Mrz 202014
 

Senat beschließt Beitragssenkung für Kinderbetreuung

Von Sascha Balask

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Der Schritt war lange angekündigt, es bedurfte nur noch eines Beschlusses des Senats: Vom 1. August an wird die fünfstündige Betreuung in der Kita und der Tagespflege für alle Kinder von der Geburt bis zur Einschulung kostenlos sein.

Ab dem 01.08.2014 ist die fünfstündige Kinderbetreuung in HH beitragsfrei!

Im Sommer kommen auf Familien, die ihre Kinder betreuen lassen, damit große finanzielle Entlastungen zu. So zahlt eine Familie mit einem monatlichen Nettoeinkommen von rund 2750 Euro bei einem Krippenkind 2304 Euro weniger pro Jahr. Diese Beispielrechnung gilt für ein Krippenkind, das acht Stunden pro Tag betreut wird. Der Anteil, den die Eltern in diesem Fall zahlen, sinkt von monatlich 300 auf 108 Euro.-Bei Familien mit zwei Kindern, die jeweils Krippe und Kita für acht Stunden am Tag besuchen, sinkt der jährliche Beitrag für Familien sogar um 3072 Euro. Auf die Stadt kommen dagegen erhebliche Kosten zu: für 2014 gut 30 Millionen Euro zusätzlich, für 2015 etwa 75 Millionen Euro.

Landeselternausschuss fordert besseren Betreuungsschlüssel

Forderungen des Landeselternausschusses (LEA), das Geld nicht in Gebührensenkungen, sondern in einen besseren Betreuungsschlüssel und die Qualität der Kinderbetreuung zu stecken, wies Scheele zurück. Er berief sich darauf, dass es sich bei der Gebührenfreiheit um ein Wahlversprechen der SPD handele. Der LEA fordert unter anderem, dass der Betreuungsschlüssel in Krippen von derzeit einem Betreuer auf durchschnittlich 5,2 Kinder auf eins zu vier zu-senken. Hamburg weist laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mit diesem Wert das schlechteste Ergebnis in Westdeutschland auf. Ideal sei laut Stiftung ein Verhältnis von einem Betreuer für drei Kinder. „Finanzielle Entlastungen von Eltern sind grundsätzlich wünschenswert“, sagte Christoph de Vries, Familienpolitiker der CDU. Er hält es aber für richtig dass „dem hohen Wert und Nutzen“ der Kita-Betreuung auch eine angemessene Eigenbeteiligung der Eltern gegenübersteht. „Insofern stellt sich die Frage, warum Eltern mit zwei Kindern im Kita-Alter, die über ein Jahreseinkommen von mehreren Hunderttausend Euro verfügen, nun um rund 3000 Euro jährlich entlastet werden sollen.“ Er moniert, dass Hamburg Schlusslicht bei den Betreuungsschlüsseln bleiben werde. Sein Fazit: „Das Motto der SPD ist immer das gleiche – Hauptsache, billig – und für die Verbesserung von Qualität und Standards ist dann kein Cent mehr übrig.“ Die Grünen bewerten die Gebührenfreiheit dagegen positiv. „Gerade in Hamburg kämpfen Familien mit hohen Lebenshaltungskosten, da ist die beitragsfreie Grundbetreuung eine willkommene Entlastung“, sagte die familienpolitische Sprecherin der Grünen, Christiane Blömeke. Aber auch sie mahnt, dass der Senat die Qualität „nicht aus den Augen verlieren“ dürfe. „Eltern erwarten beim Betreuungsschlüssel zu Recht Verbesserungen.“ Aus Sicht der Grünen sei langfristig eine Chancengerechtigkeit für die Kinder nur zu erreichen, wenn es einen besseren Betreuungsschlüssel gäbe. Finn Ole Ritter (FDP) sagte: „Die beitragsfreie Grundbetreuung in Kitas ist für viele Familien auf den ersten Blick hochattraktiv.“ Sie dürfe aber nicht auf Kosten der Qualität gehen und sich somit zum Bumerang entwickeln. Die SPD sieht in der Gebührenfreiheit eine klare Abgrenzung zur CDU. „Wir unterscheiden uns in der Bildungspolitik fundamental von der CDU als auch von schwarz-grünen Bündnissen“, sagte die familienpolitische Sprecherin, Melanie Leonhard. „Die Regierungszeit der verschiedenen CDU-Senate hat für Hamburgs Familien bedeutet: Büchergeld in der Schule, Studiengebühren an der Uni und Gebührenerhöhungen in Kita und Hort. Die CDU ist die Partei der Bildungsgebühren.“

Der Ausbau der Kinderbetreuung

Angebot wird seit 2003 kontinuierlich erweitert – Stadt investiert dieses Jahr 562,5 Millionen Euro

Seit 2003 baut Hamburg sein Kita-Programm kontinuierlich aus. Die Kosten dafür liegen 2014 voraussichtlich bei insgesamt 562,5 Millionen Euro, 2008 waren es noch 333,5 Millionen. Begonnen hat alles mit der Einführung des Gutscheinsystems. Seit August 2003 wird Eltern kein bestimmter Kitaplatz für ihr Kind mehr zugewiesen, sondern eine Betreuungsleistung bewilligt. Jedes Kind ab drei Jahren bis Schuleintritt hat einen Rechtsanspruch auf vier Stunden Betreuung, für längere Betreuungszeiten muss ein Bedarf – etwa Berufstätigkeit der Eltern – nachgewiesen werden. Doch es gibt Startschwierigkeiten: Kritiker finden, dass bei dem Modell Kinder aus sozialen Brennpunkten nicht genügend berücksichtigt werden. Außerdem ist wegen großer Nachfrage das Budget nach wenigen Monaten erschöpft. Die Bildungsbehörde stoppt die Ausgabe der Gutscheine, obwohl noch 18.000 Kinder auf der Warteliste stehen. Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) tritt wegen des „Kita-Chaos“ zurück. Der Senat muss 2003 und 2004 jeweils 40 Millionen Euro zuschießen, um die Reform zu retten. Anfang 2005 wird der Rechtsanspruch auf fünf Stunden Betreuung und ein Mittagessen erweitert; ab August 2006 haben alle Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres das Recht auf bedarfsgerechte Betreuung. Kinder, die aus sozialen oder pädagogischen Gründen betreut werden müssen, haben Anspruch auf Tagesbetreuung in dem zeitlichen Umfang, der benötigt wird, sie bedarfsgerecht zu fördern. Auch Kinder mit (drohenden) Behinderungen werden in das Gutscheinsystem integriert.

Kinder von ein bis 14 Jahren haben einen Anspruch auf Betreuung

2007 wird das Kita-Gutscheinsystem zum Exportschlager: Österreich interessiert sich für das Hamburger Modell. In der Hansestadt werden mittlerweile 59.000 Kinder betreut (2002: 54.000). Ein Jahr später wird damit begonnen, die Krippenplätze auszubauen. Bis 2012 investiert Hamburg allein in dieses Modell insgesamt 65,4 Millionen Euro für Krippenplätze in Kitas und Tagespflege. Ab September 2009 müssen Eltern nicht mehr für das letzte Kita-Jahr zahlen, auch die Vorschulgebühren entfallen. Im August 2011 löst Bürgermeister Olaf Scholz sein Wahlversprechen ein: Mit dem „Kita-Sofortpaket“ werden die Gebührenerhöhungen des Vorgängersenats zurückgenommen, das Essensgeld abgeschafft, sogenannte „Kann-Kinder“ in die Beitragsfreiheit des Vorschuljahres einbezogen und der Rechtsanspruch auf Hortbetreuung für Zwölf-und 13-Jährige wieder eingeführt. Seit August 2012 haben auch Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr das Recht auf eine fünfstündige Tagesbetreuung mit Mittagessen. Mit dem „Kita-Plus“-Programm erhalten Kitas in sozialen Brennpunkten ab Januar 2013 mehr Personal, um Kinder besser fördern zu können. Anfang August 2013 wird die Altersgrenze erneut gesenkt. Nun haben auch Kinder ab zwölf Monaten Anspruch auf Betreuung. Gleichzeitig wird das Betreuungsgeld von 100 Euro eingeführt, aber nur 44 Mal beantragt. Ab August 2014 soll das fünfstündige Grundangebot in Kitas beitragsfrei werden. 2014 kostet Hamburg das 31 Millionen Euro zusätzlich, 2015 werden es rund 75 Millionen Euro sein. (fru)

Hilfe für Familien

Von August an wird die Kita-Betreuung für viele kostenlos – ein Akt der Gerechtigkeit

Leitartikel von Jörn Lauterbach

Eine staatliche Leistung, die zudem nur einer bestimmten Gruppe zugutekommt, wird günstiger – solche Vollzugsmeldungen wie jene, die der Hamburger Senat am Dienstag absetzen konnte, gibt es wahrlich nicht alle Tage. Von August an werden Kinder täglich fünf Stunden lang kostenfrei in den Kitas betreut, und das Essen ist da auch schon mit drin. Wer mehr Stunden benötigt, muss nur den Teil bezahlen, der oberhalb der fünf Stunden hegt. Das kann für die Familien Einsparungen von bis zu 200 Euro monatlich bedeuten. Es geht hier also um viel. Um viel Geld einerseits, aber auch um Gerechtigkeit. i^teserl^ujkt mag zunächst unklar sein – wieso ist es gerecht, eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe zu entlasten, und zwar auf Kosten der Allgemeinheit? Das jedoch ist schnell beantwortet: Anders als bei Hoteliers, die die Mehrwertsteuer sparen, oder subventionierten Braunkohle-Bergarbeitern wird hier das Fundament unserer Gesellschaft gesichert und gestärkt. Ohne Kinder, ohne Familien ist keine Zukunft für die Gesamtheit planbar. Sie sind, um es im Bankendeutsch zu sagen, extrem systemrelevant – und zwar auch für jene, die selbst keine Kinder haben, aber irgendwann von den Steuer- und Beitragszahlungen der nachwachsenden Generationen profitieren müssen. Sind diese Erkenntnisse Banalitäten? Dazu ein persönlicher Rückblick. Bei meinem ersten Kind, das 2003 geboren wurde, gab es kein Elterngeld, wenig steuerliche Rückerstattung für Betreuungsausgaben und monatliche Kita-Kosten in Höhe von 370 Euro plus Essensgeld – mal ganz abgesehen davon, dass die Suche nach einem der wenigen Betreuungsplätze zuweilen entwürdigend war. Zwar gab es Erziehungsgeld mit einem Höchstsatz von 300 Euro, aber den bekamen nur jene, die ohnehin arm dran waren. Eltern mit einem normalen – nicht üppigen! – Einkommen gingen komplett leer aus und waren durch Gehaltsausfälle und die anfalleiiden Zahlungen schnell finanziell in einer Notsituation; oftmals musste das Ersparte dran glauben, aus meinem Bekanntenkreis verließen viele die gefragten Innenstadt-Wohnbereiche und verabschiedeten sich nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Bei meinem zweiten Kind, geboren 2009, gab es Elterngeld in Höhe von monatlich 1800 Euro, die Kita-Kosten lagen bei mehr als 400 Euro (und kurzzeitig bei gut 500 Euro dank schwarz-grüner Politik) Plätze waren immer noch rar, aber die steuerliche Absetzbarkeit war verbessert worden. Und bald: Elterngeld, Kita-Platz-Garantie, fünf Stunden freie Betreuung, Steuerbefreiung für einen Teil der dennoch anfallenden Zahlungen. Wir reden hier also über einen Zeitraum von nur zehn Jahren für einen kompletten Paradigmenwechsel, um das, was heute offenkundig (oder banal) zu sein scheint, in greifbare Politik umzusetzen, und es muss dem amtierenden Senat zugutegehalten werden, dass vieles davon in jüngster Zeit umgesetzt wurde. Mehr Kinder wird es deswegen nicht zwangsläufig geben, denn in diese sehr persönliche Entscheidung fließen noch andere Faktoren hinein; manche, etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sind von der Politik beeinflussbar, andere unterliegen dem Zeitgeist. Es wäre aber falsch, diese getroffenen Verbesserungen nur unter der Vorgabe der Gebärquote zu beurteilen. Es geht darum, Kinder aus ausländischen Familien oder solchen mit RTL2-Bildungsstand frühzeitig mit Sprach- und Sozialkenntnissen auszustatten, um ihnen eine Chance in Schule und Beruf zu geben. Und es geht gerade für Hamburg darum, die bestehenden Familien in deri Grenzen des Stadtstaates zu halten. Dabei ist die finanzielle Grundlage wichtig, aber auch das Gefühl, gewollt zu sein mit Kindern, und zwar nicht nur in den Randbezirken, sondern überall.

Hamburger Abendblatt vom 19.03.2014


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