Jul 102014
 

Erinnerungen an Schweta

Von Werner Hanschmann, 2014 

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Das Dorf Schweta ist mein Geburtsort und war 18 Jahre meine Heimat. Kindheit und Jugend erlebte ich in dieser Gemeinde, in der meine Vorfahren länger als 200 Jahre ansässig und tätig gewesen waren.

Allgemeine Lage

Schweta, das Dorf im sächsischen Landkreis Nordsachsen, liegt im Döllnitztal, umgeben von weiten Feldern und Wiesen auf meist sehr fruchtbarem Lößboden. Der Döllnitzbach hatte vor Oetzsch den Grauschwitzbach aufgenommen. Er durchfließt die Gemeinde Schweta, nachdem ihm früher der Mühlengraben abgezweigt wurde.

Ortsschild Schweta

Zwei langgestreckte Dorfteiche dienten der Fischzucht, wurden vom Mühlgraben gespeist. – An den vorderen Teich uferte unser Grundstück. In ihm studierte ich das Wachstum der Wasserpflanzen, der Molche, Kaulquappen und die Frösche. – Im Winter bei dicker Eisdecke versammelten wir Dorfjungen uns mit den Schlittschuhen auf den Teichen, was später verboten wurde.- Die Döllnitz versorgt das Gebiet ausreichend mit Wasser für viele Verwendungen. Nach seiner Siedlungsstruktur war Schweta ein Reihendorf mit einem Zentrum um das Rittergut herum, an der Landstraße gelegen, die von der Stadt Mügeln an der Kreisstadt Oschatz vorbei in Strehla endet. – Später änderte sie sich durch fortschreitende Besiedlung. – Die Landstraße war die wichtigste Verkehrsader der Gemeinde, außer der Eisenbahn, deren Gleis der Straße parallel verläuft. Die Schmalspurbahnlinie verband Bahnhof Oschatz mit Mügeln. Die Haltestelle Schweta war für Personen – und Güterverkehr der Gemeinde sehr wichtig. Regelmäßig verkehrten Eisenbahnzüge vom frühen Morgen bis spät abends, voran die oft schwarz qualmende Lokomotive „der wilde Robert“ genannt. (Wer den Namen erfand, ist mir rätselhaft.) 

Kleinbahn Schweta

Zu der Gemeinde Schweta gehörten die Ortsteile Schlanzschwitz und Vorwerk Ockritz. Das Orts- oder Gemeindeamt hatte stets seinen Platz in Schweta.

Der Ursprung und die Entstehung des Dorfes ist ungewiss. Man erzählte, – anfangs, zur Zeit der Ostkolonisation, entstand ein fester, abgesicherter Gutsbezirk auf einem Hügel, damit das umliegende fruchtbare Land des Döllnitztales für Landwirtschaft erschlossen werden konnte. Damit entstand die dörfliche Siedlung. – Soweit die Sage meiner Vorfahren.

Diese persönlichen Erinnerungen stammen aus der Zeit meiner Kindheit, als ich die Schule in Schweta besuchte, etwa von 1930 bis 1935. An diese Zeit, an Erlebnisse, Eindrücke und Erkenntnisse von damals denke ich oft zurück, deshalb will ich etwas davon hiermit schriftlich festzuhalten versuchen.

In der Mitte des Dorfes stand das Rittergut, ein wenig erhaben auf dem Hügel. Damals war es der größte Wirtschaftsbetrieb der Gemeinde. Mit Ackerbau und Wiesenwirtschaft hatte es die guten Voraussetzungen für Rinder-, Pferde und Schafzucht. Vor allem wurden Getreide, Kartoffeln, Zuckerrüben und Runkelrüben angebaut. Die Milchkühe lieferten große Mengen Milch täglich für die Molkereien.

Große Gebäude umstanden den Innenhof des Rittergutes. An der Südseite, der Front, war das Herrenhaus mit dem angebauten Wirtschaftsgebäude. Daneben stand das langgestreckte Stallgebäude mit der Futterscheune für die vielen Pferde der Gespanne;- mitunter etwa 30 Tiere – Gegenüber dem Herrenhaus, auf der anderen Seite des großen Hofes, stand die Scheune für Futtervorräte. Neben dem Wirtschaftsgebäude auf der linken Seite öffnet sich das erste Einfahrtstor zum Innenhof. Daran anschließend stehen jetzt noch angereiht einige niedrige Schuppen. Früher hatten dort Handwerker, die für das Gut arbeiteten, Werkstätten gemietet. Stellmacher, Zimmermänner, Tischler u.a. arbeiteten in dem Haus. Später bauten sie im Dorf selbständig eigene Werkstätten. Auch Vorfahren von mir hatten vor Zeiten ihr Handwerk dort ausgeübt – Zu meiner Zeit waren darin Kälberställe eingerichtet. – An die Schuppen schließt sich das zweite große Hoftor an. Daneben auf der linken Seite des Gutshofes steht der gewaltig große Kuhstall auf dem massiven Fundament aus dicken Felssteinen und dem kunstvoll gestalteten Giebel an der Südseite. Der Innenraum des Gebäudes im Erdgeschoß war der Stall vieler Milchkühe, links und rechts aufgereiht;( ich schätzte, etwa 60 – 80 Tiere standen dort.) Die Kühe wurden mit den Händen gemolken und versorgt; Melkmaschinen hatte man nicht. Dafür hatte der Melkermeister mehrere Gehilfen. – Im vorderen Raum vor den Kuhställen verkaufte die Mamsell gegen Abend frisch gemolkene Milch. – Meist im Wintermonat, wenn bei uns zuhause die Ziege trocken stand, lief ich mit unserer Milchkanne dorthin zum Milchholen für unseren Haushalt. – Ein Liter Milch kostete 20 Pfennige! Geld hatte noch Wert. –

Im Obergeschoß des Kuhstallgebäudes wohnten, wenn ich mich recht erinnere, der Melkermeister Herr Günther mit Familie, auch seine Gehilfen, eventuell auch noch andere Angestellte des Gutes.

Hinter dem Seitengebäude des Gutshofes lag der Platz vor der Brennerei mit Zufahrt von beiden Seiten. Das Rittergut betrieb die Brennerei für die Erzeugung von Alkohol aus Restbeständen von Feldfrüchten. – An den Brennmeister Herrn Rühle erinnere ich mich nur wenig, kenne aber einige Begebenheit mit ihm. Sein Nachfolger, Brennmeister Moche, ist mir noch gegenwärtig. In seinem Betrieb bekam ich erste Einblicke in die biologischen chemischen und physikalischen Prozesse der Gärung und Destillation. Dem verdanke ich erste Bekanntschaft mit Naturwissenschaft in der Praxis. –

Man erzählte mir, in früheren Zeiten habe das Rittergut auch eine Bierbrauerei betrieben. Der letzte Braumeister war Hermann Specht, mir bestens bekannt als der Gastwirt des Gasthofes Schweta und später unser Nachbar. – Wann der Brauereibetrieb eingestellt wurde, ist mir unbekannt geblieben. 

Gasthof Schweta

Das Rittergut betrieb eine Gärtnerei für den Eigenbedarf, sie lieferte auch Pflanzen und Kräuter zum Verkauf für uns Dorfbewohner. – Der Gärtner war auch der Jäger und Heger der Wildbestände auf den Ländereien des Gutes .- An der Gärtnerei vorbei führte der Weg zum sehr gepflegten Park im englischen Stil mit einigen fremdartigen Bäumen und Pflanzen. Inmitten stand eine eindrucksvolle Allee mit stattlichen Rotbuchenbäumen. Im Park konnte man mit wachem Auge biologische Besonderheiten kennenlernen. Der Park war nicht öffentlich zugänglich. Am Weg dorthin steht das sogenannte Gärtnerhaus. Das sehr alte Fachwerkgebäude bewohnte die Familie des Inspektors Otto Gehre. Dort konnte man den Schlüssel für den Park bekommen. Mit den Eltern unternahm ich interessante Spaziergänge im Park.

Park Schweta

Meine Aufmerksamkeit an Wachstum und Gestalt der Bäume wurde dadurch angeregt, zumal ich in unserer Tischlerei allerlei verschiedene Hölzer und ihre Verwendung kannte. – Im Dorf Schweta ist noch der Schafstall mit seinem stattlichen Hof und den Scheunen als wesentlicher Teil des Gutes zu nennen. Dort arbeitete und wohnte der Schäfermeister Lindemann. In Schlanzschwitz waren zwei der ehemals drei Bauerngüter Eigentum der Rittergutsbesitzer, das Ahnertsgut und das Käsereigut. Beide Gebäude dienten als Wohnungen für Landarbeiterfamilien und deren Witwen und Witwer. Letzteren brachte ich früher mitunter monatlich die Kleinrente in die Wohnung. – Der einzige selbständige Gutshof war der Hof von Bauer Kurt Schneider. – An die beiden letzten Rittergutbesitzer erinnere ich mich noch gut, an den Ökonomierat Rockstroh, einen würdigen Herren, und an seinen Sohn Kurt, (genannt: der Leutnant). Der alte Herr führte den leistungsfähigen Betrieb mit viel Umsicht.- Wir Dorfjungen zeigten ihm Respekt, wenn wir ihm begegneten. – Zu Anfang der dreißiger Jahre vorigen Jahrhunderts übergab er den Besitz seinem Sohn. Mit seiner Gattin nahm er Wohnung in der Kreisstadt Oschatz. Dort wurde er mitunter von meinem Vater besucht. Im Jahr 1936 verstarb er und fand seine letzte Ruhe im Schwetaer Friedhof neben der Grabstätte meines Großvaters.- Nach dem Besitzwechsel zog frisches Leben ins Herrenhaus ein. Der neue Besitzer Kurt Rockstroh hatte geheiratet und eine junge Familie gegründet. Der Umgang mit maßgebenden Leuten im Dorf wurde verbindlicher. Die Leistungsfähigkeit des Betriebes steigerte sich weiter. Die Familie fand ihre volle Anerkennung in der Gemeinde und weit darüber hinaus im persönlichen und öffentlichen Leben.

Kirche und Friedhof

Kommt man vom Süden her, aus Mügeln, winkt der Turm der St. Andreaskirche aus der Silhouette des Dorfes entgegen. Die im Barockstil um 1752 erbaute Kirche ist ein seltenes Kunstwerk unter den Dorfkirchen, vor allem die Architektur betreffend. Besonders ansprechend wirkte auf mich das Altarbild mit dem „Jesus, den Kelch reichend.“ (Kunstbeflissene kritisierten es.) – Meine Vorfahren fanden in dieser Kirche Erbauung und Zuversicht in guten Zeiten, aber auch Trost und Mitleid bei Verlust und Trauer. Auch ich wurde dort vor dem Altar getauft und konfirmiert. – Den Kindergottesdienst besuchte ich regelmäßig, früher bei Pfarrer Erich Ullrich, später bei Pfarrer Ludwig. Dabei lernte ich frühzeitig biblische Geschichten, Bibelverse, Sprüche und viele Choräle kennen. Dieses Grundwissen brachte mir in der geistigen Entwicklung im späteren Leben viel Nutzen und Einsichten. Gute Erinnerungen habe ich auch an spätere Gottesdienstbesuche mit den Eltern und an richtungweisende Predigten der Pastoren. Besonders gern lauschte ich dem meisterhaften Orgelspiel von Kantor Herbert Hartung, solange er noch die Gottesdienste begleitete. – Der Pfarrer, Herr Ullrich wohnte mit seiner Familie im Nachbarort Limbach. Die Gemeinden Schweta, Limbach und Stennschütz waren damals eine Kirchgemeinde. Zu den Amtshandlungen fuhr er meist mit dem Kutschwagen vor. – Die Kirchgemeinde war begütert mit Ackerfeldern und Wiesen, die an Bewohner des Dorfes vermietet waren. –

Der Friedhof, das Gelände um die Kirche, ist seit alter Zeit die letzte Ruhestätte für die Schwetaer. Das verfallende Mausoleum der Rittergutbesitzer Steiger erinnert an lange Vergangenheit. Von meinen Vorfahren wurden viele auf diesem Friedhof beigesetzt. Die Gräber meiner Schwetaer Großeltern August und Selma Hanschmann, deren Tocher Alma und meines Vaters Max Hanschmann stehen mir noch bildlich in Erinnerung.- Bei späteren Rundgängen wurden im Gedächtnis oft alte Zeiten wach, vor allem an ehemals gute Bekannte. Besonders nachdenklich und traurig stimmte mich das Ehrenmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges. Es waren Söhne gut bekannter Familien, die ihr Leben lassen mussten. 14 Namen waren genannt, 11 Männer allein aus unserer relativ kleinen Gemeinde. – Man hielt das Andenken wach. –

Das Pfarrhaus steht links neben dem Eingang zum Friedhof. Damals, um 1931 wohnten dort die Familie des Professor Carl Paul und Familie Schieferdecker. Beide waren uns gut bekannt. Der emeritierte Prof. Paul, ehemals Missionsdirektor, besuchte mitunter meinen Vater. Dabei konnte ich bei manchem klugen Gespräch lauschen. Der welterfahrene Herr konnte sehr Interessantes erzählen. Seine Gattin war Kundin der Schneiderei meiner Mutter, wie auch die Tochter Elisabeth Gäbler und deren Familie. Frau Paul war eine ruhige Dame, eher zurückhaltend. Tochter Elisabeth, Tante Lisa, war die Gattin des Missionars Dr. Paul Gäbler. Die Familie Gäbler war in der evangelischen Mission in Indien tätig, sie hielt zu ihren Eltern in Schweta stets gute Verbindung. Auch zu meinen Eltern war freundschaftlicher Bezug entstanden; zu Gäblers Kindern ist mein Kontakt bis heute erhalten geblieben.

Die Schule in Schweta

Das alte Gebäude stammt aus dem Jahr 1845, war mit Unterstützung des Rittergutbesitzers Schütze erbaut worden und war Besitz der Kirchgemeinde. (Der Pfarrer hatte derzeit die Schulaufsicht!) Das Haus hatte einen großen Unterrichtsraum im Erdgeschoss. Oben hatte der Lehrer und Kantor eine geräumige Wohnung gehabt. Diese Verhältnisse kenne ich nur aus den anschaulichen Erzählungen meiner Großeltern und Eltern. Sie alle haben ihre Grundkenntnisse in der Volksschule Schweta erworben. Das alte Schulhaus erhielt 1909 ein neues, zweckmäßiges Gebäude nebenan. In zwei Unterrichtsräumen konnten fortan zwei Lehrer ihre Schüler unterrichten. Das war ein Fortschritt für damalige Verhältnisse. Die Klassen wurden kleiner, damit der Unterricht erfolgreicher. In drei Klassen wurde unterrichtet. Die Oberklasse, 6.-8. Schuljahr, führte der 1. Lehrer, die Mittelklasse, 3.-5. Schuljahr der 2. Lehrer, und die Grundschüler unterrichtete der erste, der Kantor. Dieses System existierte viele Jahrzehnte lang. Von Ostern 1931 bis 1935 besuchte ich die Volksschule Schweta, zuerst bei Lehrer Müller, bald bei Lehrer und Kantor Hartung und bei Lehrer Meyer. Dann begann für mich ernsthaft das Lernen in der Oberschule Oschatz. Wenige Schulkameraden der Grundschulzeit blieben mir in Erinnerung, Arnd Hofmann, Roland Gühne, Heinz Warzecha und Horst Hartung vor allen.

Handwerk und selbständiges Gewerbe

Einer der wichtigsten Betriebe war die Wassermühle am Ende des Dorfes. Getreide bäuerlicher Betriebe und selbiges von den Feldern der Häusler wurde gemahlen oder geschrotet zwischen den schweren Mühlensteinen, die von dem oberschlächtigen Wasserrad angetrieben wurden. Später wurden die Mühlsteine durch Walzenmahlgänge ersetzt. Mehl und andere Erzeugnisse der Mühle wurden mit Planenwagen, von Pferden gezogen, zu Bäckereien und anderen Abnehmern in den umliegenden Dörfern transportiert. – Zur Mühle gehörte derzeit ein ansehnlicher landwirtschaftlicher Betrieb. Allerdings eine Bäckerei auf dem Hof hatte man seit längerem aufgegeben. Brot und Backwaren bekam man damals in Schweta entweder von der Bäckerei in Oetzsch oder in Naundorf. Jeweils einmal in der Woche wurde frisches Brot ins Haus geliefert. Am Sonnabend zog die „Semmelfrau“ mit Körben voller Brötchen und süßer Backwaren (Hörnchen, Amerikaner u.a.) auf dem Handwagen durchs Dorf und verkaufte an den Haustüren die Zutaten für den Sonntagsgenuss. Man war froh über regelmäßige Versorgung im Dorf.

Der Mühlenbesitzer Otto Hofmann war gut geachteter Bürger, wohlhabend. Das Standesamt führte er ehrenamtlich viele Jahrzehnte lang. Zu seiner Familie bestand stets feste freundschaftliche Verbindung meiner Eltern. Einer meiner besten Schulfreunde war der Sohn Arnd. Er ist im Krieg 1943 an der Ostfront gefallen. Arnd und ich hatten Pläne für gemeinsamen Berufs- und Lebensweg gedacht, aber das Schicksal entschied völlig anders.

Das Leben im Dorf war 1931 noch wesentlich von der Landwirtschaft geprägt. Viele Pferdegespanne, Ochsenwagen, Radfahrer und Fußgänger verkehrten auf den Straßen und Wegen. Kraftwagen waren sensationell selten.- Manchmal kam der Landarzt aus Mügeln mit glänzendem Auto vorgefahren, auch die Post wurde täglich mit einem Lieferwagen zur Verteilungsstelle im Gasthof gebracht. – Besonders notwendig war derzeit die Schmiede im Dorf. Schmiedemeister Richard Eichler war ein geschickter Hufschmied. Von Ferne beobachteten wir Jungen, wie er den schweren Ackerpferden die Hufeisen anpasste. Das stank fürchterlich nach verbranntem Horn, ein Geruch, der kennzeichnend in Erinnerung blieb. Gern beobachtete ich den Schmiedemeister, wenn er mit treffenden Hammerschlägen auf dem Amboss den gühenden Stahl formte. (Viel später übte ich selbst diese Kunst, nicht ohne Erfolg.) In der Schmiede beobachtete ich besonders neugierig, wenn Stahlreifen auf vom Stellmacher gefertigte Ackerwagenräder aufgezogen wurden. Das Verschweißen, Ausdehnen und Schrumpfen des eisernen Bandes interessierte mich. Allerdings musste man beim Gucken respektablen Abstand halten.

Der Gasthof Schweta

Der Gasthof, unser Nachbar gegenüber meinem Elternhaus, war der Kommunikationsplatz des Dorfes, seit ich denken kann. Der Braumeister Hermann Specht war freundlicher, humorvoller Gastwirt, oft zum Scherzen aufgelegt. Frau Specht war für die Küche zuständig. Tochter Alma und Sohn Paul besorgten die Bedienung in Gaststube und Clubzimmer.- Spechts Paul verwaltete außerdem die Geschäftsstelle der Reichspost für die gesamte Gemeinde. An jedem Wochentag brachte das Postauto Briefe, Zeitungen und Pakete zum Gasthof. Paul belud dann sein Fahrrad mit den Päckchen und Paketen, die angeliefert worden waren, hängte die große Ledertasche mit der Briefpost um und fuhr zu jedem Adressaten zum Abliefern. In der Poststube des Gasthofes war die öffentliche Telefonstelle eingerichtet, damals wichtig für die meisten Bürger, alle Postgeschäfte wurden dort erledigt. – Im Obergeschoß des Hauses warteten Fremdenzimmer auf Übernachtungsgäste.

Der Gasthof hat einen geräumigen Saal und Tanzdiele im Freien. Der Gesangverein und der Schießclub feierten hier ihre Stiftungsfeste und Tanzvergnügungen. Nachmittags wurde manchmal sogar Kino im abgedunkelten Saal vorgeführt. Für uns Kinder war das Kino sensationell. Die Mickymausfilme mit den lustig hüpfenden Figuren waren besonders eindrucksvoll.

Vor dem Eingang zum Gasthaus sorgte ein Brunnen für Wasser zum Tränken der Zugtiere. Auf dem Hof nebenan spendeten zwei große, alte Kastanienbäume im Sommer Schatten. An das Gasthaus schließt sich das Scheunengebäude an. Während der Zeit der großen Arbeitslosigkeit um 1931 waren in dessen vorderen Teil einfache Übernachtungsmöglichkeiten für wandernde Handwerksburschen und Bettler bereitgehalten.

Mit Grauen denke ich daran zurück, wie oft damals diese billige Bleibe beansprucht wurde. – Die Familie Specht bewirtschaftete den Gasthof Schweta viele Jahrzehnte lang mit Erfolg.- Nach dem Begräbnis meines Vaters im Jahr 1963 traf ich Paul Specht zu unserem letzten Abschied.

Unsere Tischlerei und Damenschneiderei

An der Hauptsraße gegenüber dem Gasthof besassen meine Vorfahren Haus und Grundstück bis zum Jahr 1977, länger als 200 Jahre. Das Wohnhaus enthält die ältesten Gebäudeteile und wurde im Lauf der Zeit mehrmals umgebaut. Mein Grossvater August Hanschmann ließ das Haus für die Werkstatt bauen, wahrscheinlich im Jahr 1883. Dort betrieb er sein Tischlerhandwerk mit Erfolg bis zu seinem Tod im Jahr 1907. Mein Vater Max Hanschmann führte die Tischlerei bis ins hohe Alter weiter. Im Jahr 1923 heiratete er die Damenschneiderin Erna Hamm aus Oetzsch. – Sie wurde meine Mutter.- Ihre Schneiderwerkstatt zog seit dem in Schweta ein und blieb aktiv, bis sie 1977 Schweta verließ. Seit 1923 waren zwei Handwerksbetriebe in unserem Haus tätig.

Die Eltern nutzten 1932 die Gelegenheit günstiger Löhne, um unser Wohnhaus umzubauen aufzustocken und mit neuem Dach einzudecken. Viele Verwandte halfen damals mit. Die Bauaufsicht oblag dem Großvater Richard Hamm. 

In der Tischlerei war mein wichtigster Spielplatz, Hobelspäne mein erstes Spielzeug. Zum 5. Geburtstag schenkte mir Vater meinen eigenen Werkzeugkasten mit geeigneter Ausstattung. Damit lernte ich Holz bearbeiten, das interessierte mich. In Mutters Schneiderstube wurde ich später mit der Bearbeitung der Textilien bekannt. Bei dem Ausrädeln von Schnitten für Kleider war ich gern gesehener Helfer. Nebenbei lernte ich das Heften und Knöpfe Annähen. Mutters Nähmaschine faszinierte mich, durfte aber nur daran zum Spindeln Aufspulen. Das Nähen mit der Maschine lernte ich erst später. Meine Eltern beide waren gute Lehrmeister ihres Berufes. Mit aufmerksamem Aufpassen erlernte ich viele nützliche Geschicklichkeiten. – Weil meine Großmutter Selma Hanschmann unseren Haushalt führte, die Haustiere, Ziege, Schweine und Hühner fütterte, auch den Gemüsegarten bestellte, konnten meine Eltern vollkommen ihre Berufsarbeit leisten. Das wichtigste war ihnen die Erfüllung der Bedürfnisse der Mitbürger an Möbeln, Wohnungseinrichtung, manchmal auch ein Sarg, sowie an Kleidern und Wäsche. Der Ertrag sicherte unser Leben. – Im Dorf sorgten auch andere Schneiderinnen für die Bekleidung der Damenwelt, denn Konfektionsangebote gab es nicht. Erinnern kann ich mich noch an Frau Schieferdecker im Pfarrhaus. Hingegen unsere Tischlerei war damals die einzige in der Gemeinde. Vaters Konkurrenten hatten ihre Betriebe entfernt in Mügeln, deshalb hatte er stets mehr als genug Arbeit, auch für den Gesellen Alfred Richter aus Oetzsch. Alfred arbeitete in unserer Werkstatt seit ich denken kann. Mit ihm hatte ich viel Spaß und lernte manchen guten Tipp von ihm. Sogar das Radfahren übte er anfangs mit mir.

Bei den Handwerksbetrieben darf der Ofensetzermeister Otto Daate in der neuen Siedlung nicht fehlen. Otto Daate baute und reparierte die warnenden Kachelöfen, die Kochöfen, Backöfen und Herde in den Häusern, Das war sehr wichtig für die Haushalte. Man heizte, kochte und buk meist mit Holz, Braunkohlebriketts oder Steinkohle. Zentraleizungen gab es selten in der ländlichen Gegend, deshalb wurde der Ofensetzer im Haus manchmal zur Reparatur notwendig.

Käserei und Lebensmittelversorgung

Im ersten Haus der alten Siedlung am Südende des Dorfes betrieb Familie Lisper die Käserei. Aus Quark wurden schmackhafte Stangenkäse in großen Mengen produziert und im weiten Umkreis verkauft.- Bei der Erzeugung durfte man nicht aufpassen wegen der Reinlichkeit. – Auf Strohhalmen liegend in den Kästen sahen die Käsestangen appetitlich aus und dufteten ein wenig. – In späterer Zeit wurde neben der Käserei ein Geschäft für Lebensmittel eröffnet.

Zwei Lebensmittelgeschäfte versorgten die Menschen im Dorf mit den Nahrungsmitteln, die man nicht selbst erntete und produzierte. Sie wurden „Kolonnialwarenladen“ genannt. Familie Geißel hatte ihr Geschäft am Ende des Dorfes Schweta. Herr Geißel versorgte nicht nur die Schwetaer. Mit dem dreirädrigen Transporter belieferte er auch Wochenmärkte der Umgebung mit seinen Waren. Schon zeitig hatte er das Motorfahrzeug angeschafft, wir bewunderten das. – Bei Geißeis konnte ich abgelegte Tageszeitungen abgeben, das brachte ein wenig Taschengeld. Man wickelte die Salzheringe und manche anderen Waren beim Kauf in Zeitungspapier, damals eine nützliche Verwendung. – In Schlanzschwitz führte Famile Grumbach den Kolonialwarenladen. Beide Geschäfte führten etwa gleiche Angebote. Meine Eltern achteten darauf, bei beiden gleichermaßen einzukaufen. Denn in der Gemeinde waren ansässige Kaufleute und Handwerker von einander abhängig mit Einkommen und Verdienstmöglichkeiten. Gegenseitige Abhängigkeiten förderten die persönliche Verbundenheit der Menschen in der Gemeinde. Das habe ich während meiner Jugendzeit in Schweta erfahren. – Zurück zu Grumbachs in Schlanzschwitz. Sie führten nicht allein den Laden, Paul Grumbach bestellte seine Landwirtschaft und pflegte gemietete Obstbäume, die Gemeindewege säumten. Mit dem geernteten Obst belieferte er Händler, und sein Gewinn war von dem Ertrag der Ernte abhängig.

Landwirtschaft

Außer dem Rittergut war damals nur noch ein größerer Bauernhof selbständig in der Gemeinde, das war der Hof von Bauer Kurt Schneider und seiner Frau Frieda in Schlanzschwitz. Mit Schneiders waren meine Eltern befreundet. Sie halfen uns bei der Bestellung unseres Feldes, und die Eltern halfen ihnen in der Erntezeit. An die Größe des Hofes habe ich keine Erinnerung mehr. An zwei kleine Landwirtschaften erinnere ich mich noch, die der Familie Hempel und das Gut von unseren Nachbarn Hermann Roßberg und Frau Auguste. Mit Käse und Butter versorgten sie uns. – Roßbergs Kühe lieferten nicht nur Milch, sie wurden auch als Zugtiere eingesetzt.

Das war damals dort eine Seltenheit. Nur im Rittergut dienten Zugochsen außer Pferden als Gespanntiere. – Hermann Roßberg war Maurer, nicht allein Landwirt. Beim Umbau unseres Hauses im Jahr 1932 hat er tatkräftig mitgewirkt. Zu Familie Roßberg bestand stets gute Nachbarschaft.

Im Rückblick betrachtet war es eine aufgeregte Zeit, meine Kinderjahre um 1930 und folgende, von denen diese meine Erinnerungen berichten. Das Zusammenleben in der Dorfgemeinschaft schien mir jedoch von den politischen und wirtschschaftlich-sozialen Turbulenzen in Städten um uns herum nicht wesentlich betroffen zu sein. In der Landgemeinde kannte man sich gegenseitig, meist seit Kindheit und Schulzeit, kannte Freundschaften und auch Abneigungen. Die meisten Mitbürger arbeiteten hart für den eigenen Unterhalt und den der Familie. Man hielt auf Ordnung in Haus, Hof, Feld und Wiese. Nachbarschaftliche Hilfe war selbstverständlich das verlässliche Bindeglied der Menschen. Allerdings blieben Differenzen in Meinungen, Ansichten und Urteilen nicht aus. Entscheidungen und Entschlüsse mussten getroffen werden, die nicht jedermann recht waren. Aber vom Streit der Parteien spürte man im Dorf wenig, das mit einander Einigwerden war meist wichtiger. Die Ereignisse der Umgebung und der Umwelt erfuhr man aus den Zeitungen und Gesprächen Bald aber begann der Rundfunk Einzug zu halten; Musik und Mitteilungen wurden in die Wohnungen getragen. Eine neue Zeit  begann, die mehr Unruhe in unser Leben brachte. Meinen Eltern und meiner Großmutter verdanke ich eine gute und interessante Kindheit in Schweta.


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