Dez 062011
 
Artikel von Marcia Pally

Marcia Pally ist eine in zur Zeit in Deutschland lebende US-amerikanische Sprach- und Kulturwissenschaftlerin sowie Kolumnistin. Sie lehrt „multil-lingual and multi-cultural Studies“ an der New York University. Sie ist ausgebildete Tänzerin und Choreografin und die Gründerin der Organisation „Feminists for Free Expression“. Marcia Pally war Redakteurin der Village Voice; als Filmkritikerin und Kolumnistin hat sie in den USA unter anderem für die New York Times, Penthouse, Film Comment und Cineaste geschrieben, in Deutschland für die tageszeitung, die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und den Merkur. Ihre Kolumne „Flatiron Letters“ erscheint derzeit regelmäßig im Feuilleton der Frankfurter Rundschau.

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Fröhlich zupackender Geist

Der amerikanische Evangelikalismus
„Warum wir ihn hassen und warum er funktioniert“

Von Marcia Pally

All jene unter uns, die keine evangelikalen Christen sind, macht deren Einfluss in den USA ganz schwindelig: 42 Prozent aller US-Amerikaner rechnen sich selbst zu den Evangelikalen, und 78 Prozent aller weißen Evangelikalen, die einmal wöchentlich oder öfter in die Kirche gehen, haben im vergangenen November für Bush gestimmt. Das Christian Broadcasting Network, gegründet von Fat Robertson, einem der spirituellen Erben des Billy Graham, strahlt seine Sendungen in 50 Sprachen und in 90 Länder aus. Die religiöse Romanreihe „Left Behind“ hat eine Auflage von 40 Millionen erreicht, das Kinderbuchprogramm brachte es auf 10 Millionen. Die USA bringen es auf 500 christliche Colleges und evangelikale Abteilungen an Ivy-League-Universitäten.

Die rund eintausend „Megachurches“ sind ebenso staunenswerte Versammlungsorte für Tausende von Mitgliedern mit integrierten Fernseh- und Radiosendern und einem Riesen-Shopping-Angebot an Sozialleistungen. Um die Jugendlichen kümmern sich Gruppen wie die „Teen Mania Ministries“. Die Megakirchen gibt es im ganzen Land. Die „Christ Church“ zum Beispiel im wohlhabend-mittelständischen Montclair, New Jersey, zählt 5.200 Mitglieder; die „Allen African Methodist Episcopal Church“ in der streng demokratischen Stadt New York bringt es auf 10.000.

Vielen Nicht-Evangelikalen machen diese Zahlen Angst. Warum? Darf man ihre Massenwirksamkeit verabscheuen, ihren Pomp und ihren cleveren Einsatz der Popkultur, während man gleichzeitig die episkopale Eheberatung in Ehren hält oder das jüdische Gemeindezentrum nebenan, das auch ein Fitnessstudio und ein Schwimmbad sein eigen nennt und das Leben von der Wiege bis zur Bahre mit Kursen begleitet? In New York ist die milliardenschwere Katholische Kirche der größte Grundbesitzer. In Deutschland müssen die Kirchen keine Spenden sammeln, weil der Staat sie als Steuern für sie eintreibt. Und die Progressiven schweigen dazu.

Verabscheut man die Evangelikalen aus denselben Gründen wie einst die Juden – für ihr Neureichen-Geld, ihr Geschick im Umgang mit Medien und Politik? Vor lauter Ressentiment wird der Glaube der Evangelikalen meist nur hoch in trivialisierter Form dargestellt und am liebsten mit der Formel abgetan, Evangelikalismus sei Opium fürs Volk im Kapitalismus: In unseren Zeiten zyklischer Arbeitslosigkeit und Anomie böten die evangelikalen Kirchen Gemeinschaftsgefühl, Identität und Lebenshilfe.

Erlösung ist Privatsache

Aber das ist das Geschäft aller Kirchen. Nehmen wir den Evangelikalen einfach ihre Geschäftstüchtigkeit übel? Außerdem gibt es kein sozio-ökonomisches System ohne Druck. Als Opiat ist die Religion kein Sonderfall des Kapitalismus. Und wenn nicht die Evangelikalen den Menschen Erleichterung verschaffen, sondern die Hamas, protestieren die Progressiven nicht. Tocqueville hat Amerikas Kultur kleiner Vereinigungen in höchsten Tönen gepriesen, als private und oft religiöse kleine Laboratorien der Selbstbestimmung. Damals wie heute üben die US-Amerikaner sich auch als Mitglieder evangelikaler Kirchen in Graswurzeldemokratie. Ärgern sich die Linksliberalen, dass die andere Seite gewinnt?

Die Kritik am Glauben der Evangelikalen ist uninformiert. Sie lässt die Nicht-Evangelikalen über dessen Stärken im Dunkeln und mangelt an Präzision. Zum einen werden die substanziellen Auswirkungen von Engagement und Praxis ignoriert. Wer sich ernsthaft Zielen widmet, die über seinen privaten Lifestyle hinausgehen, fokussiert seine Energie und seine Aufmerksamkeit. Er lernt, wie wichtig es ist, seine Kräfte und sein Bewusstsein zu schärfen. Bewusstheit, dieser Dreh- und Angelpunkt moderner Therapie, ist nicht genug. Die Praxis zählt; sie verpflichtet uns bei religiöser Ausrichtung typischerweise einer höheren Sache und gibt unserem Leben einen Sinn. Das ist ein Klischee, aber trotzdem: wir verlieren als Menschen ohne ein Gefühl von Pflicht und Ziel den Boden unter den Füßen und ergeben uns der Unzufriedenheit – denn nichts kann uns mehr befriedigen. Wer nur all die vormodernen Autoren nimmt, die über die Notwendigkeit von Lebenssinn und -zweck geschrieben haben, wird dies kaum länger für ein Phänomen des Kapitalismus halten.

Man muss sich nicht religiös engagierren. Hingabe an eine Kunstform oder ein politisches Projekt tut es auch. Fraglos haben sich Menschen Projekten hingegeben, die andere widerlich finden, etwa dem Faschismus oder dem „falschen“ Glaubensbekenntnis; an den Auswirkungen des Engagements auf den Einzelnen ändert das nichts.

Ich habe mich in meinem Leben dem Modernen Tanz, dem jüdischen Glauben und dem Schreiben gewidmet. Als Tänzerin war es meine Pflicht, morgens um halb neun zum Training zu erscheinen, um meinen Bewegungen mit aller mir zur Verfügung stehenden Konzentration und Genauigkeit eine Eleganz zu verleihen, die sie von den Grenzen des Möglichen befreit. Selbst wenn niemand zusieht, bedeutet es mir viel, am Sabbat die Kerzen anzuzünden. Ich tue das nicht für die Gemeinde. Bin ich eitel in meinen Glauben, meine Anwesenheit beim Ballett-Training oder in der Synagoge würde etwas ändern? Ja, aber philosophische und religiöse Fragen sind immer eitel, weil es uns mit ihnen um unseren eigenen Seelenfrieden geht, nicht um den Gottes.

Der Theologe Karl Barth hat gefragt, ob es bei der Religion letztlich um Gott gehe oder um uns. Aber Gott konnte er nicht fragen. Also musste er mit uns diskutieren, ob wir glauben, bei der Religion gehe es um Gott oder uns. Schon wieder Eitelkeit.

Aber natürlich sind es vor allem die spezifischen Doktrinen eines Glaubensbekenntnisses, die Gläubige anziehen, und hier sind die Evangelikalen der USA besonders verführerisch, zumindest für US-Bürger. Die Evangelikalen haben die optimistischsten und individualistischsten Elemente des europäischen  Calvinismus genommen und mit dem noch optimistischeren „Wir-werden-das-Kind-schon-schaukeln“-Geist der USA in Einklang gebracht.

Der Calvinismus neigt von vornherein zu der Empfehlung, man müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. „Anstatt den Lehren von Augustinus und Luther zu folgen und still auf eine vorherbestimmte Erlösung zu hoffen, versprach Calvin „ewige Sicherheit“ in der Erlösung: Wer wahrhaftig glaube, dass Jesus unsere Sünden auf sich genommen habe, der sei bis in den Tod stark im Glauben und werde dadurch errettet. Die frühen Calvinisten fürchteten, diesen wahrhaftigen, starken Glauben nicht erlangen zu können, aber im optimistischen Amerika wurde die Last der Selbstprüfung rasch leichter.

Den Amerikanern blieb der verführerische Teil dieses Glaubens: Jesus hebt dich, wenn du nur glaubst, und du bist erlöst. Der Arminianismus des amerikanischen Predigers John Wesley brachte weitere Entlastung. Wesley lehrte, dass Gott allen Menschen das Seelenheil verspricht und nur jene verdammt, die sich auflehnen. So wird die Erlösung zur Privatsache.

Dass der amerikanische Evangelikalismus mit seiner Betonung der freien Wahl (Jesus anzunehmen), der Taufe von Erwachsenen (die Feier dieser Wahl, egal wann im Leben sie getroffen wird) und der garantierten Erlösung den in der amerikanischen Erfahrung festgeschriebenen Individualismus spiegelt ebenso wie die optimistische Effektivität und Emersons Lehre vom Neuanfang, ist wenig überraschend. Ob der Calvinismus die amerikanische Kultur beeinflusst hat, oder die amerikanische Erfahrung sich den Calvinismus für seinen fröhlich-zu-packenden, individualistischen Geist gekapert hat, lässt sich im nachhinein nur noch schwer sagen.

Geniess fromm deinen Reichtum

Auch drei andere Aspekte des Evangelikalismus sind optimistisch geprägt. Die Lehre von der Apokalypse besagt, dass die Umarmung Gottes nah ist – es gibt kein langes Erdulden der gewalttätigen irdischen Gottesferne. Der evangelikale Fundamentalismus besagt, dass die Bibel in deiner persönlichen Auslegung ganz wörtlich Gottes Willen ausdrückt.

Das schafft Optimismus und Zuversicht, denn alle Zweifel, man könnte sich in seiner Interpretation irren, werden ausgeräumt. Die Lehre von den Segnungen erlaubt den reichen Frommen den Genuss ihrer Reichtümer. Denn es heißt – nach Joyce Meyer, einem der 25 einflussreichsten Evangelikalen der USA -, dass „Gott will, dass seine Kinder gesegnet sind. Er hat uns sogar versprochen, er werde die Himmel öffnen und so viele Reichtümer über uns ausschütten, dass wir sie nicht mehr zu halten vermögen … Manche Menschen glauben, sie könnten Gott nur in Armut dienen … Doch wer zu Gottes Werk beiträgt, dem wird Gott geben.“

Aus dem Glauben an eine garantierte Erlösung, an Gottes individuelle Zuwendung, an eine zweite Chance und ein durch den Glauben gesteigertes Selbstbewusstsein lässt sich kaum eine legitime Kritik an den Evangelikalen begründen – genauso wenig wie aus ihrem Erfolg im Spendensammeln und in der politischen Lobbyarbeit, auf die sie in der Demokratie einen Anspruch haben. Legitime Kritik kann nur auf einem viel kleineren Gebiet formuliert werden.

Die Kritik muss sich auf gewisse Aspekte der Teilhabe am politischen Leben beschränken, die tief greifende Konsequenzen für die Demokratie und den Skeptizismus haben, auf dem diese beruht. In der Demokratie gehen wir davon aus, dass niemand den absolut besten Weg für die Organisation der Gesellschaft kennt. Deshalb nähern wir uns dem unerreichbaren Ideal in Debatten und durch Kompromisse an, in denen wir die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen angemessen zu berücksichtigen versuchen. In dem Ausmaß, in dem die Evangelikalen annehmen, die Bibel gebe klare politische Richtlinien vor, ist ihr Politikverständnis radikal anders.

Die demokratischen Überprüfungsmechanismen – Gewaltenteilung, gegenseitige Kontrolle, Proporz in der Repräsentation, Unabhängigkeit der Justiz und der Presse – lassen sich bei einem solchen Weltbild abtun, denn wer den rechten Weg kennt, darf sich nicht auf Falschheiten einlassen. Die Spannung zwischen Evangelikalismus und Demokratie erwächst nicht aus den inhaltlichen Positionen der Evangelikalen. Viele davon, wie die Opposition gegen Stammzellenforschung und Euthanasie, werden auch im säkularisierten Deutschland geteilt. Die Spannung erwächst vielmehr aus dem Ziel‘ der Evangelikalen, im politischen System auf Dauer eine Institution der Regelsetzung zu verankern, die außerhalb des demokratischen Prozesses steht. Das ist ein Angriff auf die Wandelbarkeit von Ideen und die Notwendigkeit regelmäßigen Machtwechsels.

Die „dominionists“ unter den Evangelikalen, die gerne die US-Regierung übernähmen, stellen einen extremen Flügel dar (die Evangelikalen ziehen die weniger alarmierende Bezeichnung „reconstructionists“ vor). In seinem Buch „The Changing of the Guard. Biblical Principles for Political Action“ schreibt George Grant: „Wir wollen herrschen. Nicht nur eine Stimme. Wir wollen herrschen. Nicht nur Einfluss. Wir wollen herrschen. Nicht nur gehört werden. Wir wollen herrschen. Die Welt beherrschen.“ Die „National Reform Association“ stellt schlicht fest: „Der zivile Herrscher muss ein Diener Gottes sein… Daher müssen die Zivilregierung unseres Landes, ihre Gesetze, Institutionen und Vorhaben mit den Prinzipien der biblischen Gesetze in Übereinstimmung gebracht werden.“

Solche Ideen werden kaum die 215 Jahre alten Strukturen der US-Regierung zu Fall bringen, auf die die meisten US-Bürger eisern stolz sind. Außerdem folgen viele Evangelikaie der „light“-Version solcher Erklärungen und glauben lediglich, die Regierung solle auf der Basis christlicher Werte handeln.

Trotzdem ist beunruhigend, dass auch diese „light“-Version auf der Annahme einer von oben herab verliehenen Wahrheit basiert und wenig Wert auf die politischen Mechanismen von Argumentation und Kompromissfindung legt. Und nicht nur die „light“-Version, auch die Vollversion wird inzwischen von Predigern aus dem religiösen Mainstream vertreten, die einen beträchtlichen Teil der Basis der Republikanischen Partei bilden – der Regierungspartei.

Es war Pat Robertson, der Gründer der „Christian Coalition“, der größten evangelikalen Dachorganisation der Vereinigten Staaten, der im Jahr 1986 erklärte: „Gottes Wille für sein Volk ist, Ladies und Gentlemen, dass unsere Organisation die Herrschaft übernimmt … als Richter der Lebenden … Es wird eine Reformation geben… Wir werden die Herrschaft der erpresserischen Utopisten im Supreme Court und in Washington nicht länger hinnehmen.“ Im Jahr 1992 offenbarte er der Denver Post sein Ziel: Er wolle „auf der operativen Ebene die Kontrolle über die Republikanische Partei übernehmen.“

Gott trainiert mich

Heute fungieren Evangelikale als Parlamentssprecher, Mehrheitsführer und Fraktionsvorsitzende. Tom DeLay, der bis zu der im Sommer gegen ihn erhobenen Anklage wegen Korruptionsverdachts wohl einflussreichste Mann im Repräsentantenhaus, glaubt, „Er“, also Gott, „benutzt mich, ohne Pause, überall, in all meinen Worten und Taten einzustehen für das Weltbild der Bibel. Er trainiert mich.“

41 von 51 republikanischen Senatoren wurden im Jahr 2004 von der „Christian Coalition“ hundert Punkte verliehen. Das heißt, dass sich deren Abstimmungsverhalten hundertprozentig mit den Positionen dieser Organisation deckte. (38 von 48 Demokraten und ein Unabhängiger brachten es auf null Punkte.) Die Republikaner, und mit ihnen die Evangelikalen, verfügen über Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses, und an zehn von 13 Bundesgerichten sind die republikanischen Richter schon in der Mehrheit – ebenso wie am Supreme Court. Und der Präsident? Als Bush im Jahr 2001 erklärte, die Welt sei nun mit den USA oder gegen sie, war das ein Echo auf Matthäus 12,30: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich.“

Wächst heute mitten in der Republikanischen Partei ein Block, der nicht länger an Repräsentation, Debatte und Kompromisse glaubt? Der Kongress hatte vor einer Weile eine ausgesprochen weitgehende Manipulation der Grenzen von Wahlbezirken zugunsten der Republikaner initiiert. Im Kampf um Richternominierungen haben die Republikaner immer wieder damit gedroht, die Verfahrensregeln des Senats so zu verändern, dass der Protest der Minderheitsfraktion (das „Filibustern“) unmöglich wird. Vor allem solche Änderungen würden die Macht des Präsidenten weiter stärken – er hätte bei seinen Nominierungen noch weniger Rücksicht auf die Opposition nehmen müssen. Auch die Mehrheitspartei würde gestärkt werden, aber nicht unbedingt die Mehrheit der Bevölkerung. (Aufgrund der Besonderheiten des amerikanischen Wahlrechts repräsentieren die 55 Senatoren der republikanischen Mehrheitsfraktion nur eine Minderheit der Bevölkerung.)

Wie sich ein Machtzuwachs des Präsidenten auswirkt, lässt sich nach den Erfahrungen mit Bush unschwer ausmalen, zumal wenn dieser Zuwachs mit Berufung auf die allerhöchste Instanz gerechtfertigt wird: Der Verfassungsrichter Antonin Scalia schrieb im Jahr 2002, die Regierung beziehe „ihre moralische Autorität von Gott. Die Regierung ist ‚Gottes Gesandter‘, sie hat die Macht zur ‚Rache‘ und darf auch ‚das Schwert des Zorns‘ führen.“

Im Februar 2004 gewann dieses Sentiment an Gewicht: In beiden Häusern des Kongresses wurde der „Constitution Restoration Act“ eingebracht, das „Gesetz zur Wiederherstellung der Verfassung“. Es sollte dem Supreme Court verbieten, einen Fall anzunehmen, der sich gegen einen Beamten oder eine Regierungsinstitution richtet, der oder die sich in ihren Handlungen „auf Gott als hoheitliche Quelle des Rechts, der Freiheit oder der Regierung“ beruft.

Dieses Gesetz hätte es den Gerichten in den unteren Instanzen erlaubt, ihre Urteile und Strafen mit der Bibel zu begründen, ohne dass dagegen Einspruch möglich gewesen wäre. Viele Gesetze werden im Kongress aus taktischen Gründen eingebracht, ohne Aussicht darauf, verabschiedet zu werden. Aber dennoch lässt dieser Entwurf ahnen, welche Art von Gesetzgebung im Kongress inzwischen im Rahmen des Denkbaren scheint.

Die evangelikalen Gemeinden verwenden nur einen Bruchteil ihrer sozialen und religiösen Aktivitäten auf die politische Arbeit. Aber genau dort provozieren sie Kritik. Genau dort müssen sich Demokraten beider US-Parteien von ihnen abgrenzen, weil ihre Behauptung, a priori im Besitz der Wahrheit zu sein, den demokratischen Prinzipien der freien Meinungsbildung an der Wurzel widerspricht.

Sollten die Amerikaner eine Regierung wählen, die behauptet, im Besitz absoluten, göttlichen Wissens zu sein, würde diese Wahl, so demokratisch sie auch sein mag, das Ende der Demokratie bedeuten – es sei denn, die Evangelikalen würden Oppositionsparteien zulassen, die die Wiedererrichtung der Demokratie betrieben. Das aber wäre nach ihren Kriterien ein Spiel mit der Falschheit des Teufels. In den USA gibt es auch unter den Evangelikalen keine Mehrheit für die Einführung einer religiös motivierten Diktatur. Trotzdem scheinen viele, die sich eine nach christlichen Maximen handelnde Regierung wünschen, sich nicht darüber bewusst zu sein, dass sie sich damit in Widerspruch zur Demokratie begeben. Die Vereinigten Staaten könnten zu einem Land werden, das ihren Wünschen und Hoffnungen nicht mehr entspricht.

Süddeutsche Zeitung vom 21.10.2005, Deutsch von Robin Detje

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