Okt 242014
 

Was heißt es, dass wir heute in einem säkularen Zeitalter leben? Was ist geschehen zwischen 1500 – als Gott noch seinen festen Platz im naturwissenschaftlichen Kosmos, im gesellschaftlichen Gefüge und im Alltag der Menschen hatte – und heute, da der Glaube an Gott, jedenfalls in der westlichen Welt, nur noch eine Option unter vielen ist? Um diesen Wandel zu bestimmen und in seinen Folgen für die gegenwärtige Gesellschaft auszuloten, muss die große Geschichte der Säkularisierung in der nordatlantischen Welt von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart erzählt werden – ein Unterfangen, dem sich der kanadische Philosoph Charles Taylor in seinem neuen Buch stellt.

Mit einem Fokus auf dem „lateinischen Christentum“, dem vorherrschenden Glauben in Europa, rekonstruiert er im Detail die entscheidenden Entwicklungslinien in den Naturwissenschaften, der Philosophie, der Staats- und Rechtstheorie und in den Künsten. Dem berühmten Diktum von der wissenschaftlich-technischen „Entzauberung der Welt“ und anderen eingeschliffenen Säkularisierungstheorien setzt er die These entgegen, dass es die Religion selbst war, die das Säkulare hervorgebracht hat, und entfaltet eine komplexe Mentalitätsgeschichte des modernen Subjekts, das heute im Niemandsland zwischen Glauben und Atheismus gefangen ist.