Feb 182016
 

Neepes Opa

Von Hartmut Oskar Mensendiek, Bremen

Ich habe ihn als friedlichen, zurückhaltenden, ja oft auch wortkargen Mann in Erinnerung, den Bruder und Nachbarn meiner Großmutter in Oldenhöfen: Neepes Opa (Johann Behrens).Und durch Zufall fand ich seinen Namen im Zusammenhang mit einem Kriegswirtschaftsvergehen im Internet auf der Seite des Niedersächsischen Landesarchivs in Stade.1

Johann Behrens

Johann Behrens
Foto aus dem Besitz des Autors

Hier wurden er, Hoops Hinrich2 (Schröder), Hilmers Johann (Lüdemann), Hoyns Fritz (Meinken) aus Wittkopsbostel und Waaken Hinrich (Mahnken) aus Oldenhöfen (Bem.: ich benutze die Hausnamen) in einem Prozess im Jahre 1943/44 erwähnt (Siehe Rep. 72/172 Verden Nr. 1147):

Die Angeklagten haben fortgesetzt Rohstoffe und Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören (Schweinefleisch), beiseitegeschafft und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfes gefährdet. Die Angeklagten … haben gleichzeitig bei den Hausschlachtungen von Schweinen in der Gemeinde Wittkopsbostel im Winter 1942/43 als amtlich bestellte Wäger fortgesetzt falsche Gewichtseintragungen auf den Schlachtscheinen vorgenommen.“

Unter Wikipedia fand ich dann eine genauere Erklärung, welche die Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsvergehen beschrieb.

Die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. 9. 19393 wurde folgendermaßen begründet:

Die Sicherung der Grenzen unseres Vaterlandes erfordert höchste Opfer von jedem deutschen Volksgenossen. Der Soldat schützt mit der Waffe unter Einsatz seines Lebens die Heimat. Angesichts der Größe dieses Einsatzes ist es selbstverständlich Pflicht jedes Volksgenossen in der Heimat, alle seine Kräfte und Mittel Volk und Reich zur Verfügung zu stellen und dadurch die Fortführung eines geregelten Wirtschaftslebens zu gewährleisten. Dazu gehört vor allem auch, dass jeder Volksgenosse sich die notwendigen Einschränkungen in der Lebensführung und Lebenshaltung auferlegt.“

Am 25. 3. 1942 kam die „Verordnung  zur Ergänzung der Kriegswirtschaftsverordnung“4 heraus. Dazu § 1 (1):

„Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseiteschafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In besonderen Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden“.

Am 2.11.1942 fand in der Gastwirtschaft Behrens in Scheeßel eine Versammlung der Bürgermeister und Ortsbauernführer der Kreise Verden und Rotenburg statt. Zweck dieser Versammlung war, amtliche Wäger für die damals überall noch üblichen Hausschlachtungen zu bestellen und über ihre Aufgaben aufzuklären.

Dies geschah durch den Sachverständigen Oberinspektor Thies aus Verden. Er soll die Anwesenden darauf hingewiesen haben, dass als Schlachtgewicht das Gewicht des geschlachteten Tieres nach Abzug der Eingeweide, der Brust-, Bauch- und Beckenhöhle nebst Zunge, Luftröhre und Schlund mit Ausnahme der Nieren und Flomen zu gelten habe.

Es musste jede Schlachtung laut Verfügung des Ernährungsamtes Rotenburg genehmigt und gewogen werden. Laut Genehmigungsbescheid mussten die Daten über Lebendgewicht,  Schlachtgewicht und die Bescheinigung des Fleischbeschauers unverzüglich an das Ernährungsamt zurückgegeben werden, um festzustellen, wie viel Fleischwaren an das Ernährungsamt abzugeben sind.

Wie wurde aber das Lebendgewicht eines Schweins z. B festgestellt? Nach Auskunft eines hiesigen Hausschlachters wurde damals der Bauchumfang eines Tieres hinter den Vorderbeinen mit einem Bandmaß gemessen und das Gewicht anhand dieser Daten „geschätzt“. Beispiel: 100 cm Bauchumfang entsprach 150 Pfund. Jeder weitere cm Bauchumfang entsprach 5 Pfund. So hatte z.B. ein Schwein mit dem Bauchumfang von 128 cm ein Gewicht von 290 Pfund (145 kg). Das Schlachtgewicht wurde nach Abzug der mit einer Hauswaage gewogenen „Abfälle“ errechnet. Natürlich wurden die Ergebnisse kontrolliert.

Ein Prüfer stellte angeblich Unregelmäßigkeiten fest. In einem Brief vom 13.3.1943 des Provinzialernährungsamtes aus Hannover an das Ernährungsamt in Rotenburg wird vorgeschlagen:

Sämtliche Wieger sind aus dem Amt zu entfernen und neue Wieger zu  bestellen. Gegen die Beteiligten ist Strafanzeige zu erstatten wegen Falschbeurkundung im Amt, wegen Vergehens gegen die Verbrauchsregelungsstrafverordnung und Verbrechens gegen die Kriegswirtschaftsverordnung…“.

Befragt wurden daraufhin Zeugen und Beschuldigte. Peets Hinrich aus Oldenhöfen sagte am 4.6.1943 auf dem Gendarmerie – Gruppenposten in Scheeßel aus:

„Ich gebe zu, am 7.12.1942, am 22.12.1942 und am 22.1.1943 je ein Schwein geschlachtet zu haben. Als Schlachter hatte ich den Landwirt und Hausschlachter Joachim Frick aus Wittkopbsbostel. Bei der Tötung der Schweine war ich mit dabei, um die Tiere festzuhalten. Nachdem die Schweine getötet waren bin ich anderer Arbeit nachgegangen und habe mich um die Schlachterei nicht mehr gekümmert. Wer die Wäger, Bauer Hinrich Mahnken in Oldenhöfen und den Bauernführer Johann Behrens aus Oldenhöfen bestellt hat, kann ich nicht mehr sagen. Auch bei dem Abwiegen des Fleisches von Schweinen bin ich s. Zt. nicht dabei gewesen. Wer die Waage in die Küche gebracht und das Schwein (Fleisch) darauf gelegt hat, kann ich nicht sagen, es ist möglich, dass dieses meine Kriegsgefangenen oder mein Ostarbeiter getan haben. Ich muss nochmals bemerken, dass ich bei den Gewichtsdrückungen nicht zugegen war und auch nicht sagen kann, wie diese durchgeführt wurden. Auch ist es mir nicht erinnerlich, wie viel das Schwein gewogen haben könnte. Weitere Angaben kann ich in dieser Sache nicht machen“.

Aus weiteren Zeugenaussagen ging hervor, dass die Wäger den Kopf, die Beine, Flomen, Nieren und den Bauchspeck nicht mitgewogen haben, also von 100kg 21 kg nicht erfasst wurden. Nun wurde der Obermeister der Schlachterinnung aus Verden als Sachverständiger herangezogen, der an Hand der teilweise noch vorhandenen Schinken das Lebendgewicht  der geschlachteten Schweine ermittelte.

In einem Schreiben des Wirtschafts- und Ernährungsamtes in Verden an den Oberstaatsanwalt beim Sondergericht in Hannover vom 29.7.1943 wurde neben dem obigen Ergebnis auch darauf hingewiesen, dass Neepes Opa als Bezieher des Wochenblattes der Landesbauernschaft Niedersachsen, in dem der Erlass über die Hausschlachtungen veröffentlicht wurden, diesen auch gelesen haben müsse.

Am 23.8.1943 verschickte der Oberstaatsanwalt in Hannover die Sondergerichtsanklage an die entsprechenden Stellen und die Angeschuldigten. Diese wurden beschuldigte „von Oktober 1942 bis März 1943 fortgesetzt und teilweise gemeinsam handelnd durch Gewichtsdrückung bei Hausschlachtungen Fleisch beiseitegeschafft“ zu haben und „als amtlich bestellte Wäger fortgesetzt Falschbeurkundungen im Amt begangen“ zu haben. Es wurden dann die entsprechenden Paragraphen und als Beweismittel die Aussagen der Angeschuldigten, der amtlichen Zeugen, der Sachverständigen und die Schlachtscheine angegeben.

Zu Beginn der Ergebnisse der Ermittlungen wurden die Lebensläufe der Beschuldigten kurz zusammengefasst, für Neepes Opa in folgender Form:

„Der Angeschuldigte Johann Behrens erlernte nach der Entlassung aus der Volksschule den Beruf eines Zimmermanns. 1911 übernahm er den väterlichen Erbhof, der etwa 65 Morgen groß ist. Zugepachtet hat er z.Zt. 16 Morgen Land. Er ist verheiratet und hat 5 Kinder im Alter von 17 bis 31 Jahren. Am 1. Weltkrieg nahm er von 1914 bis 1918 teil. Er wurde mit dem E.K. II ausgezeichnet. Er ist Ortsbauernführer der Gemeinde Oldenhöfen“.

Am 14.9.1943 erteilten die 5 Angeklagten dem Rechtsanwalt und Notar Dr. Becker in Verden eine Strafprozessvollmacht zu ihrer Verteidigung.

Die am 16.9.1943 durchgeführte öffentliche Sitzung des Sondergerichts, Abtlg 2 in Hannover kam zu keinem konkreten Urteil. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Verhandlung zwecks weiterer Ermittlung vertagt. Im Anschluss an diese Verhandlung wurden die Angeklagten von einem Justizangestellten im Auftrage der Staatsanwaltschaft nochmals befragt. Sie sagten  gemeinsam u.a. aus: 

Wir haben zum Schluss der heutigen Hauptverhandlung übereinstimmend ausgesagt, dass ein Teil des Schlachtgutes bereits verwurstet war, wenn wir zum Wiegen erschienen. Wir meinen hiermit das, was wir als so genannten Abfall bezeichnet haben, nämlich den Kopf, die Beine, Flomen, Nieren und den Bauchspeck… Was wir unter Abfall zu verstehen haben, ist uns klar. Wir bezeichnen üblicherweise darunter alle diejenigen Teile, die oben bereits erwähnt wurden. Dieser Ausdruck ist in der ganzen Heidegegend bei allen Bauern gebräuchlich. Ob auch bei den Schlachtern, wissen wir nicht. Der Hausschlachter nennt dies auch Abfall“.

Eine neue Anklageschrift wurde am 4.4.1944 in Verden verfasst. In dieser wurden nun Zahlen konkreter angegeben.  Neepes Opa war demnach bei 24 Hausschlachtungen (19 gemeinschaftlich mit seinem Nachbarn und Verwandten Waaken Hinrich, 5 allein) als Wäger tätig. Dabei habe er mitgeholfen,  504 kg oder rund 10 Ztr. Fleisch beiseite zu schaffen.

In der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Verden vom 17.4.1944 wurden die Urteile gefällt. Von den Angeklagten wurde Neepes Opa zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten verurteilt. Die Kosten des Verfahrens hatten die Angeklagten zu tragen. Rechtskräftig wurde das Urteil am 5.5.1944 (nach Protokoll des Urkundenbeamten) durch die Unterschrift des Oberamtsrichters Dr. Görges.

Am 29.4.1944 legte der Rechtsanwalt und Notar Hellmut Söhl aus Hannover im Namen der Angeklagten Berufung ein. Auf Beschluss des Amtsgerichts wurde die Berufung abgelehnt, weil die Berufungsfrist (Posteingangsstempel 6.5.1944) abgelaufen war. In einem weiteren Schreiben vom 11.5.1944 wiederholte der Anwalt seine Berufung mit folgender Begründung:

Am 29. April 1944 mittags fand hier in Hannover die Besprechung statt (Bem.: Neepes Opa und Hoyns Fritz  waren auch in Vertretung der weiteren Angeklagten bei dem  Anwalt in Hannover gewesen) und ist im Anschluss daran die Berufung geschrieben und am folgenden Tag, den 30. April 1944 zur Post gebracht. Es konnte nicht damit gerechnet werden, dass durch die Post oder Eisenbahnstörung die Berufungsschrift 5 volle Tage unterwegs war. Im Übrigen war die Einlegung der Berufung auch gar nicht anders möglich. Eilbotenbriefe werden nicht angenommen. Die Einlegung der Berufung durch Telegramm ist ebenfalls nicht möglich, da ja die Berufungsschrift unterschrieben sein muss. Es handelt sich um einen unabwendbaren Zufall, der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt“.

Angefügt war noch eine eidesstattliche Erklärung des Anwaltes.

In einem Schreiben vom 19.5.1944 wurde der Gerichtsbeschluss des Amtsgerichts Verden vom 6.5.1944 aufgehoben. In einem achtseitigen Schreiben vom 31.5.1944 begründete Anwalt Söhl seine Berufung und wies darauf hin, dass auch in den umliegenden Dörfern immer so verfahren sei, wie es die Angeschuldigten getan hätten. Weiterhin bemängelte er, dass den Wägern keine schriftliche Anleitung zur Durchführung ihrer Aufgabe überreicht worden war. Auch hätten die Hausschlachter mit in das Wiegeverfahren einbezogen werden müssen, mit dem Hinweis, das sie kein Schwein bearbeiten, also Kopf, Beine, Flomen, Nieren und Bauchspeck erst herausschneiden durften, bevor nicht vom Wäger das Tier im vollen Umfange gewogen worden war. Ihnen allen sei keine böswillige Absicht zu unterstellen,  hätten keinerlei Vorteile gehabt, nur Mehrarbeit, neben ihrer anstrengenden landwirtschaftlichen Tätigkeit.

In einem Schreiben Amtsgerichts / Strafkammer I vom 20.6.1944 wurde die Berufung endgültig abgelehnt. Am 11.8.1944 wurde Neepes Opa schriftlich aufgefordert, sich bis zum 25.8.1944 in der Haftanstalt in Wesermünde zu melden, um seine Freiheitsstrafe von 6 Monaten anzutreten.

Daraufhin schickte Neepes Opa am 18.8.1944 ein Gnadengesuch an die Oberstaatsanwaltschaft in Verden  und bat um Strafaufschub und darum, ihn vom Antritt der Strafverbüßung zu beurlauben. Er beschrieb, dass auf seinem 72 Morgen großen Hof (38  Morgen unterm Pflug, 34 als Wiese und Weide) 7 Kühe, 5 Rinder, 3 Pferde und 12 Schweine zu versorgen waren. Nur seine 21-jährige Tochter war ihm im Haus eine Hilfe, denn seine Ehefrau hatte in letzter Zeit einen Schlaganfall erlitten und war auch schwer herzkrank. Zusätzliche hätte er den Hof seiner Nachbarin und Nichte, die auch krank und arbeitsunfähig war, mitzubewirtschaften. Deren Mutter, Neepes Opas Schwester, 68 Jahre alt und auf einem Auge blind, war auch nicht arbeitsfähig. Der Ehemann seiner Nichte war im Felde und zurzeit verwundet. Auf dem 16 Morgen großen Hof (8 Morgen Acker und 8 Morgen Wiese und Weide) waren 2 Kühe, 2 Rinder und 4 Schweine zu versorgen.

Er schrieb auch, dass es während seiner Abwesenheit zu erheblichen Produktionsrückständen kommen würde, denn die auf den Höfen arbeitenden Ausländer arbeiteten nur unter ordnungsgemäßer Aufsicht produktiv.

Dieser Antrag auf Gewährung eines Strafaufschubs wurde von der Kreisbauernschaft in Rotenburg im Interesse der Betriebs- und Ernährungssicherung  am 21.8.1944 befürwortet. Angegeben wurden hier auch die für das Wirtschaftsjahr 1944/45 aufzubringenden Mindestablieferungskontingente:

Roggen (Schätzung): 28 dz, Kartoffeln 164 dz, Schweine 5. Im Vorjahr hatte er folgendes abgeliefert: 36,22 dz Roggen, 42,60 dz Steckrüben, 70 dz Kartoffeln, 1 Rind, 4 Schweine.

Dieses war übrigens der einzige Brief, der mit „Heil Hitler“ unterzeichnet war.

Der Antrag war erfolgreich.

Schon am 28.8.1944 schrieb der Oberstaatsanwalt einen Brief an die Haftanstalt in Wesermünde, in dem er mitteilte, der Strafaufschub sei bis zum 30.4.1945 bewilligt worden und ein Strafantritt von Neepes Opa nicht zu erwarten.

Nun sollte man meinen, dass mit dem Kriegsende am 8. Mai 1945 auch für Neepes Opa das kriegsbedingte Urteil Vergangenheit bedeuten würde. Nein, die juristischen Mühlen malten weiter, denn die Gesetze vom 4.9.1939 wurden nicht aufgehoben. Von wem auch? Die englischen Besatzungsmächte hatten nach dem Zusammenbruch genug damit zu tun,  Recht und Ordnung nach ihren Vorstellungen wieder herzustellen. Da auch die wirtschaftliche Lage im Chaos endete und die Versorgung der Bevölkerung gesichert werden musste, wurden die Ergebnisse der Ernten sowie die Viehhaltung der Landwirtschaft weiterhin erfasst und kontrolliert. Die Ausgabe geänderter Lebensmittelkarten (bis 1950) war eine Möglichkeit, die Bevölkerung weiterhin einigermaßen gerecht mit Grundnahrungsmittel zu versorgen.

In einem Schreiben des Amtsgerichts Verden vom 17.10.1945 wurde darauf hingewiesen, dass die 6-monatige Strafe weiterhin bestehe, aber bis zum 31. Okt. 1948 mit der „Aussicht auf einen Gnadenerweis für den Fall guter Führung ausgesetzt“ wird. Als besondere Verpflichtung  wurde ihm die Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 600 RM und die Gerichtskosten in Verden bis zum 15.11.1945 auferlegt.

Der Polizeiposten in Hetzwege wurde in einem Schreiben des Oberstaatsanwalts vom 16.11.1948 aufgefordert, über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse ein Urteil abzugeben. Natürlich war auch dieses Schreiben mit dem Dienststempel versehen, den man auch schon während der Zeit vor dem Ende des II. Weltkrieges benutzt hatte. Allerdings hatte man den Reichsadler mit dem Hakenkreuz herausgeschnitten.

Der Polizeiwachtmeister beantwortete das Schreiben am 27.12.1948. Er schrieb u.a.:

Er ist ein tüchtiger und fleißiger Mann, der seinen Hof in bester Ordnung hat und still für sich lebt und auch außen wenig in Erscheinung tritt… Sein Ablieferungssoll hat er immer erfüllt. Eine kürzlich bei ihm durchgeführte Zählung seines Viehbestandes ergab die Übereinstimmung mit der Viehzählliste. Es ist anzunehmen, dass die damalige Strafe so erzieherisch gewirkt hat, dass er in Zukunft nicht wieder straffällig wird.“

In den Unterlagen des Staatsarchivs fand ich kein weiteres Schreiben einer offiziellen Nachricht an Neepes Opa über das Ende seiner Bewährung. Das war eigentlich auch egal, denn in der schwierigen Nachkriegszeit waren sicherlich andere Probleme zu lösen.

Waren diese Handlungen der Bauern im Wittkopsbostel und Oldenhöfen Einzelfälle? Beatrix Herlemann, die sich im Rahmen eines großen Forschungsprojektes mit dem Verhalten der bäuerlichen Bevölkerung während des Nationalsozialismus befasst hat, beschreibt Schwarzschlachtungen und Manipulation des Wiegegewichtes als ein Massenphänomen.5

ln vielen Familien lebt die Erinnerung daran in teilweise abenteuerlichen Erzählungen fort. Sogar zwei der Bundeslandwirtschaftsminister rühmten sich in ihren Lebenserinnerungen damit, dass ihre Familien daran beteiligt gewesen waren. Ungefährlich war das Schwarzschlachten aber keineswegs, denn von entsprechend agierenden Richtern sind wegen dieser Delikte auch Todesstrafen verhängt worden, von denen einige sogar vollstreckt wurden. Betroffen waren allerdings eher Geschäftsleute, Schlachter, Viehhändler oder Gastwirte und nicht die Bauern selbst. Diese wurden nach Fürsprache durch die Landesbauernschaften und durch Intervention hoher Parteimitglieder mit dem Ziel, die Wirtschaft des Hofes am Laufen zu halten, oft zum Strafantritt erst „nach dem siegreichen Kriegsende“ begnadigt, das ja Gott sei Dank nicht eintrat.


Anmerkungen

1. http://aidaonline.niedersachsen.de/PrinterAIDA.aspx. Niedersächsisches Landesarchiv Standort Stade, Bestellnummer Rep 72/172 Verden Nr. 1147. Alle Quellen des Aufsatzes entstammen dieser Prozessakte und sind anhand der mitgctcilten Daten identifizierbar.

2. Ich benutze in der Folge die Kombination aus Vor- und Hausnamen.

3. Wikisource: Kriegswirtschaftsverordnung. Einleitung (zuletzt angesehen 18.2.2016).

4. Wikisource: Verordnung zur Ergänzung der Kriegswirtschaftsverordnung (zuletzt angesehen 18.2.2016).

5. Beatrix Herlemann: Der Bauer klebt am Hergebrachten. Bäuerliche Verhaltensweisen unterm Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Landes Niedersachsen. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX Niedersachsen 1933-1945 Band 4, Hannover 1993, Kapitel Schwarzschlachten – ein Massendelikt. S. 308-321.


Der Artikel erschien in: Rotenburger Schriften Heft 95 (2015) des Vereins der Freunde des Archivs für Heimatforschung Rotenburg (Wümme) e.V. (S.161-169), PD-Verlag, 21258 Heidenau, ISBN 978-3-86707-895-5


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Mitschnitt von Achim Sander der NDR Sendung Nordstory 01.02.2013
Winter im Norden – Ein Schwein für Bessingen

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