Feb 172019
 
Der Prozess des analogen Denkens und Lernens

By Hannelore Schwedes und Roland Paatz Universität Bremen

NARST, New Orleans, April 2002

Englische Webseite

Ziel dieser Studie war es, empirisch zu untersuchen, ob und wie sich Lernprozesse im Ausgangsbereich einer Analogie von denen im Zielbereich unterscheiden würden. Wir haben ein Wassermodell verwendet, um Strom zu erforschen. Die Lernprozesse einzelner Schüler (16 bis 17 Jahre alt) im Bereich Wasser und Strom wurden in einem Video dokumentiert, transkribiert und detailliert analysiert. Es wurden Sequenzen mit analogen Lernaufgaben gewählt. Aus diesen Sequenzen wurden die Ideen der Studenten mit interpretativen Methoden konstruiert, dann wurde die Komplexität der Ideen bestimmt. Die Komplexität aufeinanderfolgender Ideen wird gegen die Zeit aufgetragen. Der Verlauf dieser Diagramme für den Wasser- und den Strombereich zeigt charakteristische Unterschiede, aber die Hypothese, dass analoges Lernen ein Top-down-Prozess ist, muss modifiziert werden.

Auf der Grundlage der Gentners Strukturkartierungstheorie wurden zu verschiedenen Zeiten aus den Ideen der Studierenden verwertungsfähige Netzwerke aufgebaut. Diese Netzwerke zeigten die vier Phasen (Aktivierung der Basisdomäne, Postulieren lokaler Übereinstimmungen, verbinden isolierter korrespondierender Elemente zu einem globalen Übereinstimmungsergebnis, Einfügen von Kandidatenbewertungen aus Inferenzhypothesen) im Prozess des analogen Lernens, wie von Gentner vorgeschlagen.


Gegenstand
Problem und theoretischer Hintergrund

Analogien spielen eine wichtige Rolle im naturwissenschaftlichen Unterricht. Sie initiieren neue Theorien in der Naturwissenschaft, sie sind hilfreich in der Lehre für konzeptionelle Veränderungen und sie helfen, neue Konzepte in der Naturwissenschaft zu verstehen (Brown & Clement 1989, Duit & Glynn 1992, Treagust 1998). Wir haben eine Unterrichtseinheit in Grundlagen Elektrizität auf Basis einer Wasseranalogie entwickelt (Schwedes & Dudeck 1996). In dieser Reihenfolge des Unterrichts müssen die Schüler zunächst die Physik des Wassermodells erlernen und dann hoffentlich das Wassermodell zur Erklärung von Stromkreisen nutzen. Wir wollten wissen, ob sich die Lernprozesse im Wasserbereich von denen im elektrischen Bereich unterscheiden würden, wenn die Schüler analoge Denkansätze anwenden.

Im Institut für Physikdidaktik in Bremen untersuchen wir seit mehr als zehn Jahren die Wirkungsweise von lokal verankerter Kognition und Lernen im Unterricht und haben einen theoretischen Ansatz entwickelt, der es ermöglicht, einzelne Prozesse der lokalisierten Kognition und des Lernens in physikalischen Lernumgebungen detailliert zu beschreiben. Auf der Grundlage einer konstruktivistischen Epistemologie, die nicht den Ansatz der symbolischen Repräsentation anwendet, wurden individuelle Aktionen und Interaktionen in authentischen Lernumgebungen analysiert. Jeder Schüler schafft kontinuierlich Kognitionen auf der Grundlage seiner eigenen Handlungen und Wahrnehmungen. Der Beobachter kann die kognitiven Prozesse der Schüler nur aus den Handlungen und verbalen oder nonverbalen Beiträgen der Schüler ableiten. Diese rekonstruierten Kognitionen nennen wir „Ideen“. Diese Ideen können durch die Komplexität qualifiziert werden. Betrachtet man die Abfolge der „Ideen“, so wird immer eine Bottom-up-Entwicklung in Bezug auf ihre Komplexität sichtbar. Das Lernen in bestimmten Bereichen kann empirisch durch einen langsamen Anstieg der durchschnittlichen Komplexität von Ideen bestimmt werden.

Aus analogen Gründen haben Gentner und ihre Gruppe dagegen die Strukturkartierungstheorie entwickelt, die einen Top-down-Prozess kognitiver Konstruktionen voraussagt. Es deutet darauf hin, dass analoges Denken vor allem Strukturen in beiden Bereichen vergleicht und dass einige kognitive Elemente, die noch nicht in der Zielbereich repräsentiert sind, von der Basis- auf den Zielbereich übertragen werden können. Der Gewinn des analogen Denkens liegt im Systematisierungsprinzip, d.h., dass der Transfer mit Beziehungen der höchsten Ordnung beginnt und die anderen der niedrigeren Ordnung fast automatisch folgen. Analoges Denken sollte daher ein Top-Down-Prozess sein, beginnend mit der Konstruktion allgemeiner Regeln, gefolgt von spezifischeren Beziehungen, bis hin zu Attributen und Aussagen über Objekte. [Die Kompatibilität des informationstheoretischen Hintergrunds von Gentners mit unserem konstruktivistischen Paradigma wird woanders diskutiert. Paatz, R. 2002].


Design und Vorgehensweise

Eine analogieorientierte Unterrichtssequenz mit einem Wassermodell wurde in einer 10. Klasse eines Gymnasiums für 20 Lektionen à 90 Minuten unterrichtet (Dudeck 1997). Zwei Gruppen von je vier Schülern wurden über die gesamte Zeit aufgezeichnet. Lernsequenzen, die den gleichen strukturellen Inhalt für Wasser oder Stromkreise abdecken, wurden transkribiert und analysiert. Aus den verbalen und nonverbalen Interaktionen der Schüler untereinander oder mit dem Arbeitsmittel des Labors werden die Erkenntnisse der Schüler identifiziert und als Ideen der Schüler rekonstruiert. Die Reihenfolge der Ideenentwicklung eines Schülers beschreibt seinen Lernprozess. Ideen werden dann nach ihrem Komplexitätsgrad qualifiziert (Aufschnaiter & Welzel, 1999). Entsprechende Lernsequenzen im Bereich Wasser und Strom werden dann verglichen. Zusätzlich wurden Vor- und Nachprüfungen für die Wassereinheit und die elektrische Einheit durchgeführt.

Für die Anwendung der Gentner Strukturmapping Theorie haben wir vermutete Netzwerke in verschiedenen Phasen des Lernprozesses der Schüler aufgebaut. Kodiert werden Entitäten (Objekte oder Konstanten), Prädikate und Funktionen. Prädikate können ein oder zwei Argumente haben, diejenigen mit einem Argument werden Attribute genannt, diejenigen mit zwei Argumenten werden Beziehungen genannt. Funktionen unterscheiden sich von Prädikaten insofern, als sie sich an die Argumente (Anzahl)Werte anhängen. Entitäten, Prädikate und Funktionen werden weiterhin durch Ränge gekennzeichnet, Entitäten erhalten den Rang 0, Attribute den Rang 1, Beziehungen erhalten normalerweise den Rang 2 oder einen höheren. Die Ideen der Studenten werden dann als Vorschläge formuliert und die Netzwerke der Aussagen aufgebaut.


Ergebnisse

Die Schüler hatten kein Problem damit, die Wasseranalogie zu verwenden und richtig anzuwenden.

Im Basisbereich steigt die durchschnittliche Komplexität der Studenten „Ideen“ erwartungsgemäß langsam an, aber im Zielbereich finden wir eine Art Tal für den Verlauf der Komplexität der Ideen. Eine Lernsequenz (Lösung einer Aufgabe oder eines Problems) beginnt mit einer Idee hoher Komplexität (normalerweise eine Hypothese für das Ergebnis eines Experiments oder das Ergebnis eines zu lösenden Problems) und fällt dann in wenigen oder nur einem Schritt auf den Grund des Tales und steigt in relativ kurzer Zeit auf das Komplexitätsniveau der ursprünglichen Hypothese an. Die Ideen, die zur Phase der zunehmenden Komplexität gehören, gehören zum Prozess der Überprüfung der Hypothese von Anfang an.

Die Konstruktion einer Reihe von Ideen zur Bewältigung einer bestimmten Aufgabe oder eines Problems im Basisbereich benötigt mehr Zeit als die Generierung der analogen Kognitionen im Zielbereich. Das Erreichen der gleichen Komplexität erfordert in der Basisdomäne mehr Zeit als in der Zieldomäne. (siehe Abbildung 1)

Abbildung 1: Bestimmung der Stromintensität in einem Wasser- oder Stromkreis mit parallelen Verzweigungen

Die Hypothese, dass analoges Denken oder Lernen ein Top-down-Prozess ist, muss also modifiziert werden.

Zur Überprüfung der Strukturabbildungstheorie von Gentner et al. suchten wir nach den Teilprozessen, die sie für den Prozess der Generierung und Verwendung von Analogien identifiziert hatten.

Aktivierung einer geeigneten Basisdomäne (hier die Domäne der Wasserkreisläufe)

Postulierung von „lokalen Spielen“. Dies sind potentiell korrespondierende Elemente (Objekte, Attribute und Beziehungen unterschiedlicher Ordnung).

Verbinden der isolierten entsprechenden Elemente mit einem „Global Match“, einem kohärenten Beziehungssystem.

Die Darstellungen von Basis- und Zieldomäne zeigen nun ähnliche Strukturen, aber das Netzwerk der Zieldomäne ist noch nicht so ausgearbeitet wie in der Basisdomäne. Der wesentliche heuristische Akt im analogen Denken wird dann im nächsten Schritt durchgeführt.

Zusätzliche Aussagen, die in der Basisdomäne, aber nicht in der Zieldomäne dargestellt werden, können als inferentielle Hypothese in die Zieldomäne übertragen werden (Candidate Inferences). Durch die Übertragung dieser Aussagen wird eine Erhöhung der relationalen Korrespondenzen erreicht.

Wesentlich für die Generierung der hypothetischen Basis-Zielrelation ist das Prinzip der Systematik, d.h. dass Beziehungen hoher Ordnung, die sich an der Spitze einer Hierarchie befinden, bevorzugt als isolierte Aussagen als Form oder Farbe von Objekten genommen werden.

Die Analyse der Lernsequenzen in der Zieldomäne erfolgt in Übereinstimmung mit dem vierten Teilprozess. Die beobachteten kognitiven Konstruktionen der Schüler zeigten ein hohes Maß an Komplexität und stellten somit hochrangige Beziehungen dar und entsprachen den inferentiellen Hypothesen.

Auf der Suche nach den anderen Teilprozessen, die wir aus den Antworten im Endtest für die Wasserdomäne, dem Aussagen-Netzwerk des Schülers, konstruiert haben. Es glich fast perfekt dem Netzwerk eines Experten, fast alle Beziehungen und Funktionen der verschiedenen Ränge waren so dargestellt, wie es das Lehrmittel vorsah. Wir haben dann nach der ersten Lektion ein Vorschlagsnetzwerk aufgebaut, in dem die Schüler gebeten wurden, den Wasser- und Strombereich zu vergleichen. Die grafische Darstellung der Ideen des Schülers in einem Beziehungsnetz zeigte den zweiten Prozess der Postulierung lokaler Treffer. Mögliche Entsprechungen für Objekte oder Relationen verschiedener Rangstufen wurden angegeben, jedoch ohne erkennbare Systematik (siehe Abb.2). In der nächsten Lektion sehen wir allgemeine Treffer, die wir aus den Hausaufgaben der Schüler ableiten können.

Als die Schüler dann elektrische Stromkreise konstruierten und untersuchten, konnten wir „Candidate Inferences“ identifizieren.

Abbildung 2: Aussagekräftiges Konzept von den Studenten für parallele Stromkreise.

Die Elemente mit weißem Hintergrund und ihren Verbindungen wurden während der Phase der lokalen Kämpfe konstruiert, die Elemente mit grauem Hintergrund wurden in der Phase der globalen Kämpfe konstruiert und die gestrichelten Linien zeigen die „Candidate Inferences“ (C.I.) mit ihren Verbindungen.

Während der Phase der lokalen Spiele verwendeten die Schüler die Wörter Druckdifferenz und Strom, wie unter den entsprechenden Ellipsen angegeben. Sie wurden in der Phase der globalen Spiele genauer gesagt. Die Zahlen beziehen sich auf die Ideen, die als C.I. identifiziert wurden.


Literaturhinweise

Aufschnaiter, St. von und Welzel, M. (1999) „Individual Learning Processes. A Research Program with Focus on the Complexity of situated Cognition.“ In: Bandiera, M. et al (Eds.) „Research in Science Education in Europe“ London: Kluwer Academic Publishers, pp. 209 – 217

Brown, D.E. and Clement, J. (1989). Overcoming Misconceptions via Analogical Reasoning: Abstract Transfer versus Explanatory Model Construction, Instructional Science, 18, 237-261.

Dudeck, W.-G. (1997) Analyse von Denkprozessen in einem analogieorientierten Elektrizitätslehreunterricht – Fallstudien in einer 10. Gymnasialklasse. Dissertation an der Universität Bremen, Aachen: Verlag Mainz

Gentner, D. and Markman, A.B. (1997) „Structure mapping in analogy and similarity“ American Psychologist, 52(1), 45 – 56

Schwedes, H. and Dudeck, W.-G. (1996) „Teaching Electricity by Help of a Water Analogy (How to Cope with the Need for Conceptual Change)“ In : Welford, G. et al. (Eds.) „Research in Science Education in Europe“ London: Falmer Press pp 50 – 64

Duit, R. und Glynn, S.M. (1992). Analogien und Metaphern, Brücken zum Verständnis im schülergerechten Physikunterricht. In: P. Häußler (Hrsg.): Physikunterricht und Menschenbildung. Kiel: IPN, 223-250.

Treagust, D.F. (1998). Diagnosing Conceptual Change Learning Using a Multi-Dimensional Interpretative Framework. In: H. Behrendt (Hrsg.): Zur Didaktik der Physik und Chemie: Probleme und Perspektiven. Alsbach/Bergstraße: Leuchtturm-Verlag, 91-101.


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