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Amerikas Kreuzzüge

Von Claus Kleber

Bertelsmann, Seiten 53-57 und 263-265

... Selbst wenn man Bush blinden Eifer unterstellen wollte, was mit Sicherheit falsch wäre: Dieses Volk wird auch ein "born-again Christian", der wie sechzig Prozent aller Amerikaner an Wunder glaubt, nicht in einen Religionskrieg führen.

Die Werte, für die Amerika bereit ist zu kämpfen, sind andere. An ihnen ist nichts transzendent. Ihr Kanon ist zunächst ein Katalog amerikanischer Selbstverständlichkeiten. Dazu gehören die "unveräußerlichen Rechte" der Unabhängigkeitserklärung: Freiheit, physische, aber auch die auf Meinungsäußerung und auf jede Religion, und als neuere Ergänzung des alten Gleichheitsgrundsatzes auch die Gleichberechtigung der Geschlechter. Über allem spannt sich der Glaube an die ewige Überlegenheit von Demokratie und Marktwirtschaft. Seit dem Fall des Sowjetimperiums gilt das den meisten Amerikanern nicht mehr als Glaube, sondern als bewiesene Tatsache.

Daraus wird eine sehr hoffnungsvolle Perspektive, wenn man bereit ist, gedanklich einen Schritt weiter zu gehen. Nach amerikanischer Überzeugung muss die Welt nach diesen Grundsätzen friedlich werden, weil zwischen offenen, demokratischen Gesellschaften Konflikte immer friedlich gelöst werden. Die Menschen lassen angesichts der Schrecken des modernen Krieges (über die ja dann auch frei berichtet wird) nichts anderes zu. Francis Fukuyama und Michael Doyle haben für diese These einen Über- und Unterbau konstruiert, über den nachzudenken sich lohnt. Sie formulierten damit die außenpolitischen Grundüberzeugungen der so genannten "Neokonservativen", der NeoCons. Jesus Christus kommt da nirgendwo vor. Tom Friedman, abgeklärter Chefkorrespondent der New York Times, hat den Gedanken deshalb auf eine sehr diesseitige Formel gebracht: "Zwei Staaten, in denen es McDonald's gibt, führen keine Kriege gegeneinander." Bis jetzt hält der Satz empirischer Nachprüfung stand. Liberale Demokratien haben zwar häufig Kriege geführt, aber niemals gegen ihresgleichen. Irgendwann wird Friedmans Aussage allerdings schon wegen des rapiden Wachstums der Fastfoodkette an ihre Grenzen stoßen.

Obwohl der Überzeugung der Neokonservativen alles Transzendente fehlt, hat sie einen missionarischen Motor, konstruiert nach der simplen Logik: Wenn eine solche Ordnung Frieden garantiert, kann eine Weltmacht nur dann in Frieden leben, wenn es ihr gelingt, die ganze Welt so zu organisieren. Zu Ende gedacht lässt sich diese Sicht in dem Satz zusammenfassen: "Was gut ist für Amerika, muss auch gut sein für die Welt."

Wer dieses Konzept als Glauben bezeichnet, kann im Weekly Standard das zugehörige Wochenbrevier sehen. Das schlanke Blatt ist das Zentralorgan der neokonservativen Glaubensgemeinschaft. "Die Auflage ist klein, fünfundfünfzigtausend Stück, aber es will gar nicht die großen, ungewaschenen Massen ansprechen. Der Standard ist inzwischen wahrscheinlich die einflussreichste Zeitschrift der USA", sagte der Medienprofessor Eric Alterman ausgerechnet der New York Times, die sich doch bisher selbst als die einflussreichste Publikation des Landes gesehen hatte. "Der Standard spricht für die Macht und zu den Mächtigen. Wer wissen will, was diese Regierung denkt, muss ihn lesen."

William Kristol, der Gründer und Chefredakteur des Standard, wirkt trotz seiner fünfzig Jahre jungenhaft unkompliziert. In den Redaktionsräumen herrscht die chaotisch-unkomplizierte Atmosphäre, die einem Blatt gut steht, das einst als Stimme der konservativen Revolution begann. Bill Kristol war Stabschef von Dan Quayle, dem aus vielen guten Gründen in Vergessenheit geratenen Vizepräsidenten von George Bush senior. Damals schon hielt er das Banner der neokonservativen Ideologie hoch, aber er und sein Mentor Quayle konnten sich gegen das Establishment der grauen, weisen Männer von Außenminister James Baker über Generalstabschef Colin Powell bis zu Sicherheitsberater General Brent Scowcroft nicht durchsetzen.

Als Clinton die Konservativen - neo und alt - aus dem Weißen Haus vertrieb, hatte der dynamische junge Intellektuelle Kristol keine Lust, in einen der Washingtoner "Think Tanks" zu flüchten. Er gründete seinen eigenen: das "Project for a New American Century", das von Anfang an amerikanische Militäraktionen rund um den Globus zur Verbreitung amerikanischer Werte forderte. Und er startete seine Zeitschrift. Die Artikel in dem Blatt widersprachen klassischer konservativer Auffassung, die Amerikas Engagement in der Welt eher herunterschrauben wollte. Bush führte auf dieser Basis noch seinen Wahlkampf, er war sicher kein Leser des Standard. Damals schrieben dort machtlose Ehemalige. Sie hießen unter anderem Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz und Perle. Der Standard ist für sie bis heute Mitteilungsblatt und Pflichtlektüre. Jeden Montagmorgen lässt der Vizepräsident dreißig druckfrische Exemplare aus der Redaktion holen, damit er und sein Stab nicht bis zur regulären Auslieferung am Dienstag warten müssen.

In der Residenz des zweitmächtigsten Mannes werden sie nicht mit jedem Artikel einverstanden sein, aber die Richtung stimmt. Chefredakteur Kristol schaut mit der gleichen Herablassung auf Europa, die auch aus Äußerungen von Donald Rumsfeld und anderen spricht. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, als er mir seine Weltsicht erklärt: "Nehmen Sie den Einsatz von Gewalt. Das ist so ein Punkt, bei dem Bush mehr als seine Vorgänger die traditionelle amerikanische Sicht vertritt. Manch eine europäische Regierung - die deutsche ist so eine -denkt da ganz besonders europäisch. Sie glauben eben, dass man die Welt durch die Vereinten Nationen regieren kann. Wir nicht. Die Welt besteht aus Nationalstaaten mit widerstreitenden Interessen, und da wird militärische Macht weiter eine große Rolle spielen."

Dem hätten auch Präsidenten wie Woodrow Wilson, Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy und Bill Clinton nicht widersprochen, und doch griffen sie nicht so bereitwillig nach Amerikas Waffenarsenal. William Kristol reicht das noch nicht:

"Ich wünschte, wir hätten die Macht, Nordkorea seine Atomwaffen aus der Hand zu schlagen. Ich wünschte, wir könnten das verkommene Mullahregime in Teheran beseitigen, das sein Volk unterdrückt. Mir machen die Grenzen der amerikanischen Macht viel größere Sorgen als ihre Exzesse. Wir haben auf dem Balkan zu lange gezögert, wir haben uns aus Ruanda herausgehalten, wir haben Osama Bin Laden zu lange laufen lassen, und wir hätten uns viel früher um Saddam Hussein kümmern sollen. In den letzten dreizehn Jahren sind mehr Menschen wegen unserer Zurückhaltung gestorben als wegen unserer Aktionen. Wir hätten der Welt viel Leid ersparen können."

Es ist nicht das erste Mal, dass sich eine solche Mischung aus amerikanischem Selbstvertrauen, Glauben an die Überlegenheit der eigenen Idee und einem Schuss religiösen Sendungsbewusstseins so über andere erhebt.

In den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts folgte amerikanische Politik der Losung des Journalisten John O'Sullivan, der für Amerika eine offenkundige göttliche Bestimmung sah, den Kontinent für Demokratie und Kapitalismus zu erobern. Unter dem Banner dieser "Manifest Destiny" wurden gegen Mexiko Kriege um Texas und Kalifornien geführt und die Vernichtungsfeldzüge gegen die verbliebenen Stämme der Ureinwohner gerechtfertigt. James Monroe reklamierte 1823 mit der nach ihm benannten Doktrin den gesamten Doppelkontinent von Alaska bis Feuerland als exklusive US-Einflusssphäre. Damals konnte Amerika noch glauben, dass die beiden Ozeane im Osten und im Westen eine Abgrenzung zum Rest der Welt erlauben. Diese Epoche ist vorbei. Nur weltweiter Anspruch sichert heute noch eine Domäne. Deshalb ist nicht Terror die wahre Herausforderung - das ist nur eine besonders schmutzige Art, Kriege zu führen. Das wahre Gegner der amerikanischen Idee - die wir in Europa ja prinzipiell teilen - ist das Konzept des fundamentalistischen Islam. Beide erheben Anspruch auf universale Geltung in einer Welt, die keine Grenzen mehr kennt. Der Konflikt war wohl unvermeidbar. Er bekam auch auf amerikanischer Seite eine fast religiöse Dimension, weil am 11. September 2001 in Washington ein Präsident aus dem Herzen der Vereinigten Staaten im Amt war. Ein Herz, das viel konservativer und religiöser ist, als wir Europäer wahrhaben wollen.

...

Die unentbehrliche Nation

Die alten Damen im Diner von Coleman/Texas, von denen am Anfang dieses Buches die Rede war, sind sich einig mit ihrem Präsidenten und seinen Ministern: Amerika ist die unentbehrliche Nation, "the indispensable nation". Madeleine Albright hat den Ausdruck als Außenministerin geprägt. Damals ging es um US-Engagements in Afrika und auf dem Balkan, aber die Realität, die hinter dem Begriff steht, reicht über Albrights Amtszeit hinaus. Und sie hat praktische Konsequenzen.

Als sich Marokko und Spanien im Juli 2002 um die Petersilieninsel stritten, arrangierte Colin Powell per Mobiltelefon von der Hochzeit seiner Tochter aus einen Kompromiss. Seine Kommunikationsleute erreichten den marokkanischen König auf einer Autobahn außerhalb von Rabat, fernab von jedem Faxgerät. "Wie soll ich einem Vertrag zustimmen, den ich nicht gelesen habe?", fragte der König. "Trust me", antwortete Powell -und Seine Majestät vertraute ihm. Gerade noch rechtzeitig bevor die Kirchenorgel begann, den Hochzeitsmarsch zu spielen.

Als sich im Sommer 2002 der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan bis zur Gefahr eines Atomkriegs zuspitzte, war es abermals Colin Powell, der das erste sondierende Telefongespräch zwischen den Ministerpräsidenten von der Begrüßungsformel bis zur Reihenfolge des Auflegens choreographierte. Seitdem gibt es zwischen Islamabad und Neu-Delhi wieder einen Dialog.

Ein solcher Einfluss kommt nicht von ungefähr. Amerika hat den Globus aufgeteilt. In über hundertzwanzig Ländern sind heute amerikanische Special Forces im Einsatz. Für jeden Quadratkilometer Erdoberfläche ist einer von vier regionalen Commandern zuständig. Jeder verfügt allein für den Betrieb seines Hauptquartiers über zweistellige Millionenbeträge, dazu kommt die militärische Macht. Der Herr des Pacific Command in Hawaii zum Beispiel, von dessen Existenz in Europa kaum jemand weiß, befehligt dreihunderttausend Soldaten, wacht über dreiundvierzig Staaten in elf Zeitzonen, vier der größten Armeen der Welt und sechzig Prozent der Weltbevölkerung. Wenn er reist, und er reist viel, begleitet ihn in eigenen Flugzeugen eine Entourage, wie sie sonst nur dem Präsidenten und den wichtigsten Ministern zusteht. Seine drei Kollegen - zwei von ihnen sind noch einflussreicher als er - teilen sich den Rest der Welt. Ihre Gesprächspartner sind die Regierungschefs. Die Commander werden aus guten Gründen mit den Prokonsuln des Römischen Weltreichs verglichen. Demgegenüber wirken alle Bemühungen um eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geradezu provinziell.

Omnipräsenz garantiert kein Verständnis für die Welt. Große Mächte machen große Fehler, wie sich im Irak gezeigt hat. Trotzdem beweist die Geschichte der letzten Jahre - vom Balkan über Osttimor und Ruanda bis Afghanistan und Darfur -, dass die Welt schwerlich auf eine globale Ordnungsmacht verzichten kann. Die Vereinten Nationen stehen dafür nicht uneingeschränkt zur Verfügung, weil ihre Spielregeln auf Konsens und nicht auf Entscheidung ausgerichtet sind. So werden die Vereinigten Staaten immer wieder zur Ordnungsmacht durch Säumnis der anderen. Die amerikanische Bevölkerung akzeptiert diese Rolle mit erstaunlicher Bereitwilligkeit auch dann, wenn eigene Interessen nicht unmittelbar berührt sind, wie in Bosnien und im Kosovo.

Nimmt man dazu noch die ungebrochene Wirtschaftsmacht und den gewaltigen Kapitalbedarf der USA, so kommt man unausweichlich zu dem Schluss, dass die amerikanischen Wahlen im November 2004 für viele Nationen ebenso wichtig waren wie ihre eigenen. Ob man dies positiv sieht, wie eine knappe Mehrheit der Amerikaner, oder voller Befürchtungen, wie die achtzig Prozent der Deutschen und die Mehrheit der sechs Milliarden Menschen im Rest der Welt, die nicht gefragt wurden: Der Mann im Weißen Haus wird über unser Schicksal mitbestimmen...

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