Aug 142017
 
Die Zukunft liegt im Ursprung

Von Klaus A. Baier

Inhalt


Die Begegnung zwischen den Kulturen der Bewohner Ozeaniens auf der einen und der Angehörigen der westlich-amerikanisch-europäischen Kultur auf der anderen Seite ist schmerzhaft verlaufen – für beide Seiten. Für die Bewohner der Inseln des pazifischen Ozeans führte sie fast zum Kollaps einer uralten Kultur, für die westlichen Eroberer brachte sie einerseits Macht und Einfluss, andererseits aber den endgültigen Verlust der Hoffnung mit sich, auf dieser Erde ein Reich des Friedens und der Glückseligkeit finden zu können. Am Ende steht auf Seiten der Eroberer die Einsicht, dass es kein Paradies gibt; diese ernüchternde Erfahrung führte leider auch dazu, dass man nun meinte. man könne die Inseln der Südsee an sich reißen und sich an seinen Menschen, Tieren und Bodenschätzen bereichern. Auf Seiten der Melanesier und Polynesier1 zerbrach die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben mit den aus der Ferne zu ihnen kommenden Fremden – für sie hatte die Begegnung mit den Weißen gravierendere Folgen: Tausende und Abertausende starben an eingeschleppten, für Europäer zumeist harmlosen Krankheiten, durch kriegerische Auseinandersetzung und durch die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Bis heute haben sich nicht alle davon erholt.

1. Die Ankunft der Weißen auf Tahiti

Am Morgen des 3. April 1768, nach einer dreimonatigen entbehrungsreichen Fahrt durch die eintönigen Wasserwüsten des Südpazifik, näherten sich die beiden Schiffe, mit denen Bougainvilles aufgebrochen war, um die pazifische Inselwelt zu erkunden, der Insel Tahiti. Den Besatzungsmitgliedern bot sich ein imposanter Anblick. Im Bordbuch Bougainvilles ist er festgehalten:

„Wir glaubten kaum unseren Augen zu trauen, als wir mitten im südlichen Teil der Insel eine sehr hohe, freistehende Bergspitze entdeckten, die bis oben mit Bäumen besetzt war und unter den anderen Bergen hervorragte. Sie schien unten kaum 30 Klafter Durchmesser zu haben und nahm an Umfang allmählich ab. Von weitem sah sie aus wie eine Pyramide von erstaunlicher Höhe, welche die Hand eines begabten Dekorateurs mit Blättergirlanden geziert hatte. Das weniger hoch gelegene Land ist in Wiesen und kleine Wälder aufgeteilt, und längs der ganzen Küste erstreckt sich am Fuß des höheren Landes ein flacher Landstrich, der mit Pflanzungen bedeckt ist. Hier sahen wir, inmitten von Bananenstauden, Kokosbäumen und anderen mit Früchten überladenen Bäumen die Häuser der Inselbewohner … Ich glaubte mich in den Garten Eden versetzt. Wir durchquerten eine weite Rasenebene mit den herrlichsten Fruchtbäumen besetzt und von kleinen Flüssen durchschnitten, welche allenthalben eine köstliche Frische verbreiten, ohne die Unannehmlichkeiten, welche die Feuchtigkeit sonst mit sich bringt. Ein zahlreiches Volk erfreut sich hier der Schätze, die die Natur mit vollen Händen verteilt. Wir fanden Gruppen von Weibern und Männern im Schatten der Fruchtbäume sitzen, welche uns freundschaftlich begrüßten … Allenthalben herrschte Gastfreiheit, Ruhe, sanfte Freude, und dem Anschein nach waren die Einwohner sehr glücklich.“

Nur 10 Tage später gab Bougainvilles den Befehl, die Anker zu lichten. Es war zu Konfrontationen zwischen den Tahitianern und Besatzungsmitgliedern gekommen. Schüsse waren gefallen. Es gab mehrere Tote. Es war zu Missverständnissen zwischen den Matrosen und den Insulanern gekommen. Die Tahitianer hatten – wie alle Polynesier – ein anderes Verhältnis zum Eigentum ihrer Mitmenschen als die Europäer. Erstere meinten, was die Europäer mitgebracht hatten, sei ein Geschenk der Ahnen, das man gerne an sich nehmen könne; wie sie alles, was sie besassen, als gemeinsames Eigentum ansahen, das man, wenn man es benutzen wollte, ruhig mitnehmen konnte; wenn der, der es gerade hatte, es wieder brauchte, könne er es sich ja wieder holen. Das sahen die Matrosen ganz anders; und als es ihnen mit der Dieberei (wie sie es nannten) schließlich zu bunt wurde, verteidigten sie ihr Eigentum mit der Waffe. Was nun wieder den Tahitianern völlig unverständlich war. Wie auch immer: um mehr Blutvergießen zu verhindern, gab Bougainvilles den Befehl zur Abreise. Das war sehr weitsichtig.

Leider haben seine Berichte über die „glückseligen Inseln“ aber dazu beigetragen, dass immer mehr Weiße in den Südpazifik segelten, nicht nur, um die liebenswürdigen Menschen auf den Inseln dort kennenzulernen, sondern um sie auszubeuten, zu versklaven und vor allem auf die Ländereien der Großgrundbesitzer in Peru und Chile zu bringen oder in den Gold-, Erz- und Kupferminen einzusetzen. Viele Menschen kamen dabei um, viele wurden von Krankheiten dahingerafft.

Ein Beispiel: Auf der Insel Banaba, die zu Fidschi gehört, lebten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa zweieinhalb bis dreitausend Menschen. Bis zum Jahre 1902 sank die Zahl auf 450. Ähnlich auf anderen Inseln. Doch bleiben wir einen Augenblick bei Banaba.

Damals hieß es Ocean Island. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Inseln der Südsee von den Europäern nach Phosphat abgesucht, aus dem sich wertvoller Dünger gewinnen ließ. Von unbewohnten Inseln wurde das Phosphat einfach abtransportiert. Waren die Inseln bewohnt, so schlossen die Vertreter der Phosphatfirmen Verträge mit den lokalen Bevölkerungen, die sie zu ihrem eigenen Vorteil formulierten. Nur einige wenige Inseln entgingen dieser Ausplünderung, weil die Bewohner als so gefährlich galten, dass die Firmenvertreter sich nicht trauten, dort an Land zu gehen. Auf Banaba war das leider (oder glücklicherweise, je nach unterschiedlicher Perspektive) anders. Im Jahre 1900 kam ein gewisser Albert Ellis nach Ocean Island. Er war der Sohn eines der Direktoren der „Pacific Islands Company“. Albert Ellis, der aus Neuseeland stammte, war ein entschlossener, karrierebewußter junger Mann, der vor allem deshalb von der Firma geschätzt wurde, weil er sich mit Phosphat hervorragend auskannte. Er wurde zu einer Schlüsselfigur bei der Ausbeutung der Phosphatvorkommen auf Ocean Island. Ellis überließ nichts dem Zufall. Bereits am Tag seiner Ankunft, am 3. Mai 1900, verfasste er einen Vertrag (von zweifelhaftem juristischem Wert) und ließ ihn von zwei Inselbewohnern unterzeichnen, die dazu weder von den anderen Inselbewohnern autorisiert worden waren, noch verstanden, was sie da unterschrieben. Durch diesen Vertrag sicherte sich die South Pacific Company für 999 Jahre die Rechte zum Phosphatabbau – gegen eine Zahlung von 50 Pfund im Jahr. Zwischen 1900 und 1913 wurde alles Land, das die Gesellschaft zum Phosphatabbau benötigte, im Rahmen sogenannter „Phosphat- und Baum-Vereinbarungen“ von den einzelnen Besitzern erworben, und zwar für etwa 20 Pfund pro Acre. Diese Zahlungen, geringe Extrazahlungen für jeden abgeschlagenen Baum, der Frucht trug, sowie die erwähnten 50 Pfund im Jahr waren alles, was die Einheimischen erhielten. Als im Jahre 1914 der Phosphatabbau beendet wurde, stellte sich heraus, dass die Insel unbewohnbar geworden war. Inzwischen waren die Briten Besitzer der Insel geworden, und immerhin besaßen sie so viel Menschlichkeit und Weitsicht, dass sie erkannten, dass die wenigen noch verbliebenen Bewohner der Insel (inzwischen waren sie wieder auf 550 angewachsen) von ihrer ursprünglichen Lebensweise völlig entfremdet waren und im wahrsten Sinne des Wortes ausgelöscht werden würden, weil sie auf keinen Fall von den Zinserträgen aus dem Banaba-Fonds überleben konnten, einmal abgesehen davon, dass die Insel durch den Phosphatabbau und die Vernichtung des Baumbestandes zu einem lebensfeindlichen Eiland geworden war. In einem großen Umsiedlungsprogramm sollten die Bewohner auf die Insel Rabi (ebenfalls zu Fidschi gehörig) verbracht werden, die die Briten gekauft hatten, um den Banabanesen dort eine ähnliche Lebensweise wie in ihrer Heimat zu ermöglichen. Das war im März 1942. Aus der Umsiedlung wurde allerdings nichts, da im August des selben Jahres japanische Truppen auf Banaba landeten. Die Bewohner litten bald Hunger, denn seit der Zeit des Phosphatabbaus waren sie auf den Import von Lebensmitteln angewiesen. Die meisten Einwohner wurden von den Japanern auf die Insel Nauru umgesiedelt. Nur 150 der kräftigeren und jüngeren Männer mussten auf der Insel bleiben und für die Japaner arbeiten. Sie wurden von den Japanern kurz vor der Aufgabe der Insel im August 1945 ermordet. Nur ein einziger der Männer überlebte. Schließlich waren es die Australier, die die restlichen Banabanesen, die, wie erwähnt, inzwischen auf Nauru lebten, und inzwischen auf 703 Menschen angewachsen waren, nach Rabi umsiedelten.


2. Ungleiche Verstehenshorizonte

Ich habe Ihnen das Schicksal der Bewohner von Banaba ein wenig ausführlicher geschildert, um zu zeigen, wie unglückselig zumeist die Begegnung zwischen den Kulturen im pazifischen Raum verlaufen ist. Es sind im Großen und Ganzen Fakten gewesen, die ich Ihnen schilderte. Was im Inneren der Menschen vor sich ging, können wir viel weniger deutlich wahrnehmen. Gäbe es nicht Zeugnisse von Bewohnern der pazifischen und der melanesischen Inseln, wie sie den Einbruch der fremden Kultur erfuhren und verarbeiteten, könnten wir gar nichts sagen. Wie also erfuhren sie den Einbruch der fremden Kultur, was haben sie aufgrund ihrer traditionellen Sichtweise wahrgenommen, überhaupt wahrnehmen können?

Ich gehe von einer schon die damaligen Reisenden aus Europa und Amerika verwundernden Beobachtung aus. Als die fremden Männer mit ihren Schiffen aus Übersee in die Nähe der Inseln kamen, wurden sie in den allermeisten Fällen freundlich, ja sogar freudig begrüßt. Es stellte sich nach und nach heraus, dass viele der Menschen auf den Inseln der Südsee davon überzeugt waren, dass die Fremden ihnen von ihren Ahnen geschickt wurden, die ihnen alles bringen sollten, was sie bisher entbehren mussten. Auf ihren Schiffen würden sie die Waren (im englischen cargo, ich komme nachher auf dieses Wort zurück) bringen, die ihren Lebensstandard deutlich verbessern würden. Dieser Mythos widerspricht den Schilderungen vom „glückseligen Paradies“ – in Wirklichkeit mag es auf einigen Inseln tatsächlich paradiesisch gewesen sein, auf den meisten Inseln war das freilich anders. Abhängig von nicht immer günstigen klimatischen Bedingungen und angewiesen auf Produkte bzw. Erträge von anderen, oft entfernt liegenden Inseln, die selbst für die seetüchtigen Melanesier und Polynesier nicht immer leicht zu erreichen waren, ist das Leben in den meisten Fällen wohl eher mühselig und entbehrungsreich gewesen. Mag es den weißen Ankömmlingen auf Tahiti paradiesisch erschienen sein, auch hier werden die meisten Bewohner hart haben arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Wie auch immer: Als die Fremden mit ihren im Vergleich mit den eigenen Kanus riesigen Segelschiffen ankamen, begegneten sie ihnen ohne Argwohn und mit großer Neugierde, sollte sich doch nun die alte Hoffnung bewahrheiten. So berichtet der Comte de la Perouse (1741-1788) von der Ankunft auf der Osterinsel:

„Sie schwammen uns wohl eine Meile weit in die offene See nach, kletterten zu uns an Bord, lachten und zeigten sich furchtlos … Am Gestade erwarteten uns vier- bis fünfhundert Indianer. Sie waren insgesamt unbewaffnet; einige derselben hatten sich mit einigen Stücken gelben und weißen Zeugs behangen, die meisten aber gingen ganz nackt einher. Mehrere dieser Leute hatten sich tätowiert und ihre Gesichter mit roter Farbe bestrichen. Ihr Geschrei, ihre Minen zeugten von Freude. Sie kamen uns entgegen, reichten uns die Hand und wünschten uns Glück zu unserer Ankunft.“

Aber dann geschah etwas, was die Europäer ziemlich irritierte. Wir hörten es eben schon von Tahiti. Die Insulaner nahmen alles, was ihnen begehrenswert erschien (und das war das meiste) an sich. Die Europäer beschimpften sie als Diebe und versuchten das Gestohlene zurückzuerlangen – wobei sie Gewalt anwandten. Sie konnten überhaupt nicht begreifen, warum diese glücklichen Indianer, wie sie genannt wurden, so diebisch waren. Nun, das hängt mit ihrem Mythos zusammen; in den Augen der Bewohner waren sie jene Gesandten der Ahnen, die ihnen Reichtum und Wohlstand bringen sollten. So wurde dieser Mythos zu einer Quelle zahlreicher Missverständnisse. Von nun an wird das damit verbundene Vorurteil die Geschichtsschreibung und die Haltung vieler Besucher gegenüber den Menschen Polynesiens beherrschen. Die Weißen sagten: Das sind diebische Leute, man muss ihnen erst einmal Moral und Gesetz beibringen. Die Polynesier mögen zunächst amüsiert darüber gewesen sein, dass die Neuankömmlinge „von einem anderen Stern“ barsch reagierten, als ihnen die begehrenswerten Gegenstände abgenommen wurden. Vielleicht haben sie es auch zunächst als ein Spiel angesehen und sich über den Ärger der Fremden amüsiert. Als dann aber in den meisten Fällen dem fröhlichen Treiben ein blutiges Ende bereitet wurde, blieben die „Wilden“ tief erschrocken und irritiert zurück. Und sie haben sich die Frage gestellt, warum sie, für die doch die Waren , die cargo, bestimmt gewesen sind, die da auf den Schiffen zu ihnen hergesegelt wurden, zuletzt leer ausgingen, die Weißen aber nicht nur mit den Waren, sondern auch noch mit der Beute, die sie auf den Inseln gemacht hatten, davonsegelten. Warum bekamen sie denn das, was ihnen zustand, nicht? Gab es dafür irgendeine plausible Erklärung?


3. Ein melanesischer Ursprungsmythos

Ich will Ihnen eine Variante eines melanesischen Mythos erzählen. Er kann vielleicht erklären helfen, wie es zu den Missverständnissen gekommen ist, die die Begegnung der Insulaner mit den Europäern bis heute geprägt hat. Bei dem, was ich Ihnen jetzt erzähle, handelt es sich um eine Ursprungsgeschichte aus Bongu, Astrolabe Bay, Neu Guinea2. Die Struktur dieses Mythos findet sich aber auch in anderen Mythen auf anderen Inseln Oceaniens. Die Form, der thematische Aufriss, ist sich sehr ähnlich, nur dem Inhalt nach unterscheiden sie sich. Die Geschichte stammt von Tanok Galopi, und mir erzählte sie Theodor Ahrens, Missionswissenschaftler an der Universität Hamburg.

Dies ist die Geschichte, die Tanok Galopi erzählt. Es handelt sich hierbei um die Weitererzählung älterer Fassungen eines uralten Mythos, der weit in die vorgeschichtliche Zeit zurückreicht. Er sagt:

„Ich erzähle die Geschichte so, wie ich sie von meinen Vätern gehört habe; denn ich möchte nichts Unzutreffendes berichten: Manuba und Kilibob lebten in Bugati. Nur die beiden lebten dort, Manuba und Kilibob. Sie waren Brüder, Manuba war der Ältere von beiden.

Nun wird erzählt, dass Manuba eine Frau hatte. Kilibob aber hatte keine Frau. So lebten die beiden miteinander, als Manuba eines Tages zu seinem Bruder Kilibob sagte: Lass uns beide die Fischkörbe holen und zum Fischfang gehen. Aber Kilibob war nicht zum Fischen aufgelegt und blieb zu Hause. Manuba fuhr daraufhin allein mit seinem Kanu zum Fischen aufs Meer. Kilibob aber, der allein zurückgeblieben war, nahm Pfeil und Bogen und ging in den Busch.

Nun war auch die Frau von Manuba zur Arbeit in den Garten gegangen. Dort war sie bei der Arbeit, als Kilibob des Weges kam und eine Wildtaube ganz in der Nähe des Gartens sah, in dem die Frau arbeitete. Er nahm einen Pfeil, dessen Schaft mit einem schönen Motiv verziert war, setzte ihn auf die Sehne, schoss und verfehlte die Taube. Der Pfeil fiel im Garten Manubas zu Boden in der Nähe der Frau. Sie fuhr von ihrer Arbeit auf, rief: Was ist das?, und ging, den Pfeil aufzulesen. Dabei bemerkte sie die schöne Schnitzerei am Pfeilschaft, betrachtete sie genau und sagte zu sich selbst: Stellt das nicht mein Geschlechtsteil dar? Ja, so ist es. Das ist gut.

Nun suchte Kilibob den Pfeil und fand dabei seinen Weg in den Garten. Er kam herzu und sah, dass die Frau den Pfeil aufgelesen hatte. Sie fragte ihn: Woher kommst du und wieso? Er antwortete: Ich verfehlte eine Wildtaube und bin auf der Suche nach dem Pfeil in den Garten geraten. Da sagte die Frau: Den Pfeil habe ich gefunden, und fügte hinzu: Er hat eine schöne Verzierung. Damit verriet sie ihre Gedanken und sagte dann: Bringe doch das Ornament des Pfeilschafts auch auf meiner Haut an.“ (In einer älteren Fassung heißt es unumwunden: Kilibob schlief mit der Frau Manubas und schwängerte sie.)

Ich unterbreche an dieser Stelle die Erzählung Galopis und fasse das Folgende in meinen Worten zusammen: Kilibob tätowiert die Frau an der Innenseite ihres Oberschenkels mit einer Nessel, wirft die Nessel in den Fluss, dessen Strömung sie mitnahm und bis aufs offene Meer hinaustrieb. Dort fand Manuba die Nessel und als er des Abends zurückkam und die Tätowierung auf der Haut seiner Frau entdeckte, wusste er, was sein Bruder getan hatte. Gleichwohl sagte er nichts und sie blieben für lange Zeit zusammen in ihrem Hause wohnen.

Eines Tages aber sagte Manuba zu Kilibob: Lasst uns ein Haus bauen und zusammen das Loch für den (zentralen) Trägerpfosten des Dachfirsts graben. Sie nahmen ihre Betelnüsse mit, um sie in einer Arbeitspause zu kauen. Kilibob sollte in die Grube hinabsteigen und die Pfosten befestigen. Er ahnte aber, was Manuba vorhatte, stieg gleichwohl in die Grube, grub aber seitlich eine kleine Höhle, um sich darin zu verstecken. Als nun Manuba den Pfosten hineinrammte und feststampfte, meinte er, seinen Bruder umbringen zu können. Der aber saß in seiner Höhle und strich mit Betelnusssaft, den er beim Kauen der Nuss prodiziert hatte, den Pfosten unten an. Als Manuba ihn heraufholte, sah er die rote Farbe an der unteren Spitze des Pfostens und meinte, nun habe er Kilibob getötet. Der aber konnte auf wunderbare Weise entkommen und versteckte sich bei der Quelle Djileb, wo er fortan lebte. Er konnte den Sohn, den er mit der Frau Manubas gezeugt hatte, auf seine Seite bringen und veranlasste ihn, einige Sehnen und Muskeln aus den Leibern Manubas und der Frau zu stehlen; die verbarg Kilibob einstweilen in einem Köcher aus Bambusrohr.

Er baute sich ein großes Kanu, belud es mit den Früchten des Pandanussbaumes und fuhr auf das offene Meer zu. Und nun geht die Erzählung Galopis so weiter: „Dort sah Manuba das Kanu Kilibobs: Ah, rief er, dieser Mann, den ich zuvor getötet habe, ist zurückgekommen. Manuba schob sein eigenes Kanu vom Strand ins Wasser. Diesmal wollte er seinen Bruder endgültig töten.

Während er sich an die Verfolgung machte, nahm Kilibob Kurs auf Madang. Um seinen Bruder einzuschüchtern, rief er ihm zu: Sieh her, jetzt werde ich alle meine Leute töten, die bei mir auf dem Kanu sind. Er warf die Früchte des Pandanussbaumes, die bei Lalok so reichlich sind, ins Meer und täuschte Manuba, der dachte: Er tötet tatsächlich seine Leute. Er wird auch mich umbringen. Daraufhin ließ er sein Kanu ein wenig zurückfallen.“ Ich fasse den weiteren Verlauf zusammen. Es gelingt Kilibob, sich in einer Bucht zu verstecken. Manuba fuhr auf seiner Verfolgungsjagd an der Bucht vorbei und kam bis in die Gegend von Aitape. Manuba hatte seinen Bruder endgültig verfehlt, und Kilibob bereitete sich darauf vor zurückzukehren. Zunächst einmal schuf er aus den Sehnen und Muskeln von Manubas und dessen Frau (dem Urelternpaar) Menschen, verschiedene Menschen. Wieder in Galopis Worten: „Kilibob schuf Menschen mit schwarzer Haut und Menschen mit weißer Haut. Die weißhäutigen Menschen tat Kilibob unten ins Kanu, die schwarzhäutigen oben auf die Plattform. Nun machte sich Kilibob auf den Weg und fuhr von Sek (sc. wo er sich versteckt gehalten hatte) an der Küste entlang und setzte in allen Orten ein Menschenpaar ab. Er kam nach Yabob, setzte einen Mann und eine Frau an Land und gab ihnen (als Besonderheit) einen Tontopf. Dann kam er nach Garim, setzte ein Paar ans Land und gab ihnen eine Kokosnuss. Von dort fuhr er nach Erima, setzte ein Paar ans Land und gab ihnen Yam … Kilibob setzte Paare an allen Orten der Rai-Küste ab. Sie wurden die Stammeltern ihrer Clans. Als er sie absetzte, gab er ihnen nicht nur Yam und Taro, Tontöpfe und Waffen, nein, er gab ihnen auch das Ritual für das Yam, das Ritual für den Taro, das Ritual, Regen zu machen und Regen zu beenden. Er gab ihnen alles Wissen, das Wissen, das uns Schwarzen eigen ist, unsere machtvollen Worte und Geschichten. Vor allem gab er uns die Initiationsriten und den Männerbund.

So hat es Kilibob auch mit den Weißen gemacht und ihnen das Ihre gegeben. Als Kilibob nämlich alle Schwarzen abgesetzt hatte, kam die Reihe an die Weißen. Er setzte sie in Deutschland, Australien und Amerika ab. So war es, und Kilibob hält sich noch heute im Land der Weißen auf. Kilibob hat den Weißen das Ihre gegeben, wie er uns gegeben hat, was für uns eigentümlich ist. Was Kilibob uns gegeben hat, habe ich erzählt. Es ist unser Wissen, in dem ich dich unterweise. Was Kilibob in Australien, Deutschland und Amerika getan hat, als er eure Vorväter absetzte, das wisst ihr selbst, das brauche ich euch nicht zu erzählen.

So lebte Kilibob für lange Zeit im Lande der Weißen. Schließlich gedachte er der Leute, die er zwischen Sek und Siassi an der Küste abgesetzt hatte. Ob die wohl noch da sind?, fragte er sich. Möglicherweise sind sie gar zugrunde gegangen. Ich will hinfahren und meine Leute aufsuchen. Das tat er. Er kam zurück und besuchte seine Leute. Sie waren nicht zugrunde gegangen. Alle waren da. Er kam direkt nach Bugati … Als die Weißen zu uns kamen, haben unsere Vorväter das uns eigene Wissen, das Kilibob uns zugedacht hatte, (sc. Euch Weißen) preisgegeben. Was für ein Wissen Kilibob euch Weißen gegeben hat, das wisst ihr selbst (sc. aber ihr habt es uns nicht, wie ihr eigentlich hättet tun müssen, weitergegeben.)“


4. Ein Erklärungsversuch

Wir haben es in diesem Mythos mit einer Stammesätiologie zu tun. Ätiologien erklären, warum etwas ist, wie es ist, warum z.B. ein Tempel an einer bestimmten Stelle und nur dort errichtet wurde3, warum Menschen eine ganz bestimmte Funktion haben usw. Er erklärt das Bestehende; er sanktioniert Normen und Tabus; er legitimiert bestimmte Institutionen und Handelsbeziehungen; er lässt bestehende Konflikte als mit dieser Wirklichkeit gegeben verstehen. Das Geschehen der Urzeit schafft das Muster und die Begründung für die gegenwärtigen Verhältnisse, tendiert aber auch dahin, gegenwärtige Verhältnisse und Erfahrungen auf das Muster der Urzeit festzulegen. Innerhalb der von der Muttersprache zur Deutung persönlicher Erfahrungen vorgegebenen Plausibilitätsstruktur bildet der Mythos Teil einer symbolischen Sprachwelt, die Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu deuten hilft, aber häufig auch das Verstehen lenkt und in manchen Fällen zu Missverständnissen beiträgt.

Manchmal kann man die Mythen auf historische Ereignisse zurückführen. So geht der Mythos von Manuba und Kilibob vermutlich auf Erfahrungen zurück, die die melanesischen Einwanderer (sie kamen übers Meer, waren also Seefahrer) mit den papuanischen Landbesitzern gemacht haben, die schon lange in Neu Guinea ansässig waren. Die neuen Einwanderer siedelten an der Küste der Insel, die ursprüngliche Bevölkerung zog sich weiter ins Hochland zurück. Zwei Kulturen begegneten sich, die der Seefahrt und die der Yam anpflanzenden Bergbauern. Der Konflikt zwischen den Brüdern führt dazu, dass der eine das Land (wieder) verlässt und neue Menschen schafft, der andere aber in der Heimat zurückbleibt. Aber das ist lediglich eine Dimension des Mythos.

Natürlich hat der Bruderkonflikt, ein Thema der Weltliteratur, auch eine psychologische Funktion, das ist die zweite Dimension dieses Mythos: Da ist der Bruder, der zu Hause bleibt, und der andere, der in die Fremde zieht. Der ältere, schwerfällige, konservative Mann auf der einen, und dann der wendige, trickreiche Typ auf der anderen Seite, der, der Neues schafft und den Älteren laufend in Bedrängnis und an den Rand seiner Fassung bringt. Solche Trixterftypen sind in allen Volksmythen weit verbreitet und haben in den Märchen, Sagen und Volkserzählungen in aller Welt ihr Pendant. Sogar im Gleichnis Jesus vom verlorenen Sohn kommt die Figur vor.

Schließlich sind da, und das ist die dritte Dimension, die Brüder im Konflikt um eine Frau: Eine menschliche Grundversuchung wird tabuisiert und zugleich als Bestandteil unserer Wirklichkeit beschrieben. Die folgende Bestrafung, in machen Versionen auch der Frau, der Impuls, den Bruder zu töten und daraufhin dessen Weg in die Fremde, sind Bestandteil der meisten bekannten Versionen dieses Mythos. Der Mythos spart sich ein Happy End. Die Brüder trennen sich, und jeder führt sein eigenes Leben. Es ist offen, wie es den beiden in Zukunft ergehen wird.

Solche Mythen haben es in sich. Bis heute dienen sie dazu, Wahrnehmungen und Erfahrungen zu deuten, Neues mit Altem zu verknüpfen und so in den Kosmos des eigenen Denkens einzuverleiben. Dabei verändert sich das ursprüngliche Denken natürlich, nimmt neue Inhalte auf und ermöglicht damit neue Erfahrungen. Der Mythos, den uns Tanok Galopi (unter Vermittlung von Theodor Ahrens) erzählt hat, erklärt, wie was geworden ist, woher die Menschen kommen, warum es schwarze und weiße Menschen gibt, warum die einen, nämlich Kilibobs Nachfahren, so reich sind, die anderen, Manubs Kinder, an diesem Reichtum aber nicht teilhaben.

Der Mythos hält aber auch das Feuer der Erwartung wach, dass sich das einmal ändern könnte – nein, mehr noch: dass es sich sicher einmal ändern wird! Und so konnte es geschehen, dass ein dörflicher Führer die Erfahrungen, die man mit den weißen Fremden aus der Ferne gemacht hat, in den von diesem Mythos abgedeckten Erwartungshorizont einpasste. Als die Fremden kamen, standen Propheten, charismatische Gestalten in manchen Gegegenden Melanesiens und Polynesiens auf, die verkündetet: Jetzt ist die Zeit, von der unser alter Mythos berichtet, jetzt kommen die Kinder Kilibobs, um uns den ersehnten Reichtum zu bringen. Jetzt ist die Zeit der bisher ausgebliebenen, freilich nach wie vor erwarteten und beanspruchten Versöhnung zwischen den Kindern Manubs und Kilibobs. Mit Hilfe des Mythos wurde das Widerfahrnis von Kulturkontakt und Kulturkonflikt zu deuten versucht. Die Kinder Manubs bestanden darauf, dass sie die Älteren sind: Wir sind die Erben, heißt es. Nicht nur erklären sie die gegenwärtige Spannung, die gegenwärtig offensichtliche Unterlegenheit der materiellen Aspekte ihrer Kultur vor dem Hintergrund des Konflikts der Urzeit, sondern sie beanspruchen „Ware“ (cargo) – Umverteilung im Rahmen einer moralischen Gesamtordnung, die insofern neu war, als sie das Verhältnis von Schwarz und Weiß umfasst. Das ist die Botschaft des Mythos für viele Melanesier und Bewohner der polynesischen Inseln gewesen. Von dieser Perspektive geleitet, empfingen sie die fremden Weißen, die aus der Ferne zu ihnen kamen – mit großen Schiffen, beladen mit Waren, die ja doch für sie, die armen Verwandten, bestimmt sein mussten!

In Verbindung mit den Grundannahmen traditionellen sozialen Lebens und traditioneller Religion bot der Mythos also einen plausiblen Verstehensrahmen, innerhalb dessen sich bestimmte Erfahrungen des Kulturkontakts unterbringen ließen. Er war zugleich auch der Filter in der Deutung dieses Widerfahrnisses. Die Bevölkerung des südlichen Madang-Distriktes (Neu Guinea), woher die von mir hier wiedergegebene Fassung des Mythos kommt, vermochte nicht nur ihr Selbstbewusstsein zu stützten, sondern gab ihnen die Möglichkeit, den Weißen eine klar definierte Rolle zuzuschreiben und für das Problem des cargo, d.h. für die Erfahrung vergleichweiser Armut und die Forderung nach Teilhabe am Reichtum der Ankömmlinge, Lösungen zu finden, ohne dass sie mit grundlegenden traditionellen Überzeugungen brechen musste. Die Botschaft des Mythos ist deutlich. Warum aber missverstehen sich die Kinder Manubs und Kilibobs eigentlich? Und damit sind wir wieder bei dem Problem, das ich eingangs berührte: Dem Problem des Missverständnisses einer Beziehung, die dem Mythos nach für beide Teile doch eigentlich hätte segensreich werden sollen, die in der Realität aber Not, Elend – sogar Vernichtung mit sich brachte.

Ich habe bei der Formulierung des Themas zu diesem Vortrag bereits angedeutet, dass Mythen auch dazu benutzt werden können, Hoffnungen zu wecken. Die Hoffnung, die der Mythos von Manub und Kilibob weckt, bleibt die Geschichte einer erhofften, beanspruchten, aber nicht eingelösten Versöhnung. Man setzt voraus, dass auch die Weißen von diesem Mythos her leben. Man nimmt an, dass auch die Weißen – als die Kinder von Kilibob – ihren Reichtum mit den armen Kindern Manubs teilen würden. Kilibob, der Bruder, derjenige also, mit dem man eine gemeinsame Geschichte gehabt hat, würde zurückkommen und seinen Reichtum mit den Zurückgebliebenen teilen. Geben und Nehmen, Teilen und Mitteilen ist hier die Grundlage des kulturellen Miteinanders. So konnte man sich überhaupt nicht vorstellen, dass die Weißen, also Kilibobs Kinder, sich daran nicht hielten. Eine Vermutung war, dass die Zurückgebliebenen den Ritus nicht kannten, durch den die weißen Brüder an den Reichtum herankamen. Man müsste sich also das „Zauberwort“ beschaffen, den „wahren Ritus“ kennen lernen, dann würde man schon an die cargo herankommen. Dass die Weißen den Mythos gar nicht kannten, konnten sie sich schlechterdings nicht vorstellen. Eine der Reaktionen auf Erfahrung der vermeintlichen Verweigerung der Teilhabe an den Waren, den Gütern, dem cargo, war der Cargo-Kult.


5. Cargo-Kult

Wenn der reichere Bruder schon nicht freiwillig die Waren mit seinen ärmeren Verwandten teilen will, so muß man ihn daran erinnern, ggfs. sogar dazu zwingen. Man ging davon aus, dass der reiche Bruder die alten Mythen, durch die man sich der Gemeinsamkeit in früheren Zeiten vergewissert hat, kennen würde und sich ihrer Macht nicht würde entziehen können. Propheten standen auf, die sagten: „Jetzt ist die Zeit“ die Kinder der Brüder miteinander zu versöhnen. Immer wenn in der Geschichte der Menschheit Frauen und Männer auftreten, die behaupten „jetzt ist die Zeit“ (kairos), können wir davon ausgehen, dass wir es mit einer sog. milleniaristischen Bewegung zu tun haben. Das Wort „millenium“ bedeutet in diesem Zusammenhang eine Zeit der Erneuerung, des Umbruchs, des Neubeginns (und man meinte – jedenfalls in unserem westlichen Kulturkreis, in dem das Wort entstanden ist – , das sei alle tausend Jahre möglich, daher der Begriff millenium = tausend Jahre). Während der letzten 100 Jahre entstanden in allen Teilen Oceaniens, vor allem aber in Melanesien Hunderte von solchen Bewegungen, sie reichen von den Fidschi-Inseln bis nach Neuguinea, und auch in anderen Stammeskulturen dieser Gegend traten sie auf. Lokale Mythen von einem goldenen Zeitalter bewogen Propheten dazu, die kurz bevorstehende Rückkehr von Kultheroen wie Manuba und Kilibob oder von anderen Ahnen anzukündigen, die geistiges oder materielles cargo von der Art bringen würden, wie man es durch Kontakte mit den Weißen entdeckt hatte. Dies wird ein neues Zeitalter menschlicher Erfüllung und Gleichheit mit den Weißen eröffnen, die sich als tadelnswert erwiesen, weil sie ihre große Macht und ihre Reichtümer nicht völlig gerecht verteilt haben. Landebahnen, Werften und Warenhäuser sollen errichtet werden, um cargo in Empfang zu nehmen; alte Bräuche und Ackerbau wurden gewöhnlich durch neue Rituale und ethische Reformen ersetzt, um sich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Die sozialen Auswirkungen und die gegen die Weißen gerichteten Aspekte führten häufig zu Auseinandersetzungen mit Regierungen und Kirchen. Der Cargo Kult erstreckt sich von offensichtlichen Kulten bis hin zu stillschweigenden Haltungen wie etwa gegenüber apokalyptischen Entwicklungen, die noch kommen werden.

Manche Interpreten des Cargo-Kultes meinen, er sei eine vorpolitische Form des Protests, die zunehmend mehr politischen Bewegungen und mehr und mehr auch „rationaleren“ Orientierungen des Handelns Platz geben und sich damit realistischer auf ihre erklärten Ziele beziehen würden. Damit ist eine schwer zu widerlegende Langzeitperspektive gegeben: Die religiöse Komponente würde sich in eine revolutionäre, sozio-ökonomische Veränderungen herbeiführende politische Bewegung wandeln. Diese Erwartung hat sich gelegentlich, aber bisher eigentlich doch ziemlich selten bewahrheitet. Die Hoffnungen, die sich einmal mit dem Cargo-Kult verbanden, werden heute eher in messianischen, charismatischen christlichen Bewegungen weitertradiert. Darin ist auch der Grund zu sehen, warum heute in dieser Gegend die charismatischen Kirchen (wie schon in Afrika und in Lateinamerika) einen enormen Zulauf haben. Was charismatische Kirchen sind, will ich Ihnen gerne in einem meiner nächsten Vorträge erzählen. Hier nur so viel – und damit komme ich für heute zum Schluss: In der charismatischen Bewegung, die sich vor allem in und neben den großen christlichen Kirchen etabliert, kommt unter anderem auch die Hoffnung zum Ausdruck, dass „weil jetzt Gottes Geist gegenwärtig ist“, weil „jetzt die Stunde da ist“, gerechte Beziehungen zwischen den Kulturen, zwischen den Menschen, hergestellt werden können, dass „jetzt“ Friede zwischen ihnen sein kann, dass „jetzt“ behutsam und verantwortlich mit den allen Menschen gegebenen Gütern (einschließlich der natürlichen Ressourcen) umgegangen werden kann.

Die Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen den Menschen Oceaniens und denen, die aus dem Norden der Erdkugel zu ihnen gekommen sind, ist bis heute in Melanesien und Polynesien lebendig. Werden wir dazu beitragen können, dass wir ihr gemeinsam wenigstens eine vorläufige Gestalt geben?


Anmerkungen

1. Mikronesien war in weiten Teilen schon vor Ankunft der Europäer von alten Kulturen geprägt – eingewanderte oder dort Handel treibende Muslime, Buddhisten und Hindus hatten Elemente der ursprünglichen Naturreligionen aufgenommen, transformiert und bildeten ein Bollwerk gegen den westlichen Einfluss. Die dichtere Besiedlung jener Inseln machte es den Eindringlingen auch schwerer, ganze Bevölkerungen einer Insel zu unterwerfen und nötigten sie zu Kompromissen selbst dann, wenn sie die Gegenden als Kolonien einheimsten.

2. Die Astrolabe Bay (dt. Astrolabebai) ist eine große Meeresbucht in der Bismarck-See vor der Nordküste Papua-Neuguineas und ein natürlicher Hafen für die Stadt Madang. Sie erstreckt sich vom Kap Iris im Süden bis zum Kap Croisilles im Norden. Sie wurde 1827 von Jules Dumont d’Urville entdeckt und nach seinem Schiff Astrolabe benannt. Dieses Schiff wurde seinerseits nach einem anderen benannt, der Astrolabe des verschollenen französischen Entdeckers Jean-François de La Pérouse.

3. Zum Beispiel in Beit-El in Israel, auf dem Tempelberg in Jerusalem, von wo aus Muhammed in den Himmel geritten sei usw. Auch in Europa gibt es ätiologische Sagen, z.B. wie das Zwischenahner Meer entstanden ist, warum Santiago de Compostella ein heiliger Ort ist usw.


Diesem Beitrag liegen keine eigenen Forschungen zugrunde. Es handelt sich um ein Referat, das unter Konsultation folgender Veröffentlichungen angefertigt wurde. Es wurde im Rahmen einer Vortragsreihe über melanesische und polynesische Kultur/ Religion auf einer Kreuzfahrt im Südpazifik (2007) gehalten.“ Vgl. auch den Beitrag Osterinsel. Bis an die Enden der Erde

  • Theodor Ahrens: Unterwegs nach der verlorenen Heimat. Studien zur Identitätsproblematik in Melanesien. Erlangen 1986;

  • Emi Oh: Banaba – Die Geschichte eines entwurzelten Volkes, in: Glaube und Globalität. Hamburg 1999, S. 115 ff (=Jahrbuch Mission 1999);

  • Daniel Leese: Tod durch Missverständnis? James Cook und das Ritual der Widerkehr, in Johannes Paulamm (Hg.): Ritual-Macht-Natur. Europäüisch-ozeanische Beziehungswelten in der Neuzeit, Bremen 2005, S. 13 ff;

  • Kani / Turubu: Die Geschichte von den wahren Weißen, in: Ulrike Keller (Hg.): Reisende in der Südsee seit 1520, S. 106 ff; 

  • Karl.Heinz Kohl: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden. Frankfurt/M. 1981, 202 ff.

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