Dez 222013
 

Von Gerhard Rein, 12.12.2013

Das Telefon klingelt. Eine unbekannte Stimme, ein älterer Mann, will seine Geschichte erzählen. Er sei als elfjährigerjunge mit seinen Eltern nach Südafrika ausgewandert. Dort unter Buren aufgewachsen. Für ihn war immer klar, dass Nelson Mandela ein Terrorist, ein Kommunist war. Er hätte sich sehr gefreut, wenn dieser schwarze Unruhestifter erschossen oder aufgehängt worden wäre. Er habe es bedauert, dass 1964 nur eine lebenslängliche Haftstrafe und nicht die Todesstrafe ausgesprochen wurde. Doch fast fünfzig Jahre später fängt der alte Mann am Telefon an zu weinen. Er hatte gerade vom Tod Nelson Mandelas erfahren.

Wie ist diese Konversion zu erklären? Vom jugendlichen deutschen Rassisten zu einem Anhänger des ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas? Mandela-Magic?

„Ich bin nicht der Messias“, erklärte Mandela wenige Stunden nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Vom Balkon des Rathauses in Kapstadt wehrte er sich gegen überhöhte Erwartungen. Aber muss nicht eine religiöse Dimension im Spiel sein, wenn ein einzelner Mensch nach seinem langen Weg in den Tod mit kaum zu steigernden Attributen versehen wird? Heiliger, überlebensgrosser Held, Gigant.

Ach, geht es auch eine kleine Nummer kleiner? Man könnte sonst ja fast auf die Idee kommen, Mandela sei gar nicht Mensch gewesen, sondern ein Art Gott. Zumindest aber jesusmässig.

Die regelmässigen oder unregelmässigen Kirchgänger müssen sich freilich daran erinnern lassen, dass in unseren Gottesdiensten gelegentlich davon die Rede ist, man solle dem Beispiel Jesu folgen. Warum also nicht werden wie er?

Mandela selbst wollte davon nichts wissen. In allen persönlichen Fragen war er eher zurückhaltend, fast scheu. Sein Innerstes hat er nicht nach aussen gekehrt. Religiöse Bekenntnisse waren nicht seine Sache.

Dabei war er von Anfang an in seiner armen Familie und im verwandtschaftlich nahen königlichen Xhosa-Kraal umgeben von Ahnen und Geistern und kirchlichen Institutionen. Die Initiationsriten der Xhosa-Tradition mit der Absonderung der Jungen, der Beschneidung im Busch und der Vorbereitung auf das sogenannte Mannestum waren für Nelson Mandela ebenso eindrücklich wie die ersten Tage in der Schule der methodistischen Missionsstation. Ahnenkult und Christentum waren keine Gegensätze. Ohne die Missionsschule wäre er aus seinem Dorf nicht herausgekommen. Bei den Methodisten lernte er Disziplin, Latein, englische Sportarten, Shakespeare, den Buckingham Palace und den ersten weissen Lehrer kennen. Seine kirchlichen Mitgliedsausweise bewahrte er auf. Alles, was englisch war, erschien ihm besser als alles andere. Am liebsten flog er mit British Airways.

Es gab Freunde im „struggle“, im Kampf, im Untergrund Südafrikas, die Mandela aufforderten, doch auch die „religiöse Karte“ zu ziehen. Die Buren beriefen sich mithilfe der holländisch-reformierten Kirchen in ihrer Apartheid-Ideologie doch permanent auf die Bibel, diese Ideologie müsse Mandela mit seiner eigenen religiösen Haltung konterkarieren, hiess es. Es würde der Sache helfen und ihm weitere Unterstützer sichern. Mandela weigerte sich. Er wolle die Religionen nicht manipulieren, meinte er.

Über den Kurs des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in der Auseinandersetzung mit dem Apartheid-Regime gab es intensive Debatten. Gewaltlosigkeit war eine Strategie. Sie war mit der Hoffnung verknüpft, die Weissen würden zu Verstand kommen und zu Gesprächen über eine Veränderung bereit sein.

Nach dem Massaker in Sharpeville 1960, bei dem 69 schwarze Menschen erschossen wurden, die meisten von ihnen in den Rücken, war Nelson Mandela davon überzeugt, dass Gewaltlosigkeit nicht mehr weiterführe. Freunde wie Albert Luthuli oder F. K. Mathews, beide tief in christlichen Kirchen Südafrikas verwoben, baten Mandela und den ANC inständig, beim Weg der Gewaltlosigkeit zu bleiben.

Mandela widersprach und verwies auf Jesus, der in Jerusalem eine Geissel aus Stricken zusammengebunden und die Kaufleute und Wechsler aus dem Tempel getrieben habe. Gewaltlosigkeit war keine Glaubensüberzeugung, sondern eine Strategie. Sie musste beendet werden.

Auf Robben Island hatte Mandela Muslime und Hindus als Mitgefangene erlebt, und nicht wenige Juden gehörten zu den frühen Aktivisten des ANC. Den Horizont des Christseins hatte Mandela für sich längst erweitert. Der königliche Kraal, die Gemeinschaft der Gefangenen, die tägliche Meditation in der Gefängniszelle haben ihn nicht daran zweifeln lassen, dass die Sache gerecht war, für die er einstand. Es gibt eine Notiz aus dem Jahr 1971, unfassbar, unbegreiflich: „Ich werde mich an den Schwur halten: niemals, unter keinen Umständen etwas Ungebührliches über einen anderen zu sagen.“

Publik Forum 24/2013


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