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| Sadhu Sundar SinghVon Paul GäblerInhaltsverzeichnis dieser Webseite Achtes Kapitel 2. Teil 7. Chini (1915) 7. Chini (1915)Im Anschluss an seine Ost-Himalaya-Reisen im Spätsommer 1914 machte Sundar Singh wieder eine ausgedehnte Reise durch Nord-Indien (166), bis er in Lahore anlangte. Sundar Singh gibt an, dass er am 31. Januar und 1. Februar 1915 in der dortigen Trinitatiskirche gepredigt habe. Das Reisebüchlein bricht hiermit ab. Wahrscheinlich begab sich dann Sundar Singh von hier nach Kotgarh, um sein Reisebüchlein zu schreiben. Da es erstmalig im Nûr Afshân vom 23. April 1915 besprochen wurde, wird Sundar Singh im Februar und März mit der Abfassung dieses Büchleins beschäftigt gewesen sein (167). Dann trieb es ihn abermals auf die Wanderschaft, und zwar nunmehr wieder für eine Reihe von Monaten ins West-Himalaya-Gebiet. Über seine erste derartige Reise im Jahre 1915 berichtet Sundar Singh in seinem Artikel "Klein-Tibet (168) und der Himalaya" (169). Darnach brach Sundar Singh im April - eine nähere Angabe fehlt - von Simla auf. Sein Weg führte ihn über Kadyali (170) nach Narkanda (171), wo er einige Tage blieb. Von dort aus besuchte er den 6 Meilen weit entfernten kleinen Ein-geborenenstaat Kumharsain mit der gleichnamigen Hauptstadt (172), westlich von Kotgarh gelegen, wo er vom dortigen Wazir wegen unerlaubten Pre-digens ins Gefängnis geworfen wurde und darin zwei Nächte verbrachte (173). In Kotgarh gesellten sich kurz vor dem Aufbruch noch drei Begleiter zu ihm, die die weitere Reise mit ihm gemeinsam machten: Singh, Hari Singh und der noch etwas jüngere Paul. Sie folgten der schon früher erwähnten Hindostan-Tibet-Road. In Rampur (174), der Hauptstadt des Eingeborenen-Staates Bashahr, hatten sie viel von den Polizisten auszustehen. Diesen war es verdächtig erschienen, dass sie erst spät abends angelangt waren; außerdem wurden gerade damals die Sadhus schärfer bewacht. Am nächsten Tage jedoch traf Sundar Singh seinen alten Freund Bansi Lal, den Tahsildar (höheren Richter) jenes Ortes, der schon davon gehört hatte und nun alle Beteiligten vor die Schranken des Gerichtes lud. Dort bedrohte er die Polizisten mit einer Anklage wegen Beleidigung und nötigte sie, bei Sundar Singh Abbitte zu tun. Außerdem stellte er den Reisenden einen Ausweis aus, so dass sie hernach weiter keine Schwierigkeiten hatten. Der dortige Raja Shamsher Singh (175) ließ Sundar Singh sogar, wie dieser berichtet, auf seinem Durbar eine Ansprache halten. Von dort führte sie der Weg durch dichten Dschungel nach Gaora (176). Unterwegs trafen sie Hirten, mit denen sie sich zusammen hinsetzten und die Bibel lasen. Der Anblick der Schafe und Hammel, auf deren Rücken diese Leute Korn nach Tibet schafften, erinnerte Sundar Singh an das Wort: "Wenn er seine Schafe hat ausgelassen, geht er vor ihnen hin, und die Schafe folgen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme" (Johannes 10, 4). Genau so folgten die Tiere, die Sundar Singh beobachtete, dem vorangehenden Schäfer, der ihnen pfiff. Der nächste Tag brachte die vier Wanderer auf einem schmalen und halsbrecherischen Pfade, auf dem sie sich mit Händen und Füßen an den Steinen und Felsen festhalten mussten, um nicht in den Abgrund zu stürzen, nach Sarahan (177). Schließlich gelangten sie. am Sonnabend, den 5. Juni, nach Chini. Ein Arzt (178) mit Namen Mortimer, anscheinend ein Engländer, ließ Sundar Singh vor den Schülern der Regierungsschule und vor Buddhisten, die er dazu eingeladen hatte, am Sonntag in der Halle des Hospitals predigen. Nach dem Gottesdienst wurde zum Mittagessen die Tischdecke auf den Boden gebreitet, und der Arzt samt seiner Gattin aßen, ihren Gästen zu Ehren, nach indischer Sitte auf dem Boden sitzend mit der Hand. Das war für damalige Zeiten etwas Ungewöhnliches. Am nächsten Tage machten dann alle zusammen in Begleitung des Arztes einen Ausflug nach Koti (179). Unterwegs sahen sie ein Götzenbild, das die dortigen Bewohner nicht anblicken durften, um nicht zu sterben. Nachdem sich die Dörfler in Koti versammelt hatten, predigte Sundar Singh, und dann gab der Arzt Medizinen aus. Nach ihrer Rückkehr nach Chini machten sie sich auf den Rückweg, schlugen aber von Saharan ab einen anderen Weg ein. Am vierten Tage gelangten sie nach Daranghati (180); der Weg dorthin führte sie mehrfach durch dichte Dschungel, wo oftmals Menschen von Tigern und Leoparden getötet worden waren. In allerlei Dörfern predigend gelangten sie über Taklech (181) nach Bahli, wo sich bei einem religiösen Gespräch ein dort befindlicher Sadhu gegen die Auferstehung des Leibes verwahrte; Sundar Singh erzählte ihm ein Gleichnis, in dem er an die Kohlen erinnerte, die schwarz und schmutzig aussehen und an und für sich wenig Wert haben, aber unter großem Drucke zu Edelsteinen werden können. Über Sangri (182), Kadrala (183) und Bargi (184) gelangten sie dann wohl in den ersten Julitagen wieder nach Kotgarh. 8. Begegnung mit Kirpa Ram (1915)Die folgende Episode wird im Nûr Afshân (185) berichtet, die dann auch von Zahir (186) wiedergegeben wird, wie auch von Frau Parker (187) und Streeter (188):
Zur Nachprüfung der Geschichtlichkeit dieser Erzählung wandte ich mich an den bekannten nordindischen Missionar L. Bevan Jones in Lahore, der mir antwortet: "Ich habe an verschiedenen Orten festzustellen versucht, wer der Jones war, von dem Sie im Nûr Afshân gelesen haben; aber bis jetzt ist es mir nicht gelungen, die gewünschte Information zu erlangen. Ich habe in Erfahrung gebracht, dass nicht weniger als drei Missionare dieses Namens während der letzten fünf Jahre in Nordindien gestorben sind. Vielleicht befand sich das Geheimnis bei einem von ihnen! ..." (192). Unter diesen Umständen besteht kaum Aussicht, die Geschichtlichkeit dieser Erzählung zu erweisen. Aber dass sie ungeschichtlich sei oder, wie Hosten meint, von Sundar Singh, was die Berichte betrifft, inspiriert sei (193), lässt sich ebenso wenig beweisen. Unser Urteil muss demnach in der Schwebe bleiben. Als Zeit kommt wohl nur der Abschnitt zwischen Sundar Singh's Reise nach Chini und nach Kulu in Frage. Der Ort, an dem sich die Episode zutrug, wird nirgends genannt. 9. Kulu (1915)Reichlich zwei Monate später veröffentlichte Sundar Singh einen Artikel "Kulu und Ladakh" (194), in dem er eine weitere Reise im West-Himalaya schildert. Leider erfahren wir dabei keine Zeitangaben, und auch hinsichtlich der Reiseroute ist der Artikel nicht sehr klar. Kulu - es heißt ursprünglich "das Ende der bewohnten Welt" - (195) ist der südlichste Distrikt der unter britischer Verwaltung stehenden Provinz Kangra, zu der auch die Distrikte Lahoul und Spiti gehören. Den südlichen Teil von Kulu bildet der Unterdistrikt Saraj, in dem, wie wir gleich sehen werden, Sundar Singh reiste. Die Grenze bildet im Süden der Sutlej, im Westen der Eingeborenen-Staat Suket und im Osten der Eingeborenen-Staat Bashar. Landschaftlich zeichnet sich Kulu durch besondere Schönheit aus und ist öfter bereist worden (196). Auch auf dieser Reise hatte Sundar Singh Reisegefährten, und zwar einen Missionar aus Delhi, dessen Name nicht genau festzustellen ist (197), sowie einen C. Jonathany, offensichtlich einen Inder. Der Missionar kam von sich aus zu Sundar Singh und bat ihn, ihn begleiten zu dürfen. Sundar Singh ist voll Bewunderung für diesen Missionar, der, einen Turban auf dem Kopfe und eine Decke über der Schulter, das Wanderleben mit ihm teilte und sogar bereit war, die Nächte im Freien unter Bäumen oder überhängenden Felsen auf dem nackten Erdboden zu verbringen, und alle Beschwerden fröhlichen Herzens ertrug. Der Weg führte sie über Luri (198), das südlich des Sutlej im Staate Kumharsain liegt, sowie über Dalâs (199) und Chuwai (200) nach Ani (201), eine allerdings recht kurze Strecke (202). Die drei letztgenannten Orte sind Dörfer, die bereits im Unterdistrikt Saraj liegen. Allerdings weisen sie starke Höhenunterschiede auf und machen deshalb das Reisen äußerst beschwerlich (203). In Ani besitzt die Heilsarmee eine Niederlassung (204), und offenbar waren die drei Reisenden dort zu Gaste. Sundar Singh erwähnt, dass in Ani zwei Leute getauft wurden. Wir werden kaum irre gehen wenn wir annehmen, dass dies durch die Heilsarmee geschah. Ein Dritter, ein junger Mann von 22 Jahren, musste jedoch noch zurückgestellt werden, weil seine Kenntnisse zu mangelhaft waren. Ob Sundar Singh und seine Begleiter von hier aus noch weiter nach Norden vorgestoßen sind, lässt sich nicht ersehen. Sundar Singh erzählt im weiteren Verlauf seines Artikels von der zu Kaschmir gehörigen Provinz Ladakh und der Missionsarbeit der Herrnhuter; doch beruhen offensichtlich seine Mitteilungen auf Hörensagen. Es erscheint auch nicht wahrscheinlich, dass er und seine Begleiter das Heidenfest in Sultanpur (205), welches Sundar Singh erwähnt, besucht haben. Denn einerseits liegt dieser Ort weit nach Norden und ist etwa 70 Meilen von Luri entfernt (206), und andererseits findet dieses Heidenfest, bei dem nach Sundar Singh's Schilderung 360 Götzen aus dem ganzen Lande herbeigetragen und Schafe und Ziegen geopfert werden (207), erst im Oktober statt (208). Noch weniger werden Sundar Singh und seine Mitreisenden in Manikaran (209) gewesen sein, da dieses noch weiter nördlich liegt, und zwar etwa 8 Meilen nordöstlich von Sultanpur. U. a. berichtet Sundar Singh als Kuriosum die heißen Quellen von Kulu und sagt: "Das Wasser in einer von diesen Quellen ist so heiß, dass die Leute den Reis in ein Tuch wickeln und in das Wasser halten, und alsbald ist er gekocht". Dass dies tatsächlich zutrifft, bezeugt Bruce, der dies mit eigenen Augen bei Manikaran beobachtete (210). Alles in allem scheint diese Reise nur von kurzer Dauer gewesen zu sein und nicht weit nach Kulu hineingeführt zu haben. 10. Zweite Kailâs-Reise (1916)Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Reise sind wir äußerst dürftig unterrichtet. Hosten hat völlig recht, wenn er sagt, dass diese zweite Kaila-reise eine der kompliziertesten ist (211). Was die chronologischen Umstände der Reise betrifft, so sind wir außerstande, genau Greifbares zu ermitteln. Das erste genaue Datum nach der Reise ist der 6. Mai 1916. An diesem Tage begann Sundar Singh eine 10-tägige Vortragstätigkeit in Quetta in Afghanistan. In dem Artikel, in dem Sundar Singh hierüber berichtet, führt er einleitend aus: "... Ich war gerade von den Bergen (soll offensichtlich heißen: Kailâs) zurückgekehrt, als ich von der Gemeinde in Quetta einen Brief bekam, dass ich dorthin kommen sollte ... So hatte ich am gleichen Tage aufzubrechen ..." (212). Hiernach wäre Sundar Singh schätzungsweise spätestens Ende April von seiner Tibetreise zurückgekehrt. Im Einklang hiermit steht Zahir's Angabe vom 26. August 1916, dass Sundar Singh "eine zweite Pilgerreise" zum Kailâs-Heiligen "im letzten April" gemacht habe (213). Im übrigen fehlt uns jeglicher Anhalt dafür, wann diese Tibetreise stattgefunden hat, da wir keine chronologischen Angaben besitzen, welche die Zeit nach der Kulureise im Herbst 1915 aufhellen. Man könnte sogar auf den Gedanken kommen, dass Sundar Singh bereits Ende 1915 nach Tibet aufgebrochen wäre. Was dann die Reiseroute betrifft, die Sundar Singh eingeschlagen hat, so schreibt er selbst darüber im Jahre 1916: "Eine andere Route zum Kailâs führt von Tehri nach Srinagar, Rudraprayag, Karnaprayag, Nandaprayag, und von (lies: über) Joshimat nach Niti, und von Niti aus gelangt man über Dapa (214), Dongpo (215), Gyanyima (216), Barkhn (217) und Darchen (218) ans Ziel. Das zweite Mal ging ich auf diesem Wege" (219). - Beim Studium der Karten ergibt sich, dass die Orte, für diese Route in der richtigen Reihenfolge angegeben sind. Lediglich für die Strecke NitiPass-Dongpo erscheint allerdings der Weg über Dapa um, und zwar doppelt so weit zu sein wie die direkte Verbindung zwischen diesen beiden. Dass die Strecke über Gyanyima tatsächlich oft gewählt wird, ergibt sich aus der Reise von Shiv Ram Kashyap, der 1922 bei seiner Rückkehr vom Kailâs ebenfalls über Darchen. Gyanyima und Dapa reiste. Allerdings schwenkte er dann in Dapa nach Totling ab und gelangte über den ManaPass nach Joshimath, machte also einen größeren Bogen (220). Aber nun erheben sich wieder verschiedene Schwierigkeiten, die wir kurz aufzählen.
Die Jesuiten-Missionare, welche im 17. Jahrhundert in Chabrang arbeiteten, benutzten stets den Mana-Pass. Aus einer Zusammenstellung, welche die Monate angibt, in denen diese Missionare zwischen 1624 und 1640 diesen Pass mehrere dutzend Male überschritten haben, ergibt sich, dass dieser Pass nur während der Zeit von Juni bis November einschließlich überschritten worden ist (225). Also auch hier ist keine Überschreitung während der Wintermonate erfolgt. Dass der Niti-Pass, der 16 628 Fuß hoch ist, geradezu unwegsam während der Wintermonate sein muss, ergibt sich aus der Tatsache, dass das Dorf Niti, das einige 50 Steinhäuser zählt und vom November bis Mai von allen Bewohnern entblößt ist, nur 11461 Fuß hoch liegt (226). J. H. Batten, der am 11. Oktober 1837 den NitiPass besucht und näher geschildert hat, erklärt: "Der Pass ist nicht vor Juli offen, und er wird jetzt (scil. im Dezember) unwegsam. Am Abend des Tages, an dem ich den Pass besuchte (scil. 11. Oktober), fiel der erste Schnee. Es schneite die ganze Nacht heftig, und am nächsten Tage konnte ich kaum Niti erreichen. So launisch ist diese Jahreszeit" (227). Ähnliches gelte vom Mana-Pass. Man sieht, dass sich im letzten Jahrhundert kaum etwas geändert hat. Aus diesen geographischen Angaben ergibt sich völlig eindeutig, dass Sundar Singh von Dezember bis April unmöglich den NitiPass überschritten haben kann. Da Sundar Singh, falls man seine Rückkehr über den Nitipass während des April trotz allem in's Auge fassen will, auf dieser Reise nicht nur den Kailâs besucht haben will, sondern, wie wir gleich sehen werden, auch noch das etwa 10 Tagereisen östlich von ihm gelegene Rasar, so ergäbe sich hierfür eine Gesamtreisezeit von mindestens 3 Monaten. Dann müsste aber Sundar Singh ausgerechnet im Januar, also während der schlimmsten Zeit, den Pass überschritten haben. Das ist eine Unmöglichkeit. Und dass Sundar Singh bereits im November oder Dezember zum Kailâs aufgebrochen und dort den Winter verlebt hätte, erscheint vollends undenkbar. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass uns hinsichtlich der Chronologie noch mehrere sporadische Notizen begegnen, die jedoch alle wenig greifbar sind (228). Die einzige genauere Aussage ist die von Mangal Singh, der versichert, Sundar Singh sei 1916 auf dem Rückwege vom Kailâs wieder in Pauri durchgekommen, wo er ihn "einen ganzen Tag und eine Nacht" beherbergt habe. Man habe ihm ein Bettgestell angeboten, doch habe er die Nacht auf dem Fußboden geschlafen. An jenem Abend habe er unter anderem von seiner Bekehrung und von seinen Erlebnissen in Tibet erzählt, und zwar gibt Mangal Singh in diesem Zusammenhang die von ihm damals gehörte Rasar-Gesehichte wieder (229). Doch erinnert er sich nicht mehr des genauen Datums; er glaubt, es sei "im Frühjahr" gewesen; er habe damals noch die Schule besucht (230). - Bisher wussten wir nur, dass Sundar Singh 1912 und 1914 in Pauri war. Dass er aber tatsächlich auch 1916 Pauri besucht hat, wird von Dr. M. T. Titus bestätigt, der mir unabhängig von Mangal Singh mitteilt: "Übrigens waren wir 1916 in Pauri, als er (Sundar Singh) auf seinem Wege nach (sic) Tibet dort durchkam. Es war im Juli (sic), doch kann ich mich nicht mehr auf das genaue Datum besinnen ...". Er fügt hinzu, dass seine Frau Sundar Singh in einem Umschlag drei Rupies Zehrgeld übersandt habe; doch habe es Sundar Singh sofort mit der höflichen Notiz zurückgeschickt, dass er es sich zur Regel gemacht habe, ohne Geld zu reisen (231). - Wir sehen, dass sich Dr. Titus hier entweder hinsichtlich des Monats irrt oder aber hinsichtlich der Angabe, dass sich Sundar Singh auf dem Wege nach Tibet befunden habe. So hilft uns auch diese chronologische Angabe nicht zur näheren Fixierung von Sundar Singh's zweiter Kailâsreise. Trotz allem dürfte das Ergebnis unserer Untersuchung hinsichtlich der zweiten Tibetreise eindeutig sein. Obschon das Halbjahr September 1915 bis April 1916 ein Schulbeispiel dafür ist, von wie unschätzbarem Werte es wäre, wenn wir Briefe Sundar Singh's aus diesem Zeiträume hätten oder sonstige Anhaltspunkte, welche eine nähere chronologische Bestimmung ermöglichen, so ergibt sich doch aus den Pass Verhältnissen mit völliger Eindeutigkeit, dass Sundar Singh's Reise zum Kailâs im Winter bzw. Frühjahr unmöglich stattgefunden haben kann und somit ebenso illusorisch ist wie die Reise von 1912. Anhang I. Rasar1. Die Erlebnisse in RasarVon Mangal Singh's Notiz abgesehen begegnet uns der Bericht über Sundar's Erlebnisse in Rasar zuerst bei Zahir (232) und dann bei Frau Parker (233), deren Bericht von Streeter wörtlich übernommen wird (234). Dazu kommen u. a. ein englischer Zeitungsbericht (235), die Aussagen Sundar Singh's auf seiner Reise in der Schweiz (236), ein kurzer Bericht von Frau Sascha Bauer (237) sowie zerstreute Äußerungen von Sundar Singh selbst. Der Inhalt der Berichte ist kurz der folgende: Als Sundar Singh in Rasar das Evangelium predigte, wurde er verhaftet und vom Lama dazu verurteilt, in einen leeren Brunnen gestürzt zu werden. Dies wurde ausgeführt und der Brunnen oben verschlossen. Mit verletztem oder gar gebrochenem Arm lag Sundar Singh dort inmitten verwesender Leichen und hatte schon alle Hoffnung auf Rettung aufgegeben, als in einer der folgenden Nächte der Brunnendeckel geöffnet wurde und jemand ein Seil herabließ mit der Aufforderung, Sundar Singh solle sich daran anklammern. Dann wurde er herausgezogen, und der Retter verschwand. Sundar Singh merkte, dass sein Arm plötzlich geheilt war. Er begab sich nun zu einer Herberge in oder bei Rasar, und als er sich dort von seinen Aufregungen erholt hatte, begann er wieder öffentlich zu predigen. Er wurde abermals verhaftet. Als er dem Lama berichtete, wie er befreit worden war, ließ dieser voll Zorn nach dem Schlüssel des Brunnens suchen und war nicht wenig erstaunt, als er ihn schließlich bei sich selbst entdeckte. Alsbald gebot er «Sundar Singh, den Ort zu verlassen, da er ihn mit göttlichen Mächten im Bunde wähnte. - In einem späteren Briefe erwähnte dann Sundar Singh noch, dass ihm nach seiner Befreiung aus dem Brunnen die vorher geraubten Kleider von Lamas wieder zurückgegeben worden seien (238). 2. WidersprüchePfister kommt bei einer kritischen Untersuchung der verschiedenen Berichte zu der Folgerung: "Die Erzählung strotzt auch in dem, was wir aus authentischen Quellen und aus Sundar's Mund wissen, von Widersprüchen" (239). Dieser Auffassung können wir uns nicht anschließen, da uns die von Pfister angeführten Punkte meist nebensächlicher Art zu sein scheinen. Auffällig sind lediglich die Widersprüche hinsichtlich der Armverletzung (240). Doch darf man hieraus keine voreiligen Schlüsse ziehen. 3. Sonstige Bedenkena) Die Lage Rasar's.Über die Lage Rasar's befragt, erklärte Sundar Singh, es läge im westlichen Tibet und sei keine große Stadt; auch befinde sich in seiner Nähe kein bedeutenderer Ort (241). Später erweiterte er seine Aussage: "... Rasar ist etwa zwei Wochen vom Kailâs entfernt. Ich kann nicht sagen, wieviel Meilen es davon entfernt ist. Denn es gibt keine Landstraßen oder Meilensteine ..." (242). An der gleichen Stelle fügt Sundar Singh eine Faustskizze bei, welche jedoch nicht weiterhilft (243). - Es ist selbstverständlich, dass Versuche gemacht wurden, die Lage von Rasar genauer zu bestimmen. Pfister wandte sich an Sven Hedin, der erwiderte, er habe nie von einem Ort Rasar in West-Tibet gehört (244). Das ist natürlich kein Beweis für die Nichtexistenz Rasar's. Missionar Riddle schreibt von den Christen in den Grenzdörfern hinter Almora: "Sie haben Verbindung mit Risar (245), welches 10 Tagereisen östlich des Manasarowar-Sees liegt" (246). Infolgedessen wandte ich mich an ihn mit der Bitte um nähere Auskunft über Risar. Aber seine Antwort führte auch nicht weiter: ,"Risar und Rasar sind das Gleiche. Auch mir ist es nicht gelungen, Rasar zu identifizieren. Der Sadhu sagte mir, dass es ein kleines Dorf etwa 10 Tagereisen östlich des Sees Manasarowar sei. Ich weiß nicht, wann die Begebenheit mit dem Brunnen sich ereignet hat . . . Sie erscheint mir nicht unwahrscheinlich ..." (247). Inzwischen hatte ich mich auch an den High Commisioner für Indien in London gewandt. Er ließ mir mitteilen, dass eine vorläufige Durchsicht der Karten negativ ausgefallen sei, dass aber wegen des dortigen Geländes schwer zu sagen sei, wieviele Meilen in 10 Tagen zurückgelegt werden könnten. Er sei jedoch bereit, bei näherer Angabe nötigenfalls in Indien bei dem Leiter der dortigen karthographischen Abteilung der Regierung Näheres in Erfahrung zu bringen (248). Aber da auch wir die Meilenzahl nicht kennen, ist auch hier nicht weiter zu kommen. Schließlich befragte ich Rev. Yunas Singh, der Heiler erklärt hatte: "Rasar liegt irgendwo in Westtibet ..." (249). Er teilt mir mit: "Wir in der Almora-Gegend wissen nichts über diesen Ort Rasar ... Wenn Rasar 10 Tagereisen östlich vom Kailâs liegt, habe ich Zweifel, ob Sadhuji jemals dorthin gegangen ist. Ich kenne Tibet, und ich kann autoritativ sagen, dass es völlig außer Frage steht, über den Kailâs hinauszugehen" (250). - Unter diesen Umständen erscheint es unmöglich, jemals die Lage von Rasar zu bestimmen, und es erheben sich tatsächlich Zweifel an seiner Existenz. b) Der BrunnenSchon Redman hörte, dass es in Tibet gewöhnlich keine Brunnen gebe, da die Tibeter ihr Wasser aus geschmolzenem Schnee gewönnen. Er vermutet deshalb, dass Sundar Singh unter der Bezeichnung Brunnen lediglich eine tiefe Grube meinte (251). Auch Sven Hedin erklärt, dass er in Tibet keine Brunnen gesehen habe (252). Aber Sundar Singh modifiziert selbst den Ausdruck Brunnen: "Ja, man braucht keine Brunnen in Tibet; aber das war nicht diese Art von Brunnen ... Der Brunnen in Rasar hatte kein Wasser, er war nur zu dem Zwecke gegraben, um die Leute zu bestrafen" (253). Vollends klar wird aber, um was es sich gehandelt haben könnte, wenn wir hören, was der bereits früher erwähnte David Macdonald über die Kerkerstrafen in Tibet berichtet:
Hieraus ergibt sich, dass in Tibet die Gefangenen tatsächlich in derartigen Verliesen untergebracht werden wie Sundar Singh von sich angibt. Infolgedessen lassen sich in dieser Hinsicht keine Bedenken gegen seine Erzählung aufrecht erhalten. c) ChronologieDa sich Rasar nach Sundar Singh's Angabe, wie Avir sahen, östlich bzw. nordöstlich vom Kailâs befindet, kann Sundar Singh diesen Ort nur in Verbindung mit einer Kailâsreise besucht haben. Die Kailâsreise von 1912 scheidet aus, weil Sundar Singh vor 1916 nie von Rasar geredet hat. Die Reise von 1917 kommt ebenso wenig in Frage, zumal sie für diesen Zweck viel zu kurz war, wie denn auch Sundar Singh selbst sagt, er sei bei jener Reise nicht über den Kailâs hinausgekommen (255). Da überdies die Mitteilungen über Rasar erstmalig nach der zweiten Kailâsreise erscheinen, ist es unabweislich, dass wir folgern müssen, dass Sundar Singh allein auf dieser Reise in Rasar gewesen zu sein meint. Hieraus ergibt sich, wie wichtig für das Studium der Rasar-Frage die Antwort auf die Vorfrage ist, ob die zweite Kailâs-Reise überhaupt stattgefunden hat. Da wir diese Frage verneinen mussten, werden wir zu der Schlussfolgerung gedrängt, dass mithin auch die Reise nach Rasar samt den dortigen Erlebnissen ungeschichtlich ist. Natürlich entsteht die Frage, wie Sundar Singh dazu kommen konnte, die Rasar-Geschichte zu berichten. Diese Frage liegt auf der gleichen Linie wie das Problem, wie Sundar Singh die erste und zweite Kailâs-Reise schildern konnte, obwohl diese Reisen überhaupt nicht stattgefunden haben. Eine Antwort bereits an dieser Stelle zu versuchen, wäre verfrüht. Es wird dazu erst im Schlusskapitel, wenn wir das Gesamt-Material übersehen können, der Ort dazu sein. Anhang II. Tashi Wangdi und ThapaDen ersten Bericht über die Begegnung Sundar Singh's mit Tashi Wangdi finden wir bei Zahir (256), an dessen Bericht in Lover sich Frau Parker eng anschließt (257). Dazu kommen einige Äußerungen von Sundar Singh selbst. Sundar Singh stieg in Tibet von einem hohen Berg hinab, als er sich am Fuße eine blutende Verletzung zuzog, die er sich verbinden musste. Dabei machte er die Bekanntschaft mit einem Mann namens Tashi Wangdi (258). Dieser hatte auf einem College in Calcutta studiert (259) und kannte seitdem die Bibel. Jetzt war er bei einem Lama als Übersetzer angestellt (260). Er lud Sundar Singh in sein Haus ein. Sundar Singh blieb bei ihm längere Zeit und besuchte auf seine Veranlassung auch den Lama, um ihm Gottes Wort zu sagen (261). Ehe Sundar Singh weiterzog, hatte er die Freude, Tashi Wangdi samt seinen Angehörigen taufen zu können; es waren 9-10 Familienglieder (262). Tashi Wangdi blieb trotzdem selbst nach der Taufe unbehelligt, da er einflußreich und mit dem Lama befreundet war. Nach Shaida geschah dies bei Sundar Singh's "Rückkehr vom Rasar-Distrikt im gleichen Jahre". In diesen Berichten befindet sich keine Ortsangabe. Da überrascht uns Sundar Singh 1917 mit der Nachricht: "Bis jetzt gibt es in Tibet proper in einem Ort mit Namen Rasar nur 9 Christen, die ich auf ihre Bitte taufte. Hoffentlich lässt Gott dies Werk allmählich weiter fortschreiten. Amen." (263). In Rasar selbst? Sundar Singh kann niemand anderes als Tashi Wangdi und seine Familie meinen. Sundar Singh erwähnt dies bei der Beschreibung seiner Reise mit Ali nach Shipki. Offenbar hatte er bei dieser Reise mit Ali über Rasar und die Taufen dort gesprochen. Denn Ali schreibt, Sundar Singh habe ihm erzählt, dass er in der Gegend des Kailâs einen Tibeter namens Puntsog getauft habe, was indessen nicht glaubhaft erscheine (264). Demgegenüber erklärt Sundar Singh ausdrücklich: "Und ich habe nie Ali erzählt oder gesagt, ich hätte Puntsog getauft, sondern ich erzählte von Wangdi im eigentlichen Tibet bei Rasar" (265). Offenbar meinte Sundar Singh auch bei seiner Aussage von 1917 nicht Rasar selbst, sondern einen Ort bei Rasar. Es wäre ja tatsächlich auch widersinnig, wenn Tashi Wangdi ausgerechnet in Rasar wohnhaft sein sollte, wo Sundar Singh ein Jahr zuvor eingekerkert worden war. 1921 hörte dann Sundar Singh nach seiner eigenen Angabe auf seiner damaligen Tibetreise von zwei Händlern, dass Tashi Wangdi gestorben sei und die anderen Christen - also seine Familienglieder - sich zerstreut hätten (266). Das war das Ende dieser kleinen Gemeinde. Es bleibt noch hinzuzufügen, dass nach Sundar Singh's Aussage ein Mann, der Thapa (267) hieß, gewöhnlich in einem Dorfe bei Rasar lebte (268). Damit kann nur das Dorf von Tashi Wangdi gemeint sein. Dort soll Thapa sogar eine Privatschule unterhalten und eine Predigt-Tätigkeit ausgeübt haben (269). Doch könnte die Schule erst 1923 oder noch später, also erst nach Tashi Wangdi's Tode, gegründet worden sein, da Sundar Singh noch am 19. Juli 1923 erklärte, dass eine Tibetschule mit 33 Knaben - damit ist die Schule von Tharchin in Gyantse in Ost-Tibet gemeint - die erste und einzige christliche Schule im "verbotenen Lande" sei (270). Sundar Singh unterstützte, wie er sagt, Thapa auch finanziell, indem er ihm durch einen tibetischen Händler mit Namen Namgyal Geld zusandte (271). Sundar Singh gibt weiter an, Thapa sei Christ geworden, nachdem er ihn getroffen habe (272). Er stamme aus Nepal; sein Vater sei Nepalese und seine Mutter Tibetanerin; er verstünde Nepalesisch, Tibetisch und Hindostani und sei sein Dolmetscher gewesen (273). "Das Tibetische lehrte mich niemand, aber ich pickte allerhand auf durch Unterhaltung und durch einen jungen Tibeter nament Thapa, der die meiste Zeit über mein Dolmetscher war ..." (274). Er sei "wiederholt" - das ist allerdings unmöglich - mit ihm nach Rasar sowie nach anderen Plätzen gegangen (275) und habe ihn zuletzt 1921 gesehen (276). Sundar Singh bedauerte, dass er ihn wegen mangelnder Postverbindungen nicht bitten könne, nach Indien zu kommen (277), gab dann aber der Hoffnung Ausdruck, als er seine Tibetreise 1927 antrat, dass er Thapa und einige andere Christen Ende Juli oder Anfang August 1927 aus Tibet werde mitbringen können (278). Aber da er infolge seiner plötzlichen Erkrankung diese Reise abbrechen musste, konnte er seinen Plan nicht verwirklichen. Das Geld, dass er für die Arbeit Thapa's mitgenommen hatte, gab er statt dessen seinem Reisebegleiter Namgyal mit, den er auch bat, Thapa auszurichten, er solle nach Indien kommen, um Zeugnis von seiner Arbeit abzulegen (279). Dieser Namgyal hatte bereits einige Jahre vorher einmal Geld für Thapa mitgenommen, wie wir bereits sahen (280). Da Sundar Singh Ende 1927 und Anfang 1928 nichts wieder über Thapa hörte, fürchtete er, ihm sei etwas zugestoßen (281). Wenn wir nach Beweisen für die Richtigkeit von diesen Aussagen Sundar Singh's und vor allem auch für die Existenz von Tashi Wangdi und Thapa fragen, sind wir nicht fähig, Zeugen zu nennen, die die Erlebnisse bestätigen könnten oder die fraglichen Personen getroffen hätten. Missionar Riddle, den ich eigens befragte, teilt mir mit, er habe Thapa nicht getroffen (282). Auch Rev. Yunas Singh schreibt mir auf meine diesbezügliche Frage: "Ich habe niemals irgendeinen tibetischen Christen oder Thapa Namgayal (sic) getroffen" (283). Hinsichtlich Tashi Wangdi's bestehen sehr starke Zweifel, weil seine Begegnung in die Rasar-Gegend verlegt wird. Wir sahen, dass das Rasar-Erlebnis ungeschichtlich ist, und werden deshalb zu der Folgerung gedrängt, dass auch Tashi Wangdi, seine Bekehrung und die Taufe seiner Familienangehörigen als ungeschichtlich betrachtet werden muss. Ein Urteil über Thapa zu fällen ist schwieriger. Immerhin ist auch er mit der Rasar-Gegend so eng verknüpft, dass begründete Zweifel bestehen, ob er als geschichtliche Persönlichkeit betrachtet werden darf. Die Waage neigt sich sicher eher zu seinen Ungunsten als zu seinen Gunsten (284). Fällt aber Thapa dahin, wird man auch an der Existenz von Namgyal zweifelhaft, obschon uns hierbei jeglicher Anhaltspunkt zu einer klaren Entscheidung fehlt. Im übrigen sei hier wieder auf das Schlusskapitel verwiesen. 11. Im Kotgarh-Gebiet (1916)Nachdem Sundar Singh im Mai 1916 in Quetta gewirkt hatte, kehrte er nach Kotgarh zurück. Dort war Zahir von Ende Mai bis Ende Juni viel mit Sundar Singh zusammen, und es entstand der Entwurf zu Shaida. Ende Juni und Anfang Juli reiste dann Sundar Singh wieder im Kotgarh-Bezirk. Davon zeugt ein Aufsatz, den er im Nûr Afshân veröffentlichte (285) und in dem er seine jüngsten Erlebnisse schildert. In einem Dorf, in dem er predigte, wurde er von den kastenstolzen Leuten nicht aufgenommen, so dass er für die Nacht in einer Höhle des Dschungels Zuflucht suchen musste. Als er eintreten wollte, erblickte er zwei funkelnde Lichter, und im nächsten Augenblick setzte ein Raubtier im Sprung über ihn hinweg und verschwand. Nachdem er sich in der Höhle schlafen gelegt hatte, begann es heftig zu regnen. Das Wasser floss in die Höhle hinein und weichte seine Decken und sein Gewand durch, so dass er für den Rest der Nacht aufsitzen musste, ohne an Schlaf denken zu können. Aber er tröstete sich im Gedanken an die, die wie er Not gelitten haben; sie "sind im Elend umhergeirrt in den Wüsten, auf den Bergen und in den Klüften und Löchern der Erde" (Hebr. 11,38). Am nächsten Tage erreichte er Narkanda (286), einige Meilen südlich von Kotgarh, wo er dann den genannten Artikel schrieb. In offenbar die gleiche Zeit und Gegend fällt Sundar Singh's Erlebnis bei der Weizenernte, über das er am Ende seines nächsten Artikels berichtet (287). Darnach predigte er zu Leuten, die Weizen mähten. Sie wurden ärgerlich und schalten ihn. Einer warf sogar mit Steinen nach ihm. Sundar Singh blieb aber ruhig sitzen. Nach einer Weile bekam einer von den Schnittern heftiges Kopfweh, so dass er mit der Arbeit aufhören musste. Da sprang Sundar Singh auf und tat dessen Arbeit. Dadurch gewann er sich die Herzen der Leute. Sie nahmen ihn am Abend mit nach Hause, wo er ihnen bis 10 Uhr die frohe Botschaft verkündigen konnte. - Die gleiche Erzählung bringt unabhängig von Sundar Singh ein Jiya Ram einige Wochen später in der gleichen Zeitschrift (288), doch mit weiteren Einzelheiten. Er berichtet, er habe die Erzählung von einem Großgrundbesitzer mit Namen Nandi erfahren, der alles selbst mit erlebt habe und dessen Bruder den Stein geworfen und damit Sundar Singh an den Kopf getroffen habe; dieser sei es gewesen, der dann das heftige Kopfweh bekommen habe. Jiya Ram fügt hinzu, Nandi habe erzählt, dass die Ernte zwei Maunds - d. s. etwa 1½ Zentner - mehr betragen habe als früher, was er auf die Berührung des Getreides durch Sundar Singh geschoben habe. - Da wir diese Geschichte nicht weiter nachprüfen können, müssen wir uns eines Urteils über sie enthielten. Außerdem berichtet Sundar Singh im letzterwähnten Artikel von Menschenopfern, die einst in der Kotgarh-Gegend dargebracht worden seien. Dass Derartiges tatsächlich überliefert wird, bestätigt Missionar C. F. Andrews (289). Sundar Singh fügt sogar hinzu: "Es ist jetzt (scil. 1916) wenige Jahre her, dass ich, als ich zu dem Wochenmarkt von Khran (290) zum Predigen ging, dort sah, wie man einen Mann hierfür zubereitete". Daraufhin sei von Regierungsbeamten ein Verbot des Menschenopfers erlassen bzw. in Erinnerung gebracht worden, dem sich die Leute gefügt hätten. Sundar Singh predigte ihnen über Christus, der als ein unschuldiges Lamm für uns Sünder geopfert sei, um uns zu erretten (291). 12. Dritte Kailâs-Reise (1917)Als sich Sundar Singh zu seiner dritten Kailâs-Reise rüstete, hatte er äußerst arbeitsreiche Monate hinter sich. Über seine Tätigkeit im Spätsommer 1916 sind wir zwar nicht unterrichtet; aber wir wissen, dass er vom Herbst 1916 bis etwa März 1917 nahezu ununterbrochen in Nord-Indien Vorträge und Ansprachen gehalten hat. Wir wissen jedoch nur wenig über die Einzelheiten dieser ausgedehnten Reise (292). Im April und Mai führte dann Sundar Singh seine dritte Kailâs-Reise aus. Am 22. Mai 1917 meldete er aus Pithoragarh: "Gestern bin ich hierher vom Kailâs zurückgekommen. Ich wollte noch weiter nach Tibet hineingehen, aber ich wurde gestoppt ... Morgen werde ich von hier nach Almora aufbrechen und dann bei passender Gelegenheit auf einem anderen Wege wieder Tibet betreten. Ich traf den Maharishi vom Kailâs ..." (293). Über den Verlauf dieser Reise sind wir durch mehrere Aufsätze, die Sundar Singh bald darnach schrieb, ziemlich gut unterrichtet (294). Hinsichtlich des allerersten Teiles der Reise besitzen wir außerdem die Aussagen von Sundar's Reisebegleiter Judson (295). Über die Einzelheiten dieses ersten Reiseabschnittes bestehen Abweichungen bei Sundar Singh und Judson; da Letzterer Tagebuch geführt hat, Sundar Singh jedoch nicht (296), sollte man denken,, dass Judson's Angaben zuverlässiger seien. In Wirklichkeit sind seine Zeit- und Ortsangaben so widerspruchsvoll und verworren und demgegenüber Sundar Sinorh's wiederum teilweise anders lautend, dass es ein vergebliches Bemühen ist, die Einzelheiten zu klären. So begnügen wir uns mit einem allgemeinen Bericht (297). Eine wichtige Ergänzung der Reiseberichte bilden die brieflichen Aussagen verschiedener Missionsleute, deren Stationen Sundar Singh unterwegs besuchte; wir werden sie jeweils mit anführen. Da Sundar Singh's Erzählungen von seinen vorhergehenden Kailâsreisen, besonders von seiner Begegnung mit dem Maharishi, lebhafte Zweifel geweckt hatten, hatte Sundar Singh sich öffentlich dazu bereit erklärt, in Gemeinschaft mit anderen die nächste Reise anzutreten (298). Demzufolge beschlossen vier (299) junge Leute, Sundar Singh zu begleiten: A. S. Judson, ein Lehrer an der Höheren Schule zu Unao, J. R. C l i f f o r d , ein Regierungsbeamter (Assistant Tahsildar) aus dem Cawnpore-Distrikt, Q u d r a t M a s i h aus Ambala, der übrigens später Mohammedaner wurdet sowie B. Mohan L a l, ein Quäker aus Bhilsa, alles Inder oder Anglo-Inder (300). Sie verließen am 31. März 1917, dem Sonnabend vor Palmsonntag, Lucknow. nachdem sie Bischof Warne um seinen Segen gebeten hatten, und begaben sich nach Dehra Dun. Dort mussten sie sich einige Tage gedulden, bis Sundar Singh, von einer Tagung in Saharanpur kommend, zu ihnen stieß. Am 4. April (301), einem Mittwoch, brach Sundar Singh mit seinen 4 Begleitern auf, und sie wanderten nach Mussoorie. Dieser Marsch strengte Clifford so sehr an, dass er bereits jetzt beschloß umzukehren. Und Qudrat Masih musste ebenfalls in Mussoorie zurückbleiben, weil Rev. W. M. Branch Sundar geschrieben hatte, er solle ihn nicht mitnehmen. Nachdem Sundar Singh in Mussoorie noch seinen alten, väterlichen Freund Dr. Wherry und dessen Gattin besucht hatte, welche dort die Sommermonate verbrachten (302), traf er mit seinen beiden übrigen Reisegefährten die Vorbereitungen zum Aufbruch. Sie verließen am Karfreitag Mussoorie. Sie wählten die Route über Gangotri. Man hat Sundar Singh zum Vorwurf gemacht, dass er damit eine besonders schwierige, ja unmögliche Strecke eingeschlagen habe; doch nimmt ihn Judson ausdrücklich gegen diese Anschuldigung in Schutz: "... Uns lag gerade daran (We were anxious), Gangotri und möglichst viele sonstige sehenswerte Orte zu besuchen ..." (303). Dass diese Strecke tatsächlich oft von den Pilgern benutzt wird, sahen wir bereits. Mehrere Tagereisen weit zogen sie auf dieser Strecke entlang (304), wobei sie viele Unbilden zu bestehen hatten. Strömender Regen und Hagel setzten ihnen heftig zu. Die an solche Strapazen nicht gewöhnten Begleiter Sundar Singh's erkrankten an Durchfall und Fieber und rafften sich nur mit Mühe auf, die Reise fortzusetzen. Schließlich stellte es sich heraus, dass man umkehren musste, weil der weitere Weg durch tiefen Schnee versperrt war. Judson war darüber so enttäuscht, dass er, wie er selbst gesteht, voller Zorn seine Sachen Sundar Singh an den Kopf warf, aber er muss bekennen: "Wenn immer ich zornig wurde und mich in meiner Unterhaltung mit diesem Sadhu vergaß, blieb er beherrscht, und ich konnte nicht einmal auf seinem Angesicht einen Ausdruck von Ärger oder Unmut bemerken. Er versuchte nicht, mir mit der gleichen Münze heimzuzahlen". Judson sah dann auch ein, dass aller Ärger nutzlos war. Die drei Wandergefährten wandten sich nun wieder südwärts und gingen nach Tehri. Sundar versuchte, Judson zu überreden, mit ihm auf einem anderen Wege nach Tibet zu wandern, doch müsse er auf Rock und Hose verzichten und sich in ein weniger auffälliges Gewand hüllen und auch einen bunten Turban aufsetzen. Diese Kleidungsstücke hatte jedoch Judson inzwischen verloren. So verzichtete er auf die Fortsetzung der Kailâs-Reise und kehrte mit B. Mohan Lal nach Mussoorie zurück (305), während Sundar Singh seine Reise allein in anderer Richtung fortsetzte. Dies muss etwa am 14. April gewesen sein (306). Sundar Singh selbst begab sich zunächst nach Srinagar, wobei er, wie er angibt, an einem einzigen Tage einen Gewaltmarsch von 33 Meilen zurücklegte. Gegen Abend predigte er auf dem Marktplatz. In diesem Zusammenhang schildert Sundar Singh, wir wissen nicht wo, dass er einmal unterwegs von einem heftigen Fieberanfall ergriffen worden sei. Es wehte ein eisiger Wind, und da er sich deshalb nicht niedersetzen konnte, blieb ihm nichts weiter übrig als weiter zu wandern. Schließlich verursachte ein steiler Anstieg bei ihm einen starken Schweißausbruch, so dass mit ihm das Fieber verschwand und Sundar Singh von Krankheit verschont blieb (307). - Die nächste Etappe, die er erwähnt, ist G a n a i (308), wo er anläßlich eines großen Heidenfestes ein grausames Büffelopfer erlebte (309). Der Büffel wurde von den Dörflern erst mit einem langen Messer verwundet, worauf Pfeffer in seine blutenden Wunden gerieben wurde. Das wildgewordene Tier raste mit heraushängender Zunge schnaubend umher. Als der Büffel endlich zusammenbrach, wurde er mit Stöcken vollends totgeschlagen. Die Dörfler glaubten, dass dadurch ihre Sünden getilgt würden. Sundar Singh schnitt dieses grausige Schauspiel ins Herz, und er freute sich, dass er die Gelegenheit zu gründlicher Heidenpredigt benützen konnte. - In Dangoli (310), auch Katyur genannt (311), wo Sundar Singh bei seiner Weiterreise einkehrte, traf er zwei im Dienste der Londoner Mission stehende Arbeitskräfte, Frl. Turner und Rev. Yunas Singh, die beide ihrerseits diesen Besuch Sundar Singh's bestätigen (312). Letzterer legte, wie er Missionar Redman erzählte (313), bei dieser Gelegenheit Sundar Singh eine Vermessungskarte (314) von Tibet vor und bat ihn, "ihm den Weg zu zeigen, den er bei der ersten Reise eingeschlagen hatte, und die Orte, durch die er gekommen. Der Sadhu tat das korrekt, und Yunas Singh war somit sicher, dass Sundar Singh mit der Strecke vertraut war" (315). Da wir aber nicht ersehen, um welches Jahr und um welche Route es sich handelte, schrieb ich an Rev. Yunas Singh. Er teilt mir mit, dass er mit einem seiner Mitarbeiter namens Lewis von Mitte Juli bis Mitte August 1916 eine Reise zum Kailâs gemacht und dabei die Strecke über Milam eingeschlagen und den Anta-Dhura-Pass, Jayanti-Pass und Kungribingri-Pass überschritten habe. Im April 1917 sei er dann nach Dangoli versetzt worden und sei dort am Karfreitag (scil. 6. April) eingetroffen. "Es war 10 oder 15 Tage später, dass Sadhuji (Sundar Singh) uns besuchte. Er blieb 3 Tage bei uns ..." (316). Schon vorher schrieb mir Yunas Singh: "Vorher hatte ich einige Zweifel betr. seines Besuches in Tibet gehabt; aber er befreite mich von meinen Zweifeln, indem er auf der Karte, die ich von meinem Besuch gemacht hatte, die Plätze zeigte, die er in Tibet besucht hatte" (317). Damit meinte Yunas Singh Sundar Singh's Kailâs-Reise von 1912, wie er auf meine Anfrage versichert (318). Doch sahen wir, dass trotz allem die 1912-Reise ungeschichtlich ist. Frl. Turner erzählt gleichzeitig, dass sie von nun ab mit Sundar Singh in lebhaftem Briefwechsel geblieben sei (319) und fügt hinzu, dass Sundar Singh von Dangoli aus nach Bageshwar (320) weiter gezogen sei. Von dort wanderte er - von Dangoli aus waren es rund 35 Meilen - nach Berinag (321), wo er Missionar G. F. Grundy (322) von der Chowpatta-Mission, der dort eine Gemeinde gegründet hatte, traf. Auf meine Anfrage nach den näheren Einzelheiten dieses Besuches teilt mir dieser unter anderem Folgendes mit:
Nach weiteren 27 Meilen, von Berinag aus gerechnet, gelangte Sundar Singh nach Askot (325). Dort erfuhr Sundar Singh, dass es in jener Gegend "Halbwilde" und "Wilde" (326) gab, wie sich Sundar Singh ausdrückt; es war das erste Mal, dass er von ihnen hörte. Es handelte sich um primitive Waldbewohner. Die "Halbwilden" trugen Lendentücher und handelten mit Gegenständen, die aus Holz angefertigt waren; einige von ihnen waren bereits zivilisierter. Im dichten Dschungel stieß dann Sundar Singh auf die "Wilden". Er sah, wie ein Mann, eine Frau und vier Kinder aus einer Höhle hervorkamen und schneller als ein Pferd davonliefen. Sie hatten lange Haare und waren von schwarzer Hautfarbe. Sundar Singh kehrte um und holte sich einen Halbwilden mit Namen Kokra als Dolmetscher, um mit dessen Hilfe den Wilden zu predigen. Er traf auch eine Anzahl von ihnen an. Sie waren scheu und schwer zugänglich und hausten in Höhlen auf dort ausgebreitetem Gras. Die Männer lebten mit ihren Schwestern und Töchtern in Ehegemeinschaft. Sundar Singh war so erschüttert von dem, was er sah, dass er schreibt: "Ihre Gewohnheiten sind wie die von Tieren" (327). Kinder werden nach der Geburt nicht gebadet, sondern von der Mutter abgeleckt. Manche von ihnen fallen Raubtieren zum Opfer, aber sie erlegen auch ihrerseits wilde Tiere und verzehren sie. Ihr Zahlenbegriff geht nicht über zwei hinaus. Aber eins fand Sundar Singh zu seiner Überraschung doch bei ihnen: eine vage Gottesvorstellung, die sich in der Anbetung von Steinen offenbart. Kultivierungsversuchen gegenüber erwiesen sie sich spröde; Sundar Singh erwähnt einen Commissioner Ramsay (328) bzw. Lelze (329), der sich in dieser Richtung betätigte; vielleicht war es ein Heilsarmee-Offizier. Sundar Singh wäre gern mehrere Tage bei den Waldbewohnern geblieben, aber sie waren so scheu, dass sich Sundar Singh zum Weiterziehen genötigt sah. - Auch der englische Reisende Landor besuchte 1897 diese Raots in den Wäldern von Chipula (330), wie im Jahre 1904 der Forscher T. G. Longstaff und der englische Regierungsbeamte Sherring (331). Vergleicht man deren Berichte mit dem, was Sundar Singh erzählt, so zeigt sich, dass sich Sundar Singh's Schilderung im Ganzen mit ihnen deckt (332). Von Askot gelangte Sundar Singh über D h a r c h u l (333) nach Bodi (334), das mit Bodhi (335), einige Meilen südwestlich Garbyang, identisch ist. Die nächsten Etappen, die Sundar Singh anführt, sind Garbyang und Taklakot (336), zwischen denen der Lipu-Lekh-Pass (337) gelegen ist, der von allen tibetischen Pässen die wenigsten Schwierigkeiten bereitet (338). Sundar Singh erwähnt, dass sich unweit Taklakot in einem Dorfe Toyo das Grab des Heerführers Zorowar Kingh befinde (339). Von Taklakot berührte der Weg nach Sundar Singh's Angabe weiterhin Aunta, Dhora oder Block und Garla (340), bis er zum Manasarowar-See gelangte. Er ist nach dem Glauben der Hindus von Brahma erschaffen worden, wie bereits sein Name ("durch die Seele - scil. Brahma's - erschaffen") andeutet, und bildet seit alten Zeiten das Ziel der frommen Pilger (341). Auch die Tibeter verehren ihn göttlich. Er ist nicht minder das Ziel zahlreicher Forschungsreisender gewesen (342) bis hin zu Sven Hedin, der den See gründlich erforscht hat (343). Er preist seine unvergleichliche Schönheit voll Ergriffenheit (344) und steht nicht an zu bekennen, dass er vor Freude über die großartige Landschaft und ihre überwältigende Schönheit in Tränen ausgebrochen sei (345). Auch Sundar Singh erwähnt die Schönheit dieses Sees (346). In Tarchan (347) unweit des Kailâs traf Sundar Singh, wie er angibt, einen Lama mit Namen Fangche (348), der von Tashi Lunpo gekommen war und nun Sundar Singh zum Maharishi begleitete. Dieser erzählte Sundar Singh, dass er in Lhasa in einer Bücherei ein Buch gesehen habe: "500 Jahre nach meinem Tode wird ein Prophet auferstehen, der seine Lehre nicht allein auf ein, zwei, drei, vier oder fünf noch auch selbst auf 10 000 Buddhas gründen wird, sondern der das Haupt und das Auge aller Buddhas sein wird. Wenn er kommt, glaubt an ihn, und ihr werdet unzählige Segnungen empfangen." Tatsächlich gibt es solch eine Weissagung, und zwar ist es die sog. Diamant-Prophezeiung von Gautama Buddha, die in der Diamant-Sutra (Kap. 6) enthalten ist und sich ursprünglich auf Buddha Maitreya, den künftigen Messias des Mahayana-Buddhismus, bezieht (349). Sundar Singh verkündete natürlich alsbald seinem Begleiter, dass die Weissagung in Christus erfüllt sei. In diesem Zusammenhang erzählt Sundar Singh, dass es in der Nähe des Kailâs eine Höhle gebe, in der sich ein Stein von sehr schwerem Gewicht befände, den Sünder nicht einmal bewegen könnten, und tatsächlich sei es bisher noch niemand gelungen, ihn vom Fleck zu rühren. Sundar Singh gibt seiner Freude darüber Ausdruck, dass das Bewusstsein der allgemeinen Sündhaftigkeit auch in Tibet vorhanden sei, bedauert aber, dass die Lamas sich des Steines bemächtigt hätten, um den Pilgern gegen entsprechende Gaben die Sünden zu erlassen. - Wo dieser Stein sich befindet, gibt Sundar Singh nicht an; aber dass es tatsächlich derartige Steine gibt, geht aus den Berichten von Landor und Sven Hedin hervor (350). Ob Sundar Singh diese Berichte gelesen bzw. von ihnen gehört und sie dann verwertet hat, wie Hosten meint (351), oder sich auf einen anderen derartigen Prüfstein bezieht, lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls erhebt Sundar Singh keinen Anspruch darauf, diesen Stein selbst gesehen zu haben. Weiter berichtet Sundar Singh, dass es auf dem Wege zum Kailâs an bestimmten Stellen, besonders in Bagyal (352), schöne, stark duftende Blumen gebe. Gegen ihre betäubende und schließlich tödliche Wirkung nähmen die Reisenden, die davon wüssten, eine Pflanze mit, deren Duft sie einatmeten, um unversehrt zu bleiben (353). Prem Devi gibt an, dass Sundar Singh erzählt habe, es gäbe einige Meilen vom Kailâs entfernt eine Wiese mit zahlreichen derartigen Blumen, denen er selbst fast zum Opfer gefallen sei; die Menschen, die dort vorbeiwandern, würden durch ihren Duft betäubt, ja in einen tödlichen Schlaf versetzt; so sei auch Sundar Singh dem Duft dieser Blumen erlegen und erst durch einen Mann, der die Gefahr gekannt habe, daraus erweckt worden (354). - Was nun die Frage betrifft, ob es sich hierbei um Tatsächliches handelt oder nicht, so nennt bereits Streeter das Beispiel von einem Kuli, der infolge des Blumenduftes 9 Tage lang geschlafen habe (355). Auch Ali bestätigt die betäubende Wirkung bestimmter Blumen und die Gegenwirkung bestimmter Pflanzen; er selbst sei einmal fast ohnmächtig geworden und habe das Brechen bekommen (356). - Um was handelt es sich hierbei? Hosten gibt uns die Lösung an die Hand. Wir haben es hierbei mit weiter nichts zu tun als mit der Bergkrankheit; Hosten führt den Nachweis, wie von Megasthenes bis zum heutigen Tage die Inder in großen Höhen das dort auftretende Unwohlsein als durch den Geruch gefährlicher Kräuter, Blumen und Früchte verursacht betrachten und als Gegenmittel bestimmte Kräuter kauen oder deren Duft einatmen (357). Im gleichen Zusammenhang erzählt Sundar Singh ein Erlebnis, das er mit einem Räuber hatte bzw. gehabt zu haben angibt. Wir kommen auf dies Erlebnis weiter unten zurück. Weiter berichtet er eine Geschichte, die Rai Bahadur A. K. erlebt habe. A. K. ist die Abkürzung für den durch seine tibetischen Forschungs-Fahrten berühmt gewordenen Pandit Kishen Singh, der um seiner wissenschaftlichen Verdienste willen den Ehrentitel Rai Bahadur erhielt (358). Nach Sundar Singh hat dieser mit seinen beiden Gefährten Erlebnisse in Tibet gehabt, die, ohne dass Sundar Singh die Parallele erkennt, stark an die Erlebnisse von Odysseus bei P o l y p h e m erinnern. Da aber in den Berichten von Pandit Kishen Singh (359) diese Episode nicht enthalten ist (360), so liegt der Schluss nahe, dass Sundar Singh einem Irrtum zum Opfer gefallen ist und tatsächlich eine Nacherzählung von Odysseus’ Irrfahrt unter A. K.s' Namen zum Besten gibt. Nunmehr kommt Sundar Singh zur Beschreibung des K a i l a s selbst. Er ist der Götterberg der Hindus und von ihrer Mythologie umsponnen, wird aber nicht minder von den Tibetern als heilig betrachtet, die ihn als den Berg Titse oder Kangrinpotsche bezeichnen (361); er bildet ebenfalls das Ziel zahlreicher Pilger aus Indien und Tibet. Sven Hedin selbst hat eine Pilgerfahrt um ihn herum ausgeführt (362), wie einst auch Kawaguchi (363). Sven Hedin sagt von ihm: "Es ist der unvergleichbar berühmteste Berg. Der Mount Everest und der Montblanc können sich an Berühmtheit mit ihm nicht messen. Dennoch gibt es Millionen Europäer, die nie vom Kangrinpotsche gehört haben, aber ein Viertel aller Menschen, die Hindus und die Buddhisten, die keine Ahnung davon haben, wo der Montblanc seinen Scheitel erhebt, kennen alle den Kailâs! Daher nähert man sich ihm mit demselben Respektgefühl, das man in Lhasa, Tashi-Lunpo, Buddha-Gaya, Benares, Mekka, Jerusalem und Rom empfindet, jenen heiligen Orten, die unzählige Scharen Schuldbewußter oder Wahrheitssucher nach ihren Altären hingezogen haben" (364). Kein Wunder, dass Sundar Singh den Wunsch hatte, diesen Berg kennen zu lernen. Zunächst macht er deutlich, dass der Kailâs, den er meint, tatsächlich der in Tibet proper gelegene sei, nicht der in unmittelbarer Nähe von Chini befindliche (365). Der Kailâs, der 22 028 Fuß (366) hoch ist und sich weißschimmernd wie eine strahlende Kuppel erhebt (367), ist wohl noch nie von eines Menschen Fuß erstiegen. Wie Sundar Singh behaupten kann: "Die Natur hat ihm die Gestalt eines Tempels mit einem Kreuz darauf verliehen" (368), ist rätselhaft. Hieran schließen sich mehrere Artikel an, welche Sundar Singh's Zusammensein mit dem Maharishi schildern. Wir kommen nachher darauf zurück. Uns interessiert hier nur noch die Rückreise, über die uns nur sehr wenig bekannt ist. Wir wissen lediglich, dass Sundar Singh über P i t h o r a g a r h (369) gereist ist, das sich östlich (370) von Almora befindet. Wir dürfen hieraus folgern, dass Sundar Singh den gleichen Weg wie bei seiner Hinreise zum Kailâs benutzt hat, nur dass er sich von Askot aus nicht wieder westlich wandte, sondern südlich. In Pithoragarh war er der Gast von Missionar, jetzt Bischof (371) J. R. Chitambar (371a), welcher dort 1915-17 im Dienste der bischöflich-methodistischen Kirche der Vereinigten Staaten Nordamerikas als Leiter dieser Missionsarbeit im östlichen Kumaon-Distrikt stationiert war. Sundar Singh hielt in Pithoragarh mehrere Ansprachen. Nach mehrtägigem Aufenthalt brach er von dort am 23. Mai (372) nach Almora auf. Allerdings hat es den Anschein, dass Sundar Singh nicht direkt dorthin ging, sondern einen Umweg über das weiter südlich gelegene Champawat (372a) machte. Er selbst erwähnt einen Besuch auf dieser Station nicht, doch wird er zu dieser Zeit durch Miss Hayes wahrscheinlich gemacht (373). In Almora traf er die Missionare der Londoner Missionsgesellschaft Oakley und Wills, die inzwischen beide gestorben sind (373a). Vielleicht hat er bei der weiteren Wanderung Dwarahat berührt; doch ist dies lediglich eine Vermutung (374). Am 6. Juni (374a) befand sich Sundar Singh wieder am Ausgangspunkt seiner Reise, in Dehra D u n. Dort dürfte er die Bahn bestiegen und dann in Roorkee die Reise unterbrochen haben (375). Der nächste Ort, den er vielleicht bei dieser Gelegenheit berührt hat, ist J a g â d h r i (375a). Darnach begegnen wir Sundar Singh in Simla, wo er Missionar Price und seine Gattin besuchte (376). Am 21. Juni langte er endlich wieder in Kotgarh an (376a), und damit war er endlich einmal wieder daheim. Nachdem wir nunmehr ein möglichst vollständiges Bild von Sundar Singh's Reise entworfen haben, kommen wir zu der Frage, ob Sundar Singh tatsächlich dieses Mal in Tibet und am Kailâs gewesen ist oder nicht Hinsichtlich des indischen Teiles der Reise haben wir ein ziemlich lückenloses Bild von Sundar Singh's Wanderung bekommen. Sie führte ihn in fast genau südöstlicher Richtung von Tehri nach Ganai und dann weiter in fast genau östlicher Richtung bis Askot und dann von dort nördlich bzw. nordöstlich. Auch der Rückweg ist, soweit er indischen Boden betrifft, ziemlich eindeutig. Was dann aber den tibetischen Reiseabschnitt betrifft, so erheben sich wieder, wie bei den früheren Reisen, Bedenken. Auf die Zweifel betr. Lama Fangehe brauchen wir nicht einzugehen; sie können sowieso mangels Zeugen nicht gelöst werden. Näher zu beschäftigen haben wir uns dagegen mit verschiedenen anderen Bedenken. Anmerkungen
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