Mrz 232013
 

Abschreckung ist keine Lösung

Von Mira Gajevic und Norbert Mappes-Niediek

Bittere Not treibt Bulgaren und Rumänen nach Deutschland. Nun schlagen deutsche Kommunen Alarm wegen der Armutszuwanderer. Die Politik will die unliebsamen Gäste mit markigen Parolen abschrecken, statt auf Integration zu setzen.

Sie kommen ohne Chance auf Arbeit, mit dem Bus oder mit schrottreifen Autos und haben oft nicht mehr, als was sie am Leibe tragen. Sie ziehen in Abbruchhäuser, wo findige Ausbeuter ihnen hundert Euro im Monat für einen MatratzenSchlafplatz abnehmen – oder sie errichten sich aus Holz und Wellblech Hütten am Bahndamm. Dass deutsche Kommunen wegen der Armutswanderung aus Rumänien und Bulgarien Alarm schlagen, muss niemanden wundern.

Was aber der Städtetag jetzt zur Lösung des Problems vorschlägt, wird nicht viel helfen. Markig, aber hilflos sind auch die Worte von Bundesinnenminister HansPeter Friedrich, der EUBürger beim Missbrauch der Freizügigkeit in ihre Heimatländer schicken will. „Wenn jemand vor Ort Sozialhilfe beantragt, muss man ihn genauer unter die Lupe nehmen“, fordert der CSUPolitiker. „Wenn er dabei des Betrugs überführt wird, dann muss er ausreisen.“

Nur, haben die Armutsmigranten überhaupt Anspruch auf Sozialhilfe oder Hartz IV? Nein. Rumänen und Bulgaren, die nach Deutschland kommen, um sich hier einen Job zu suchen, bekommen keine Sozialleistungen. Einzige Ausnahme: Das Kindergeld, das jedem hier lebendem EUBürger zusteht. Weil man eine „Immigration in die sozialen Sicherungssysteme“ verhindern wollte, wurde bei der EUOsterweiterung klargestellt, dass es für einfach so einreisende „Touristen“ keine Sozialhilfe gibt. Die Drohung von Innenminister Friedrich, Sozialbetrüger auszuweisen läuft also ins Leere.

Zuwanderer bekommen kein Hartz IV

Daran ändert sich auch nichts, wenn ab Januar 2014 die volle Freizügigkeit für Rumänien und Bulgarien gilt. Das bedeutet nur, dass Fachkräfte aus den beiden Ländern leichter einen Job finden, weil ein Arbeitgeber nicht mehr einen gleich qualifizierten Deutschen bevorzugen muss. Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, FrankJürgen Weise, rechnet dennoch ab 2014 mit 120.000 bis 180.000 Einwanderern aus Rumänien und Bulgarien. Und der Innenminister warnt, das Problem könnte zu einem Sprengsatz für die europäische Solidarität werden.

Nicht alle Experten teilen aber die Befürchtungen, dass der eigentliche Ansturm der Armutsflüchtlinge noch bevorsteht. Viele gehen davon aus, dass die, die dem Elend in ihrer Heimat entkommen wollen, schon jetzt hier sind. Denn EU-Ausländer, die nach Deutschland kommen, um hier Arbeit zu suchen oder sich als Scheinselbstständige zu Dumpinglöhnen verdingen, können auch ab 2014 kein Hartz IV beziehen. Hartz IV bekommen EU-Ausländer erst, wenn sie zuvor hier gearbeitet haben und dann arbeitslos werden.

Die Behauptung vieler Politiker, dass Sinti und Roma vom kommenden Jahr an in vollem Umfang Anspruch auf Sozialleistungen haben, ist also Unfug. Tatsache ist, dass für viele Roma die spärlichen Einnahmen aus der Schwarzarbeit und der Bezug von Kindergeld bei niedrigsten Ansprüchen als Motiv für die Auswanderung schon ausreichen. Mit Betteln kann man an guten Tagen etwa 30 Euro am Tag einnehmen. Das ist das Doppelte des durchschnittlichen Tageslohns in Bulgarien. Richtig ist aber auch, dass den Kommunen durch die Zuwanderung schon jetzt hohe Kosten entstehen. Die wenigsten Roma und Sinti sind krankenversichert, viele befinden sich in einem desolaten Gesundheitszustand. Die Städte müssen zudem verstärkt Kinder aus den Elendsquartieren in Obhut nehmen, Obdachlosenunterkünfte sind überlaufen, Sozialarbeiter überlastet.

Bedingungen für Roma vor Ort verbessern

Der Städtetag schlägt nun vor, das Kindergeldrecht zu überprüfen oder die Voraussetzungen der Freizügigkeit zu verschärfen. Die Hoffnung ist, dass dies die Armutsmigranten abschreckt und sie woanders hingehen. Erfahrungen mit dieser Politik lassen allerdings ein anderes Ergebnis erwarten: Mit dem Versuch, die Roma und Sinti durch schlechte Bedingungen zu Weiterziehen zu veranlassen, handelten sich deutsche Kommunen schon in der Nachkriegszeit die Probleme, die sie vermeiden wollten, gerade erst sein: Das zeigt eine Fallstudie aus Freiburg und Straubing, die moderner Kommunalpolitik seither als Leitlinie gilt. Mit anderen Worten: So schlecht, dass die Armen zu Hause bleiben, kann man die Bedingungen gar nicht gestalten. Erst als die Kommunen anfingen, ernsthafte Integrationspolitik zu betreiben, so die Studie des AntisemitismusForschers Peter Widmann, begannen die Elendssiedlungen deutscher Sinti allmählich zu verschwinden.

Im Einklang mit der Bundesregierung fordern die Kommunen von den ärmsten Ländern Europas, sie möchten die prekären Bedingungen für die Roma vor Ort zu verbessern. Die allermeisten von denen, die nach Westen ziehen, fliehen aber vor der Perspektivlosigkeit. Die betrifft nicht nur Roma: In beiden Ländern ist die Zahl der Beschäftigten seit dem Übergang zur Marktwirtschaft auf etwa die Hälfte gesunken. Seit dem Einbruch der Finanzkrise hat Bulgarien bei kaum mehr sieben Millionen Einwohnern noch einmal 360..000 Arbeitsplätze verloren. Etwa zehn Prozent der Roma aus beiden Ländern, so wird geschätzt, sind nach Westen gezogen, aber auch zehn Prozent der Bevölkerung insgesamt; die ethnischen Bulgaren nach England oder Deutschland, die Rumänen nach Spanien und Italien.

Probleme machen Städte wie Dortmund geltend, wo sich Frauen aus dem Roma-Viertel Stolipinowo im bulgarischen Plowdiw als Prostituierte niederließen und ihre Familien nachholten. Im Unterschied zu verarmten Rumänen und Bulgaren haben verarmte Roma meist nichts, das sie hält: Nach dem Ende des Kommunismus blieben sie bei der Rückgabe von Häuschen und Garten ausgeschlossen, weil sie schon vorher nichts hatten. Nur eine einzige Gruppe von Rumänen ist wirklich überproportional nach Deutschland migriert: Die Ärzte. Über deren Wanderung regt sich bei uns niemand auf. Sie bekommen alle ihre Arbeitserlaubnis, denn Deutschland leidet unter Ärztemangel. Rumänien dagegen hat jetzt schon die niedrigste Ärztedichte in Europa.

EU friert Sozialfonds ein

Appelle aus dem Westen, auch mal an die armen Roma zu denken, werden in Rumänien als Heuchelei empfunden. „Ich habe natürlich nichts gegen die Anerkennung der Roma, die sie im Westen immer fordern“, sagt der Bukarester Soziologe Catalin Zamfir, Autor der größten Studie zu den Roma im Land: „Bloß hilft sie nicht gegen die Armut.“ Deutschland als Nettozahlerland hat sich beim jüngsten EUGipfel dafür eingesetzt, den Finanzrahmen der EU und damit den Sozialund den Regionalfonds, auf die Bulgarien und Rumänien dringend angewiesen sind, einzufrieren. Wenn deutsche Kommunen Mittel aus eben diesem Sozialfonds für die Integration einwandernder Roma verlangen und gleichzeitig die Länder im Südosten in die Pflicht nehmen wollen, muss das wie böser Hohn klingen.

Dass es auch anders geht, zeigt ausgerechnet der Balkan. Als 1999 Roma aus dem Kosovo massenhaft ins bettelarme Montenegro flüchteten, hat dessen Regierung am Rand der Hauptstadt Podgorica ein Gelände freigemacht. Hilfsorganisationen wurden eingeladen, dort Holzhäuschen zu bauen. Es wurde sichergestellt, dass alle Kinder zur Schule gehen konnten und auch gingen. Inzwischen ist aus der Siedlung die erste Krankenschwester hervorgegangen. Die erste Rechtsanwältin wird demnächst fertig.

Quelle: Berliner Zeitung vom 23.02.2013