Feb 222012
 

Zur Ontologie in West und Ost

Von Peter Gottwald

Als die Einladung zur  Tagung „Meditation“ eintraf, steckte ich mitten in einer weiteren Veranstaltung zum Thema „Integrales Bewusstsein“ (Gebser, Wilber u.a.), hatte mein Buch „Integrale Weltsicht“ abgeschlossen, in dem es mir um die Kritik der Aussagen Gebsers – bei Würdigung seiner Intuition eines Integralen Bewusstseins und die Bekräftigung der von ihm gefundenen Verbindung zur Zentradition – ging und um eine Aktualisierung seiner Wahrnehmung der Wissenschaften in seinem ersten Werk, „Abendländische Wandlung“. Eben hatte ich noch einmal Adornos „Minima Moralia“ hervorgeholt, angestoßen durch die Oldenburger Veröffentlichung  eines Adorno-Handbuches (Hrsg. Klein, Kreuzer, Müller-Doohm) – und die in der Nähe stehenden Bände „Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen“ sowie „Parmenides und Jonas“ von Klaus Heinrich heruntergenommen.

Peter Gottwald 2009

Peter Gottwald 2009

Nach wenigen Seiten in beiden Bänden entstand Klarheit über die Herkunft und die  Geschichte  dreier westlicher ontologischer Strukturen, die bis heute unsere Kultur bestimmen und die ich mittels der folgenden Schemata andeuten will. Dabei geht es mir darum zu klären, dass über Meditation jeweils nur gesprochen werden kann im Kontext einer konkreten Kultur, und das in einer Welt, in der heute die Religionen und die Wissenschaften nebst der Technik einander oft feindlich gegenüberstehen.

Damit ist in der Moderne die „Zerrissenheit“ des Christenmenschen auf den Endpunkt gekommen, da beide Anteile sich nach Jahrhunderte langem Kampf endgültig zu trennen scheinen. Alle abendländische Philosophie steht also vor diesem Dilemma und sucht bis Heidegger entweder eine „andere“ Ontologie (bereits unter dem Einfluss des Ostens) oder verweigert sich dieser durch die „linguistische Wende“ (bei Wittgenstein noch vor der Gewissheit des Mystischen). Heute kommt zu diesen dreien eine vierte „Ontologie“ hinzu, die des Ostens, manifest in der Verbindung des Buddhismus mit dem Taoismus zum Zen. Sie beginnt im Westen wahrgenommen zu werden als eine eigenständige – und vielleicht doch im Fundament verwandte Weltsicht (vgl. hierzu die Beziehungen zwischen Meister Eckhart und dem Zen, cf. Sh. Ueda und J. Kreuzer), die nun nicht mehr als fremd oder exotisch betrachtet wird, sondern als zutiefst relevant. Sie mit den anderen zu verbinden, vielleicht sogar zu versöhnen, ist das Anliegen von Philosophen wie Gernot Böhme und Rolf Elberfeld, um nur die zu nennen, denen ich persönlich begegnet bin.

Deshalb hier ein weiteres Schema, das aus dem Osten kommt (wie Goethes Gingko biloba – man vergegenwärtige sich dessen „eins und doppelt“ in diesem neuen Licht, sowie die Ablehnung des Strebens in „Faust“, dort das Vertrauen auf die „Liebe von oben“ (Schluss) und die „Führung in die Klarheit“ im Prolog im Himmel).1

All dies stiftet und hält zusammen die Gemeinschaft der Menschen in der jeweiligen Tradition: Juden2 und Christen im alten und neuen Bund, Zenadepten in der Sangha, Wissenssucher in der „Gemeinschaft der Forschenden“, u.U. getrennt durch „Schulen“ bzw. Anhänger verschiedener Paradigmata (Kuhn).

Vor diesem Hintergrund wären nun einzelne Personen und ihre Werke zu betrachten und spezielle Konzepte/Gewissheiten wie etwa das „Dämonische“ zu bedenken.

  • Klaus Heinrich in seinem Ringen um das Ja/Nein und das „Ja im Nein“
  • Adorno und Horkheimer, sowie Benjamin, im Ringen um Aufklärung und Gewissheit
  • Kafka in seiner Wahrnehmung einer neuen Möglichkeit des Jüdischen (neue Kabbala in „Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg“)
  • Hesse in seiner Rückwendung ins Mythische (Siddharta und die Morgenlandfahrt)

und so viele andere… (auch „Goethes Moderne“ – cf. Kreutzer – wäre zu besuchen).

Das Dämonische aber wäre heute weder zu bekämpfen (jüdisch-christlich) noch „denkerisch zu übersteigen“ (griechisch), sei es selbst mittels der Psychoanalyse, meditativ zu durchschreiten, heute „wahrend zu überwinden“ (Gebser).

Zwecks Prüfung dieser Gedanken wende ich mich nun an zwei Autoren, die jeweils Ontologie in Ost und West untersuchten: Eshun Hamaguchi und Gernot Böhme, beide auf einer Tagung der Gebser-Gesellschaft 1998 in Berlin/Spandau3.

Hamaguchi stellt der westlichen Subjek-Objekt Beziehung, in der „Objekte“ nur das sind, was „Subjekte“ erkennen können,  eine östliche gegenüber, welche einen umfassen Objekt-Begriff kennt (basho) und „Subjekt“ nicht als a priori existierend anerkennt, sondern als Erfahrung eines „Selbst“ begreift, das seiner Existenz nur durch die Wechselwirkung  mit einem Anderen bewusst wird.

In einem alten Zen-Text heißt es dazu:

Das Subjekt vergeht mit dem Objekt
Das Objekt vergeht mit dem Subjekt
Das Objekt ist Objekt wegen des Subjekts
Und Subjekt ist Subjekt wegen des Objekts
Willst Du beide Aspekte verstehen:
Sie sind ursprünglich die eine Leerheit.
Die eine Leerheit ist die gleich in beiden.
In gleicher Weise enthalten sie alle Dinge…( Shinjin Mei)

Auf Einzelheiten kann ich hier nicht eingehen.

Böhme fasste seine Darstellung der westlichen Ontologie dahingehend zusammen, dass sie zwar „heute das Durchschnittsdenken durchaus noch leitet; gleichwohl scheint Europa an die eigene Ontologie nicht mehr recht zu glauben. Den Philosophen sind deren Schranken durchaus bewusst, und sie kennen seit langem Probleme, die sich im Rahmen der klassischen Ontologie nur mit Mühe oder gar nicht bewältigen lassen. Und in der Kunst zumindest und in der Wissenschaft ist man seit längerem mit Entwicklungen vertraut, die aus dieser klassischen Ontologie herausführen. Das alles macht uns heute aufnahmebereiter für das, was uns aus anderen Denktraditionen entgegengebracht wird“(14)

Da  ich mich zur Aktualität wie zur Notwendigkeit einer meditativen Praxis wie dem Zen bekenne, so folgt für mich auch eine neue Sichtweise auf den alten Gegensatz zwischen Ruhe und Unruhe.

Augustinus konnte noch sagen: Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Dir, oh Gott!
Wem das nicht mehr möglich war, mochte vielleicht mit Goethe sagen:
Erforschen was erforschbar ist, und das Unerforschliche ruhig verehren!

Von Konrad Lorenz stammt die folgende Anekdote: Als einer seiner Lehrer, der Biologe Heinroth, einen Vortrag mit eben diesem Zitat beendet hatte, stutzte er und rief in den aufkommenden Beifall hinein: Nicht ruhig, nein, ruhig nicht!

Heute kann man sagen, es gehe in der Meditation nicht etwa darum, Gedanken „zur Ruhe zu bringen“ (aber auch nicht vornehmlich in der Philosophie darum, die „Gedanken zum Tanzen zu bringen“ – Rudolf zur Lippe), sondern durch die Übung selbst in einem Augenblick zu erfahren, dass Ruhe wie Bewegung vor der Leerheit zurücktreten und ein ganz neuer Zustand des „im Frieden“ oder „zufrieden Seins“ sich einstellt – um sich dann wieder und ganz neu der Welt zuzuwenden. Insofern ist Zen eben keine „Weltflucht“ oder „Weltabkehr“, sondern Lebenspraxis (auf diese Entwicklung aus dem Buddhismus heraus hat kürzlich P. Sloterdijk hingewiesen).

In einem alten Zentext (Shinjin-Mei: Verse über den Glaubensgeist) heißt es:

Bewege dich nicht, und die Bewegung hört auf.
Wird Ruhe bewegt, so entsteht Unruhe.
Wenn beide nicht sind, kann eines dann sein?

Folgt man Gebser in der Anerkennung eines Integralen Bewusstseins als einer sich gegenwärtig weltweit manifestierenden Struktur, die sich nach der Integration eines satori einzustellen vermag (vgl. hierzu auch das Werk des Jesuiten und Zenlehrers Enomiya-Lasselle), wird es nun vor allem darum gehen, „Bewegung“ wie „Ruhe“ wahrzunehmen, Gedanken nicht zu unterdrücken, sondern eben zu „wahren“ als eine der Manifestationen des Geistigen, wenn auch nicht mehr als Eingebungen eines außerhalb von uns existierenden Geistes, sei er nun „heilig“ oder „dämonisch“ oder sogar „Weltgeist“.

Diese wenigen Bemerkungen sind ja keineswegs vollständig, was das Thema betrifft; ich bitte sie als Einladung zu einem Gespräch zu verstehen. 


  1. Paramitas, d.h. „Wege ans andere Ufer“, wie etwa Stärke, Geduld, Mildtätigkeit, Meditation.
  2. Wenn der Islam hier nicht explizit genannt wird, so deshalb, weil er unter dieser Perspektive als eine Variante des Monotheismus aufzufassen ist, darin am engsten dem Judentum  verwandt.
  3. Beiträge zur Integralen Weltsicht, VO: XIV, 1999, Novalis Verlag, Schaffhausen. In demselben Band stellte die evangelische Pastorin und Zenmeisterin Gundula Meyer ihre Sicht des „Zen im Westen“ dar und P.Gottwald sprach über Psychotherapie und die Wege zur Ichfreiheit.

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