Feb 202012
 
Offener Brief von Gerhard Rein im Juli 2011

Gerhard Rein war von 1982 bis zum Ende der DDR als Hörfunkkorrespondent des Süddeutschen Rundfunks in Ost-Berlin tätig.

Lieber Joachim Gauck,
als Ihnen im November letzten Jahres in München der Geschwister-Scholl-Preis verliehen wurde, und Ihr Laudator Peter Schneider Sie als Widerstandskämpfer in der DDR und also in die Nähe des gefährlichen Widerstands der Geschwister Scholl rückte, da war ich doch ziemlich erschrocken und fragte mich, ob wir unsere wirklichen Helden mit solchen Vergleichen nicht bedrohlich verramschen. Als ich dann zwei Monate später hörte, Ihnen würde nun auch noch der Börne-Preis verliehen, habe ich Michael Naumann einen Brief geschrieben:

Sehr geehrter Herr Dr. Naumann,
Sie haben bestimmt, dass Joachim Gauck den Börne-Preis 2011 erhält. Nun wird Herr Gauck seit Jahren und Monaten mit Preisen ausgezeichnet. Sie bewegen sich mit Ihrer Wahl auf einer sehr breiten, ausgefahrenen Bahn.

Was meine Kritik herausfordert ist allein die Begründung für Ihre Entscheidung. Sie schreiben: „Gauck repräsentiere den freiheitlichen Geist all jener in der ehemaligen DDR, die dem repressiven Staat durch politisches Engagement ein Ende bereiteten“. Nun, zur politischen Opposition in der DDR hat Gauck nicht gezählt. In den system-kritischen Friedens- und Umweltgruppen im Umfeld der Evangelischen Kirchen trat er nicht in Erscheinung. Im Netzwerk der Oppositionsgruppen war er nicht vertreten. An der Oekumenischen Versammlung, die 1988 und 1989 die wichtigsten Freiheitstexte gegen die SED und ihre Politik veröffentlichte, hat Gauck nicht teilgenommen. Es gibt keinen Text von Joachim Gauck, der in der DDR von Hand zu Hand gereicht wurde. In den Publikationen, die in der DDR von kritischen Gruppen illegal herausgegeben wurden, taucht der Name Gauck als Verfasser nicht auf.

Joachim Gauck hat sich im Oktober 1989 in Rostock dem „Neuen Forum“ angeschlossen. Vorher ist ein politisches Engagement gegen den repressiven Staat nicht auszumachen. Im Kontext der Oppositions-Geschichte der DDR ist Joachim Gauck ein Bürgerrechtler der letzten Stunde. Ihn als Repräsentanten all jener auszuzeichnen, die den freiheitlichen Geist gegen das System aufrecht gehalten haben, ist eine grobe Überzeichnung seines Lebensweges. Gaucks Talente und Verdienste haben sich nach der deutschen Einheit auf ziemlich eindrucksvolle Weise gezeigt. Vorher, zu Zeiten der DDR, war davon nichts zu hören und zu ahnen.

Nehmen Sie herzliche Grüße von Ihrem G.R.

Michael Naumanns Anwort bestand aus vier freundlichen Zeilen. Er interpretiere die Biografie Joachim Gaucks anders als ich.

Nun muß ich aber erklären, warum ich Ihnen heute überhaupt schreibe. Den letzten Anstoß dazu gab ein Bericht über Ihre Rede auf dem Pfarrertag der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Nachzulesen in der kirchlichen Sonntagszeitung vom 26.Juni 2011. Vielleicht kann ich gar nicht deutlich genug machen, warum mich dieser Bericht so erregt hat. Vielleicht liegt es daran, dass die Zitate aus Ihrer Rede mich in einer Weise herausfordern, die mit mir und meinem Selbstverständnis als Bürger aus der alten, westlichen Bundesrepublik zu tun haben. Ich will das an kleinen Beispielen erläutern:


Jochim Gauck 2011
Foto: J. Patrick FischerLizenz: CC-BY-3.0

Sie polemisieren, wie Sie das ja schon bei Ihrer Dankesrede zum Börne-Preis getan haben, gegen Margot Käßmann. Sie können davon ausgehen, daß ich kein Käßmann-Fan bin und auch keiner mehr werde. Aber Käßmanns Satz: Nichts ist gut in Afghanistan, ist ein Epochen-Satz, der bleiben wird. Nun lese ich „Natürlich kann man sagen, es sei nicht alles gut in Afghanistan. Aber wo ist denn schon alles gut? In Frankfurt hier? In Preungesheim?“ (So das Zitat aus Ihrer Pfarrer-Tags-Rede). Sie vergleichen die Situation eines Krieges in Afghanistan mit sozialen Spannungen in Frankfurt und Preungesheim. Das ist intellektuell so dürftig ( aber ich will ja freundlich sein, also sagen wir), das ist intellektuell so übersichtlich, dass ich nur den Kopf schütteln kann.

Vom Kirchentag in Dresden habe ich im Fernsehen zwei Berichte gesehen. In beiden gab es einen Ausschnitt aus Ihrem Vortrag dort. Sie verneigen sich nach dem langen Beifall vor dem Publikum. Was denken Sie, wie die Menschen, die Ihnen da applaudiert haben, wohl reagieren, wenn sie lesen, mit welchem Spott Joachim Gauck über sie herzieht. „Die Protestanten wähnen sich dann in der Mitte der Gesellschaft, wenn sie ihre Klageliturgien anstimmen können… Gutmenschliche Glaubenssicherheit, die von altlinker Ideologie angesteckt wird.“ Nach derartigen Verneigung folgt die Verhöhnung. Eine bemerkenswerte Haltung des früheren Rostocker Kirchentagspastors. Die von altlinker Ideologie angesteckten Protestanten. Das kann nicht Ihr Ernst sein. Von wem sprechen Sie? Meinen Sie die Dresdner Kirchentags-Redner Wulff, Merkel, de Maiziere, Schäuble, Gauck bei ihrem Schaulaufen um die Gunst der Zuhörer? Wenn Sie von altlinker Ideologie jammern, vermute ich bei Ihnen dahinter immer wieder ein Bild der alten Bundesrepublik, das voller Klischees, voller historischer Unkenntnis, voller Unterstellungen ist und von Denunziationen nicht weit entfernt. Vielleicht wissen Sie, dass ich zwanzig Jahre lang immer wieder bei Kirchentagen mitgearbeitet habe. Seine Entwicklung bedaure ich. Er will nichts mehr, er ist unpolitisch geworden, beliebig und so nett.

Und die aktuelle Kirchentagspräsidentin ist ein beredter Ausdruck von Nettigkeit. Sie aber räsonieren über altlinke Ideologie. Ihre Sicht hat mit der Wirklichkeit der Bundesrepublik heute nichts zu tun. Sie überziehen sie mit Feindbildern aus längst vergangenen Jahren. Sie klagen über die Linkslastigkeit der Kirchentage und über die südhessischen Gutmenschen. “Es ist etwas anderes, ob man im Kommunismus lebt, oder ob man in Hessen-Süd darüber redet.“. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte ich über solche Sätze nur lachen. Es gab in der württembergischen Synode einmal eine Phase, in der die konservativen Pietistenaus dem heiligen Korntal laut aufheulten, wenn von Bad Boll die Rede war. Ganz gleich, ob die Evangelische Akademie dort über Hilfe für Nicaragua, Gottesdienstformen, Lebensführungen von Pfarren oder Wanderungen auf der Alb debattierte. Die Nennung der Worte Bad Boll reichte aus für größere Empörung. So benutzen Sie die Vokabel Hessen-Süd. Um Gottes Willen: Hessen-Süd. Ein Schauer an Bildern: Vorhölle, Umsturz, Systemwechsel rasen den Rücken entlang. Nur, Hessen-Süd ist schon weit mehr als zehn Jahren nicht einmal mehr rot. Aber woher sollen Sie das wissen?

Sie bleiben lieber bei Ihrem 68er-bashing und schwärmen von der Freiheit, die Sie in Rostock als Schönheit in der Ferne wahrgenommen haben und müssen hier nun leider feststellen, dass wir uns nicht erlauben, Dankbarkeit zu zeigen für 60 Jahre Wohlsein. Wem, um Gottes Willen, sollen wir dankbar sein? Ich bin an der Weichsel geboren und als Flüchtlingskind in und um Bremen aufgewachsen. Eine Dankbarkeit bleibt für immer: Vor allem gegenüber den USA, die uns 1945 befreit und uns ermöglicht haben, eine tolerante, freie Gesellschaft, Rechtsstaatlichkeit und Liberalität zu lernen. Wir lernen immer noch. Das 60 Jahre Wohlsein ist nicht vom Himmel gefallen. Die Schönheit aus der Nähe ist erstritten worden. Da ich doch geprägt bin von meiner Sozialisation in der evangelische Kirche, hat der von Paul Tillich geprägte Begriff: Protestantismus als Kritik und Gestaltung für mich nach wie vor seine Bedeutung. Ich will der Versuchung nicht nachgeben, den mecklenburgischen Theologen über prophetische Kritik aufzuklären, nur so viel:

An unserem Wohlsein hat der Protest gegen die restaurativen Tendenzen der Adenauer-Zeit, die Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg meiner geliebten USA, die Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche, die Sitzblockaden gegen die Raketen an den Zäunen in Mutlangen, die Öffnung zur oekumenischen Bewegung als Welt-Erfahrung und Überwindung der deutschen Provinz, der Boykott gegen das Apartheid-Sytem, die Anti-Atomkraft-Bewegung, das immer noch scheiternde Bemühen, die Armut in der Welt zu mindern wesentlichen Anteil. Unser Wohlsein ist ohne Kritik und Gestaltung nicht zu haben. Die wunderbaren Jahre sind ohne Kritik am Bestehenden keine wunderbaren Jahre. Und es bleibt eine Sehnsucht nach Gerechtigkeit und eine Sehnsucht, die über das hinausweist, was ist und sich nicht nur den Tatsachen anpaßt.

Herzlich, Ihr Gerhard Rein

PS. Jean Ziegler ist als Eröffnungsredner der diesjährigen Salzburger Festspiele offiziell ein und dann wieder offiziell ausgeladen worden. Die Gründe dafür sind undeutlich. Sie haben Ziegler ersetzt. Vor vielen Jahren erhielt Papst Johannes Paul II. einen Bambi. Die offizielle Begründung für die Preisverleihung lautete, man danke dem Papst für seine Verfügbarkeit. Wenn Sie ihn nicht schon längst haben, bin ich mir sicher, dass Sie auch bald einen Bambi verliehen bekommen.

Und noch dies: In jeder der letzten Reden, die ich von Ihnen wahrgenommen habe, beschreiben Sie sich als einen „linken, liberalen Konservativen“. Dass ich diese Selbstwahrnehmung nicht nur als eitel, selbstverliebt und unernst empfinde, hat auch damit zu tun, dass ich in Ihren Reden rechte Sprachmuster erkenne, die mich besorgt machen.

Quelle: Robert Havemann Gesellschaft


Gerhard Rein

Geboren 1936 in Kulm, wurde nach einer kaufmännischen Lehre 1961 Journalist. Er lebt seit 1984 in Berlin (West). Für den Süddeutschen Rundfunk berichtete er als Korrespondent aus der und über die DDR. Die „Wende“ und ihre Vorboten hat er als Chronist aus nächster Nähe erlebt, beschrieben und kommentiert. Die deutschdeutschen Gespräche auf den letzten Evangelischen Kirchentagen hat er wesentlich mit vorbereitet. Rein hat zuvor beim SDR in Stuttgart die Redaktion Kirche und Gesellschaft geleitet und sich dort vor allem thematisch der Ökumenischen Bewegung gewidmet, der er selbst wichtige Lebensimpulse verdankt.  Er hat eine Reihe von Büchern herausgegeben, darunter: „Dagegen gelebt“ (Gespräche mit Heinrich Albertz), „Dialog mit dem Zweifel“ und im Wichern-Verlag: „Deutsches Gespräch“, „Deutsche Dialoge“ und „Deutsche Einsichten“ mit Beiträgen von den deutsch-deutschen Gesprächen auf dem Kirchentag in Düsseldorf 1985, Frankfurt/Main 1987 und Berlin (West) 1989.  Ende 1989 gab er den Interview- und Dokumentarband „Die Opposition in der DDR“ heraus, der die „Entwürfe für einen anderen Sozialismus“ festhält. Diese schon nach kurzer Zeit legendäre Sammlung zählen Kenner zu den wichtigsten Publikationen in diesem Themenfeld.  War es eine Revolution? Ja, sagen die einen: Das spätstalinistische System, der flächendeckende Überwachungsstaat, der Krake Staatssicherheit wurden an ihr Ende gebracht. Das war ein revolutionärer Vorgang. Nein, sagen die andern: Wir sind nur um die Mauern Jerichos gezogen und haben geblasen, da fielen die Mauern schon ein. Das war keine Revolution. Zwei Ansichten. Zum Streit taugen sie nicht. Die DDR ist 1990 an ihr Ende gekommen. Wir sind Zeugen eines erregenden Prozesses, der zu einem anderen Deutschland geführt hat.  Ohne die kritischen Gruppen im Umfeld der Evangelischen Kirche in der DDR, ohne engagierte, couragierte evangelische Pfarrer und Bischöfe, wäre der Umbruch, die Wende, die Revolution allerdings nicht möglich gewesen. Die Kirche war ein wichtiges Element und ein Ferment der revolutionären Erneuerung in der DDR. Sie wäre freilich falsch beschrieben, wenn man sie durchgängig als Vorhut des Veränderungsprozesses darstellte. Aber die wesentlichen Träger der Herbstrevolution 1989 verstehen sich als Christen. Ihre Positionen sind in diesem Buch dokumentiert.  Gerhard Rein, Chronist und engagiert nachfragender Begleiter des Geschehens, war täglich, mitunter mehrmals mit schnellen, präzisen und doch immer auch den Hintergrund aufhellenden Kurzberichten und Kommentaren am Mikrophon. Die hier eingearbeitete Auswahl seiner unveränderten Kommentare lässt dieser Darstellung des mehrjährigen Prozesses die ursprünglichen dramatischen Bezüge. So ermöglicht sie dem Leser das Nacherleben dieses einzigartigen Kapitels deutscher Geschichte. (Umschlag seines Buches „Die protestantische Revolution 1887 – 1990 – Ein deutsches Lesebuch, Wichern Verlag 1990)


Links zu Joachim Gauck

http://www.gaebler.info/2014/05/gauck-banken/

Links zu Gerhard Rein

  2 Responses to “Joachim Gauck”

  1. Gerhard Rein war mein Vorgänger als Landesjugendkonventsältester der Hannoverschen Landeskirche. Danach war er im Kirchenfunk des Süddeutschen Rundfunks tätig. Der Brief von Gerhard Rein stimmt mich besorgt, wenn ich daran denke, dass Joachim Gauck unser Bundespräsident werden soll.

    Selbst die F.A.Z. schreibt heute „Die SPD und Grünen werden noch zu spüren bekommen, dass Gaucks urbi et orbi vorgetragener Lobgesang auf die Freiheit eben keine Ode an die Gleichheit ist. Und dass seine Aufforderung zu bürgerschaftlichem Engagement, verbunden mit der Ablehnung wutbürgerlicher Renitenz, eine durch und durch konservative Grundierung hat.“ Heiner Geißler hat mit Gaucks Credo von der „Freiheit in Verantwortung“ so seine Probleme; weit eher als die Freihei sei heute die Solidarität bedroht. In der FZ von heute sagt Schorlemmer: „Es ist wunderbar, dass er das Loblied auf die Freiheit singt. Aber er müsste auch das Loblied auf die Gerechtigkeit singen, damit sich alle die Freiheit leisten können.“ Zu Gaucks Äußerung zur Occupy-Bewegung und ihre Kritik am Finanzmarktkapitalismus, die er „albern“ genannt hat, sagt er: „Das war eine ungeheure rhetorische Arroganz. Wir brauchen doch Widerstand gegen Bankenübermacht, wir brauchen dringend Regeln der Marktfreiheit. Was ich grundsätzlich bedauere, ist das Monothematische an Gauck. Wer von der Freiheit spricht, der muss auch vom Brot sprechen, vom Wasser, vom Wetter, vom Frieden.

    Es wird sich zeigen, ob Joachim Gauck lernfähig ist.

    Links

    Joachim Gauck über Ossis und Wessis, über Opposition, Anpassung und die psychischen Langzeitfolgen diktatorischer Regime

    Meine Erwartungen an den designierten Bundespräsidenten Gauck

    • Auf sein Auftreten bin ich auch gespannt. Ich habe auch Negativerfahrung mit dem Rostocker Studentenpfarrer in meinen Erinnerungen als damailger Referent für oekumenische Beziehungen des Bundes und Leiter der Reisestelle. Joachim Gaugk war ein aktiver Mann in der Wendezeit, als es nicht mehr viel bedeutete gegen die DDR gewesen zu sein. Wer hätte schon jetzt noch die Courage und würde sich die Mühe machen einen der durch die Medien so hochstilisiert worden ist, nach seiner Vergangenheit zu befragen? Interesant, was Gerhrd Rein dazu sagt.