Mrz 022013
 

Kirchen können weiter auf Milliarden-Zuschüsse zählen

Die Linke will die hohen Zahlungen ablösen. Andere Parteien trauen sich kaum an das Thema

Von Pascal Beucker

Raju Sharma gibt sich optimistisch. „Dieser Verfassungsauftrag ist eindeutig, unmissverständlich und verbindlich“, sagt der religionspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Deswegen sei er sicher, dass es bald zu einer Neuregelung kommen werde. Es geht um die sogenannten Staatsleistungen an die evangelische und die katholische Kirche. Die dürfte es eigentlich seit 94 Jahren nicht mehr geben. Jetzt verhandelt der Bundestag über einen Gesetzentwurf der Linkspartei, die Zuwendungen gegen eine Einmalzahlung einzustellen. Hintergrund sind staatliche Zahlungsverpflichtungen, die sich aus angeblich historischen Rechtstiteln herleiten, beispielsweise aus dem Reichsdeputatonshauptschluss von 1803.

Es handelt sich um ein unübersichtliches Gemisch von Ansprüchen. Sie resultieren aus der Säkularisierung kirchlicher Güter, aber auch aus schnöden Deals der damaligen Fürsten und Könige mit den jeweiligen Kirchenoberhäuptern: Legitimation der staatlichen Obrigkeit seitens der Kirche gegen staatliche Alimentierung der kirchlichen Würdenträger.

Mit dem Ende des Kaiserreichs sollte eigentlich damit Schluss sein. „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst“ heißt es in der Weimarer Verfassung. „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Aus dem Reich wurde die Bundesrepublik, aus der Weimarer Verfassung das Grundgesetz. Doch der Verfassungsauftrag blieb uneingelöst. So flossen seit Gründung der Bundesrepublik allein für Personalzuschüsse bisher rund 14,83 Milliarden Euro vom Staat an die Kirchen.

Die Linkspartei würde das gern ändern. In ihrem Gesetzentwurf schlägt sie zur Ablösung der vermeintlichen Ansprüche „eine einmalige Entschädigungszahlung in Höhe des Zehnfachen des zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes gezahlten Jahresbeitrags“. Das wären gegenwärtig rund 4,75 Milliarden Euro. Die Kirchen geben sich zwar gesprächsbereit, doch wie ernst sie es damit meinen, ist umstritten. Auf jeden Fall halten sie diese Summe für viel zu niedrig. Die Vorstellungen reichen bis hin zum 40-Fachen der jährlichen Staatszahlungen.

Dass es eine Entscheidung des Bundestags gegen den Willen der Kirchen geben könnte, gilt als ausgeschlossen. „Die finanziellen und volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Ablösung sind nicht zu unterschätzen“ beantwortete die schwarz-gelbe Regierung unlängst eine Anfrage des Linken Sharma. „Insoweit wird für den Bundesgesetzgeber kein Handlungsbedarf gesehen.“ Der Berliner Politikwissenschaftler Carsten Frerk, Verfasser des „Violettbuch Kirchenfinanzen“, glaubt denn auch nicht an eine Einstellung der staatlichen Daueralimentierung: „Es wird sich nichts tun.“

Dass sich daran unter einer möglichen rot-grünen Bundesregierung nach der Wahl im September etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich. In der Bundestagsdebatte Ende Februar lobte zwar der SPD-Parlamentarier Rolf Schwanitz, es handle sich um „einen sehr guten und längst überfälligen Gesetzentwurf“ doch mit dieser Meinung befindet er sich in krasser Minderheitenposition. Die SPD-Fraktion setzt vielmehr weiter auf Zeitspiel. „Wenn man diesen Zustand beklagt, dass wir als Gesetzgeber einen Verfassungsauftrag nicht erfüllen, dann wird man realistischerweise aber auch anerkennen müssen: Wenn das 90 Jahre lang, 93 Jahre lang nicht erfüllt wurde, wird das nicht von heute auf morgen zu regeln sein“, sagte der SPD-Abgeordnete Dieter Wiefelspütz. Er plädierte für einen „fairen Diskussions- und Gesprächsprozess mit den Kirchen“. Ein Ergebnis könnte auch sein, „dass wir das alles völlig in Ordnung finden, wie es ist“. Dann wäre es allerdings besser, so Wiefelspütz, das Grundgesetz zu ändern. Jetzt liegt der Linken-Antrag erst mal im Innenausschuss zur weiteren Beratung.


Irgendwie, irgendwo, irgendwann

Kommentar von Pascal Beucker

Man kann ja mal drüber reden – irgendwie, irgendwo, irgendwann. So hält es eine ganz große Koalition seit Jahrzehnten, wenn es um die Erfüllung eines Verfassungsauftrags geht:

„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“

Das legte 1919 die Weimarer Verfassung fest, so wurde es auch ins Grundgesetz übernommen. Geschehen ist seither: nichts. Auch der aktuelle Vorstoß der Linkspartei wird leider ins Leere gehen.

Dabei geht es im Kern um die Verwirklichung der grundgesetzlich festgeschriebenen Trennung von Kirche und Staat. Wer es damit ernst meint, kann es nicht hinnehmen, dass alleine im vergangenen Jahr die Länder rund 475 Millionen Euro als Zuschüsse für kircheninterne Personalkosten zahlten. Selbst der erzreaktionäre Kölner Erzbischof Joachim Meisner wird nicht aus Kirchensteuermitteln bezahlt, sondern staatlich alimentiert. Auch Nichtkatholiken müssen also für ihn aufkommen.

Die beiden Großkirchen berufen sich auf Ansprüche, die bis in die Reformationszeit zurückreichen und bei denen es um eine Entschädigung des Verlustes ihrer institutionellen Macht ging. Einen vernünftigen Grund, dafür auch heute noch zu zahlen, gibt es nicht.

Wie es um die Trennung von Kirche und Staat in Deutschland tatsächlich bestellt ist, illustrierte die Bundestagsdebatte über den Gesetzentwurf Ende Februar: Von den acht angemeldeten Rednerinnen glänzten vier durch Abwesenheit. Sie nahmen lieber am zeitgleich stattfindenden Dankgottesdienst für den jetzigen Expapst Joseph Ratzinger teil.

taz vom 06.03.2013


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