Dez 082012
 

Unsortierte Notizen aus der real-existierenden Bundesrepublik

Von Gerhard Rein, im Dezember 2012

Ende August 2012 hat Erzbischof Desmond Tutu seine Teilnahme an einer Investmentkonferenz in Durban abgesagt. Mit folgender Begründung: Er wolle an keinem Podium mitwirken, an dem auch der frühere britische Premierminister Tony Blair teilnehme. Blair habe mit seiner Zustimmung zum Irak-Krieg den Tod unzähliger Zivilisten mit zu verantworten. Blair gehöre eigentlich vor ein Gericht in Den Haag. Die Aufregung in britischen Zeitungen war heftig. Hatte der südafrikanische Bischof den Apartheid-Verfechtern im eigenen Land nicht die Hand zur Versöhnung gereicht? Und gegenüber Blair lehne er es ab? Was für eine christliche Haltung sei das denn?

Tutu reagierte auf die Kritik mit dem Hinweis, die USA und Großbritannien hätten den Krieg gegen den Irak ohne die Unterstützung der Vereinten Nationen begonnen. Das sei das eigentliche Verbrechen. Blair vor einem Kriegsgericht in Den Haag? Die Debatte darüber bestimmte im September 2012 einen Teil der Öffentlichkeit in England.

Als CDU-Vorsitzende hatte Angela Merkel im Jahr 2003 in einem Brief an die „Washington Post“ notiert, dass nicht alle Deutschen hinter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Ablehnung des Irak-Krieges stünden. Merkel unterstützte George W. Bush und seinen Krieg gegen den Irak.

Hat die Evangelische Kirche Angela Merkel damals zur Ordnung gerufen, sie ihr im Gespräch das Gewissen geschärft? Ich wüsste es gern. Ich bezweifle es. Als sie vor einem Monat, nun als Kanzlerin, am 22.Oktober 2012 , vor Soldaten der Bundeswehr erklärte, im Fernsehen übertragen, deutsche Rüstungsexporte seien ein Instrument der Friedenssicherung, gab es da ein Aufschrei meiner Kirche? „Waffen und begleitende Schulung sind Hilfe zur Selbsthilfe“, Deutschland „ ist auch aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen.“ So die Kanzlerin. Der drittgrößte Waffenexporteur der Welt, die Bundesrepublik Deutschland, wird von der Regierungs-Chefin zum Friedensapostel hochgepredigt. Und niemand stört sie dabei. Niemand stellt die neue, alte Merkel-Doktrin infrage.

Merkel verbringt im November 2012 eine Stunde bei der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die schöne Gemeinschaft wird am Timmendorfer Strand durch niemanden getrübt.

Die Evangelische Kirche hat ihre Rolle als Gewissen der Nation verloren. So oder so ähnlich habe ich bei einer Podiumsdiskussion am 28. November 2012 in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin herumgejammert. Mir gegenüber saß der liebenswerte Berliner Bischof Markus Dröge. Es ging um Kirche im Kalten Krieg. Bischof Dröge nahm meine Fragen nicht auf. Meine Sorgen bezogen sich auf den heissen Krieg.

Der hochgelobte Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, wenn nicht im Rat der EKD, dann sicher im Präsidium des Kirchentages, hat ja jüngst Oberst Klein befördert. Jenen Oberst Klein, der den fatalen Angriff auf einen Lastzug in Kunduz befehligte, bei dem mehr als hundert Frauen und Kinder ums Leben kamen. Oberst Klein ist jetzt General. Der hochgelobte Protestant de Maiziere denkt laut darüber nach, ob die Bundeswehr sich nicht auch mit Drohnen bewaffnen sollte. Sie würden sich risikomindernd für deutsche Soldaten auswirken. Über Auswirkungen auf andere dürfen wir uns Gedanken machen. Gibt es einen Protest gegen de Maiziere? Bischof Dröge erzählt, in Vier-Augen-Gesprächen würden ihm Generäle der Bundeswehr gestehen, dass sie die Friedensbewegung vermissen.

Kühl und beherrscht lässt mich Dr. Ellen Überschär, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentag, auf dem Podium wissen, dass meine friedenspolitische Erregung typisch sei für meine Generation. Sie, zwei Generationen jünger, nähme Politik heute anders wahr. Frau Überschär verleitet mich, eine zweite Geschichte noch einmal zu erzählen:

Nach dem großen Applaus in Dresden verbeugt er sich mehrmals, lachend. Im Juni 2011. Zwei Wochen später verhöhnt er die Applaudierenden. „Die Protestanten wähnen sich dann in der Mitte der Gesellschaft, wenn sie ihre Klageliturgien anstimmen können,“  sagt er. Er spottet über rotgrüne Protestantenromantik, die mit zweijähriger Regelmässigkeit in Form von Kirchentagen über Deutschland hereinbreche.“ Gutmenschliche Glaubenssicherheit, die von altlinker Ideologie angesteckt wird,“ nennt er das. Das alles steht in der Sonntags-Zeitung, die vom Auftritt von Joachim Gauck bei dem hessischen Pfarrerinnen-und Pfarrerverein berichtet. Im Juni 2011. Nun bin ich mir sicher, dass Frau Überschär Herrn Gauck zur Rede gestellt und sich verbeten hat, dass Herr Gauck einen großen Teil der Kirchentagsbesucher so verhöhnt und denunziert. Anders ist ja nicht zu erklären, dass der Flyer, der zum Hamburger Kirchentag 2013 einlädt, und der vor drei Wochen im Briefkasten lag, dass dieser Flyer mit dem Foto eines lachenden Joachim Gauck wirbt.

Ellen Überschär schweigt. Nach Ende des Podiums, auf dem Weg in den Regen Berlins, sage ich zu ihr, ich sei mir schon bewusst, dass ich keiner Antwort würdig sei. „ Sie wissen ja gar nicht, wer alles den Kirchentag für seine Sicht der Dinge benutzt“, meint sie.

Begonnen hatte die Veranstaltung der Evangelischen Akademie und der Bundesstiftung Aufarbeitung mit einem historischen Abriss zur Problematik Staat und Kirche in Deutschland durch Dr. Anke Silomon. Eine bemerkenswerte Faktenanalyse, die sich bald gegen eine meinungsstarke Zeitzeugenphalanz zu wehren hatte. Dabei tat sich in bewährter Weise vor allem der Erfurter Theologe und Historiker Dr. Ehrhart Neubert hervor, der mittlere Haubitzen gegen Bischof Albrecht Schönherr und dem früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe in Stellung brachte. Die dabei erneut zutage tretende nachträgliche Erbarmungslosigkeit gegen Schönherr und Stolpe bleibt deshalb so erschütternd, weil sie von eigenen Brüchen und Widersprüchen völlig absieht.

Vor der Tür ruft der in Kirche und SPD agierenden Rainer Weitzel mir zu, „Ich wusste gar nicht, dass Sie ein Linksradikaler sind“. Soweit ist es also gekommen. Wer sich dagegen zu wehren versucht, dass wir Waffenexport als Friedenspolitik ausgeben, wird schon zum Linksradikalen.


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