Mrz 102012
 

Herr über Damenstifte

Der hannoversche Ministerialdirigent Dr. Theodor Parisius, der dem Kabinett Hellwege als politischer Beamter1, nämlich als Landespressechef diente, ist – da nichtsozialistisch – vom neuen SPD-Regierungs-chef Kopf mit einer eher unpolitischen Aufgabe betraut worden: Parisius muss sich künftig unter anderem um die Wohlfahrt einiger Lüneburger Damenstifte kümmern.

Mit dem Hinweis auf die „absolut neue politische Konstellation“ nach dem sozial demokratischen Wahlsieg in Niedersachsen – die CDU-DP-SPD-Koalition Hellweges wurde durch eine SPD-FDP-BHE-Koalition ersetzt – hatte der schnauzbärtige Hinrich Wilhelm Kopf zu einem umfangreichen Personalschub ausgeholt, der Parteigenossen wie Koalitionskameraden zufriedenstellen sollte. So jagte Kopf vier altgediente Staatssekretäre aus ihren Ämtern, ernannte dafür gleich sechs neue und kündigte an, daß weitere Veränderungen folgen würden. Schimpften CDU und Deutsche Partei:

„Das zwingt uns in die schärfste Opposition.“

Landesvater Kopf war freilich bemüht, den emeritierten politischen Beamten neues Asyl zu verschaffen. Dem abgehalfterten Parisius bot er zu diesem Zweck- bei gleichbleibenden Bezügen – eine Pfründe an, die in neuerer Zeit als Abstellgleis erster Klasse dient und deswegen für Parisius, der als Pressechef einer Regierung gedient hatte, zu der auch Kopf als Minister gehörte, angemessen war: die hannoversche Klosterkammer.

Diese Klosterkammer, deren Aufgabe darin besteht, ein im Wesentlichen aus Grundbesitz bestehendes Stiftungsvermögen, den Allgemeinen Klosterfonds, zu verwalten, ist ein urtümliches hannöversches Gewächs – das als einziges aus der Blütezeit des Hauses Hannover übriggeblieben ist. Bis in welche Winkel die Verbindlichkeiten des Klosterfonds reichen und wie vielfältig demnach die neuen Geschäfte des Dr. Theodor Parisius beschaffen sein werden, ist einer Denkschrift zu entnehmen, die im Jahre 1877 der preußische Minister Falk dem Abgeordnetenhaus in Berlin zu diesem Gegenstand überreichte. Danach ist die Klosterkammer beispielsweise verantwortlich für:

Die Klosterkammer hat ihren Ursprung in der Reformationszeit, als in allen deutschen Ländern, deren Herren dem neuen Glauben anhingen, die Frage zu lösen war, was aus den Klöstern und ihren Reichtümern werden sollte. Während fast überall das Klostervermögen für die Staatskasse eingezogen wurde, verbot im Fürstentum Calenberg – der Keimzelle des Kurfürstentums und Königreichs Hannover – die weise Herzogin Elisabeth, Klostergüter zu verpfänden oder zu veräußern, und stellte das klösterliche Rechnungswesen unter die Kontrolle der Regierung. Dazu der ehemalige Klosterkammerchef Dr. Albrecht Stalmann:

„Hier in Niedersachsen bäumte sich das allgemeine Rechtsbewusstsein gegen die Idee einer Einziehung der Klostergüter als Staatsgut auf.“

Herzog Georg Wilhelm, der in Hannover residierte, bestimmte denn auch im Jahre 1650, dass die drei Klöster Weende, Mariengarten und Hilwartshausen jährlich 1555 Taler an die Universität Helmstedt zahlen sollten; die über diesen Betrag hinausgehenden Erträge sollten zur freien Verfügung des Herzogs stehen, jedoch auch akademischen Zwecken dienen.

Auf diese Weise entstand in der herzoglichen Kasse ein sogenannter Klostervorrat, in den alsbald vier Mannesklöster und zehn Frauenklöster ihre Überschüsse zahlten. Das Regierungsreglement jener Zeit kannte vier Kollegien – Geheimer Rat, Domänenkammer, Justizkanzlei, Konsistorium -, die sich mit der Verwaltung des Landes befassten. Das Plenum dieser vier Ministerien nannte sich Geheime Ratsstube; von dieser Ratsstube blieb zur Bearbeitung klösterlicher Angelegenheiten schließlich die Klosterkammer übrig.

Aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, der die Fürsten ermächtigte, sämtliche auf ihren Territorien gelegenen Klöster aufzuheben, war es der Klosterkammer möglich, ihre Kompetenzen weiter auszudehnen und sich auch noch den Grundbesitz des Johanniterordens und den Besitz von insgesamt 17 Klöstern und Stiften in den Bistümern Osnabrück und Hildesheim einzuverleiben, worüber ein Patent Auskunft gibt, das der hannoversche Prinzregent – der spätere Georg IV. von England – am 8. Mai 1818 vollzog:

„… um die von uns beabsichtigte Verwendung auf ewige Zeiten zu sichern, so haben wir erwogen, daßes rathsam sei, die Verwaltung dieses geistlichen Guts … in eine Administration zu vereinigen, und diese durch eine eigene, unter unmittelbarer Aufsicht Unseres Staats- und Cabinets-Ministerii stehende und in Unserer Residenzstadt Hannover hierdurch errichtete Kloster-Cammer führen zu lassen.“

Diese „gnädigste Willensmeinung“ des nachmaligen englischen Königs hat Preußen und Nationalsozialisten überdauert und gilt noch heute – ein Umstand, der selbst Kopfs sozialdemokratischen Kultusminister Voigt in die Welfen-Leier greifen ließ:

„Das, was den Wert des Klosterfonds und der Klosterkammer ausmacht, ist nicht nur das materielle Vermögen, sondern die Tatsache, daß beide eine hervorragende Stätte der Tradition und ein Markstein auf dem Wege sind, den die Heimatgeschichte genommen hat.“

Das Hannoversche Verfassungsgesetz von 1840 bestimmte nachdrücklich, das Klostervermögen solle „von den übrigen öffentlichen Kassen gänzlich getrennt bleiben und allein zu Zuschüssen für die Landesuniversität, für Kirchen und Schulen, auch zu milden Zwecken aller Art verwandt werden“. So nimmt der Ex-Pressechef Parisius eine Stellung ein, die mit keiner anderen Beamtenposition in Deutschland vergleichbar ist. Als Präsident der Klosterkammer untersteht er zwar der Aufsicht des Kultusministeriums, diesem jedoch nur als der gesetzlichen Vertretung einer Stiftung, die mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist und über Millionenwerte verfügt.

Der Allgemeine Hannoversche Klosterfonds umfasst heute einen Grundbesitz von 40.323 Hektar mit etwa 2.200 Gebäuden und Nettoerträgen von rund drei Millionen Mark (1958), wovon die Hälfte für den Stiftungszweck – also für Kirchen, Schulen und Mildtätigkeit – ausgegeben wird. Außerhalb des Klosterfonds verwaltet die Kammer des Parisius ferner den Verdener Domstrukturfonds, den Hospitalfonds St. Benedikti in Lüneburg sowie sechs Lüneburger Damenklöster und drei Damenstifte. Kultusminister Voigt zu Parisius:

„Sie übernehmen, Herr Präsident, kein leichtes Amt.“

Als erster niedersächsischer Regierungschef fand Heinrich Hellwege, dass dieses ebenso ehrenwerte wie abseitsliegende Amt als Pfründe für abservierte politische Beamte so recht geschaffen sei: 1955 verlieh er dem (inzwischen verstorbenen) evangelischen Staatssekretär Bojunga aus dem Kultusministerium, der auf CDU-Wunsch durch einen Katholiken ersetzt werden sollte, die Präsidentenwürde bei der Klosterkammer. Jetzt folgte Hinrich Kopf diesem Beispiel und beförderte den Minsterialdirigenten Parisius – dem als Pressechef der dpa – Sozialdemokrat Rich-ard Herzig folgt – dorthin.

Bedauerte Kopf:

„Früher in Preußen gab es nur zwei wirklich gute Posten: Regierungspräsident in Sigmaringen und Klosterkammerpräsident in Hannover. Ich bin beides nie geworden.“

Der Spiegel vom 15.07.1959

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Anmerkung

  1. Im Entwurf eines Niedersächsischen Beamtengesetzes werden unter die politischen Beamten gerechnet: Staatssekretäre, Regierungspräsidenten, der Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz, der Leiter der Pressestelle der Landesregierung, die Polizeipräsidenten und die Generalstaatsanwälte.