Dez 292014
 

Philosophie und Ethik im Kontext von Technologie und Design

Von Steven Dorrestijn

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Technologie ist überall. Ein Leben ohne all die Geräte, Maschinen und Systeme, mit denen wir uns umgeben, ist kaum vorstellbar. Gleichzeitig ist es schwer zu begreifen, welch wichtige Rolle all diese Technologien in unserem Leben spielen.

Mit meiner Doktorarbeit, The design of our own lives (Dorrestijn 2012), habe ich mich mit der sozialen und ethischen Bedeutung von Design intensiv auseinandergesetzt und dabei Theorien und Instrumente entwickelt, um die Praxis der sozialen Verantwortlichkeit im Design voranzutreiben. Wie beeinflussen Technologien die Art und Weise, wie wir leben oder wie verändern sie unsere Selbstwahrnehmung und die Art und Weise wie wir miteinander interagieren? Oder, zum Beispiel, wie beeinflussen oder verändern Technologien unsere Auffassung von Privatsphäre und Freiheit? Dies sind Fragen, die wichtig sind sowohl aus der Sichtweise von Design als auch aus der Sichtweise philosophischer Reflexion. Beide Sichtweisen zielen auf das Problem, wie Technologie und Menschen am besten aneinander angepasst werden können.

Dieser Text bietet eine kurze Einführung in meine Untersuchung, indem ich den Titel kommentiere und im gleichen Zuge das Modell erkläre, welches ich nutze, um die verschiedenen Arten von Einflüssen von Technologien auf das menschliche Wesen zu verdeutlichen.

Steven Dorrestijn

Steven Dorrestijn, 2014
© Christoph Gäbler

Das Design unseres eigenen Lebens

Es gibt zwei Quellen, die mich inspiriert haben, um den Titel „The design of our own lives“ zu wählen. Die erste war ein Slogan aus einer Werbung eines Möbelhauses: „Design your own live“ (IKEA). Ich fand den Slogan faszinierend, weil er überraschenderweise das Produktdesign und die Philosophie, also wie Design und unser Leben zusammengehört, ausdrückt. Du gestaltest dein Leben, indem du Möbel, Accessoires und verschiedenste Gegenstände um dich herum drapierst. Klar ist, dass solche Produkte deinem Leben nicht immer eine absolut einmalige Form geben können, und selbstverständlich ist davon auszugehen, dass das Möbelhaus nicht darauf hinaus war, philosophische Ideen zu promoten. Trotzdem ist in dem Slogan ein philosophischer Sinn, der ausdrückt, dass die Nutzung technologischer Produkte die Art und Weise zu leben und zu sein, formt. Die menschliche Existenz ist in vielerlei Hinsicht technisch vermittelt. In dem Fall von Möbeln nehmen wir dies als völlig selbstverständlich hin. In anderen Fällen, was auch immer, z. B. der aufstrebende elektronische Zahlungsverkehr in öffentlichen Verkehrsmitteln, es gibt Aufregung und Sorge um die Privatsphäre, Kontrolle der Menschheit wird befürchtet Genau deswegen ist es nötig, ein Bewusstsein und ein Verständnis für diese lebensverändernde Macht von Technologien zu entwickeln. Die Bewältigung der Einflüsse von Technologie auf die Menschheit ist eine wichtige und herausfordernde Aufgabe und gleichzeitig eine aktuelle Aufgabe der Politik sowie in der Theorie und Praxis von Design.

Die zweite Inspirationsquelle zur Formulierung des Titels kommt von den aktuell veröffentlichten Vorlesungen des Philosophen Michel Foucault (1926-1984) über „Die Regierung des Selbst und der anderen“ (gehalten am Collège de France 1983-1984) (Foucault 2010). Für die theoretische Ausarbeitung der Einflüsse von Technologie auf unser Leben, halte ich Foucault’s Untersuchung der menschlichen Existenz in unserer modernen Gesellschaft für sehr hilfreich. In Foucault’s Arbeit steckt ein interessanter Perspektivwechsel. Zunächst betont Foucault wie das Leben der Menschen mehr und mehr von einem wachsenden Netzwerk von Institutionen, Regeln und Technologie geleitet und geführt wird und so die moderne Gesellschaft prägt. Später ergänzt er seinen früheren Ansatz indem er beschreibt, wie die Leute sich selbst leiten und führen, indem sie aktiv die einflussnehmenden Umstände bewältigen. Foucault hat also eine neue Sicht auf das Thema „Freiheit“ entwickelt, welche nun besonders wichtig für die heutige Ethik im Zusammenhang mit der technischen Kultur ist. Der Ansatz ist hier nicht die Verteidigung einer unbeschränkten menschlichen Freiheit durch Zurückweisung sämtlicher technischer Grenzen, eher muss die Art der Freiheit geformt und umgesetzt werden mit Hilfe von bewusstem Design und Beschränkungen.

Inspiriert durch die Worte „Entwerfen Sie Ihr eigenes Leben“ und „Die Regierung des Selbst und der anderen“ kam ich schließlich zu dem Titel „Das Design unseren eigenen Lebens“. Dieser Satz hat mehrere Bedeutungen, wodurch Design, Philosophie und Ethik sich zusammen finden. .

Erstens ist in einem wörtlichen Sinn unser Leben voll von Design, angesichts all der Produkte, die uns umgeben und uns Unterstützung bieten, unsere Art zu leben. Zweitens drückt es aus, dass unsere menschliche Daseinsweise konditioniert wird und Philosophie versucht die Struktur zu untersuchen. Drittens, wird durch den Titel deutlich, dass wir selbst unserem Leben (und der Gesellschaft) eine Form und einen Sinn geben.

Meine Forschung deckt alle drei Ebenen. Sie handelt von Produkte und ihrer Gestaltung. Es geht aber auch um die Philosophie der Technik, mit dem Ziel, die Struktur unserer menschlichen Existenz zu verstehen und wie diese an Technologie gebunden ist. Und es geht um Ethik, die Frage, wie man für die Gestaltung unserer Leben Sorge tragen kann.

Auf dem Cover der Dissertation habe ich ein Bild von dem Kunstwerk „Building Blocks“ von der in New York lebenden japanische Künstlerin Kumi Yamashita verwendet (Dank an Tjebbe van Eemeren für den Hinweis auf dieses Werk).

Building Blocks 1997  © Kumi Yamashita

Building Blocks 1997
© Kumi Yamashita

Die Arbeit ist ein Beispiel dessen, was als „Schattenkunst“ bezeichnet wird. In diesem Fall Bausteine, einfaches Holzspielzeug, für Kinder, die in einer Weise angeordnet sind, dass mit dem Schein einer Lampe von der Seite, ein Schatten in Form einer menschlichen Figur erzeugt wird. Was die Installation so bemerkenswert und faszinierend macht, ist, dass der Schatten nicht von einem Menschen selbst kommt. Die Abbildung des Menschlichen entsteht erst durch technische Bausteine. Auf diese Weise drückt das Kunstwerk die zentrale Idee von der Gestaltung des eigenen Lebens aus: unsere menschliche Art des Seins ist ohne Technologie undenkbar, wir sind so wie wir sind, dank Technologie.

Technische Vermittlungstheorie und das Product Impact Tool

Ein guter Ausgangspunkt für das Verständnis der Auswirkungen der Produkte auf den Menschen ist der Ansatz der technischen Vermittlung in der Philosophie der Technik. In diesem Vermittlungsansatz werden Menschen und Technologien als grundsätzlich miteinander verwoben und voneinander abhängig gesehen. Also wird etwa die Sphäre des Menschen nicht einer Sphäre der Technik gegenübergestellt, wie es häufig in der Philosophie der Technik im zwanzigsten Jahrhundert getan wurde. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt der philosophischen Forschung vom Schutz der menschlichen Sphäre gegen technologische Entfremdung zur Untersuchung des grundlegenden verwobenen Charakters von Menschen und Technologien. Wie gestalten und ändern Technologien die menschlichen Verhaltensweisen, Erfahrungen, Verantwortlichkeiten und zwischenmenschliche Beziehungen? Technologien haben verschiedenartige Auswirkungen auf die menschliche Existenz und Lebensweisen die untersucht und ausgewertet werden müssen.

Die Konzentration auf die Vermittlung markiert eine wachsende Zusammenarbeit mit empirischen (das heißt historischen, soziologischen, psychologischen) Untersuchungen der Technik und mit dem praktischen Ingenieurswesen und dem Product Design. Der Vermittlungsansatz bietet somit die Möglichkeit der Kombination von philosophischen und ethischen Analysen der Technologie mit den Sozialwissenschaften und Design Perspektiven. Das Product Impact Tool (Dorrestijn 2012) verfolgt dieses Ziel, indem es einen interdisziplinären Überblick über Konzepte und Arten von Auswirkungen der Technologie auf Verbraucher und die Gesellschaft zusammenfasst. Der Mittelpunkt des Product Impact Tools ist ein Diagramm, das ein Repertoire von Auswirkungen der Technik auf den Menschen vorstellt. 

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Product Impact Model
© Steven Dorrestijn

Die Auswirkungen werden dargestellt indem sie der Frage nachgeht „von welcher Seite“ die Menschen die Auswirkungen der Technologien erfahren. In den vier Quadranten werden vier verschiedene Weisen des Aufgreifens der Auswirkungen der Technologien zusammengefasst:

  • Vor den Augen 
  • Mit den Händen 
  • Hinter dem Rücken
  • Über den Kopf

Über den Kopf (abstrakt)

Das Quadrant „Über den Kopf“ umfasst allgemeine, philosophischen Abschätzungen über die Beziehung zwischen Technologie einerseits und Menschen und der Gesellschaft andererseits.

Die Ansichten der Technologien variieren zwischen „utopischem“ Fortschrittsglauben mit Hilfe der Technik (die typische Ansicht in der Moderne) und der „dystopischen“ Furcht vor Herrschaft der Technik (im zwanzigsten Jahrhundert vor der Atombombe und der ökologischen Krise). 

Der Blick auf „ambivalente Hybridität“ ist die Position des zeitgenössischen Vermittlungsansatzes, wo die Hybridität von Mensch und Technik anerkannt wird, jedoch ohne Euphorie oder Verzweiflung.

Die Interdependenz von Technik und Gesellschaft auf dieser abstrakten Ebene ist zum Teil spekulativ; zumindest sind die Sichtweisen vielfältig und oft widersprüchlich. Es handelt sich um drei Sichtweisen, die sich alle drei zugleich wiedererkennen lassen, und so hilfreich sein können heutige Debatten zu deuten. Ebenfalls sind die drei Bilder der Technik auch exemplarisch für die historische Entwicklung des philosophischen Denkens über Technik, weil einmal die utopische, dann später die dystopische Vision dominierte und heute eher die ambivalente Bewertung vorherrscht.

Vor den Augen (kognitiv)

Die drei weiteren Quadranten enthalten Vorbilder von Einflüssen, die auf konkrete Weise angreifen (statt der eher abstrakten Verallgemeinerungen in der Kategorie „Über den Kopf“). Eine mögliche Antwort auf die Frage von welcher Seite die Einflüsse der Technik kommen ist, dass Technologien die Entscheidungen über das Handeln steuern können. Diese Kategorie wird angedeutet als „Vor den Augen“, weil die Handlungssignale meistens mit den Augen wahrgenommen werden.

Als erste Art von Einfluss gibt es die am Produkt angebrachten „Anweisungen“, die die Menschen zum richtigen vorgesehenen Gebrauch der Produkte anleiten. Im Design wird dieser Effekt genutzt durch selbsterklärende Formen und Farben, durch Zugabe von Pfeilen, Text etc. 

Die zweite Art von Einfluss ist die „Überredung“ durch Design, sie ist aufdringlicher. In diesem Fall führt Technik nicht nur zum ordnungsgemäßen Handeln, sondern die Technik bemüht sich den Menschen zu verleiten oder zu überzeugen und dessen Verhalten umzubiegen. Beispiele sind Pop-up-Banner auf Webseiten, die einen Kauf beanspruchen oder Geschwindigkeitsbilder entlang der Straßenbahn, die auf die Erinnerung der Verkehrsregeln zielen.

„Identifizierung“ ist die dritte Weise der Vermittlung des Selbst durch Technik. Diese hat zu tun mit der Ausstrahlung von  Produkten wie Autos oder Kleidung, die  den Menschen helfen ihre Identität zum Ausdruck zu bringen, indem sie sich mit diesen Dingen identifizieren. 

Mit den Händen (physisch)

Produkte können auch eine Art Kurzschluss im Entscheidungsprozess auslösen und wirken sich dann unmittelbar auf Körper und Gesten des Benutzers aus. 

Die erste Art von Einfluss in diesem Quadranten ist „Zwang“. Dies ist vielleicht der offensichtlichste aller Einflüsse von Technik. Beispiele sind etwa ein Zaun, um Menschen das Betreten des eigenen Gartens zu verwehren oder ein Huckel auf der Straße, der Autofahrer zum langsamen Fahren zwingt. 

Der Effekt von „vermittelten Gesten“ bezeichnet menschliche Aktivitäten wie das Schreiben mit Bleistift oder das Fahren mit dem Fahrrad. Technische Hilfsmittel ermöglichen und prägen diese Aktivitäten weitgehend. Der Einfluss wird aber nicht als zwingend erfahren, eher als natürlich, weil die Technik „einverleibt“ worden ist.

Mit „Unbewusste Beeinflussung“ ist der Effekt gemeint, dass man ganz leiblich bewogen werden kann, oft durch unbewusste Berührung der Sinne, etwas entweder angenehm oder abschreckend zu finden. So hoffen Marketing Berater mit dem Geruch von frischem Brot und Kaffee in Supermärkten die Kauflaune der Kunden positiv zu beeinflussen. Das Mosquito ist ein Gerät, das einen Ton von sehr hoher Frequenz abgibt, das Erwachsenen nicht mehr hören können aber für jüngere Leute sehr unangenehm ist und das deshalb genutzt wird, um das Herumhängen von Jugendlichen zu verhindern.

Hinter dem Rücken (Umwelt)

Abgesehen von Einflüssen durch direkten Kontakt, kann die Technologie Menschen auch indirekt beeinflussen. Die materiell-technische Umwelt und Infrastruktur bilden einen Hintergrund, der das menschliche Handeln ermöglicht und lenkt. Wieder können drei beispielhafte Arten von Auswirkungen unterschieden werden.

„Technischer Determinismus“ handelt davon, wie die materiellen Bedingungen in der Umwelt den Verlauf der Menschheitsgeschichte bestimmen.

Ein zweites Beispiel ist der Effekt der Verstärkung oder der Konflikt mit „Trends“. Der Erfolg eines Produkts ist oft abhängig von der Umgebung. Die große Einfluss der Druckmaschine auf die Zivilisation wäre unmöglich gewesen, wenn nicht zur gleichen Zeit im späten Mittelalter die Brille erfunden worden wäre. Bücher und Lesen für Jedermann gäbe es nicht ohne Brille, weil früher so wie heute viele etwas ältere Leute in der Nähe nicht mehr scharf sehen können. Beide Technologien verstärken einander und bilden ein Trend. Das umgekehrte, einen Konflikt oder Bruch mit einem Trend, gibt es auch. Autos ermöglichen schnelle Bewegung, aber viele Autos zusammen verursachen Staus.

Der dritte und letzte Effekt ist die Umgebung, in der Menschen sich befinden, mit bestimmt, wie sie ihre Handlungsmöglichkeiten sehen. Zu einem gewissen Grad wird damit auch moralisches Überdenken gefordert und in eine bestimmte Richtung gelenkt. Eine saubere Umwelt fördert menschenwürdige Haltungen. Überwachungskameras können Sicherheit bringen und sollen die Moral der Menschen verbessern, mögen aber auch Gefühle der Unsicherheit oder Aufdringlichkeit verstärken. Im „Product Impact Model“ wird dies als „Umweltliche Konditionierung der Subjektivität“ bezeichnet.


Literaturverzeichnis

Dorrestijn, S. (2012). The design of our own lives: technical mediation and subjectivation after Foucault. Enschede: Universität Twente.

Foucault, M. (2010). Die Regierung des Selbst und der anderen. 2. Der Mut zur Wahrheit: Vorlesung am Collège de France 1983/84 (J. Schröder, Übersetzung). Frankurt: Suhrkamp.

Website mit Product Impact Tool: www.stevendorrestijn.nl  


Thanks to Steffi Fleige and Christoph Gäbler for help with the translation.


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