Mrz 212013
 

Arbeit ist für mich kein Fluch

Wie müssen wir hier und jetzt arbeiten und warum? Und als ob das nicht schon komplex genug wäre: Wie wollen wir zukünftig arbeiten und für wen? Es sind stets die ganz großen Fragen, um die sich der Soziologe Richard Sennett seit Jahrzehnten so seine Gedanken macht. Seit seinem Bestseller „Der flexible Mensch“ (The Corrosion of Charakter, 1998) gilt Sennett als Instanz bei der Suche nach Konzepten für den Umgang des Einzelnen mit den Bedingungen seiner Umwelt. Der Amerikaner, für den eine Handverletzung das Ende seiner Cellisten-Karriere bedeutete, lebt und lehrt in London und New York. Auf dem Kongress „Work in Progress“ spricht Sennett heute auf Kampnagel über das Thema seines neuen Buchs „Zusammenarbeit. Was die Gesellschaft zusammenhält“.

Hamburger Abendblatt: Von Ihnen stammt das Zitat: „Das Letzte, was wir brauchen, ist ein freier Markt. Wir brauchen Sozialismus.“

Richard Sennett: Genau.

Und ich habe mir gedacht: Erzählen Sie das mal einem arbeitslosen Industriearbeiter in Bulgarien.

Sennett: Ist der jemals in den Genuss von Sozialismus gekommen? Ich glaube nicht. Was ich damit meinte ist, dass wir mehr Elemente der Gesellschaftssysteme benötigen, wie wir sie aus Skandinavien oder sogar aus Deutschland kennen, Systeme mit größerer sozialer Anteilnahme.

Das Prinzip von Festanstellungen und Arbeitsplätzen, die man vom Anfang seiner Tätigkeit bis zum Austritt aus der Arbeitswelt behält, wird in unserer Gesellschaft immer unzeitgemäßer. Aber was ist Ihrer Meinung nach eine vernünftige und machbare Alternative dazu?

Sennett: Jobs, die auf Fähigkeiten basieren, die man im Laufe seines Berufslebens erwerben kann. Die aktuelle Herausforderung ist die Suche nach einem Anker, einem Fundament der Arbeit, das man von Job zu Job mitnehmen kann. Ein Beispiel: Ich habe eine Studie über Callcenter in Indien erstellt. Dort haben viele der Beschäftigten, die nur für drei oder vier Monate eingestellt werden, nach und nach ihr Englisch und ihre generellen Kommunikationsfähigkeiten verbessert. So entstand zwar kein „Beruf“ im klassischen Sinne des Worts. Doch für sie war bei aller Unsicherheit über ihre Zukunft das Gefühl vorhanden, einstellbar zu sein. Sicherlich ist das keine universelle Lösung, aber es ist immerhin ein großer Teil einer Lösung.

Ist nicht der Nachteil, dass solche Arbeiter, die sich selbst aufwerten, nur noch besser verwertbar für ihre Bosse und deren System sind?

Sennett: In den Entwicklungsländern stimmt das nicht. Nach dieser Methode bauen sich momentan die Ökonomien in Ländern wie Brasilien, Indien oder China auf. Die Menschen werden weniger ausgebeutet, nicht mehr. Für uns in Europa geht es aber doch darum: Wir haben nicht mehr genügend Arbeit, um die Arbeiter in Europa zu unterhalten und zu unterstützen. Das ist ein grundlegendes Strukturproblem. Was also können wir tun? Wir können ja nicht alle stempeln gehen lassen. Menschen könnten auswandern, wie sie es im19. Jahrhundert taten. Aber die auf Fähigkeiten basierenden Ansätze, wie es sie in Deutschland gibt, sind brauchbar für den Rest Europas. Der Grund für die hohe Arbeitslosigkeit in der spanischen Bauwirtschaft ist, dass die Arbeiter dort viel und schnell bauten, aber ihre Fähigkeiten sich dabei nicht verbesserten.

Welche Konsequenz ergibt sich daraus?

Sennett: Wir müssen akzeptieren, dass wir kein Monopol auf qualitativ hoch stehende Jobs haben. In anderen Regionen der Welt wird eine sehr gut ausgebildete Arbeiterschaft entwickelt, während wir eine gegliedertere Arbeiterschaft hervorbringen – mit sehr vielen Menschen, die ungelernt sind, und relativ wenigen Menschen, die ausgebildet und qualifiziert sind. Das stellt ein sehr großes Problem für uns dar.

Der TV-Serien-Arzt „Dr. House“ bringt dieses Problem – und seine Lösung – auf den Punkt: „Work smart not hard.“

Sennett: Stimmt, das ist sehr gut.

Kehren wir an den Arbeitsplatz zurück: Dort kommen und gehen Vorgesetzte immer schneller. Wie können sie dabei noch als Vorbilder taugen?

Sennett: Das ist tatsächlich eine sehr ernste Angelegenheit. Das Prinzip der Drehtür: Wenn ich vier Jahre lang irgendwo arbeite und dann meine abschließende Belohnung dafür erwarte, sind die Bosse, deren Aufgabe das wäre, womöglich gar nicht mehr da. Es gibt immer weniger Zeugen für die Leistungen vieler Arbeitnehmer, weil die soziale Mobilität in der Führungsebene immer größer sein soll als die unterhalb.

Eine aktuelle These von Ihnen lautet: Dialoge sind für erfolgreiches Arbeiten wichtiger als Konsens. Heißt das, streng genommen, für den Arbeitsalltag: Lasst die Spiele beginnen und möge der Stärkere, also der Lautere gewinnen?

Sennett: Nein, denn ich meine mit Kooperation nicht die einfache Form, bei der zwei Menschen oder Gruppen zusammenkommen und versuchen, sich – wie ein Ruderteam – auf eine gemeinsame Tätigkeit zu konzentrieren. Meine Vorstellung von Kooperation ist der Prozess eines Austauschs über Kommunikation. Manchmal führt das zu sehr praktischen Dingen, beispielsweise wenn man einen Rassenkonflikt hat und die Leute lernen, wie man miteinander spricht. Manchmal kann es aber auch zu mehr gegenseitigem Respekt führen. Menschen, die sich am Arbeitsplatz frei austauschen können, arbeiten besser miteinander. Manchmal ergibt sich daraus auch besseres Verständnis voneinander. Ich versuche, dieses Thema der Kooperation aus dem üblichen „Wie produzieren wir dieses oder jenes?“-Zusammenhang zu nehmen. Ich will es realistischer sehen, in einer komplexeren Gesellschaft.

Aber ist solch ein Verzicht auf eine gemeinsam gefundene und übereinstimmende Meinung nicht genau das, was in vielen modernen Arbeitssituationen an der Tagesordnung ist – und je ärmer die jeweilige Gesellschaft, desto schlimmer die Situation?

Sennett: Es stimmt, in den großen Fabriken in Entwicklungsländern haben wir tatsächlich sehr wenig Informationsaustausch zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Aber was wir als „Teamwork“ kennen, ist eine Art falsche Kooperation. Man präsentiert sich in solchen Gruppen als kooperative und zugängliche Person, ohne es wirklich zu sein. Man inszeniert sich. Es ist eine Show, während man dem anderen in Wirklichkeit ein Messer in den Rücken stößt. Dieses ganze Teamwork-Ding ist reichlich absurd. Denken Sie an ein Beispiel aus der Welt der Musik: Tun Menschen an ihrem Arbeitsplatz etwas, das vergleichbar mit einer Probe wäre? Die Antwort muss lauten: nur sehr wenig und sehr selten. Es gibt so gut wie nichts wie die Probe-Form einer Zusammenarbeit, wie sie beispielsweise bei Kammermusik zu erleben ist.

Wenn Arbeit für jeden Einzelnen von uns ein unvermeidlicher Fluch ist, um zu überleben und sich zu verbessern, woraus besteht dann letztlich ihr Nutzen?

Sennett: Für mich ist sie kein Fluch. Und ich glaube auch nicht daran, dass für die meisten Menschen einfache finanzielle Belohnung der Grund ist, um zu arbeiten. Das stimmt noch nicht einmal für einfache Arbeiter. Es muss mehr geben als den Lohnzettel: Man will gute Arbeitsbedingungen, sich mit den Kollegen verstehen, einen Job gut erledigen. Die neoliberale Vorstellung, Geld sei der einzige Antrieb, ist aus soziologischer Sicht sehr naiv.

Dann ist der Antrieb fürs Arbeiten letztlich das Streben nach Glück?

Sennett: Nein, überhaupt nicht. Glück und Befriedigung sind meiner Meinung nach ganz und gar nicht das Gleiche. Die Arbeitswelt ist kein Bereich des Glücks, sondern ein Bereich der Zufriedenheit. Die Vermutung, dass Menschen im Idealfall glückliche, lächelnde Arbeitnehmer sind, ist infantil. Aber nicht infantil ist die Vorstellung, dass am Arbeitsplatz mehr passiert, als nur Geld übergeben zu bekommen.

Hier in Deutschland ist der Internet-Konzern Amazon gerade sehr unter Druck wegen seines Umgangs mit Zeitarbeitern ...

Sennett: Ja. Schrecklich.

… und die Zuliefer-Betriebe von Apple in China sind berüchtigt. Dennoch bestellen wir, eher früher als später, alle am Ende doch wieder online und kaufen iPhones. Ist das Scheinheiligkeit oder Selbstschutz?

Sennett: Beides. Und es ist schrecklich. Mit Amazon ist es das Gleiche wie mit Google: Sie sprechen eine Sprache, die sich dramatisch von ihren Arbeitsmethoden unterscheidet. Erinnern Sie sich an den Google-Slogan: „Don’t be evil“. Es gibt eine weit verbreitete ,humanistische‘ Fachsprache des modernen Kapitalismus, die im klaren Widerspruch zu ihrer Anwendung steht. Stellen Sie sich eine Führungskraft bei Krupp in den 1920ern vor, der mit seinen Stahlarbeitern über „Vernetzung an den Arbeitsplätzen“ geredet hätte – man hätte ihn lauthals ausgelacht. Heutzutage würde ein solcher Manager mit markigen Sprüchen wie „Ich erklär euch jetzt mal, was ihr zu tun habt“ keine Anstellung finden.

Eine deutsche Bank bewarb ihre Tätigkeit auf den Finanzmärkten mit dem Spruch „Vertrauen ist der Anfang von allem“. Was halten Sie davon?

Sennett (lacht): Was glauben Sie wohl?

Wenn die vielen Probleme im Umgang mit Arbeit und ihren Auswirkungen so offensichtlich sind und Lösungen möglich – warum reagiert die Politik nicht entsprechend auf die Anregungen von Theoretikern wie Ihnen?

Sennett: Lassen Sie mich darauf mit einer Anekdote über die britische Königin antworten. Vor einigen Jahren, als die Finanzkrise gerade voll aufgeblüht war, fragte sie erstaunt: Hat das denn wirklich niemand kommen sehen? Die Antwort darauf war: Eure Majestät, wir reden hier von Politikern … Ist das nicht großartig? Wir haben diese Sorte Politiker, die mehr täten, einfach nicht. Unsere reagieren nur.

Hamburger Abendblatt vom 01-03-2013