Artikel von Paul Gaebler 1

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Veröffentlichungen von Paul Gäbler

Inhalt

Sadhu Sundar Singh 
1,9 MB

Ein Ausflug ins Räuberland
42 KB

  1. Kallernad

  2. Blutrache

  3. Jalikats

  4. Verwandtenheirat

  5. Maßnahmen der Regierung

  6. Ausflug nach Usilampatti

  7. Heidenpredigt

Der Islam in Indien als Missionsproblem der Gegenwart
61 KB

  1. Das Antlitz des Islam in Indien

  2. Die christliche Mohammedanermission

Auf missionarischem Neuland in Südindien
33 KB

  1. Gottessehnsucht

  2. Vorbereitungen

  3. Missionarische Verkündigung

  4. Ein Beispiel

Charakterköpfe unter tamilischen Pfarrern 
1,2 MB

  1. Aron

  2. A. M. Samuel

  3. N. Devasagayam

Nâdiamman, die Göttin von Pattukkottai
98 KB

  1. Die Anfänge der Nâdiamman-Verehrung

  2. Die Tempel

  3. Die Priester

  4. Die Verehrung der Göttin

  5. Das Fest der Göttin

  6. Abschließendes

Unsere indische Missionsarbeit im Jahr 1938

  1. Missionsumfeld

  2. Weltmissionskonferenz in Tambaram

  3. Tagung des indischen lutherischen Kirchenbundes in Tranquebar

  4. Theologenausbildung Gurukul in Madras

  5. Fabriciusschule in Madras

  6. Schule an der Brickkiln-Straße

  7. Pandur

  8. Tiruvallur

  9. Chidambaram

  10. Shiyali

  11. Mayavaram

  12. Tranquebar

  13. Porayar

  14. Kumbakonam

  15. Tanjore

  16. Pattukkottai

  17. Coleroon-Mission

Anmerkungen zur Colderoon-Mission

Anmerkungen zu den Dalits

Statistik zur Leipziger Mission in Indien

Die nichttheologischen Faktoren in ihrer Bedeutung
für Wesen und Gestalt der Jungen Kirchen

Zur Frage der missionarischen Verkündigung in Indien

Beiträge in RGG und im Evangelischen Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis


Paul Gäbler 1925Ein Ausflug ins Räuberland

Von Missionar Paul Gäbler

Evangelisch-lutherisches Missionsblatt. Ev.-luth. Mission Leipzig 1927. Seite 36 bis 42

1. Kallernad

Westlich von Madura liegt ein hügelbekränztes, manchmal von erfrischenden und sandreichen Winden durchbraustes Land, das Kallernad, auf deutsch: Räuberland. Es ist die Heimat der Diebeskaste, deren Hauptstamm dort wohnt. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es ein gewagtes Unternehmen, in jenem Gebiet zu reisen. Man musste gefasst sein, bei rabenschwarzer Nacht und selbst bei helllichtem Tage plötzlich seiner Habseligkeiten beraubt zu werden. Ähnlich muss es in den Zeiten des alten deutschen Raubrittertums gewesen sein, nur dass die indischen Kaller ritterlicher zu sein scheinen; sie lassen mit sich reden. Besonders beliebt sind Viehdiebstähle. Die Tiere werden sofort in der ersten Nacht 30 bis 40 km weit fortgetrieben und dann sorgfältig verborgen gehalten. In solch einem Falle die Polizei zu alarmieren, ist völlig aussichtslos. Denn selbst ein durchtriebener Polizist würde bei der Nachforschung in Verzweiflung geraten, zumal jeder Einheimische passiven Widerstand übt. Nur auf diplomatischem Wege und unter Beistand von Mittelspersonen hat man Aussicht, das Gestohlene wiederzuerlangen, jedoch nicht ohne Zahlung des tuppu-kuli, des Lösegeldes. Wollte früher ein Kaufmann sicher gehen, dann schloss er vorher sozusagen eine Diebstahlsversicherung ab und wurde dann von einem Kallermädchen begleitet, das mit der Hand ihr Ohr gefasst hielt. Dann wussten alle Kaller Bescheid und taten keinen Schaden.

In vieler Hinsicht hebt sich jedoch dieser Volksstamm vorteilhaft von den südindischen Stämmen ab. Betrunkenheit gibt es kaum - erst neuerdings dringt der Alkohol mit der vorrückenden Kultur ein - und Opium wird nur ausnahmsweise genossen. Besonders eindrucksvoll sind die Volkstänze der Kallerjungen und -mädchen, bei denen die mit Schellen geschmückten Füße im Rhythmus bewegt und kurze Stäbe im Takt aneinander geschlagen werden, so dass man weithin das Klingklang und Klipp-klapp vernimmt. Hei, da sprüht das Leben! Ich hatte gedacht, so etwas gäbe es nur in Afrika, etwa unter den Wadschagga. Es ist eine Freude, die geschmeidigen und kraftvollen Tänze der indischen Jugend zu sehen.

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2. Blutrache

Doch gibt es, vom Stehlen abgesehen, noch andere dunkle Seiten, die das unbändige Wesen der Kaller enthüllen. Nur im Vorbeigehen sei viererlei erwähnt. Das eine ist die blutige Rache, die schlimmer ist als selbst das, wofür man den Ausdruck Blutrache geprägt hat. Wenn ein Zank zwischen mehreren Frauen entsteht, so kommt es vor, dass die Frau, die sich beleidigt fühlt, zur Haustür ihres Widersachers geht und dort ihr eigenes Kind tötet. Sofort entsteht ein gewaltiger Tumult und das Dorfgericht tritt zusammen. Stellt sich dabei heraus, dass die Angeklagte im Unrecht ist, so geht ihr Mann nach Hause, nimmt sein Kind und tötet es vor dem Hause der Frau, die ihr Kind zuerst umbrachte. Damit gilt der Zank als beigelegt. Immerhin gehört diese entsetzliche Sitte, wie versichert wird, nunmehr der Vergangenheit an.

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3. Jalikats

Das zweite sind die Jallikats, eine Art Stierkämpfe, die jährlich im Februar oder März in allen Dörfern abgehalten werden. Es kommt hier nicht wie in Spanien darauf an, den durch Trommelwirbel und anderes vorher wildgemachten Stier zu töten, sondern Tücher, die auf seinen scharf zugespitzten Hörnern festgebunden sind, loszulösen. Oft kommt es dabei zu Todesfällen; so wurden in Usilampatti kürzlich zehn Minuten vor der Ankunft des Gouverneurs von Madras zwei Männer bei einem derartigen Kampf getötet. Sieger ist entweder der Besitzer des Stiers, wenn dieser ausbricht und unbezwungen nach Hause stürmt, oder der Jüngling oder Mann, dem es gelingt, den Stier im wahrsten Sinne des Wortes bei den Hörnern zu packen und das Tuch herabzuholen. Es sind wilde und blutige Schauspiele - ein Jammer, dass sich soviel Manneskraft in missleiteter Weise austobt.

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4. Verwandtenheirat

Eine dritte ungewöhnliche Sitte ist die Verwandtenheirat. Jeder muss das Kind von Vaters Schwester oder Mutters Bruder heiraten. Unlängst wurde ein Junge von 13 Jahren von der Missionsschule fortgeholt und mit seiner Base, einer vierzigjährigen Frau, verheiratet. Was für Abgründe werden dadurch im Familienleben aufgerissen! Nur durch Zahlung der merkwürdigen Summe von 100 Rupies und vier Annas (etwa 150 Mark) kann man sich von solch einer Mußheirat loskaufen. Die Folgen dieser jahrhundertelangen Verwandtenheirat treten manchmal krass zutage. Man wundert sich nur, dass es nicht noch mehr der Fall ist. In der Kostschule von Usilampatti befindet sich z. B. ein achtjähriges Mädchen, an dem man derartige Degenerationserscheinungen wahrnehmen kann. Einmal streute es einem anderen Mädchen die Augen über und über voll Sand, so dass das Schlimmste zu befürchten war. Zur Strafe wurde es eine Zeitlang an einen Pfeiler angebunden - zusammen mit einem Kalb. Über diese schmachvolle Züchtigung schrie es kläglich. Und am Tage darauf? Da nahm es ein kleines Kind und steckte dessen Kopf in einen Wassertrog. Das arme Wurm wurde nur deshalb gerettet, weil eine Frau das Blubbern des mit dem Tode ringenden Kindes hörte und herbeistürzte. Natürlich ist es unmöglich, solch ein unglückliches, erblich belastetes Mädchen zu behalten, es wird bei der nächsten Gelegenheit heimgeschickt. - Eine weitere Besonderheit der Kaller ist schließlich die Beschneidung der 10 bis 12jährigcn Knaben. Da dies jedoch eine rein religiöse Zeremonie ist, die man übrigens wahrscheinlich von den Mohammedanern übernommen hat, lässt sie sich leicht von den christlichen Gemeinden fernhalten.

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5. Maßnahmen der Regierung

Es bedarf keiner Ausführung, dass dieses Volk der Regierung von jeher ein Dorn im Auge gewesen ist. Doch erwiesen sich alle ihre Maßnahmen als vergeblich Erst seit 1920 ist Durchgreifendes geschehen. Es wurde ein besonderes Dezernat für die Kaller errichtet und mit weitgehenden Vollmachten ausgerüstet. Die modernsten Hilfsmittel wurden verwendet. Von jedem Kaller - es handelt sich um mehrere Hunderttausend - sind Fingerabdrucke genommen. Das Verlassen des Dorfes bei Nacht ist auf das Strengste verboten. Tut es jemand ohne Pass doch, so wird er dazu verurteilt, eine Reihe von Monaten Abend für Abend zur nächsten Polizeistation zu wandern, die 10 km entfernt sein mag, um dort die Nacht zu schlafen. Das wirkt Wunder. Indessen kam es gelegentlich zu Kämpfen zwischen Dorfschaft und Polizei, wobei erstere natürlich den kürzeren zog. So müssen sich die Kaller durchweg den friedlichen Beschäftigungen zuwenden, vor allem der Landwirtschaft. Wenn es geregnet hat, sieht man sie auf den Feldern, wie sie in langen Reihen mit dem von zwei Ochsen gezogenen Holzpflug aus Urvätertagen schmale Rillen in den Boden kratzen. - Hand in Hand mit den Zwangsmaßnahmen, die jedoch als Übergang zu betrachten sind, geht eine weitreichende erzieherische Tätigkeit. Hin und her im Lande richtet die Regierung Schulen ein und bewilligt selbst Stipendien. Die 42 Schulen, die in diesem Gebiete der Mission unterstehen, sind Regierungsschulen, in denen kein christlicher Religionsunterricht erteilt werden darf. Doch können die Lehrer - natürlich stellt die Mission nur christliche Lehrer an - ungeheuer viel Segen stiften. Wer die Verhältnisse näher kennen lernt, kann es mit Händen greifen. Diese Lehrer sind die eigentlichen Pioniere der Mission. Denn gewinnen sie die Herzen der Jugend, so bahnen sie sich den Weg zum Herzen der Alten. Aus jenen Dorfschulen rekrutieren sich die Kallerkinder der Missionskostschulen in Usilampatti, Madura und Virudhunagar. Dort erhalten sie eine christliche Erziehung, und viele von ihnen bitten, wenn sie älter werden, um die Taufe, Oft ziehen sie die Eltern und Verwandten nach sich. So entstehen in vielen Dörfern christliche Familien und christliche Gemeinden.

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6. Ausflug nach Usilampatti

Die Missionsarbeit im Kallernad, das zum schwedischen Gebiet gehört - aber auch im Leipziger Gebiet gibt es viele Kaller - ist alt. Doch wurde sie stets nur von Madura aus betrieben. Erst im Jahre 1925 wurde in dem schon mehrfach erwähnten Usilampatti, einem großen Marktflecken, ein Missionshaus gebaut. Der schwedische Missionar Himmelstrand ist der dort stationierte Räubermissionar. Als er mich einlud, einige Tage bei ihm zu verbringen - im September hatte die Sprachschule in Kodaikanal kurze Ferien - sagte ich mit Freuden zu. Verstehe ich auch nur erst wenig Tamulisch, so konnte ich doch oft bei den Ansprachen dem Gedankengang folgen. Eines Morgens um fünf Uhr machte ich mich mit Bruder Tiliander, ebenfalls einem Schweden, der mit mir die Sprachschule in Kodaikanal besucht, auf den Weg. Drei Tamulen mit je einem Koffer auf dem Kopfe marschierten im Gänsemarsch hinter uns. Glücklicherweise hatten wir sie wecken lassen, so dass sie nur eine halbe Stunde zu spät zu uns kamen - für indische Begriffe eine Lappalie. Dann ging es den alten Weg nach Periyakulam herunter, den ich als Kind im Hängestuhl zurückgelegt hatte. Der Abstieg war herrlich, aber ich kann davon hier nicht erzählen. Wohl über hundert Windungen schlossen sich steil aneinander an. Später schnitten wir auf schmalen Pfaden viel ab, mussten jedoch springen wie Gemsen. Und die Inder hinter uns sprangen auch, so dass die Koffer hüpften, glücklicherweise ohne herabzustürzen. In etwa zwei Stunden überwanden wir den Höhenunterschied von 2.000 m. Majestätisch ragte hinter uns das Steilgebirge empor.

 
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Ausflug der Missionare Gäbler und Tiliander 1927

Nach kurzer Fahrt in einer rüttelnden Jutka, einem engen, zweirädrigen Pferdewagen, und endloser Fahrt im schüttelnden Autobus gelangten wir schließlich ans Ziel. Der erste Autobus war beängstigend klapperig, fuhr jedoch rücksichtslos schnell, und aus der Öffnung über dem Motor spritzte uns kühlend das Wasser ins Gesicht. Der zweite Autobus erschien vertrauenerweckender, aber auch da wurden wir auf den schlechten Straßen von den Sitzen gegen das Verdeck geschleudert und wir erlitten viel Verspätung durch einen Federbruch. Erst gegen Nachmittag erreichten wir die Missionsstation.

Das Missionshaus ist einstöckig und in seiner Ausführung außerordentlich schlicht. Ringsum spross schon das Grün, das mit tropischer Schnelligkeit wächst, aber mühsame Bewässerung erfordert. Verbunden mit der Missionsstation ist, wie schon angedeutet, eine Kostschule und außerdem ein landwirtschaftliches Unternehmen. So hört man im Hofe das Singen der Mädchen und das Krähen der Hähne und das mahlende Geräusch der wiederkäuenden Kühe und Büffel.

Missionar Himmelstrand ist freilich nicht sehr oft zu Hause. Tagelange Ausflüge führen ihn weit hinaus in den Distrikt zu Schulvisitationen und zur Heidenpredigt, und zwar meist zu Fuß. So wanderte auch ich auf solch eine mehrtägige Distrktsreise hinaus. Früh nach Sonnenaufgang brachen wir auf mit Pastor Rajendram und Evangelist Gnanaditam. In den Dörfern, durch die wir kamen, wurde gepredigt. Endlich nach stundenlanger Wanderung erreichten wir unser Hauptquartier, die Schule in Pudupatti, nichts weiter als eine nach einer Seile hin offene Lehmhütte. Die Feldbetten wurden aufgeschlagen, und zwei Tamulinnen richteten das Essen her, lauter echt indische Kost, morgens Appam und andere Dinge, deren Namen ich immer wieder vergesse, mittags Reis mit Curry und abends Curry mit Reis. Aber wie! Mit Pfeffer und anderem scharfen Gewürz zubereitet, dass den Indern das Herz im Leibe lacht und dem Neuling die Zunge brennt und immer wieder der Schluckuck im Halse aufsteigt. Unsere Hütte war meist von Menschen umlagert. Da es gegen die guten Sitten Indiens verstößt, beim Essen zuzugucken, zogen sie sich dann manchmal zurück, so dass wir etwas ausatmen konnten. Aber sonst verfolgten sie mit Argusaugen alles, was in der Hütte vor sich ging, das Aufstehen in der Morgendämmerung mit eingerechnet, und zwar stehend und kniend und sich den Hals ausrenkend. Nur mit gutem Humor lässt sich so etwas ertragen.

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7. Heidenpredigt

Doch nun zur Heidenpredigt! Ein Leipziger Buchhändler fragte mich einmal mitleidig, ob es wahr wäre, dass die Missionare in den indischen Dörfern auf der Geige spielen müssten, um überhaupt die Hörer anzulocken. Wie ganz anders ist es in Wirklichkeit! Da ist gar nichts Gekünsteltes. Wir brauchten in einem Dorf nur stehen zu bleiben, und schon versammelten sich die Leute, groß und klein, und alle erwartungsvoll. Meist war es unter dem Tamarindenbaume, der indischen Dorflinde, in der Nähe des Götzenaltars, auf dem die Bilder von Minatschi, Alayarswami, Ayenar, Karuppen (der "Schwarze") u. a. stehen und vor denen die Kaller, früher selbst für ein gutes Gelingen ihrer Diebeszüge, Opfer darbringen. Wenn die Dorfleute zusammengeströmt sind, bedarf es kaum einer Einleitung, und die Ansprache kann sofort zu religiösen Dingen und von dort zum Herzen der Missionspredigt übergehen. Zweierlei ist dabei oft kennzeichnend: einerseits das Verwandeln der Ansprache in eine Zwiesprache mit einem der Hörer, meist einem graubärtigen Alten, und anderseits das Singen von Liederversen in indischer Melodie, aber auch dies völlig ungekünstelt.

Ich zeichne mit wenigen Strichen vier Bilder, die dies anschaulich machen mögen.

  1. Morgens um 8 Uhr. Wir hockten im Schatten eines Hauses auf einer von den Bewohnern herbeigeschleppten primitiven Bettstelle. Um uns lagerten sich die Hörer. Missionar Himmelstrand sprach darüber, dass unser Herz oft einem Hause gleiche, in dem Fledermäuse und anderes Getier haust. Hieran knüpfte nachher Pastor Rajendram an mit packen' der Anschaulichkeit. Ich - er wies auf mich - habe ihn am vorhergehenden Tage gefragt, wo all die vielen Schlangen wären, und ich hätte mich gewundert, dass sich nicht hinter jeder Wegebiegung eine Schlange geringelt hätte. (Übrigens hatte ich nur im Scherz gefragt.) Da merke man, dass ich noch nicht lange in Indien gelebt hätte. Schlangen kröchen nicht morgens um 10 Uhr im Hellen herum, sondern wo? Im Dunkeln natürlich! - Alle Hörer schmunzelten. Und dann lenkte der Pastor über zu den bösen Gedanken, die nur in einem finsteren Herzen wohnen können. Da verstand auch der Einfältigste unmittelbar das Wort: Ein reines Herz, Herr, schaff in mir! Nach gut einer Stunde wanderten wir weiter. - Und ein Sämann ging aus, zu säen seinen Samen.
     

  2. Ein anderes Dorf, Sadaichipatti. Es war mittags 12 Uhr. Wir hatten einen langen, glühend heißen Weg hinter uns und einen ebensolchen vor uns. Schutzbrille und Regenschirm gaben etwas Schutz gegen die stechenden Sonnenstrahlen, aber wir waren trotzdem längst plitsch-nass und müde. Diesmal wurde das dortige Schulgebäude zum Predigtplatz. Die Kaller saßen auf dem Boden oder drängten sich hinter den Fenstern. Unser Pastor erzählte eine Geschichte. Sie handelte von einer goldenen Stadt auf einem hohen Berge, wo ein König im Frieden regierte. Am Fuße des Berges lag im dichten Dschungel ein ärmliches Dorf, dessen Bewohner gegen Löwen, Tiger und Wölfe zu kämpfen hatten. Da kam eines Tages der König aus seiner goldenen Stadt herab und war tief erschüttert über das Elend in dem armen Dorfe. Er erzählte seinem Sohn davon, und dieser sprach: Ich will hinabsteigen und ihnen Hilfe bringen, auch wenn ich sterben müsste. Und er ging hin und erlitt den bittersten Tod. - Wie die Hörer lauschten und wie ihre Augen glänzten! Ob ihnen die Botschaft nachgeht von dem barmherzigen Vater im Himmel, der die Welt so geliebt hat, dass er seinen eingebornen Sohn dahingab? ... Und wieder griffen wir Zum Wanderstab.
     

  3. Abenddämmerung. Bleierne Müdigkeit lag uns in den Gliedern. Denn wir waren am Morgen und Mittag acht Stunden unterwegs gewesen. Wir näherten uns Paskaranpatti. Papageien lärmten auf einem riesigen Baume. Dicht beieinander standen drei Götzentempel; an einer eisernen Kette hingen verrostete Messer und andere Opfergeschenke. Als wir die Dorfstraße entlang gingen, fletschten uns zwei riesige Hunde an, aber sie machten wenigstens mit ihrem Gebell das Dorf lebendig. Dann setzten mir uns. Die Menschen standen wie Mauern. Einer nach dem anderen hielt eine Ansprache, zuletzt der Pastor. Was sollen wir Gott darbringen? Blumen, oder Tieropfer? Aber Blumen und Tiere hat Gott uns geschenkt. Was erwarten Eltern von ihren Kindern? Etwa Perlen oder sonst etwas, dass sie ihnen vorher geschenkt haben? Nein, etwas ganz anderes - ihre Liebe, ihr Herz, Was sollen wir Gott bringen? Unser Herz! Und der Pastor sang wieder und wieder in der langgezogenen, fast schwermütigen Gesangsweise der Inder: "Gib mir, mein Sohn, dein Herz!" Längst war es dunkel geworden. Über uns leuchteten die Sterne, vor uns schimmerten durch die Nacht die hellen Gewänder der Inder. Regungslos lauschten sie auf die Stimme, die wieder und wieder anstimmte: "Gib mir, mein Sohn, dein Herz!" Es war das Rufen des guten Hirten, der nicht ansehen kann, dass eins seiner Schafe verloren geht. Gib mir, mein Sohn, dein Herz - noch immer klingt in mir der Ruf jener nächtlichen Stunde im Kallerdorfe nach.
     

  4. Und schließlich der letzte Abend. Es regnete, und wir mussten in unserer Hütte bleiben. So sangen wir abwechselnd Lieder, indische, schwedische und deutsche, jeder in seiner Muttersprache, und dabei wanderten unwillkürlich die Gedanken in die ferne, ferne Heimat. - Währenddessen füllte sich die Hütte mit Menschen, die vorbeikamen und nach kurzem Gruß eintraten. Gerade hatte Missionar Himmelstrand sich erhoben und angefangen zu predigen, als plötzlich ein Wolkenbruch losbrach, der das Weitersprechen unmöglich machte. Es rauschte und brauste, so dass das Wasser durch das Dach drang und sich die Kinder unter die beiden Tische verkrochen; die Frösche wurden lebendig und gaben ein rastloses nächtliches Konzert.

    Und doch war gerade dieser Regen von besonderer Art. Am vorhergehenden Abend nämlich hatten die Leute unseres Dorfes Beratung gehabt, ob sie ihren Götzen opfern sollten, um von ihnen Regen zu erbitten. Schließlich hatten sie aufs Opfern verzichtet, weil einige erklärten: "Auch im vorigen Jahre hatten wir Dürre. Aber als der Missionar kam, regnete es. Nun ist der Missionar auch dies Jahr in der Dürre gekommen. Sollte es dann nicht wieder regnen?" Und das Wunder geschah. Es regnete in Strömen, so, dass die Felder erquickt und die ausgetrockneten Stauseen gefüllt wurden.

Ist das nicht ein Gleichnis? Wenn Gott dem vertrockneten Erdreich Regen sendet, dass die Frucht gedeihe, sollte er dann nicht Macht haben, in Menschenherzen die Saat des ausgestreuten Gotteswortes aufgehen zu lassen, selbst im Lande der Diebe und Räuber? Oder gerade hier. Sind doch gerade aus diesem in so vieler Hinsicht liebenswerten Volke starke christliche Persönlichkeiten hervorgegangen, wie der alte Pastor Devasagayam, dessen Lebensbeschreibung vielen bekannt ist.

Jawohl - Kallernad für Christus! Hüter, ist der Tag noch fern? Schon ergrünt es auf den Weiden.

Inhaltsverzeichnis

Der Islam in Indien als Missionsproblem der Gegenwart

Von Missionar Paul Gäbler, Madras

Lutherisches Missionsjahrbuch für das Jahr 1930. H. G. Wallmann Verlag Leipzig. Seite  43 bis 57.

1. Das Antlitz des Islam in Indien

Es ist ein riesiger Heerbann, der sich in Indien zu Allah und seinem Propheten Mohammed bekennt. Von allen Mohammedanern, die es auf dem Erdenkreis gibt, wohnt ein Drittel auf dem Boden Indiens. Ihre Schar zählt 70 Millionen unter den 320 Millionen Indern. Es ist ein stolzes, starkes Geschlecht, das sich klar von der Hinduistischen Umwelt abhebt und ein bewusstes Eigenleben führt. Sind die Nachfolger des Propheten auch über alle Sprachgebiete des indischen Kontinents zerstreut, so ist ihre Muttersprache doch weithin das Urdu (1) (=Hindustani), das sie alle verbindet und vereint.

Bilden sie so eine geschlossene Welt für sich, in die der Fremdling nur schwer Eingang findet, so sind sie selbst eine bunte Schar, die die größten Gegensätze in sich vereinigt. Schon die Wesens- und Temperamentunterschiede zwischen den nord- und südindischen Mohammedanern gehen tief. Dazu kommen die Gegensätze zwischen dem flachen Land mit seiner Dorfeinsamkeit und der Großstadt mit ihrem regen geschäftlichen und geistigen Leben. Ja, die Unterschiede erstrecken sich bis in die Tiefen der Frömmigkeit, wo primitiver Animismus mit Zauberfurcht und Geisterverehrung dem tiefgrabendsten Denken gegenübersteht. Und auch unter den Hochgebildeten unterscheidet sich der philosophisch veranlagte Gelehrte vom Mann der Tat und des praktischen Lebens und dieser wiederum vom stillen, grübelnden Mystiker. Der Islam in Indien ist ein weitschichtiges und kompliziertes Gebilde, und man kann mit Verallgemeinerungen gar nicht vorsichtig genug sein.

Und doch kann man in Indien von dem mohammedanischen Menschen als einer gegebenen Persönlichkeit zu reden versuchen. Er trägt an sich alle Züge des mohammedanischen Menschen schlechthin, des Morgenländers, und es ist für ihn besonders charakteristisch, dass er das Leben als ein unteilbares Ganzes betrachtet und in erschreckender und doch auch erfreulicher Unbekümmertheit alles durcheinandermengt. Die Teilung des Lebens in abgetrennte Lebensbezirke, wie wir es lieben, ist ihm ein Greuel. Ob er eine politische Ansprache hält oder um seine Waren feilscht oder auf der Eisenbahn reist oder die Moschee besucht, stets ist er Mohammedaner. Religion und Politik, Geistiges, Geistliches und Weltliches vermischt er zu einem unauflöslichen Ganzen. Alles geht ineinander unter und auf und wirft alle Versuche einer reinlichen Gliederung über den Haufen. Wir Abendländer sind über diese Art oft voll Verwunderung und finden uns nur schwer darin zurecht. Wenn wir den Islam zergliedern und zerlegen, müssen wir bedenken, dass wir etwas Künstliches tun; aber anders ist eine Übersicht nicht zu gewinnen.

Worin liegt nun das Besondere der gegenwärtigen Lage in Indien? Ist der Islam im Erstarken oder im Abnehmen begriffen? Man kann öfter das Urteil hören, dass der Islam in Indien wenig Stoßkraft entfaltet. Selbst Missionsmänner vertreten gelegentlich diese Anschauung. Und doch hängt alles davon ab, ob man den Islam als historisch sich entwickelnden Faktor an sich betrachtet, oder ob man ihn mit seiner Umwelt vergleicht, in die er hineingebettet ist. Im letzteren Fall hat man nicht unrecht, wenn man an einem Erstarken des Islam zweifelt. Betrachtet man jedoch den Islam als eine in der Entwicklung begriffene Größe, und beurteilt man ihn von innen heraus nach seinen eigenen Maßstäben, ist sein Wachstum unverkennbar und gibt zu lebhaften Besorgnissen Anlass.

1.1

In politischer Hinsicht scheint auf den ersten Blick noch am ersten die Schwachheit des Islam hervorzutreten. Die Erschütterungen, denen das Verhältnis zwischen Mohammedanern und Hindus unterworfen ist, haben deutlich ein Versagen nicht zuletzt auf selten der Mohammedaner offenbart. Die Parteisucht und der persönliche Ehrgeiz sind bei den Mohammedanern ein schwerwiegendes Hindernis auf dem Wege zur Macht. Als politischer Faktor erscheint demnach der Islam als wenig, bedeutend. Und doch liegt darin eine Täuschung. Man muss Gleiches mit Gleichem vergleichen. Ein Vergleich des Islam der Gegenwart mit dem Hinduismus der Gegenwart ist nur von relativem Werte. Wirklich überzeugend ist nur ein Vergleich zwischen dem Islam der Gegenwart und dem Islam der Vergangenheit.

Noch vor fünfzig Jahren bot der Islam in politischer Hinsicht ein trauriges Bild. Da konnte man wirklich von einem Niedergange reden. Die Zeit der Größe und des Glanzes war in Schutt und Asche versunken, und nur in den Herzen der Stillen im Lande lebte noch der Gedanke an die ruhmreiche, wenn auch harte Vergangenheit, wo Indien zu den Füßen der mohammedanischen Eroberer gelegen hatte. Doch nun war der Islam zu einer Winkelsache geworden, und seine Anhänger drohten vollends unter den Schlitten zu geraten. Voll Neid und Grimm mussten sie zusehen, wie die einst Unterlegenen, die Hindus, und unter ihnen besonders die Brahminen, in immer höhere Regierungsstellen emporstiegen, während sie selbst an die Wand gedrückt wurden.

Und jetzt? Das Blatt hat sich gewendet. Die Mohammedaner sitzen neben den Brahminen in allen führenden Stellungen und besitzen eine Macht, die die Regierung zu respektieren hat. Was selbst noch vor zwanzig Jahren ein frommer Wunsch war, ist längst Wirklichkeit geworden. Sie spielten vor bereits einem Jahrzehnt eine so wichtige Rolle, dass auf der einen Seite die Engländer und auf der anderen Seite die Hindus um ihre Gunst buhlten. Im Jahre 1919 - 1922 warb Mahatma Gandhi mit dem ganzen Feuer, das ihn beseelte, für eine politische Einigung der Hindus und Mohammedaner, um sich für seine Nationalbewegung die Mitarbeit der Mohammedaner zu sichern. Zusammen mit Schaukat-Ali gründete er 1920 das Kalifat-Komitee, um den Forderungen der Mohammedaner in der Kalifatsfrage größeren Nachdruck zu verleihen. Aber bereits 1922 entstanden, als Gandhi eingekerkert war, starke Spannungen, die sich von 1923 ab heftig zu entladen begannen. In den Zeitungen hat man immer wieder von diesen Kämpfen zwischen Mohammedanern und Hindus in Nordindien lesen können. Auch in Südindien besteht eine gewisse Spannung, die sich darin äußert, dass die Hindus den Mohammedanern nicht über den Weg trauen. Aber gerade all dies ist ein Beweis für das Erstarken der Mohammedaner.

1.2

Dieser Umschwung zugunsten der Mohammedaner hat geistige Gründe. Vor einem halben Jahrhundert führten die Mohammedaner ein abgekapseltes Eigenleben und waren nahe daran, den Anschluss an die vom Westen hereinströmende Kultur zu verpassen. Es gab für die Erziehung ihrer Jugend nur die sogenannten Madrassahs, Schulen, in denen einzig der Koran gelehrt wurde, während alle abendländische Bildung als verächtlich galt. In jener Zeit des Schattendaseins erwuchs den Mohammedanern ein Mann, der mit scharfem Führerblick das ungeheuer Bedrohliche der Lage erkannte, Sir Syed Achmed Khan (1813 - 1898) (2), dessen ganzes Streben darauf gerichtet war, seinen Glaubensbrüdern den Anschluss an das europäische Wissen zu vermitteln. Er richtete englische Schulen ein, wo immer er konnte, begründete 1866 eine englisch-indische Vereinigung, besuchte 1869 mit seinem Sohn England und kehrte mit reichen Anregungen nach Indien zurück. Die Krönung seines Lebenswerkes war 1878 die Begründung des mohammedanischen College in Aligarh, das den indischen Mohammedanern das bieten sollte, was die Engländer in Oxford und Cambridge finden. Besonders wichtig war es ihm, dass dort der Religionsunterricht seine gebührende Stellung fand; die schiitischen Studenten werden von einem schiitischen Maulvi und die sunnitischen Studenten von einem Sunniten unterrichtet; außerdem hat jeder Student an der täglichen Andacht in der College-Moschee teilzunehmen, 1911 begann man dann mit der Sammlung von Geldmitteln für den Ausbau des College zu einer Universität; dies Ereignis trat Ende 1920 ein. Gleichzeitig begründete Syed Achmed Khan 1836 die mohammedanische Erziehungskonferenz, der im letzten Jahrzehnt eine Konferenz für weibliche Mitglieder zur Seite getreten ist. Inzwischen sind über das ganze Land hin für die Mohammedaner moderne Lehr- und Erziehungsanstalten begründet worden. Überall blühen mohammedanische Volksschulen, höhere Schulen und Colleges auf, die der mohammedanischen Jugend die Bildung des Westens zugänglich machen, ohne sie ihrem islamischen Erbe zu entfremden. So werden die Mohammedaner fähig, im Regierungsdienst auf die höchsten Sprossen der Leiter empor zu klimmen, ohne sich und ihrer Religion untreu zu werden. Das schenkt wiederum den indischen Mohammedanern ein großes Maß von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, so dass sie sich ihrer eigenen Kultur und Wissenschaft freuen und in Wort und Schrift für die Verbreitung ihrer Ideen kämpfen. Natürlich gilt dies alles mehr von einer gewissen gebildeten Oberschicht. Der Islam auf den Dörfern wird davon nicht wesentlich berührt.

1.3

Lassen wir, um die religiöse Lage des Islam in Indien zu erfassen, den populären Islam beiseite und verzichten wir hier im Einzelnen auf die Sektenunterschiede einzugehen, so treten uns zwei mächtige Bewegungen entgegen. Es sind die orthodoxe und die modernistische Bewegung.

1.3.1 Orthodoxie

Von den 70 Millionen indischer Mohammedaner sind schätzungsweise etwa 65 Millionen orthodox, d. h. sie halten an dem altererbten Gute fest. Aber auch unter ihnen regt und bewegt es sich. Es ist der Ruf: "Zurück zu Mohammed", "Zurück zum Koran und zur Tradition." Ja manche verwerfen selbst die Tradition. Gleichzeitig mit dem Wunsch zur Repristination geht ein lebhafter Missionseifer, der z. T. als eine Art Reaktion zu werten ist. Im Jahre 1923 hatte Swami Schradanand in den Vereinigten Provinzen die Schuddhi ("Läuterung")-Bewegung ins Leben gerufen, um Leute, die nur dem Namen nach mohammedanisch waren, für den Hinduismus zurückzugewinnen; gleichzeitig hatte Pandit Malaviya die Sangatham ("Zusammenbinden")- oder Hindu-Maha-Sabha-Be-egung organisiert, die dem Hinduismus frisches Leben einhauchen will. Die Mohammedaner fühlten sich dadurch gereizt und antworteten prompt mit der Tanzim- und Tabligh-Bewegung. Die erstere dient der Defensive, die letztere der Offensive. Aber die Ziele der beiden Bewegungen sind nicht scharf geschieden. Das Programm der Tanzim-Bewegung, wie es in Bengalen herausgestellt worden ist (3), umfasst u. a. die Begründung von Volksschulen für Kinder und Abendschulen für Erwachsene, die Errichtung eines Seminars für islamische Prediger und Missionare, die Veröffentlichung und Verbreitung von Flugschriften und anderer Literatur, ärztliche Missionsarbeit und Kampf gegen die Malaria und sonstige Epidemien in Stadt und Land, Schaffung von Witwenheimen u.s.f. Das Aggressive der Tab-ligh-Bewegung zeigt der folgende Punkt, der zu den Zielen einer der verschiedenen mohammedanischen Missionsgesellschaften gehört (4): "... für die Bekehrung des nichtmohammedanischen Indien zu arbeiten. In dieser Hinsicht ist die Bekehrung der 80 Millionen Kastenlosen Indiens eines der Hauptziele unserer Mitarbeiter." Sunniten unterhalten z. B. in Lucknow ein regelrechtes Missionsseminar, wo mohammedanische Missionare vor allem für die Missionsarbeit unter den Kastenlosen ausgebildet werden und auch einen ziemlich eingehenden Kursus über das Christentum durchmachen.

Da wir hier von der mohammedanischen Missionstätigkeit sprechen, soll auch in diesem Zusammenhang die Achmedijja-Bewegung (5) erwähnt werden, die freilich ihrer theologischen Einstellung nach modernistisch ist. Sie wurde von dem etwas wirren und wunderlichen Mirza-Ghulam-Achmed (1838 - 1908) begründet. Sie treibt heutzutage in Europa und Amerika (z. B. in Chikago) eine sehr eifrige Propaganda für den Islam. Erstmalig 1912 wurde eine Niederlassung in England (anfänglich in Richmond, jetzt in Wooking Surrey bei London) begründet, und später folgten andere europäische Staaten, die mit Moscheen und mohammedanischen Zwerggemeinden beglückt wurden. Am 19. Oktober 1922 wurde auf Veranlassung der französischen Regierung in Paris der Grundstein zu einer Moschee gelegt, bei der Marschall Lyantey die Festrede hielt und die Achtung des französischen Volkes vor dem Islam hervorhob. In Wünsdorf bei Berlin gibt es ebenfalls eine islamische Gemeinde mit einer eigenen Moschee.

Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Propaganda ihre Früchte davonträgt. So einfach wie vor dem Kriege liegt die Sache nicht mehr, wo bei einem Vortrage auf der Lucknow-Konferenz ein Berichterstatter sich kurz über die Gründe verbreitete, die zum Übertritt zum Islam führen (6). Der Vortragende meinte dort - und er brachte starke Gründe dafür ins Feld -, dass fast durchweg irgendwie äußere Gründe maßgebend wären. Das mag auch heute noch oft genug der Fall sein. Aber im ganzen wird man sagen dürfen, dass heutzutage auch innere Gründe eine starke Rolle spielen und der Islam um seiner Lehre willen verlockend erscheint.

1.3.2 Modernismus

Der erste große Modernist war Syed Achmed Khan, von dem bereits die Rede war. Viele folgten seinen Fußstapfen nach. Ebenso gehören hierher die Lehren der Achmedijja-Bewegung. Aber gerade hier zeigt sich das Überraschende: Die orthodoxe Position wird in ihren Zentralpunkten nicht angetastet. Es werden nur Licht und Schatten anders verteilt, und der Akzent wird verschoben. Manchmal wird auch manches leise gewandelt. Man spricht viel von der Gnade Gottes und seiner Liebe; man behauptet, der Islam sei eine Religion des Friedens (im Anschluß an die 2. Sure); und man stempelt Mohammed zum sittlichen Vorbild und idealisiert ihn; denn was Christus für die Christen ist, soll Mohammed für die Mohammedaner werden; ja, er steht sogar höher als Jesus, denn er brachte es fertig, mit einer ganzen Anzahl von Ehefrauen friedfertig zu leben, während Jesus die Ehelosigkeit vorzog. Man wendet sich sogar gegen die Polygamie, indem man sagt: Der Islam erlaubt zwar mehrere Frauen, aber nur unter der Voraussetzung, dass man sie gleich gut behandelt; da dies aber unmöglich ist, ist die Polygamie praktisch verboten. - Aber niemand würde wagen, am Koran zu zweifeln oder ihn gar einer historisch-kritischen Untersuchung zu unterziehen. Derartiges gibt es einfach nicht. Jeder Mohammedaner schwört auf den Koran und seine göttliche Abkunft, und wenn jemandem wirklich einmal Bedenken kommen, verschließt er sie tief im Herzen. Dieser Umstand beleuchtet hell, dass selbst die Modernisten - ganz im Gegensatz zu den Modernisten im Protestantismus - in den entscheidenden Punkten durchaus orthodox sind. - Wie weit sich die religiösen Anschauungen der Mohammedaner gewandelt haben, ersieht man u. a. daraus, dass jetzt der Koran von Mohammedanern selbst in anderen als arabischen Ausgaben veröffentlicht wird. So ist eine englische Übersetzung mit dem arabischen Text an der Seite und mit einem Kommentar darunter von Maulvi Muhammed Ali veranstaltet, die 1920 bereits in zweiter Auflage im Verlag der Ahmaddiyya Anjuman-i-ishaat-i-Islam erschienen und in Lahore gedruckt ist. Ein gebildeter Mohammedaner, mit dem ich in ein Gespräch kam, ließ überhaupt keine andere fremdsprachige Übersetzung gelten als diese. In den letzten Jahren ist ebenfalls eine tamulische Übersetzung des Koran erschienen.

Nach allem wird es nicht zu viel gesagt sein, wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass der Islam in Indien in beunruhigender, ja bedrohlicher Weise erstarkt.

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2. Die christliche Mohammedanermission

Wir sind dem nationalen Christenrat Indiens sehr zu Dank verpflichtet, dass er eine eingehende Aufstellung über die missionarische Besetzung Indiens im Blick auf die Mohammedanermission vorgenommen hat. Der Bericht (7), der die Ergebnisse der mühsamen Nachforschungen niederlegt und von jeder einzelnen Provinz ein genaues Bild zeichnet, verdient ein eingehendes Studium. In der Einleitung zu diesem Bericht wird Folgendes festgestellt: In Indien arbeiten gegenwärtig 6.027 Missionare, d.h. es kommt je ein Missionar auf rund 52.000 Menschen. Wie viele von diesen auf die eigentliche Mohammedanermisslonsarbeit entfallen, lässt sich zwar leider nicht genau feststellen. Jedoch steht so viel fest, dass es in ganz Indien nicht mehr als etwa 25 Missionare gibt, die eine Spezialausbildung als Mohammedanermissionare durchgemacht und Arabisch studiert haben und nun mindestens den größten Teil ihrer Arbeitszeit der Arbeit unter den Anhängern des Islam widmen. Dazu kommt eine weitere Anzahl von 17 Missionsleuten, die von ihrer jeweiligen Missionsbehörde für diesen Zweck angesetzt sind, aber keine Spezialausbildung erhalten haben. Das ist also eine ganz außergewöhnlich niedrige Zahl. Es darf freilich nicht übersehen werden, dass daneben in nicht geringem Maße die Mohammedaner von den Missionsarbeitern unter den Hindus mit in den Wirkungsbereich der Evangelisationsarbeit einbezogen werden, besonders in den ländlichen Bezirken. Davon gibt auch die Mitgliederzahl der "Missionaries to Muslims League" einen Eindruck, die auf Anregung der Lucknow-Konferenz hin 1912 begründet wurde und unter ihren 550 Mitgliedern etwa 200 indische Missionare und Missionarinnen zählt.

Trotz allem wird man sagen dürfen, dass die Zahl der Missionsarbeiter durchaus unzureichend ist. Vor allem herrscht ein großer Mangel an Missionaren, die eine tüchtige Spezialausbildung mitbringen.

Was die Besetzung der einzelnen Provinzen betrifft, zeigt der Bericht mit unmissverständlicher Deutlichkeit, dass es ganze Gebiete gibt, die trotz einer starken mohammedanischen Bevölkerung nicht einen einzigen Missionar aufweisen. Und eine weitere Anzahl von Gebieten ist nur sehr spärlich mit Missionsarbeitern versehen. Eine Gegenüberstellung mag dies deutlich machen. Nimmt man z. B. Lahore, so findet man für rund 650.000 Mohammedaner, die die Hälfte der dortigen Bevölkerung ausmachen, 105 Missionsarbeiter; dagegen weist das etwa gleichgroße Dacca, das eine dreimal so große Bevölkerung mit über 2 Millionen Mohammedanern zu verzeichnen hat, nicht mehr als 10 Missionsarbeiter auf.

Erscheint demnach die missionarische Besetzung in hohem Maße unbefriedigend, so sind auf der anderen Seite in organisatorischer Hinsicht während der letzten zehn Jahre große Fortschritte zu verzeichnen.

Zunächst muss die schon erwähnte "MML" angeführt werden, die ein enges Band um alle indischen und zahlreiche außerindische Missionare schlingt und sie in ihrem Dienste stärkt. Letzten Endes möchte diese Vereinigung ein Gebetsbund sein. Das kleine, monatlich erscheinende Blatt, die "News and Notes" (8), haben einen vertraulichen Charakter und geben über die jeweilige missionarische Lage und die Bewegungen im Islam Auskunft.

Weiter gibt es seit 1919 im Rahmen des nationalen Christenrates (National Christian Council ot India) einen Mohammedaner-Missionsausschuß (Comminittee on Work among Muslims), an dessen Seite 1922 als eine Art Exekutive der Mohammedaner-Missionsliteratur-Ausschuss (Christian Literature for Muslims Committee = CLMC) getreten ist. Diese beiden Ausschüsse haben die verschiedenen Missionsbestrebungen zusammengefaßt und in Fühlung miteinander gebracht; ihnen ist auch der oben genannte Bericht zu verdanken. Der Literatur-Ausschuß hat es sich zur Aufgabe gemacht, für die 17 verschiedenen Sprachgebiete Indiens, die für die Arbeit unter den Mohammedanern in Frage kommen, Missionsliteratur zu schaffen, und besitzt zu diesem Zwecke eine ganze Anzahl von Unterausschüssen, die sich über ganz Indien verteilen. Gegenwärtig wird in nicht weniger als 12 Sprachgebieten an der Schaffung von zweckentsprechender Literatur bzw. an den Vorbereitungen dafür gearbeitet, nämlich in Urdu, Bengali, Sindhi, Gujerati, Tamulisch, Telugu, Hindi, Oriya, Puschtu, Kaschmiri, Malayalam und Englisch. Der Literaturausschuss erhält seine Geldmittel von der American Christian Literature Society for Moslems und bezahlt die gesamten Druckkosten in den verschiedenen Sprachgebieten. Der Sekretär dieses Ausschusses ist der verdienstvolle Mohammedanermissionar Dr. Titus. Der Ausschuss hat während der letzten sechs Jahre nicht weniger als 125 Bücher und Schriften veröffentlicht. Dabei handelt es sich vorläufig in der Hauptsache um etwa ein Dutzend verschiedene grundlegende Schriften und Bücher, die gleichzeitig in alle Sprachen übersetzt werden, z. B. ein kurzes Lebensbild von Christus, eine kleine Auswahl von Erzählungen aus dem Alten Testament, einige Lebensbilder von Mohammedanerchristen sowie einige kurzgefasste Abhandlungen über den Sinn des Kreuzes, das christliche Gebet, die Bedeutung der Sündenvergebung u.a. - Um die Mohammedanermissionsliteratur vor allem in Arabisch für Indien leichter zugänglich zu machen, wurde in Bombay eine Zweigniederlassung der Nil-Missionsdruckelei eröffnet (9).

Gleichzeitig versuchen die obigen Ausschüsse, in der breiten Öffentlichkeit für die Mohammedanermission zu werben und die verschiedenen Missionsgesellschaften in Indien auf die Pflicht zur Arbeit unter den Bannerträgern des Halbmondes hinzuweisen. Das geschieht durch gelegentliche Freizeiten und Konferenzen hin und her in ganz Indien. So fand im Mai 1929 ein längerer Einführungskursus in die Probleme der Mohammedanermission in Kodaikanal statt, an dem zahlreiche Missionsleute teilnahmen. Noch tiefgreifender ist freilich der Anstoß, der von der Persönlichkeit Dr. Zwemers, des bekannten Mohammedaner-Missionsveteranen, ausgegangen ist. Auf den Wunsch des Mohammedaner-Missionsausschusses bereiste er 1924 und 1927/28 Indien. Auf der letztgenannten Reise besuchte er 24 Orte und hielt dabei insgesamt 350 Ansprachen; während jener 5 Monate legte er auf indischem Boden mit der Bahn und im Auto etwa 14.000 km zurück (10). Die Frucht seiner Reise ist unverkennbar, da er einen starken Eindruck hinterlassen hat.

Von besonderer Bedeutung ist es, dass in Lahore, ebenfalls dank dem Mohammedaner-Missionsausschusse, ein strategischer Mittelpunkt für die Mohammedanermission geschaffen wird (11). Es handelt sich um die Errichtung eines Zentrums für das Studium des indischen Islam, wo gleichzeitig Missionare und indische Mitarbeiter studieren sollen. Der Lehrkörper ist bereits ernannt, und man hofft, diese Anstalt am 1. Januar 1930 eröffnen zu können. Man möchte etwas schaffen, was hinsichtlich wissenschaftlicher Gediegenheit und missionarischer Durchschlagskraft Kairo und seinem Missionszentrum entspricht. Die Anstalt ist das gemeinsame Unternehmen verschiedener Missionsgesellschaften; es sind die Baptisten, Methodisten, Wesleyaner, dle englische Kirchenmission, die Ausbreitungsgesellschaft (S.P.G.) und der nationale Christenrat. Zum Direktor dieser Anstalt ist der Baptistenmissionar Bevan Jones ernannt worden, der über reiche Erfahrungen als Mohammedanermissionar verfügt. Es wäre nur zu wünschen, dass auch wir Lutheraner die Möglichkeit fänden uns zu beteiligen.

Durch die indische Missionswelt geht ein Erwachen; man beginnt, sich auf die Aufgaben gegenüber den Mohammedanern zu besinnen. Darüber freuen wir uns. Aber es sind nur erst schwache Anfänge. Ein langer Weg liegt noch vor uns. Auf der einen Seite steht der Islam und erstarkt mehr und mehr. Und auf der anderen Seite steht die evangelische Christenheit, der gerade jetzt das Verständnis für die ganze Größe der Aufgabe aufzugehen scheint. Da tut Besinnung vor allem auch auf die Schwierigkeiten und Probleme der gegenwärtigen Lage not. Gerade die Lage in Indien birgt besondere Nöte in sich, die die Arbeit recht erschweren. Diese Nöte mögen sich auch in anderen Ländern finden, aber sie sind in Indien besonders brennend. Wir greifen einiges heraus, das zugleich unserer Arbeit den Weg weist:

2.1 Der Mangel an Mohammedanermissionaren

Davon ist schon oben die Rede gewesen. Aber dies ist so wichtig, dass es hier noch einmal ausdrücklich erwähnt werden soll. Indien ist, wenn man seine Größe in Betracht zieht, ein fast unbesetztes Feld. Wann wird die heimische Christenheit die Notwendigkeit erkennen, hier helfend in die Bresche zu springen? Vor allem gibt es in Indien fast keinen einzigen Lutheraner, der sich eingehender mit der Mohammedanermission befasste, geschweige selber Mohammedaner-Missionsarbeit täte. Meines Wissens gibt es in Indien überhaupt nur einen einzigen lutherischen Mohammedaner-Missionar, den Missourier Dr. Brux in Waniambadi, Südindien. So gibt es noch ein reiches Betätigungsfeld für die lutherische Mission in Indien.

2.2 Der mangelnde Missionseifer der indischen Christen

Wir stehen hier einem ähnlichen Problem gegenüber wie die Urgemelnde. Bei ihr handelte es sich um das Misstrauen der Judenchristen gegenüber den Heidenchristen. In Indien ist es umgekehrt. Wir haben hier Heidenchristen, die den Mohammedanerchristen Misstrauen. Sie zweifeln an der Aufrichtigkeit ihrer Gesinnung, an der Ehrlichkeit ihres Übertrittes und an der Tiefe ihrer christlichen Erfahrung und nehmen sie deshalb nicht gern in ihren Kreis auf. Sie fühlen nicht den geringsten Drang, unter den Mohammedanern evangelistisch zu arbeiten, und sie sind in ihrer ganzen Einstellung und Gedankenwelt auch nur schwer dazu fähig. Aber man wird sagen dürfen, dass die Zukunft der indischen Christenheit davon abhängt, ob sie ihre Missionsverpflichtung gegenüber der mohammedanischen Welt in ihrem eigenen Lande erkennt und entsprechend handelt. Bis jetzt hat sie diese Aufgabe sträflich vernachlässigt. Wie es jetzt ist, mühen sich eine kleine Schar ausländischer Missionare um die Mohammedaner; aber die indischen Christen als solche stehen achselzuckend und verständnislos beiseite. Hier liegt eine ungeheuer schwere Aufgabe vor uns. Es gilt, dieses jahrhundertelange Misstrauen auszurotten und an seiner Stelle hingebende Liebe und Dienstbereitschaft zu pflanzen.

2.3 Rückfälle der Mohammedanerchristen

Es braucht nicht gleich zu Rückfällen zu kommen. Aber es ist eine besorgniserregende Tatsache, dass die Mohammedanerchristen fast durchweg nach der Taufe durch schwere Erschütterungen hindurchgehen. Die Verstoßung von zu Hause, der Haß der einstigen Glaubensgenossen und die geheimen Nachstellungen sind schon schlimm genug. Wenn dann aber noch Verständnislosigkeit auf Seiten der Christen, in deren Gemeinschaft sie eintreten, hinzukommt, ist es eine vollends fast untragbare Last. Ein zum Christentum übergetretener Jude kann bei den Antisemiten in Deutschland Ähnliches erleben, was dem übergetretenen Mohammedaner in Indien fast regelmäßig von allen Durchschnittschristen widerfährt. Da kann die indische Christenheit nicht selten zu einem wahren Hindernis der Mohammedanermissionsarbeit werden, und es ist vielleicht nicht das Törichtste, wenn man lieber Sondergemeinden von Mohammedanerchristen begründen möchte.

2.4 Verkehrtheiten in der Missionsmethode.

Während der vergangenen Jahrhunderte haben die meisten Mohammedanermissionare geglaubt, dass ihre Hauptaufgabe darin bestände, die Irrtümer des Islam aufzudecken und über den Haufen zu werfen. Diese negative Arbeit wirbelte viel Staub auf und schuf viel Aufregung. Ehe man zur positiven Darbietung Christi kam, waren die Hörer so verschnupft und so verärgert, dass der Erfolg von vornherein in Frage gestellt wurde. Selbst ein solches Buch wie "Die Waage der Wahrheit" von Karl Gottlieb Pfander, der vor hundert Jahren in Indien als Mohammedanermissionar gewirkt hat, geht in reichlich kriegerischer Rüstung einher. Was uns heute nottut, sind Missionare, die zwar den Islam gründlich kennen, aber ihr Wissen zu einer Dienstmagd machen, die ihnen den Weg zu dm Nöten des Mohammedaners und seinem inneren Unfrieden weist, so dass sie dort einsetzen und die Botschaft von Christus, dem Befreier vom Gesetz und dem Bringer der Gnade, verkünden. Kein Evangelium geht den Mohammedanern so zu Herzen wie das Johannesevangelium. Waffen des Friedens und nicht des Streites! Vertrauliche Aussprachen und nicht öffentliche Disputationen! Hausbesuche und nicht Straßenaufläufe! Vor allem aber persönliches Zeugnis und das lebendige Vorbild eines wahrhaft christlichen Charakters!

2.5 Mangelndes theologisches Denken bei den Christen

Der Islam ist ein großes geschlossenes Gedankensystem, das in messerscharfen Ausführungen seine Weltanschauung darlegt. Die Christen, die mit Mohammedanern zu tun haben, müssen in der Lage sein, ihre eigene christliche Weltanschauung nicht minder klar darzulegen. Vor allem aber müssen sie über die Trnität, die Gottessohnschaft Jesu und andere Dinge wohl unterrichtet sein und Rede und Antwort stehen können. Gewiss, es ist schon manches in dieser Hinsicht geschehen. Aber einerseits ist dies noch längst nicht Allgemeinbesitz geworden, und andrerseits wird niemand behaupten können, dass das theologische Denken in dieser Hinsicht bereits zu letzten Feststellungen gelangt ist. Hier handelt es sich um einen großen Dienst, den uns die Heimat tun kann. Gerade unsere lutherische Kirche dürfte in besonderer Weise dazu befähigt sein. Schon der kleine Katechismus tut für die seitens der Gemeindeglieder zu leistende Auseinandersetzung mit dem Islam seine Dienste, weil er uns beispielsweise m der Erklärung zum 2. Artikel in unübertrefflicher Weise die Bedeutung des Werkes und der Person Christi eindrücklich macht. Vor allem aber auch solche Schriften wie Luthers Auslegung des Galaterbriefes können uns nach Dr. Zwemers eigener Aussage zum klaren Denken über eins der hauptsächlichen theologischen Probleme, des gegenseitigen Verhältnisses von Gesetz und Gnade, verhelfen.

Geschehen in Indien Bekehrungen vom Islam zum Christentum? Die Antwort lautet: Ja, es gibt vereinzelt über ganz Indien hin Bekehrungen. Es gibt kaum einen Distrikt, in dem es nicht jährlich eine, zwei oder drei Bekehrungen gäbe. Aber das ist dann freilich auch alles!

Wir aber, die wir wiederholt mit den Mohammedanern in Berührung kommen, fühlen oft überwältigend die Kraft des Islam, der in seiner starren Gesetzlichkeit und mit seinen nicht selten schönen Formen so vielfältig an das Judentum gemahnt. Die Mohammedanermission ist ein ebensolches Stiefkind der heimischen Missionsgemeinden wie die Judenmission. Und sie ist auch ebenso schwer und menschlich gesprochen fast ebenso wenig aussichtsreich. Und doch hat Jesus sie nicht beim Missionsbefehl ausgenommen. Wir jedoch heben unsere Augen auf zu den Bergen, von denen uns Hilfe kommt, und warten auf den Tag, wo auch die in der Irre gehenden Söhne der Hagar eine Heimstätte im Lande der Gotteskinder finden und im fernen Gott den nahen Vater erkennen und ihm ihr Herz und Leben weihen. Wer will zu solchem Dienste helfen?


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Anmerkungen

(1)

Eine eingehende Charakteristik des Urdu gibt H. U. Weitrecht Stanton: "The Urdu Language and the Urdu Bible" in "The Moslem World" 1929 (Heft 3) S. 274 ff.

(2)

Julius Richter, Indische Missionsgeschichte (Gütersloh 1824), S. 549f. Farquharr, Modern Religious Movements in India (London 1824), S. 92 ff. Goldzieher, Vorlesungen über den Islam (Heidelberg 1925), S. 290 ff. Wilson, The Situation in India, im Konferenzbericht von Lucknow: "Islam and Missions" FIeming H. Revell Company, London und Edinburgh 1911), S. 149 ff.

(3)

The Muslims of India, Burma and Ceylon and the extent of Christian Missionary Enterprise among them. A Survey compiled on behalf of the National Missionary Council, India (Sept. 1927). Handschriftlich gedruckt. (Zu beziehen durch N. C. C. Office, 1, Stavely Road, Poona). S. 82 f.

(4)

a. a. O. S. 83 f.

(5)

Richter, a.a.O., S.550. Farquhar, a.a O., S. 137 (sehr ausführlich). Goldzieher, a.a.O., S.291 u. S. 385f. (ausführliche Literatur-Ängabe). Walter, The Ahmadia Movement (The Religious Life of India Serles, Oxfordä University Press.) Religion in Geschichte und Gegenwart, 1829, Bd. 3, Sp.421f.

(6)

Islam and Missions, S. 213 f

(7)

Siehe den oben erwähnten Survey.

(8)

Herausgegeben von Rev. M. S. Pitt, Jubbulpore, C. P., India, und ,u beziehen durch den Superintendent. Orissa Mission Preß, Cuttack, India.

(9)

Vgl. den Bericht des Moh.-Miss-Ausschusses in den Proceedings the third Meeting of the National Christian Council (in Madras, 29. Dez. 1928 bis 4. Jan. 1829), S. 28 ff.

(10)

Vgl. Einzelheiten in dem "Report of a Visit to India and Ceylon (23. Sept. 1927 bis 28.Febr. 1928)" von Samuel Zwemer, zu beziehen von der American Christian Literature Society for Muslims, 25 E.. 22D..St,, New York City (Handschriftlich gedruckt, 33 S.).

(11)

Proceedings, a. a.. O, S. 49 ff.

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Missionsvorträge während des Urlaubs in Deutschland 1933 - 1935

Der nachstehende Brief von Julius Hahn an Heinz Harten, in dem Paul Gäbler (Missionsvortrag am 15.09.1933 in Hamburg) erwähnt wird, beschreibt die kirchliche Situation in Hamburg 1933:

Hamburg, den 16.091933

[...] Die Freizeit verlief sehr schön. Es waren etwa 35 Frauen, darunter 19 Eilbecker. An vier Vormittagen besprach ich im Anschluß an das Buch von Köberle das Thema "Rechtfertigung und Heiligung".

  1. Wie hilft Gott dem Menschen aus seinem Elend?

  2. Wie antwortet der gerechtfertigte Sünder dem Gott, der ihm hilft?

  3. Wie bewährt sich ein Gläubiger in der Anfechtung?

  4. Wie verhält sich Rechtfertigung und Heiligung zueinander?

An den drei Abenden sprach ich Dienstag über Wichern (anhand des neuesten Buches von Birnbaum), Mittwoch: Wie lese ich meine Bibel (an der Hand des neuesten Buches von G[erhard] Schade : "Vom unbekannten Christenglauben"). Am Donnerstag beantwortete ich die auf meine Bitte eingegangenen Fragezettel. An zwei Nachmittagen machten wir schöne Ausflüge. Am Donnerstag mußte ich nach Ohlsdorf fahren zur Beerdigung von Frau Lunau. Drei Frauen fuhren mit. Es war eine erhebende Feier, an der ein großer Teil der Gemeinde teilnahm.

Ich konnte nachher eine Stunde mit meiner Frau allein sein und mir von der Dienstagversammlung erzählen lassen, über die mir schon auf der Heideburg Frau Geller und Frau Heiber glühend berichtet hatten. So schön Schöffel morgens in St. Michaelis gepredigt hatte, so kläglich, ja empörend waren die Ansprachen von Krogmann und Müller, die eigentlich aller bisherigen Inneren Mission und kirchlichen Arbeit das Urteil sprachen, um das Neue und Bessere, das die Deutschen Christen wollen, desto höher zu preisen, das aber im Grunde nur ein fröhliches Gottvertrauen, ja ein tapferes Menschentum des SA-Mannes ist, der seinem großen Führer folgt. Von dem Schweizer Pfarrer Bernoulli dagegen waren alle begeistert, der auf den himmlischen Führer Christus und auf das Kreuz von Golgatha als das Geheimnis aller Inneren Mission hinwies, ja der auch Bodelschwingh erwähnte! Das mussten sich Deutsche Christen vom Fest ihrer Inneren Mission von einem Schweizer sagen lassen! Wie mag es "D." Engelke zu Mute gewesen sein? Alle waren empört, die dieser "Feier" beigewohnt haben. Amos 5,21ff.! Wilhelm Remé hatte hinter meiner Frau gesessen. Sie gaben laut ihrer Entrüstung Ausdruck. Er sagte: "Wie gut, dass Julius auf der Heideburg ist und dies nicht anzuhören braucht." Jochen ist mitten in der Rede weggelaufen.

Ich war diesmal auf der Heideburg nicht so disponiert wie im letzten Jahr, trotzdem ist es schön gewesen und alle waren befriedigt. Ein schönes Gedicht einer Teilnehmerin gab Zeugnis davon. Bei der letzten Mittagstafel trug Frau Heiber noch ein patriotisches Gedicht vor, dem sie auf meine Bitte noch eine Strophe auf das Dritte Reich hinzugefügt hatte. Danach sangen wir alle das Deutschlandlied.

Am Freitag Abend sprach im Konfirmandensaal Missionar Gäbler über Indien. Wir stellten noch viele Fragen an ihn. Die Kollekte betrug 17 Mark. Von halb acht bis acht war die erste geistliche Abendfeier im Bürgerpark, bei der unser Posaunenchor mitwirkte und Propst Wehrmann sprach (Gal.6,2). Die Partei hatte stark eingeladen, es waren sehr viele Menschen da. Das nächste Mal soll ich sprechen. Morgen früh ist Hofmission. Deshalb will ich jetzt schließen und zu Bett gehen. [...]

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Lebenslauf anlässlich der Im Urlaub verfassten Dissertation

Von Paul Gäbler

Ich, Paul Hermann Julius Theodor Gäbler, bin am 25. Dezember 1901 als Sohn des verstorbenen Missionars Hermann Gäbler in Tiruvallur bei Madras Süd-Indien geboren. 1908 kam ich nach Braunschweig, wo ich zunächst die Bürgerschule und dann von Michaelis 1911 bis zur Reifeprüfung Michaelis 1920 das dortige Wilhelm-Gymnasium besuchte. Dann bezog ich im Herbst 1920 die Universität Leipzig und studierte sieben Semester Theologie. Nach Ablegung der Kandidatenprüfung im Wintersemester 1923-24 wurde ich Hauskandidat im Leipziger Missionshaus und gab im Missionsseminar Unterricht. Gleichzeitig besuchte ich weiterhin Vorlesungen an der Universität und begann mit den Vorarbeiten für eine Doktor-Dissertation. Schon vorher hatte ich mich der Leipziger Mission für den Missionsdienst zur Verfügung gestellt. Ostern 1925 brach ich diese Studien ab und begab mich auf drei Monate nach England zu Sprachstudien. Im Oktober des gleichen Jahres bestand ich in Dresden die Prüfung pro ministerio. Am 18. Oktober wurde ich in der Thomaskirche zu Leipzig ordiniert und am 25. Oktober in der Nikolaikirche zum Missionsdienst in Indien abgeordnet. Im November trat ich die Ausreise an. Ende 1926 und Ende 1927 legte ich die beiden vorgeschriebenen tamulischen Sprachexamina ab. Von 1928 - 31 war ich dann als Missionar in Madras tätig, wo ich vor allem Religionsunterricht an der dortigen höheren Schule, der Fabrizius-Schule, erteilte. Gleichzeitig war ich drei Jahre lang Lektor der deutschen Sprache an der Madras-Universität. Während dieser Zeit fertige ich die Übersetzung der beiden Bücher von Dr. Stanley Jones "Der Christus der indischen Landstraße" und "Christus am runden Tisch" an. Von Mitte 1931 bis März 1933 wirkte ich in Pattukkottai, einer Kleinstadt südlich von Tanjore. Dort hatte ich rein evangelistische Arbeit unter den Hindus jenes ganzen Bezirkes zu tun. Im März 1933 trat ich mit meiner Familie - ich hatte mich im Februar 1928 verheiratet - den Heimaturlaub an. In Deutschland hatte ich bis zum Anfang 1934 ein umfängliche Reisetätigkeit im Dienste der Mission zu entfalten. Gleichzeitig begann ich auf Anregung des inzwischen verstorbenen Herrn Universitätsprofessors Dr. Haas mit der Ausarbeitung der vorliegenden Dissertation, die im März 1935 zum Abschluss kam.

Über die indische Missionsarbeit habe ich in zahlreichen, meist populären Zeitschriften-Aufsätzen berichtet. Die einzige selbständige Veröffentlichung ist eine kleine Broschüre in englischer Sprache "The Call to the Ministry", die einige Vorträge von einer Pastorenfreizeit in Indien enthält.


Links zu Pattukkottai

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Ausreise nach Indien 1935

Den Briefen von Missionar Witte an seine Braut ist zu entnehmen:

23. Februar 1935
Das Gäblerschiff fährt ab Bremen am 10. Mai.

8. Mai 1935
Die "Scharnhorst" (mit der jetzt Gäblers fahren!) fährt schon wieder am 9. August von Bremen ab und ist am 31. August in Colombo!

15. Mai 1935
Schnelldampfer sind sehr begehrt und Plätze müssen schon sehr zeitig bestellt werden. Gäblers bestellten ihre Plätze bereits Anfang Februar!

5. Juni 1935

Die "Scharnhorst" ist noch nicht angekommen; vielmehr kam von Gäbler ein Telegramm: "Kesselschaden indischer Ozean, mindestens 10 Tage Verspätung". Das ist natürlich ein furchtbares Pech für die deutsche Schifffahrt!

11. Juni 1935
Heute kam ein Telegramm, dass die "Scharnhorst" heute in Colombo angekommen sei, also volle 12 Tage Verspätung.

Links zur Scharnhorst

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