Jan 312013
 

Mission nachdenken

Von Theodor Ahrens

Auszug aus dem Kapitel „Das Kreuz mit der Gewalt“, Verlag Otto Lembeck, 2002, Seite 203 – 205

Die Frage, wo destruktive Gewalt in Erscheinung tritt, verbindet sich mit vielen Themen, wurzelt in vielen Situation, ist anscheinend jedem Trend verbunden, den wir ausmachen, taucht in nahezu jeder Perspektive auf, die ausgeleuchtet wird: Seien dies die weltweite Angleichung der Lebensstile, die die Globalisierung aufnötigt, seien es regional verankerte Gegenbewegungen, die auf dem ‚Recht anders zu sein‘ bestehen. Gewalt kehrt zurück in die alltäglichsten Orte und in die geheimsten Winkel unserer Gesellschaft. Die modernen Medien verstärken diesen Eindruck. Sie verschaffen destruktiver Gewalt eine weitreichende Präsenz und zuweilen den Schein allmächtiger Gegenwart.

Ob nun die moderne Zivilisation besonders gewalttätig ist, ob unser geschichtliches Erinnern an Tiefe verliert oder wir nur wegen besserer Informations- und Kommunikationsnetze Gewalt, wo immer sie aufbricht, schneller sehen können – unsere Zeit erscheint als eine Gewalt erfüllte Zeit.

Der Zangengriff der Gewalt – einerseits die Gewöhnung an ihre Alltäglichkeit, andererseits das lähmende Entsetzen angesichts letztlich unbegreiflicher Gewaltausbrüche – droht viele Menschen zu Geiseln der Gewalt zu machen, trägt diese doch den Anschein von Unentrinnbarkeit und Allmacht.

Müssen wir Gewalt also einfach hinnehmen, weil sie zum Grundgefüge unserer Gesellschaft gehört oder handelt es sich jeweils um eine ‚kulturelle Entgleisung‘, um die sozusagen ‚abschaffbare Seite‘ menschlichen Miteinanders? Die Frage ‚gibt es kein Entrinnen vor der Gewalt?‘ ist so alt wie die Menschheit. Seit dem Brudermord in den unvordenklichen Tagen (Gen 4,1) breitet sich Gewalt aus und Ruchlosigkeit bedeckt das Erdreich (Gen 6,11).

Einerseits legt sich Fatalismus nahe: Gewalt ist unentrinnbar, sie gehört zur menschlichen Natur und daher auch zum Grundgefüge jeder menschlichen Gesellschaft. Andererseits nehmen wir Gewalt nicht mehr einfach fatalistisch hin. Anders als es in vormoderner Zeit der Fall gewesen sein mag, verliert Gewalt den Schein ihrer Selbstverständlichkeit. Sie verliert auch den Schein ihrer Unentrinnbarkeit. Wir leben in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, in dem jedenfalls destruktive Gewalt in der Öffentlichkeit durch öffentliches, demokratisch legitimiertes Recht und durch das Prinzip der Gewaltenteilung zurückgedrängt wurde.

Mission nachdenken

Wir nehmen also Gewalt nicht mehr einfach hin. Wir anerkennen, dass wir als Menschen miteinander verantwortlich, weil frei, sind. Gewalt ernst nehmen heißt, sich der Wirklichkeit der Macht des Bösen stellen. Dem Fatalismus der Meinung ‚gegen Gewalt lässt sich nichts machen‘ sollten alle Menschen guten Willens das Handwerk legen.

Zuständig sind alle Menschen. Das kommt zum Ausdruck nicht zuletzt in vielfältigen Initiativen der Vereinten Nationen, die darauf zielen, Gewalt einzudämmen und Ursachen der Gewalt zu beheben.

Zuständig sind auch die Christen und mit ihnen die Kirchen. Christen und Kirchen sind ebenso wie alle anderen von Gewalterfahrungen betroffen, in Gewaltausübung involviert und für Gewalteindämmung verantwortlich. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat seine Zuständigkeit erklärt und nach einer Vorlaufphase Anfang der 90er Jahre in Harare für den Zeitraum 2001 – 2010 eine Dekade zur Überwindung von Gewalt ausgerufen. Wenig später verabschiedet der Zentralausschuss des ÖRK einen Rahmenplan, der das Projekt inhaltlich profiliert und zeitlich strukturiert.“


Link