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Beitrag von Willibald Jacob im Bundestag

213. Sitzung in Bonn, Donnerstag, den 15. Januar 1998

Dr. Willibald Jacob (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es besteht unter Entwicklungspolitikern theoretisch Einigkeit darüber, daß wir die eine Welt, in der wir leben, zu bewahren haben, daß wir von den Menschen, die auf ihr leben, Schaden abzuwenden haben. Regierungen und Paramente stehen dabei in besonderer Pflicht. Die Verflechtungen des internationalen Lebens verpflichten uns, auch von denen Schaden abzuwenden, die nicht in unserem Lande leben, aber möglicherweise von uns abhängig sind oder gar als Flüchtlinge ihr eigenes Land verlassen müssen. Es ist eine weltweite Abhängigkeit entstanden, aus der eine vielfach gegenseitige Verantwortung erwachsen ist. Dabei ist der ökonomisch und sozial Starke besonders gefordert – so  auch die Bundesrepublik Deutschland.

Das, was wir heute Globalisierung nennen, ist eine alte Sache, die bereits vor 150 Jahren, im Jahre 1848, folgendermaßen beschrieben werden konnte:

Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz ihrer Produkte jagt die Unternehmen über die ganze Erdkugel … Die Unternehmen haben durch ihre Ausbeutung des Weltmarktes die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie haben der Industrie den nationalen Boden unter den Füßen weggezogen … Unter Freiheit versteht man innerhalb der jetzigen … Produktionsverhältnisse den freien Handel.

Seit dieser Zeit, seit 1848, sind Weltkriege und Revolutionen über die Völker hinweggegangen, die mit dem Unvermögen und dem Unwillen der Regierenden und Einflußreichen zusammenhingen, die sozialökonomischen Spannungen, die in diesem Globalisierungsprozeß auftraten, auszugleichen. Nur partiell, regional und befristet ist es gelungen.

Heute wissen wir, daß der Ausgleich der Spannungen nur gelingt, wenn soziale Gerechtigkeit in einem hohen Maße realisiert  wird. Dann wird auch sozialer Frieden und Frieden zwischen den Staaten und Regionen möglich. Das kann und muß unsere Antwort auf die Anforderungen der Globalisierungsprozesse sein.

Dem muß sich auch die staatliche Entwicklungspolitik stellen, die die Verpflichtungen der Regierung kennt: Herstellung von Rechtsordnung und Rechtssicherheit, Sorge für makroökonomische Stabilität, Bereitstellung einer grundlegenden Infrastruktur, Schutz der sozial Schwachen, Schutz der Umwelt.

Junge Menschen sagen uns heute: Wir haben nur diese eine Welt. Wir müssen lernen, solidarisch miteinander zu leben. Nur so können wir diese Welt erhalten. – Solche Äußerungen klingen wie das Echo auf die Analyse des Jahres 1848. Sie wissen zwar um die Revolutionen, die Katastrophen und auch das Scheitern der Zwischenzeit, besonders um die zwei globalen Kriege, die letztlich wegen der ökonomischen Aufteilung der Welt geführt worden sind. Sie erwarten dennoch und gerade deshalb, daß wir neu anfangen. Sie halten das auch für möglich.

Wir haben uns daher Rechenschaft darüber abzulegen, was eine Weltinnenpolitik behindert, die auf ökologisch verträgliches Wirtschaften, auf sozialen Ausgleich und auf solidarisches Zusammenleben gerichtet ist. Den Behinderungen haben wir mit einer als Querschnittsaufgabe angelegten Entwicklungspolitik entgegenzuwirken. Ich nenne hier Maßnahmen und Schritte, die meines Erachtens die genannten Zielstellungen einer menschlichen Entwicklung verhindern. Sie sind eingebettet in die verstärkte Implementierung des neoliberalen Wirtschaftsmodells.

Erstens die einseitige vertragliche Sicherung von Investitionsgewinnen. Im Rahmen der OECD wird zur Zeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit das multilaterale Investitionsabkommen beraten. Souveränitätsrechte der Staaten und Lebensrechte der Menschen sind zutiefst berührt.

Zweitens die Freigabe des Handels unter ungleichen ökonomischen und sozialen Bedingungen durch die Schaffung von Freihandelszonen, in denen die ökonomisch Schwächeren an den Rand gedrängt werden. Siehe dazu die Situation der Provinz Chiapas in Mexiko.

Drittens die Deregulierung der Finanzsysteme, die unerwartete und verheerende Folgen in Südostasien und weit darüber hinaus zeigt.

Das Ziel dieser „Entwicklung“ ist die Sicherung von Produktionsgewinnen, Handelsgewinnen und Spekulationsgewinnen in den Händen von Minderheiten. Dadurch wird die sozialökonomische Spaltung von Gesellschaften weltweit vertieft. Das aber widerspricht den Kernaufgaben, die Regierungen erfüllen wollen und sollen, nämlich Schaden von Menschen und Gemeinwesen abzuwenden.

Was haben nun aber Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit dem zügellosen und scheinbar alternativlosen neoliberalen Wirtschaften entgegenzusetzen? Wird das neuerdings angekündigte paradigmatische Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit die Schäden beheben können, die eben dieses Wirtschaften in der südlichen Hemisphäre und auch bei uns bereits angerichtet hat?

Wie werden in Zukunft Entwicklungshilfe durch die Wirtschaft und Entwicklungspolitik mit Hilfe der Wirtschaft aussehen? Wir dürfen gespannt sein, welches Verhältnis deutsche Betriebe in Entwicklungsländern, vom BMZ unterstützt, zu Frauen, Kindern und entwurzelten Menschen aufbauen werden. Wer wird uns darüber berichten? Werden sich in Zukunft Manager herablassen, vor Abgeordneten zu berichten? Beginnt damit die Transparenz von Wirtschaftsunternehmen? Beginnt damit ihre Demokratisierung? Es soll ja um ein neues Paradigma gehen.

Wie ist die Situation, in der wir diese Fragen stellen müssen? Es ist eine Situation, die durch eine 500 jährige global wirkende Dominanz des Nordens über den Süden entstanden ist. Im Zusammenwirken von Staaten und Wirtschaft hat sie sich ausgeformt. Ein Fünftel der Menschen verbraucht vier Fünftel der entscheidenden Ressourcen der Welt. Dem armen Süden, ebendiesen vier Fünfteln, wird nur ein Fünftel der Ressourcen zugestanden. Dieser Zustand wird bisher verschärft und verfestigt. Die eben genannten Abkommen dienen dazu.

Bisher sahen wir die rücksichtslose Ausbeutung der Natur, den ungleichen Austausch von Gütern, Kapital und Dienstleistungen, Schuldenkrisen und Flüchtlingsströme, Bürgerkriege und Hungerrevolten, einseitigen Geldtransfer in den Norden und inadäquate Strukturanpassungen sowie am Ende die Rückwirkung all dieser Dinge auf uns. Die Asylproblematik zeigt dies.

Schon die bisherige Durchsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells veränderte die ohnehin diskriminierenden Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Frauen zu ihren Ungunsten. Sie tragen die Hauptlasten des Strukturwandels und aller Strukturanpassungsprogramme. Die Ungleichbehandlung von Frauen nimmt zunehmend gewalttätige Formen an; ich nenne nur Zwangsprostitution und Frauenhandel. Wie werden in Zukunft deutsche Wirtschaftsunternehmen dieser üblen Tradition der Ausbeutung von Mensch und Natur begegnen?

Herr Bundesminister Spranger und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Henkel, haben eine neue Art  der Kooperation von Politik und Ökonomie angekündigt, gar von einem Paradigmenwechsel gesprochen: Eine „strikte Trennlinie“ zwischen Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungshilfe lasse „sich nicht immer ziehen“. Freier Markt und freier Handel seien die „wichtigsten Entwicklungshelfer“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommt es zum Schwur. Soll nicht weiter geschehen, was 500 Jahre lang geschah? Bisher, in den letzten 35 Jahren, mußte Entwicklungshilfe den Folgen von Wirtschaftstätigkeit entgegenwirken, war sie ein Kontrapunkt im freien Spiel der Marktkräfte. Was soll sich nun grundlegend ändern? Wird nun beispielhaft gezeigt werden, wie im neoliberalen Wirtschaftssystem die Probleme gelöst werden, die ebendiese Wirtschaftsweise fortlaufend selbst schafft? Wir dürfen gespannt sein.

Die weltweite sozialökonomische Spaltung der Gesellschaften war und ist der Skandal unseres Jahrhunderts. Werden die deutsche Regierung und die deutsche Wirtschaft entscheidend dafür wirken können, daß diese Spaltung überwunden wird?

Die PDS wird alle Anträge, vor allem alle praktischen Schritte unterstützen, die wirklich erkennen lassen, daß sie dieses Ziel ernsthaft verfolgen. Wir lehnen allerdings den Zehnten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung ab. Wir sehen nicht, daß die Politik der Bundesregierung der Überwindung der sozialökonomischen Spaltungen der Gesellschaften weltweit dient.

(Beifall bei der PDS)


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