Jul 302014
 

Internierung in Ahmednagar

Vor der Abreise gab es noch eine Überraschung. Der kommandierende General der südlichen Brigade erschien in Begleitung des Hauptmanns zur Inspektion. Er fragte in freundlicher Weise nach meinem Ergehen. Bei der nun folgenden Unterhaltung erkundigte ich mich auch bei ihm nach dem Grunde meiner Internierung. Er versicherte, dass persönlich gegen mich nicht das Geringste vorläge, sondern dass der Befehl ergangen sei, alle Männer deutscher Staatsangehörigkeit, die das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, zu internieren, weil das Dienstalter in Deutschland auf 55 erhöht worden sei und weil viele ordinierte Geistliche bei den Deutschen Dienst mit der Waffe leisteten. Auf meine Bitte gestattete er mir, nochmals meiner Frau kurz zu schreiben, und ersuchte den ihn begleitenden Hauptmann, den Brief ohne Aufenthalt zu befördern. Dazu bemerkte er noch, dass er gewiss es mir nicht noch schwerer machen wolle, als es ohnehin sei. Zwei mit dem Roten Kreuz versehene Ochsenwagen fuhren vor. In den ersten stieg ich mit meiner bewaffneten Begleitung, zwei Mann des Freiwilligen Korps von Madras, Eurasier recht niederer Klasse, in dem anderen Wagen folgte das Gepäck.

Im Eisenbahnzug war ein Abteil 2. Klasse mit fünf Betten bzw. drei Bänken ausschließlich für uns reserviert. Die Reise konnte ohne Umsteigen zurückgelegt werden, weil der um 2 Uhr nachmittags nach Delhi abgehende Zug an Ahmednagar vorüberfährt, das, beiläufig bemerkt, 679 englische Meilen von Madras entfernt ist. In demselben Zuge wurden 50 neu angeworbene Rekruten befördert, meist junge 18 bis 20-jährige Tamulen, die in Bombay ausgebildet werden sollten. Von der Reise ist nur noch zu erwähnen, dass ich noch einen Reisegefährten erhielt. Zwar erhoben meine Bewachungsmannschaften Einspruch, als in der Nacht in Guntakal noch ein älterer Herr in unser Abteil zustieg. Dieser ließ sich aber nicht irre machen, sondern erklärte, daß er auch ein Kriegsgefangener sei, der nach Ahmednagar zurückkehre. Im Laufe des folgenden Tages stellte er sich mir als Österreicher vor, früher Offizier des österreichischen Lloyd, seit mehreren Jahren aber Verwalter der Güter des Radscha von Maisur mit einem fürstlichen Gehalt. Er hatte von Ahmednagar Urlaub erhalten, um seine Verhältnisse zu ordnen, da seine Frau zu Anfang des Jahres gestorben war, als sie die Nachricht erhielt, dass ihr Mann trotz des ausdrücklichen Wunsches des Radscha nicht aus dem Lager in Ahmednagar entlassen werden könne. Der Herr wohnte im Parolelager, in demselben Hause wie Otto Richard Handmann.

Er erzählte mir mancherlei aus dem Lagerleben, und besonders bereitete er mich darauf vor, dass wir am Abend nicht mehr in das Lager gelangen könnten, sondern erst am nächsten Morgen, dass wir vielmehr auf dem Bahnhof von Ahmednagar würden übernachten müssen, wo es aber in der Regel nichts zu kaufen gibt. Die Voraussage traf ein. Als der Zug Freitagabend ½ 7 Uhr in Ahmednagar ankam, erlaubte uns der Platzmajor nicht, den Bahnhof zu verlassen. Im Wartezimmer mussten wir die Nacht zubringen und von den mitgebrachten Lebensmitteln ein bescheidenes Abendessen einnehmen. Obwohl ich in meinem Schiffsstuhl mit Mantel und Decken wohlverwahrt die Nacht leidlich zugebracht hatte, war es mir am frühen Morgen empfindlich kalt, so daß ich meinte, auf die Berge versetzt zu sein. Die Temperatur betrug etwa 10 o Reaumur (12,5 o C).

Zweirädrige bequeme Pferdekutschen brachten uns nach halbstündiger Fahrt an das Büro des Lagers, und ehe noch zehn Minuten verstrichen waren, fand ich mich bereits hinter dem Stacheldraht. Alsbald erblickte mich auch Georg Hammitzsch, der es kaum glauben wollte, dass ich es wirklich sei, und dass ich nun dasselbe Los durchzukosten hätte wie die 20 Jahre jüngeren Brüder. Sie haben es sich nicht nehmen lassen, ihren „Vater Gäbler“ zu pflegen, wofür ich ihnen zu herzlichem Dank verpflichtet bin.

Da ich nur zehn Wochen im Lager zugebracht habe, will ich über das Leben dort weiter nichts sagen. Von den Militärpersonen bin ich stets mit Rücksicht behandelt worden. Aber dass die Wellblechbaracken, je 75 Meter lang und fünf Meter breit, je für 48 Personen bestimmt, nichts als einfaches Blech zum Schutz in der heißen Zeit boten, das noch viele alte Nägellöcher aufwies, das kann nur zur Schädigung der Gesundheit der Bewohner ausschlagen. Dass weiter der Fußboden weder festgestampft noch mit einem festen Belage versehen ist, sondern aus Schutt und Steinen besteht, ist ebenso unwürdig als ungesund. Freilich noch in den letzten Tagen vor unserer Abreise wurden die Dächer der Blechbaracken entweder mit einer Lehmschicht oder mit indischen Holzziegeln belegt. Dies geschah wohl infolge des kurz zuvor bei seiner Anwesenheit in Ahmednagar geäußerten Protestes des amerikanischen Konsuls von Bombay, der sich ungehalten darüber aussprach, dass seit Jahresfrist an den Blechbaracken nichts zu ihrer Verbesserung geschehen sei. Nachdem wenige Tage darauf der Generalquartiermeister alles besichtigt hatte, wurden die vorgenannten Arbeiten in Angriff genommen.

Das Lager in Ahmednagar zerfällt in vier getrennte Teile. A, B und Parolelager stehen unter militärischer Kontrolle. In A in dem ich wie fast alle Missionare untergebracht war, ist es am strammsten. Die Zahl der Gefangenen in diesen drei Lagern wird etwa 2000 betragen. Es sind Zivilgefangene und deutsche Kriegsgefangene aus Mesopotamien, Persien und Ostafrika, Offiziere sowohl als Mannschaften. Da gibt es Österreicher und Bulgaren, ja auch in Indien geborene Eurasier, die kein Wort Deutsch verstehen, aber einen deutschen Vater und einen deutschen Namen haben. Da haust der reiche Kaufmann oder Reismühlenbesitzer aus Rangun zusammen mit dem Schiffsoffizier der Hansalinie, der Pflanzer aus Ostafrika zusammen mit dem Barbier aus Kalkutta. Der Eisenhüttenarbeiter aus Sackschie (erstes großes Eisenwerk Indiens, von einer nur aus Indern bestehenden Aktiengesellschaft vor einigen Jahren ins Leben gerufen) macht Freundschaft mit dem Leichtmatrosen oder Kohlenschlepper, der sich der deutschen Militärpflicht durch Dienst auf englischen Schiffen entzogen hat; ja auch an dem deutschen echten Vagabunden und Tunichtgut fehlt es nicht. 

Das „Zivillager“, in dem z.B. Bruder Pfitzinger weilte, stand nicht unter den militärischen, sondern unter den Zivilbehörden, und lässt sich schon aus diesem Grunde nicht mit den anderen Lagern vergleichen.