuskript); - vgl. auch H. Schwedes, Affektivität im Physikunterricht? In: WPB, 25 (1973) 11, S. 606, besonders S. 609, Anmerkung 9.

38 M. Wagenschein, a. a. O., S. 498.

39 C. P. Snow, Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissen­schaftliche Intelligenz. Versuche 10, Klett, Stuttgart 1967, S. 12.

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