Apr 192014
 

Die Kirche in Lorenzkirch

Von Carl Paul

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Wer gegen Ende August nach Strehla an der Elbe kommt und nach Besichtigung des alten doppeltürmigen Schlosses ein anmutiges Landschaftsbild genießen will, dem bietet sich vom Hochufer hinter dieser aus germanischen Kolonisationszeit stammenden Trutzburg ein wundervoller Ausblick über die Elbeniederung. Zur Rechten erblickt er jenseits des Stadtbildes einen Wald von Schornsteinen, der in der Gegend des Riesaer Bahnhofs besonders dicht ist. Das industrielle Sachsen bringt mit ihm dem vorwärts fahrenden Schiffer noch einen Scheidegruß. Zur Linken schweift das Auge ungehindert über die preußische Grenze, wo der Strom nur noch flache Wiesen bespült, denn hier fängt die norddeutsche Tiefebene an. Zu Füßen des Beschauers aber breitet sich die fruchtbare Elbaue, deren Wiesen und durch Hochwasserdämme geschützte Felder mit denen der Lommatzscher Pflege wetteifern. Stattliche Rittergüter und behäbige Bauerndörfer sind über die Niederung verteilt, die von der Elbe im Halbkreis umschlossen sind.

Blick von der Anlegestelle der Fußgängerfähre in Strehla über die Elbe nach Lorenzkirch
Bild von Michael Gäbler

Unmittelbar vor uns, so dass wir es wie aus der Vogelschau betrachten, liegt jenseits des Stromes das alte Pfarrdorf Lorenzkirch. Es ist in den Augusttagen der Zielpunkt unzähliger Besucher. Auf dem weiten Wiesenplan, der sich vor der langhingestreckten Häuserreihe zur Elbe senkt, findet der Lorenzmarkt statt. Er ist heute nur noch ein Schatten seiner früheren Herrlichkeit. Ein bei Georg Luck in Strehla erschienenes Schriftchen „Aus der Blütezeit des Lorenzmarktes“ belehrt uns, dass er vor annähernd 100 Jahren seinen Höhepunkt hatte und zu dieser Zeit tatsächlich von großer wirtschaftlicher Bedeutung für die kleinen Städte und Dörfer diesseits und jenseits der preußischen Grenze war.

Was hat dem kleinen Elbdorf diese Anziehungskraft verliehen? Eine Wallfahrtskirche des heiligen Laurentius, von der der Ort den Namen trägt. Es gibt viele Laurentiuskirchen in Sachsen. Den Anlaß zu ihrer Entstehung, gab vermutlich ein Gelübde des Kaisers Otto I. in der Schlacht gegen die wilden Ungarn auf dem Lechfelde. Sie fand am Laurentiustag statt. Für den Fall des Sieges, der tatsächlich errungen ward, gelobte der Kaiser dem Schutzheiligen des Tages, Kirchen im damals noch heidnischen Wendenlande zu errichten. Für keinen der damals bedachten Orte ist der in einer römischen Christenverfolgung als Märtyrer gestorbene Laurentius (gest. 257) von solcher Bedeutung geworden, wie für unser Dorf. Im Schutzbereich der mit einem alten Geschlecht des Meißner Uradels besetzten Burg und an einem alten Elbübergang gelegen, entwickelte sich in Verbindung mit der Wallfahrt zur Kapelle des Heiligen eine mittelalterliche Messe, die sich im Laufe der Jahrhunderte in einen modernen Vieh- und Krammarkt verwandelte, nach dem die Landbevölkerung der Umgebung heute noch ihre Zeitbestimmung trifft.

Der Jahrmarkt in Lorenzkirch
Gemälde von Alfred Borsdorf 1913

Die ursprüngliche Bedeutung des Jahrmarktes ist übrigens unvergessen. Am dritten Markttag ruhen die Geschäfte in der Buden- und Zeltstadt für einige Stunden. Die Glocken rufen zur Kirche. Schon der stimmungsvolle Gottesacker fesselt die Marktfremden. Er ist durch wundervolle hohe Linden und Lebensbäume ausgezeichnet. Nicht minder durch schöne alte Leichensteine, zu denen man glücklicherweise das beste Material aus den Sandsteinbrüchen der Sächsischen Schweiz nahm, so dass sie noch nach Jahrhunderten in Form und Schrift voll erhalten sind. Zu den besten gehört eines vor 200 Jahren hier amtierenden Pastors Sappuhn, der seine eigne Grabinschrift in lateinischen Versen verfasste. Ferner der eines Schiffseigners, der mit einem großen Segelschiff geschmückt ist; die Inschrift schildert seinen Lebensgang unter den Bildern einer Schifffahrt. Ebenso reizvoll ist der Stein eines jungen Mädchens, auf dem das Symbol der Rose in Bild und Wort vielfach wiederkehrt. Dass  auch das jetzige Geschlecht noch Denkmäler zu schaffen weiß, die den alten ebenbürtig sind, zeigt das am Eingang des Friedhofes zum Gedächtnis der im Weltkrieg gefallenen Gemeindeglieder errichtete monumentale Kreuz aus fränkischem Muschelkalk von der Hand eines Nürnberger Künstlers.

Stich der Kirche in Lorenkirch aus der alten sächsischen Kirchengalerie um 1842

Die Bauformen des Gotteshauses sind von dörflicher Schlichtheit. Die drei von der Apsis bis zum Turm stufenmäßig aufsteigenden Bauglieder lassen deutlich die Erweiterungsperioden der Kirche erkennen. Der älteste Teil, in dem einst der Heiligenschrein stand, ist in romanischer Form und mit besonders gutem Baumaterial errichtet. Im Innern ist nichts aus der vorreformatorischen Zeit zu sehen, dafür aber einige sehr beachtenswerte neue Kunstwerke. Auf dem alten Steinsockel des Altars steht eine von einem Dresdner Künstler aus Lindenholz geschnitzte Kreuzigungsgruppe: ein alter Schiffer und ein junges Landmädchen knien als  Vertreter der hier anbetenden Gemeinde unter dem Kruzifix. Der erst in diesem Jahrhundert gestiftete Taufstein ist ebenso eigenartig wie kostbar. Auf einem Granitsockel, der mittels der Taucherglocke auf dem Grunde der Elbe aus dem sagenhaften Nixenstein gebrochen wurde, erhebt sich eine in Lebensgröße künstlerisch geformte Engelsgestalt aus Bronze neben dem auf Reiterfüßen stehenden Taufbecken. Von den vielen Fenstern in Glasmalerei sei nur das des Laurentius erwähnt, das aus dem Kollektenertrag des Marktgottesdienstes beschafft wurde.

Friedhof in Lorenzkirch mit der Kirche von Strehla im Hintergrund
Gemälde von Pedro Schmiegelow

Der Gottesacker, die neueren Stiftungen der Kirche und manches andere lassen erkennen, dass in Lorenzkirch eine starke Liebe zur Heimat gepflegt wird. Die Bewohnerschaft des Kirchspiels ist noch recht bodenständig. Fast 100 Jahre lang blieb das Pfarramt in derselben Familie, Großvater, Vater und Enkel folgten einander. Sie suchten ihre letzte Ruhestätte im Schatten der Kirche, in der sie amtiert hatten. Auch  andere Angehörige dieser Familie, die nach auswärts verzogen waren, sicheren sich hier ihre Grabstätte. Ein kleines Heimatmuseum im Pfarrhof hält das lebende Geschlecht in Verbindung mit den vergangenen Generationen. Es tut wohl, wenn man in unserer schnelllebigen und pietätlosen Zeit auf einen solchen Ort stößt, wo noch auf Schritt und Tritt Gemütswerte zu finden sind. 


Quelle: Mülsener Kirchenblatt. Monatliche Nachrichten für die Kirchengemeinden des Mülsengrundes: Mülsen St. Jacob, Mülsen St. Niclas, Mülsen St. Micheln, Thurm, Schlunzig, Wernsdorf und Heinrichsort. 3. Jahrgang, Nr. 11 vom November 1927.


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