Sep 122015
 

Für einen Plan B in Europa

Der Vorsitzende der französischen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, sowie Yanis Varoufakis, Oskar Lafontaine, der italienische stellvertr. Finanzminister a.D. Stefano Fassina und Zoi Konstantopoulou, die Präsidentin des griechischen Parlaments, haben zu einer internationalen Konferenz „Plan B für Europa“  aufgerufen, bei der über Alternativen zum Euro nachgedacht werden soll.

Am 13. Juli wurde die demokratisch gewählte griechische Regierung Tsipras von der Europäischen Union auf die Knie gezwungen. Das „Abkommen“ vom 13. Juli ist in Wirklichkeit ein Staatsstreich. Es wurde mit der Schließung der griechischen Banken durch die Europäische Zentralbank (EZB) und die Drohung durchgesetzt, die Wiedereröffnung solange zu untersagen, bis die griechische Regierung eine neue Fassung des bereits gescheiterten Programms unterzeichnet. Warum? Weil das offizielle Europa nicht den Gedanken ertragen kann, dass ein Volk, das unter einem zerstörerischen Austeritätsprogramm leidet, es wagen konnte eine Regierung zu wählen, die entschlossen war, NEIN! zu sagen.

Mit mehr Austerität, mehr Privatisierungen öffentlichen Eigentums zum Schleuder- preis, mit einer Wirtschaftspolitik, die irrationaler ist als je zuvor und sich durch Men- schenfeindlichkeit statt sozialer Gerechtigkeit auszeichnet, dient das neue Memoran- dum dazu, die große Depression Griechenlands und die Plünderung des Landes durch griechische oder ausländische Privatinteressen zu verschlimmern.

Ziehen wir die Lehren aus diesem Staatsstreich. Der Euro ist zum Instrument der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft der europäischen Oligarchie geworden, die sich hinter der deutschen Regierung versteckt und sich dabei freut, dass Frau Merkel die Dreckarbeit übernimmt, die die anderen Regierung nicht in der Lage sind zu tun. Dieses Europa führt nur zu Gewalt innerhalb und zwischen den Nationen: Massenarbeitslosigkeit, enormes Sozialdumping, Beleidigungen Südeuropas durch die deutsche Führung, denen sich alle „Eliten“ anschließen, einschließlich jenen der betroffenen Länder selbst.

Die Europäische Union trägt so zum Aufstieg der extremen Rechten bei und ist zum Instrument geworden, mit dem die demokratische Kontrolle über die Produktion und Verteilung der Reichtümer in Europa entsorgt wird.

Zu behaupten, der Euro und die Europäische Union würden den Europäern nutzen und sie vor Krisen schützen ist eine gefährliche Lüge. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Interessen Europas innerhalb der Zwangsjacke der Regeln der Eurozone und der bestehenden Verträge vertreten werden könnten.

Die Hollande-Renzi Methode des Musterschülers – in Wirklichkeit sind sie Gefangene – ist eine Form der Kapitulation, die ihnen aber nicht einmal nützt. Denn der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, hat es deutlich ausgesprochen: „Es kann keine demokratische Wahl gegen die europäischen Verträge geben.“

Wir haben es hier mit der neoliberalen Variante der „begrenzten Souveränität“ zu tun, wie sie der sowjetische Parteichef Breschnew 1968 formulierte. Damals haben die Sowjets den Prager Frühling mit Tanks niedergewalzt. Diesen Sommer hat die Europäische Union den Athener Frühling mit Banken niedergewalzt.

Wir sind entschlossen, mit diesem Europa zu brechen. Das ist die Voraussetzung dafür, die Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern wieder auf eine neue Grundlage zu stellen.

Wie will man angesichts dieser Europäischen Union eine Politik des Teilens der Reichtümer, der Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere für die Jugend, des ökologischen Umbaus und der demokratischen Neubegründung durchsetzen? Wir müssen uns von der Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit der europäischen Verträge lösen und sie neu begründen. Wir müssen uns der Zwangsjacke des Neoliberalismus’ entledigen, den Fiskalpakt abschaffen, und das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) verhindern.

Wir erleben eine außergewöhnliche Zeit. Wir sind mit einer Ausnahmesituation konfrontiert. Die Mitgliedsstaaten müssen politischen Spielraum bekommen, der ihren Demokratien Luft zum Atmen gibt und die Möglichkeit, eine Politik zu verfolgen, die an die nationalen Gegebenheiten angepasst ist. Und all dies ohne fürchten zu müssen, von einer autoritären Eurogruppe, die von den Interessen des stärksten Mitgliedslandes und der Wirtschaft dominiert wird, abgeblockt zu werden. Oder von der Dampfwalze der EZB überrollt zu werden, die droht jedes Land platt zu machen, wenn es nicht „kooperiert“, so wie es der Fall bei Zypern und Griechenland war.

Unser Plan A lautet: Wir setzen uns in unseren jeweiligen Ländern und gemeinsam in Europa dafür ein, die europäischen Verträge völlig neu zu verhandeln. Wir verpflichten uns zu einer Kampagne des Ungehorsams gegenüber den europäischen Willkürpraktiken und irrationalen Regeln, bis die Neuverhandlung erfolgreich ist.

Unsere erste Aufgabe ist es, Schluss mit der Verantwortungslosigkeit der Euro- Gruppe zu machen. Die zweite Aufgabe besteht darin, mit der angeblichen Unabhängigkeit und dem scheinbar unpolitischen Charakter der Zentralbank aufzuräumen. In Wirklichkeit ist die EZB hoch politisiert (und das auf besonders perfide Art und Weise), sie ist völlig abhängig von Pleitebanken und deren politischen Vertretern. Sie ist jederzeit bereit die Demokratie auf Knopfdruck  abzuwürgen.

Auch die Mehrheit der Regierungen, die die europäische Oligarchie repräsentieren und sich gern hinter Berlin und Frankfurt verstecken haben einen Plan A: der Forderung der europäischen Bürger nach Demokratie auf keine Fall nachzugeben und deren Widerstand rücksichtslos zu brechen.

Wir haben das im Juli in Griechenland erlebt. Warum ist es ihnen gelungen, die demokratisch gewählte Regierung Griechenlands zu unterwerfen? Weil sie auch einen Plan B hatten: nämlich Griechenland unter den schlimmsten Bedingungen aus dem Euro zu werfen und sein Bankensystem und seine ganze Volkswirtschaft zu zerstören.

Angesichts einer solchen Erpressung brauchen auch wir einen Plan B, um den reaktionärsten und undemokratischsten Kräfte Europas etwas entgegen setzen zu können. Wir brauchen einen Plan B, um unsere Position gegenüber ihrer brutalen Politik zu stärken, mit der sie die Interessen der Mehrheit zugunsten einer winzigen Minderheit durchsetzen.

Aber wir brauchen eine Plan B auch, um das einfache Prinzip zu bekräftigen, dass Europa nichts anderes ist als seine Bürger. Währungen sind dagegen nur ein Instrument, um Wohlstand für alle zu schaffen, nicht aber Folterwerkzeuge oder Waffen, um die Demokratie abzuwürgen.

Wenn der Euro nicht demokratisiert werden kann, wenn sie ihn weiterhin dazu benutzen, die Völker zu unterdrücken, werden wir uns erheben. Wir werden ihnen in die Augen blicken und ihnen sagen: „Probiert es doch mal, versuchsweise! Eure Drohungen schrecken uns nicht. Wir werden Wege zu einem Währungssystem finden, dass zum Wohl der Menschen funktioniert, nicht gegen sie.“

Unser Plan A für ein demokratisches Europa, abgesichert durch einen Plan B, der allen zeigt dass die Herrschenden uns nicht bis zur Unterwerfung terrorisieren können, zielt darauf ab, die Mehrheit der Europäer zu erreichen. Das erfordert gute Vorbereitung. Technische Fragen müssen noch diskutiert und geklärt werden. Zahlreiche Ideen liegen bereits auf dem Tisch: die Einführung paralleler Zahlungssysteme, Parallelwährungen, die Digitalisierung von Euro-Transaktionen um Liquiditätslücken zu vermeiden, alternative, gemeinschaftsbasierte Tauschsysteme, der Ausstieg aus dem Euro und die Transformation des Euros in eine wirklich gemeinsame Währung.

Keine europäische Nation wird ihre Befreiung isoliert von den anderen erreichen. Unsere Vision ist internationalistisch. Im Vorgriff auf das, was je nach politischer Entwicklung in Spanien, Irland und – warum nicht auch noch einmal – in Griechenland und in Frankreich 2017 geschehen kann müssen wir – unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten – gemeinsam und konkret an einem Plan B  arbeiten.

Wir schlagen deshalb eine Internationale Konferenz für einen Plan B in Europa vor. Sie ist offen für Bürger und Bürgerinnen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Akademiker. Die Konferenz könnte ab November 2015 stattfinden. Wir werden die Vorbereitungen beim Pressefest der Humanité am 12. September starten. Beteiligt Euch!

Übersetzung aus dem Französischen: Peter Wahl 


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