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| Sadhu Sundar SinghVon Paul GäblerInhaltsverzeichnis dieser Webseite Achtes Kapitel 3. Teil a) Topographische Bedenken a) Topographische Bedenken.Hierunter verstehen wir die Bedenken, die sich aus Sundar Singh's topographischer Darstellung von Tibet ergeben. Es sind vor allem zwei Dinge, die uns stutzig machen. Das eine ist Sundar Singh's Behauptung, dass der Gipfel des Kailâs die Gestalt eines Tempels mit einem Kreuz darauf besitze. Wir sahen bereits, dass hiervon keine Rede sein kann. Aber hieraus zu folgern, dass Sundar Singh den Kailâs überhaupt nicht gesehen habe, geht wohl nicht an; denn es wäre denkbar, dass Sundar Singh in einer Art Vision das Kreuz auf die Kuppe des Berges projiziert gesehen hätte. Das andere ist Sundar Singh's Behauptung, er habe in Tibet unter einem Baum geschlafen. Wir holen die diesbezügliche Geschichte, die mit zu dieser Reise gehört, hier kurz nach:
dass es in jener Gegend Räuber gibt, ist eine bekannte Tatsache (377a). Sind demnach von dieser Seite aus keine Zweifel am Platze, so erscheint Ho. die Erzählung deshalb bedenklich, weil es undenkbar sei, dass jemand im Freien schlafe; und vor allem sagt er: "Wo gibt es die Bäume in Tibet?" (378). Was diese Frage betrifft, so wissen wir von Sven Hedin, dass der Baumwuchs bis zu einer Höhe von 4000 Meter reicht (378a). Die einzige Gegend, in der die Räubergeschichte passiert sein könnte, ist das Gebiet nördlich von Taklakot, das von dem Karnali durchflossen wird. Er durchströmt eine anfänglich sehr breite und später schmale Talmulde von etwa 13000 Fuß (379), also rund 4000 Meter Höhenlage. Eine nähere Beschreibung gerade dieses Gebietes gibt Sherring:
Hieraus ergibt sich, dass zwar die Vorbedingungen für den Baumwuchs in jenem Gebiet gegeben sind, dass aber Bäume im allgemeinen fehlen. Angesichts dieser Tatsache ist es mehr als zweifelhaft, ob Sundar Singh's Räuber-geschichte historisch ist. b) Chronologische Bedenken.Wir sahen, dass Sundar Singh etwa am 14. April Tehri verlassen hat und etwa am 20. Mai in Pithoragarh eingetroffen ist. Da wir zu unserem größten Leidwesen keine weiteren Datierungen besitzen - hier sieht man wieder, wie wichtig und geradezu entscheidend solche Dinge sind -, sind wir auf Schätzungen angewiesen. Die Gesamt-Entfernung von Tehri nach Askot beträgt rund 200 Meilen (380). Nimmt man an, dass Sundar Singh täglich rund 20-25 Meilen zurückgelegt hat, und bedenkt man weiter, dass Sundar Singh sich in Dangoli 3 Tage und in Berinag eine Woche aufgehalten hat, so ergibt sich hieraus, dass Sundar Singh frühestens Ende April, wenn nicht erst in den ersten Maitagen, in Askot eintreffen konnte. So bleiben für seine Reise von Askot nach Tibet und zurück über Askot bis Pithoragarh bestenfalls 3 Wochen. Ist es möglich, innerhalb dieser Zeit die Reise zu bewältigen? Bei einem Studium der fraglichen Karten ergibt sich, dass dies tatsächlich nicht völlig außerhalb des Bereiches der Möglichkeit liegt, allerdings unter der Voraussetzung, dass Sundar Singh sich kaum irgendwo Ruhe gegönnt, wenn nicht Gewaltmärsche gemacht hat (380a). Der Einwand, dass Sundar Singh dann keine Zeit zu evangelistischer Arbeit gehabt hätte, ist nicht stichhaltig, weil Sundar Singh ja stets in der Weise wirkte, dass er unterwegs seinen Reisebegleitern und an den Ruheplätzen den dort Versammelten das Evangelium zu sagen pflegte. Immerhin ist aber die zur Verfügung stehende Zeit so außerordentlich knapp, dass man ernstliche Zweifel, ob Sundar Singh wirklich innerhalb so kurzer Zeit die Reise bewältigt hat, nicht unterdrücken kann. Denn sonst pflegte er sich ja stets reichlich Zeit bei seinen Märschen zu nehmen. Wenn er erklärt: "Der Kailâs ist etwa eine Reisewoche weit von Pithoragarh entfernt. Vielleicht mag es für andere eine Reise von einem Monat bedeuten; aber für mich ist es nur eine Woche, weil ich leicht 100 Meilen in drei Tagen reisen kann ..." (381), so klingt dies wenig überzeugend und spricht eher gegen Sundar Singh als für ihn; denn es sieht gar zu sehr nach Selbstverteidigung aus. c) Sonstige Bedenken.Dazu kommt aber, dass kein Geringerer als Yunas Singh Zweifel an dieser Kailâs-Reise hat. Er schreibt mir: "Ich habe meine Zweifel betreffend seines zweiten (soll heißen: dritten) Besuches in Tibet im Jahre 1917. Ich schrieb hierüber an ihn, als ich seine Beschreibung im Nûr Afshân las ..." (381a). Was Sundar Singh antwortete, erwähnt Yunas Singh nicht. Er teilt aber noch weiter mit, dass er auf Bitten von Rev. Popley, den er 1919 in Bareilly traf, Vorbereitungen zu einer Reise mit Sundar Singh zum Maharishi getroffen habe, um der Wahrheit auf den Grund zu kommen, "aber Sadhuji weigerte sich mit mir zu gehen. Dann versuchte 1928 Dr. Jones (E. Stanley) Sadhuji zu überreden, mit mir nach Tibet zu gehen, aber er weigerte sich wiederum, es zu tun" (381b). Dies Verhalten Sundar Singh's mutet umso merkwürdiger an, als er vorher, wie wir sahen, mehrfach Leute aufgefordert hatte, ihn nach Tibet zu begleiten (382). Seltsam berührt es auch, dass Sundar Singh im gleichen Jahr 1917, kaum, dass er von dieser Reise zurückgekehrt war, die Absicht kundtat, in den nächsten Monaten abermals nach Tibet zu gehen. Warum sollte er das tun, wenn er bereits eben von einer Tibetreise zurückgekehrt war? Wenn wir abschließend auf diese Reise Sundar Singh's zurückblicken, so sind wir, soweit es sich um Sundar Singh's Reise jenseits von Askot handelt, vorläufig nicht in der Lage, ein wissenschaftlich eindeutiges Urteil abzugeben. Immerhin wird man angesichts der ausgesprochenen Bedenken starke Zweifel an der Geschichtlichkeit dieser letzten Kailâsreise hegen müssen. Missionar Steiner in Dharchula teilt mir mit, dass er über Sundar Singh's Reise durch sein Gebiet Nachforschungen anstelle und mir später das Ergebnis mitteilen würde (382a). Bei Abschluss meiner Arbeit liegt keine weitere Nachricht von ihm vor. Vielleicht kann er Entscheidendes in Erfahrung bringen. Wie die Dinge augenblicklich liegen, ist der Beweis für die Ungeschichtlichkeit der Reise zum Kailâs noch nicht lückenlos, und es bleibt von entfernt die Möglichkeit bestehen, dass sie trotz aller Zweifel stattgefunden hat. Anhang: Der MaharishiWenn wir uns nunmehr den Berichten Sundar Singh's über den Maharishi zuwenden, so tun wir es nur mit der größten Zurückhaltung und auch nur mehr im Vorbeigehen. Die Schriften von Zahir und Liebler über den Maharishi lassen wir hierbei, wie bereits oben erwähnt, von vornherein außerhalb unserer Betrachtungen. Sundar Singh hat während der Jahre 1913-1917 wiederholt über seine Begegnungen und Unterredungen mit dem Maharishi geschrieben. Der Einfachheit halber bezeichnen wir diese Berichte mit den Buchstaben A bis H (383). Nach Sundar Singh's Angaben war dieser Maharishi, als er ihn 1912 traf, 314 Jahre alt (384) und somit bereits 1598 geboren. Sein Geburtsort sei Alexandria, wo er mit 30 Jahren, also 1628, von Jarnos (sic), dem Neffen von Franciscus Xaverius, der auch Akbar und Nanak getauft habe, die Taufe empfangen habe. 75 Jahre lang habe er dann die Welt durchreist, 21 Sprachen erlernt und sich dann vor nunmehr 209 Jahren (also 1703) in der Höhle am Kailâs niedergelassen, wo er seitdem dem Gebet und der Bibelbetrachtung obliege. Eine lateinische (A) bzw. griechische (B, F) Bibel auf Pergamentblättern befinde sich in seinem Besitz, und er werde nicht sterben, bis Christus auf den Wolken des Himmels herniederkomme. Im Winter wärme er sich durch den Genuss bestimmter Kräuter. U. s. f. - Sundar Singh beschreibt auch ausführlich den Inhalt seiner Gespräche mit diesem Maharishi, die sich um eine große Anzahl von biblischen Fragen drehten; bei seiner ersten Begegnung 1912 habe er nicht weniger als 85 Punkte aufgezeichnet, und Sundar Singh gibt dann eine Reihe von Dingen wieder, die bei der zweiten Begegnung vom Maharishi ausgeführt worden seien, z. B. über Nod (385), der der erstgeborene Sohn Adams gewesen sei, wie denn Adam auch noch andere Söhne gehabt habe, die schon im Garten Eden geboren worden seien (D, E). Einer der drei Weisen aus dem Morgenlande, die Christus angebetet hätten, sei ein Pandit aus Benares mit Namen Vishwamitra gewesen, der nach seiner Rückkehr nach Indien die jungfräuliche Geburt von Christus verkündet habe und verspottet worden sei. Dann sei er nochmals nach Palästina gezogen und habe dort wieder Christus getroffen, der ihm Macht über die bösen Geister verliehen habe. Er sei der gleiche gewesen, der dann tatsächlich Geister ausgetrieben habe, sehr zum Unwillen der Jünger, die ihn daran zu hindern suchten (Mk. 9, 38-40). Nach seiner Rückkehr nach Indien hätten ihn schließlich die anderen Pandits von Benares im Ganges ertränkt, seine Jünger jedoch hätten im Geheimen seine Lehren weiter getragen, und heute seien es 24 000, die als geheime Jünger Christi in Indien wirkten (H). Auch der Maharishi sei einer von ihnen (F). Es ist schade um jedes Wort, das man an eine Widerlegung dieser Absurditäten, bei denen ich mich nur auf eine Kostprobe beschränkt habe, verschwendet. Hosten hat es - allerdings in einer Weise, die uns nicht zusagt - gründlich besorgt (386). Wichtiger ist jedoch die Frage, wie Sundar Singh diese Dinge an die Öffentlichkeit bringen konnte. Glaubte er sie selbst? Wir wissen ja, dass er weder 1912 noch 1916 am Kailâs gewesen ist, möglicherweise auch nicht einmal 1917. Gleichwohl beteuert er hinsichtlich des Maharishi immer wieder seine Wahrhaftigkeit mit aller Eindringlichkeit (C F), so dass es schwer wird anzunehmen, dass er bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Dass er selbst des Glaubens gewesen ist, dass ein Mensch über 300 Jahre alt werden kann, ist an und für sich nichts allzu Befremdliches, da Inder in dieser Hinsicht oft überaus leichtgläubig sind (387). Schwieriger aber ist die Frage, ob sich an seiner bona fides festhalten lässt, wenn wir sehen, dass er berichtet, den Maharishi zu drei verschiedenen Zeitpunkten getroffen zu haben. Selbst wenn man annimmt, dass er den Maharishi in einem visionären Zustand erblickt habe, so stellt es doch erhebliche Ansprüche an unser kritisches Vorstellungsvermögen, wenn wir uns mit dem Gedanken befreunden sollten, dass Sundar Singh mehrmals derartige visionäre Begegnungen mit der gleichen Persönlichkeit hatte, und zwar in so realer Weise, dass er sie für absolute Wirklichkeit hielt. Auch hier haben wir es letztlich mit der Grundfrage zu tun, was es mit Sundar Singh's Persönlichkeit auf sich hat. So dringend uns auch die Frage nach seiner Wahrhaftigkeit gerade bei seinen Kailâsreisen und seinen angeblichen Begegnungen mit dem Maharishi entgegentritt, so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Antwort aus den schon früher mehrfach erwähnten Gründen auf das Schlusskapitel zu verschieben. 13. Poo und Shipki (1917)Nachdem Sundar Singh am 21. Juni 1917 von seiner dritten Kailâs-Reise nach Kotgarh zurückgekehrt war, brach er nach nur etwa zweiwöchiger Rast, bei der er auch Zahir auf einige Tage zu Besuch hatte (388), bereits Anfang Juli, vielleicht am 9. (389), zu einer neuen Reise auf. Diesmal befand er sich in Begleitung von Missionar C. T. Wright, der in Dagshai (390) südlich von Simla stationiert war und den Plymouth-Brüdern angehörte (391). Wir sind über diese Reise durch mehrere Berichte Sundar Singh's unterrichtet (392). Missionar Wright selbst, den Hosten und andere über diese Reise brieflich befragten (393), lehnte es ab, sich über sie zu äußern (394). Auf der uns schon bekannten Hindostan-Tibet-Strasse zogen sie im Sutlej-Tal entlang nach Poo, wo sie beide am 25. Juli eintrafen (395). Sundar Singh muss recht angegriffen gewesen sein; denn Ali bezeugt von ihm: "An dem Tage, wo Swami Sundar Singh hier anlangte, sah ich mit meinen eigenen Augen, dass seine Füße durch Steine verletzt waren und bluteten, und infolge der Sonnenhitze waren seine Lippen und sein Gesicht trocken und schwarz geworden. Damals waren Missionar Marx und Burroughs in Poo anwesend" (396). Wie bei dem Besuch von 1912 wurde Ali wiederum gestattet, Sundar Singh zu begleiten; trotz Sundar's Aufforderung (397) Schloss sich niemand weiter der Reise an. Missionar Wright kehrte indessen mit einigen Kulis von Poo über Kulu nach Dagshai zurück (398). Offenbar war es bei diesem Aufenthalt in Poo, dass Sundar Singh von den Menschenopfern hörte, die in früheren Zeiten an einer Stelle oberhalb von Poo dargebracht sein sollen (399), wovon auch Missionar A. H. Francke berichtet (400). Nachdem sich Sundar Singh einige Tage in Poo aufgehalten hatte, brach er in Begleitung von Ali auf. Wir erfahren von Letzterem (401) nur, dass die Reise 6-7 Tage gedauert habe, während Sundar Singh uns einige nähere Einzelheiten angibt. Über Namgyal und Khab stiegen sie zum Shipki-Pass empor und gelangten über ihn zum Dorfe Shipki. Es ist annähernd die gleiche Reise, welche 1909 Francke machte (402); auch Sven Hedin zog die gleiche Straße, nur in umgekehrter Richtung (403). In Shipki, das eigentlich Hrib-skyes heißt, d. h. "in einem Augenblick entstanden" (404), ist öfter von Herrnhuter Missionaren Missionsarbeit getan worden (405). Die beiden Wanderer fanden dort bei zwei tibetischen Beamten für die Nacht freundliche Aufnahme und gaben ihnen zum Dank je eine Bibel auf tibetisch. Selbst ein Lama erbat sich solch eine Bibel. Sundar Singh hielt auch einmal, von Ali verdolmetscht, eine Heidenpredigt (406). Dann besuchten sie nach etwa zwei weiteren Tagen Kanda (407). Es war der 31. Juli, und es schneite heftig. Die Nacht verbrachten sie auf dem Pamengla, den sie zu überschreiten hatten, und froren entsetzlich, da ein eisiger Wind blies; sie mussten froh sein, dass die Hirten, die dort oben ihre Ziegen und Schafe hatten, eine Zeltdecke über sie warfen; denn die Stelle, wo sie kampierten, war etwa 15 000 Fuß hoch. Dazu litt Sundar Singh an heftigen Kopfschmerzen infolge von Bergkrankheit; er sah sie natürlich wieder durch die süß duftenden Blumen veranlasst. Da der Pamengla identisch mit dem Shipki-La (d. h. Shipki-Pass) ist (408), ergibt sich hieraus, dass sich Ali und Sundar Singh nunmehr bereits wieder auf dem Rückweg befanden und tatsächlich nur wenige Tage auf dem Boden von Tibet proper geweilt hatten. In Poo scheint sich dann Sundar Singh nicht mehr lange aufgehalten zu haben; denn spätestens am 20. August war er wieder zurück in Kotgarh (409). 14. Spiti (1919)Als Sundar Singh im August 1917 von seiner Shipki-Reise zurückgekehrt war, hatte er nach seiner Berechnung in jenem Jahre seit April etwa 800 Meilen im Himalaya-Gebiet zu Fuß zurückgelegt (410). Nunmehr sollte es fast zwei volle Jahre dauern, bis er seine Tätigkeit in diesem Berggebiet wieder aufnehmen konnte. Denn so lange war er von daheim fort und gelangte auf seinen Reisen bis nach Ceylon, Hinterindien, China und Japan (411). Kurz nach seiner Rückkehr aus dem fernen Osten trat Sundar Singh am 4. Juli 1919 in Gemeinschaft mit Ali eine neue, etwa 6wöchige Wanderung durch die Himalaya-Berge an. Über diese Reise verfasste er einen eingehenden Bericht, den wir bei Frau Parker (412) und etwas gekürzt auch bei Andrews (413) abgedruckt finden. Ali, der 1917 noch in Poo gewohnt hatte, war inzwischen aus dem Missionsdienst ausgeschieden und hatte sich in Kotgarh niedergelassen, wo auch sein Schwager Stokes ansässig war (414). Auch er bezeugt diese Reise (415). Ursprünglich hatte Sundar Singh die Absicht gehabt, bereits im April zum Kailâs zu reisen, und hatte öffentlich dazu aufgefordert, ob ihn jemand dabei begleiten wolle (416). Es meldete sich auch jemand (417) - den Namen gibt Sundar Singh nicht an; wir wissen also nicht, wer es war (418) -, aber schließlich wurde nichts aus dieser Reise, und Sundar Singh suchte sich ein anderes Ziel. Die gemeinsame Wanderung führte Sundar Singh und Ali diesmal nach Spiti, einem Bezirk des zum Panjab gehörigen Kangra-Distriktes, das von seinen eigenen Bewohnern und in Tibet als Piti, d. h. "Mittelland" bezeichnet wird, wohl nach seiner Lage zwischen Groß-Tibet und Klein-Tibet (419). Spiti steht somit unter englischer Oberhoheit. Die Bevölkerung ist jedoch tibetisch und huldigt dem Lamaismus (420); so gehört das Land seiner Kultur nach zu Tibet. Immerhin ist es unzutreffend, wenn Sundar Singh in seinem Bericht mehrfach angibt, er sei auf dieser Reise in Tibet gewesen. Später gibt er selbst zu, dass Spiti jetzt nicht mehr zum eigentlichen Tibet gehört (421). Da Sundar Singh in verschwenderischer Fülle Ortsnamen angibt, lässt sich seine Reise genau verfolgen (422). Sie fällt von Wangtu bis Ki ziemlich genau mit der Reiseroute von Hermann von Schlagintweit zusammen, der die gleiche Strecke im Jahre 1856 zurückgelegt hat (423). Sundar Singh und Ali folgten zunächst der Hindostan-Tibet-Straße bis Wangtu (424) am Sutlej, westlich von Chini, und wandten sich von hier aus nordwärts (425). Sie strebten dem Hangpu - (lies: Yangpu-)Pass zu, der auch Babeh-Pass heißt (426) und offenbar identisch ist mit dem Tari-Khango-Paß (427). Fünf (428) Nächte verbrachten sie in dschungelartigem Gebiet und mussten nachts unter Bäumen oder in Höhlen schlafen. Eine Nacht wachten sie bei strömendem Regen und empfindlicher Kälte unter einem Regenschirm im Freien. Bei der Überschreitung des Passes sahen sie die Leichen von drei Erfrorenen und litten selbst unter Atemnot sowie Kopf- und Brustschmerzen. Über Muth (429), Tiling und Mikin gelangten sie in das Tal des Spiti-Flusses, der vom Norden kommend in südöstlicher Richtung fließt und dann oberhalb von Poo gegenüber von Khab in den Sutlej mündet. Im Spiti-Tal zogen sie weiter aufwärts. Sundar Singh erwähnt besonders Ki und seinen Tempel (430) - die entsprechenden Gebäude sind ringsherum auf einem pyramidenförmigen Berge angelegt (431) -, bei dessen Ober-Lama sie zwei Tage blieben. Es ist der gleiche Tempel, den Francke von Poo kommend am 22. Juli 1909, also gerade 10 Jahre vorher, auf seinem Wege nach Leh besuchte (432). Aber während dann Francke ebenso wie einst Hermann von Schlagintweit nordostwärts über den Parang-Pass weiter zog, blieben Sundar Singh und Ali weiter im Spiti-Tal und setzten ihre Reise nordwestlich bis Losar (433) fort. Dann kehrten sie wieder um. Sie zogen auf dem gleichen Wege wieder heimwärts, wie sich aus den von Sundar Singh angegebenen Ortsnamen ergibt, nur dass sie anscheinend einen kleinen Abstecher nach Dankhar, dem Hauptorte der Landschaft Spiti, machten (434). Dankhar, 12 774 Fuß hoch gelegen, heißt eigentlich "kaltes Fort" und besitzt die Eigentümlichkeit, dass es dort, wie überhaupt in Spiti, keinen einzigen Laden gibt (435). Zu erwähnen ist noch, dass Sundar Singh und Ali im oberen Spiti-Tale eine große Furcht vor Räubern und Dieben bei den dortigen Bewohnern fanden, jedoch selbst völlig unangefochten blieben. Dagegen wäre fast ein anderes Erlebnis schlimm ausgegangen. Bei Morang (436) wollten Sundar Singh und Ali auf die andere Seite des Spiti-Flusses (437) gelangen; Sundar Singh schwamm hinüber, erreichte jedoch das andere Ufer nur mit Mühe, weil das Wasser eisig kalt war. Ali dagegen stürzte ins Wasser und wäre fast ertrunken (438). Die Hauptaufgabe war natürlich auch bei dieser Reise die evangelistische Tätigkeit, Ali berichtet ausdrücklich, Sundar Singh habe auf Urdu gepredigt, und er, Ali, habe ihn ins Tibetische übersetzt; aber auch er selbst habe dort mehrere Male gepredigt (439). Wie lange die Reise gedauert hat, wissen wir nicht, da sich die Angaben von Sundar Singh und Ali widersprechen. Nach Ersterem reisten beide "48 Tagereisen weit in Tibet" (440); dann hätte die ganze Reise einschließlich des Anmarsches und des Rückweges zwei volle Monate gedauert. Nach Ali dagegen waren beide "nach einem Monat und zehn Tagen" wieder daheim in Kotgarh. Da nach Andrews' Angabe Sundar Singh's Kalender nur für die Monate Juli und August Einträge enthält (441), dürfen wir annehmen, dass beide spätestens Ende August ihre Reise beendet hatten. 15. Kyelang und Gyanyima (1921)Die Zeit, die der Spiti-Reise folgte, war für Sundar Singh wieder reich an Erlebnissen aller Art, da ihn sein Weg ins Abendland führte (442). Nach seiner Rückkehr schrieb er zunächst über zweihundert Briefe, hielt dann wieder in Nord-Indien Vortragsreisen und verfasste schließlich sein Büchlein "Zu des Meisters Füßen" (443). Dann unternahm er wieder eine Himalaya-Reise. Über diese Reise sind wir durch zwei Berichte Sundar Singh's unterrichtet. Der eine findet sich bei Frau Parker (444), der andere, der etwas ausführlicher gehalten ist und wichtige Ergänzungen aufweist, in einer amerikanischen Missionszeitschrift (445). Auch sonst fehlt es nicht an gelegentlichen Hinweisen auf diese Reise (446). Das Bild, das wir so erhalten, wird in mancher Hinsicht durch Mitteilungen von Mrs. Wright ergänzt; sie ist die Gattin von Sundar Singh's Begleiter auf dieser Reise, Missionar Wright (447), der schon 1917 die Strecke bis Poo in Gemeinschaft mit Sundar Singh zurückgelegt hatte. Er selbst lehnte es ab, auf Hosten's Fragen (448) auch betreffs dieser Reise einzugehen (449). Übrigens hatte Sundar Singh ursprünglich geplant, im April 1921 mit Tharchin, den wir bereits oben kennen gelernt haben (siehe auch), nach Tibet zu gehen. Aber dieser hatte abgesagt (450). Anfang Mai begab sich Sundar Singh von Sabathu über Simla nach Kotgarh, von wo er dann mit Missionar Wright seine Reise antrat. Beide hatten das Ziel, sich über den Lahoul- und Ladakh-Bezirk nach Tibet zu begeben. Unterwegs entstand im Kulu-Gebiet wegen der Beschaffung von Pässen eine Verzögerung; da sie jedoch keine Zeit verlieren wollten, reisten sie ohne Pässe weiter. Sie strebten dem Rotang-Pass zu, der im nördlichen Teil von Lahoul und damit im Kangra-Distrikt liegt und 13 050 Fuß hoch ist (451). Welchen Weg sie dabei eingeschlagen haben, gibt Sundar Singh nicht an. Es ist anzunehmen, dass sie der Route von 1915 durch Kulu gefolgt sind (452) und dann über Sultanpur weiter gewandert sind. Sundar Singh erwähnt in diesem Zusammenhang wieder die heißen Quellen von Kulu. Die Überschreitung des Rotang-Passes (453) bereitete ihnen infolge von Schneefall am 30. und 31. Mai (454) und wegen der schneidenden Kälte große Anstrengungen (455), wie überhaupt dieser Pass zu Zeiten seine besonderen Schwierigkeiten hat. Während eines halben Jahres ist er meist überhaupt völlig unbeschreitbar. Über Koksar, Sisu und Gondla (456) gelangten sie nach Kyelang, einer Missions-Station der Brüdergemeinde (457). Zwar war damals infolge der Kriegsnachwirkungen kein Herrnhuter Missionar dort, doch weiß Missionar Peter von Sundar Singh's und Missionar Wright's Besuch in Kyelang im Jahre 1921 (458). Sundar Singh erwähnt, dass in Kyelang früher Menschenopfer stattgefunden hätten; jährlich sei ein achtjähriger Knabe getötet worden, bis ein Lama den Platz des Knaben eingenommen und den Leuten bedeutet habe, dass der Gott, dem sie opferten, ihn selbst fortholen solle, falls er überhaupt lebte. Natürlich sei er unversehrt geblieben, und so begnüge man sich seitdem mit Tieropfern (459). - Eigentlich wollten die beiden Reisenden von Kyelang über den Baralacha-Paß nach Tingting (460) in der Richtung nach Leh in Ladakh weiter wandern, wie wir schon sahen. Doch erkrankte Missionar Wright schwer (461), wie er überhaupt die starke Kälte und die große Höhe schwer vertragen konnte. So kehrten sie beide, nachdem Missionar Wright's Gesundheit gebessert war, zum Ausgangspunkt ihrer gemeinsamen Reise, nach Kotgarh, zurück (462), von wo sich Missionar Wright nach Simla weiterbegab. Im August war er wieder zurück in Dagshai (463). Hinsichtlich Sundar Singh's weiterer Reise sind wir wieder nur auf Vermutungen angewiesen, da Zeugen fehlen. Sundar Singh berichtet, er sei nunmehr "auf einem anderen Wege" nach Tibet gezogen. In dem einen Bericht redet er von "zwei Gefährten, einer von ihnen ein tibetischer Christ" (464), im anderen dagegen nur von "einem jungen tibetischen Christen, der bei der Arbeit eine große Hilfe war". Leider nennt Sundar Singh nicht den Namen. Da aber Sundar Singh Missionar Schwab gegenüber äußerte, er habe Thapa 1921 zum letzten Male gesehen (465), liegt es nahe, zu denken, dass dieser der - oder ein - Reisebegleiter Sundar Singh's war. Über die Reiseroute erfahren wir nur wenig. Sundar Singh gibt an, er habe 37 Ortschaften besucht, von denen er nur drei mit Namen nennt: Chuprang, Gyanama und Rukshank. Über Gyanama kann kaum ein Zweifel bestehen. Es ist offenbar der gleiche Handelsplatz, den Sundar Singh bei seiner zweiten Kailâs-Reise besucht zu haben angibt. Rukshank lässt sich nicht einwandfrei identifizieren (466). Mit Chuprang können zwei verschiedene Orte gemeint sein, entweder das Chabrang, das im Sutlej-Tal liegt und durch die Missionsgründung vor 300 Jahren bekannt geworden ist oder es könnte sich auch um das Chabrang handeln, das am Mittellauf des Spiti nordwestlich von Dankhar liegt (467). Je nach dem müßte dann Sundar Singh entweder über Poo oder über Spiti nach West-Tibet gezogen sein (468). Eine Reise über Spiti erscheint jedoch wenig wahrscheinlich, da sie einen erheblichen Umweg bedeuten würde. Andererseits sollte man bei einer Reise über Poo erwarten, dass diese auch unabhängig von Sundar Singh bezeugt worden wäre. Wie dem auch sei, die Reise nach Gyanyima bleibt ziemlich dunkel. Im Einzelnen berichtet Sundar Singh ein aufregendes Erlebnis: Er wurde von einem wilden Yak angefallen und konnte sich nur mit Not auf einen Felsblock retten, auf dem er von dem wütenden Tier belagert wurde. Erst durch das Geschrei seiner Gefährten wurde der Yak vertrieben und Sundar Singh befreit. Gleichzeitig wurden aber durch den Lärm Räuber herbeigelockt, die Sundar Singh und seine Freunde ausplünderten. Als ihnen Sundar Singh darnach das Evangelium verkündigte, wurden sie milde gestimmt und gaben sogar das Geraubte wieder zurück, ja bewirteten sie. Abschließend stellen wir fest, dass an der Kyelang-Reise nicht die geringsten Zweifel bestehen. Hinsichtlich der Gyanyima-Reise jedoch sind wir völlig auf Sundar Singh's eigene Aussagen angewiesen und müssen deshalb vom wissenschaftlichen Standpunkt aus unser Urteil über ihre Geschichtlichkeit in der Schwebe lassen. Das ist umso bedauerlicher, als damit auch unser Urteil über Sundar Singh's Aussagen betreffend Tashi Wangdi, über dessen Tod er auf dieser Reise Kunde erhalten zu haben angibt, in der Schwebe bleiben muss. 16.Spätere Reisen (1923-1929)Nachdem Sundar Singh die im letzten Abschnitt berichtete Wanderung abgeschlossen hatte, begab er sich auf evangelistische Reisen durch den Panjab und die Vereinigten Provinzen, fuhr Anfang 1922 nach Bombay, besuchte von dort aus Mahatma Gandhi auf seine Bitte hin in seinem Aschram bei Ahmedabad auf zwei Tage (469) und schiffte sich dann am 29. Januar 1922 nach Europa ein. Er besuchte Palästina, die Schweiz, Deutschland, Dänemark, Schweden, Holland und England, wo er dann am 28. Juli den Dampfer bestieg, der ihn wieder nach Indien zurückbrachte. Nach einigen Wochen der Ausspannung begann er wieder seine evangelistischen Reisen in Nord-Indien, die ihn für eine Reihe von Monaten durch eine große Anzahl von Orten führten (470). Dann plante Sundar Singh, wie christliche Zeitschriften im Mai 1923 verkündeten (471), eine neue Tibet-Reise. Noch war er nicht aufgebrochen, als unter dem 15. Juni von Ahmedabad die Nachricht ausgesprengt wurde, Sundar Singh sei von einem Fanatiker in Tibet ermordet worden (472), was dann unter dem 20. Juni von Simla aus dementiert wurde (473). Betreffs der nachfolgenden Ereignisse sind wir auf eine Anzahl Briefe von Kanonikus Sandys angewiesen, der Sundar Singh am 22. Mai in Barkanda getroffen hatte und genaue Daten anzugeben weiß (474). Darnach verließ Sundar Singh Kotgarh am 1. Juli in der Tibet entgegengesetzten Richtung und schrieb von Subathu am 5. Juli an Mr. Coldstream in England (475) und am 10. Juli von Simla aus an Herrn Steiger-Züst in der Schweiz (476), er kehre soeben aus Tibet zurück. Es ist kein Wunder, dass diese Behauptung einiges Verwundern, ja heftigen Unwillen ausgelöst und Sundar Singh in den Verdacht eines Lügners gebracht hat (477). Denn er konnte unmöglich innerhalb eines halben Monats eine Tibetreise bewerkstelligt haben. Denn Mitte Juni befand er sich noch zu der Zeit, wo die falsche Todesnachricht auftauchte, in Kotgarh (478). Zur Rede gestellt, erwiderte Sundar Singh, dass er sich mißverständlich ausgedrückt haben müsse; er habe nicht sagen wollen, dass er von Tibet, sondern dass er von seinem Wege nach Tibet zurückgekehrt sei (479). Die falsche Todesnachricht habe sein Vorhaben vereitelt: "Da die Beamten (480) und Freunde Sorge hatten, sandte ich sogleich Drahtnachrichten, um diesem Gerücht zu widersprechen. Dann verlangten die Regierungsbeamten (481) von mir, dass ich nicht nach Tibet ginge, sondern zurückkehrte, und viele Freunde sagten das Gleiche, es würde mir etwas in Tibet zustoßen. So musste ich von meiner geplanten Reise nach Tibet zurückkehren ..." (482). Frau Parker erhielt auch den Namen des Regierungsbeamten, der hierfür verantwortlich war, von Sundar Singh mitgeteilt, fühlte sich jedoch verpflichtet, ihn nicht zu veröffentlichen (483). Aber auch so bleibt es dunkel, ob Sundar Singh überhaupt dazu gekommen ist, von Kotgarh aufzubrechen und wenigstens einige Tagereisen weit auf der in Simla ihren Anfang nehmenden Hindostan-Tibet-Straße entlang zu ziehen. Er schrieb, wie Sandys mitteilt (484), am 27. Juni an Mr. Walter Sloan von der Himalayastrasse; aber der Ort, von dem aus er schrieb, ist uns nicht bekannt. Diese missglückte Tibetreise hat viel Kopfzerbrechen verursacht (485). Was uns bei ihr irritiert, ist die Tatsache, dass Sundar Singh in den beiden genannten Briefen behaupten konnte, er käme gerade aus Tibet zurück. Denn der grammatikalische Fehler, den Sundar Singh in dem Briefe an Coldstream macht (486), kann nicht als Entschuldigungsgrund dienen, zumal Sundar Singh auch an Steiger-Züst in diesem Sinne geschrieben hatte. Es bleibt nur die Erklärung, dass es entweder tatsächlich nur ein unglückseliges Missgeschick war, wie er beteuert - so schwer dies auch einleuchtet -, oder aber, dass er tatsächlich mit voller Absicht den Eindruck einer vollendeten Tibetreise hat erwecken wollen. Diese Frage wird uns noch im Schlusskapitel beschäftigen. - Auch späterhin fehlte es nicht an Versuchen Sundar Singh's, nach Tibet zu gelangen. Aber noch mehrere derartige Versuche scheiterten, besonders da seine Gesundheit gelitten hatte. Anfang Juni 1924 erhielt Frau Parker von ihm die Nachricht: "Wegen meiner schwachen Lungen konnte ich nicht die hohen Gebirgszüge nach Tibet überschreiten und musste umkehren" (487). Das hinderte ihn nicht, eifrige evangelistische Reisen durch ganz Indien auszuführen (488). Doch musste er aus Gesundheitsrücksichten seine Reisetätigkeit allmählich einschränken und wandte sich stärker literarischen Arbeiten zu. Anfang Dezember 1925 erkrankte er so schwer, dass Dr. Peoples, der ihn pflegte, an seinem Aufkommen zweifelte (489). Aber er erholte sich wieder und konnte schließlich im September 1926 sogar eine abermalige Predigtreise im Himalaya-Gebiet unternehmen (490). Das gab ihm den Mut, 1927 wieder an eine Tibetreise zu denken. Am 29. April brach er auf (491), aber wieder scheiterte sein Plan. An Heiler schrieb er bekümmert über seinen Fehlschlag:
Hosten erschien dies Unternehmen unglaubhaft (493), aber auch Rev. Riddle berichtet, dass Sundar Singh einen "üblen Blutsturz" gehabt habe und von tibetischen Händlern zur Bahnstation zurückgebracht worden sei (494). Sundar Singh genas soweit, dass er wieder Vortragsreisen in Indien unternehmen konnte. Im Sommer 1928 dachte er wieder an eine Tibetreise, unterließ sie aber und schrieb statt dessen das Büchlein: "Mit und ohne Christus" (495). Schließlich trat er seine letzte Tibetreise an, von der er nicht wieder zurückgekehrt ist. Am 13. April 1929 verabschiedete sich Sundar Singh von Mr. Watson, dem Leiter des Aussätzigen-Heimes in Subathu. Sundar Singh erklärte, er wolle sich tibetischen Händlern anschließen und mit ihnen auf der Pilgerstraße über den Niti-Paß nach Tibet wandern und später auf dem gleichen Wege zurückkehren. Mr. Watson sollte inzwischen seine Post erledigen, und Sundar Singh versprach, im Falle einer etwaigen Erkrankung nach Möglichkeit einen Boten zu senden. Auch traf er seine letztwilligen Verfügungen, falls er nicht zurückkehren sollte. Am 18. April brach er auf; Sannu Lal, ein indischer Prediger des Aussätzigen-Heimes, begleitete ihn ein Stück des Weges nach Kalka, wo Sundar Singh den Zug besteigen und nach Rishi-Kesh fahren wollte, um dann seine Wanderung am Ganges entlang nach Badrinath und weiter zum Niti-Paß anzutreten. Sannu Lal ist der Letzte, der Sundar Singh gesehen hat. Seitdem blieb Sundar verschollen. Im Spätsommer des gleichen Jahres begaben sich Missionar Riddle und Dr. Taylor auf die Suche nach Sundar Singh und reisten bis in die unmittelbare Nähe der tibetischen Grenze, ohne irgendeine Spur von ihm entdecken zu können. Schließlich hat die englische Regierung vier Jahre später, im April 1933, Sundar Singh für tot erklärt, so dass sein Testament eröffnet werden konnte (496). Niemand weiß, was aus Sundar Singh geworden ist. Die Stimmen derer, die glauben, dass er noch am Leben ist, wollen nicht verstummen. Andrews neigt nach eingehender Erwägung aller Gesichtspunkte zu der Annahme, dass Sundar Singh tatsächlich im Sommer 1929 den Tod gefunden hat, sei es, dass er wieder einen Blutsturz gehabt hat und verblutet ist, sei es, dass er von der Cholera dahingerafft worden ist, die damals besonders heftig wütete, sei es, dass er an irgend einer gefährlichen Wegstelle abgestürzt und zerschmettert ist (497). Sundar Singh ist nicht der erste Inder, der verschollen ist, ohne dass man von seinem Verbleib weiß. 17. AbschließendesBeim Rückblick auf das vorliegende Kapitel können wir feststellen, dass uns über Sundar Singh's Reisen im West-Himalaya nicht nur eine außerordentliche Fülle von Material zu Gebote steht, sondern dass auch alle Reisen ziemlich genau fixierbar sind. Man braucht hier nur an die tastenden Versuche des zweiten Dokumentenbuches von Heiler zurückzudenken, um zu sehen, welche Fortschritte die Forschung in dieser Hinsicht gemacht hat. Auf Grund der Untersuchungen des vorliegenden Kapitels sind wir nun auch in der Lage, abschließend festzustellen, auf welche Teile des West-Himalayas sich Sundar Singh's Tätigkeit vor allem erstreckt hat. Wir sahen, dass er vor allem in zwei Richtungen gewirkt hat: einerseits das Sutlej-Tal entlang, und andererseits in Tehri-Garhwal. Dazu kommen wiederholte Reisen in der Kotgarh-Gegend, einmal mit einem Abstecher nach Kulu, ein anderes Mal darüber hinaus nach Lahoul. Den Boden von Tibet proper hat Sundar Singh 1912 in Tashigang betreten, sowie 1917 in Shipki - die Reise durch Spiti im Jahre 1919 führte ihn durch britisches Gebiet, das allerdings von einer tibetischen Bevölkerung bewohnt ist -, aber beide Male nur wenige Tage, und zwar von Poo aus (498). Ob er 1917 zum Kailâs gelangt ist, sowie 1921 nach Gyanyima, mussten wir offen lassen, ob schon es wenig wahrscheinlich erscheint. Die anderen Tibetreisen sind ungeschichtlich (499). Immerhin soll hier an eine Aussage von Missionar A. Mac Leish erinnert werden, der erklärt, er habe einmal in Bageshwar einen englisch sprechenden Fakir aus Madras gesehen; "er erzählte mir, dass er auf einer früheren Reise nach Tibet dort Sadhu Sundar Singh getroffen habe..." (500). Wie die Dinge liegen, käme hierfür eigentlich nur 1917 in Frage; aber da weder der Ort noch das Datum angegeben werden, so ist diese Aussage von zweifelhaftem Wert (501). Angesichts dieses Befundes müssen wir die verschiedenen Aussagen, in denen Sundar Singh in mehr allgemeiner Weise feststellt, er sei verschiedene Male über Garhwal und sogar Nepal nach Tibet gewandert (502) und habe sich dort länger aufgehalten, und zwar "manchmal zwei Monate, dann wieder vier oder auch weniger, wie es eben möglich war" (503), als unrichtig bezeichnen; sie liegen schließlich auf der gleichen Linie wie seine Berichte über die Kailâs-Reisen. Eine andere Aussage, die freilich nicht von Sundar Singh selbst gemacht wird, ist die, dass er in Tibet eine Anzahl Tage eingeschneit gewesen sei. Ali schreibt im Sommer 1917 bei der Beschreibung von Kyelang - allerdings ohne zu sagen, dass sich das betreffende Ereignis dort zugetragen habe -:
Etwas abweichend berichtet Streeter:
Offensichtlich handelt es sich hierbei um Aussagen, die auf Sundar Singh selbst zurückgehen; denn zu der Zeit, wo Ali den genannten Artikel schrieb, befand sich Sundar Singh in Poo. Um Kyelang kann es sich nicht handeln, da Sundar Singh erst 1921 dorthin kam. Und die uns bekannten Tibetbesuche Sundar Singh's sind zu kurz, als dass Sundar Singh bei solch einer Gelegenheit so lange hätte einschneien können. So muss auch dieser Bericht vorläufig als ungeschichtlich gelten (506). Ausgelassen haben wir im vorliegenden Kapitel einige Erzählungen, die zu dem Bereich der West-Himalayareisen gehören, sich jedoch nicht chronologisch und geographisch einreihen ließen. Wir meinen die Erzählung von dem fast Erfrorenen, den Sundar Singh rettete (507), die von den beiden betrügerischen Bettlern, von denen einer sich tot stellte und dabei starb, während der andere sich bekehrte (508), die vom buddhistischen Yogi, den Sundar Singh in einer Höhle traf und der sich ebenfalls bekehrte (509), die vom Doppelerlebnis bei Nawar (510), sowie die Geschichte vom Tiger bzw. Panther (511). - Immerhin muss man sagen, dass die Zahl der Geschichten, die sich nicht haben fixieren lassen, unverhältnismäßig klein ist. Anmerkungen
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