Jul 262014
 

Notizen aus Bethlehem V, 29. April 2010

Ich habe zwar noch nicht im Sinne Luthers ein Apfelbäumchen gepflanzt, aber dafür ein paar Olivenbäume, in Ush Ghurab; unweit von Beit Sahour, dem Bethlehem benachbarten Ort, auf dessen Fluren einst Hirten Freude verkündet und Frieden verheißen wurde.

Der Boden fühlt sich anders an als ich ihn von irgendwo sonst kenne. Die schwere, breite, spitz zulaufende Hacke ist das allgemein gebräuchliche Grabwerkzeug. Steine sind allgegenwärtig, nicht nur als Felsengebilde, die der Landschaft Kontur geben, sondern auch in allen Größen im Boden verteilt. Zusammen mit der sonnengehärteten Erdoberfläche machen sie es schwer, den Boden aufzubrechen. Doch nach mühseligen ein, zwei Handbreit spürt man gutes, leicht lehmiges Erdreich mit einer ausgeprägten Krume. Im Winter fiel reichlich Regen. Der Ölbaum ist genügsam. Die junge Pflanze muss allerdings vor dem Fraß durch Schafe geschützt werden. Vor der Zerstörung durch Menschen gibt es kaum einen Schutz.

Der Ölbaum ist den Palästinensern mehr als nur ein abstraktes nationales Symbol. Dem Land fehlt es an Wäldern und so sind die Bäume um das Haus und auf den Weiden Spender von Schatten und Nahrung zugleich. Wenn von Zerstörungen die Rede ist, die dem Bau der Mauer oder anderen Maßnahmen der Armee geschuldet sind, so werden Bäume und speziell Ölbaume mit gleicher Trauer und gleichem Zorn genannt und gezählt wie Häuser und Wohnungen.

In Ush Ghurab gibt es einen Erholungspark mit Bänken und Bäumen, Spiel-und Sportgeräten, Rasen und Basketballfeld, Kiosk und Kantine. Wir sind zu einem Volksfest gekommen, das einheimische Organisationen, speziell Frauengruppen, vorbereitet haben, mit denen wir in Kontakt sind. Es sind gewiss ein paar hundert Menschen, meist Frauen mit ihren Kindern, gekommen. Zuerst ein paar Reden, ein wenig Gesang und Musik, dann ist das Gelände freigegeben und alle Schaukeln, Rutschen und Klettergeräte sind im Nu von den Kindern in Besitz genommen

Mit Bussen kommen Jugendliche aus Schulen in der Umgebung. Sie sollen am Höhepunkt des Festes, der Baumpflanzaktion, mitwirken. Die Pflanzen werden verteilt. Genügend Hacken sind vorhanden. Wir gehen einige hunder Meter das Tal entlang durch unwegsames Gelände. Reihen werden gezogen, Abstände gemessen. Dann geht es los. Ich habe mich einer Mutter und Tochter angeschlossen. Zusammen bringen wir drei junge Bäume in die Erde. 

Ush Ghurab, zu Deutsch Krähennest, ist ein markanter Berg. Er beherrscht die Umgebung, insbesondere die Straße nach Jericho. Die britischen Mandatstruppen nutzten die strategische Position für ihr Hauptquartier. Die jordanischen und ab 1967 die israelischen Besatzungstruppen übernahmen die Einrichtungen. 2006 räumte die israelische Armee das Terrain. Seitdem bemüht sich die Stadtverwaltung von Beit Sahour um die Nutzung des landschaftlich wertvollen Geländes.

Geplant sind, neben der Anlage eines öffentlichen Parks, der Bau eines Krankenhauses, eines Jugendzentrums, eines Umweltzentrums und einer Wasserstation. Die Pläne wurden der israelischen Zivilbehörde vorgelegt – das Gelände gehört zur Area C (d.h. gänzlich von der israelischen Armee kontrolliert) – und genehmigt. Das Freizeitgelände, auf dem wir das Volksfest erleben, ist das erste Projekt, das mit Hilfe der US-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID verwirklicht wurde. 

Doch inzwischen erschienen die „Frauen in Grün“ auf dem Plan. Die Namensgebung hat nichts mit der in Europa üblichen politischen Farbsymbolik zu tun. Sie nimmt Bezug auf die „Green Line“, der Grenze Israels vor 1967. Die Bewegung bekämpft alle, die die Rückkehr zu dieser Grenze befürworten – wie zum Beispiel die israelischen „Frauen in Schwarz“ und die viele Friedensbewegungen. Sie gehören zum radikalen rechten Kern der Siedlerbewegung. Sie treten für die Annexion Palästinas ein. Getreu ihrem Wahlspruch „Eretz Israel Le’Am Yisrael – Das Land Israel gehört dem israelischen Volk“ ist ihr Ziel die Verhinderung eines palästinensischen Staates. 

Die „Frauen in Grün“ führten unter dem Schutz der Armee Kundgebungen auf dem Ush Ghurab durch, richteten Zerstörungen auf dem Freizeitpark an und werben offen für die Anlage einer neuen israelischen Siedlung auf dem Berg. Inzwischen hat die Armee auf dem verlassenen Militärgelände einen Wachturm errichtet und sich erneut einquartiert. Die Stadt muss die Baugenehmigungen neu verhandeln. Die Sorge ist groß, dass sich der Ring von Siedlungen um Bethlehem immer weiter schließen und die Stadt zu einer Enklave werden wird.

Unsere Baumpflanzaktion und das Volksfest gehört bewusst zu der Strategie einheimischer Gruppen, Widerstand mit gewaltfreien Mitteln zu organisieren und einzuüben. Die Neigung, mit gleicher Münze heimzuzahlen, ist natürlich stets gegenwärtig, und Steine, die sich als Wurfgeschosse eignen, gibt es überall in Hülle und Fülle. Man kann aber den Anspruch auf Grund und Boden auch zum Ausdruck bringen, indem man Bäume pflanzt. Steine werfen haben palästinensische Jugendliche genug geübt. Bäume pflanzen müssen sie lernen.

Die Chance, dass die Bäume im Gegenzug herausgerissen werden, ist groß. Luther, so wird tradiert, wollte einen Apfelbaum pflanzen, selbst wenn er damit rechnen müsste, die Früchte nicht genießen zu können. Uns hat es Freude gemacht, Olivenbäume zu pflanzen. Und vielleicht wird ja doch irgendjemand die Früchte ernten.