Jul 302014
 

Internierung in der Festung von Madras

Doch auch meiner Tätigkeit wurde ein Ziel gesetzt. Es war wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als am Sonntag, den 16. Januar, nach dem Vormittagsgottesdienst der Polizeiinspektor mit einem Briefe des Polizeiobersten zu mir kam, den er mir nur zögernd, geknickt und Entschuldigungen stammelnd (er ist ein Glied der anglikanischen Gemeinde) überreichte. In dem Schreiben wurde ich aufgefordert, mich für den Eilzug nach Madras in der folgenden Nacht bereit zu halten, da ich nach Anordnung der Regierung der Militärbehörde überliefert werden müsse. Auf meine Frage, ob dies auf Kosten der Regierung geschehen solle, wusste der Inspektor keinen Bescheid, reiste aber auf meine Bitte sofort nach Kudelur und holte sich dort nähere Instruktionen. Es wurde ihm bedeutet, dass meine Internierung auf Kosten der Regierung zu erfolgen habe, und der Distrikt-Magistrat teilte mir noch schriftlich mit, dass gegen mich nichts vorliege, sondern dass in Deutschland das Militärdienstalter erhöht worden sei und darum meine Internierung erfolge. Die Zeit verging im Fluge unter den nötigen Anordnungen und Vorbereitungen. Zum Schluss sammelten wir uns noch einmal um die Worte des 23. Psalms mit der kleinen tamulischen Gemeinde. Dann luden die Polizisten das Gepäck auf, und unter großer Anteilnahme der Gemeinde fuhr ich mit meiner Frau zum Bahnhof, wohin uns noch viele Gemeindeglieder begleiteten, obwohl es Mitternacht war. In einem Abteil erster Klasse wurde mir ein Schlafplatz angewiesen. Freilich Schlaf und Ruhe wollten nach dem tränenreichen Abschied von meiner geliebten Arbeit, den Missionsarbeitern und Gemeindegliedern nicht kommen. So war durch den Krieg nach 24 ½ Jahren meiner Tätigkeit unter den Tamulen ein Ziel gesetzt!

Der mich begleitende Assistent des Polizeiobersten, ein heidnischer Brahmane, reiste in einem anderen Wagen. Um sieben Uhr früh in Madras angekommen, durfte ich auf dem Bahnhof ein Frühstück einnehmen, während Superintendent Bexell und Bruder Brutzer mit am Tische saßen, denen ich noch rechtzeitig durch einen unserer Christen hatte Nachricht zukommen lassen können. Der Mann gab einen halben Tag seines Urlaubs daran, um rechtzeitig nach Madras zu kommen. In unserem Gespräch wurden wir weder gestört noch überwacht. Nach dem Frühstück ging es im schnellen Auto nach der Festung von Madras (Fort St. George), wo sich der mich begleitende Polizeioffizier von dem Schreiber im Staffoffice, einem Eurasier, eine Bescheinigung ausstellen ließ, dass er den Kriegsgefangenen H. Gaebler richtig eingeliefert habe. Nachher nahm der Schreiber meine Personalien auf. Ich wurde gemessen, gewogen, Personalbeschreibung und körperliche Merkmale wurden aufgezeichnet und mir dann gesagt, dass ich die Ankunft des diensthabenden Hauptmanns erwarten solle. Als aber dieser Herr auch ½ 11 Uhr nicht erschien, nahm sich der Schreiber wieder meiner an. Er brachte mich zum Lazarett, damit ich auf meinen Gesundheitszustand untersucht würde. Da aber dort noch viele Militär-Personen auf die Dienste des Arztes warteten, wurde ich zu einem anderen Arzt gebracht, der nur die Frage an mich richtete, ob ich den Umständen entsprechend wohl sei.

Darauf wurde der Weg zum eigentlichen Internierungsraum eingeschlagen. Dieser war rings mit Stacheldraht wohl verwahrt. Vor dem Eingangstor war bereits ein Posten aufgezogen, der auch den Torschlüssel bei sich trug, und in einem Nebenraum, aber innerhalb des Stacheldrahts, waren bereits ein Unteroffizier und ein Gemeiner zu meiner speziellen Wache einquartiert worden. Kurz vor zwölf Uhr wurde mir mitgeteilt, dass ich an diesem Tage noch nicht nach Ahmednagar gesandt werden würde. Dass ich Kriegsgefangener war, lehrte mich auch das fast gänzlich ungenießbare Mittagessen mit einem schneidelosen Messer und einer zinkenlosen Gabel. Abendbrot gibt es in keinem Gefangenenlager, der Verpflegungsweise entsprechend, die der englische Söldner genießt. Am Nachmittag wurde mir auf meine Bitte hin der Bescheid, dass ich einen kurzen englischen Brief an meine Frau schreiben dürfe, den der miteingeschlossene Unteroffizier sofort nach dem Regimentsbüro brachte. Um fünf Uhr musste ich zum Spaziergang antreten. Je rechts und links ein Unteroffizier und hinterher der das Tor bewachende Posten: so ging ich auf den Wällen der Festung auf und ab, die ich früher so manches Mal von außen betrachtet hatte. Gegen Barzahlung erhielt ich ein ordentliches Abendbrot. Am nächsten Tag zog in die innerhalb des Stacheldrahts gelegene Küche ein alter tamulischer Koch mit seinem Küchenjungen ein und hat mich bis zu meiner Abreise gut versorgt. Am Dienstagvormittag hieß es wieder, dass ich am Mittag reisen solle, aber schließlich kam Gegenbefehl. Am Mittwoch wiederholte sich dieselbe Geschichte, nur mit dem Unterschied, dass gesagt wurde, ich würde bis zum Eintreffen dreier Herren aus Kodaikanal bleiben müssen. (Einige Tage nach mir trafen diese drei in Ahmednagar ein, nämlich Missionar Hermann Risch von der Basler Mission, Missionar Paul Schulze von der Breklumer Mission und Missionar Johannes Rohwer von der Hermannsburger Mission.) Endlich am Donnerstagvormittag ½ 11 Uhr kam der Befehl, um 12 Uhr reisefertig zu sein. Ich bekam eine ordentliche Mittagsmahlzeit und reichlich Butterbrot zur Wegzehrung.