Sep 102019
 
Willibald Jacob (26.1.1932 – 3.7.2019)

Willibald Jacob ist am 3. Juli 2019 verstorben. Er war bis zu seinem Ende sehr präsent, aber zuletzt auch sehr müde. Am 12. Juli, fand die Trauerfeier und die Beerdigung auf dem Friedhof in Weißensee statt. Den Gottesdienst mit einer großen Gemeinde, zu der neben Kindern und Enkel viele WeggefährtInnen aus den verschiedenen Arbeitsfeldern und Lebensphasen von Willibald gehörten, leitete Bruno Müller, Pfarrer i.R. aus Berlin-Ahrensfelde. Er zeichnete Willibalds Lebensweg nach als den eines Ökumenikers im Denken, Reden, Schreiben und im Handeln, angefangen von den ökumenischen Aufbaulagern bis hin zu den Gossner-Kontakten nach Indien und seinem Engagement zugunsten der LINKEN. So haben wir ihn ja wohl auch erlebt: Eigenwillig, wortreich, entschieden, kantig, stets der Praxis zugewandt.


Giselher Hickel

Es gibt Zufälle, die Symbolcharakter haben. Als Willibald Jacob einen Pflegeplatz im Weißenseer Stephanusstift brauchte, war nur im Dr. Harnisch-Haus im Friedrichshain ein Zimmer frei. Das ist in der Liebigstraße 39. Schräg gegenüber in der Hausnummer 10 befand sich einst die elterliche Wohnung, in der Willibald die ersten vier Jahre seines Lebens verbrachte. Nach 87 Jahren hat sich gleichsam sein Lebenskreis geschlossen.

Und auch deshalb zeichenhaft, weil Willibald bei aller ökumenischen Leidenschaft mir immer als ein außerordentlich bodenständiger Mensch erschienen ist. In seinen Erinnerungen sind die Kindheits- und Jugendtage im Berliner Osten als prägend sehr präsent. Doch obwohl ganz Berliner war er zugleich mit Leib und Seele Dorfpfarrer und konnte in seinem mecklenburgischen Wahlkreis mitreden, wenn es um Landwirtschaft ging. Und selbst unter indischen Bauern und Handwerkern hatte sein Wort Gewicht. Wollte ich die Stationen seines Lebens in Kirche und Gesellschaft aufzählen, so reichte das über viele Etappen vom Jugendleiter in den Ökumenischen Aufbaulagern über Pfarrämter, Arbeit im Straßenbau, Indien-Engagement bis hin zum linken Abgeordneten im Bundestag. Doch das Erreichte wie die bitteren Niederlagen wären mit der Aufzählung kaum angedeutet.

Wann immer in den letzten Jahren in Berlin linke Ideen in ökumenischen Zusammenhängen zur Sprache gebracht wurden, war Willibald anzutreffen. Er hatte stets etwas zu sagen und er wollte gehört werden. Oft überraschte er mit Perspektiven, die bisher nicht im Blick waren. Nie begnügte er sich mit Oberflächlichem. Gegnerschaft scheute er ebenso wenig wie den Dissenz unter Freunden. Wir haben mit ihm gestritten. Er war einer von uns.

Gern hätten wir noch den zweiten Band seiner Erinnerungen von ihm empfangen. Er hat daran gearbeitet. Der Titel sollte, in Abwandlung von Psalm 31,16, für uns bezeugen: „Meine Zeit steht in Seinen Händen“. Sein Andenken sei gesegnet.

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Franz Segbers

Ich kann mich noch sehr genau an die erste Begegnung mit Willibald Jacob erinnern. Willibald kam in die evangelische Sozialakademie Friedewald mit einem Betriebsrat, der mit seinen Kumpels einen Hungerstreik gegen die Schließung der Kaligrube mit dem bezeichnenden Namen „Thomas Müntzer“ in Bischofferode protestiert hatte. Willibald gehörte zu einer Initiative ostdeutscher Betriebsräte, die sich gegen die Deindustrialisierung der ehemaligen DDR zu Wehr setzten. Hier war Willibald in seinem Metier: Kantig, mutig, klar trat er immer auf und immer an der Seite jener, die unter den herrschenden Verhältnissen zu leiden haben – ob in Bischofferode, in Berlin oder in seinem geliebten Indien. Der Ostwind weht, wo er will – so lautet ja auch eine seiner Publikationen. Er hat den globalen Süden und auch die untergegangene DDR kennengelernt. Er wusste die Erfahrungen dieser „globalen“ Orte zu reflektieren und zu verknüpfen. Das bereitet ihn wie nur wenige vor für den Westwind, der über den Osten und den Süden hinwegging.

Willibald hielt beharrlich und unerschütterlich an seiner Kirche fest. Er nahm sie in Pflicht und ließ sich dabei nicht beirren.  Obwohl die Kirchen und zumal deren Leitungen so viel Grund gaben, an der Kirche zu verzweifeln, ließ Willibald nicht davon ab, dass die Kirchen und ihre Leitungen eine prophetische Aufgabe haben. Woher nahm Willibald nur diese Kraft und unerschütterliche Zuversicht?

Es war zu erwarten, dass Willibald politisch als IM der Stasi denunziert werden würde. Ein Pfarrer, der wusste, wie die Welt in Indien und in der plattgemachten DDR aussieht und dann als parteiloser Abgeordneter ein Bundestagmandat innehat, ist per se gefährlich. „Enttarnt“ titelte BILD und unterlag doch gerichtlich mit dieser Falschbehauptung.

Willibald war ein Theologe durch und durch und zwar so sehr, dass man nicht zwischen dem theologisch denkenden und politisch argumentieren Menschen unterscheiden konnte. Seine „volkseigenen Erfahrungen“ haben ihn zugerüstet, sich vom Scheinsieg des Kapitalismus nicht blenden oder irritieren zu lassen. So konnte der evangelische Pastor Willibald deshalb zwischen dem gegenwärtigen Empire der USA und dem Machtzentrum Rom zu Zeiten Martin Luthers eine Verbindung sehen. Mit Martin Luther sagt Willibald: Rom ist der Antichrist – und Washington auch! Lassen wir Willibald selber zu Wort kommen:

„Die Wertegemeinschaft schottet sich ab, plündert u.a. Afrika aus und verursacht ungeheure Flüchtlingsströme. Die Wertegemeinschaft behauptet den Frieden für sich und zettelt zugleich Kriege an, ohne sie mit einem passablen Frieden abschließen zu können. Die Wertegemeinschaft vertieft in sich und in aller Welt die Ungleichheit, den Riss zwischen Arm und Reich und begründet damit einen tödlichen Dauerkonflikt. Lokal und global heißt, wir werden diesen Planeten nicht verlassen können. Das Volkseigentum und unsere Erfahrungen in der Indienpartnerschaft erinnern uns daran, dass unsere Rettung unsere gemeinsamen Interessen sind. Diese unsere Erfahrungen sind gleichzeitig ein Ruf zur Umkehr, zur Buße.“

Das sind klare Worte in unsere Zeit, die Willibald uns hinterlassen hat. Machen wir weiter! Genauso unerschütterlich und klar wie Willibald es getan hat. Das sind wir ihm und unserer Zeit schuldig.

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Renate Gudat

Ich lernte Willibald auf der Gründungsversammlung der Entwicklungspolitischen Gesellschaft (EpoG e.V.) im April 1990 kennen. Das war ein guter Tag für alle dort versammelten Noch – DDR-Bürger. Atheisten und Christen, Wissenschaftler, Praktiker und Studenten – alle einte, in diesen unruhigen, auf Deutschland konzentrierten  Umbruchzeiten ein Zeichen zu setzen für  internationale Solidarität mit Menschen und Partnern aus  den Ländern des Südens.

Willibald wurde Vorstandsmitglied – er brachte seine Indien-Erfahrungen ein – und 1994 besiegelte der gemeinsame Besuch in Govindpur (damals war ich EpoG-Geschäftsführerin) die bis heute anhaltende Zusammenarbeit mit der vorwiegend christlichen Adhivasi-Bevölkerung in Dörfern verschiedener indischer Bundesstaaten. Ich hätte mir damals nicht träumen lassen, wie viele Menschen unterschiedlichster Prägung sich im Laufe der Jahre in Deutschland und in Indien  an dieser Zusammenarbeit beteiligen werden. Das habe ich immer an Willibald  bewundert: er hat nie sein Ziel aus den Augen verloren, dass Menschen hier und dort einander zuhören, voneinander lernen, sich gegenseitig stärken, um der oft menschenverachtenden, profitorientierten kapitalistischen Umwelt zu trotzen. Da Geld in dieser Zusammenarbeit nie eine dominierende Rolle gespielt hat, war eine Begegnung auf Augenhöhe leichter als in vielen anderen Entwicklungsprojekten.

Willibald war für mich ein Mensch, bei dem Denken und Handeln übereinstimmte. Man konnte sich an ihm reiben, aber an seiner Aufrichtigkeit war nie zu zweifeln. Vieles aus seinem früheren Leben kenne ich nur vom Lesen seiner Bücher oder aus Gesprächen mit ihm und seiner Frau. Ich verneige mich in  großem Respekt vor seiner Lebensleistung.

Willibald habe ich ein viel differenzierteres Bild vom Christentum zu verdanken, als ich es je gehabt habe und die tiefe Überzeugung dazu, dass Menschen, die für eine andere, solidarische und friedliche Welt streiten, immer eine gemeinsame Basis finden können. Auch die christlichen Inder haben atheistische Partner aus Deutschland als ihre Freunde oder vielleicht sogar als Schwestern und Brüder angenommen. Willibald wird vielen von uns fehlen als ein besonderer unbeugsamer Christ im Ringen um eine bessere Welt.

Buch


Christoph Schnyder

Begegnet bin ich Willibald Jacob im Rahmen einiger Tagungen der „Ökumenischen Jugenddienst Senioren“ (=“ÖJDS“). Die Basis des gemeinsamen Erlebens und Auf-demWege-Seins ist eigentlich zu schmal für einen Nachruf. Willibald hat mich aber einige Male als Christ und Sozialist sehr beeindruckt. Davon will ich berichten.

BAUERN UND MÜNTZER

Am Mittwoch, 25. Oktober 2017 besuchten die Teilnehmenden der Tagung des ÖJDS das Panorama Museum  Bad Frankenhausen, dessen gewaltiges Bildwerk an die blutige Niederschlagung der Bauernerhebung vom Mai 1525 und allgemein an jene krisenerfüllte Zeit erinnert. Der Künstler, Werner Tübke, stellte das Gesamtgemälde unter den Titel „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“. Am folgenden Tag interpretierte Willibald Jacob unter dem Titel „Krieg gegen die Bauern im Reformationszeitalter“, was uns im Panorama so sehr beeindruckt hatte. Er zitierte – gut dokumentiert – die Forderungen der Bauern, welche zurückgewiesen und als Aufstand gewertet worden waren, und nannte schliesslich die Zahlen der in der Schlacht Gefallenen: auf Seiten der schwer bewaffneten Söldnerarmee, welche für die Aufrechterhaltung der bestehenden Feudalordnung kämpften, waren es verschwindend wenige, auf Seiten der Bauern Hunderte, wenn nicht Tausende. Willibald nannte die genauen Zahlen. Seine Botschaft war klar: Das heutige Ringen um ein neues Verständnis des Bauernaufstandes in der Reformationszeit und vor allem um die Person von Thomas Müntzer ist dringend notwendig: auch im Blick auf unsere heutige politische Verantwortung als Christen: Der Regenbogen, der auf dem Bildwerk über dem Schlachtfeld von Frankenhausen leuchtet, wirkt in seiner Symbolkraft darauf hin, dass die Betrachter ins Engagement für Frieden und Gerechtigkeit hineingerufen werden.

ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT IN DER INDISCHEN PROVINZ CHOTANAGPUR

Die Schwierigkeit in allen Treffen der ÖJDS war, dass zu viele interessante Leute teilnahmen. Man entschied sich fürs vertiefte Gespräch mit einer Person und verpasste andere. Es tut mir heute leid, dass ich zu wenig vom Wissen, Engagement, Horizont von Willibald im Feld der Entwicklungszusammenarbeit profitierte. 20 Jahre lang hatte ich mit Entwicklungszusammenarbeit in Afrika zu tun. Sicher, ich sprach mit Willibald über seine und meine Erfahrungen. Wertvoll wäre aber gewesen, wenn ich mehr Zeit dafür eingesetzt hätte:

  • für die Frage, warum in der Zusammenarbeit mit den indischen Partnern das Geld offenbar keine grosse Rolle spielte;
  • Lag es daran, dass eine genossenschaftliche Zusammenarbeit darauf hinwirkte, dass die Beteiligten wussten: das Entscheidende ist, dass sie von den bei und in ihnen vorhandenen Kräften den bestmöglichen Gebrauch machten und sie klug aufeinander abstimmten;
  • Lag es daran, dass Bildung und Ausbildung ganz auf praktische Fähigkeiten ausgerichtet war? Ich erinnere mich nicht, dass Willibald über das in vielen afrikanischen Kirchen und Ländern grosse Problem der Arbeitslosigkeit der Schulentlassenen sprach.

Es lohnt sich jedenfalls, Willibalds Erzählungen aus der indischen Provinz Chatanagpur zu lesen!

Ich denke in Dankbarkeit an Willibald Jacob zurück.

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Thomas-Dietrich Lehmann

Wir trauern um unseren Weggenossen, den Berliner Pfarrer im Ruhestand Willibald Jacob, der am 3. Juli heimgegangen ist. Ich schreibe diese Zeilen als einer, der seit fast drei Jahrzehnten im Kreise der ökumenischen „Arbeitergeschwister“ um den Jesuitenpater Christian Herwartz mit Willibald verbunden ist. Ich verliere einen Bruder mit weitem Herzen an der Seite der Armen, inspiriert von Dietrich Bonhoeffer, ökumenisch interessiert seit der ÖRK-Versammlung in Evanston 1954, fast „prophetisch“ engagiert für die eine, parteiliche Kirche. Streitbar war er, grenzüberschreitend im besten jesuanischen Sinne. Einer nannte ihn treffend einen „Wege-Ebener“.

Was Willibald Jacob aus seinem Leben zu berichten wusste, war erfahrungsgesättigt. Ich erinnere mich an seine Erzählungen von der „Bauwagenmission im Oderbruch“ nach dem Zweiten Weltkrieg um den Theologen der Bekennenden Kirche, Horst Symanowski. An seine Jahre in einem DDR-Straßenbaukombinat, worüber er auch publiziert hat („Arbeiterpfarrer in der DDR“). Als Pfarrer oder Pfarrerin in Betrieben zu arbeiten, ist ein Versuch, glaubwürdige Kirche für alle zu leben. Oft wurde das etwas misstrauisch beäugt, im Westen von den Betriebsleitungen, im Osten von den staatlichen Diensten. Und auch in den Kirchen bleiben diese Theologen bis heute marginal, gelten als Exoten in eher situierten Kirchenlandschaften. Allenfalls erinnert man sich an solche Berufswege, wenn es um Einsparungen geht.

Weiter denke ich an seine Reiseberichte aus Govindpur in Indien, wo er zusammen mit seiner zu früh verstorbenen Ehefrau Elfriede im Rahmen von Projekten der Gossner Mission unterwegs war.

Von solchen Menschen kann man als Nachgeborener lernen, was einige aus unserem Kreis auch zu eigenen Lebensentscheidungen inspirierte. Oft führte ihn ein erzählter Gedanke in neue Projekte. So stritt er zuletzt, leider vergeblich, im Rahmen des Reformationsjubiläums für die überfällige Rehabilitierung des „Pfarrers und frühen evangelischen Märtyrers“ Thomas Müntzer durch seine Kirche.

Eine der übelsten menschlichen Praktiken ist die Denunziation. Willibald Jacob war dem seit den 1990er Jahren mehrmals ausgesetzt, angezettelt von Menschen, die sein linkspolitisches Engagement, auch als zeitweiliger parteiloser Bundestagsabgeordneter, bekämpften. Zwar konnte er sich gegen falsche Behauptungen erfolgreich gerichtlich zu Wehr setzen, allerdings zeigte sich einmal mehr: Wem argumentativ nicht beizukommen ist, dem unterstellt man Stasi-Nähe. Rosa Luxemburgs vielzitierter Satz von der Freiheit der Andersdenkenden soll dann wohl doch nicht für alle gelten.

Willibald Jacob war ein Familienmensch. Er hinterlässt Kinder und Enkelkinder. Sein Grab befindet sich an der Seite seiner Elfriede auf dem Evangelischen Friedhof Weißensee. Sein Elternhaus und der bis zuletzt so geliebte Garten sind nicht weit weg.

Quelle: www.die-kirche.de | Nr. 30 | 28. Juli 2019 | Seite 6 – Webseite


Gossner Mission

Die Gossner Mission trauert um ihren langjährigen Unterstützer Dr. Willibald Jacob. Es war ein historischer Tag, an dem er zum ersten Mal zur Gossner Mission kam: Am 7. Oktober 1949 wurde aus der Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik. An diesem Tag traf er mit Bruno Schottstädt und Dietrich Gutsch im Seminar für kirchlichen Dienste zusammen – im Kreis von Horst Dzubba, Günther Schultz, Helmut Gollwitzer und nicht zuletzt Hans Lokies (damals Direktor der Gossner Mission). Danach kamen das Paulinum sowie ein Praktikum im Gossner-Missionswohnwagen und dann die Haft im Zusammenhang mit dem 17. Juni an der Stalinallee. In diese Jahre fällt die Dreiteilung der Gossner Mission. Neben dem Missionshaus in der Handjerystraße in Berlin-Friedenau – ein Hort der Bekennenden Kirche auch nach Kriegsende – entstanden die Gossner Mission in Mainz durch Horst Symanowski und die Gossner Mission in der DDR mit Bruno Schottstädt.

Die Arbeit Dr. Willibald Jacobs in Treuenbrietzen und in Cottbus und dann viel später in Indien geschah immer wieder im Kontext der Gossner Mission. Er gehörte zu den Mitarbeitern der „Gossner Mission in der DDR“, die den Sozialismus als eine soziale Interpretation des Evangeliums verstanden. Er arbeitete bewusst als Pfarrer in der Arbeitswelt, in dem Beruf des Straßenbauingenieurs.1983 ging er zusammen mit seiner Frau Elfriede, die Kantorin war, im Rahmen eines Austauschprogramms zwischen der damaligen Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und der indischen Gossner Kirche nach Govindpur in Indien.

Später engagierte sich Dr. Jacob im Ökumenischen Zentrum (ÖMZ) in der DDR und beim Solidaritätsdienst International (als Erbe aus der DDR). Auch im Arbeitskreis Indien der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) brachte er sich bis zu seinem Tode ein, ließ andere an seinen Erfahrungen aus Indien teilhaben, stellte wichtige Fragen – und war oft auch unbequem. Das führte bisweilen zu Auseinandersetzungen und Diskussionen und manchmal auch zu beiderseitigen Verletzungen. Beide Seiten suchten aber immer wieder das Gespräch und gingen immer wieder aufeinander zu.

Die Gossner Mission dankt Dr. Willibald Jacob für sein Engagement, für seine Beharrlichkeit und für seine – manchmal unbequeme, aber zielgerichtete Unterstützung.

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Ulrich Duchrow

Lieber Willibald, Du fehlst mir. Du warst ein zuverlässiger Kampfgenosse. Wir schätzten die gleichen theologischen Lehrer und Traditionen, vor allem Dietrich Bonhoeffer und die Barmer Theologische Erklärung. Schon in seiner Dissertation schrieb Bonhoeffer, dass die Zukunft der Kirche nicht bürgerlich sein wird. Das wusstest Du von Anfang an. Ich habe immer bewundert, wie Du mit dieser Vision ernst gemacht hast. So warst Du nicht nur eine Zeit lang „Arbeiterpriester“, sondern hast Dich zeitlebens für die arbeitenden Menschen eingesetzt. Dabei hast Du auch wie wenige TheologInnen in Deutschland den Zusammenhang der Kämpfenden im globalen Süden und hier bei uns gesehen. Dein Engagement für die Adivasis und andere Bauern in Indien und gleichzeitig für die abgeschriebenen Menschen in der Uckermark war dafür beispielhaft.

Diese Verbindung brachte uns in verschiedenen Aktivitäten von „Kairos Europa – für ein Europa der Gerechtigkeit“ zusammen. Denn dieses ökumenische Basisnetzwerk hatte ja von Anfang an (1990) die Verbindung von Gerechtigkeit zwischen Nord-Süd und innerhalb Europas als zentrale Perspektive. Besonders erinnere ich mich an Deine engagierte Teilnahme an unseren Hearings im Europaparlament. 1994 forderten wir die EU-Kommission nach 50 Jahren IWF und Weltbank heraus, die neokolonialistische Politik gegen Asien, Afrika Lateinamerika aufzugeben. 1996 organisierten wir mit 100 EuropaparlamentarierInnen die Kampagne „Für eine gerechte Währungsunion – nicht ohne gemeinsame Beschäftigungs- und Sozialpolitik, nicht ohne Kontrolle des transnationalen Kapitals“. Gerade diese beiden Kampagne zeigten unsere Übereinstimmung, dass Gerechtigkeit unteilbar ist und deshalb auch die Kämpfe zur Überwindung des globalen, imperialen Kapitalismus in Süd und Nord zusammengehören.

Und weil das herrschende System imperial ist, gehört die Friedensfrage in den Kampf für Gerechtigkeit. Auch hier trafen wir uns im Rahmen der Christlichen Friedenskonferenz, die übrigens als erste in Europa den Zusammenhang von Nord-Süd-Gerechtigkeit und Frieden thematisierte. Ebenfalls waren wir uns in den Grundfragen einig. Du schriebst schon Deine Dissertation zu Thema Eigentum und Arbeit, ich dann später zusammen mit dem lateinamerikanischen Ökonomen und Philosophen Franz Hinkelammert das Buch „Leben ist mehr als Kapital – Alternativen zur globalen Diktatur des Eigentums“.

Unser letztes gemeinsames Projekt können wir nun leider nicht mehr vollenden. Wir hatten von 2010-2017 zusammen mit über 40 internationalen WissenschaftlerInnen das Projekt durchgeführt: „Die Reformation radikalisieren – provoziert von Bibel und Krise“. Im Januar 2017 hatten wir die abschließende internationale Konferenz in Wittenberg mit fünf konkreten Schwerpunkten. U.a. beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe und ein Podium mit dem Thema: „Ökologisch sensible Landwirtschaft und Landverteilung“. Arbeitsprojekte aus Indien, Brasilien und Argentinien wurden ebenso vorgestellt wie die Arbeit der Bauerngenossenschaft in Schwäbisch-Hall, die gerade mit Via Campesina eine große internationale Konferenz zur Ausarbeitung einer UNO-Charta für Bauernrechte vorbereitete. Im Zusammenhang dieser Projekte wurden wir beide von der Bauerngenossenschaft in die Bauernakademie Kirchberg im Hohenloheschen eingeladen. Hier ging es u.a. auch um Luther und Müntzer und ihr Verhältnis zu den Bauernkriegen. Du sprachst über „Krieg gegen die Bauern im Reformationszeitalter“, ich zu „Von der Freiheit eines Christenmenschen zur Gerechtigkeit für die Bauern“. Im letzten Jahr hatten wir beschlossen, mit den Papieren beider Konferenzen den 8. Band in der Buchreihe „Die Reformation radikalisieren“ zu gestalten. Das werden wir nun nicht mehr gemeinsam vollenden können.

Ruhe in Frieden,
Dein dankbarer Ulrich

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William Yoder

Von Willibalds Heimkehr habe ich leider erst am 4. September hier in meiner Wohnung in Laduschkin, Gebiet Kaliningrad, Rußland, erfahren. Frau Charlotte Leehr hatte mich netterweise angeschrieben. Danke!

Willibald lernte ich wohl 1977 bei meinen häufigen Besuchen von kirchlichen Einrichtungen in Berlin-Ost kennen. Das Kennenlernen war der Goßner-Mission zu verdanken. Gesehen hatten wir uns dann häufig, anregend war das Gespräch mit ihm immer.

Seit der Wende hatte ich ihn nicht mehr gesehen, also habe ich ihn endlich angeschrieben und er meldete sich sofort. Ich sah ihn erst wieder am 7. Dezember 2017. Ein frohes Wiedersehen! Nur traurig, daß seine wunderschöne Elfriede nicht mehr bei ihm war. Ich habe ihn danach ein paar Mal besucht, er schenkte mir vielleicht alle Bücher, die er selbst verfaßt hatte. Ein Glück, denn so werden seine Gedanken und Anliegen in mir weiterleben können.

Willibald hat sich immer für Menschen und Ideen intensiv interessiert, natürlich auch für Nichtkirchliche. Dann auch für mich – einen jungen, „kleinen“ Mennoniten aus den USA. Angst hatte er vor keinem und reden konnte er mit allen, und es war wirklich kein Bla-Bla. Er trat für die Solidarität mit den „Kleinen“ ein, denn klein waren sie eigentlich nicht in seinen Augen. Er trat leidenschaftlich für eine Kirche als eine völlig freiwillige Versammlung von Menschen ein. Er sah bestens, wie der Staat historisch die Kirchen geknebelt und ihnen auch geschadet hatte. Sein Dienst als „Arbeiterpriester“ war dieser Überzeugung zu verdanken. Willibald war glaubwürdig; er lebte das vor, an was er glaubte. So war er auch für mich ein wirkliches Vorbild. Danke, leb wohl. Bis bald. Es fällt mir schwer, Deine eMail-Anschrift zu löschen.

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Nico Plomp

Willibald Jacob war ein Vertreter der Generation, die als Kind den Krieg durchgemacht hatte. Ihr Leben war geprägt von Nachkriegschaos, Mangel, Trauer und großem Unbehagen, während sie im besiegten Deutschland einen Weg finden musste, um materiell und moralisch weiterzuleben.

Im Jahr 1948, 16-jährig, wollte Willibald nicht mehr zur Schule und weg von den Spannungen zu Hause. Nach Vermittlung einer Bekannten ging er nach Schleswig-Holstein, um auf einem Bauernhof zu arbeiten aber nicht lang. Nach einem Unfall war er arbeitsunfähig und verbrachte zwei Monate im Krankenhaus. Es war eine Zeit der Besinnung: Willibald begann die Bibel sorgfältig zu lesen und beschloss in das Elternhaus zurückzukehren um an der Katecheten Ausbildung teilzunehmen. Es bedeutete einen Veränderung in seinem Leben. Zum ersten Mal hörte er über die Gemeinden, die sich nicht der nationalsozialistischen Ideologie gebeugt hatten, von den Beschlüssen der Synoden der Bekennenden Kirche von 1934, dem Stuttgarter Schuldbekenntnis aus 1945 und das Darmstädter Wort von 1947. Er schreibt in seiner Autobiografie ‚Am Rand die Mitte suchen‘ (2013);

„Wir sind erschrocken und beschämt. Unser Volk, das zu 90% aus getauften Christen besteht, hat sich unter geringem Widerstand die christliche Prägung seines staatlichen und kulturellen Lebens in kürzester Frist rauben lassen. Das ist eine für uns Deutsche tief beschämende Tatsache. IN DIESER LAGE RUFT UNS GOTTES WORT ZUR BUSSE, (…) man muss das Christsein im Leben und im gesellschaftlichen und politischen Handeln zeigen.“

Dieser Appell gibt ihm ein Ziel im Leben und ist ein Weg, um seine Unruhe zu kanalisieren.

Willibald wird ein begeisterter Evangelist, der sich für den Aufbau des Sozialismus in der DDR einsetzte. Als 19-jähriger Student zog er mit einem Wohnwagen nach Briesen um Jugendlichen Christunterricht zu geben in Auftrag der Gossner Mission. Als er in 1953 zufälligerweise im Gefängnis ist, organisiert er auch dort Gottesdienste. Wo Kirche abwesend oder unbekannt ist, bildet er Hauskreise und besucht dazu in Auftrag der Gossner Mission in der Gegend der Stalinallee in Berlin von Haus zu Haus Familien. In dieser Zeit lernt er seine Frau Elfriede kennen und Dietrich Gutsch, mit dem er erste ÖJD Aufbaulager in 1957 organisiert. In 1959 wird er Pfarrer in Treuenbrietzen und dort baute er eine Dienstgruppe von Theologen in Gemeinden und Betrieben in der Tradition der Bekennenden Kirche und der französischen Arbeiterpriester auf. Er verweigerte den Wehrdienst. In 1968 verließ Willibald den kirchlichen Dienst und arbeitete beim Straßenwesen der DDR ausdrücklich als  Christ weil er ‚Leben und Arbeit mit Gemeindemitgliedern und mit anderen Menschen teilen wollte‘[1]. Er qualifizierte sich zum Facharbeiter und Ingenieur in der VEB Bezirksdirektion des Straßenwesens (BDS) Berlin. Von 1974 bis 1976 war er Vorsitzender der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). In der Zeit beschäftigte er sich auch mehr und mehr mit Fragen von Glaube und Gesellschaft aus theologischen und sozial-ethischen Sicht. In 1977 publiziert er ‚Eigentum und Arbeit, evangelische Sozialethik zwischen Industriegesellschaft und Sozialismus‘ worin er Privatbesitz von Produktionsmittel aus biblischen Gründen ablehnt (er legt das Buch vor als Dissertation bei der Reformierten Theologischen Akademie in Debrecen, Ungarn) und später erscheint ‚Leistung wofür? Überlegungen zum Dienst des Menschen in der Gesellschaft‘ (1980) und ‚Arbeiterpfarrer in der DDR‘ (2004). Zwischen 1985 und 1988 war er Dozent für evangelische Sozialethik, Ökonomie und Betriebsorganisation in Govindpur in Indien. Willibald entwickelte sich immer mehr zu einem Ideologen, der meinte der christliche Glaube impliziere eine Wahl gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus.

Als Holländer, nach dem Krieg geboren, hatte ich ganz andere Kindheitserfahrungen als Willibald. Wir trafen uns jedoch bei den jährlichen Treffens des ÖJD. Willibald hatte ein starkes Bedürfnis, seine praxisorientiertem Gedanken zu verbreiten. Ich war mehrere Malen bei ihm zu Hause eingeladen; zusammen mit Kollegen und dem Parteisekretär seines Betriebes organisierte er Seminare zum Thema „Arbeit und Entfremdung“. Wir besuchten LPGs (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) und begegneten dort Arbeitnehmer, Christen und Nichtchristen. Ich hatte Betriebssoziologie studiert und mich zu dieser Zeit intensiv mit Herrschafts-Verhältnisse in Betrieben befasst und war neugierig. Durch Willibald habe ich viel über den Alltagleben in der DDR kennen gelernt.

Aber das meist denkwürdige Ereignis mit Willibald war für mich jedoch, dass wir zusammen bei mir zu Hause in Amsterdam den Mauerfall  am 9. November 1989 im Fernsehen sahen. Willibald war auf dem Weg nach England und blieb diese Nacht bei mir. Wir sahen die Ströme von DDR-Bürgern die auf der Westseite jubelten, eine ausgelassene Menge und begeisterte Politiker mit ihren Kommentaren. Wir waren beide überrascht und fassungslos von dem was wir sahen, aber während die Euphorie bei mir mit der Minute zunahm, war das Gegenteil bei Willibald der Fall. Er sah die rechten Kräfte in Helmut Kohls und Willy Brands Überschwang siegen.  Zu dieser Zeit zeigten sich Unterschiede in unseren Weltanschauungen. Er sah die Zukunft seines Landes und sein Idealbild einer gerechten sozialistischen Gesellschaft untergraben. Ich sah das blutlose Ende eines Unterdrückungssystems, Raum für persönliche Meinungs- und Bewegungsfreiheit und das Ende einer beengten und missbrauchten Ideologie. Er sah den Verlust, ich die Möglichkeiten. Es zeigte sich ein Wendepunkt in der Geschichte, das Ende des Kalten Krieges und des Zweiten Weltkrieges!

Willibald aber, blieb ein Kämpfer. Er streitete gegen die Kriminalisierung der alten DDR und die Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Von 1994 bis 1998 war er Bundestagabgeordnete für die PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus), die sich u.a. für die Opfer der Wende einsetzte. Er musste sich für seine Entscheidungen gegenüber  den Bischof verteidigen der die Mitgliedschaft in der PDS als unvereinbar mit dem Christensein betrachtete. Er wurde beschuldigt, als IM für die Stasi gearbeitet zu haben, war jedoch nur bereit, die Angelegenheit zu eröffnen, wenn die Handlungen der Stasi nach den im Sicherheitsdienst in anderen Ländern üblichen Standards beurteilt würden.

Ab 1996 wirkte Willibald beim Austauschprogrammen für die Berufsausbildung mit Inder und schrieb über seine Indien-Erfahrungen. Den zweiten Teil seiner Autobiografie beendet er in 2015 mit einem „Ruf zur Umkehr, zur Busse“, genau wie 1949, als Deutschland materiell und moralisch in Trümmern lag, verweisend auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in der Welt. Für Weltverbesserer ist es immer Krieg, auch wenn Frieden und Gerechtigkeit viel näher gekommen sind. Das hat etwas Tragisches.

[1] Die volkseigene Erfahrung. Erinnerungen Zweiter Teil, Ludwigsfelder Verlagshaus: Ludwigsfelde, 2015, Seite 9.

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Die Linken

Unser Freund und Mitstreiter, Willibald Jacob, ist verstorben. Mit ihm verlieren wir einen Humanisten und Internationalisten, der in den 90iger Jahren als Bundestagsabgeordneter für die PDS, mit Wahlkreis in der heutigen Mecklenburgischen Seenplatte, unser parlamentarisches Wirken in „Gysi’s bunter Truppe“ bereicherte. Seine Lebenserfahrung und seine Weltsicht als evangelischer Pfarrer weiteten den politischen Horizont vieler Mitglieder unserer Partei.

Linke Politik steht für eine solidarische Gesellschaft. Willibald Jacob hat diesem Anspruch in besonderem Maße Glaubwürdigkeit verliehen. Mit seinem Wirken verbindet sich gelebte Solidarität, sei es im Rahmen von Entwicklungsarbeit in Indien, sei es im Engagement für Kulturprojekte hierzulande. Willibald Jacob fehlt uns. Im Herzen derjenigen, die ihn kannten und schätzten, wird er fortleben.

Quelle


Webarchiv des Bundestages zu Dr. Willibald Jacob

Geboren am 26. Januar 1932 in Berlin, evangelisch; verheiratet, vier Kinder. Volksschule, Oberschule. 1949 Seminar für kirchlichen Dienst Berlin, ab 1952 missionarische Dienste in Briesen/Mark, Wittenberg und Berlin Stalinallee. 1955 bis 1959 Theologiestudium an der kirchlichen Hochschule Berlin, ab 1959 Pfarrer in Treuenbrietzen und Cottbus. 1984 Dr. theol. 1965 Wehrdienstverweigerung. 1968 bis 1982 bei VEB Straßenwesen Cottbus und Berlin tätig, 1970 Industriekaufmann, 1974 Ingenieur für Straßeninstandhaltung. 1982 bis 1985 Pfarrer in Berlin, 1985 bis 1988 Dozent für evangelische Sozialethik in Govindpur/Indien, 1989 bis 1992 Pfarrer in Hohenbruch bei Oranienburg-Sachsenhausen, 1992 Ruhestand. Mitglied der IG Bau-Holz; 1974 bis 1976 BGL-Vorsitzender. Seit 1992 Unterstützer der Initiative Ostdeutscher Betriebs- und Personalräte in Berlin und Bischofferode. Mitglied der IG Medien; Vorstandsmitglied der Entwicklungspolitischen Gesellschaft e. V., Mitglied der Gesellschaft zur Förderung des marxistisch-christlichen Dialogs e. V. und des Arbeitslosenverbandes e. V.; Förderer der Ben-Gurion-Universität des Negev e. V. 1970 bis 1990 Mitglied der CDU/DDR. Ab 1992 Indien­referent der Entwicklungs­politischen Gesellschaft e. V. (EPOG), Mitglied des Bundestages von 1994 bis 1998, ab 2009 bei dem Solidaritätsdienst International e.V.


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