Nov 132014
 

Gnadenlos

Von Gerhard Rein, 11.11.2014

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Die Richtlinien der politischen Debatte bestimmt der Bundespräsident. Das ist ohne Zweifel ein bemerkenswerter Wandel. Selbst am Abend des 9. November, als nicht wenige Berliner ob des anhaltenden Jubels schon einigermaßen ermattet ihr Zuhause herbei sehnten, konnte Günter Jauch nicht davon lassen, bei seiner talk-Rückschau auf 25 Jahre Mauerbau nach der Zukunft Thüringens und der direkten Interventionen des Bundespräsidenten zu fragen. Die war ja eine Woche zuvor in der Sendung „Bericht aus Berlin“ erfolgt, in der Gauck schwere Bedenken gegen einen möglichen Ministerpräsidenten erhob, den die Partei Die Linke zu stellen hätte. Gaucks Einspruch wurde aufgezeichnet in der Berliner Gethsemane-Kirche, bei brennenden Kerzen. Ich könnte das eine inszenierte Blasphemie nennen, schrecke aber von der eigenen Einschätzung zurück. Hatte Joachim Gauck nicht die Gethsemane-Kirche als „Tempel der Demokratie“ hoch gelobt? Zum ansehnlichen Wortschatz des Bundespräsidenten gehört das Adjektiv „geschichtsvergessen“. Nun, die Gethsemane- Kirche war nicht immer ein Tempel der Demokratie. Kaiser Willem II. hat ihr den Namen zugewiesen, als er sie 1893 einweihte. Eine Holzplastik von Wilhelm Groß, 1922 aufgestellt, war der Gemeinde zuwider. „Christus in Gethsemane kniend“ wurde 1934 als „entartete“ Kunst aus der Kirche entfernt. Was soll das? Das ist doch lange her. Der aktuelle Gemeindekirchenrat der Gethsemanekirche hat dem Antrag der ARD, das Interview mit dem Bundespräsidenten in seiner Kirche zu führen, breit zugestimmt. Nur mit knapper Mehrheit beschloss er gerade auch, kircheneigene Wohnungen nicht für Flüchtlinge bereit zu stellen. Ein Tempel der Demokratie eben.

Joachim Gauck lebt seinen Anti-Kommunismus überzeugend aus. Auf der Westerplatte bei Danzig gedenkt er am 1. September 2014 des polnischen Widerstands und der polnischen Opfer des 2. Weltkriegs, erwähnt die Millionen Opfer, die Russland durch deutsche Soldaten erleiden musste, nicht mit einem Wort. Gelegentlich werde ich darauf hingewiesen, dass Gauck seinen Getreuen immer wieder erläutert, es müsse noch viel geschehen, bis er Russland die Verschleppung seines Vaters nach Sibirien vergeben könne. Der Vater hat Sibirien überlebt, ist zurückgekommen. Verglichen mit Millionen von Kindern, deren Väter nicht aus dem Krieg heimkehrten, kann Gauck sich glücklich schätzen. Er aber bleibt bei seiner gnadenlosen Theologie, bei seiner Theologie ohne Gnade.

Einem anderen Anti-Kommunisten sind wir fünf Tage später begegnet, als Wolf Biermann im Bundestag (Ist das der wahre Tempel der Demokratie?) die Abgeordneten der Linken als Drachenbrut verhöhnt. Das war der Furor des Konvertiten, der den Kommunismus einst besang und ihn heute gnadenlos bekämpft. Du lass Dich nicht verbittern in dieser bittren Zeit, singt er und hält sich nicht daran. Dieser wunderbare Poet und ziemlich rachsüchtige Neukaltekrieger. 

Im Bundestag jubelt ihm die Union zu, die Bundeskanzlerin klatscht begeistert. Die Konservativen haben das Jubiläum fest in der Hand. Bei Durchsicht der Programme, Diskussions-Runden, Zeugenbefragungen geht einem schnell auf, dass überwiegend die Oppositionellen aus der DDR zu Wort kommen, die sich heute im konservativen Lager eingerichtet haben. Sie haben die Deutungshoheit über die Friedliche Revolution längst auf ihre Mühlen geleitet und fahren die Ernte ein. Von Erika Drees und Ruth Misselwitz, von Reinhard Schult, Wolfgang Ullmann, Christoph Ziemer, von Bärbel Bohley, von Heiko Lietz, Jochen Garstecki oder Heino Falcke ist kaum noch öffentlich die Rede. Nun stehen die Mikrophone denen zur Verfügung, den Birthlers, Poppes, Schulz und Co., die „geschichtsvergessen“ auf Russland und Putin eindreschen. Wie entsetzt werden sie wohl gewesen sein, als sie vor dem Brandenburger Tor zu Kenntnis nehmen mussten, dass die Menge „Gorbi, Gorbi“ – Rufe anstimmte, der bei seinem Aufenthalt in Berlin erklärt hatte, dass er den Westen, die NATO, die EU verantwortlich macht für die Krise in der Ukraine. 

Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die rechte Fraktion der DDR-Oppositionellen heute so stark sich zeigt, weil sie entdeckt hat, dass sie endlich wieder ein gemeinsames Gegenüber, einen gemeinsamen Feind ausgemacht hat: die Linke. Im Westen sind Fronten so schwer auszumachen, im Osten Deutschlands ist das immer noch ein leichtes Spiel. Dass in Thüringen gegen eine mögliche rot-rot-grüne Koalition nun von rechten Sozialdemokraten, rechten CDUlern und von ehemaligen DDR- Oppositionellen zum Kampf geblasen wird gegen das linke Gesocks, Morddrohungen inklusive, hat, an einem 9. November, sogar Anklänge an eine Art Pogromstimmung, Anklänge an Volksfront. Das werden die Protagonisten der Kundgebungen und Demonstrationen gegen eine von Linken geführte Regierung empört von sich weisen. Aber solange zum Beispiel die CDU in Thüringen sich nicht ihrer eigenen Vergangenheit stellt, ihrer Nähe zur SED, ihrer Mitverantwortung für den Unrechtsstaat, auch der Vergangenheit der Ministerpräsidentin, die als Pfarrerin regimekritischen Geistern ihre Kirche verweigerte, ist die heutige Empörung scheinheilig, durchsichtig und gnadenlos.

Wie schön, dass in der Kapelle der Versöhnung im Mauerpark in Berlin am Sonntagmorgen die Stimmung durch fast nichts getrübt wurde. Ein Gottesdienst nur für geladene Gäste. Ob das Gottesdienst genannt werden kann, sollen die Theologen mal unter sich ausmachen. Die happy few, die Guten, die Bedeutenden, die in die kleine Kapelle eingelassen wurden, lasen auf ihren Einladungen: Begeben Sie sich pünktlich auf den für Sie vorgesehen Platz. Ausrufungszeichen. Einige der Eingeladenen wollten diesem Befehlston nicht nachkommen. Jedenfalls nicht in einer Kapelle der Versöhnung. Selbst das Angebot, man könne sich nach dem Gottesdienst mit der Kanzlerin ablichten lassen und das Foto getrost mit nach Hause nehmen, war nicht allen eine schiere Freude. Der Bundespräsident in der Gethsemanekirche, die Kanzlerin in der Kapelle der Versöhnung. Inszenierte Blasphemie? Natürlich nicht. Nur Thron und Altar für das 21. Jahrhundert.

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