Jul 222013
 

Offener Brief von Christen zur Bundestagswahl

PDF   (Adobe Reader herunterladen)

Wir wenden uns mit diesem Brief an alle, die von der Politik in unserem Land enttäuscht sind, wie von einer Lähmung befallen und fast kapitulieren vor der Frage, was sie wählen und ob sie überhaupt wählen sollen. Wir wollen aber nicht länger hinnehmen, dass eine Debatte über langfristige gesellschaftliche Ziele nicht nur nicht stattfindet, sondern auch offenbar nicht gewollt ist.

Mit diesem Verlust des Politischen finden wir uns nicht ab. Wir weisen mit unserem Brief auf zwei für uns wesentliche Politikfelder hin. Wir wissen uns der oekumenischen Friedens- und Gerechtigkeitsarbeit verpflichtet. Wir vertrauen der Kraft der Zivilgesellschaft. Eine „marktkonforme Demokratie“ wie ein scheinbar alternativloses „weiter so“ akzeptieren wir nicht.

1.

Deutschland wird immer mehr zum Akteur einer militärgestützten Interessen- und Machtpolitik. Die Logik entgrenzter Kriegsführung tritt an die Stelle der vom Grundgesetz gebotenen Friedensverpflichtung. Statt die Tradition militärischer Zurückhaltung, einst Kern deutscher Friedenspolitik, zu nutzen, bedient die deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik vor allem nationale Egoismen mit Hilfe militärischer Mittel.

Dass die Maxime „Vorrang für Zivil“ nahezu aus dem Vokabular der deutschen Politik verschwunden ist, gehört zu den Defiziten der letzten fünf Jahre. Es gibt kaum noch Initiativen, die ein vorrangiges Interesse deutscher Politik an Prävention erkennen lassen. Die Bundeswehr wird von der Politik zum Generalbevollmächtigten deutscher Friedensverantwortung hochstilisiert. Diese Entwicklung lehnen wir entschieden ab.

Wie perspektivlos diese Politik ist, zeigt das Beispiel Afghanistan. Der Versuch, in Afghanistan mit militärischen Mitteln nachhaltigen Frieden zu schaffen, ist gescheitert. Dennoch wird die Bundeswehr zu einer weltweit aktiven Einsatz-Armee umgebaut. Ihre strategische Aufgabe ist es, den nationalen Interessen Deutschlands Geltung zu verschaffen. Es gebe keine Region der Welt, „in der Deutschland nichts zu suchen habe“ (Verteidigungsminister de Maiziere, 2012).

Oberste politische Priorität hat nicht mehr die Friedensverpflichtung des Grundgesetzes, sondern die Sicherung des ungehinderten Zugangs zu Rohstoffen durch militärische Interventionsfähigkeit.

Deutschland ist mittlerweile der drittgrösste Waffen- und Rüstungsexporteur der Welt. Mit dieser expansiven Rüstungsexportpolitik betreibt die Bundesregierung Wirtschaftsförderung für die eigene Klientel. Unverblümt gibt die Kanzlerin die skandalösen Waffenexporte in Spannungsgebiete als Teil deutscher Friedenspolitik aus. Diese Vernebelung, die durch die völlig undurchsichtige Genehmigungspraxis des Bundessicherheitsrates gestützt wird, darf der Bundestag nicht länger hinnehmen. Deutsche Rüstungsexporte vergrössern das Gewaltpotential in regionalen Konflikten, erschweren die Chancen für friedliche Lösungen und erhöhen die Gefahr neuer Kriege. Friedenspolitik durch Waffenexporte betreiben zu wollen ist ein Armutszeugnis für die deutsche Politik. Mehr Waffen schaffen nicht mehr Sicherheit, nirgends.

Der Verteidigungsminister will bewaffnete Drohnen anschaffen. Er hält sie für „ethisch neutral“. Ihr Einsatz sei wie jeder andere, nur weniger gefährlich für „uns“. Wir halten es für einen Skandal, dass er mit dieser Auffassung auch noch vom bisherigen Evangelischen Militärbischof Martin Dutzmann unterstützt wird. Die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr verdeutlicht das fatale Zwangsgefälle, das von neuen technologischen Entwicklungen für die weltweite Rüstungsdynamik ausgeht.

Wir warnen vor diesen Entwicklungen. Vor allem möchten wir erreichen, dass die Gefahren, die sich aus dieser schleichenden, kaum diskutierten Militarisierung der deutschen Politik ergeben, öffentlich bewusst gemacht werden. Nur so kann es gelingen, diesen gefährlichen Entwicklungen zu widerstehen.

2.

Wir leben in einem reichen Land, privilegiert und besser dran als viele Menschen in anderen Staaten und Regionen der Welt. Wir schätzen die offene Gesellschaft, die überwiegend tolerante Grundhaltung, die der Bundesrepublik ein nach aussen sympathisches Gesicht gibt. Dazu würde eine mutige, den grossen Möglichkeiten unseres Landes entsprechende Politik passen, die sich den Aufgaben der Zukunft stellt. Selbst eine Debatte darüber findet nicht statt. Dieser Verzicht führt zu einer Lähmung der Demokratie.

Zum Verlust des Politischen in unserer Gesellschaft tragen auch die Oppositionsparteien bei. Sie verhalten sich wie abhängige Konsumenten, die die Produkte der Regierung zwar kritisieren, sie am Ende aber kaufen: in der Finanzkrise, in der Europapolitik, bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. So erleben wir nach innen ein politisch eher erstarrtes Deutschland, in dem sich eine permanente Grosse- Koalitions-Stimmung wie Mehltau verbreitet, die die vorhandenen sozialen und politischen Gegensätze nicht bearbeitet. In selbstgerechter Arroganz zeigt man auf Probleme anderer Länder und verschweigt, welchen Anteil wir daran haben.

Eine Politik, die in Europa soziale Ungleichheiten verschärft, bereitet den Nährboden für einen neuen Nationalismus. Deshalb warnen wir nicht nur vor einer Militarisierung, sondern auch vor einer nationalistischen Vorteilsnahme unserer Politik. Sie bedroht Europas Zukunft.

Deutsche Politik hat massgeblich daran mitgewirkt, dass die durch globale Finanzmärkte ausgelöste, und von den Staaten aufgefangene Finanzkrise anschliessend zu einer Staatsschuldenkrise umgedeutet und den Ländern zur Last gelegt wurde, begleitet von subtiler nationalistisch gefärbter Rhetorik. Wir halten es für verlogen, wenn deutsche Politik den eigenen Bürgern suggeriert, dass ihre Steuern für die Schulden anderer Länder aufzukommen haben, wo in Wahrheit doch Deutschland der grösste Profiteur der Schulden der Anderen ist.

Die Bundesregierung hat mit der Behauptung, die Krisenländer lebten über ihre Verhältnisse, Massnahmen mitverantwortet, die die Wirtschaft der betroffenen Länder kollabieren und die Arbeitslosigkeit explodieren liessen. So wurde ein politisches Klima erzeugt, in dem Populismus und Nationalismus gedeihen. Eine Gefahr für die europäischen Demokratien. Dieser Gefahr muss dadurch begegnet werden, dass eine europäische Solidargemeinschaft den ruinösen Staatenwettbewerb ablöst.

Wir wollen mit diesem Offenen Brief erreichen, dass unser entschiedenes Nein zu nationalen Egoismen in Europa, zur Militarisierung unserer Politik und unseres Denkens, unser Nein zur Aufrüstung mit Kampfdrohnen von möglichst vielen Menschen bei ihrer Stimmabgabe bei der Wahl am 22. September mit bedacht werden.

.

Berlin, am 22. Juli 2013
Almuth Berger, Berlin – Volkmar Deile, Berlin – Heino Falcke, Erfurt – Joachim Garstecki, Magdeburg – Heiko Lietz, Güstrow – Ruth und Hans Misselwitz, Berlin – Konrad Raiser, Berlin – Gerhard Rein, Berlin – Hans-Jochen Tschiche, Satuelle


Links


  4 Responses to “Gegen den Verlust des Politischen”

  1. Sehr geehrte Verfasser,

    Sie schreiben: „Ihre (der Bundeswehr) strategische Aufgabe ist es, den nationalen Interessen Deutschlands Geltung zu verschaffen.“ Wie Sie, kritisiere auch ich als ehemaliger Berufsoffizier der Baudissinarmee den sicherheitspolitischen Kurs, der mit den ersten Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr 1991 unter Verteidigungsminister Rühe eingeleitet worden ist und den schleichenden Verlust der „Kultur der Zurückhaltung“ in militärischen Dingen, die die alte Bundesrepublik einst auszeichnete und sie zu einem international be- und geachteten Land gemacht hatte. Dieser Kurs kulminierte vorläufig in der Beteiligung der deutschen Luftwaffe am völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999 und der Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen Afghanistan, die unter vorsätzlicher Falschauslegung der UN-SR-Resolutionen 1368 und 1373 vom September 2001, übrigens wiederum unter rot-grün, zustande kam. Dieter Deiseroth hat dazu noch weitere Anmerkungen gemacht.

    http://www.google.de/#q=deiseroth+dieter+afghanistan+krieg&spell=1&sa=X&ei=PKjuUc7eIMjUtAbfm4Aw&ved=0CCoQBSgA&bav=on.2,or.r_qf.&bvm=bv.49641647,d.Yms&fp=94fe3b786579f501&biw=1024&bih=546

    Gleichwohl vermag ich Ihrer oben zitierten Einschätzung nicht zuzustimmen. Zwar lassen sich beliebig viele markante Zitate aus den einschlägigen Strategiepapieren heranziehen, und man wird auch durchaus fündig bei der Suche nach Wilhelm-Zwo-verdächtigen Sprüchen. Aber die Realität ist eine andere. Abgesehen davon, dass die deutschen Streitkräfte quantitativ und qualitativ überhaupt nicht in der Lage sind, den „nationalen Interessen Deutschlands Geltung zu verschaffen“, wie immer die aussehen mögen, ist Deutschland schlicht und einfach ein Vasall der USA, wie es Brzezinski in „The Grand Chessboard“ formuliert und wie es auf unnachahmliche Weise Paul Craig Roberts immer wieder mit Blick auf die EU-, NATO- und andere Staaten ausdrückt, die sich zum sog. Westen zählen: puppet states. Damit das auch so bleibt, wird nun demnächst Thomas Kleine-Brockhoff vom German Marshall Fund of the United States Planungschef des Bundespräsidenten. Insofern greift Ihre Kritik in zweifacher Hinsicht zu kurz. Zweifach deswegen, weil sich imerhin eine konservativ-liberale Regierung dem Krieg gegen Libyen verweigert und im Sicherheitsrat zusammen mit China und Russland Enthaltung geübt hat, während rot-grüne Politker eifrig Menschenrechtsbellizismus gepredigt haben, an vorderster Front ein Mitglied des Europaparlaments und inzwischen Träger des diesjährigen Theodor-Heuß-Preises.

    Was also ist zu kritisieren oder anzumahnen?

    1. Kehrt zurück zu der Kultur der Zurückhaltung. 2. Haltet euch strikt an das Grundgesetz. 3. Führt Europa zusammen und besinnt euch auf einen Mann, der bereits vor 350 Jahren Gedanken formuliert hat, die heute für die Entwicklung eines selbstbestimmten eurasischen Kontinents aktueller als je zuvor sind.

    http://www.mnemeion.studien-von-zeitfragen.net/Leibniz/DASNEU_1/dasneu_1.HTM

    Zu Ihrer Kritik am Kurs der Bundesregierung in der Krise der Eurozone – weitgehend mitgetragen von SPD und Grünen – verweise ich auf den von fast allen offiziellen Medien totgeschwiegenen Professor Wilhelm Hankel und sein Konzept der Aufhabung der Spaltung, „Die Eurobombe wird entschärft“.

    http://www.dr-hankel.de/2013/04/22/einfuhrung-in-mein-buch-die-eurobombe-wird-entscharft/

    Mit freundlichen Grüßen
    Jochen Scholz

    Link: Offener Brief vom 21.07.2013 von Jochen Scholz an den Bundespräsident Joachim Gauck

  2. I am appalled that my country has invented and now uses the newest method to kill. Now it will provide the method for others to use. Our latest history shows our evil worship of the use of guns to kill each other. It is now new however since our history began with the use of guns wiht wild abandon. We are unable to recognize that the death of another human being is no solution for a problem. It is simply a new problem. As a Christian I have heard and believe the command „Thou shalt not kill“. None of our political systems have solved the problems of hunger, disease, and inequality. I pray that the German people might show us a new way.

  3. „Die Zukunft vorherzusagen, ist unmöglich, und alle derartigen Versuche wirken – wenn sie ins Detail gehen – schon wenige Jahre später lächerlich.“ Das ist der erste Satz in einem Buch, das sich ausschließlich mit der Zukunft beschäftigt; nicht irgendein Buch, sondern das Standardwerk der Futuristik: „Profile der Zukunft“, geschrieben von einem großen Denker, dessen prophetische Worte anzuzweifeln noch kein ernstzunehmender Wissenschaftler gewagt hat: Sir Arthur Charles Clarke (1917 – 2008). Der hohen Politik ist das egal.

    Was dabei herauskommt, wenn die Gestaltung der Zukunft der hohen Politik überlassen wird, erleben wir seit dem Beginn der so genannten Finanzkrise im Herbst 2008. Die hohe Politik und vorgebliche Wirtschaftsexperten, von denen sie beraten wird, versuchen ständig, „die Zukunft vorherzusagen“: Man will einen „selbsttragenden Aufschwung“ herbeiführen, eine „Energiewende“ finanzieren, sich auf den „demographischen Wandel“ einstellen und nebenbei Massenarmut, Umweltzerstörung, Terrorismus und Krieg bekämpfen. Solange eine Mehrheit von Wählern diesen Unsinn glaubt, geht uns die Zukunft immer mehr verloren, denn:

    „Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits.“

    Das schrieb der Freiwirtschaftler Otto Valentin in einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Warum alle bisherige Politik versagen musste“ im Jahr 1949. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Tatsächlich gibt es für die Menschheit gar keine Zukunft mehr, wenn es nicht endlich gelingt, die Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz (Kapitalismus) abzustellen und damit auch die hohe Politik überflüssig zu machen, die ohnehin nichts dagegen auszurichten vermag, solange unsere seit jeher fehlerhafte Geld- und Bodenordnung so ist, wie sie noch ist.

    Was passiert, wenn nichts passiert – wenn also die hohe Politik weiterwurstelt, ohne sich auch nur im Geringsten der Situation bewusst zu sein, in der wir uns alle gegenwärtig befinden? Dazu gibt es genau zwei mögliche Szenarien:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/was-passiert-wenn-nichts-passiert.html

  4. Es stimmt leider, dass Deutschland immer mehr eine militärgestützte Interessen- und Machtpolitik betreibt. Die deutsche Politik verschärft die sozialen Ungleichheiten in Europa.