Apr 302016
 
Kann man das: Rechts denken und christlich handeln?
Manche Menschen meinen, das passe gut zusammen.
Andere stemmen sich mit Macht dagegen.
Auf den Spuren eines Konflikts.

Von Britta Baas und Bettina Röder

Martin Hundertmark ist nicht nur Fußballfan. Der 44-Jährige, der schon mal mit den Thomanern kickt, ist auch Pfarrer mit Leib und Seele. Seit Kurzem an der Thomaskirche in Leipzig, schlägt sein Herz für Bach. Doch als er Anfang des Jahres an einer Motettenpredigt saß, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Er hatte sich Anregungen aus dem gerade erschienenen Themenheft zu Luther und der Reformation holen wollen, da lachte ihm aus ebendiesem Heft die Frontfrau der Alternative fiir Deutschland (AfD), Frauke Petry, entgegen. Unter 25 Persönlichkeiten kommt sie in dem von Sachsens evangelisch-lutherischer Landeskirche herausgegebenen Heft zu Wort. Sie präsentiert sich neben Star-Trompeter Ludwig Güttler und Landesbischof Jochen Bohl.

Wie die anderen auch stellt sie einen Bibelvers vor, der ihr lieb geworden ist. Es ist ihr Taufspruch aus Psalm 118: »Der Stein, den die Bauleute als wertlos verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.« Für sie liegt in diesem Vers die Verheißung eines »göttlichen Freiraums«: als Mutter, als ehemalige Unternehmerin, als Politikerin. Oft sei der Mensch blind dafür, worauf oder auf wen es ankomme, damit ein Werk gelingen könne, schreibt Petry weiter: »Freiraum bedeutet also, dass wir Platz für göttliches Wirken einräumen und darauf vertrauen, dass er es, gemeinsam mit uns, wohl machen wird.« Darunter ein Foto. Es zeigt die lachende Frauke Petry vor dem Bundestag, in den sie 2017 einziehen will.

Martin Hundertmark, dem der Rechtsruck der AfD gerade nach dem jüngsten Parteitag große Angst macht, war das zu viel. Dass Petry in seiner Kirche eine solche Plattform gegeben wurde, habe ihn und viele andere entsetzt, sagt er. War es ihr womöglich damit gelungen, ihre politische Arbeit als »biblisch fundiert« und als Eintreten für eine gute Sache zu zeigen? Hundertmark protestierte gemeinsam mit Thomaskirchen-Pfarrerin Britta Taddiken beim Landesbischof gegen den Beitrag. Er forderte ihn auf, Petrys Text von der kirchlichen Homepage zu nehmen. Eine Antwort darauf hat er bis heute nicht.

Könnte es daran liegen, dass Frauke Petrys Ansichten als kirchlich kompatibel gelten? Die vierzigjährige Chemikerin würde nie poltern oder gar rechte Parolen von sich geben, darauf konnte sich die Kirche verlassen. Sie weist es persönlich weit von sich, irgendwie »rechts« zu sein. Nein, sie ist wertkonservativ. Sie hat ein Fabel für die Nation. Und sie möchte hart abklopfen, wie viele der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, eigentlich asylberechtigt sind. Nach ihrer Meinung sind es etwa siebzig Prozent nicht. Das müsse man sagen dürfen, findet Petry.

Sie kann nicht nur sehr intelligent agieren. Sie kann auch Mut machen. Warmherzig sein. Und Hoffnung geben. Warum also sollte sie ihren Taufspruch nicht öffentlich interpretieren? Schließlich ist sie evangelisch. Und eine bekannte Person in Sachsen.

Wer sie auf der politischen Bühne beobachtet, stellt fest, dass die AfD-Frau eine Meisterin darin ist, gefühlte Wahrheiten auszusprechen. Sie hat ein sicheres Gespür für Macht. Sie klagt Politiker an, die es angeblich verhindern, dass dem Volks aufs Maul geschaut wird, dass das Volk zu Wort kommt. Ihr »Volk« ist dann glücklich, wenn Petry klare Kante zeigt: Von der Bringschuld der Einwanderer spricht. Asylunterkünfte problematisiert. Den »Genderwahn« der Gesellschaft kritisiert, das wirre Denken irgendwelcher Alt-68er. Petry hat eine Vision vom neuen »Wir«. Es ist deutsch. Es ist erfolgreich. Die Nation ist ihr heilig. Und das Chritentum ist seine Religion.

Es ist die Welt des Rechtspopulismus, in die sie hineinspricht und hineinschreibt. Es ist nicht ihre Welt, sagt sie, sie ist ja nicht rechts. Aber als konservative Protestantin hat sie Anknüpfungspunkte: mehr Ordnung, mehr Gesetz, mehr heile Familien. Klare Lösungen für komplexe Probleme. Eigentlich, so hat man den Eindruck, möchte Frauke Petry die konservative Revolution in den Köpfen. Sie hat Vordenker. Seit der Weimarer Republik.

Das Volk, das 1989 die Freiheit wollte und Selbstbestimmung für alle, das auf die Straße ging und die Welt veränderte, ist nicht das Volk der Frauke Petry. Ihr Volk will etwas anderes.

Einige Zeit vor der Friedlichen Revolution hatte ihr Vater eine Reise in die BRD genehmigt bekommen und blieb dort. Die Familie aus dem brandenburgischen Chemiestandort Schwarzheide zog nach. Petry ging in Bergkamen zur Schule, eine Stadt im Ruhrgebiet. Nach dem Einser-Abitur studierte sie in Göttingen und England mit Bravour Chemie. Heiratete später ihren Schulfreund, den Pfarrer Sven Petry, mit dem sie zurück in den Osten zog. Ins Pfarrhaus von Tautenhain.

Tautenhain ist ein kleines Dorf, einige Kilometer von Frohburg entfernt. Das wiederum liegt vierzig Kilometer südlich von Leipzig. Der Weg nach Tautenhain führt neben abgeernteten Feldern über eine holprige Asphaltstraße. Viele Häuser sind grau. Das Bahnhofsgebäude am Ortseingang steht zum Verkauf. Hoch über dem kleinen Ort thront die gelb gestrichene siebenhundert Jahre alte Kirche. Wer als Fremder herkommt, fällt auf. Das Dorf scheint zu sagen, was viele Petry-Jünger laut aussprechen: »Seht her, wir haben nichts! Und den Fremden wird alles hinten und vorn reingestopft! Ist das etwa gerecht?«

In den nahen Braunkohleorten Böhlen und Rötha sind die ersten Flüchtlinge gerade eingetroffen. Aus Syrien, aus dem Libanon. Früher vergifteten hier die Dämpfe die Luft. Heute ist es das Misstrauen gegen die Ankömmlinge. »Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein. Alles andere stammt vom Bösen« steht im Schaukasten von Tautenhain. Ist auch dieses Bibelwort aus dem Matthäusevangelium unendlich auslegbar?

Nächstenliebe für rechte Christen?

Jens Hoyer hat gute Zeiten erlebt, in den letzten Monaten. Er war ein Anführer. Als sich in Leipzig die Legida-Bewegung gründete, ein Ableger von Pegida, der »Initiative Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«, war er ganz vorndabei. Damals rief er beim Leipziger Pfarrer Christian Wolff an. Als treuer Gemeindechrist aus dem Erzgebirge gehe es ihm darum, dass die Kirchen wieder voller würden, erklärte er. Mit Legida wolle er dazu beitragen. Ob er mit dem Pfarrer darüber mal reden könne?

Christian Wolff sitzt in der Sonne in dem Cafe vor der Thomaskirche. Halb wütend, halb belustigt macht er eine Kopfbewegung in Richtung Kirche. »Ich habe ihm gesagt, er soll mit allen Legida- und Pegida-Anhängern in unseren Gottesdienst kommen, damit sie hören, was Aufgabe der Christenmenschen ist: Fremde annehmen, gegenüber den Verfolgten und Schwachen barmherzig sein.« Nein, mit dem Legida-Chef selbst wollte er nicht reden. Kirche, davon ist Wolff überzeugt, muss sich bekennen, Flagge zeigen. Und das heiße auch: sich abgrenzen. Nein sagen.

Also keine Nächstenliebe für rechte Christen? Oder doch, nur keine billige? Gibt es eine rote Linie? An dieser Frage reiben sich Gemeinden auf. Denn rechte Christen halten nichts von biblischer Barrierefreiheit. Sie lieben die, die auf ihrer Seite stehen. Die anderen nicht. »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« nennt diese Haltung der Bielefelder Forscher Wilhelm Heitmeyer. Was soll man mit solchen Christen anfangen?

Im westfälischen Münster liegt der Domplatz in der Sommersonne, gleich nebenan das Bischöfliche Generalvikariat. Was der Bischof entscheidet, gilt etwas in dieser katholischen Stadt. Anfang des Jahres hatte Felix Genn eine gute Presse. Er entzog einem Priester die Predigterlaubnis, weil dieser Mann bei einer Pegida-Demo in Duisburg aufgetreten war. So einer könne nicht im Namen der Kirche sprechen, fand der Bischof. Fremdenfeindlichkeit im Namen Christi? Unmöglich! Der Vatikan sah die Sache anders. Er hob das Predigverbot jüngst wieder auf. Öffentlich dürfe der Priester seine Ansichten zwar nicht mehr verbreiten, aber im Gottesdienst schon, entschied Rom. Genn habe »unverhältnismäßig« gehandelt. Auf der Website des Bis-tums prangt die Meldung gleich obenan. Haben sie das in Rom so verlangt? Es ist Sommer in Münster. Üer dem Dom liegt ein Schatten.

Wie sollen Christen handeln, wenn andere Christen als Rechtspopulisten agieren? Angelika Strube, katholische Theologin, Privatdozentin in Osnabrück, hat über dieses Problem ein Buch geschrieben. Vor Jahren stieg sie in das Thema ein. Damals inte-ressierte sie vor allem »das rechte Scharnier« in den deutschen Medien – gebildet vor allem von einigen katholischen Intellektuellen -, das unterschwellig das Tor zum Rechtsextremismus öffnete. Danach entdeckte sie, welche Riesenprobleme ganz normale Christen in ganz normalen Gemeinden mit »Rechten« hatten.

Diesen Kirchengemeinden gibt sie mit ihrem Buch Hilfen an die Hand: Was ist zu tun, wenn sich Jugendliche aus der rechten Szene firmen oder konfirmieren lassen wollen? Wie verhindert man, dass der Kirchenvorstand unterwandert wird? Soll man weghören, wenn einem rechte Christen mangelnde Toleranz vorwerfen?

»Nächstenliebe verlangt Konfliktbereitschaft«, sagt Strube. Man dürfe solche Leute keinesfalls »einfach agieren lassen, ihre menschenfeindlichen Äußerungen schweigend hinnehmen oder ihren Strategien auf den Leim gehen«. Aber: Nächstenliebe fordere dazu heraus, der Menschenfeindlichkeit nicht mit Menschenfeindlichkeit zu begegnen. Zwischen »sich abgrenzen« und »das Gegenüber ausgrenzen« bestehe ein Unterschied.

Wie könnte das gemeint sein? Im Stresstest probiert das immer wieder Frank Richter aus, Direktor der Ladeszentrale für politische Bildung in Sachsen. Regelmä-ßig lädt der katholische Theologe zur Debatte mit AfD-Leuten ein. Er holte sich auch Pegida-Anhänger ins Haus, um sie scharf anzufragen. Richter ist überzeugt: »Demokraten dürfen sich ihre Maßstäbe nicht nehmen lassen. Es geht darum, den Feinden der Demokratie die besseren Argumente entgegenzusetzen.« Kann das funktionieren? Zählen Argumente, wo die Angst vor dem Fremden regiert, sich in Hass entlädt?

Christian Wolff hat nichts gegen gute Argumente. Aber er ist überzeugt: Gegen die Angst vor dem Fremden helfe nur die persönliche Begegnung mit dem anderen Menschen, seinem Schicksal und Leben. Das war schon in den 1970er-Jahren so, als er als junger Pfarrer in Mannheim mit Jugendlichen das ehemalige KZ Dachau besuchte. Und das ist auch heute wieder so. Er ist darum nicht der Einzige, der gemeinsame Feste von Muslimen und Christen organisiert. »Es ist im Osten im Grunde das Gleiche wie im Westen«, sagt der evangelische Theologe, der beide Seiten kennt. »Nur hat der Westen einen Erfahrungsvorsprung im Umgang mit Vielfalt von einer Generation.« Und so hört er gerade im Osten den Satz: »Früher sind wir von den Kommunisten bedroht worden, heute sind es die Moslems.«

Stephan Bickhardt, Leipziger Polizeiseelsorger, der schon diverse Gespräche zwischen Legida-Gegnern und -Befürwortern moderiert hat, sieht ein Problem bei den Kirchen selbst. »Kirche, die ihre Schäflein versorgt und sich nur als Mitgliederkirche versteht, ist immer in der Gefahr, den Herausforderungen durch Fremde nicht mehr zu begegnen«, sagt er am Telefon. Es brauche Gemeinden, die die Begegnung mit fremden Menschen »als Kernufgabe« verstünden: »Protest gegen Menschenfeindlichkeit ist ebenso wichtig wie Dialog.«

Klauen die unsere Wasseruhren?

Für Jana Petrasch, eine junge Pfarrerin aus Markkleeberg, sind diese Fremden nicht nur »die Menschen aus einer anderen Kultur«. Neunhundert Mitglieder zählen zu ihrer Auen-Gemeinde, die Markkleeberg-Ost, Dösen und Dölitz umfasst. In Dölitz soll es nun eine Erstaufnahmeeinrichtung für dreihundertfünfzig Flüchtlinge geben. Auf dem Holztisch im zweihundert Jahre alten Gemeindehaus, vor dem hohe Bauernrosen blühen, liegt ein Prospekt. Darin geht es um die Initiative »Offene Nachbarschaft«. Die Auengemeinde macht mit, die katholische Gemeinde auch. Diverse Vereine und Parteien sind ebenfalls dabei. Alle wollen sich auf die Flüchtlinge vorbereiten. Im August sollen sie nach Dölitz kommen.

»Klauen die unsere Wasseruhren? Steigen die über den Zaun?« Solche Fragen kamen, als das erste große Gespräch darüber stattfand. Die Kleingärtner sorgten sich, andere Anwohner auch. Jana Petrasch erzählt, wie sie eine öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Ängsten begann: »Was wissen wir denn überhaupt noch von den Fragen der Menschen hier? Haben wir uns nicht als Kirche längst von den Sozialhilfeempfängern und Geringverdienern verabschiedet?« Sie sah ihre Aufgabe darin, auf die Leute zuzugehen, nicht abzuwarten, bis jemand zu ihr kam. »Die Menschen, die Helene Fischer hören, wissen doch schon, bevor unsere Veranstaltung beginnt, dass hier nur Bach gespielt wird«, sagt die Theologin, selbst Tochter eines Schlossers, selbstkritisch.

In Markkleeberg stand Bach in den zurückliegenden Wochen hintan. Auf der Agenda stand: Willkommenskultur. Jetzt, Anfang August, kann man hier vorsichtig optimistisch sein. In Markkleeberg hat es was gebracht. Wahrscheinlich jedenfalls.

 Publik-Forum, 07.08.2015 


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