Sep 042015
 

Der Teufelspakt

Albrecht von Lucke

Schulden Wohin man schaut: Nach dem EU-Gipfel gibt es nur Verlierer. Doch gerade darin könnte eine Chance liegen – auch wenn sie sehr klein ist.

Nein, es ist kein Putsch, der da in dieser historischen Nacht von Brüssel stattgefunden hat. Es ist ein wahrer Teufelspakt, den die Euro-Staaten in der allerletzten Minute geschlossen haben. Denn er kennt nur Verlierer. Doch paradoxerweise könnte gerade darin seine winzig kleine Erfolgschance liegen.

Erster Verlierer ist Alexis Tsipras. Binnen einer Woche wurde aus seinem umjubelten Nein zu den Reformen ein total ernüchtertes Ja. Denn wozu er seine Zustimmung erteilte, ist um vieles härter und umfassender als das, was er mit großer Verve vor dem Referendum abgelehnt hatte. „Wie ein Bettler“ habe der einst so stolze Tsipras „um das härteste und demütigendste Hilfsprogramm in fünf Jahren bitten“ müssen, resümiert die populärste Tageszeitung Griechenlands, die links-liberale Ta Nea.

Tsipras muss nun all jene Reformen umsetzen, die seine konservativen und sozialdemokratischen Vorgänger in der Vergangenheit noch abgelehnt oder einfach nicht durchgeführt hatten. Sämtliche Gesetzesvorhaben müssen den Institutionen zudem vorab vorgelegt werden. Darin steckt ein immenser Souveränitätsverzicht. Der keineswegs als verbalradikal bekannte Grünen-Politiker Sven Giegold spricht von „sozialem Kahlschlag“, ja der „Unterjochung“ und „Fremdverwaltung Griechenlands“.

Für all das wird Tsipras nun mitverantwortlich gemacht. Aus dem Revolutionär im Kampf gegen die Troika wurde binnen einer Woche der Reformer wider Willen an der Seite der Troika. Am Ende hatte Tsipras nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: brutalstmögliche Austerität oder Grexit. Moralischer Verlierer ist damit aber eindeutig Deutschland. Wie Wolfgang Schäuble am Ende den Grexit auf Zeit als ultimative Drohung einsetzte, hat Deutschland massiv Sympathien gekostet. Denn natürlich musste der Eindruck der Rache an der Linken für das Referendum entstehen – und der Abschreckung für alle zukünftigen Versuche. All das hat die ohnehin antideutsche Stimmung in Europa weiter verstärkt. Matteo Renzis „Genug ist genug“ brachte die ganze Aversion des europäischen Südens gegenüber dem hegemonialen Zuchtmeister auf den Punkt.

Kurzum: Am Ende musste Deutschland vor Schäubles eigener Radikalität gerettet werden, ironischerweise von Francois Hollande und eben auch von Alexis Tsipras – durch dessen Bereitschaft, den harten Konditionen doch noch zuzustimmen. Das aber ändert nichts an der Tatsache, dass auch Schäuble seine Wähler nicht wirklich befriedigen konnte. Die ersehnen nämlich längst einen Grexit – und zwar nicht nur auf Zeit. Was aber folgt aus alledem?

Wohin man auch schaut, man sieht nur Verlierer. Aber gerade aus dieser scheinbar aussichtslosen Lage könnte eine gewisse Chance entstehen. Denn nun sind beide – Tsipras und Schäuble – miteinander zum Erfolg verdammt. Tsipras muss in den nächsten drei Jahren bewerkstelligen, woran seine korrupten konservativen und sozialdemokratischen Vorgänger kläglich gescheitert sind, nämlich den Aufbau eines modernen Staatswesens. Ohne eine wesentlich größere nationale Solidarität der griechischen Vermögenden wird dies nicht gelingen. Direkt nach der Einigung hat Tsipras daher den Oligarchen den Kampf angesagt. Gelingt ihm der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung, dann hätte er genau jene Herkulesleistung vollbracht, zu der ihn der Belgier Guy Verhofstadt im EU-Parlament leidenschaftlich aufforderte. Gelingt Tsipras dies nicht, dann Gnade ihm Gott! Denn vom Bettler vor der Troika zum angeblichen Verräter an der nationalen Ehre ist es kein weiter Weg. Gerade die deutsche Geschichte lehrt, was in revolutionären Situationen mit „Verrätern“ geschieht, man denke nur an die 1920er Jahre und die Morde an Matthias Erzberger oder Walther Rathenau.

Wer von einem Erfolg von Tsipras dagegen am meisten profitieren würde, wäre Deutschland. Denn scheitert Tsipras, wäre ganz schnell die Schuldfrage geklärt – zu Lasten Schäubles, Merkels und der brutalen deutschen Austeritätspolitik.

Schäuble und Tsipras: Die beiden sind auf Gedeih und Verderb aufeinander gewiesen. Wenn man vor Augen hat, wie infam Schäuble in Griechenland plakatiert wurde, nämlich als Inbegriff des Bösen („Wanted. Dead or alive“), dann wird aus dieser neuen Verbindung wirklich ein faustischer Pakt. Wie aber spricht Mephistopheles: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Hoffen wir, dass er damit Recht behält. Denn wer sind die Leidtragenden, wenn Tsipras scheitert? Zunächst die Griechen, dann aber wir Deutschen, als Buhmänner Europas. Und schließlich die gesamte EU- und Euro-Gemeinschaft, deren Fortbestand auf dem Spiel stünde.

Aber vielleicht findet sich ja doch noch eine höhere Macht, die dem Teufelspakt zu Hilfe kommt – und ihr Veto gegen das heillose Spardiktat einlegt. Tatsächlich hat sich der IWF zu Wort gemeldet. Er geht inzwischen von einem griechischen Schuldenstand bis Ende 2018 von fast 200 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus. Die Konsequenz: Ohne einen Schuldenschnitt gibt es keine Chance auf Besserung. Möge die deutsche Regierung endlich zur Einsicht kommen! Dann könnte aus ihrem Teufelspakt tatsächlich ein Pakt zum Guten werden. Sehr viel Anlass zur Hoffnung gibt es dafür allerdings nicht.

der Freitag vom 26.08.2015 


Link