Jul 302014
 

Internierung in London

Sehr schmerzlich für alle Beteiligten war nach unserer Ankunft in London die Zurückbehaltung aller Männer mit Ausnahme des hochbetagten Basler Missionars Brasche, der seine schwerkranke Frau nicht verlassen konnte. Die Invaliden und kranken Männer wurden in das Krankenhaus verbracht, während alle anderen im Alexandra-Palast interniert wurden. Der Palast misst etwa 300 Schritte im Geviert. Er war in Friedenszeiten ein viel besuchter Ausstellungs- und Vergnügungsort. Jetzt dient er in drei Abteilungen als Internierungslager vorwiegend für deutsche Zivilgefangene. Auch hier ist das Völkergemisch groß. Der Millionär wohnt auch hier mit dem Schnorrer zusammen. Charakteristisch ist es, dass die Häuser in der Nähe des Palastes als Mietswohnungen sehr begehrt sein sollen. Denn nur in der Nähe des Alexandra-Palastes glaubt der Londoner vor den Bomben der Zeppeline sicher zu sein. 

Wir wurden alle nacheinander aufgerufen, und jeder erhielt eine Blechmarke mit seiner Nummer. Die meinige war 9318. Die erste Hälfte der Leute kam in das A-Lager, darunter die Brüder Senior Hofmann, Pfitzinger und Heydenreich. während die übrigen dem B-Lager zugeteilt wurden. Die Abteilung B (etwa 800 Gefangene) ist in der großen mittleren Halle untergebracht. Da der Linoleum Belag in dieser Halle noch ziemlich erhalten war, und die Luft wegen der gewaltigen Höhe der Halle nicht so verbraucht wurde, war der Aufenthalt ganz angenehm. Im A-Lager dagegen war der Linoleum Belag allenthalben verschwunden und die Räume waren alle niedrig. Bei gutem Wetter konnte man eigentlich den ganzen Tag im Freien in einem mit Bäumen bestandenen Grasgarten am südlichen Abhange des Hügels, auf dem der Alexanda-Palast steht, zubringen.

Die Kost war im Ganzen gut und reichlich. In jeder Woche durfte man am Mittwoch und Sonnabend einen Brief schreiben. Dazu wurde ein Achtelbogen Kreidepapier geliefert. Auf solchem Papier soll es nicht möglich sein, mit Chemikalien nicht sichtbare Schrift herzustellen. Nachdem schon einige kleinere Abteilungen zwecks Heimbeförderung in das in Ost-London gelegene Lager Stratford abgegangen waren, schlug endlich am 9. Juni auch unsere Befreiungsstunde. Wir wurden zuerst nach Stratford übergeführt. Schon die ganze Lage des alten Fabrikgebäudes mit den meist noch darin befindlichen Transmissionen machte einen recht ungemütlichen Eindruck. So war auch die glücklicherweise nur kurze Zeit unseres dortigen Aufenthaltes alles andere als angenehm.

Nach unserer Ankunft mussten wir uns alle in einem Nebenraum aufstellen und wurden der Reihe nach aufgerufen, um alle Bücher, Schriften, Brieftaschen und Notizbücher, die wir bei uns oder in den Handtaschen hatten, abzugeben. Auch den Betrag des baren Geldes musste man angeben, und wer mehr als zwei Pfund Sterling besaß, musste das übrige abgeben. Dann folgten noch eine genaue Durchsuchung der Handtaschen und Person und Kleider. Seife wurde weggenommen und keine wieder geliefert, während man im Alexandra-Palast alle Wochen zwei Stück bekam. Die Handkoffer wurden uns nicht ausgeliefert. Meine Taschenbibel und einen Reisepsalter durfte ich im Lager benutzen, nachdem der Zensor sich vergewissert hatte, dass keine Aufzeichnungen in den Büchern gemacht seien.

Zur Untersuchung der Koffer traten am Montag sechs oder sieben Detektive von der Londoner Kriminalpolizei an. Die in den Koffern befindlichen Papiere und Bücher wurden zusammengepackt und mit der Adresse der Eigentümer versehen auf die Seite gelegt, die Koffer selbst aber versiegelt. Am Mittwoch wiederholte sich dasselbe Schauspiel. Wiederum wurde vieles konfisziert und schließlich die Koffer wieder versiegelt. Schon am Montag hatten 40 Mann die Reise in die Heimat angetreten, ebenso am Mittwoch wieder weitere 40 Mann, und schließlich kamen wir am 16. Juni auch an die Reihe.

Bei der Inspektion durch den Kommandanten mussten wir 40 im Gebäude antreten und wurden von ihm mit „Gentlemen“ angeredet, das erste Mal während der Gefangenschaft, und darauf hingewiesen, dass wir absolut keine Papiere bei uns haben dürften, damit unsere Heimbeförderung nicht gefährdet würde. Schließlich ½ 6 Uhr nachmittags wurden wir 40 in ein Zimmer gelassen, wo wir auf Bänken Platz nahmen, und wo eine nochmalige gründliche Untersuchung der Handtaschen, Kleider und Personen vor sich ging. Seifendosen und Aluminiumbecher wurden konfisziert. Meine Bibel und meinen Reisepsalter reichte ich sofort dem Zensor und erhielt beides nach fünf Minuten unversehrt wieder.

Schließlich wurden auch die zu Anfang weggenommenen Brieftaschen und Bücher zum größeren oder kleineren Teile zurückgegeben, die Notitzbücher meist des wertvollsten Inhalts beraubt. Aus meiner Brieftasche z.B. haben sie die Erlasse der indischen Regierung über meine Repatriierung und einige indische Postkarten weggenommen und aus dem Notizkalender das meiste herausgerissen. Dann ging es mitten durch London in drei Kraftomnibussen nach der Viktoria-Station, und von dort nach Gravesend, wo wir den holländischen Dampfer „Königin Wilhelmine“ bestiegen, der uns am nächsten Morgen dem Feindesland entführte. Noch am Abend desselben Tages betraten wir wieder deutschen Boden.

Soli Deo Gloria!, der uns errettet aus der Hand unserer Feinde! Er helfe auch weiterhin und bekenne sich zu seiner Kirche und seinem Volk um seiner Barmherzigkeit willen! 

Gäbler Info und Genealogie