Dez 262015
 

Sieht so die Zukunft der CDU aus? Julia Klöckner auf dem Weg zur Macht.

Von Constatin Magnis

Wie Julia Klöckner in Zeiten von Flüchtlingskrise und Kanzlerdämmerung auf dem Weg zur Macht ist. Nicht nur in Mainz, auch in der CDUEine Limousine bremst im Herbstnebel, Julia Klöckner springt heraus und eilt ins Foyer. „Nee, keine Fotos jetzt, Leute, ich bin spät dran!“ Durch den Gang und Treppe hoch, tack, tack, tack. Hier in Darmstadt findet gerade eine Zukunftskonferenz der CDU statt, auch unter Klöckners Leitung. Die Kanzlerin kommt, im Saal warten 1800 Parteimitglieder.

Dann sieht sie, wer oben auf der Treppe auf sie lauert und bremst irritiert den schnellen Schritt. Der ZDF- Reporter von der „heute-show“ hält ihr grinsend das Mikro entgegen. „Können Sie schon die Raute?“, fragt er. „Kanzlerin Klöckner. Wie klingt das für Sie?“ Und Klöckner, die sonst immer einen Spruch parat hat, ist so baff, dass ihr erst mal gar nichts dazu einfällt. Sie stammelt ein bisschen herum, äh, Kanzlerin Merkel, das sei richtig – und windet sich schließlich mit dem Hinweis auf ihren Schlafmangel gepeinigt aus der Falle. „Oh Mann“, ruft sie flüchtend, „die ,heute-show‘, was sagt man denen denn?“ Sie hat immer noch einen roten Kopf, als sie die Kollegen begrüßt: Küsschen Tauber, Küsschen Bouffier, Küsschen Laschet, Küsschen Kramp-Karrenbauer.

Natürlich ist Klöckner auch deshalb so aus der Rolle gefallen, weil die Suggestion des TV-Reporters gar nicht so absurd ist, gerade in diesen Tagen. Diese Geschichte erzählt vom Weg einer Weinkönigin ins Herz des deutschen Parteiensystems.

Wie sehr die Flüchtlingskrise Angela Merkels Führung untergräbt, ist in Darmstadt gut zu beobachten. Eine Kanzlerin, die aussieht, als hätte sie jemand absichtlich leichenblass geschminkt. Parteimitglieder, die sie ungeniert übers Mikrofon beschimpfen und von Deutschland als „Hippie-Republik“ sprechen, von „unkontrollierter Revolution“ oder gar einem bevorstehenden „Bürgerkrieg“. Und als Merkel tapfer wiederholt, „dass wir das schaffen“, verweigern ihr zwei Drittel der Anwesenden störrisch den Applaus.

Ebenso offensichtlich ist, dass Klöckner mit dem Flüchtlingsthema massiv an Profil gewonnen hat. In Talkshows, Interviews, im Landtag und auf Parteibühnen setzt sich die 42-jährige CDU-Chefin aus Rheinland-Pfalz inzwischen gekonnt vom Kurs der Kanzlerin ab, ohne ihr dabei je in den Rücken zu fallen. Merkel erklärt, das Asylrecht kenne keine Obergrenze, ihre Parteivize Klöckner erinnert an die „faktische Obergrenze“ deutscher Aufnahmekapazitäten. Merkel will „ein freundliches Gesicht“ in Notsituationen zeigen, Klöckner fordert eine „Hausordnung für Deutschland“. Und wenn die Kanzlerin in Darmstadt „Freude an der Vielfalt“ beschwört, plädiert Klöckner am selben Abend erneut für ein Verbot der Burka, die „kein Zeichen kultureller Vielfalt“ sei.

Während die Umfragewerte der CDU – und damit auch Merkels Stern – auf den tiefsten Wert seit drei Jahren gesunken sind, ist Klöckner unverdrossen dabei, politisches Kapital aus der Flüchtlingskrise zu schlagen.

Nie hatte Klöckner solche Munition nötiger als jetzt. Denn ihr und der CDU steht mit der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im nächsten März eine epische Schlacht bevor. Nach einem schmachvollen Vierteljahrhundert im Abseits hat die CDU endlich wieder gute Chancen, die Macht im einstigen Stammland zurückzuerobern.

Für viele ist Klöckner längst die vielversprechendste Figur der Parteispitze; zwei Mal hat sie im CDU-Vorstand das mit Abstand beste Wahlergebnis aller Merkel-Stellver- treter bekommen. Aber als regierende Landesmutter, und erst dann, gälte sie schon mangels charismatischer Alternativen als heißeste Kandidatin für die Kanzlerschaft. Sie könnte dann die Gallionsfigur der Post-Merkel-Ära werden. Der Witz mit der Raute liegt nahe.

Die Sache hat nur einen Haken. Und der heißt Malu Dreyer. Die 54-jährige SPD-Ministerpräsidentin ist für Klöckner auf den ersten Blick die denkbar schwierigste Gegnerin. Schon phänotypisch hat

Klöckner der zierlichen, ernsten und unaufgeregten Dreyer viel weniger entgegenzusetzen als ihrem rundlichen, borstigen, schnaubenden Vorgänger Kurt Beck. Vor allem aber ist Dreyer eine Frau. Das ist deshalb nicht gut für Klöckner, weil sie ein besonderes Händchen für Männer hat, ein seltenes Talent, aufgeplusterte Alphatiere zu zähmen, zu entwaffnen und für sich einzunehmen. Es hat eine gewisse Komik, das mitzuerleben.

Als Klöckner im Juli die Stadt Trier samt Umland bereist, wird sie von acht CDU-Männern mit verschwitzten Hemden eskortiert, Abgeordnete und Parteifunktionäre. „So Jungs, jetzt gehn mer rein“: Mit diesen Worten setzt sie die Herren vor einem Wochenmarkt in Bewegung, es gilt dort, „mit de Leut zu schwätze“. Klöckner schwätzt nicht nur, sie geht in vollen Körperkontakt, schmiegt sich strahlend an Gemüsefrauenhüften, streichelt dem Wursthändler mütterlich den Arm, und wenn sie lacht, beugt sie dem Gegenüber das Gesicht entgegen und legt die Finger ans Dekollete. In Trier reagiert man ungebremst. „Hübsche Frau, schwer abgenommen!“, sagt der Mann am Obststand. „Sie sehen richtig gut aus!“, ruft ein Herr an der Ampel. Und als Klöckner am Eiscafe winkend eine Gruppe Rentner passiert, schürzen sie die Lippen und rufen: „Wow! Wow, Wow!“

Mit den Kollegen, die unterdessen darum streiten, wer ihr den Einkaufskorb tragen darf, pflegt Klöckner einen liebevoll-despektierlichen Umgang. Drängeln die Männer zu acht vor einer Aufzugstür, sprintet sie allein die Treppe hoch. Fahren die Männer auf Fabrikbesuch beim Knall einer Maschine erschrocken zusammen, gratuliert sie ihnen, endlich aufgewacht zu sein. Ihren Witzen folgt oft eine klassische Klöckner-Bewegung: rechte Hand in die Hüfte, zwinkern, schnalzen, linker Daumen und Augenbraue hoch, schelmisches Grinsen. Es ist der Boss-Move des Ober-Cheerleaders. Das meint sie manchmal ironisch, manchmal ist es Ausdruck echter Freude. Aber der Humor der Chefin wirkt genuin ansteckend auf die altgedienten Parteisoldaten, die unter Klöckners konspirativem Komm-wir-bauen- Scheiß-Blick zu selig feixenden Schuljungen werden.

Dagegen ist Klöckners vielleicht gefährlichste Waffe die amüsierte, verbale Streicheleinheit für den angreifenden Mann. Einem SPD-Anhänger, der sich ihr wüst schimpfend nähert, sagt sie: „Ach, Sie sind mir ja ein Schatz!“ Der Mann trollt sich verunsichert. Einen auf Krawall gebürsteten Landwirt findet sie „goldig“. Da muss er verschämt lachen. Und nichts nimmt einem aufgepumpten Silberrücken, ob er Kurt Beck heißt oder Ralf Stegner, so schnell den Wind aus den Segeln, wie niedlich gefunden zu werden.

Gut möglich, dass ihr robuster Umgang mit Männern seinen Ursprung schon in Klöckners Kindheit auf dem Bauernhof im rheinland-pfälzischen Guldental hat. Ihr Vater Aloys ist Winzer und Verwalter auf dem benachbarten Gut der Grafen Plettenberg. Die Klöckners haben Schweine, Kühe und Pferde; Julia steht morgens mit der Mistgabel neben den Burschen im Stall und rührt das Blut vom Schlachten im Eimer mit dem Holzstab an. Blutwurst ekelt sie darum bis heute.

Sie ist eines von nur sieben Mädchen am Gymnasium im Nachbarort Bad Kreuznach. Ihre Jugend spielt sich trotzdem fast ausschließlich in Guldental ab – allein schon weil man nur aus dem Dorf kommt, wenn man ein Fahrrad besteigt oder einen der ausfahrenden Traktoren. Also spielt Julia Flöte bei Kirchenprozessionen, spielt Tischtennis im Ortsverein und ist Lektorin in der Ortsgemeinde. Und während die Mitschüler in den Ferien nach Mallorca fliegen, legen Julia und ihr älterer Bruder Stephan zu Hause Weinberge an.

Kein Wunder, dass die beiden etwas später zünden als die meisten Gleichaltrigen. Stephan ist ein ruhiger Eigenbrötler, der sich selbst Griechisch beibringt, fließend Latein spricht und schließlich einen Preis als bester Lateinschüler in Rheinland-Pfalz bekommt. Heute führt er das Weingut der Familie. Julia ist in der Schule beliebt, auch wenn sie mit ihrer klobigen Brille und den Discounter-Jeans nicht zu den Coolen gehört. Sie hat den ersten Freund mit 17, und als sie 1992 ihr Einser-Abitur in der Tasche hat, will sie Lehrerin werden.

Noch während sie in Mainz Politik, Pädagogik und Theologie studiert, wählt man sie 1995 zur deutschen Weinkönigin. Das Mädchen, das kaum aus Guldental herausgekommen ist und mit 21 Jahren zum ersten Mal im Flugzeug saß, fliegt auf einmal um die ganze Welt: von Italien bis nach China, von Oman bis in die Vereinigten Staaten. 250 Termine im Jahr. Sie schreibt Hausarbeiten in Flughäfen und nimmt den Übersee-Nachtflug, um keine Uni-Prüfung in Mainz zu verpassen.

ALS WEINKÖNIGIN lernt sie Papst Johannes Paul II., Nelson Mandela und Michail Gorbatschow kennen, schüchtern macht sie das nicht: Als sie mit Kurt Becks damaligem Weinbauminister Rainer Brüderle London besucht, soll sie mit weit ausgebreiteten Armen aus dem Flugzeug gestiegen sein und „I am the Queen!“ gerufen haben. Sie dementiert das, aber es klingt verdächtig nach Klöckner.

Ein Verehrer schickt ihr in dieser Zeit wöchentlich Blumen, eigens dafür richtet „Marions Blumenlädchen“ in Guldental einen Lieferservice ein. Er bleibt nicht der Einzige, der Klöckner die Welt zu Füßen legen will.

Es gehört zu den auffälligen Konstanten auf ihrem Weg, dass er fortwährend von Männern geebnet wird, die ihr nach oben helfen, ihr Türen öffnen oder bereitwillig für sie zur Seite treten. Im Berufsleben hat das zur Folge, dass Klöckner bis heute keine einzige Bewerbung geschrieben hat. Man wirft ihr die Jobs nur so zu.

Erst bittet sie der Direktor des SWR, bei ihm zu hospitieren. Sie wird Mitarbeiterin, moderiert Faschingsumzüge und bebildert Einspielfilme für Kochsendungen. Dann fragt der Verleger Peter Meininger, ob sie nicht Lust hätte auf ein Volontariat bei der Zeitschrift Weinwelt. Sie sagt zu, deckt als Reporterin Vorteilsnahmen beim Gourmetführer Gault- Millau auf, entwickelt für Meininger das Sommelier Magazin und wird dort schließlich langjährige Chefredakteurin.

In dieser Zeit lernt Klöckner auch den Zeitschriftenentwickler Helmut Ortner kennen, der den Verlag berät und inzwischen seit knapp 15 Jahren ihr Lebensgefährte ist. Klöckner, die konservativ geprägte Katholikin vom Land, Ortner ein kirchenskeptischer Altlinker aus der Frankfurter Szene: zumindest auf den ersten Blick keine einfache Mischung. „Wir sind nicht immer einer Meinung“, räumt Ortner ein, „aber wir verstehen uns gut.“

Die nächste Tür für Klöckner öffnet Michael Prinz zu Salm-Salm. Der CDU-Chef im tiefroten Wahlkreis Kreuznach will bei den 2002 anstehenden Bundestagswahlen kein drittes Mal gegen den SPD-Mann Fritz Rudolf Körper verlieren. Er sucht ein frisches Gesicht, um dem SPD-Platzhirsch endlich beizukommen. Als Weinbauer hat er Klöckner als Weinkönigin und Journalistin erlebt, sie imponiert ihm. Also ruft er sie an und serviert ihr die Politikerkarriere auf dem Silbertablett: Sie soll anstatt Salm für den Bundestag kandidieren. Und wenn es bei der Direktwahl nicht klappen sollte, hätte sie dank Frauenquote immer noch einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste. Klöckner ist zwar CDU-Mitglied, aber politisch nicht aktiv. Sie sagt erst reflexartig ab – und wenige Wochen später schließlich doch zu.

Ihren Gegenkandidaten von der SPD schlägt sie zwar nicht, aber dank Listenplatz sitzt sie am Montag nach der Wahl trotzdem im Flugzeug nach Berlin. Die Fraktion veranstaltet im Hotel Interconti eine Party für alle Parlamentsneulinge. Klöckner kommt mit Fernsehteam und fällt auch sonst auf: „Sie trug einen Poncho, den sonst niemand tragen könnte“, erinnert sich die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann. „Eine Wahnsinnspräsenz, physisch und psychisch. Ich dachte nur: Wow.“

Julia Klöckner
Quelle: CDU Rheinland-Pfalz

Als ehemalige Weinkönigin ist die 29-jährige Klöckner ein Medienprofi wie sonst nur alte Hasen in Berlin. Aber ihr fehlt ein Netzwerk, ihr fehlt politische Erfahrung, ihre ersten Plenarreden sind eher mittelprächtig. Und die neue Oppositionsführerin Merkel weiß noch nicht, was sie von Klöckner halten soll; die aufgebrezelte Pfälzerin mit der großen Klappe ist ihr erstmal suspekt.

SIE UND CONNEMANN, bald enge Freundinnen, beide jung, beide neu im Agrarausschuss, stechen modisch heraus. Viele weibliche Abgeordnete, erinnert sich Connemann, sahen damals aus wie „aus dem Rotkreuzsack gekleidet. Wenn man sich gut anzog, hieß es: hübsch, aber nichts im Kopf“. Besonders Klöckner muss sich von der parlamentarischen Altherrenriege praktisch täglich ein Lob auf die „charmante Weinkönigin“ oder das „reizende Gewächs von der Nahe“ anhören. Sie entwickelt damals das verbale Judo, das sie heute so perfekt beherrscht. „Ich hab auch Abitur“ ist bis heute ihre Standardreplik auf solche Sätze. Anzüglichkeiten schickt sie zurück an den Absender: „Erklär mir das mal“, sagt sie dann. „Ich bin katholisch erzogen, das versteh ich nicht.“ Das ist den Herren dann schnell peinlich.

Vor allem aber verschafft Klöckner sich schnell politisch Respekt. Sie bringt komplexe Themen wie Generationengerechtigkeit griffig auf den Punkt, generiert Schlagzeilen und positioniert sich als moderne und unerschrockene Wertkonservative. Die Bundestagswahlen werden auf 2005 vorgezogen. Klöckners Wahlkampfenergie überfordert ihren Gegner Fritz Rudolf Körper vollkommen, er überlässt ihr fast kampflos das Feld. Klöckner gewinnt Kreuznach mit einem Prozentpunkt Vorsprung. Ein Erdrutsch.

Die neue Kanzlerin hat die junge Frau aus Rheinland-Pfalz da längst auf dem Schirm. Die Gemüter der beiden könnten unterschiedlicher kaum sein. Bis heute kann es passieren, dass Merkel im kleinen Kreis erzieherisch und ungeduldig mit Klöckner umspringt, dass sie ihr über den Mund fährt, wenn sie ihr zu laut oder zu vorschnell ist. Aber anstatt mit Klöckner über schicken Schmuck aus Idar-Oberstein zu plaudern, wie noch am Anfang der zurückliegenden Legislaturperiode, bindet Merkel sie jetzt gezielt ein. Klöckner kommt in den Fraktionsvorstand und wird Sprecherin für Verbraucherschutz. Sie streitet mit Renate Künast über Strompreise und mit Wolfgang Schäuble über Datenschutz – und erarbeitet der CDU dabei überhaupt erst ein Profil zum Thema. Julia Klöckner ist erst 32, noch immer eine der Jüngsten im Bundestag. Aber auf einmal gehört sie mit Karl-Theodor zu Guttenberg oder Kristina Schröder zu den jungen Shootingstars der Partei.

Der folgende Aufstieg Klöckners wäre kaum denkbar ohne den Sturz eines CDU-Urgesteins zwei Jahrzehnte zuvor. Putschisten entreißen 1988 dem damaligen Ministerpräsidenten und Kohl-Spezi Bernhard Vogel den CDU-Landesvorsitz. Vogel tritt daraufhin mit den legendären Worten „Gott schütze Rheinland-Pfalz“ als Ministerpräsident zurück und hinterlässt eine gespaltene, zerstrittene Partei, die sich fortan von einem Führungsdrama ins nächste stürzt.

Was den 2009 amtierenden CDU-Vorsitzenden Christian Baldauf von seinen glücklosen Vorgängern unterscheidet, ist die Selbsteinschätzung, nicht mehr der richtige Mann im Amt zu sein. Die zurückliegenden Jahre hatte Baldauf damit zugebracht, die Partei nach der Finanz-, Parteispenden- und Rotlichtaffäre unter der Ägide seines Vorgängers Christoph Böhr will – komme, was wolle. In der CDU rechnet man ihr den Verzicht auf ein Rückfahrticket in die Bundespolitik bis heute hoch an.

Gut möglich, dass Julia Klöckner Kurt Beck schon vor vier Jahren vom Thron hätte stoßen können. Doch die rheinland-pfälzische CDU wurde plötzlich von ihrem alten Pech wieder eingeholt: die Reaktorkatastrophe von Fukushima, der Rücktritt Guttenbergs – und vor allem eine Millionenstrafe aus der zurückliegenden Finanzaffäre. Am Ende fehlen der Partei 80.000 Stimmen, um stärkste Kraft zu werden.

Deshalb läuft der Zweikampf zwischen Klöckner und Beck eigentlich erst im Landtag so richtig an. Der im Grunde beliebte Ministerpräsident macht dabei keine sonderlich gute Figur. Klöckner fährt das Tempo der Debatten hoch, perfektioniert dabei die Kunst der Beck-Provokation. Und der tut ihr immer häufiger den Gefallen, sich öffentlich vor Wut selbst zu vergessen. „Frechheit!“, ruft er dann. Oder: „Diese Tante schon wieder!“ Für den finalen Uppercut reicht das eine Wort von Klöckner: „Goldig.“ Ende 2012, als Klöckner und ihre Fraktion gerade so richtig in Fahrt gegen Beck und seine „Politik mit Bart“ gekommen waren, kündigt Beck plötzlich seinen Rücktritt an und erklärt die SPD-Sozialministerin Malu Dreyer zu seiner Nachfolgerin. Auf einmal läuft das ganze Testosteron der CDU-Fraktion ins Leere.

Ein in die Defensive getriebener Beck hatte geschwitzt und geschimpft, er war die ideale Zielscheibe. Dreyer dagegen bleibt sachlich, spart sich Polemik und arbeitet bei Debatten seelenruhig ihre Akten ab. Sie ist an Multipler Sklerose erkrankt, das gibt ihr etwas Zerbrechliches – und rückt Angreifer fast zwangsläufig in ein ungünstiges Licht.

Klöckner war die perfekte Waffe gegen Beck, den Dampfhammer. Dreyer, so scheint es, dreht den Spieß um. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass zwei Frauen um eine Ministerpräsidentschaft streiten. Würde Klöckner so weitermachen wie bisher, würde sie wie eine Oberzicke im Tussenkrieg wirken. Darauf hofft die SPD, und Klöckner weiß das. Also hat sie ihre Partei, ihre Fraktion und ihr eigenes Profil mit Hochdruck an den neuen Koordinaten ausgerichtet. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Seit dem vergangenen Jahr gibt es eine überarbeitete Version Julia Klöckners: Lautstärke runter, Krawall runter, 17 Kilo runter. Sie ist jetzt schlanker als auf ihren Wahlplakaten, man weiß ja nie. Sie tritt sachorientierter, konzilianter und differenzierter auf. Klöckner gefällt es, dass sie sich neuerdings auch als Staatsfrau versuchen kann. Jetzt kämpft sie wieder mit dem Florett.

Auf feines Werkzeug wird es auch beim Sichern möglicher Machtoptionen nach der Wahl am 13. März nächsten Jahres ankommen. Schafft es die AfD in den Landtag, wird es für eine Neuauflage von Rot- Grün kaum reichen. Ohne die FDP wären die Grünen Klöckners beste Option; Grünen-Chefin Eveline Lemke schließt die Idee nicht aus, es wäre ein diplomatischer Drahtseilakt, für den Klöckner nun gut gerüstet scheint.

Noch erstaunlicher ist, was Klöckner in der Zwischenzeit aus der Partei gemacht hat. In den vergangenen Monaten wurden Pressestellen hochgerüstet, Themen und Programme entwickelt, Positionen geschärft und mit unzähligen Foren und Integrationsmaßnahmen ein lange nicht gekannter Zusammenhalt hergestellt. In der SPD spricht man inzwischen besorgt von einem „Kampfverband“.

Bernhard Vogel, heute 82, wirkt froh, wenn er über Klöckner spricht. „Ihr ist gelungen, was in Rheinland-Pfalz seit 1988 niemand mehr geschafft hat“, sagt er: „Als unangefochtene Führungsfigur die CDU hinter sich zu vereinen.“ Seit dem Putsch gegen ihn war er auf keinem Landesparteitag mehr. Das jahrzehntelange Chaos der CDU sehen viele als den Blutzoll für den Vatermord. Jetzt, unter Klöckner, war Vogel das erste Mal seit 1988 wieder dabei. Vielleicht ist die Schuld nun getilgt. „Ich fühle mich wieder versöhnt“, sagt Vogel.


Quelle: Cicero 12/2015
Constatin Magnis ist Chefreporter von Cicero. Er hat es während seiner Recherche jedoch versäumt, die Weine der Familie Klöckner zu verkosten.