Dez 222013
 
Held – Vorbild – Legende

Von Gerhard Rein

Seine Autobiografie nannte er: Mein langer Weg zur Freiheit. Auch sein Weg in den Tod war lang. Als er im Juni mit schwerer Lungenentzündung ins Krankenhaus kam, wurden alle Aufrufe und Gebete, ihn in Ruhe sterben zu lassen, nicht erhört. Das Spital in Pretoria wurde wochenlang umlagert. Mandela konnte das Krankenhaus aber wieder verlassen. Nun starb er in seinem Haus in Johannesburg. Er ist 95 Jahre alt geworden. Erinnern wir uns an diesen wunderbaren, alten Mann, der überall in der Welt geliebt wurde. Seine ansteckende Heiterkeit, sein breites Lachen, seine Verweigerung zu hassen, seine Suche nach Versöhnung zwischen Schwarzen und Weißen, haben ihn über alle Grenzen hinweg zum Vorbild, zum umschwärmten Idol werden lassen. Mandela – schon zu Lebzeiten eine Legende, fast ein Heiliger, beinahe der Messias. Nun ruhe sanfte, sanfte ruh, möchte man matthäus-passionsmäßig nach Johannesburg hinübersingen.

Die Rassisten unter den Weißen hielten ihn für einen Terroristen, einen Kommunisten, einen Aufwiegler als sie Mandela in Pretoria anklagten. Für solche Typen war in der Regel die Todesstrafe vorgesehen. Mandela hatte Glück. Er kam 1964 mit „lebenslänglich“, mit 27 Jahren Gefängnis davon.

In Pretoria wurde Mandela dreißig Jahre später zum Präsidenten ausgerufen. Er tanzte auf der Regierungs-Empore leichte Step-Schritte. Vom Rasen winkten Jassir Arafat, Fidel Castro und Prince Charles. Düsen-Jets der südafrikanischen Luftwaffe flogen eine Ehrenformation, und die jubelnde Menge in der Stadt schrie im Chor: Jetzt gehören sie uns, die Jets. Uns, den Schwarzen. 1994 wussten die meisten Südafrikaner schon, dass ihr erster schwarzer Präsident kein Kommunist und kein Terrorist war. Eher ein altmodischer afrikanischer Patriot, der es als absurd ansah, dass irgendwo in Moskau oder in Washington entschieden werden könne, welchen Weg Südafrika zu gehen habe. Dass er Fidel und Jassir Arafat zu seiner Einführung nach Pretoria lud, zeigte nur, dass er zu denen hielt, die zu seinem ANC, seinem Afrikanischen Nationalkongress, standen, als er verboten war. Aber politisch war ihnen Mandela fern. Er hatte seinen Frieden mit Harry Oppenheimer und de Beer längst gemacht, mit den Gold- und Platin- und Diamanten-Konzernen. Keine Enteignung, kein Sozialismus, kein neuer Kurs. Kein Streit mit den großen Kreditgebern aus der reichen Welt. Und eine enge Freundin war ja sowieso eine ältere weißhaarige Dame im Buckingham-Palast. Mandela bewunderte die englische Form der Demokratie. Er selbst stammte ja auch aus einem ländlichen, königlichen Xhoza-Kraal.“How are you, Elizabeth“, rief Nelson M. ins Telefon, wenn er sich mit der Queen austauschte.

Die Wahlplakate des ANC versprachen 1994 Jobs, Jobs, Jobs. Aber sie kamen nicht. Die arme schwarze Mehrheit blieb arm. Aber Elektrizität erreichte die townships, und fliessend Wasser. Welch ein Fortschritt. Die Verfassung ist exzellent, und die Meinungsfreiheit nach wie vorgegeben. Alles nicht selbstverständlich in Afrika. Aber auf bestem Wege ist Südafrika nicht. Das wird seinen Nachfolgern angelastet, nicht Nelson Mandela. Der weltberühmte Gefangene von Robben Island erlebte aber tiefe persönliche Krisen. Von seiner ersten Frau trennte er sich. Dann verliebte er sich in Winnie. Unsterblich, wie alle erzählen, die das Paar aus der Nähe kannten. Winnies Sturz und Abkehr und Untreue hat Mandela nicht überwunden. Der einsame Mann litt.

Mandela war fast achtzig Jahre alt, als er Graca Machel lieben lernte, die Witwe des Präsidenten von Mozambique. Graca Machel erzählte einmal von ihrer Beziehung zu Nelson Mandela. Es sei, berichtete sie errötend und kichernd, eine Liebe „mit allem drum und dran“. Wunderbar.

Wenn sie noch leben, kommen bestimmt seine Wärter zur Beerdigung, mit denen Mandela sich im Gefängnis angefreundet hatte. Wenn sie noch leben, vielleicht auch die Witwen seiner Feinde. Mandela lud die Frauen zum Tee, deren Männer ihn vernichten wollten. Der Rest der Welt kommt sowieso.

Deutschlandfunk 07.12.2013, mp3


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