Durchgangslager Neuengamme
Dem Internierungslager war seit Herbst 1946 ein Transitcamp für aus dem Ausland ausgewiesene deutsche Männer, Frauen und Kinder angeschlossen. Dieses Lager war das einzige seiner Art in der britischen Besatzungszone. Die Ausgewiesenen kamen aus vielen Ländern Europas, Afrikas und Asiens. Dort waren sie häufig schon zu Kriegsbeginn interniert worden. Ein großer Teil waren Missionare und deren Familien, die nun in Neuengamme von christlichen Hilfswerken unterstützt wurden. Nach einer kurzen Überprüfung konnten die meisten Rückkehrer das Lager nach wenigen Tagen wieder verlassen. Stellte sich bei den Vernehmungen jedoch heraus, dass die Befragten eine Funktion in der Auslandsorganisation der NSDAP bekleidet hatten oder der Spionage verdächtig waren, wurden sie in das benachbarte CIC 6 verlegt.
Das Transitcamp, auch „Rückwandererlager“ oder „Durchgangslager“ genannt, bestand vom Herbst 1946 bis Dezember 1947. Diese Webseite schildert das Camp aus der Perspektive von Repatriierten, Internierten des angrenzenden Lagers, britischen Behörden und Wohlfahrtsverbänden, die die Repatriierten unterstützten.
The transit camp existed from autumn 1946 until December 1947. This folder shows the camp from the perspective of the people who passed through it on their way home, from the perspective of internees from the neighbouring internment camp, from the per-spective of the British authorities and from the perspective of the charity organisations who supported the home-comers.
Als gegen Morgen der Zug auf dem Güterbahnhof Hamburg herum rangiert wird, hört Marijke das deutsche Gespräch zweier Bahnarbeiter: „Was wollen die denn bei uns?“ „Sollen machen, daß sie dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind!“ „Sie fressen uns das bißchen Brot noch weg!“
[…] Der Zug fährt weiter […] in das Lager nach Neuengamme. Jeder bekommt dort in einem düsteren Raum einen staubigen Strohsack. Wer bis dahin noch etwas zu murren hatte, lernt hier das große Schweigen ganz gewiß. Am Abend berichtet eine Rotkreuzschwester von den diabolischen Leiden, die den Juden hier angetan wurden. Dieses Lager ist das Schrecklichste, das Marijke in all den Jahren erlebte. Rührt ihr körperlicher Abscheu vom Geist der Vergangenheit, der hier immer bleiben wird?
Mia Noll-Kappner kehrte als Kind einer Missionarsfamilie 1947 aus japanischer Internierung in Sumatra nach Deutschland zurück. 1985 erschien eine literarische Bearbeitung ihrer Biografie.
Aus: Mia Noll-Kappner: Dein Stecken und Stab trösten mich, Schwäbisch-Hall, o.J. [ca. 1985], S. 150f.
Das Transitcamp war im so genannten „Lager V“ untergebracht. Die insgesamt fünf Baracken, am südwestlichen Ende des Neuengammer Lagerkomplexes gelegen, waren von der Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei genutzt worden. Die Aufnahmen zeigen die Gebäude nach ihrer Übernahme durch die Hamburger Gefängnisbehörde im September 1948. Der Fotograf Wagenknecht legte das Album an und versah die Fotos mit Erläuterungen.
(ANg)
Zuerst eine warme und strahlende Sonne […], dann das Frühstück, bei dem wir überrascht feststellen – und es täglich bestätigt finden –, dass die Verpflegung in dem ausgehungerten und verwüsteten Deutschland viel, viel besser ist als in dem reichen Dänemark. Die deutsche Lagerleitung, natürlich unter Aufsicht der Engländer, tut aber auch alles, um uns die Lage zu erleichtern.
Gottfried Horstmann, Rückkehrer aus Dänemark, über seinen ersten Morgen im Transitcamp in Neuengamme.
Aus: Gottfried Horstmann: Erinnerungen, Apenrade 1954, S. 75.
Bericht der Fürsorgeschwester der Inneren Mission über den Dienst im Durchgangslager Neuengamme vom Oktober 1946 bis März 1947.
Das Durchgangslager NEUENGAMME, das dem Internierungslager angeschlossen ist, dient zur Durchschleusung der Auslandsdeutschen, die jetzt aus den verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern nach Deutschland zurückkehren müssen. Dabei handelt es sich zum weitaus größten Teil um Rückführung aus den Internierungslägern Asiens und Afrikas, daneben aber auch um Einzelausweisungen.
Während bei den ersten Transporten aus Schweden nur ein kleiner Teil des jeweiligen Transportes nach Neuengamme kam, wurden die Transporte aus Asien und Afrika geschlossen ins Lager gebracht, nachdem sie in Cuxhaven oder Hamburg ausgeschifft waren.
Die Unterbringung der Frauen und Kinder in einer Holzbaracke mit zumeist kleineren Räumen und einer Zentralheizungsanlage ist angesichts der allgemeinen Notlage befriedigend, ebenso die Verpflegung.
Bei den größeren Transporten mit vielen Kindern, und darunter wieder einer großen Zahl von Kleinkindern, traten jedoch mancherlei Schwierigkeiten auf, stark mitbedingt durch die Mitte Dezember einsetzende starke Kälte. Diese machte den noch vor zwei Wochen im tropischen Klima Lebenden […] viel zu schaffen […] und führten […] zu mancherlei Erkältungskrankheiten und vereinzelten Frostschädigungen. Einige Kinder des Indien-Transportes musste ich in Hamburger Krankenhäuser bringen. […]
Die Aufenthaltsdauer im Lager Neuengamme betrug bei den Transporten, die vom Oktober 1946 bis Februar 1947 ankamen, 5 – 17 Tage. Die verhältnismäßig sehr lange Dauer von 17 Tagen bei dem Dezember-Transport aus Jamaika war bedingt durch Schwierigkeiten bei der Beförderung des sehr umfangreichen Gepäcks. Die politische Überprüfung und die Zollrevision sind sonst in wenigen Tagen erledigt. Die Entlassung erfolgt jeweils an der Jahnhalle in Hamburg, wo dann die Flüchtlingsbetreuung der Sozialverwaltung die weitere Betreuung übernimmt.
Anfang Oktober: Transport aus Schweden (4 Frauen, mehrere Männer, darunter eine Schwedin, die wegen ihres deutschen Mannes, der z. Zt. in einem Internierungslager in Deutschland ist, ausgewiesen wurde) […].
14. – 21. November 1946: Transport aus Holländisch und Britisch-Indien und Jamaika (6 Frauen, 4 Kinder, größere Anzahl Männer, darunter 3 Familien) […].
7. – 23. Dezember: Transport aus Jamaika (vorwiegend Familien, einige alleinstehende Männer und Frauen. Etwa die Hälfte des Transportes setzte sich aus Missionarsfamilien, ev. Missionsschwestern und katholischen Missionsärztinnen zusammen. Gesamtzahl: rund 100 Personen, davon 36 Frauen und 26 Kinder). […]
27. Dezember 1946 – 3. Januar 1947: Transport aus Indien (grösserer, ein Teil aus dem Männerlager Dehra Dun, der andere aus dem Familienlager Satara, darunter wieder viele Missionsfamilien. […])
27. Februar – 6. März 1947: Transport aus Jamaika (18 Frauen, 28 Kinder, etwa 20 Männer). […]
Bei meinen Besuchen im Lager […] kommen die einzelnen mit ihren Wünschen und Fragen. An erster Stelle steht dabei die Sorge um das Gepäck. […] Neben dieser Gepäcksorge stehen viele andere Fragen, wie die nach den Reisemöglichkeiten, dem Übergang in die anderen Zonen, der Verbindung mit den Angehörigen, den Arbeitsmöglichkeiten in den einzelnen Berufen, der Ernährungslage […]. Hinter all diesen Fragen steht für die Rückkehrer das beklemmende Empfinden: die alte Heimat ist uns durch das lange Fernsein und vor allem durch das Kriegsgeschehen fremd geworden, und bei manchen die bange Sorge: werden wir in den gegenwärtigen Verhältnissen zurechtkommen? Viele Familien stehen im Blick auf die Zukunft vor einem völligen Dunkel […].
Hamburg-Volksdorf, den 8. April 1947.
gez. Diakonisse Elisabeth Gräning
(KKR)
Wir hatten nur unsere Tropensachen. […] Und plötzlich befanden wir uns wieder hinter Stacheldraht und zwar in Neuengamme. Das war natürlich sehr bitter. […] Es gab keine Heizung. Das Wasser war gefroren und wir konnten uns kaum waschen.
Otto Tiedt, Rückkehrer aus Britisch-Indien.
Aus: Paul H. von Tucher: Nationalism: case and crisis in missions, Erlangen 1980, S. 487.
Das Transitcamp aus der Perspektive von Internierten im angrenzenden CIC 6
Vor wenigen Tagen wurden hier in ein besonderes Lager […] mehrere hundert Deutsche aus Niederländisch Indien eingeliefert. Wir sahen sie mit ihren khakifarbenen Anzügen, weißen Mützen und Tropenhelmen herumlaufen. Sie haben drüben schon einige Jahre hinterm Stacheldraht verbracht und sind jetzt nach hier verfrachtet, während ihre Familien noch drüben in Sammellagern sitzen, aber wohl auch noch nachkommen sollen. Viele sehen auf diese Art ihr Vaterland zum ersten Mal. Diese Menschen werden nun hier eingesperrt, nur weil sie als Deutsche draußen lebten – das genügt schon. Ihr Vermögen ist selbstverständlich beschlagnahmt. So macht man es mit allen Deutschen in der Welt.
Heinz Volker war aufgrund seines Ranges in der Hitlerjugend seit August 1945 im CIC 6 interniert. Eintragung in seinem Tagebuch.
Heinz Volker. Tagebuch, Bd. IV, S. 62.
(ANg)
Der unermüdlich tätige Dr. Westphal hatte in der Zwischenzeit auch noch ein Kasperletheater ins Leben gerufen, das erstmalig am Himmelfahrtstag 1947 (15. Mai) vor die Lageröffentlichkeit trat. Vorher hatte es schon wiederholt den Kindern der aus Dänemark ausgewiesenen Deutschen, die im Lager V vorübergehend untergebracht waren, einige frohe Stunden bereitet. Die Vorstellungen fanden auch bei den Kameraden starken Beifall, so daß sie wiederholt werden mußten.
Hans-Heinrich Beu war als vormaliger Leiter des Hamburger Gaurechtsamtes im CIC 6 interniert. Auszug aus seiner Chronik des Internierungslagers, die er dort im Frühjahr 1947 anlegte.
(ANg)
„Obnoxious Germans“
Aus: Control Commission for Germany, British Element, Zonal Executive Offices: Zone Policy Instruction No. 35, 31st July 1946.
(TNA (PRO))
In Dokumenten der britischen Militärregierung wird das Transitcamp häufig als „‚Obnoxious Germans‘ Camp“ bezeichnet. Dieser Begriff war auch innerhalb der britischen Militärverwaltung umstritten, denn „obnoxious“ kann mit „unerwünscht“, aber auch mit „widerwärtig“ übersetzt werden.
Definition: Obnoxious Germans are defined as those Germans who, between 1933 and […] 1945, were in the employ of the German government abroad, and other Germans whose presence abroad is undesirable. […]
All acceptance into the British zone will be accommodated temporarily in Hamburg, where the necessary interrogation will be carried out; after which they will be dispersed either to an internment camp or to their home localities in the British, United States, Russian or French Zone.
Definition: Unerwünschte Deutsche sind Deutsche, die in den Jahren 1933 bis 1945 im Auftrag der deutschen Regierung im Ausland tätig waren sowie Deutsche, deren Anwesenheit im Ausland unerwünscht ist. […]
Diejenigen, die in die britische Zone einreisen dürfen, werden vorübergehend in Hamburg untergebracht, wo die notwendigen Vernehmungen durchgeführt werden, nach der die Rückkehrerinnen und Rückkehrer in ein Internierungslager verbracht oder aber je nach Wohnsitz in die britische, US-amerikanische, russische oder französische Zone entlassen werden.
Wir waren nun am Ziel nach langer, wenig erfreulicher Reise. […] Nun waren wir in deutschen Händen. […] Unsere Unterbringung war, wie nicht anders in solch einem Lager zu erwarten, primitiv. Kleine Räume, immer zwei Betten übereinander. Aber Behandlung und Essen sehr gut. […] Wir waren glücklich, wieder unter Menschen unseresgleichen zu sein.
Martha Becker kehrte 1947 zusammen mit ihren Kindern aus der Internierung in Sumatra nach Deutschland zurück.
Aus: Martha Becker: Erinnerungen an die Jahre 1940–1947, unveröffentlichtes maschinenschriftliches Manuskript, S. 80. (VEM)
Vertrauliche Mitteilung des Senior Control Officer an das britische Hauptquartier vom 26. Januar 1947 über deutsche Rückkehrer. Das Schreiben benennt Missstände, denen die Zurückgekehrten bei ihrer Ankunft im Hamburger Hafen ausgesetzt seien, wie lange Wartezeiten, Hunger und Kälte. Darüber hinaus werden ungenügende Vernehmungsmethoden und die mangelnde Versorgung im Transitcamp Neuengamme kritisiert.
(TNA (PRO))
In diesem letzten Durchgangslager mit viel Appell, Kartoffelsuppe mit Schale und überreichlichem Entnazifizierungsverfahren war ein unbeschreiblicher Schmutz in allen Baracken. Jede neue Gruppe trug neuen Staub – um nicht zu sagen: Schlamm – hinein, aber keiner kehrte ihn wieder hinaus. Jeder wußte: hier dauert es doch nur noch einige Tage. […]
Doch wie schwer war der Weg in die so ungewohnte Freiheit. Bisher hatten ja andere fast jeden Schritt und Tritt für uns überlegt und nun mußte jeder von uns selbst überlegen und handeln. Wie seltsam war es: Gepäck aufzugeben, eine Fahrkarte zu kaufen, mit der Straßenbahn zu fahren und einen Lichtschalter anzudrehen – bisher war das Licht ja nur zentral an- und ausgeschaltet worden – fast sieben Jahre lang! Wie seltsam, daß eine Frau einem die Hand reichte und nach einem Mitinternierten bei unserer Entlassung fragte! Sechs Jahre und sieben Monate hatte ich keiner Frau mehr die Hand gegeben.
Im „Rauhen Haus“ verbrachten wir die erste Nacht in Hamburg, um dann am anderen Tag mit dem Zug nach Wuppertal zu fahren. Mit unserem seltsamen Reisegepäck fielen wir ja sofort auf den Bahnhöfen auf. Ich höre noch, wie ein Kollege auf eine entsprechende Frage sagte: „Wir kommen direkt vom Himalaya!“ Unser näheres Ziel in Wuppertal war der Betsaal des alten Missionshauses, das bei dem Bombenangriff verschont geblieben war. Dort wurden wir herzlich und freundlich von der Missionsleitung begrüßt.
Erich Klappert, Rückkehrer aus der Internierung in Sumatra und Indien.
Aus: Erich Klappert: Erlebnisse. 2375 Tage im „Paradies“ und im „Wunderland“ gefangen, Wiehl 1978 (Selbstverlag), S. 100ff.
Quelle: http://media.offenes-archiv.de/transitcamp.pdf
Links
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- Bauliche Entwicklung des KZ-Neuengamme von 1938 – 1945
- Neuengamme and Release
- Selbstwahrnehmung der Internierten
- Internierungslager Neuengamme – Wikipedia
- Mediathek Neuengamme
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