Jun 032014
 

Zum Gedächtnis Missionar Gäblers 

Evangelisch-Lutherisches Missionsblatt, 73. Jahrgang, Leipzig, August 1918 Nr. 8, Seite 125-129 

Den unerwartet schnellen Heimgang unseres Missionars Gäbler haben wir bereits in Nr. 6 unseres Blattes mitgeteilt. Der dankbaren Erinnerung an seine unserer Mission geleisteten treuen Dienste sollen die nachfolgenden Zeilen gewidmet sein.

Missionar Hermann Gäbler wurde am 19. September 1867 zu Dornhennersdorf in Sachsen geboren. Schon sehr früh wurde in ihm der Wunsch geweckt, dem Herrn in der Mission zu dienen. Die erste direkte Anregung dazu erhielt er in der Schule seines Heimatortes. Er schreibt darüber selbst in einem kurzen mit seinem Aufnahmegesuch in das Missionsseminar zu Leipzig eingereichten Lebenslauf: „Es wurde einst in der Schule darüber gehandelt, wie gross die Liebe unseres Heilands und Erlösers gewesen sei, dass er, der eingeborne Sohn Gottes, sich zum Heil und Sühnopfer sowohl der Juden als auch der Heiden ans Kreuz schlagen liess. Ganz erfüllt von dieser grossen und wunderbaren Erbarmung Gottes und durch das Lesen von Missionschristen noch besonders darauf aufmerksam gemacht, trieb mich mein Herz, den Entschluss zu fassen, den Heiden von dieser Liebe und Gnade zu erzählen“. Am meisten hatte er es aber wohl seinen frommen Eltern, schlichten Webersleuten, zu danken, dass sich sein Herz der Liebe seines Heilandes öffnete. Sein Beichtvater gibt ihm das Zeugnis, dass er ihm als ernster, fleissiger und sittlich reiner Knabe bekannt sei, der nicht ohne natürliche gute Gaben und Anlagen, vornehmlich aber aus der echt christlichen Zucht frommer Eltern mit einem besonders lebhaften Zuge zum Heiland und seinem Reiche gross geworden sei. Im Jahre 1885 wurde er in das Missionsseminar aufgenommen, in dem er während der folgenden sechs Jahre zuerst unter Hashagen und dann unter Hofstätter seine theologische und missionarische Ausbildung erhielt. Am 17. Mai 1891 wurde er in der Thomaskirche zu Leipzig im Auftrag des Sächsischen Landeskonsistoriums durch D. Panck ordiniert und am darauffolgenden Jahresfest unserer Mission am 20. Mai zum Missionsdienst unter den Tamulen Indiens abgeordnet.

Es war eine grosse Reisegesellschaft, mit der Missionar Gäbler am 26. September 1891 auf dem englischen Dampfer Mombassa in Madras eintraf. Unter den mit ihm ankommenden Missionsgeschwistern befanden sich auch die mit ihm zugleich abgeordneten Brüder Zehme, Freche, Ellwein und Schomerus I. Nach kürzerem Aufenthalt in Trankebar wurde ihm zunächst die westlichste unserer Stationen Koimbatur als Aufenthaltsort angewiesen, wo er sich an der Seite des schwedischen Missionars Hörberg der Erlernung der Landessprache widmen sollte. Bald fand er auch Gelegenheit, im direkten Verkehr mit den Eingebornen die ersten praktischen Sprachversuche zu machen. Missionar Hörberg baute damals gerade die schöne Christuskirche, und da er oft auf Reisen in seinem ausgedehnten Distrikt abwesend sein musste, hatte Bruder Gäbler während dieser Zeit die Aufsicht über die Bauleute zu führen. Es zeigte sich schon damals, dass er für derartige Arbeiten eine besondere Begabung hatte, die er sehr bald in viel ausgedehnterer Weise selbständig verwerten sollte. Denn nachdem er im September 1893 sein tamulisches Sprachexamen vor dem Kirchenrat in Trankebar abgelegt hatte, wurde ihm der wichtige Bau unserer Zentralschule in Schiali und des Wohnhauses für den Direktor dieser Anstalt übertragen, was einen mehrjährigen Aufenthalt an diesem Orte nötig machte.

Schiali war bis dahin als Tochterstation von Majaweram von dem Tamulenpastor Pakiam verwaltet worden. Dieser reichbegabte und tatkräftige Mann empfand es als einen grossen Mangel, dass die Erfolge der Missionsarbeit in seinem Distrikt wie in dem benachbarten Majaweram sich auf die untersten Volksklassen beschränkten, während unter seinen eigenen Kastengenossen nur selten eine Taufe vorkam. Sein Streben ging deshalb dahin, in der streng heidnischen und von Brahmanen und Sudra bewohnten Stadt Schiali selbst, in der bereits Ziegenbalg auf seinen Reisen nach und von Madras des Öfteren gepredigt hatte, Einfluss und Boden zu gewinnen, Auf seine Befürwortung hin wurde die Jubiläumskirche zum Gedächtnis Ziegenbalgs in dieser Stadt auf einem geräumigen und für eine Stationsanlage sehr vorteilhaft gelegenen Grundstück erbaut. Vor allem aber lag ihm die Gründung einer höheren Lehranstalt am Herzen. Die Missionsleitung trug Bedenken, ihn bei diesem Unternehmen zu unterstützen. Aber trotz vieler und besonders pekuniärer Schwierigkeiten gelang es ihm, seinen Plan durchzuführen. Es entstand die von der heidnischen Jugend gut besuchte „Pennington Schule“. Pastor Pakiams Mittel erlaubten ihm aber nicht, ein festes Schulhaus zu bauen, und er musste sich für den Anfang mit einem leichten Notbau begnügen. Da traf es sich günstig, dass unsere Zentralschule von Trankebar verlegt werden musste, weil dieser Ort immer mehr an Bedeutung verlor. Es lag nahe, sie mit der Pennington Schule zu einer Anstalt zu vereinigen. Nun durfte aber mit dem Bau eines den Anforderungen für eine so wichtige Anstalt entsprechenden Schulgebäudes nicht länger gezögert werden, und Bruder Gäbler wurde mit dieser Aufgabe betraut.

An Schwierigkeiten fehlte es dabei nicht. Schiali war zwar eine Eisenbahnstation. Aber in der heidnischen Stadt selbst wohnten nur wenige Christen, und für den Baumeister fehlte noch eine entsprechende Wohnung. Er musste mit einer kleinen Hütte vorlieb nehmen, die sich ein englischer Beamter für seinen vorübergehenden Aufenthalt ausserhalb des Ortes gebaut hatte und die kaum gegen Sonne und giftige Tiere genügenden Schutz gewährte. Hier führte er über zwei Jahre mit seiner jungen Frau, mit der er sich im Oktober 1894 verheiratet hatte, ein entbehrungs- und arbeitsreiches Leben. Denn die Verantwortung für den Bau der grossen Zentralschule und des Missionshauses war für den jungen Missionar nicht gering. In seinem Jahresbericht für 1896 bemerkt der damalige Missionsdirektor D. von Schwartz: „Das Hauptverdienst um die Baulichkeiten in Schiali hat sich Missionar Gäbler erworben, der zwei Jahre lang, zuletzt mit Frau und Kind, in einem dürftigen Häuschen wohnend, den Bau mit Umsicht und Aufopferung geleitet hat. Möchte er in unserer Gesundheilsstation auf den Palnibergen Stärkung für seine angegriffene Gesundheit finden!“ Bei der Gründung dieses für unsere Missionare so wichtigen Sanatoriums war Bruder Gäbler auch insofern beteiligt, als er den Bau der beiden ersten Erholungshäuser Wartburg und Augsburg, die im Jahre 1894 fertiggestellt wurden,- zum Teil geleitet hat.

Einweihung der Zentralschule in Schiali  am 24. Juni 1896

Einweihung der Zentralschule in Schiali am 24. Juni 1896

Neben den Bauarbeiten hatte er auch die neugegründete Station Wirutasalam zu verwalten. Dorthin begab er sich nach seinem Erholungsaufenthalt auf den Bergen, um sich nun ganz der eigentlichen Missionsabeit zu widmen. Leider sollten ihm die nächsten Jahre viel Herzeleid bringen. Wirutasalam ist, wie sich bald herausstellte, ein durch Malaria verseuchter Ort. Dieser Krankheit fiel am Karfreitag seine junge Frau zum Opfer. Da in Wirutasalam kein Arzt war, wollte der besorgte Gatte sie nach Trankebar bringen. Aber es war schon zu spät. Sie erreichten nur unsere Missionsstation Sidambaram, wo die Kranke der Tod ereilte. Noch in demselben Jahre folgte ihr auch das 1¾ jährige Töchterchen nach. Bruder Gäbler trug sein Leid mit grosser Ergebung und hielt noch bis zum Frühjahr 1899 in seiner Einsamkeit aus. Dann aber nötigte ihn die Sorge um sein Söhnchen, das ihm noch kurz vor dem Tode seiner Frau geschenkt worden war, sowie seine eigene an-gegriffene Gesundheit, Heimaturlaub zu nehmen. Im Herbst des nächsten Jahres kehrte er nach Indien zurück. Gott hatte ihn in der Heimat eine zweite Lebensgefährtin in Fräulein Else Thomä, der Tochter eines braunschweigischen Pastors, finden lassen.

Die folgenden Jahre brachten nun harte, Körper und Geist aufs Schwerste in Anspruch nehmende Arbeit. Es galt, die im Norden von Madras von Missionar Kabis gesammelten und bisher von Madras aus bedienten zahlreichen Landgemeinden zunächst von der nahe bei Triwallur gelegenen neugegründeten Station aus zu verwalten und zu pflegen. Auch hier gab es wieder viel äussere Geschäfte. Die Verwaltung der zur sozialen Hebung der armen Pariachristen von der Mission erworbenen ausgedehnten Ländereien nahm viel Zeit und Kraft in Anspruch. Hinzu kam der notwendige Ausbau der Station. So wurde auf ihr die schöne Erlöserkirche von Bruder Gäbler errichtet, und weil sich herausstellte, dass die Kraft eines Missionars für die Bewältigung der Arbeit nicht mehr ausreichte, musste Pandur als zweite Hauptstation im Distrikt abgezweigt und ein neues Missionshaus daselbst gebaut werden. Daneben gab es aber in jenen Jahren viel andere Sorge und Bedrängnis. Wiederholt setzte der Monsunregen aus, und das brachte die armen Christen, die entweder besitzlose Feldarbeiter oder Kleinbauern sind, in die furchtbarste Bedrängnis. In ihrer Not kamen sie natürlich zum Missionar. Der sollte ihnen helfen, und hätte es ja auch gern getan, wenn ihm nur die hinreichenden Mittel dazu zu Gebote gestanden hätten. Bruder Gäbler liess Brunnen zur Bewässerung des Landes bauen, um bei ausbleibendem Regen wenigstens einen Teil der Saaten zu retten, und um den Arbeitslosen einen Verdienst zu schaffen, übernahm er kontraktlich den Bau einer Strasse für die Regierung, die dafür 3200 Rupien zahlte. Täglich wurde er angelaufen und musste raten, helfen und trösten. Dazu kamen die vielen Reisen im Distrikt, um die zahlreichen noch unbefestigten Christengemeinden mit Wort und Sakrament zu bedienen und zugleich auch den Heiden das Evangelium zu predigen. Es war kein Wunder, dass über dieser aufreibenden Arbeit die Gesundheit des Bruders litt und er es mit Freuden begrüsste, als er 1906 zum Mitglied und Sekretär des Kirchenrats nach dem gesunden Trankebar berufen wurde. In dieser Stellung ist er bis zu seiner Vertreibung aus Indien geblieben. Doch kam er dazwischen noch einmal mit seiner Familie in die Heimat. Gott hatte ihm noch drei Söhne geschenkt, die zu ihrer Erziehung nach Deutschland gebracht werden mussten. Ein zweites 1905 geborenes Töchterchen starb schon in demselben Jahre. Als der Sitz des Kirchenrats nach Madras verlegt wurde, siedelte auch er mit dorthin über.

Bald nach Ausbruch des Krieges musste Bruder Gäbler die seit der Heimkehr Missionar Frölichs verwaiste Station Wülupuram übernehmen, da die Pflege derselben von einer anderen Station aus nicht mehr möglich war. Hier wurde ihm am 16. Januar 1916 mitgeteilt, dass seine Internierung beschlossen sei. Ein Polizeibeamter brachte ihn am folgenden Tage zunächst auf die Festung von Madras. Nach kurzem Aufenthalt daselbst wurde er in das Gefangenenlager zu Ahmednagar übergeführt, wo er 10 Wochen lang bis zu seiner Heimbeförderung mit der Golconda verblieb.

In England angekommen musste auch er wie die meisten anderen Missionare sich noch einmal von seiner Frau trennen und die Unannehmlichkeit einer Gefangenschaft in London durchkosten. Endlich am 17. Juni kam auch für ihn die Stunde der Befreiung. Am Abend dieses Tages betrat er wieder deutschen Boden.

Else Gäbler geb. Thomä  Johannes, Gerhardt, Ernst und Paul 1922

Else Gäbler geb. Thomä mit den Kindern Johannes (1. Ehe von Hermann), Gerhardt, Ernst und Paul (2. Ehe von Hermann)
1922

Im Kreise seiner Familie war ihm zunächst in Braunschweig, wo drei seiner Söhne das Gymnasium besuchen, ein längerer Erholungsaufenthalt vergönnt. Dann aber übernahm er das Vikariat der Gemeinde Stützengrün im Erzgebirge. Von seiner Gemeinde geliebt und seinen Amtsbrüdern geschätzt, hat er dort noch eine Zeitlang dem Herrn im geistlichen Amte dienen dürfen. Aber seine Gesundheit war durch den langen Aufenthalt in Indien und besonders durch die Leiden der letzten schweren Zeit untergraben. Ein Ohrenleiden verzehrte schnell die Kräfte seines schwachen Leibes, sodass er schon nach kurzem Krankenlager die Augen zur letzten Ruhe schloss.

Bruder Gäbler gehörte zu den stillen Naturen, die nicht viel von sich reden machen, und nicht durch glänzende Gaben hervortreten. So war ihm zum Beispiel die Gabe der Rede nicht in besonderem Masse verliehen. Dafür stellte er in allen praktischen Fragen seinen Mann und war dabei von seltener Gewissenhaftigkeit, Treue und Geduld. Deshalb genoss er bei seinen Amtsbrüdern wie auch bei den Tamulenchristen allgemeines Vertrauen. Auch seine Berufung in den Kirchenrat verdankte er diesem Umstande. Gott hat ihn oft und hart in die Kreuzesschule genommen. Dass er sich der schönen Entwicklung seiner heranwachsenden vier Söhne nur aus der Ferne freuen durfte, ist zwar ein Opfer, das er mit vielen Missionaren bringen musste, das aber dadurch nichts von seiner Schwere verlor. Gott ersetze seinen Kindern, was Elternliebe ihnen nicht bieten konnte. Er aber ruhe in Frieden und Gott schenke ihm den Lohn, den er treuen Knechten verheissen hat.

Grab von Hermann Gäbler

Grab von Hermann Gäbler

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