Jun 012018
 

II. Die Internierungszeit (10.05.1940 – 10.12.1946)
Die Gefangenschaft in Sumatra
(10.05.1940 – 28.12.1941)

Die Zeit in Fort de Kock (Bukit Tiggi)
(12.5. – 05.10.1940)

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam am Nachmittag des 10. Mai 1940 ein kleiner grüner Personenwagen auf unsere Missionsstation Djandjimatogu am Tobasee gefahren. Zu meinem großen Erstaunen stiegen zwei mit Gewehr bewaffnete inländische Soldaten aus dem Auto. Ich ahnte nichts Gutes. Ohne viel Umschweife erklärten mir die beiden, dass ich mit ihnen zum holländischen Beamten nach Balige kommen sollte. Es könnte sein, dass ich auch die Nacht über bleiben würde. Ich sollte mir deshalb auch etwas für die Nacht mitnehmen. Meiner erschrockenen aber sehr gefassten Frau übermittelte ich das Anliegen der Soldaten so schonend ich konnte. Die beiden hatten ja auch kein Wort gesagt, dass zwischen Holland und Deutschland Krieg ausgebrochen sei. Meine Frau packte mir Schlafanzug, Handtuch, Seife, Zahnpasta und Rasierzeug in ein kleines Köfferchen. Und so nahm ich von meiner Frau und von meinem zehn Monate alten Sohn Bertold, der vergnügt in seinem Laufställchen saß, einen schnellen Abschied. In der Aufregung wollte meine Frau noch nicht einmal einen Hundert­guldenschein, den ich ihr aus dem Kassenschrank hinhielt, annehmen.

Es sollte ja auch evtl. nur für eine Nacht sein, denn von Krieg wussten wir ja nichts. Aber aus der einen Nacht wurden bis zum Wieder­sehen am 10. Juli 1947 mehr als volle sieben Jahre.

Nun blieben Frau und Kind alleine in großer Ungewissheit und Unruhe zurück. Sie konnten nur zu dem aufblicken, der gesagt hat:

„Ich will dich nicht verlassen noch versäumen“.

Da meine Frau wenige Tage vorher in einem schreckhaften Traum ein großes Feuermeer gesehen hatte, das nun wirklich auf andere Weise ausgebrochen war, ahnte auch sie nichts Gutes. Zeitung und Telefon hatten wir ja nicht. Am nächsten Tage nach einer schlaflosen Nacht, denn auch die im Unterbewusstsein betrübte Kinderseele war nicht zur Ruhe gekommen, nahm sie Kontakt mit den nächsten Missionsleuten Rittich auf, die im Aussätzigenasyl Huta Salem in etwa 20 Kilometer Entfernung wohnten. Dort erfuhr sie das ganze Geschehen, denn alle deutschen Männer waren ohne Ausnahme interniert worden. So blieben die beiden erst einmal dort bis später auch die Frauen und Kinder zuerst in Laguboti und dann noch später sogar hinter Stacheldraht ins Lager „Raja“ kamen.

Anstatt mich, wie doch gesagt, zum holländischen Beamten zu fahren, fuhr man mich zum inländischen Gefängnis, wo ich meine Missionsbrüder aus dem Tobatal schon alle vollzählig im Gefängnis­hof vorfand. Sie klärten mich auf, dass nun für uns alle die Inter­nierungszeit begonnen hätte. An ein so schnelles Herausreißen aus verantwortungsvoller Arbeit, die in 30 Gemeinden und Schulen rund 60 Mitarbeiter und 20.000 Christen – abgesehen von den etwa 10.000 Heiden des Gebietes – umfasste, hätte ich in meinem Leben nicht gedacht. Auf diese Weise wurde auch die Batakkirche in eine uner­wartet frühe und plötzliche Selbständigkeit hineingestoßen. Die vielen Mitarbeiter der Kirche, die weithin schon selbständig ihren Arbeitsbereich hatten, haben sich in der Zeit sehr bewährt.

Es lag nahe, dass nun all die vielen Kassen der Gemeinden und Schulen usw. von holländischen und inländischen Beamten ganz genau unter­sucht wurden. In der Hass-Situation der Kriegszeit hätte man gerne diesen oder jenen durch die Zeitungen gezogen. Es ist wohl eine er­freuliche und erstaunliche Tatsache, dass man keinem einzigen Missionar in all den vielen Geld- und Verwaltungsangelegenheiten eine einzige Unredlichkeit nachweisen konnte. Als meine Frau dem Beamten, der nach dem Kassenschlüssel suchte, sagte, dass von unserem Geld der Schein noch mit im Kassenschrank liege, den sie in der Verwirrung des schnel­len Abschieds abgelehnt hatte, hat er ihr das Geld anstandslos über­geben. Für die erste Zeit war ihr das eine gute Hilfe, denn es war für uns ein Monatsgehalt.

In den Dörfern hatte sich das Geschehen schnell herumgesprochen. Batakfrauen kamen, um meine Frau zu trösten. Sie sagten: Wir können dich doch nicht recht trösten. Fahre zu den Frauen, die auch jetzt alleine sind. Sie tat das – wie berichtet – und erfuhr in Huta Salem auch, dass wir noch am Abend des 10. Mai in Garobaks (Lastwagen für inländische Personen und Frachtgüter) zu einem unbekannten Ziel hin abtransportiert worden waren.

Das Ziel war die etwa 900 Kilometer weit entfernte und in guter Höhen­lage nach Padang zu liegende Stadt Fort de Kock, wo wir am 12. Mai nach den zwei Nachtfahrten sehr ermüdet ankamen. In der für diesen Zweck frei gemachten Polizeischule, die man mit Stacheldraht und Wachen ausbruchsicher gemacht hatte, wurden wir in kleinen Kammern zu je sechs und in einem größeren Saal zu etwa zwanzig unterge­bracht. Schnell sollte sich das Lager mit deutschen Kaufleuten und vor allem mit vielen Seeleuten, die man von den deutschen Schiffen, die im Hafen von Padang lagen, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion – damit sie die Schiffe nicht versenken konnten – heruntergeholt hatte. Von den Vorräten der Schiffe wurden wir mit EintopfIinsen- suppe, in der viele kleine Würmlein schwammen, wochenlang versorgt. Später versuchten dann die Schiffsköche das Essen für die rund 300 Menschen des Lagers selbst zu kochen und damit auch etwas geschmack­voller herzurichten.

Nachdem jeder von uns mit seinen wenigen Sachen ganz gründlich unter­sucht worden war, gab es einen großen Blechteller, Blechlöffel und eine Blechtasse. Das war nun für die langen Jahre unserer Internierung das ganze Essbesteck. Dreimal am Tage wurde Appell gehalten. Da dem abhaltenden Leutnant unsere Appell-Linie nicht gefiel, verordnete er einige Exerzierübungen. So ergab sich das seltsame Schauspiel, dass wir, die wir als Zivilisten niemals in Deutschland exerziert hatten, nun unter holländischer Bewachung es nachholen mussten.

Weil Holland schnell überrannt war, war die Stimmung der bewachenden Offiziere meistens recht unfreundlich. Damit wir die Lage nicht wissen sollten, gab man auch die ersten Wochen keine Zeitung ins Lager. Wir selbst waren hoffnungsvoll, denn wir konnten uns nicht vorstellen, dass man uns – wo man doch nun ganz Holland in der Hand hatte – noch länger gefangenhalten konnte. Damit täuschten wir uns gewaltig, denn Sumatra lag eben doch zu weit entfernt. Ebenso enttäuschend war die Verbindung mit Frau und Kind. Nur einmal in der Woche durften wir einen Kartengruß wechseln, der dazu reichlich zensiert wurde. Da ich nur für eine Nacht etwas mitgenommen hatte, durfte meine Frau mir noch einen Koffer mit Wäsche und Kleidungsstücken nachsenden. Das war mir viel wert.

Im Lager selbst war die mittlere Baracke – um die in einem weiteren Rechteck die länglichen Häuser mit den kleinen Kammern angeordnet waren – noch mit einem besonderen Stacheldraht und mit besonderer Be­wachung am Tor umgeben. In die einzelnen Kammern hatte man wie Schwer­verbrecher die hineingetan, denen man eine Mitgliedschaft in der Par­tei nachweisen konnte. Sie galten als besonders gefährlich. Musste jemand von ihnen auf’s WC so ging eigens einer der Wachposten mit. Nach einiger Zeit stellte man wohl fest, dass sie ebenso harmlos wie alle anderen waren, und der Stacheldraht wurde von dieser Inter­nierung in der Internierung eines Tages stillschweigend entfernt.

Für jeden Tag gab man uns noch die Kleinigkeit von 10 Cent, um in der Kantine, die inzwischen eingerichtet war, wenigstens Zahnpasta und Seife kaufen zu können. Dazu überreichte man uns noch zwei Khakihosen und zwei Khakihemden, was nun jahrelang die einheitliche graue Interniertenkleidung im ebenso grauen Alltag der Internierung darstellte. Für die Wäsche musste jeder selbst sorgen. Auf einem etwa 50 Meter breiten Platz hinter dem WC des Lagers, wo man sich etwas ergehen konnte, wuchs bald kein Hälmchen mehr. Wie die Pferdchen in der Zirkusarena, so liefen hier die Männer einer hinter dem anderen, um sich etwas Bewegung zu verschaffen.

Sehnsüchtig schaute man den Wagen der einspurigen Kleinbahn nach, die hauptsächlich den Güterverkehr zwischen Padang, Fort de Kock und Sawahlunto vermittelte. In Sawahlunto wurde in einfachem Tunnel­bau wertvolle Kohle gefunden, die von dort mit der Bahn zur Zement­fabrik nach Padang gebracht wurde. Weil in dem sonst von Moscheen beherrschten Gebiet in Sawahlunto eine Diasporagemeinde der Batak war, habe ich 1951* auf der ersten Reise nach Mentawai mit dem Batakpastor Marpaung nicht nur die Gemeinde, sondern auch die Kohlengrube besucht. Wo früher deutsche Steiger arbeiteten, hatte jetzt ein Batak die Stelle eingenommen. Er sagte mir, dass früher wesentlich mehr ge­fördert worden war. Große Schüttelroste waren aus Mangel an Ersatz­teilen einfach stillgelegt worden.

Ein interessantes Bild bot auch stets der zur umgebenden Bergesland­schaft gehörende Vulkan Merapi. Seine stärker oder schwächer werdende Rauchfahne zeigte an, dass er noch in voller Tätigkeit war. Zum Glück gab es kein Erdbeben. 1936 erlebte ich einmal am Tage und einmal in der Nacht ein Erdbeben. Am Tage sah ich zu meinem Staunen, dass die Erde sich wellenförmig hob und senkte. Selbst hohe Palmen machten in schöner Verbeugung diese Bewegung mit. In der Nacht sprang eine Lampe aus ihrem Haltering und die Kirchenglocken fingen zu läuten an. In solch einem Falle bewähren sich die auf Pfählen aufgebauten Häuser noch am besten.

Auf eine entsprechende Anfrage hin, wurde auch der sonntägliche Gottesdienst gestattet. Aus der unbegründeten Furcht einer nicht statthaften Propaganda musste die Predigt vorher eingereicht und zensiert werden. Schließlich wurde auch eine holländische Zeitung ins Lager gegeben. Auf diese Weise wurde wenigstens in etwa die Flut der „Latrinenberichte“, die unaufhörlich in einem solchen Lager kursieren, ein wenig eingedämmt. Sorgten die Köche der Seeleute langsam für besseres Essen, so wurden die, die krank wurden, hinreichend von unseren tüchtigen Missionsärzten versorgt.

Eine größere Wiese an der Seite der Baracken wurde endlich auch für Fußballspiele freigegeben, was immerhin eine Abwechslung brachte. Manche Väter erlebten auch die Freude, dass die Frauen ihnen die Ge­burt eines weiteren Kindes anzeigen konnten. So konnte meine Frau mir auf einer der Hundertwortkarten mitteilen, dass unsere Anneliese in Balige geboren worden war. Sie gab der Hoffnung Ausdruck, dass ich das Kind im Laufe der Zeit möglichst bald sehen könnte. Es sollten darüber aber fast noch sieben Jahre vergehen. In der damaligen Hass-Situation war es ein ganz besonderes Zeichen christlicher Verbundenheit und Liebe, dass der holländische Arzt Dr. Aalbers, mit dem ich zusammen 1936 die Bataksprache gelernt hatte, ihr hilfreich beistand. Bei einem Besuch im Frauenlager Laguboti hatte er meine Frau zur Entbindung in das Krankenhaus Balige einge­laden. Meine Frau musste ihm sagen, dass sie dazu kein Geld habe. Da­rauf sagte er: „Lass das meine Sorge sein“. So konnte sie ohne Sorge der Entbindung entgegensehen und war bei ihm und den Schwestern in guten Händen. Würden unter verfeindeten Nationen alle so handeln, dann wäre dem Hass und der Feindschaft unter den Völkern die Spitze abge­brochen. Die große Sehnsucht nach Frau und Kind war aber durch die Geburt von Anneliese nur stärker geworden. Weil die Zeit in diesem ersten Lager zu Ende ging, aber die Sehnsucht noch lange nicht, will ich ihr hier mit einigen Worten Ausdruck geben, die ich vor ihrem Heimkommen 1947 niedergeschrieben habe.

Sehnsucht

  1. Noch seid ihr fern,
    Doch meinem Herzen nah‘.
    Im Morgenstern
    Strahlt neu der Hoffnung Tag.
  1. Schnee liegt am Hang,
    Im Tal und auf den Höhen.
    Es zittert bang
    Das Herze im Sehnen.
  1. Allein ich geh‘
    Und tausche manchen Gruß.
    Doch wo ich steh‘,
    Fehlt mir der Liebe Kuss.
  1. So manchen Weg
    Zu zweit wir einst gingen.
    Viel kleine Steg‘
    Von Liebe mir singen.
  1. Ach käm’t ihr bald,
    Mit Lieb‘ mich einzuhüllen.
    Jetzt ist’s noch kalt,
    Lasst Frühling neu uns füll’n.

(18.02.1947)

  1. Der Frühling kam,
    Es wartete mein Herz.
    Der Mai nicht nahm
    Von mir der Sehnsucht Schmerz.
  1. Das Licht nahm zu,
    Der Tag wurde länger.
    Kein Mensch fand Ruh‘
    Der Hunger ward strenger.
  1. Im Bilde nur
    Sah Kinder ich werden.
    Wo eure Spur
    Nur mag sein auf Erden?
  1. Nun kommt ihr bald.
    Und neu knüpft sich das Band.
    Ist es doch alt,
    Ihr kommt in’s Vaterland.
  1. So reist mit Gott
    Heimwärts zum Vater ihr.
    Ob rings auch Not
    Ihr seid willkommen mir.
  1. Mit Gott kehrt heim
    Ein Neues zu bauen.
    Nicht mehr allein
    Lasst froh uns aufschauen.

(21.06.1947)

Doch die andere Seite, der wir uns in der Gefangenschaft zu beugen hatten, war doch die, dass der Krieg an Härte, Gewalt und Länge immer mehr zunahm. Das war doch in den langen Jahren der Inter­nierung der fürchterliche Gesang der Zeit. Diesem Gesang der Zeit habe ich in folgenden Worten im Blick auf Apostelgeschichte 16, 25 Ausdruck zu geben versucht.

Der Gesang der Zeit
(Apg. 16, 25)

  1. Hörst in der Welt du’s klirren und klingen,
    Todesgesang ist es, doch kein Singen.
    Der Schnitter mäht,
    Was Sünd‘ gesät.
  1. In den Lüften dröhnt’s und am Boden kracht’s,
    Das wilde Toben der Menschen es macht.
    Die Blume stirbt,
    Der Mensch verdirbt.
  1. Doch hör‘ ich auch Stimmen anderer Art,
    Mit Loben und Danken sind sie gepaart.
    Der Glaube ringt,
    Die Stimm‘ erklingt.
  1. Im Gefängnis ertönt ein Dankeslied,
    Die Wunder des Glaubens man hoch besingt.
    Wer glaubt, lobt Gott
    Trotz aller Not.
  1. Gesang, den Paulus und Silas darbringt,
    Noch heute aus manchem Gefängnis dringt.
    Der Mensch verwehrt’s,
    Doch Gott erhört’s.
  1. Wie einst, so greift Gott auch heute noch ein,
    Zerbricht die Riegel und Schlösser so fein.
    In seiner Kraft
    Ruht deine Macht.
  1. Mit starker Hand fasst er in’s Rad der Zeit,
    Die Spuren weisen hin zur Herrlichkeit.
    Sein ist das Reich
    In Ewigkeit.
  1. So trau in allem Toben und Krachen
    Gott, der ihrer kann spotten und lachen.
    Scheint Hilf auch weit
    Er hilft zur Zeit.

(10.06.1946 Dehra Dun)


2. Die Zeit in der Alas Vallei
(08.10.1940 – 22.12.1941)

Inzwischen hatten die Holländer in dem ganz malariaverseuchten und von hohen Bergen eingesäumten feuchtheißen Alastal ein für mehr als 2.000 Deutsche weit abgelegenes Stacheldrahtlager er­richtet. Die Fahrt ging nun zurück durchs ganze mittlere und nördliche Sumatra und wurde seltsamerweise fast zu einer Triumph­fahrt. Für die etwa 40 mit Stacheldraht umwickelten Autos hatte man den gesamten übrigen Verkehr gesperrt. Dadurch war die Bevöl­kerung auf den Vorgang erst richtig aufmerksam gemacht worden. So standen sie besonders im Batakland – angefangen in Sidempuan über Sibolga, Tarutung, Balige, Porsea, Siantar, Saribudolok usw. – geradezu Spalier an der Hauptstraße und riefen den gefangenen Deutschen ein wirklich tausendfaches „Horas, Horas, Horas“ zu (Batakgrusswort).

Die Bewachung war gegen diese Sympathiekundgebung völlig machtlos. Die Leute wussten natürlich, dass ihre Missionare, an denen sie in Liebe hingen, mit in diesen Autos saßen.

Die Seeleute unter uns verstanden überhaupt nicht, was sie sahen und miterlebten. Sie sahen dieses so abwechslungsreiche paradiesische Land in den Bergen und Tälern geschmückt mit Kirchen und Schulen und eine Fülle fröhlicher Menschen, die ihnen winkten und zujubelten.

Sie bekamen die praktische Auswirkung einer jahrzehntelangen reich ge­segneten Missionsarbeit zu Gesicht. Noch lange sprachen sie sich erfreut und lobend darüber aus. Die wohl über 1.000 Kilometer lange Fahrt durchs Land dauerte drei Tage. Damals waren im Tobatal in Laguboti unsere Frauen und Kinder interniert. Sie hofften, vom Garten des Grundstückes aus einen Blick auf die Autos und die Männer zu werfen. Meine Frau hatte die kleine Anneliese auf dem Arm und wollte sie mir zeigen. Als sich nun die Autokolonne näherte, kam holländische Polizei und trieb die Frauen vom Zaun weg. Das war natürlich eine herbe Enttäuschung.

ln Porsea, was zu meinem Arbeitsbereich gehörte, war an dem Tag unserer Durchfahrt Markttag. Zum Markt kamen in jeder Woche einmal aus ganz Uluan einige 1.000 Menschen zusammen. Der Markt war schwarz von Menschen, die der Dinge harrten, die kommen sollten. Als unsere Stacheldraht-Autos in langsamer Fahrt durchfuhren – denn die Menge staute sich rechts und links der Ortsstraße – erscholl ein geradezu ohrenbetäubendes „Horas, Horas, Horas“, das den Bewachern sicher beängstigend in den Ohren geklungen hat. Dieses Bekenntnis der Batak zu den gefangenen Deutschen gerade in Porsea am Ausfluss des Tobasees werde ich mein Leben lang niemals vergessen. Alle Schwierigkeiten und Nöte, die die große Arbeit oft mit sich brachte, denn damals lebte die Mission von der Hand in den Mund, waren in dem Augenblick und auch für immer vergeben und vergessen.

Als wir am 3. Tage am 8. Oktober 1940 an unserem Ziel ankamen und zum ersten Male das Lager mit den riesigen Pfählen und der großen Fülle des Stacheldrahtes erblickten, da beschlich mich der Gedanke: Hier kommst du im Leben nicht mehr heraus. Geradezu mitten in die Wildnis hinein hatte man dieses Lager mit sechs durch hohe Stachel­draht-Laufgräben völlig voneinander getrennten „Bloks“ mit je sechs bis acht Einzelbaracken zu je etwa 50 Personen gesetzt. Die Baracken waren rohe Blockhäuser, die man auf einem ebenso rohen Zementboden aufgerichtet hatte. Sie waren mit einem etwas schrägen Atapdach (Blätterdachwerk) versehen. Die Inneneinrichtung bestand aus über­einandergestellten Holzpritschen. Zwischen je einem Viererblock war ein kleiner Zugang und mitten durch die Baracke ging ein durch­gehender Gang von gut einem Meter Breite. Meine mitgebrachte dünne Matratze und zwei Decken breitete ich auf einer der oberen Pritschen der Baracke 1 in „Blok“ C aus und damit war mein Lager fertig. Bett­tücher usw. gab es ja nicht. Fenster fehlten auch und so war in der Schlafbaracke stets ein gewisses Halbdunkel.

Mücken und andere kleine Tiere hatten überall ungehinderten Zutritt. Als ich einmal direkt über meinem Kopf über einen Balken strich, bewegte sich dort ein schwarzer Skorpion, dem ich schnell den Garaus machte. Ich war heilfroh, dass er mich nicht im Schlaf gestochen hatte. Ein Skorpionstich kann einen für einige Tage schachmatt setzen. Alles musste erst bewohnbar und um die Baracken begehbar gemacht werden.

Neben den Schlafbaracken gab es auch noch Tages-Aufenthaltsräume, wo das Essen eingenommen wurde, eine Kantine und eine Küche, in der die Schiffsköche sich einrichteten und uns manche gute Reismahlzeit gekocht haben. In der Essbaracke konnten auch Vorträge und Gottes­dienste abgehalten werden. Mit einem kleinen Chor luden wir sonntags in den einzelnen Baracken vorher zum Gottesdienst ein. Neben einem freien Platz, der für Handball-und Fußballspiele benutzt wurde, lagen Dusch- und WC-Räume. Über einem Zementgraben waren diese sanitären Einrichtungen errichtet. Das in sanfter Hanglage durch­strömende Wasser nahm sofort alles mit und führte es unterhalb des Lagers direkt in den Alasfluss, wo sich bald Fische, Wild­schweine, die wieder Tiger anzogen, um die Küchenabfälle von sechs Küchen bemühten. Da kein Trinkwasser vorhanden war, musste die Küche eimer- und kannenweise-Tee kochen, denn der Durst war groß. Später in Indien war er allerdings noch größer.

Als wir am 8. Oktober ankamen, waren von den großen Lagern A – F außer C alles mit Deutschen, die schon teilweise 25 und mehr Jahre in verantwortlichen Stellungen in ganz Indonesien gearbeitet hatten, belegt. Zusammen waren es rund 2.000 Menschen. Mit drei bis vier Meter hohen unüberwindlichen Stacheldrahtzäunen und – von der Wache einsichtigen – etwa zwei Meter breiten Laufgräben waren die einzel­nen Lager scharf voneinander getrennt. Im uns benachbarten Lager B waren auch Baseler und Neukirchener Missionare untergebracht, die – wie auch 6 rheinische Missionare – unter den 411 Kameraden waren, die am 19. Januar 1942 beim Unglückstransport von Sumatra nach Indien ihr Leben verloren. Das soll noch an späterer Stelle zur Sprache kommen.

In jedem Lager, oder wie die Engländer später sagten, „Wing“ war auch ein kleines Hospital, in dem besonders die Dysenteriekranken behandelt wurden. Für eine knappe Woche war ich auch einmal dort zu Gast. Wir hatten in „Blok“ C das große Glück, dass wir von un­seren guten Missionsärzten betreut wurden. Dr. Thomsen, der Jahr­zehnte in Nias gearbeitet hat, sei besonders erwähnt. Außer, dass wir täglich 2 mal Appell hatten und bisweilen auch Küchendienst und Tischdienst, gab es keine Lagerarbeit. Manche legten sich am Rande des Stacheldrahtes ein kleines Gärtchen an, wo sie Tomaten, Gurken oder ein paar Blümlein zogen. Spaziergänge außerhalb des Lagers gab es nicht. Gegen Malaria wurden in jeder Woche zwei Chinin­pillen verabreicht, die ich sorgfältig sammelte. Die ganzen Jahre habe ich, Gott sei es sehr gedankt, ohne schwere Krankheit über­standen.

Jeder suchte, so gut es ging, sich zu beschäftigen. An Kursen – besonders für uns theologischer und sprachlicher Art -, Vorträgen, Musik, Theater und Bücher war kein Mangel. Aus einer holländischen Zeitung wurden für alle am Abend die Nachrichten vorgelesen. So vergingen Tage, Wochen, Monate und Jahre.

Anfang November 1940 waren Frauen und Kinder nach Raja ins Frauenlager verfrachtet worden. Es war auch mit Stacheldraht umgeben, allerdings durften sie Spaziergänge (+- 1 Kilometer) machen, was den Männern bei den Holländern niemals erlaubt worden war. Von uns aus betrug die Entfernung zum Lager Raja etwa 100 Kilometer. Auch eine für die Frauen beantragte Be­suchserlaubnis wurde glatt abgelehnt. Da Weihnachten näher kam, bastelte nun jeder eifrigst an irgendwelchen Geschenken für die Frauen und an Spielzeugen für die Kinder. Nach vielerlei Anfragen an die beiden Lagerleitungen konnten die Sachen auch verschickt werden. Bei mir stand die Kokosschalenschleiferei hoch im Kurs.

Für die Mutter machte ich schöne Knöpfe und Schnallen und für die Kinder Körbchen, Eimerchen, Rasselschen und kleine Tellerchen mit ganz verschiedenen Musterungen der Holzfaserung, die erst bei in­tensivem Schleifen wunderbar herauskam. An einem Kokoskörbchen oder Wiege arbeitete man mit primitivem Blechmesser, Blechsäge und Schleifpapier eine ganze Woche lang. Die Schreiner unter uns waren besser dran und stellten kleine Stühle und ganze Puppenstuben her. Das alles wurde mit viel Einsatz getan und mit viel Freuden im Rajalager empfangen.

Im Laufe des Jahres 1941 gab es mancherlei große Aufregungen in beiden Lagern. Man hatte über den Schweizer Konsul den Frauen nahe­gelegt, evtl. über den fernen Osten und Russland nach Deutschland zu reisen. Der Krieg mit Russland Juli 1941 vereitelte diesen Plan. Ein weiterer Plan war der, dass Frauen und Kinder mit einem japani­schen Schiff nach Japan reisen sollten. Aus Karten von Raja wurde dann ersichtlich, dass ein wichtiger Termin ihnen zu spät bekannt wurde. Von da ab warteten sie – geradezu auf gepackten Koffern sitzend – ganz vergeblich auf einen weiteren Termin. Nur einige wenige Frauen aus dem Frauenlager Tarutung sind bis Japan ja sogar bis nach China gekommen. Das Endergebnis aber war, dass sie noch später als unsere Frauen und Kinder 1947 nach Deutschland kamen.

Neben den Russen kamen die Japaner 1941 auch noch in den Krieg, was für Indonesien von weitreichenden Folgen sein sollte.

Von diesem aufregenden Jahr sind seltsamerweise noch kS Karten vom Alaslager und noch 2o Karten von meiner Frau vom Rajalager vorhanden. Sie sind ein Dokument dieser Zeit, und sie haben nicht nur die Zen­sur, die manches tilgte, sondern auch die weiteren Jahre überdauert.

Weil in ihnen ein Stück Zeitgeschichte mit deutlich wird, will ich zuerst einiges aus dem Geschehen im Alaslager und dann aus dem Frauenlager geordnet dem Datum nach darlegen.


Aktuelles aus Karten von Lager zu Lager
– Einiges aus Karten aus der Alasvallei –

28.05.1941

Habe mir eben das Bild von Tante Adele angesehen. Herr Müller sagt, dass er oft Zwiesprache mit ihr hält, dass er aber keine Antwort bekommt. Wenn ich nun euch drei sehe, dann geht mir auch die Sehnsucht in wortlosem Ge­spräch durch’s Herz. Ja, die Trennung ist doch das Schwerste.

31.05.1941

Wer hätte je gedacht, dass wir uns hier im Land noch einmal über 100 Karten schreiben würden, öfters gehen jetzt unsere Gedanken in die Heimat. Es ist ja fast ein Wunder, dass dort noch alle gesund sind und gegenseitige Nachricht da ist. Kaufe für Bertold zum Geburtstag einen Baukasten.

04.06.1941

Was dürfen wir doch dankbar sein, dass Gott uns gesunde und fröhliche Kinder gegeben hat. Wie schön schreibst du über ihre geistigen und körperlichen Fortschritte. Wenn Euch Gottes Güte fernerhin so beschützt, dann werden wir diese Zeit überstehen. Mir geht es gut. Jede Klage wäre Undankbar­keit gegen Gott.

21.06.1941

Höre, dass 5. Juli euer Abreisetermin sein soll. Dies wäre dann die Abschiedskarte. Freudig lasse ich Euch unter Gottes Schutz ziehen. Sorge nicht um mich. Wir wollen alle sorgen­den Gedanken auf Gott werfen. Viele Grüße und auf Wiedersehen in der Heimat!

26.06.1941

Du fragst, ob ich Dich gerne ziehen lasse? In diesem Schick­salsweg unseres Volkes müssen wir gerne das Opfer der Trennung bringen. Die Sicherheit der Kinder ist wichtiger als der eigene Schmerz. (Diese Karte hatte ich schon an S.S. Asama Maru gerichtet; die Frauen waren aber geblieben).

07.07.1941

Wenn es auch schade ist, dass Du in der vergangenen Woche den Sprung in die Freiheit nicht wagtest, so ist doch in meinem Herzen kein Vorwurf. Ich habe mit Dir gebangt und ge­sorgt. Manche waren hier sehr ungehalten, aber keine lieb­lose Äußerung ist über meine Lippen gekommen. Halte Dich auch zurück. Sei in Dir selber stark, um in der Gemeinschaft einsam sein zu können.

12.07.1941

Habe Dank für die liebevolle Aufklärung. Die nichtgegebene Möglichkeit hat unangenehme Tage bereitet, aber ich habe volles Verständnis für Dein Verhalten. Hoffentlich wird Euch bald eine neue Reisemöglichkeit gegeben, wenn nicht neue weltpolitische Entwicklungen dazwischenkommen. Alle unsere Sorgen wollen wir auf Ihn werfen, denn Er macht alles wohl. Also Anneliese steht schon! Und für Bertold ist es besser, ein Lausbüblein als krank zu sein. Lass uns weiter tapfer sein.

18.07.1941

Nächste Woche hat Bertold Geburtstag. In meiner Erinnerung lebt er als kleiner Bub in der Box. Und doch ist er schon ein Bursch, der manche Mühe macht. Eine Jahresentwicklung ist mir völlig verborgen. Von Anneliese habe ich, außer Bilder, keinerlei Vorstellung. Ja, so geht es in Kriegs­zeiten! Unsere Eltern haben auch durch solche Nöte hindurch gemusst. Dankbar, dass Gott Bertold gesund erhalten hat und Dir durch die kleinen Schätzlein viel Liebes in der Trennungs­zeit gegeben ist. Mir geht es stets gut.

22.07.1941

Gerne möchte ich Anneliese einmal stehen sehen, Übungen machen und sprechen hören. Freue mich sehr, dass Euer Küchen­dienst leichter geworden ist. Ja, nun müsst Ihr halt warten! Ob es für Euch noch eine Reisemöglichkeit gibt, ist sehr fraglich, denn in diesem Monat hat sich die Lage hier im Fernen Osten sehr zugespitzt. Aber wir sind in Gottes Hand und sind ihm dankbar für der Kinder Gesundheit. Wie sehnt sich mein Herz nach Euch!

25.07.1941

Heute kam Nachricht ins Lager, dass Schweizer Konsul Mit­teilung über neue Abreisemöglichkeit gemacht habe. Hoffent­lich gibt es diesmal keinen neuen Hinderungsgrund. Lasst Euch die Freiheit nicht entgehen. Die Asama Maru ist gut ange­kommen und von Japan sind nur gute Nachrichten gekommen. Wegen der weiteren Postanschrift teilt alles genau mit, denn sonst bekommt Ihr wieder länger keine Nachricht. (Wer hätte damals gedacht, dass die gegenseitige Post bald über 4 Jahre ausbleiben sollte!)

05.08.1941

Aus Deiner Karte ersehe ich, dass Ihr Bertolds Geburtstag in Gesundheit und mit schönen Geburtstagsliedern gefeiert habt. Der Ton des Zusammenklangs ist also doch sehr gut. Nehmt die kleinen Unannehmlichkeiten des Stacheldrahtdaseins mal von der heiteren Seite. Ich mache mir auch keine Sorgen über Dinge, an denen ich doch nichts ändern kann. Mir geht es sehr gut.

09.08.1941

Die 10 Gulden habe ich erhalten. Schicke mir aber kein wei­teres Geld, denn ich komme mit den monatlichen 10 Gulden, die wir hier empfangen, gut aus. Die Gefangenschaft hat uns viel zu sagen, so dass wir auch in Zukunft alles vertrauend und gläubig aus Gottes Vaterhänden empfangen.

13.08.1941

Freue mich, aus Deiner Karte zu erfahren, dass nun wieder mehr Ruhe eingekehrt ist. Die Hinausschiebung der Japanreise war sicherlich Gottes Wille, denn es wäre damals eine ganze Kleinigkeit gewesen, Euch auf den Weg zu bringen. Nur Ver­trauen auf Gott macht uns still. (Das Weitere vom Zensor getilgt).

16.08.1941

Die Schlafanzüge und Strümpfe habe ich schon erhalten. Durch Bücherlesen, ein wenig malaiisch lernen und durch Vertiefung im Neuen Testament vertreibe ich mir die Zeit. Zwischendurch kommt ein Handballspiel dazu. Lass uns die längere oder kürzere Stacheldrahtzeit auch dankbar als Gottesweg erkennen. Grüße Annelieslein und Bertold vom Vater, den sie nur vom Bild her kennen.

23.08.1941

Die Dysenteriekranken sind auch wieder alle auf Besserung. Meine leichte Magenerkältung habe ich durch Schwitzen kuriert. Heute wieder Handball gespielt. Möchte gerne ein­mal Bertold und Anneliese zusammen spielen sehen. Wie gut, dass Du für Euch genügend Obst kaufen kannst, wenn auch vom wenigen Taschengeld. Heute hat L. Nommensen Geburtstag. Wie gut, dass unsere Nachbarn vom Tobasee noch vor dem Krieg mit Holland in die Heimat gereist sind. Der wunderbare Regenbogen über dem See bei ihrem Abschied von uns war ja wirklich wie ein verklärtes Tor in die Freiheit.

30.08.1941

Der Schweizer Konsul war gestern hier. Wenn Gott kein Wun­der tut, gibt es keine Abreisemöglichkeit mehr. Vielen Dank für die Bildkarten. Von den Bildern her kann ich mir Bertold noch gut verstellen. Annelieslein trägt richtig Omas Ge­sichtszüge. Auf den ersten Blick aber wäre ein Erkennen un­möglich. Alleine vom Bild her muss ich sie aber recht lieb haben. Deine Anfragekarte für die Spielsachen usw. noch nicht erhalten.

03.09.1941

Über die Kinderbilder habe ich mich doch sehr gefreut. Bertold ist auf dem Pferdchen schon ein richtiger großer Junge. Seit gestern fühle ich mich nicht wohl. Ich gehe heute in unser kleines Hospital. Wenn man direkt geht, hat man Aussicht, auch schnell besser zu werden. Bei der guten Behandlung von Dr. Thomsen ist jede Sorge unnötig.

07.09.1941

Ich habe eine ganz leichte Dysenterie. Es hat alles auch seine gute Seite. Die Ruhe hier ist sehr wohltuend. Geht’s so weiter, dann bin ich in 14 Tagen durch. Schmerzen habe ich keine. Über den leichten Krankheitsverlauf bin ich dank­bar. Bertold vertritt mich also bei Deinen Morgenspazier­gängen. Hoffentlich ist auch seine Magenverstimmung nichts Schlimmes.

10.09.1941

Wie dankbar bin ich, dass ich nach einer Krankheitswoche wieder völlig gesund geworden bin. Vielleicht darf ich bald wieder in die Baracke. Wie nützlich ist doch eine sofortige Behandlung. So haben wir neuen Anlass, für Gottes Freundlich­keit zu danken. Stets erquicke ich mich an den Bildern. Lei­der Deine Anfragekarte immer noch nicht erhalten. Seltsame Verzögerung!

13.09.1941

Morgen ist Anneliesleins Geburtstag. Lass uns Gott danken für Gesundheit nach Leib und Seele, die er ihr im 1. Lebens­jahr gegeben hat. Ich bin wieder gesund entlassen. Anneliesleins Losung: „Ich will dich nicht verlassen noch ver­säumen“, gilt für uns alle. Möge Gottes Treue auch fernerhin so mit uns sein. Endlich ist die Anfragekarte gekommen!

17.09.1941

Mits deze verleent de Beherder van het Beschermingskamp te Raja tustemming voor het Zenden van een pakket mit ondervolgende inhoud aan Frau Anna Klappert: 1) 5 St. Kinderenspeelgoed. 2) 24 Knoopjes. 3) 1 mandje uit Kokos- hout. k) 6 schaaltjes uit Kokoshout.

24.09.1941

Du hast also einen Europaluftpostbrief erhalten. Ja, ich wünsche auch, dass wir alle unsere Lieben noch einmal ge­sund Wiedersehen möchten. Wir können nur betend an sie alle denken. Wie froh bin ich, dass Bertold wieder gesund ist und Ihr alle tapfer und fröhlich seid. Viele Kinder haben wohl eine Art Pockenkrankheit gehabt? Gott möge Euch weiterhin behüten. Unsere Sorgen werfen wir auf ihn. Er hat auch Euer Abreisen oder Nichtabreisen in der Hand. Mir geht es gut.

27.09.1941

Sollte de Kleine in Euer Kamp kommen, bin ich mit Anneliesleins Taufe einverstanden. Lass den Taufschein dann auch von ihm unterschreiben. Kinder, die in Notzeiten geboren worden sind, werden oft Sonnenkinder. Wie schön, dass sie Dir so viel Freude machen. Lass uns bitten, dass Gott auch seinen guten heiligen Geist in ihre Herzen hineinsenkt. Hier sind schöne Bilder der Frauen und fabelhafte Berichte von Japan eingetroffen. Heute wieder Handballspiel gemacht. Ich bin also wieder ganz leistungsfähig.

08.10.1941

Heute sind wir ein Jahr hier. Wie schnell doch die Zeit ver­geht! Sehe mit Ruhe der Zukunft entgegen, denn Gottes Wille und Weg ist maßgebend. Der Aufblick zu ihm stillt die Sehn­sucht des Herzens. Leime doch die gesprungene Kokosrassel. Die schöne Maserung des Holzes ist immer wertvoll. Ich mache gelegentlich eine neue. Dies ist die 134. Karte, die ich Dir geschrieben habe. Deine Anfragekarte für die Weihnachtswünsche habe ich bisher nicht erhalten.

15.10.1941

Habe Deine Karte Nr. 127 erhalten. Mit den Weihnachtssachen habe ich jetzt angefangen. Ob ich wohl bald die Anfragekarte von Dir bekomme, damit Du folgendes bekommen kannst? Für Dich: Knöpfe und Schnallen und ein Körbchen. Für Bertold: Hampelmann, kleine Eimer und Spiel aus Ringen. Für Anneliese: Glocke mit Rassel. Sollte Deine Anfrage noch nicht abge­gangen sein, dann setze doch hinzu: Ein Pappkartonspiel und ein Bambusrohrspiel.

25.10.1941

Inzwischen habe ich an den Weihnachtssachen gearbeitet. Die Übertreibungen rauben mir aber manchmal die Freude, mit ganzem Einsatz daran zu arbeiten. Neid oder Missgunst, dass bessere und schönere Dinge gemacht werden, ist keine Triebfeder für mich. Ich darf nicht aus der inneren Ruhe, die theologische Arbeit mir gibt, und aus meinem Gleichgewicht des Seelen­friedens kommen.

29.10.1941

Habe das Paket endlich abgeben können. Die Abgabe war sehr umständlich: Nachgesehen, zurückgegeben, wieder hingebracht, wieder zurück und nun wird es hoffentlich nach Annahme auch ankommen, denn ich hatte Deine zweite Anfragekarte erhalten. Tagsüber suche ich mir einen ruhigen Platz in der Essbaracke, denn in der Schlafbaracke geht es aus und ein. Hoffentlich könnt Ihr doch bald nach Japan. Diese Zeit ist ja voller Seltsamkeiten. Für längere oder kürzere Zeit der Trennung genügt, dass unser Weg in Gottes Hand liegt.

31.10.1941

Lass ruhig alle Kinder an Bertolds Drehspiel sich erfreuen. Mach‘ ihm zu Weihnachten nur ganz neue Glöckchen hinein. Er soll es aber jetzt schon haben als ein verspätetes Geburts­tagsgeschenk. Lass uns in dieser Zeit großzügig und nicht kleinlich sein. Ich bin gesund und fröhlich.

08.11.1941

Heute war ein glücklicher Tag für mich. Erst ein Handball­spiel, dann eine Luftpostkarte von Dir und dazu noch Bilder. Sie zeigen mir, dass Du den Kindern ein richtiges, liebes Mütterlein geworden bist. Mit viel Freude arbeite ich noch an einer Holzwalze für Bertold. Anderes habe ich ausgesetzt, denn man kann nicht zwei Herren dienen. Wie gut, dass Annelieslein wieder gesund ist. Mir geht es sehr gut, hoffentlich auch Euch weiterhin.

12.11.1941

Mit Erfolg an Bertolds Walze gearbeitet. Habe für ihn noch ein Rohr mit Stopfen gemacht. Schütte einige Tropfen Öl ins Rohr, dann geht es sehr leicht und knallt ganz gut. Ohne Öl und mit Gewalt zerbricht das Bambusrohr. Ich habe selbst zwei zerbrochen. Auf der zweiten Anfragekarte fällt einiges aus. Dafür setze ich die Walze ein.

19.11.1941

Wer hätte je gedacht, dass ich einmal Zeit hätte, Kinderspiel­zeug zu machen. Bertold habe ich noch nicht laufen gesehen und nun läuft Annelieslein schon herum. Wie dankbar dürfen wir über die gesunden Kinderlein sein. Hier treten beim Theater­spiel auch Männer als Frauen auf. Ob Ihr auch so täuschend Männer auftreten lassen könnt, ist mir noch fraglich. Wenn schon, dann möglichst nicht in meiner Schlafjacke. Aber es ist gut, dass Ihr Euch auch in ähnlicher Weise Freude macht. Nun wünsche ich Euch noch eine gesegnete Adventszeit.

25.11.1941

Bertolds Holzdampfwalze muss ich noch fertig anstreichen. Ohne jegliche Modelvorlage ist sie noch ganz gut gelungen. Eine Erlaubnis für eine größere Sammelsendung an Euch ist schon da. Es ist wirklich von allen angestrengt gearbeitet worden. Einige haben sich sogar überarbeitet! Ihr werdet Eure helle Freude an all den Sachen haben. Ob ich Dich nächstens einmal mit Annelieslein hier begrüßen darf? Wir sind voller guter Zuver­sicht. (Das war allerdings eine Täuschung, denn mit Jahres­ende war auch unsere Zeit in der Alasvallei zu Ende).

29.11.1941

Deine letzte Karte war vom 12. dieses Monats. Heute wieder ein Handballspiel, was stets eine körperliche Erholung ist. Morgen ist eine Weihnachtssachen-Ausstellung. Von mir ist nur die Walze dabei. Ihr werdet über die Fülle und Verschiedenheit aller Sachen sehr staunen. (Wieder einige Reihen von der Zensur getilgt).

03.12.1941

Hier geht das Gerücht um, dass Kranke und Sechzigjährige via Java nach Japan reisen sollen. Die Entscheidung fällt für die schwer, deren Frauen und Kinder auch hinter dem Stacheldraht sind, die aber nicht direkt mitreisen dürfen. Das sind alles Aufregungen, aber auch evtl. kleine Licht­blicke. Doch noch leuchtet nicht die Sonne über unserem Freiheits- und Wiedersehenstag. Das Bilder-Legespiel kannst Du in Einzelklötzchen teilen, denn das Holz ist schon durch und durch zersägt. Mir geht es gut, was ich auch von Euch hoffe.

06.12.1941

Zu Mutters Geburtstag habe ich einen Europa-Luftpostbrief geschrieben. Von Dir zwei Karten dankend erhalten. Wir haben mit Dr. Verwiebe einen kleinen Bibelarbeitskreis ge­bildet. Wenn Bertold ein Trotzköpflein ist, dann versuche, seinen Willen zu lenken nicht zu brechen. Ihr singt jetzt Weihnachtslieder und er kann schon mitsingen. Selbst wenn solch ein singendes Lernen wohl mehr ein fröhliches Spiel sein soll, dann ist es doch noch zu früh. Er ist ja knapp zweieinhalb Jahre alt. Was muss so ein Kindergehirn nicht ohnehin schon alles verarbeiten! überlaste ihn nicht.

15.12.1941

Wenn diese Karte ankommt, dann ist Weihnachten schon vorbei. Hast Du wohl für Bertold das Spiel erhalten? Freut er sich? Haben Dir die anderen Sachen gefallen? Wenn Euch irgendetwas besonders gefällt, dann teilt es mit. Ich mache es dann. Mit Anneliesleins Taufe hat es noch Zeit. Es muss erst eine Ge­legenheit sein. Wie gut, dass die Mandelentzündung vorbei ist. Gott erhalte Euch fernerhin gesund. Mir geht es gut. (Die Taufe sollte 1942 Missionar Weiler an Anneliese vollziehen. Er war der einzige Missionar, der das Unglücksschiff über­lebte, wie noch beschrieben wird).

20.12.1941

Morgens arbeite ich jetzt mit an der Sportplatzverbesserung. Bis neun Uhr ist die Hitze noch erträglich. Fühle mich gesund, munter und auch fröhlich. Würde mich natürlich über einen Be­such Deinerseits sehr freuen. Ich glaube aber, dass er jetzt wohl nicht mehr erlaubt werden wird. (Nächste Zeile vom Zensor getilgt). Gottes Kraft war bisher sichtbar über uns. Lass uns fernerhin auch in 1942 alles Erleben ganz aus seiner Gnaden­hand empfangen. Hoffentlich ist nun alles gut angekommen. (Die nächste Zeile war wieder getilgt).

Das ist die letzte Karte, die ich von der Alasvallei noch in meinen Händen habe. Es ist auch wohl die letzte Karte, die ich geschrieben habe, denn die Ereignisse nahmen nun für uns einen dramatischen Ver­lauf. Auch der auf der 1. Karte erwähnte Herr Müller hat nie wieder mit seiner Frau Adele Zwiesprache halten können, denn er ist mit dem Un­glücksschiff untergegangen. Nun aber noch einige Karten aus dem Frauen­lager.

13.06.1941

Für Dein liebevolles Verstehen danke ich Dir. Ich glaubte, Du wärest nun ungehalten. Vielleicht versteht Ihr die Dinge jetzt besser. Das für uns wichtigste Telegramm des Schweizer Konsuls hat uns nicht erreicht. Wir warten nun weiter auf Fahrgelegenheit. Bis jetzt aber noch nichts gehört. Ihr wisst anscheinend mehr! Wir sind jedenfalls bereit. Trotz der unruhigen Lage geht es mir sehr gut und auch den Kindern. Nun sorge nicht. Uns dient ja alles zum Besten. Das wir’s nur glauben.

16.06.1941

Ihr wartet ungeduldig auf unseren weiteren Bericht. Der Schweizer Konsul sagt, dass wir mit Sicherheit reisen werden. Wie freue ich mich, wenn ich in Japan bin, dass ich dort Ruhe genießen kann. Das Reisen mit den Kinderlein ist aller­dings keine Kleinigkeit. Annelieslein wiegt jetzt 18 ½ Pfund. Sie ist ein lebhaftes Persönchen. Sie fertigmachen ist für mich schon eine Anstrengung. Darf die Box mitnehmen. Bertold ist so herzig. Geistig kolossal rege. Manche meinen, er würde jetzt schon 3 statt 2 Jahre alt. Freue Dich über solche Gottesgeschenke.

03.07.1941

Heute Deinen trostvollen Abschiedsgruß erhalten. Leider sind wir nicht mehr mit dem Transport mitgekommen. Ob es Menschen verhüteten, ob es Gottes Weg ist, bleibt nun die Frage. Vier Tage vor Abreise des Schiffes kam erst Bescheid. Eine schnelle Fragemöglichkeit an Euch war nicht gegeben. Wir wussten nicht, was wir tun sollten! Als Eure Telegraphenant­wort kam, haben wir sofort den Schweizer Konsul um die Abreise­möglichkeit gebeten. Doch es war zu spät. Er tut, was möglich, um jetzt noch Reisemöglichkeit für die Rajaleute zu schaffen.

06.07.1941

Wir sind immer noch hier und wissen auch weiter nichts. Wie enttäuscht werdet auch Ihr sein. Hier ist wieder alles ruhiger geworden. Auch jetzt weniger Arbeit in der Küche – haben gute Chinesenköche. Mir und Deinen Schätzen geht es sehr gut. Könntest Du sie doch sehen! Anneliese steht stramm in der Box und kräht vor Vergnügen und Lebenslust. Bertold kann so schön und deutlich sprechen. Heute durfte er auf einem weißen Schimmel reiten, welche Freude! Lese jetzt die Lebensbeschrei­bung von Georg Müller: „Niemals enttäuscht“. Solche Glaubenshelden sind vorbildlich. Bin so dankbar für Dein Wohlergehen. Nur wenn Du fröhlich bist, bin ich’s auch.

09.07.1941

Ob wir überhaupt noch wegkommen? Ob evtl, in kleinen Trüppchen? Viel Trost gibt’s mir täglich, dass unser Weg in Seinen treuen Vaterhänden liegt. Auch in der Fügung unseres Hier­bleibens ist doch Seine Hand sichtbar. Bald hat Bertold Ge­burtstag. Ein Baukasten hat hier keinen Zweck. Binnen zehn Minuten fliegen alle Klötzchen im Camp herum. Ein Auto wäre besser. Anneliese ruft oft: „Papapapa“. Sie lernt schneller laufen als Bertold! Wie gut tut nach aller Unruhe die gute Mittags- und Nachtruhe. Die Kinder schlafen von 6 bis 6. Uns geht’s gut. Nur Du fehlst uns.

23.07.1941

Freue mich über Deine Zuversicht, dass wir evtl. doch noch reisen. Leider noch nicht meine Wäschekiste erhalten. Ob sie verkauft wurde? Bekommst Du auch 10 Gulden, weil un­sere Sachen alle eingezogen worden sind? (Ja, es gab des­halb monatlich 10 Gulden extra). Bertold betete gestern Abend, dass Vater ein lieber Junge würde. Er ist so drollig in seinen Aussagen. Für die Reise kaufte ich allerlei Le­bensmittel ein. Uns geht’s sehr gut. Nur nicht sorgen, hörst Du! Erinnerst Du noch Dein letztes Versprechen beim Abschied: „Ich bete für Euch!“

27.07.1941

Gestern endlich die langersehnte Wäschekiste bekommen. Hoffentlich machen die jetzigen politischen Ereignisse kei­nen Strich durch unsere Reisepläne. Wir wissen gar nichts. Ja, Geduld tut Euch und uns not! Die Kinder sind meines Herzens Freude. Bertold hat jetzt 16 Zähnchen. Jeden Sonntag darf er reiten. Großes Vergnügen! Anneliese ist ganz Dein Ebenbild. Ich lese jetzt „Hudson Taylor„, ein wundervolles Buch. Könnten wir doch so wie er glauben und alles aus Gottes Hand nehmen. Uns geht’s immer gut. Täglich haben wir viel Grund zum Danken.

30.07.1941

Unsere Reise wird wohl ins Wasser fallen. Wir hören nichts mehr. Soll ich nun darüber traurig sein, wie manche? Nein, nichts geschieht ohne Seinen Willen. Sorge auch Du nicht, denn uns geht’s gut. Bertold ist ein Lausejunge. Gestern Mittag wollte er nicht einschlafen. Zweimal habe ich ihn vor die Tür getan.

Anna Klappert 1935

Weißt Du was der Bengel vor der Tür ruft: „Böse Mutti, böse Tante Anna!“ Verboten so was! Aber müsstest ihn singen hören: „Ein reines Herz, Heern, sap in mir“. Einfach süß! Ach, es gibt der Freuden so viel, die Dein Vaterherz entbehren muss. Gott schenke uns baldiges Wieder­sehen!

12.08.1941

Eben komme ich aus der Bibelstunde, die Schwester Elfriede hält. Ich versäume keine. Jeden Abend suchen Dich meine Ge­danken jenseits der Berge. Ich bin so dankbar, dass Du gesund bist. Uns geht’s auch sehr gut. Annelieslein ist so ein süßes Herzlein. Sie muss schon thronen. Nun wird sie bald ein Jahr alt, läuft Dir nächstens entgegen. Sehne mich so nach dem Augenblick, wo ich Dir die Kinderlein in die Arme legen darf. Annelieslein ruft: „Mamma, Papa!“ Du glaubst nicht, wie ener­gisch das kleine Persönchen ist. Sie wird Bertold über’s Ohr hauen. Bertold ist ein Mutterjunge, hat soviel Liebes. Vater­erbstück? Die Raja-Höhensonne tut den Kindern gut. Kaufe viel Apfelsinen, auch Eier und Butter.

31.08.1941

Annelieslein ist nun schon bald ein Jahr. Lass uns Gott danken für alle Freundlichkeit. Ach, wieviel würde mir fehlen ohne sie. Bertold ist ein Lausejunge. Unbewacht trampelte er heute mit Schuhen in meinem Bett herum. Er war sehr vergnügt dabei. Sein „Bäuchi“ ist allerdings nicht ganz in Ordnung. Du darfst mir niemals verheimlichen, wenn Du mal krank wirst, denn es ist schlimm, wenn man es von anderen zuerst hört. Wann werden wir uns wohl Wiedersehen? Ich sehne mich nach Deiner Gemein­schaft.

03.09.1941

Heute war der Schweizer Konsul hier. Er kam zu uns als ein warmer Gruß von Euch. Das Reisen ist also jetzt ganz unbe­stimmt. Es wurde allerlei mit ihm besprochen. Wir kamen nochmals auf die Taufangelegenheit. Manche wollen um die Kleine bitten. Warst auch Du mit Anneliesleins Taufe einver­standen, wenn er kommen sollte? Treibst Du auch Gartenbau? Hörte von großen Erfolgen. Annelieslein hat jetzt 10 Zähnchen, ganz enorm für ihr Alter.

21.09.1941

Sehr gefreut über Deine Karte 127. Dass Du so bald wieder gesund geworden bist, zeigt mir Deine Widerstandsfähigkeit. Das ist viel Grund zum Danken. Diese Woche gibt’s hier Tarutungzuwachs von 7 Frauen. (Es war der Rest vom Tarutunglager, die nicht mit nach Japan gereist waren). Heute Nachmittag feiern wir Bruder Tiems Geburtstag. Mit Hanna habe ich ein sehr gutes Verhältnis. Könntest Du Deine Schätze mal sehen! Annelieslein ist hübsch, hat Grübchen auf beiden Backen. Bertolds Haar beginnt jetzt zu dunkeln. Kannst Du für die Kinder ein stabiles Weihnachtsgeschenk arbeiten? Etwas zum nachziehen?

24.09.1941

Soeben Karte 128 erhalten. Bin so dankbar für Dein Wohler­gehen. Ja, Anneliesleins Geburtstagslosung ist köstlich. Gebrauchst Du auch noch die alte Losung? Bertolds Bäuchi ist wieder ganz in Ordnung. Könntest Du Bertold singen und reden hören, Du würdest staunen. (Das ist wohl geblieben, aber nicht in Bezug auf’s Singen). Leider ist die schöne Kokosrassel gesprungen. Bertold hat sie auf die steinerne Treppe fallen lassen. Wann werden wir Dich Wiedersehen? Doch alles zu Seiner Stunde. Ich muss oft an andere denken, die ihr Liebstes für immer hergeben und opfern müssen. Bewahre Dir allzeit ein fröhliches Herz. (Wie nahe das Opfern auch für Frauen in Raja bevorstand, ahnte damals noch niemand).

01.10.1941

Erhalten 129. Aus der Taufe wird wohl nichts werden. Ich weiß jedenfalls Deine Meinung. Anfragekarten immer Pech! Nun hoffe ich doch, bald Sachen zu erhalten. An einer Hand gefasst, läuft Annelieslein recht weit. Alleine wagt sie es noch nicht. Bertold ist so eifersüchtig auf sein Schwesterlein. Als ich kürzlich Anneliese auf dem Arm hatte, sagte er: „Anneliese will lieber sitzen“. Nur damit er auf den Arm kam. So ein Schlingel! Nun seid Ihr bald ein Jahr dort. Lass uns tapfer sein. Unsere Zeit ist in Gottes Händen.

08.10.1941

Karte 131 erhalten. Ja, wieviel musst Du in Bezug auf die Kinderlein entbehren! Aber sei getrost, auch diese Freuden kommen wieder. Das tägliche Gebet für unsere Kinder ist mir auch ein herzliches Anliegen. Nun ist es schon ein Jahr, dass Ihr durch Toba kamt. Was liegt in diesem Jahr an Not, Elend, Tod, aber auch Sieg. Unsere Kinder sind ein reizendes Paar. Bertold ist auch verliebt in sein Schwesterlein. Gestern saßen sie sich gegenüber – Topftagessitzung! Da nahm er ihr Köpfchen in seine Händchen und sagte: „Mein Schätzchen!“

Ist das nicht drollig? Ich wurde an vergangene Zeiten er­innert. Wie die Alten sungen… Halte stets den Kopf hoch. Gott gibt täglich besondere Kraft.

15.10.1941

Schicke mir bitte ein Paket mit folgendem Inhalt: (Diese Karte war die ersehnte Anfragekarte für die Weihnachts­sachen und darunter stand in Holländisch die Erlaubnis dazu): Tegen toesending van de hier genoemde artikelen is geen bezwaar, de Beheerder.

23.101941

Mittagsruhe! Bertold schläft schon. Annelieslein kräht vergnügt in der Box. Ihre ersten Worte: Mama, Papa, Wauwau, dudu! Ach so süß ist sie! Lacht sie, dann gleicht sie ganz Deiner Mutter. Ich glaube, sie wird später Dein Liebling. Nun schläft sie durch von ½ 7 bis 6 Uhr morgens. Bertold ist ein Fragekasten. Was das ist, fragt er bei allen Sachen. Mit Inge, seiner liebsten Freundin, haut, beißt und ver­trägt er sich wieder. Post hatte ich diese Woche nicht. Bin gespannt auf die Sachen, die Du für die Kinder schickst. Ja, Liebe macht erfinderisch! Uns geht’s immer gut. Laß uns weiter hoffen und nur nicht müde werden, hörst Du!

30.10.1941

In früher Morgenstunde viele herzinnige Grüße. Träumte ver­gangene Nacht, dass Du bei mir wärst. Wundervolle Stunden! Aber dafür wenigstens Karte 135 erhalten. Weil ich schon übergenug angefragt habe, erfülle mir die Bitte, dass Du jetzt nichts mehr arbeitest. Ich möchte, dass unsere Kinder­lein auch früh Bescheidenheit lernen. Lass Dich es niemals bedrücken, wenn andere übertreiben. Wenn es um die Kinder geht, dann wird leicht übertrieben. Das geht überall so. Lass uns darüberstehen und lass nichts Dir Deinen Seelenfrieden rauben. Erbitte Dir täglich neue Kraft von oben.

07.11.1941

War das eine Freude als Euer großes Paket ankam. Alle Kinder kamen herbei, um die Sachen zu sehen. Bertolds strahlende Augen hättest Du sehen müssen. Sein Drehspiel gab er nicht mehr aus den Händen. Auch Annelieslein freute sich sehr an der niedlichen Rassel. Wie erfinderisch bist Du geworden. Ziehe ich am Hampelmann, dann leuchten ihre Augen. Und wie reich hast Du die Mutti bedacht! Wie schön die Knöpfe, Schnallen und Schälchen! Die Knöpfe haben wundervolle Formen. Ich meine, es wäre fast zuviel all Deiner Liebesmühe. Wir danken Dir so sehr. Uns geht es gut. Mit Interesse besah ich die alte Schlafanzugsjacke, die Du zum Einpacken mit benutzt hast. Hast Du sie so wundervoll gestopft? 1.000 Grüße und inniger Dank von Deinem Kleeblatt.

Das ist nun die letzte Karte aus Raja, die ich noch wie ein Brand aus dem Feuer in meinen Händen habe. Es sind auch nicht mehr viele, die darauf folgten. Unbewusst sollten die letzten 1.000 Grüße nun wirk­lich für weit mehr als 1.000 Tage reichen, wo mich kein einziger Gruß mehr erreichte. Es kam die neue noch größere Trennung durch die Über­führung von Sumatra nach Indien und die Auflösung des Lagers in der Alasvallei. Die Japaner waren auf dem Vormarsch im ganzen Fernen Osten und sie streckten schon ihre Fühler nach Indonesien aus. Nie mehr sollten die Frauen eine Möglichkeit bekommen, nach Japan zu reisen. Ganz im Gegenteil: Die Japaner kamen nach Sumatra. Und nie mehr sollten die Männer auch nur noch über die Möglichkeit nachdenken, dass den Frauen einmal eine Besuchsmöglichkeit gegeben würde. Welt­meere sollten uns binnen ganz kurzer Zeit trennen. Die Kinder deut­scher Väter würden noch viele lange Jahre ihre eigenen Väter nur von alten Bildern her kennen.

Da die Japaner nicht mit dem Roten Kreuz zusammen arbeiteten, war für uns von Indien aus nach Sumatra keine Postverbindung möglich. Wir schrieben unter Zulassung der Engländer wohl viele Briefe, die aber nie ihr Ziel erreichten. Es kam niemals ein Echo. Die Japaner gaben diese Briefe – obwohl sie doch unsere „Bundesgenossen“ waren – einfach nicht weiter.

Die Frauen hörten ihrerseits auch nur, dass eine Möglichkeit der Post­verbindung nicht bestünde. So kam gleichsam über Nacht die große Nacht der Trennung, wo niemand mehr wusste, wo, wie und wovon man ge­genseitig lebte. Noch schlimmer war es, dass man ja auch gegenseitig nicht wusste, ob man noch lebte.

Die Frauen wurden schließlich von den Japanern auch nur halb befreit, d.h. sie mussten sich stets melden. Und sie wurden auch noch nicht einmal halb versorgt, d.h. sie sollten versuchen, sich selbst zu ernähren. So haben sie von ihren eigenen Bettüchern für die indone­sischen Kinder Anzüge genäht, auf dem inländischen Markt verkauft, um dadurch für sich selbst wieder Lebensmittel einkaufen zu können. Erst als die Engländer 1946 nach Sumatra vorstießen und dort die Ja­paner entwaffneten, wurde die oftmals sehr prekäre Lage der Frauen etwas sicherer. Nach der Kapitulation 1945 kam nämlich schnell die herrschaftslose Zeit, wo mancherlei Banden sich mordend und plündernd ihre Wege durch’s Land bahnten. Erst 1947 sollte die Rückkehr der Frauen und Kinder nach Deutschland erfolgen.

Ich habe damit weit vorgegriffen, um die Wichtigkeit obiger Karten­grüße darzutun. Sie gelten – wie die 1.000 Grüße – für all die vielen und langen Jahre der Trennung. Sie wecken auch zugleich die Spannung für den weiteren Verlauf der Geschehnisse.


3. Die unerwartete Überfahrt nach Indien

Die Ereignisse nahmen im Fernen Osten mit Macht ihren Lauf. Es kam wieder einmal für uns ganz anders als wir dachten. Als die Japaner auf ihrem Vormarsch schließlich auch Singapur vom Land aus eroberten, waren die damals von den Holländern noch be­herrschten Inseln im heutigen Indonesien ihrem Zugriff verfallen.

Weil die Holländer nun nicht wollten, dass die über 2.000 Inter­nierten frei wurden, planten sie, für Anfang 1942 drei Schiffe für den Transport aller Internierten nach Indien bereitzustellen.

Für das zweite Weihnachtsfest in der Alasvallei war alles im Lager diesmal ganz besonders gut vorbereitet. Daraus sollte allerdings nichts mehr werden. Am 22.12.1941 wurde uns nach dem Morgenappell mitgeteilt, dass wir uns für die Abfahrt bereithalten müssten. Das Ziel der Reise oder der Grund wurde nicht mitgeteilt. Nach welchem Schema die Namen für den ersten Transport aufgerufen wurden, war nicht einsichtig. Jedenfalls nicht nach dem Alphabet.

Ehe wir am anderen Morgen in die wieder mit Stacheldraht umwickelten Autos stiegen, wurden unsere wenigen Sachen erst ganz gründlich untersucht. Das wenige Chinin, das ich mir sorgfältig gesammelt hatte, wurde mir sofort weggenommen. Wir fuhren nun in einer Kolonne von etwa 40 Autos zu je 10 Mann mit Gepäck den langen Weg zur Ost­küste und von da zur Westküste wieder zurück.

In Siantar übernachteten wir im inländischen Gefängnis auf völlig durchwanztem Stroh, was die Nachtruhe zu einer Qual werden ließ. Im Blick auf den nächsten Tag, dem Heiligen Abend war dies geradezu ein unheiliger Abend und eine unheilige Nacht. Am 24.12., dem Heiligen Abend, befanden wir uns den ganzen Tag auf der Reise durch das Batakland, durch Toba, Silindung bis nach Sibolga. Wir wurden in Schulen untergebracht und warteten nun einige Tage auf das Schiff „Ophir“, das uns nach „Unbekannt“ bringen sollte. Von Weihnachten war jede Spur ausgelöscht.

Diesmal hatte man aus der Erfahrung der Triumphfahrt vom Oktober 1940 gelernt und die Straßen für den Transport nicht extra freigehalten.

So war die Bevölkerung nicht wie damals darauf eingestellt. Zudem war ja auch Heiliger Abend, wo sie alle Hände voll zu tun hatten für das Fest. Und am Abend wollten sie ja alle rechtzeitig in der Kirche sein, um überhaupt noch einen Platz in den überfüllten Gotteshäusern zu bekommen. Weil es die letzte Fahrt mit den Stacheldrahtautos durch’s ganze Batakland war, sollen hier gleichsam als letzter Ab­schiedsgruß vom schönen Batakland einige Reime stehen, die die unvergängliche Schönheit dieses Landes widerspiegeln. Damit werden zugleich Eindrücke und Empfindungen all derer wiedergegeben, die niemals mehr dieses geradezu paradiesisch schöne Land Wiedersehen sollten, denn das Schiffsunglück stand nahe bevor.

Der Abschied vom Batakland

Das Batakland

  1. Im Herzen von Sumatra liegt das Batakland,
    Durch’s Werk der Mission wurde es weit bekannt.
    In viel Furcht dienten die Menschen den Götzen dort,
    Bis Gott sie befreite durch sein rettendes Wort.
  2. Das Batakland reicht von Siantar im Osten
    Bis zu dem Hafenplatz Sibolga im Westen.
    Man wandert selbst über Sidempuan hinaus
    Und baut sich sogar tief im Alastal sein Haus.
  3. Die Batak waren einst ein kampfgewohntes Volk,
    Sie fürchteten weder Schwert, Giftpfeile noch Dolch.
    Stammesfehden nahmen im Land gar kein Ende,
    Bis endlich von Gott her kam die große Wende.
  4. Ludwig Nommensen stieß vor ins Silindungtal,
    Gott segnete kraftvoll sein Zeugnis überall.
    Viele wurden Christen, auch fleißig und strebsam,
    Doch blieben manche auch Heiden vom alten Stamm.
  5. Das Volk zählt wohl weit über eine Million,
    Wovon die allermeisten jetzt sind Christen schon.
    Durchquert man das Land und kommt durch Berg und durch Tal,
    Findet man Kirchlein und Schulen allüberall.
  6. Mehr als 100.000 wohnen im Tobaland,
    Auf Samosir man ebensoviel Batak fand.
    Das zweiströmige fruchtbare Silindungtal
    Ist bewohnt von einer wohl noch größeren Zahl.
  7. Das weite Land einem Naturparadies gleicht,
    In Bergen über 2.000 der Tiger schleicht.
    Nicht nur ein Wasserfall durch’s Gebirg sich ergießt,
    Der „Tangafal1“ von allen der Schönste wohl ist.
  8. Über 1.000 Meter hoch liegt dann die „Steppe“,
    Kohl und Gemüse zieht man dort um die Wette.
    Abends um sechs, wenn die Sonne rot untergeht,
    Der Himmel in leuchtenden Farbtönen erglüht.
  9. Dolok Sanggul erlebte dann ein Farbenspiel,
    Wie kein Künstler es malen kann goldrot so viel.
    Wie Feuerstrahlen brach’s am „Pinapan“ hervor,
    Der Himmel ward zum viel leuchtenden Blumenflor.
  10. Die Berge aufstrahlten im letzten Sonnenlicht,
    Die Landschaft unten trug ein verklärtes Gesicht.
    Neben rosa Wolken stand es wie Meeresblau,
    Des Kirchleins Spitze verdämmerte in der Au.
  11. So schön war der Abendhimmel in Toba nicht,
    Dafür strahlte silbern der See im Mondenlicht.
    Wie Schatten glitten die Einbäume flink vorbei,
    Aus dem Dorf fern tönte eine „Gondang“ herein.
  12. Magst immer du grünen, o liebliches Batakland,
    Zu kurz war die Zeit, die ich Wohnstatt in dir fand.
    Doch lebst du für immer tief in meinem Herzen,
    Kann Berg, See, Kirch‘, Schul‘, Tal und Höh‘ nicht verschmerzen.

(15.06.1946 Dehra Dun)

Der Abschied

  1. Weihnacht war’s, doch niemand dacht‘ dran wie eh und je,
    Zu voll war das Herz vom Trennungsschmerz und vom Weh.
    Dunkel die Zukunft, mit den Lieben kein Grüßen,
    Nur Stacheldraht vor uns, nichts könnt’s mehr versüßen.
  2. Gewaltsam man uns trennte von Land und von Leut,
    Das hat in Herzenstiefe wohl niemand erfreut.
    Noch länger nach Weib und Kind wir Sehnsucht hatten,
    Doch sie mussten noch bleiben im Palmenschatten.
  3. Meere trennten uns bald von unseren Lieben,
    Ach, blieben sie wenigstens zurück im Frieden.
    Gottes treuer Hand wir sie nun anbefehlen,
    Sonst könnten wir uns ja nur in Qual verzehren.
  4. Nicht alle sollten ihre Lieben wiederseh’n,
    Die Wogen sie verschlangen, ihr Schmerz und ihr Weh.
    Wohl viele hätten können gerettet werden,
    Doch Feindesliebe galt ja nichts mehr auf Erden.
  5. So brachte das Schiff uns an einen fremden Strand,
    Der Sehnsucht Träume umkreisten das Batakland.
    Sie kreisten noch viel mehr um unsere Lieben,
    Die dort in Unsicherheit waren geblieben.
  6. Viel‘ Jahre sollten vergeh’n, eh wir sie sahen,
    Sie mussten es weithin alleine nun wagen.
    Wär‘ Gott nicht gewesen allzeit ihr großer Schutz,
    Auf Menschen sich verlassen war völlig ohn‘ Nutz‘.
  7. Ihm konnten sie stets für Bewahrung nur danken,
    Er bracht‘ sie väterlich durch ohn‘ alles Wanken.
    Er führte uns wieder zusammen nach Jahren,
    Zusammen wir können nur noch Dank Ihm sagen.

Die Fahrt mit der „Ophir“

Am 29.12.1941 war es endlich soweit. Am Strand von Sibolga wurden wir wieder genau untersucht. Jeder hatte nur noch ganz weniges Handgepäck bei sich. Ich hatte meinen Blechteller und meinen Blech­becher in einem kleinen Eimer, meinem einzigen Handgepäck. Alle scharfen Sachen, besonders auch Rasierklingen wurden weggenommen. Man wollte, dass wir im unbekannten Ankunftsland einen ungepflegten und wilden Eindruck machen sollten.

Von ganz schwerbewaffneten holländischen Marinesoldaten wurden wir harmlose Zivilinternierte wie Schwerverbrecher in kleinen Booten zu je 50 Mann ans Schiff gebracht. Daselbst nahmen uns wieder Schwerbewaffnete in Empfang und wiesen uns – wieder an Schwerbewaffneten vorbei – den Gang hinab in den Laderaum des Schiffes. Dieser Raum war innen vollständig mit Stacheldraht ausgeschlagen. Eine Stachel­drahttür war mit einem Schwerbewaffneten gesichert. Auf dem blanken Holzboden konnte sich jeder einen harten Sitzplatz der Reihe nach suchen. Die Eisenluken des Raumes waren, wie wir schnell feststellten, eigens für unsere Überfahrt dick verschweißt worden. Keine Luke ließ sich öffnen. Durch ein fingerdickes Loch für den Haken der Luke konnten wir auf die See blicken. Die Belüftung war genau so notdürftig wie die ganz schwache Beleuchtung. Auf einem erhöhten Platz – wo sie den ganzen Raum gut überblicken konnte – saß eine besondere Wache mit einem Maschinengewehr hinter dichtem Stacheldraht zum Einsatz bereit. Es war schon beängstigend. Als unser Laderaum voll war, hielt der verantwortliche Offizier eine kleine Ansprache mit dem Inhalt: „Jede Unruhe und jedes Singen ist verboten. Wird doch gesungen, dann singen wir mit, aber mit Handgranaten. Und denkt daran: Die See ist groß, aber das Hospital ist klein“. Den dritten Transport haben sie auch wenig später der „großen“ See überlassen.

Begleitet vom Kreuzer „Java“ – was für uns die Gefahr in Bezug auf japanische Fliegerbomben erhöhte, denen am 19.01.1942 das dritte Schiff die „van Imhoff“ zum Opfer fiel – ging die Fahrt nach „Unbekannt“ los. Wir machten es uns auf dem blanken Bretterboden – dicht aneinandergedrängt liegend – „bequem“. Ging am Tage die Wache durch, so erscholl der Befehl: „Hinsetzen“. Damit war für den wachhabenden Offizier, dem ein Schwerbewaffneter vorausging und ein ebenso Schwerbewaffneter folgte, eine leichtere Übersicht gegeben. Des Nachts ergab sich nur ein schmaler Gang am Kopfende der sich gegenüberliegenden zwei Gruppen. War einer im Schlafe mit seinem Kopf zu weit in den Gang gerutscht, so bekam der Schlafende von der Wache einen leichten Fußtritt. Als ich das bei meinem leisen Schlaf einmal miterlebte, zog ich schon von selbst meinen Kopf vor Schreck ein. Meine Schuhe hatte ich als Kopfkissen un­ter meinen Kopf gelegt.

Zum Duschen und Wäschewaschen gab es nur Salzwasser, woran man sich erst gewöhnen musste, denn es war unten im recht luftdichten Schiff doch sehr heiß. Trinkwasser gab es auch nicht. Dann und wann gab es etwas dünnen Tee. Die Mahlzeiten waren kärglich: Gekochten weißen Reis und ein kleines Stückchen Fisch dazu. Den trockenen Reis brachte man kaum runter. Ein großes Rätselraten begann über das Ziel der Fahrt. Manche dachten an Südamerika, denn dort hatten die Holländer noch Ko­lonien. Zum Jahreswechsel befanden wir uns auf offener See und damit wohl aus dem Gefahrenbereich japanischer Flugzeuge. Und dennoch war keine Stimmung, dass einer den anderen zum Jahreswechsel beglückwünschte. Es konnten ja auch immer noch japanische Unterseeboote in der Nähe sein. Hinter dem Stacheldraht fühlten wir uns einfach wie gefangene Ratten, deren Falle man schon zur Hälfte und mehr ins Wasser gehangen hatte. Durch die winzigen Löcher der Luken kam bisweilen ein kleiner Sonnen­strahl in unser Halbdunkel. Aus dem Winkel der einfallenden wenigen Strahlen der Morgensonne stellten die erfahrenen Seeleute unter uns fest, dass die Richtung nicht nach Süden, sondern mehr nach Nordwesten ging. Zu unserer Erleichterung wurde zum ersten mal das Wort „Indien“ laut. Sie sollten Recht behalten. Uber Colombo, wo wir durch unser kleines Löchlein viele, viele Schiffe im Hafen feststellten, kamen wir am 6. Januar im Hafen von Bombay an, wo wir nach Erledigung der Formalitäten erst am 9. Januar den Engländern übergeben wurden.

Es war richtig wie eine Art Auferstehung aus Nacht und Grabesraum, als über uns die schweren Schiffsbohlen auf die Seite geräumt wurden und die hellen Sonnenstrahlen das fahle Dämmerlicht verdrängten. Als wir uns so wie die Ratten in der Falle vorkamen, hat sicher manch einer in der Stille sein Leben mit Gott in Ordnung gebracht, oder gar ein Gelübde getan. Im Fall der Rettung habe ich mich damals Gott für einen wei­teren Missionsdienst – wo auch immer – zur Verfügung gestellt. Später wurde ich zuerst wegen Afrika gefragt. Ich sagte: Ja. Dann kam die Frage wegen Mentawai. Ich sagte wieder: Ja. Und so kam es von 1954 bis 1959 zum Dienst im feuchtheißen Inselbereich Mentawais, wo wir nicht nur ohne unsere Kinder waren und nun die See im selbstgesteuer­ten Motorboot noch ganz anders kennen lernten, sondern auch noch eine völlig neue Sprache lernen mussten. Es war ein harter Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg unter recht erschwerten Bedingungen, denn die mos­lemische Verwaltung sah unsere Ankunft nicht allzu gerne. Ich hatte mich aber durch die Notsituation in der „Ophir“ gebunden. Gott hat das Versprechen nicht nur angenommen, sondern ist uns auch in vielen weiteren gefahrvollen Situationen in stürmischer See getreulich zur Seite gestanden.

Gott hat auch bei der Überfahrt nach Indien seine gnädige Hand über uns gehalten. Am 09.01.1942 betraten wir indischen Boden und waren nun Gefangene der Engländer. Im Blick auf die Engländer war die Inter­nierung nun auch ein Unterschied wie Tag und Nacht. Sie liefen nicht schwer bewaffnet einher als fürchteten sie einen Überfall von den unbewaffneten Internierten. Und trotz unserer wilden Bärte hielten sie uns nicht für Schwerkriegsverbrecher, die man am liebsten in die See gekippt hätte. Sie lächelten nur still in sich hinein, als sie zum ersten Male nur mit ihrem traditionellen Stäbchen in der Hand zu uns ins Schiffsinnere kamen. Sie hatten eben mehr Erfahrung mit Kriegen und mit Gefangenen. So lächelten sie auch weiter über die Holländer, die ihnen mit Wortschwall die Listen über uns als „Kriegsverbrecher“ übergaben. Wir waren wenigstens glücklich, ihren Händen entronnen zu sein und dachten nur mit Schmerzen an unsere Lieben, die noch von ihnen abhängig waren. Die Engländer führten uns in eine große Hafen­halle. Der erste gute Tee, den wir nach langer Zeit wieder mit Milch und Zucker gesüßt bekamen, dünkte uns geradezu wie ein Himmelsgeschenk, das wir mit großem Behagen schlürften. Im Gegensatz zu den Holländern teilten sie uns auch bald mit, dass sie uns mit einem Militärzug in die Provinz Bihar in ein bereitgestelltes Militärlager nach Ramgarh bringen würden.