9. und 10. Kapitel

 

 

Sadhu Sundar Singh

Von Paul Gäbler

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Neuntes Kapitel

Die Reisen im Ost-Himalaya

    1. Ilam
    2. Sikkim
    3. Zweite Nepal-Reise

Anmerkungen

Zehntes Kapitel

Sundar Singh's Persönlichkeit

Anmerkungen

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Neuntes Kapitel

Die Reisen im Ost-Himalaya

Wie im Eingang des vorigen Kapitels ausgeführt wurde, rechnen wir zum Osthimalaya das Königreich Nepal, das seine Unabhängigkeit bisher zu bewahren gewusst hat, sowie die Eingeborenen-Staaten Sikkim und Bhutan, welche unter englischer Oberhoheit stehen. Der Darjeeling-Distrikt gehört unmittelbar zu der Präsidentschaft Bengalen. Zwischen Sikkim und Bhutan ragte keilförmig ein Zipfel von Tibet nach Süden, das sog. Chumbi-Tal. Eine viel begangene Handelsstraße führt von Darjeeling durch Sikkim und durch das Chumbi-Tal und weiter über Gyantse nach Lhasa.

Sundar Singh besuchte diese Gebiete im Jahre 1914. Sein Standquartier schlug er bei seinem alten Freund Tharchin (1) in Ghum (2) auf, einem Ort, der wenige Meilen südlich von Darjeeling liegt. Tharchin, der uns bereits 1907 in Kotgarh und 1908 in Simla begegnet ist, arbeitete dann als Diener nacheinander in Delhi, Simla, Poo und abermals Delhi, bis er im Januar 1912 nach Ghum übersiedelte und bei der dort wirkenden Finnischen Missionsgesellschaft Anstellung als Lehrer der Kindergarten-Abteilung fand (3). Bis 1916 bekleidete er diesen Posten, und während dieser Zeit, und zwar 1914, war es, dass er von Sundar Singh besucht wurde. Dieser unternahm von Ghum aus je eine Reise nach dem Westen (Nepal), Norden (Sikkim) und Osten (Bhutan), um dann nochmals einen Vorstoß nach Nepal zu machen. Im Nachfolgenden fassen wir diese Reisen näher ins Auge.

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1. Ilam (4)

Vom Westhimalaya herkommend, besuchte Sundar Singh zunächst die Angehörigen von Rev. Dharamjit in Gorakhpur (5), bereiste dann einen Teil von Assam (6) und traf schließlich am 23. Mai 1914 (7) in Ghum bei Tharchin ein. Nach etwa 4-5 tägigem Aufenthalt (8) bei ihm brach Sundar Singh, dieses Mal noch allein, nach Nepal auf, wo er bis Ilam gelangte. Wir werden über diese Reise mehrmals unterrichtet, weil Sundar Singh sie öfter beschrieben hat, und zwar zunächst unmittelbar nach Abschluss der Reise in einem Brief, den er an seinen Taufvater J. Redman richtete (9), dann einen Tag später in einem Artikel, der unter der Überschrift "Das Evangelium in Nepal" im Nûr Afshân veröffentlicht wurde (10), und schließlich durch seine Beschreibung in seinem Reisebüchlein (11). Als nächster gab Zahir eine Schilderung der Ilam-Erlebnisse in seinen Büchern (12), die jedoch Sundar Singh's Leiden außerordentlich übertreiben. Die Berichte von Frau Parker (13) und in Anlehnung an sie von Streeter (14) sind dagegen frei von den Zahir'schen Auswüchsen. - Dazu kommen schließlich noch spätere Mitteilungen Sundar Singh's in Briefen und Ansprachen sowie die Aussagen von Tharchin. Wir folgen natürlich bei der Wiedergabe von Sundar Singh's Reisen zunächst seinen eigenen Berichten von 1914 und 1915. Die Absicht, nach Nepal einzudringen, war nur schwer zu verwirklichen, weil dazu nach Sundar Singh's Angaben eigentlich ein Pass erforderlich war, jedoch für Christen, vor allem wenn sie Prediger waren, kein derartiger Pass ausgestellt zu werden pflegte. Denn die Predigt des Evangeliums war verboten. Wenn trotzdem jemand in Nepal eindrang und sich der Verkündigung des Evangeliums schuldig machte, hatte er, wie Sundar Singh hinzufügt, eine Strafe von 6 Monaten schweren Kerkers zu gewärtigen. Dies wird von keinem Geringeren als Percival Landon bestätigt, der erklärt, dass in Nepal der Versuch, jemanden zum Christentum, Islam oder einer anderen Fremdreligion zu bekehren, strafbar sei (15). Sundar Singh fürchtete sich nicht vor derartigen Verwicklungen. Nachdem er nach Sukhie Pokhri (16) gegangen war - eine Entfernung von 7 Meilen (17) - und dort übernachtet hatte (18), versuchte er, die Grenze nach Nepal zu überschreiten, wurde aber an zwei Stellen von nepalesischen Beamten daran gehindert. Da half ihm in seiner Enttäuschung das Bibelwort: "Ich habe vor die gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen" (Offbg. 3, 8). Tatsächlich gelang es ihm, bei Simana (19) trotz des Dazwischentretens eines Beamten die Grenze zu überschreiten.

Sundar Singh beschreibt weiter, wie er, allerorts Heidenpredigt haltend, über Fidi und Tamlang nach Jugla weitergegangen sei. Hier habe man ihm heftigen Widerstand entgegengebracht und kein Nachtquartier gewährt, so dass er bei strömendem Regen unter einem Baum übernachten musste, ohne dass sich die Bewohner seiner erbarmt hätten. Er überstand aber die Nacht, ohne zu erkranken, und zog in der Richtung nach Jamana weiter. In den folgenden Dörfern wurde er sehr freundlich aufgenommen. Die Wege mit dem vielen Auf und Ab und die vielen Flüsse, die er durchschreiten musste, griffen ihn jedoch stark an.

Was diese Strecke betrifft, so sind wir zwar nicht in der Lage, die von Sundar Singh angegebenen Orte zu identifizieren (20), wohl aber können wir nachprüfen, was Sundar Singh über den Gesamtcharakter dieses Weges schreibt. Denn auch Percival Landon erwähnt diese Strecke und sagt dabei noch 1928: "... Es ist von Anfang an eine schlechte Strecke, durch viele steile Anstiege und Abstiege erschwert und in Überschwemmungszeiten praktisch unbeschreitbar ... Es braucht kaum gesagt zu werden, dass irgendein Versuch, diese Straße ohne Erlaubnis von der Nepal-Regierung zu benutzten, völlig unmöglich wäre und dass solch eine Erlaubnis ganz bestimmt unter keinen Umständen einem Europäer gegeben werden würde" (21). Demnach ist Sundar Singh's Beschreibung von den Schwierigkeiten dieser Reise völlig korrekt.

Schließlich am 7. Juni - so nach dem Aufsatz im Nûr Afshân -, und zwar am Trinitatissonntag, erlebte Sundar Singh infolge der Überanstrengung, der schweren Regengüsse (22) und der Entkräftung einen Zusammenbruch, als er einen Aufstieg von 7 Meilen Länge zu bewältigen hatte. Er schreibt: "Ein furchtbarer Windstoß warf mich in eine Höhle (Abgrund?)". Trotz des schweren Falles blieb er unverletzt. In diesem Zusammenhang hatte er ein geistliches Erlebnis, anscheinend eine Art Vision, wodurch ihm die sieben Kreuzesstationen Christi besonders lebendig vor die Seele traten. Er wurde wunderbar gestärkt und getröstet. Ihm war, als habe er von "dem verborgenen Manna" zu essen bekommen, von dem Offbg. 2, 17 redet.

Als er das nächste Dorf erreichte, glaubte er zunächst, als die Leute sich um ihn drängten, dass sie ihn forttreiben wollten; aber dann hörten sie ihm friedlich zu, und er konnte ihnen aus dem Evangelium ein Stück auf Nepalesisch vorlesen und es ihnen dann auf Hindustani erklären. Am nächsten Tage, also Montag, den 8. Juni, traf Sundar Singh in Ilam ein, einem der größeren Orte Nepals. Was er dort erlebt hat, ist Gegenstand eingehender Nachforschungen gewesen. Wenn wir versuchen, das Dunkel der Widersprüche zu lichten, soweit es möglich ist, so haben wir von Sundar Singh's eigenen Berichten auszugehen, da sonstige Zeugen fehlen. Wir stellen zunächst die verschiedenen Versionen, die Sundar Singh selbst gibt, nebeneinander.

Version A

(Brief an Redman): "Als ich in Elam, einem großen Orte, ankam, erklärte der richterliche Beamte (23), er wolle mich zu 6 Monaten Gefängnis verurteilen, weil ich in Nepal ohne Erlaubnis gepredigt hätte und weil es Christen nicht gestattet sei, den Staat zu betreten. Ich antwortete, ich sei gekommen, um das Evangelium zu predigen, im Auftrage dessen, der größer sei als der richterliche Beamte (24), ich müsse notwendig diesem Auftrage gehorchen. Er könne mich, wenn er wolle, einkerkern, aber auch im Gefängnis würde ich vom Predigen nicht lassen; für Christus, meinen Meister, sei ich bereit, mein Leben hinzugeben. Der Beamte war sehr überrascht und warf mich nicht ins Gefängnis (25), sondern sandte einen Polizisten, um mich an die Grenze zu bringen" (26).

Version B

(Nûr-Afshân-Aufsatz): Zunächst schildert Sundar Singh, dass am Tage seines Eintreffens die Straßen so voll wie an einem Markttag gewesen seien. Vor dem Postamt habe er begonnen, öffentlich zu predigen und Evangelien zu verteilen. Viele Leute hätten aufmerksam zugehört. Sundar Singh fährt fort: "Mittlerweile hatte der Beamte Nachricht hiervon erhalten und wurde sehr zornig ... und fragte, wer mir Erlaubnis zum Betreten des Landes und zum Predigen gegeben hätte." Sundar Singh berief sich auf die Vollmacht, die ihm Christus gegeben habe, und beschreibt im Einzelnen den Hergang des Gespräches. Schließlich habe der Beamte einem ihm unterstellten anderen Beamten Anordnung gegeben, ihn, Sundar, zu verhaften und in Gewahrsam zu bringen. Der betreffende Beamte habe jedoch entgegnet, dass das Gefängnis verunreinigt werden würde, wenn man einen Ungläubigen dort einsperrte. Überdies habe Sundar Singh erklärt, dass ihm eine Gefängnisstrafe nichts ausmachen würde. So sei es wohl besser, ihm eine andere Strafe aufzuerlegen. Darauf entschied der Beamte: "Es mag besser sein, ihn des Landes zu verweisen, weil, wenn er eingekerkert würde, immerhin die Möglichkeit besteht, dass während der Gefängnishaft von 6 Monaten durch seine Lehren auch andere Gefangene Christen werden, und Einzelhaft erfordert besondere Umstände." Diese Worte hätten allgemein Zustimmung gefunden, und alsbald sei ihm ein Polizist beigegeben worden, der ihn an die Landesgrenze gebracht habe. Er muss jedoch sehr gutmütig gewesen sein, denn Sundar Singh erklärt, dass er selbst trotz seines Begleiters noch auf dem Rückwege gepredigt und Evangelien verteilt habe (26a).

Version C

(Reisebüchlein): "Als ich über Angala, Jagat etc. Relam (sic) erreichte, verfolgten mich die Leute sehr. Als sie mich vor den Herrscher brachten, wünschte er, mich mit 6 Monaten Gefängnis zu bestrafen. Aber die Mehrheit der Stimmen ergab, dass ich aus dem Distrikt verwiesen werden sollte, weil sonst durch meinen Aufenthalt im Gefängnis möglicherweise die Gefangenen zu Christen gemacht werden könnten." Im Anschluss hieran schildert Sundar Singh kurz seine Mühsale infolge des bergigen Geländes und der Notwendigkeit, meist bei Regen unter Bäumen zu übernachten; einige Tage habe er nichts zu essen erhalten, so dass er Blätter von den Bäumen verzehrt habe, um sich aufrecht zu halten. Dann fährt Sundar Singh fort: "Als ich Nepal zum zweiten Male betrat, und zwar ging ich über Rozmandi, den Geburtsort von Gautama Buddha, predigte ich hinterher das Evangelium eine lange Strecke weit." Unmittelbar nach diesem Satz lässt Sundar Singh die folgende Episode folgen: "Gefängnis. Als die Leute sahen, dass ich nicht mit Predigen aufhörte, ergriffen sie mich und warfen mich ins Gefängnis. Sie beraubten mich all meiner Kleider und spannten meine Hände und Füße in einen hölzernen Block; sie brachten einen Haufen Blutegel, die sie dicht bei mir hinlegten, von außen warfen sie Schmutz auf mich und schmähten mich. Zwei bis drei Stunden spürte ich meine Leiden wirklich heftig, aber darnach verwandelte mein Herr durch seine heilige Gegenwart mein Gefängnis in ein Paradies. Mein Herz wurde mit unermeßlicher Seligkeit erfüllt. Als ich voll von Freude sang, kamen viele Leute an die Tür, um zu lauschen, und ich begann wieder zu predigen. Da ließen sie mich frei. Die Blutegel hatten soviel Blut von mir gesaugt, dass ich am nächsten Tage beim Gehen an Benommenheit litt. Ehre sei Gott, dass er mich dadurch ehrte, dass er mich um seines Namens willen leiden ließ" (27).

Auf die nachfolgenden Darstellungen brauchen wir im Einzelnen nicht sehr ausführlich einzugehen, weil sie bereits von Pfister eingehend wiedergegeben worden sind (28). Wir stellen nur kurz das Wesentliche heraus. Nur die Darstellung von Shaida, welche die älteste Zahir'sche Version darstellt, müssen wir, weil sie bei Pfister noch nicht gewürdigt worden ist, genauer ins Auge fassen. Dort lesen wir im Jahre 1916:

"Als der Regierungsbeamte sah, dass der Swamiji (Sundar Singh) nicht aufhörte, den Leuten die Bibel zu verkündigen, ließ er ihn ins Gefängnis werfen (29). Dies trug sich in einem Ort mit Namen Ilam zu. Als sie ihn einen Tag lang in Haft behalten hatten und sahen, dass er selbst da nicht mit Predigen aufhörte, nahmen sie ihn zu einem anderen Dorfe, wo sie ihn aller Kleider beraubten, auf ein Brett legten und Nägel in seine Hände und Füßen trieben, damit er sich überhaupt nicht bewegen könnte. Zuerst war "der Schmerz unerträglich und überdies taten jene grausamen Menschen über seinen ganzen Körper Blutegel. Er verbrachte die ganze Nacht in großer Qual. Die Blutegel saugten von ihm soviel Blut, dass sie von selbst herunterfielen, als sie sich gesättigt hatten. Der Swamiji sagte: "Ich glaubte, dass dies das Ende meines Lebens wäre, aber Gott flößte in die Herzen dieser unbarmherzigen Menschen Mitleid ein, und so setzten sie mich, nachdem sie am folgenden Morgen gekommen waren, in Freiheit. Die Blutegel hatten die ganze Nacht soviel Blut gesaugt, dass ich mich beim Gehen vor Schwachheit schwindlig fühlte, aber in meinem Herzen war ich überaus glücklich und dankbar, dass Gott mir Unwürdigem Gelegenheit gegeben hatte, um seinetwillen bis zu einem gewissen Maße Leiden zu erdulden." (30).

Im Ganzen bleibt Zahir auch in den englischen Ausgaben bei dieser Darstellung, nur dass die Gefängnisepisode, die der Kreuzigung vorausgeht. 1917 fortgelassen, 1918 und 1919 aber wieder eingefügt wird. In allen drei Fällen wird aber hinzugesetzt, dass Sundar Singh, als er humpelnd den Heimweg angetreten habe, noch unterwegs ein- bis zweimal in Ohnmacht gefallen und dann nachher von christlichen Freunden in einem Dorfe wieder gesund gepflegt worden sei. Das Letztere ist jedoch wahrscheinlich eine Verwechslung Zahir's mit einer Episode der zweiten Nepal-Reise (31).

Nach Frau Parkers Schilderung wurde Sundar Singh in Ilam (sic) bei der Predigt verhaftet und musste dann "seine Tage und Nächte bei Mördern und Dieben" verbringen. Im Gefängnis schrieb er auf das weiße Blatt vorn in seinem Neuen Testament: "Nepal - 7. Juni 1914. Die Gegenwart Christi hat mir meinen Kerker in einen gesegneten Himmel verwandelt; was wird sie dann erst aus dem Himmel machen?". Durch seine Predigt wurden während seiner Haft "viele" der Gefangenen zu Christus bekehrt. Als dies an hoher Stelle bekannt wurde, führte man Sundar Singh auf den Marktplatz, wo seine Hände und Füße in den Stock gespannt und auf seinen nackten Leib eine Anzahl Blutegel geworfen wurden, während ihn eine spottende Menge umstand. Die ganze Nacht rang er mit dem Tode. Als er am nächsten Morgen freigemacht wurde, brach er bewußtlos zusammen und konnte sich erst später mühsam davonschleppen; einige heimliche Christen pflegten ihn gesund. - In enger Anlehnung an Frau Parker schildert auch Streeter dieses Ereignis.

Nunmehr begegnen uns neue Versionen aus Sundar Singh's eigenem Munde:

Version D

In einer Ansprache in Madras im Juni 1919 erklärte Sundar Singh: "... Ich erinnere mich noch des 7. Juni 1914, als ich in Nepal mit gebundenen Händen und Füßen ins Gefängnis geworfen wurde. Es bedeutete kein Leiden für mich. Es war reine Freude ..." (32).

Version E

In Tavannes sagte Sundar Singh am 1. März 1922 das Gleiche, erwähnte außerdem die Blutegel und fügte hinzu, ein Mann im Gefängnis, der das Markus-Evangelium gelesen und hernach zerrissen hätte, sei dabei gewesen, wie hernach der Gouverneur von Ilam Sundar Singh für wahnsinnig erklärt habe; darauf habe der Betreffende erklärt, dass er dann lieber auch wahnsinnig sein wolle, wenn er dadurch ebenso voll Freude werden könne wie Sundar Singh. Er habe nachher Sundar um Verzeihung gebeten, Frieden gefunden und sich um die Taufe beworben (33). - Es sei hinzugefügt, dass Sundar Singh einige Tage später, am 9. März 1922, in Genf erzählt, er sei einmal "in den Himalayabergen" auf dem Marktplatz verhaftet und von einem Polizisten zum Raja geführt worden. Dieser habe sich gefreut, als er sah, dass er ein Sadhu war. Aber als er erfahren habe, Sundar Singh sei ein christlicher Sadhu, habe er erklärt: "Wohlan, wirf ihn ins Gefängnis. Wenn du ein Hindu-Sadhu gewesen wärst, würde ich dir in der Nähe einen Palast gegeben haben"; dort habe früher ein Hindu-Sadhu gelebt, der sich inzwischen in einem Flusse ertränkt hatte, weil er keinen Frieden finden konnte. Offenbar habe der Raja ursprünglich die Absicht gehabt, ihm den Palast jenes Sadhu zu schenken. Sundar Singh fährt fort: "Ich würde mir nicht wünschen, in einem Palast zu leben und ohne Frieden zu sein ... Jesus Christus, der lebendige Christus, hat für mich ein Gefängnis in einen Himmel auf Erden verwandelt." (34). Es ist nicht ganz klar, ob sich Sundar Singh hierbei auf Ilam bezieht oder auf die Gefangenschaft in Tehri 1912. Aber da Sundar Singh hier ausdrücklich wieder von der Verwandlung des Gefängnisses in einen Himmel redet, liegt es nahe, an Ilam zu denken (35).

Version F

Am 16. März 1924 erklärte Sundar Singh in Mairang (Assam), er sei in Nepal zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Als er aber selbst auch dort gepredigt habe, sei er schließlich in den Kuhstall des Kerkermeisters überführt worden, der voller Moskitos gewesen sei. Dort habe man ihn seiner Kleider beraubt, ihm die Arme und Füße in den Stock gespannt und einen Korb voller Blutegel über ihn geschüttet. Aber bei seinen Qualen habe er gebetet und sei so sehr von Trost erfüllt worden, dass er einen Gesang auf Hindi angestimmt habe. Da der Kerkermeister dies gehört habe, sei er mit einem anderen Mann gekommen, um nach ihm nachzusehen. Sein Begleiter sei der gleiche gewesen, der ihn angezeigt und dem Sundar Singh ein Markus-Evangelium gegeben hatte, das dieser alsbald zerrissen hatte. Beide hätten sich in Sundar Singh's Gegenwart unterhalten, und als der Kerkermeister erklärt habe, Sundar Singh sei wahnsinnig, habe der andere geantwortet: "Wenn man durch solchen Wahnsinn so glücklich werden kann, möchte ich auch so wahnsinnig werden" (36).

Version G

Im Herbst 1924 von Professor Heiler über die Widersprüche in den verschiedenen Berichten befragt, schrieb Sundar Singh: "In Ilam wurde ich aus dem gemeinsamen Gefängnis auf den Marktplatz gebracht, um bestraft zu werden und um zu sehen, was mit mir geschehen sollte. Darnach wurde entschieden, dass ich in den Kuhstall gebracht werden sollte. Frau Parker hat recht, aber sie schrieb so kurz, dass sie die Geschichte nicht in ihren Einzelheiten erzählt hat" (37). Auch später erklärte Sundar Singh nochmals Frau Parkers Berichte für korrekt (38). Außerdem erklärt er: "... ich war nicht lange im Gefängnis zu Ilam, nur für etwa 24 Stunden (38a).

Version H

Schließlich stellt Sundar Singh 1926 fest: "Soweit ich mich erinnere, schrieb ich diese Worte in Ilam, als meine Hände freigemacht worden waren, nämlich: Christi Gegenwart hat mein Gefängnis in einen Segenshimmel verwandelt." (39).

Eine ganze Reihe kritischer Fragen erheben sich angesichts dieser verschiedenen Berichte nach dem Hergang der Misshandlungen in Ilam im Einzelnen. Aber viel gebieterischer als diese ist die Vorfrage, ob Sundar Singh überhaupt in Ilam ins Gefängnis geworfen und einer Misshandlung unterworfen worden ist. Es sind vor allem drei Hauptgedanken, die sich uns aufdrängen und die wir deshalb im Nachfolgenden erörtern:

  1. Nachprüfung an Ort und Stelle.
    Hosten erkundigte sich in Darjeeling bei Polizeibeamten nach den Verhältnissen in Ilam. Er erfuhr das Folgende: "Dort (in Ilam) gibt es einen General, der eine Art Gouverneur ist. Es gibt dort eine Abteilung Truppen ... Es befindet sich dort ein großes Gefängnis mit etwa 250 Gefangenen ...". Weiter erfuhr Hosten, "dass sehr schlimmen Individuen die Füße in den Stock gespannt werden, aber nicht die Hände und der Kopf". Ähnlich sei es auch in anderen Teilen Nepals (40). Noch genauere Angaben macht Laden La, ein Polizei-Inspektor von Darjeeling: "... Es gibt einen nepalesischen Oberst, der als der Gouverneur von Ilam (sic) bekannt ist. Unter ihm steht ein Leutnant, der praktisch der richterliche Beamte ist. Es gibt vier Kharidars, zwei Mukhias, einen Thasildar und einen Gefängnisbeamten. Sie besitzen keine regelrechte Polizeiabteilung, und die Soldaten tun die Arbeit der Polizei. Sie haben eine Art Gefängnis, in dem sie die Gefangenen in den Block spannen" (41). - Weiter schrieb Hosten an die britische Legation in Nepal und bat um Nachforschungen. Da er aber dabei von Zahir's Kreuzigungsgeschichte ausging, war es kein Wunder, dass Oberst W. F. O'Connor es als nutzlos erklärte, irgendwelche Schritte zu unternehmen, und die ganze Angelegenheit als phantastisch ablehnte (42). Auf Hosten's nochmalige Vorstellungen leitete er dann doch dessen Fragen den zuständigen Instanzen in Nepal zu, die dann Nachforschungen anstellten und schließlich erklärten, dass nichts Derartiges wie eine Kreuzigung und Misshandlung durch Blutegel stattgefunden zu haben scheine (43). Auch enthalte das Gefängnisregister von Ilam nicht den Namen von Sundar Singh (44). Mit Recht macht Heiler geltend, dass dieses Untersuchungsergebnis wenig besagt, weil Sundar Singh selbst gar nicht behauptet, gekreuzigt zu sein, sondern in den Block gespannt zu sein, worauf hier gar nicht eingegangen wird (45). Weiter macht Heiler die gleichen Bedenken hinsichtlich der Einstellung der nepalesischen Behörden gegen Vertreter des britischen Reiches, sowie betreffend des fehlenden Eintrages im Gefängnisregister geltend, die wir bereits bei Sundar Singh's Bericht betr. der Tehri-Gefangenschaft von 1912 herausgestellt haben, wie denn auch Sundar Singh selbst - wahrscheinlich nicht ganz ohne Unrecht - sagt: "... Selbst wenn sie mich getötet hätten, würden sie es doch nicht eingestanden haben" (46), dass auch Hosten nicht glaubt, dass dieser Bericht eine eindeutige Lage schafft - er bemängelt selbst in einem Briefe, dass das Dementi "nur in einer allgemein gehaltenen Weise" erfolgt ist (47) -, ergibt sich vor allem daraus, dass er sich gemüßigt fühlte, nochmals 1928 einen ausführlichen Brief, und zwar diesmal an den Gouverneur von Ilam selbst, zu richten (48). Eine Antwort erhielt er, soviel ich sehe, nicht. Wie immer man demnach den Versuch beurteilen mag, eine Klärung des Sachverhaltes durch amtliche Stellen herbeizuführen - ich selbst kann es jedenfalls vom missionarischen Standpunkt aus keinesfalls begrüßen, wenn derartige Dinge von Vertretern der Mission ausgerechnet vor eine heidnische Obrigkeit gebracht werden -, so hat dieser Weg bisher nicht zu einer eindeutigen Klärung der Sachlage geführt.
     

  2. Sundar Singh's anfängliches Schweigen über seine Gefangenschaft und sein Martyrium.
    Die Versionen A und B sprechen mit keinem einzigen Worte davon, dass Sundar Singh ins Gefängnis geworfen, in den Stock gespannt und mit Blutegeln gepeinigt worden sei. Aber nicht nur das, auch Tharchin gegenüber ließ Sundar Singh nichts Derartiges verlauten. Dieser schreibt: "... Er (Sundar Singh) sagte mir, er sei bis Ilam gekommen. Dort sei er von den Leuten aufgehalten worden. Er erzählte mir nichts von der Folterung in Ilam, wo seine Hände und Füße in den Stock gespannt (49) wurden. Damals sah ich einige Geschwüre oder Wunden an seinen Lenden und an seinem Rücken, und er bestrich sie mit Jodtinktur" (50). Hierzu bemerkt Sundar Singh in einem Brief an Heiler: "Sie werden bemerken, dass ich Tharchin nicht von meiner Folterung in Nepal erzählte, denn ich wollte keinerlei Sensation bei meinen Freunden und anderen Leuten hervorrufen. Aber Tharchin sah meine Wunden (von Sundar Singh gesperrt), welche die Folgen meiner Folterung in Nepal waren" (51). Man muss jedoch wissen, dass sich in jenem Berggebiet die Leute sehr leicht Blutegelbisse zuziehen, so dass die Wunden Sundar Singh's ohne Weiteres hierdurch erklärt werden können. Missionar Redman, der Empfänger des Briefes, aus dem wir Version A entnommen haben, meint in Bezug auf Frau Parkers Bericht: "In dieser Erzählung findet sich nichts, das mit dem kurzen Bericht in dem oben angeführten Briet' (gemeint ist Version A) in Widerspruch gerät. Die Einzelheiten sind in der Tat nur das, was man wohl erwartet hat, da es in dem unzivilisierten Staate Nepal sich ereignete ..." (52). In Bezug auf den Brief, den Redman von Sundar Singh erhielt, sagt er außerdem: "... Man kann zwischen den Zeilen lesen und daraus schließen, was sich zugetragen haben mag. Beispielsweise muss der Sadhu von einem Beamten verhaftet und elend in Haft gehalten worden sein, bis es gelegen war, ihn vor die Behörden zu bringen; und man kann sich denken, dass er nicht mit großer Höflichkeit behandelt wurde ..." (53). - Unser eigenes Urteil geht dahin, dass weder der Erklärungsversuch Sundar Singh's noch der Redman's Überzeugungskraft besitzen. Einerseits schreibt eben Sundar Singh doch ausdrücklich: "Der Beamte ... warf mich nicht ins Gefängnis ..." (Version A), und andererseits spielt sich das Verhör ausdrücklich ab, ehe Sundar Singh überhaupt verhaftet wurde, wie denn betonter maßen eine Einkerkerung nicht beschlossen wurde, weil man von vornherein verhindern wollte, dass Sundar Singh die anderen Gefangenen im Sinne des Christentums beeinflusste (Version B). Dazu kommt, dass Sundar Singh auch sonst in keiner Weise mit seinen Erlebnissen zurückgehalten hat, sondern stets all seine Enttäuschungen und Schwierigkeiten sofort geschildert hat.
     

  3. Chronologische Bedenken.
    Sundar Singh gibt in seinem Nûr Afshân-Bericht ein wichtiges Datum an; er stürzte am 7. Juni den Abhang hinunter und hatte nach dem Fall ein mystisches Erlebnis. Erst am folgenden Tage, also am 8. Juni, gelangte er nach Ilam. Da er am 10. Juni wieder in Darjeeling war - von Ilam nach dort sind es insgesamt rund 30 Meilen auf sehr schlechten Wegen - und er auch auf der Rückreise noch evangelistisch gewirkt hat, bleibt kaum eine andere Möglichkeit als anzunehmen, dass er bereits am 8. Juni auch schon wieder den Rückweg angetreten hat, oder er muss am 9. Juni in aller Frühe aufgebrochen sein. - im Gegensatz hierzu berichtet Sundar Singh in den späteren Jahren, dass er den Eintrag in seinem Neuen Testament, der vom 7. Juni herrührt, im Gefängnis vor seiner Marterung (Version D, E) bzw. hernach (Version H) gemacht habe. Das würde bedeuten, dass Sundar Singh bereits am 7. Juni, wenn nicht schon vorher, in Ilam eingetroffen wäre. Es ist klar, dass sich diese beiden Möglichkeiten gegenseitig ausschließen, und es scheint auf den ersten Blick, dass auch hier nicht weiter zu kommen ist, zumal sich Sundar Singh's chronologische Angaben öfter als unhaltbar erwiesen haben. Es könnte ja eben auch sein, dass der 7. Juni ein irrtümliches Datum darstellt.

Vom streng wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus lässt sich unter diesen Umständen nicht mehr exakt ergründen, was in Ilam tatsächlich geschehen ist.

Wir möchten jedoch nicht von dem Ilam-Erlebnis scheiden, ohne einen Lösungsversuch zur Diskussion zu stellen. Da grundsätzlich die ältesten Berichte das größte Vertrauen verdienen, erscheint es mir wahrscheinlich, dass Sundar Singh am 7. Juni abgestürzt ist, das mystische Erlebnis gehabt und in diesem Zusammenhang auch den Eintrag in sein Neues Testament gemacht hat. Sein körperlicher Zusammenbruch infolge der Überanstrengung gen hatte auch zu innerer Verzagtheit geführt - vielleicht malte er sich allerhand Misshandlungen aus, die ihn in Ilam erwarten könnten -, die er durch eine mystische Versenkung in Jesu sieben Kreuzesstationen über wand, so dass er jubeln konnte: "Die Gegenwart Christi hat mir meinen Kerker in einen gesegneten Himmel verwandelt; was wird sie dann erst aus dem Himmel machen?". Die innere Verlassenheit, die er durchgekostet hatte, erschien ihm als Kerkernacht. Am 8. Juni gelangte er nach Ilam, predigte dort, wurde dabei von der Polizei gestellt, verhört und auf der Stelle des Landes verwiesen. Ins Gefängnis wurde er nicht geworfen. - Später verwischten sich in seinem Gedächtnis das mystische und das wirkliche Erleben, und so entstanden seine späteren Berichte, in denen er das innere Erleben zunächst ohne Ortsangabe in die Wirklichkeit projizierte (Version C) und später in Ilam lokalisierte. Dass dabei allmählich neue Züge zu diesem Bild hinzutraten, ist schließlich etwas, was sich dadurch erklären lässt, dass Sundar Singh wieder und wieder von diesem Erlebnis sprach und infolge der intensiven Beschäftigung mit diesem Stoff unbewußt neue Stücke hinzufügte.

Dies ist, wie gesagt, ein Erklärungsversuch, der zwar an sich hypothetischen Charakter trägt, aber in diesem Falle, wie mir scheint, zum ersten Male alle Fragen in befriedigender Weise löst.

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2. Sikkim

Nachdem Sundar Singh von Nepal nach Ghum zu Tharchin zurückgekehrt war, hielt er sich dort etwa eine Woche lang auf, und dann brachen beide gemeinsam nach Sikkim auf. Dieser Eingeborenen-Staat, an dessen Spitze ein Maharaja steht, bildet das Anmarschgelände für die Expeditionen, welche eine Ersteigung des Kinchinjunga versucht haben, der auf der Grenze zwischen Nepal und Sikkim liegt. Das Land bildet einen besonderen Anziehungspunkt für Reisende, die ihre Erlebnisse bei ihren Wanderungen in jenem Gebiet mehrfach anschaulich geschildert haben (54). Wir sind über die Reise Sundar Singh's durch einen Artikel von ihm unterrichtet, der bald darnach im Nûr Afshân erschien (55). Auch im Reisebüchlein findet sich ein Bericht über diese Reise (56). Dazu kommen mündliche und schriftliche Aussagen Tharchins (57). In einem längeren kritischen Aufsatz befaßte sich Hosten ebenfalls mit dieser Reise (58).

Wir erfahren von den Reisenden, dass der Leiter der in Ghum arbeitenden freikirchlichen Missionsgesellschaft von Finnland den im Missionsdienst stehenden Tharchin für diese Wanderung beurlaubte, damit er Sundar Singh als Dolmetscher begleitete. Beide brachen am 17. Juni auf. Sie predigten in Pashok (59), wo sie auch übernachteten, und in Tista (60). Am Sonntag, wohl dem 21. Juni, predigte Sundar Singh im Gottesdienst zu Kalimpong. Er selbst sprach Hindi, wobei ihn drei Dolmetscher nacheinander ins Nepalesische, Tibetische und Chinesische übersetzten. So zog sich der Gottesdienst sehr in die Länge (61). Am nächsten Tag gelangten Sundar Singh und Tharchin nach Anwa (62), wo sie die Bekanntschaft eines 75jährigen Christen machten (63). Er war früher Buddhist gewesen. Während einmal die Pest wütete und auch Glieder seiner Familie dahinraffte, nahm er, da ihm auch die Lamas nicht helfen konnten, Zuflucht zur Bibel. Er und seine ganze 40köpfige Familie wurden Christen. Besonderen Eindruck machte es auf die anderen Dörfler, dass er seine buddhistischen Bücher im Werte von 700 Rupies verbrannte, obwohl sich Käufer für sie meldeten. Sundar Singh und Tharchin wanderten dann am gleichen Tage weiter nach Pedong (64), von wo sie am Tag darauf, am 23. Juni, nach Rhenok (65) gelangten. Jenes liegt etwa eine Meile von der Grenze Sikkims entfernt, Rhenok bereits in Sikkim. Hier konnten sie, wie Sundar Singh angibt, bis Mitternacht den Polizisten predigen. Am nächsten Tage wurden sie zum Richter (Magistrate) befohlen - im Reisebüchlein gibt Sundar Singh seinen Namen als Rai Sahib Tolsi Das an -, und waren nicht wenig überrascht, als ihnen der Beamte für ihre evangelistische Tätigkeit dankte und ihnen trotz ihres Sträubens für die Weiterreise bis zum nächsten Orte zwei Männer mit Pferden beigab. Dann führte sie der Weg nach Pakhyong (66) und dann von dort nach Gangtock (67). Sundar Singh erzählt, dass es dort eine Anzahl Christen gäbe, dass es ihnen jedoch nicht von der Regierung gestattet würde, eine Kirche zu bauen. Einer von diesen Christen sei früher ein Gegner des Christentums gewesen, habe dann aber während einer schweren Krankheit eine Christus-Vision gehabt, sei dann wieder genesen und habe sich später taufen lassen und begonnen Christus zu predigen (68). Als Sundar Singh und Tharchin auf dem Markte öffentlich predigten, wurden sie zunächst von einem Polizisten fortgetrieben, aber als sie in einer Ecke des Basars ihre Predigt wieder aufnahmen, blieben sie ungestört. Ja. nach einer Weile kam der gleiche Polizist und forderte nun sogar die Umstehenden auf, der Ansprache zu lauschen. Sundar Singh hatte die Absicht, mit Tharchin von Gangtock nach Tibet vorzudringen (69), oder wenigstens weiter ins Land Sikkim bis Lachen oder Lachung (70). Er muss bereits mit Frl. E. Kronquist in Lachen darüber in Briefwechsel gestanden haben, denn sie bezeugt, dass Sundar Singh die Absicht gehabt habe, nach Lachen zu kommen (71). Aber diese Pläne scheiterten, weil der politische Geschäftsträger keine Erlaubnis hierfür erteilte (72). Eine ganze Woche lang ging Sundar Singh täglich zur Polizeistation, aber stets umsonst. Nach 8 Tagen erklärte er Tharchin, dass es offenbar nicht Gottes Wille sei, dass sie weiter zögen; so sei es besser umzukehren. So brachen sie in den ersten Julitagen (73) von Gangtock wieder auf und wanderten nach Singtam. Von dort wandten sie sich nicht direkt nach Süden, sondern wählten den Weg, der in westlicher Richtung noch länger durch Sikkim führt und schließlich nördlich von Darjeeling die Grenze erreicht. So pilgerten sie von Singtam über Tarko nach Temi (74), wo sie vom 4. - 6. Juli, also über Sonntag, blieben. Über Namchi, Rangit (75), Padantam und Darjeeling gelangten sie nach Ghum, wo sie am 9. Juli wohlbehalten wieder eintrafen. Dort schrieb Sundar Singh gleich am nächsten Tage seinen Bericht für den Nûr Afshân.

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3. Zweite Nepalreise

Am 10. Oktober 1914 veröffentlichte Sundar Singh einen neuen Artikel im Nûr Afshân unter der Überschrift  "Christen in Nepal" (76), dessen Inhalt wir gleich wiedergeben. Leider fehlen in dem Aufsatz die Ortsangaben, so dass nicht ersichtlich ist, welcher Strecke Sundar Singh gefolgt ist, und vor allem, an welcher Stelle er die Grenze überschritten hat (77). So ist es müßig, Hypothesen darüber aufzustellen, von welcher Eisenbahnstation aus Sundar Singh die Wanderung nach Nepal angetreten haben könnte (78). Der erste Ort, von dem Sundar Singh eine nähere Angabe macht, ist der Geburtsort von Buddha, wo Sundar Singh gepredigt zu haben angibt. Er nennt hier zwar nicht den Namen, aber er kann nur das in der Nähe von Paderia (79) gelegene Rumindei meinen; dieses ist identisch mit dem Lumbini-Garten, dem "Bethlehem des Buddhismus" (80); denn hier ist der Überlieferung nach Buddha geboren worden. Kaiser Asoka ließ an dieser Stelle anläßlich seines Besuches ca. 250 vor Christus eine Gedächtnissäule errichten, die im Jahre 1895 von Dr. Führer wieder entdeckt worden ist (81). Dort traf Sundar Singh viele buddhistische Pilger und predigte ihnen, in der Nähe der Säule stehend, von Christi Geburt, Tod und Auferstehung. Das hatte das Einschreiten eines Beamten zur Folge, der Sundar Singh vor sich laden ließ und ihn mit Handschellen durch einen Polizisten Shere Singh zum "Oberst" abführen lassen wollte. Ein Sadhu aus dem Mahratta-Land trat jedoch dazwischen, verhinderte die Fesselung und erreichte, dass ihm gestattet wurde, Sundar Singh dem Oberst zuzuführen. Beide machten sich auf den Weg, und es stellte sich heraus, dass der Mahratta-Sadhu ein heimlicher Christ war, der die Hälfte des Jahres als Evangelist herumzuziehen pflegte und die andere Hälfte des Jahres eine selbst gesammelte Gemeinde betreute (82). Als Sundar Singh ihn fragte, wo und von wem er getauft sei, erwiderte er, er sei vom Heiligen Geiste getauft, aber nicht mit Wasser. Sonst würden er und seine Freunde des Landes verwiesen werden. Er hoffe, dass Gott es ihm verzeihen werde. Der weitere Weg führte sie durch die verwilderte Gegend, die einst den schönen Lumbini-Garten ausmachte. Nach zwei Tagen erreichten sie nach einem Weg quer durch Dschungel-Gebiet die noch ebenfalls im Dschungel gelegene Anbetungsstätte, wo Jünger des Mahratta-Sadhu versammelt waren. Sundar Singh stellte bei ihnen eine gewisse Bibelkenntnis fest. In dem gottesdienstlichen Gebäude, halb Kirche und halb Tempel, befand sich kein Götzenbild; eine Sanskrit-Bibel, in ein seidenes Tuch gehüllt, lag auf einem Tisch, und darüber hing ein Bild von Christus. - Schließlich gelangte Sundar Singh mit seinem Begleiter zum Oberst, der ihn des Landes verwies. So wurde er daran verhindert, die Hauptstadt von Nepal, Kathmandu, zu besuchen. Bei Nepalganj (83) verließ Sundar Singh offenbar das Land; denn sein Reisebericht ist dort unterzeichnet.

Was die Frage nach der Geschichtlichkeit dieses Berichtes betrifft, so erheben sich starke Bedenken. Zunächst fällt schon, wie bei den Erzählungen über die Kailâs-Reisen, der Mangel an greifbaren Ortsangaben auf, wie überhaupt der ganze Inhalt des Berichtes etwas seltsam anmutet. Ohne auf Einzelheiten des Inhalts eingehen zu wollen, hängt wieder einmal, wie so oft, fast alles von der Chronologie der Reise ab. Der Nûr-Afshân-Bericht beginnt mit den Worten: "Ich danke Gott, dass er mir zum zweiten Male eine Tür aufgetan hat, in Nepal zu predigen. Von Darjeeling aus zog ich an der Grenze von Nepal entlang und suchte eine passende Gelegenheit ... (sic) erreichte, welches gerade auf der Grenze liegt. Hier betrat ich das Land ... (sic) etc., und predigend ... (sic) erreichte ich den Geburtsort von Buddha". - Im Reisebüchlein dagegen schreibt Sundar Singh im Anschluss an die Rückkehr von Sikkim: "... In Ghum veranstalteten die Missionare eine Abschiedsversammlung für mich, und nachher zog ich nach Bhaksado - gemeint ist offenbar Baksa Duar (84) - und Süd-Bhutan, und nachdem ich dort einige Tage mit Miss Frederickson zusammen gearbeitet hatte, kam ich nach Cooch Behar (85)" (86). Im Anschluss hieran gibt Sundar Singh eine weitere Schilderung seiner Reise bis zum 1. Februar 1915 und zählt eine große Anzahl von Stationen auf (87), die aber alle ein gutes Stück von Nepal entfernt sind. Nepalganj wird in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt. Statt dessen aber bringt Sundar Singh im Reisebüchlein in Verbindung mit der Schilderung seiner Gefangenschaft und Folterung in Nepal, also im Zusammenhang mit seiner ersten Reise, in völlig unchronologischer Weise die Bemerkung, er sei "zum zweiten Mal" nach Nepal und nach Rozmandi, dem Geburtsort von Gautama Buddha, gelangt, wobei es unklar bleibt, wie Sundar Singh dazu kommt, Buddha in Rozmandi geboren sein zu lassen, das sich überdies auf der Karte nicht feststellen lässt. Anschließend an die Gefängnisepisode, die wieder zur ersten Reise gehört, berichtet er im Reisebüchlein weiter seine Begegnung mit dem Räuber im Bhulera-Wald und dessen Bekehrung (88). Im Anschluss hieran fährt Sundar Singh fort: "Als ich wiederum in anderer Richtung weiterzog, erfuhr ich auch dort viel Widerstand, aber dank der Hilfe von Swami Sadanand wurde ich nicht sehr behindert". Damit ist Sundar Singh wieder bei seiner zweiten Reise angelangt. Es folgt seine Erzählung von dessen Wirksamkeit, ähnlich wie es der Nûr-Afshân-Artikel schildert, worauf Sundar Singh fortfährt: "Nepalganj. Nach meiner Wanderung mit Swami Sadanand kam ich hierher. Hier in der Nähe predigt Mrs. Denney (89) mit einigen Helfern den Nepalesen ...". Schließlich erwähnt Sundar Singh, dass er von dort nach Bahraich (90) gekommen sei, wo er einen Fieberanfall erlitten und von Mr. Norton gepflegt worden sei, und springt dann unmittelbar darnach in seinem Bericht wieder nach Ghum über (R 45) und knüpft damit wieder an den vorher (R 41) verlassenen Gedankengang an und schildert seine Sikkimreise.

Demnach gibt Sundar Singh im Nûr-Afshân-Aufsatz an, er sei von Darjeeling aus nach seiner Sikkim-Reise gleich zum zweiten Male nach Nepal gezogen, während er im Reisebüchlein einerseits im Anschluss an die Sikkim-Reise von seinem alsbaldigen Aufbruch nach Bhutan redet, aber andererseits auf den vorhergehenden Seiten in seinem chronologisch verworrenen Nepal-Bericht sowohl von seiner Gefangenschaft wie von seinen Erlebnissen im Bhulera-Wald und seiner Begegnung mit Sadanand redet, um mit dem Besuch in Nepalganj und Bahraich abzuschließen. Und zwar geschieht dies vor dem Bericht über seine Sikkim-Reise, obschon es eine offene Frage bleibt, ob nicht die zweite Nepal-Reise später geschehen ist und hier vorgreifend dargestellt ist.

So ergibt sich die Notwendigkeit, eingehende briefliche Nachforschungen auf den verschiedenen Missionsstationen vorzunehmen, wenn man die chronologischen Tatbestände ermitteln will. Aber es bleibt zweifelhaft, ob ein derartiges Bemühen von Erfolg gekrönt sein würde (91). Umso notwendiger war es, den quellenmäßigen Sachverhalt deutlich darzulegen und damit wenigstens das Problem in seiner gegenwärtigen Gestalt klar aufzuweisen.

Unter diesen Umständen muss, so unbefriedigend es auch erscheinen mag, die Frage nach der Geschichtlichkeit der zweiten Nepalreise und den mit ihr verbundenen Ereignissen offen bleiben (92). Damit hängt es zusammen, dass wir auch bei zwei weiteren zu Nepal gehörigen Erzählungen Sundar Singh's zu einer geschichtlichen Stellungnahme einstweilen nicht in der Lage sind. Wir meinen die Geschichte von Sundar Singh's Fesselung an einen Baum bei Khantzi (93) und Sundar Singh's Erlebnis mit einem Panther bzw. Leoparden im Thoria-Distrikt (94). Wir müssen es demnach offen lassen, ob diese Erlebnisse Sundar Singh's alle der Wirklichkeit entsprechen oder nicht. -

Später ist Sundar Singh nicht wieder nach Nepal gekommen, ebenso wenig nach Sikkim. Im Frühjahr 1921 plante er, wieder mit Tharchin eine gemeinsame Reise zu unternehmen, aber das zerschlug sich. Bald darnach schrieb Sundar Singh, dass er eine Schule in Gyantse (95) in Ost-Tibet habe, die unter der Leitung von Tharchin stünde. Später modifizierte er diese Aussage: "... nicht ich war es, der die Schule gründete, sondern Tharchin. Natürlich tat er all das gemäß meiner Anweisung, und ich unterstützte ihn regelmäßig ..." (96). Die Frage der Gyantse-Schule wurde eingehend untersucht (97). Wir können uns hier nicht auf irgendwelche Einzelheiten einlassen. Doch lässt sich die Feststellung nicht umgehen, dass die Schule von Tharchin selbständig eröffnet worden zu sein scheint, also ohne Sundar Singh's Anweisung. Was Sundar Singh an ihn im Laufe der Zeit gesandt hat, beläuft sich auf mehrere hundert Rupies, eine für indische Schulverhältnisse immerhin nicht unbeträchtliche Summe. Jedenfalls bleibt der Eindruck bestehen, dass bei dieser Schule, die bald wieder geschlossen werden musste, Sundar Singh wenig beteiligt gewesen ist.

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Anmerkungen

  1. Nicht Tanschisch, wie B e c h 1 e r irrtümlich schreibt (S. S. S., sein Wesen und Wirken, 1925, p. 24).
     

  2. WMA Karte 10, O 6. Andere Schreibweise: Ghoom.
     

  3. Zu diesen Einzelheiten vgl. Interview zwischen Ho. und Tharchin. 4- 6. 25, Doss. U 393 f.
     

  4. Andere Schreibweisen dieses Ortes sind: Illam. Elam und Uom.
     

  5. Dharamjit an Hei., 30. 6. 26, Dok. II, 112.
     

  6. Vgl. R. 39-41.
     

  7. Das Datum findet sich im Brief von Tharchin an Ho.. 23. 7. 25. Doss. U 413.
     

  8. Tharchin glaubt, dass S. S. am 27. oder 28. Mai aufbrach, ist sich aber des Datums nicht ganz sicher (a. a. 0.).
     

  9. Einen Teil dieses Briefes, den S. S. am 10. Juni 1914 in Darjeeling geschrieben hatte, zitiert Redman in seinem Aufsatz "Das Wachsen der Fabel" vom 14. 8. 25, Dok. II, 78.
     

  10. NA 3. 7. 14 (Doss. NA 37-40). Hier erwähnt S. S., er sei "gestern'; in Darjeeling eingetroffen.
     

  11. R. 42.
     

  12. Doss. Sh 77-80; Lover 1917, 75f. (Abschr. Doss. K 2); 1918. 84 (Abschr. Doss. K 7); Ap. 1919, 82.
     

  13. P-d 52-54, 128 f.
     

  14. St-d 64 f.
     

  15. Percival Landon; Nepal. London 1928, Vol. II, 177.
     

  16. WMA Karte 10, O 6.
     

  17. Laden La an Ho., 3. 7. 28, Doss. IV, 432 = Doss. V, 358. Nähere Angaben über Laden La, auf den wir uns mehrfach zu berufen haben, finden sich auf S. 159 und in Anm. 41.
     

  18. Tharchin, Interview Doss. U 394 f.
     

  19. Karte 78 B, A 1. Es ist drei Meilen von Sukhie Pokhri entfernt (Laden La an Ho., 3. 7. 28, a. a. O.).
     

  20. Auf Ho.'s Bitten stellte Laden La ein genaues Verzeichnis der Orte, die man auf dem Wege von Simana nach Uam berührt, mit Angabe der jeweiligen Entfernungen auf; darnach beträgt die Gesamtentfernung 23% Meilen (Laden La an Ho., 3. 7. 28, a. a. O.). Jedoch kein einziger der von ihm angegebenen Orte (Tansigaw, Dhotaria, Fikal, Aitabaray. Godak, Dobhan, Tilkini, Potaygaw) deckt sich mit denen, die S. S. im NA nennt. Dass diese Letzteren wiederum nicht mit denen in R. 41 übereinstimmen (dort redet S. S. von "Angala, Jagat etc."), macht die Sache noch verworrener. Aber möglicherweise gibt es verschiedene Routen. Zur Nachprüfung sind wir nicht in der Lage, weil Karte 78 B, soweit es sich um Nepal handelt, weiß gelassen ist und Karte 72 N, welche Ilam zeigt (Feld D 1), zwar verschiedene Namen von Ortschaften in Richtung Ghum und Darjeeling angibt, aber keinen, der mit einem der von S. S. oder Laden La angegebenen Orte identisch wäre. - Wenn Prof. Hauer in einem Brief an Pfi. fordert (27. 12. 28, Doss. IV, 437), dass die Frage nach diesen Ortschaften "nicht durch irgendeinen Polizei-Superintendenten, der in Darjeeling sitzt, sondern womöglich von Ho. oder einem absolut sicheren Gewährsmann an Ort und Stelle untersucht werden" müßte, so scheitert das nicht nur an den Kosten und ähnlichen Schwierigkeiten (Ho. an Pfi., 29. 1. 29, Doss. IV, 430-433), sondern vor allem daran, dass, wie oben erwähnt, Europäer überhaupt nicht an jener Stelle nach Nepal hineingelassen werden.
     

  21. L a n d o n a. a. 0., Vol. II, 41.
     

  22. Um nachzuprüfen, ob es an jenem Datum überhaupt geregnet hat, wandte sich Ho. um Auskunft an die Wetterbeobachtungsstelle der katholischen Mission in Darjeeling und Kurseong (südlich Darjeeling). Während erstere etwa 8 mm Regen für den 7. Juni verzeichnete (genaue Einzelheiten für die Monate Juni und Juli in Doss. NA 48), gab es in Korseong am 7. Juni (von 8 Uhr morgens ab auf 24 Stunden gerechnet) absolut keinen Regen. Das besagt indessen wenig, da gleichzeitig Pater A. Vercruysse Ho. mitteilt: "... Sie sollten diese Angaben nur mit Vorsicht benutzen; denn wenn es hier keinen Regen gibt, kann gleichwohl anderswo ein örtlicher, starker Regen fallen, besonders im Juni, ehe der Monsun richtig eingesetzt hat, und vollends auf der Scheide zwischen Ghum und Nepal ..." (Brief vom 28. 5. 28, Doss. NA 61). Wenn Ho. trotzdem unmittelbar danach den Schluß zieht: "Auf Grund der Tatsache, dass es in Kurseong nicht regnete, lässt sich immerhin folgern, dass es auch dort, wo S. S. am 7. Juni weilte, vermutlich keinen heftigen Regen, wenn überhaupt Regen gegeben hat" (Doss. NA 61), so hätte ihn wenigstens der Umstand, dass es am gleichen Tage auch in Darjeeling regnete, also etwa 20 Meilen nördlich von Kurseong, vor solch einer Behauptung bewahren sollen.
     

  23. Im Englischen: Magistrate; Hei. übersetzt nur: Der Beamte.
     

  24. Im Englischen: Magistrate; Hei. übersetzt: Die Behörden.
     

  25. Im Englischen: "... did not imprison me"; Hei. übersetzt: "ließ mich nicht einsperren".
     

  26. Dok. II, 78.

    26a
    Doss. NA 38 f.
     

  27. R. 41 f. - Hier sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob S. S. die Gefängnisepisode zur zweiten Nepalreise rechnet Da jedoch dieser ganze Abschnitt ohne Rücksicht auf Chronologie zusammengestellt erscheint - es folgen weiter: Fortsetzung der zweiten Reise in Nepal, dann die Sikkim-Reise, welche vor der zweiten Nepal-Reise stattfand, besteht kaum eine Schwierigkeit anzunehmen, dass S. S. die Gefängnisgeschichte tatsächlich schon 1915 als zur ersten Reise gehörig betrachtet, wie er es später völlig deutlich getan hat.
     

  28. Leg. 173 ff.
     

  29. Die englische Übersetzung ist mangelhaft. Der fragliche Satzteil lautet: "... then they caused him to be put in prison by reporting".
     

  30. Sh. 43 f. (Doss. Sh 79).
     

  31. Wortlaut bei Z. 1918 = 1919, deutsch Leg. 173.
     

  32. Z.: Soul Stirring Messages, 1920, p. 62 (Abschr. Doss. K 16).
     

  33. PC 1933, 14 f. (englische Übersetzung: Doss. K 24, 2f.; deutsche Übersetzung im Auszug Leg. 175).
     

  34. PC 1923, 87 (engl. Übersetzung: Doss. K 24, 4).
     

  35. So auch Ho. in Doss. K 24, 4.

  36. "Sermons and Sayings of S. S.", 1924, 25f. (Abschr. Doss. K 30; der erste Teil deutsch in Leg. 175 f.).
     

  37. S. S. an Hei., 23. 9. 24, Dok. I, 4.
     

  38. Desgl. 31. 3. 25, Dok. II, 5.

    38a
    Desgl. 2. 6. 25, Dok. II, 13.
     

  39. Desgl. 7. 4. 26, Dok. II, 22.
     

  40. Ho in Doss. NA 58.
     

  41. Laden La an Ho., 3. 7. 28, Doss. IV, 432 = Doss. V, 358. Paul Bauer erwähnt, dass ihm bei der Vorbereitung seiner Kinchinjunga-Expeditionen "Sardar Bahadur W. S. Laden La, General der tibetischen Armeen, Superintendent of Police (etwa Polizeipräsident) in Darjeeling ...'' hilfreich zur Hand gegangen sei (Kampf um den Himalaja, das Ringen der Deutschen um den Kantsch, den zweithöchsten Berg der Erde. München 1934, 42). Offenbar handelt es sich um den gleichen Beamten, den Ho. betr. Nepal zu Rate zog.
     

  42. O'Connor an Hei., 27. 9. 23, Doss. K 23 (z. T. deutsch Leg. 178).
     

  43. "appeared to have oceured" heißt nicht: "stellte sich als tatsächliches Ereignis heraus", wie Pfi. meint (Leg. 179), sondern: "schien sich ereignet zu haben".
     

  44. Brief des Privatsekretär seiner Hoheit des Premier-Ministers von Nepal, 31. 12. 24, Doss. K 42 (deutsch Leg. 179).
     

  45. Dok. II, 191.
     

  46. S. S. an Hei., 2. 6. 25, Dok. II, 13.
     

  47. Ho. an Laden La, 26. 7. 28, Doss. V, 366.
     

  48. Brief vom 24. 7. 28, Doss. V, 359-364.
     

  49. Hei.'s Übersetzung "an »Stöcken festgebunden" für: "fastened into Sticks" ist unzutreffend.
     

  50. Tharchin am 20. 4. 25, Dok. II, 98.
     

  51. S. S. an Hei., 29. 4. 25, Dok. II, 8.
     

  52. Dok. II, 79.
     

  53. Dok. II, 78.
     

  54. Vgl. z. B. The Earl of Ronaldshai: Lands of the Thunderbolt, Sikhim, Chumbi & Bhutan, London etc. 1923; Florence Donaldson: Lepcha Land, or Six Weeks in the Sikhim Himalayas, London 1900; Carl Forstmann: Himatschal, die Throne der Götter. 25 Jahre im Himalaja, Berlin 1926; Paul Bauera. a. O. - Alle diese Bücher enthalten Beschreibungen von Teilen der Marschroute, der Sundar Singh und Tharchin gefolgt sind. - Eine ethymologische Studie bietet: L. A. Waddell, M. B.: Place and River-Names in the Darjiling Distrikt and Sikhim. "Journal of the Asiatic Society of Bengal", Calcutta 1891, 53-79.
     

  55. NA 31. 7. 14 (Doss. NA 40 f.) und 7. 8. 14 (Doss. NA 41 f.).
     

  56. R. 45-47.
     

  57. Interview zwischen Ho. und Tharchin, Doss. U 395; Tharchin an Hei., 20. 4. 25, Dok. II, 98; ders. an Ho., 23. 7. 25, Doss. U 412 f.
     

  58. Vgl. Ho.: "S. S.'s account of Sikhim and Nepal" (13. 6. 28, Doss. V, 301-311, besonders 301-305); desgl. "S. S. S.-Interesting Correspondence", CHI 1925, 231 f.
     

  59. Karte 78 A, B 4. Es ist dreizehn Meilen von Ghum entfernt.
     

  60. a. a. O.; desgl. 18 Meilen.
     

  61. Vgl. auch den Bericht von F. D. Raj über S. S.'s Auftreten in Kalimpong im "Epiphany", 22. 7. 16, p. 120 (Abschr. Doss. I, 429f.); allerdings erscheint es etwas übertrieben, wenn hier gesagt wird, dass S. S. - sein Name wird zwar nicht genannt, doch ist offenbar von ihm die Rede - über eine Woche in Kalimpong gewesen sei.

  62. Nicht auf der Karte zu finden.
     

  63. In R. 45f. verlegt S. S. die Begegnung mit diesem Mann nach Pedong.
     

  64. Karte 78 A, C 4.
     

  65. a. a. O.
     

  66. a. a. O.
     

  67. a. a. O. C 3; Gunnog in R. 46 ist ein Schreibfehler für Gangtock.
     

  68. Ho. meint, dass diese Geschichte die Urform zu der Erzählung Z.'s von Kulzang darstellt, der Tibeter war, Christ wurde und von seinen Feinden einen Abhang herabgestürzt wurde, wo er dann in seinen Schmerzen eine Vision von Christus hatte (Lover 1917, 67f.; 1918, 81 f.; vgl. PC 63-65, 126-129), vgl. Ho.: S. S.'s Story of Kulzang, 14. 6. 28, Doss. V, 312-316. - dass es sich aber um zwei völlig verschiedene Personen handelt, ergibt sich daraus, dass S. S. in R. 46 den Namen des Mannes in Gangtock nennt: S a b a i Parwar R a e. Die Geschichte von Kulzang gehört somit weiterhin zu den nicht näher bestimmbaren Tibeterzählungen.
     

  69. Bezeugt von Tharchin, vgl. seinen Brief an S. S., 13. 8. 23 (lt. Mitteilung S. S's an Hei., 5. 1. 25, Dok. I, 13).
     

  70. Beide Orte auf Karte 78 A, C 2.
     

  71. Frl. Kronquist an Ho., 27. 10. 23, CHI 1924, 66; sie irrt sich freilich hinsichtlich des Jahres, da sie von 1916 bzw. 1917 spricht.
     

  72. Vgl. auch S. S. an Hei., 5. 1. 25, Dok. I, 13; desgl. Tharchin an S. S., 7. 1. 25, Dok. I, 40. Bestätigt von britischen Residenten F. M. Bailey: "... Er (S. S.) bewarb sich um die Erlaubnis, nach Lachung gehen zu dürfen, aber er wurde abschlägig beschieden .. " (Brief an Ho., 29. 3. 24, Doss. I, 218, vgl. 250.
     

  73. Nach Tharchin am 3. Juli (Brief an Ho., 23. 7. 25, Doss. U 412), nach S. S. am 2. Juli. Im NA-Artikel (Doss. NA 42) steht zwar der 22. Juli verzeichnet; doch muss dies ein Fehler des Übersetzers sein; denn im handschriftlichen Exemplar der englischen Übersetzung, die sich im Besitz von Heiler befindet steht ausdrücklich auf p. 41 der 2. Juli, der allerdings so undeutlich geschrieben ist, dass er bei flüchtigem Lesen leicht als 22. Juli gelesen werden kann. Damit werden auch die Erwägungen Ho.'s über das späte Datum in Doss. V, 302 ff. gegenstandslos.
     

  74. Alle drei Orte auf Karte 78 A, D 4. Eine andere Schreibweise für Temi ist Timi. Vgl. auch Anm. 88.
     

  75. Vgl. Kap. 8, Anm. 507.
     

  76. Doss. NA 42-44.
     

  77. Die englische Übersetzung ersetzt dreimal Ortsnamen durch Punkte (vgl. das Zitat auf Seite 164). Es ist nicht erkennbar, ob dies auf einer Fahrlässigkeit des Übersetzers beruht, oder ob bereits S. S. in seinem Aufsatz die Orte absichtlich fortgelassen hat.
     

  78. Auch Ho. kommt zu keinem klaren Ergebnis; er denkt z. B. an Bhikna Thori (Doss. NA 51 f.) und Uska Bazar (54); beide Orte sind eingezeichnet im WMA Karte 10, M 6 bzw. L 6.
     

  79. WMA Karte 10, L 6.
     

  80. V. A. Smith: The early History of India, Oxford, 41924, 167.
     

  81. Vgl. Percival L an d o n :"Nepal. London 1928, Vol. I, 3-8, 268-271; Babu Purna Chandra M u k k e r j i: A Report on a tour of exploration of the antiquities in the Tarai, Nepal, the region of Kapilavastu; during Febr. and March 1899. With a prefatory note by Mr. Vincent A. ßmith. Archaeo-logical Survey of India, Vol. 26, Calcutta 1901; Radhakumud Mookerji: Asoka, London 1928, 201-204, 246ff.; V. A. Smith: Kapilavastu, ERE, Vol. VII, 1914, 659-661. - Eine Bibliographie zur Inschrift der Asokasäule gibt V. A. Smith: The early History etc. 183; vgl. auch die Zitate von Ho. in Doss. NA 53-55.
     

  82. Ho. meint (Doss. NA 35), dass es sich bei diesem Sadhu um den gleichen Swami Sardia Nand bzw. Satyia Nand handelt, den S. S. im Frühjahr desselben Jahres in Srinagar (Garhwal) getroffen hatte (wir erwähnten ihn auf S. 124 neben Bawa Sita Ram); denn dieser stammte nach Shaida 47 (Doss. Sh 88) aus dem Thoria-Distrikt. Einen weiteren Grund sieht Ho. (a. a, O. 60) darin, dass der in Dok. II, 234 genannte Swami Shachittananda ebenfalls als Mahratta-Heiliger bezeichnet wird. Vgl. auch Lover 1917, 81 f.; 1918. 94 f.
     

  83. WMA Karte 10, K 5-6.
     

  84. WMA Karte 11, O 6; es liegt dicht an der Grenze von Bhutan.
     

  85. a. a. O.
     

  86. R. 47.
     

  87. R. 47-51; die wichtigsten Stationen, die S. S. erwähnt, sind: Domar, Faizabad, Etawah, Mainpuri, Farukhabad, Etah, Moradabad, Bulandshahr, Roorkee, Amballa, Montgommery, Lahore (vg]. Kap. 8, Anm. 166).
     

  88. Als S. S. allein durch den Bhulera-Wald zog, wurde er plötzlich von einem Räuber mit gezücktem Messer überfallen. Schon glaubte er, dass sein letztes Stündlein gekommen wäre, als der Räuber ihm seine Decke entriss und davon stürmte. Als S. S. eine kurze Strecke gegangen war, rief ihn der Räuber zurück und fragte ihn, wer er sei. S. S. erzählte ihm von seiner evangelistischen Arbeit und las ihm die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus vor. Dies führte zur Bekehrung des Räubers, der 'S. S. seine Decke wiedergab. Am nächsten Morgen zeigte er S. S. in einer Höhle einen Haufen Knochen und 'setzte hinzu: "Das ist meine Sünde". S. S. erzählte ihm die Geschichte vom Schacher am Kreuz und sandte ihn in die Ebene, damit er sich taufen ließe. Später bekannte der Räuber auch dem Rajah seine Missetaten, wurde aber begnadigt, da er sich inzwischen gebessert hatte (R. 42-44). Die Geschichte wurde von Z. weiter ausgeschmückt (Shaida 44-46, Doss. Sh 81-83; Lover 1917, 76-79; 1918, 89-92; Ap. 1919, 87-90) und auch von Frau Parker berichtet (P-d 55 f.). - Was die Geschichtlichkeit dieser Erzählung betrifft, so gibt es zwei Handhaben zur Nachprüfung. Erstens sagt S. S. in R. - was bisher noch niemand beachtet zu haben scheint -, dass er seine Decke später Rev. James Williams geschenkt habe. Ich schrieb an diesen betr. der Räubergeschichte, erhielt jedoch keine Antwort. Der zweite Ansatzpunkt ist die Mitteilung S. S.'s, dass der Räuber von "Rev. Makeen" (R) bzw. "Padre Makin Sahib in Sikhim" (Shaida) getauft sei, ohne dass die Missionstation angegeben würde. Lover nennt dann als Ort der Taufe Labcha Sikhim, Frau Parker Labdscha Sak-kum (vgl. auch Ho.'s Bemerkungen in Doss. NA 192). Ho. fragte mündlich Rev. MacKeen in Temi, ob er etwas von dem Räuber wüßte, erhielt aber eine negative Auskunft (vgl. Ho. am 14. 5. 25, Doss. U 164). S. S. erklärte später auch selbst, dass es ein Irrtum sei, dass der Räuber von Rev. MacKeen in Temi getauft sei. "Er kam nie nach Timi. Aber bevor er mich verließ, sagte er, er wolle nach einer Missionsstation gehen; aber ich erinnere mich nicht, wohin er hernach ging" (Brief an Hei., 2. 6. 25, Dok. II, 13). ßo besteht einstweilen keine Möglichkeit zur Nachprüfung der Erzählung, so starke Bedenken wir im einzelnen auch gegen sie haben.
     

  89. Im Directory of Christian "Missions 1932-33, p. 216 findet sich Mrs. L. Denny verzeichnet, die gegenwärtig in Bahraich (WMA 10, K 6) südlich Nepalganj stationiert ist und seit 1905 in Indien arbeitet. Sie ist vielleicht die gleiche, von der S. S. spricht. - Ich schrieb an sie, erhielt aber meinen Brief mit dem Vermerk zurück, dass sie gestorben sei.
     

  90. Vgl. die vorige Anm.
     

  91. Leider führten meine Erkundigungen nicht zu einer Klärung dieser Frage.
     

  92. Vgl. die unbefriedigenden Erörterungen Ho.'s in Doss. V, 304-306.
     

  93. Es handelt sich um die Erzählung, dass S. 8. als Strafe für seine Predigt die Nacht über an einen Baum gefesselt bzw. gefesselt unter einen Baum gelegt wurde; als er am nächsten Morgen erwachte, fand er sich auf geheimnisvolle Weise von den Fesseln befreit und stärkte sich an einer Frucht, die vom Baum heruntergefallen war. Diese Erzählung wird manchmal nach Tibet verlegt, und zwar entweder in die Rasar-Gegend (Mangal Singh an Heiler 27. 3. 27, Dok. II, 117, wonach S. S. diese Erzählung 1916 in Pauri berichtete) oder in die Gegend von Kartar Singh's Martyrium (PC 61 f.), und manchmal nach Khantzi an die Grenze von Nepal (Lover 1917, 80; 1918, 93f.; Ap. 1919, 91f.; P-e 1920, 89f., letzteres lt. Ho., Doss. V, 320). S. S. selbst erklärt, er sei zweimal an einen Baum gekettet worden (Brief an Hei.. 23. 9. 24, Dok. I, 3). Die ganze Geschichte, besonders S. S.'s Behauptung, dass sie zweimal geschehen sei, klingt sehr problematisch. Vgl. auch den Aufsatz von Ho.: S. S. chained to a tree at Khantzi, Nepal (14. 6. 28, Doss. V, 319-324). Es gelang mir nicht, Khantzi zu identifizieren.
     

  94. Die Erzählung erinnert an die Geschichte von der Schlange bei Doiwâla (vgl. S. 56). Als S. S. in einer Höhle im Thoria-Distrikt geschlafen hatte, entdeckte er am Morgen an seiner Seite einen mächtigen Panther bzw. Leoparden. Voll Entsetzen stürzte er aus der Höhle, ermannte sich dann aber, kehrte in die Höhle zurück und zog seine Decke unter dem Raubtier fort, das es sich ruhig gefallen ließ (Shaida 46, Doss. Sh 86; Lover 1917, 79; 1918, 92f.; Ap. 90f.). - Str-d 24 f. erzählt das gleiche Erlebnis unter Fortlassung des unglaubhaften zweiten Teiles. - Vgl. auch Ho. in Doss. I, 44 B.
     

  95. Vgl. S. 154.
     

  96. S. S. an Hei., 7. 4. 25, Dok. II, 6.
     

  97. Vgl. die ausführliche Darstellung in Leg. 210-220.

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Zehntes Kapitel

Sundar Singh's Persönlichkeit

Wenn wir uns nunmehr anschicken, ein Bild von Sundar Singh's Persönlichkeit und Charakter zu zeichnen, so wird unsere Aufgabe dadurch erschwert, dass unsere bisherige Untersuchung ein widerspruchsvolles Charakterbild ergibt. Freilich über den Haupteindruck kann wohl kein Zweifel bestehen: Vor uns steht ein Mensch, der in einzigartiger Weise den Typ eines homo religiosus verkörpert. Von Jugend auf bewegten ihn die Fragen der Religion, und er ruhte und rastete nicht, bis er Antwort auf sein tiefstes Suchen und Sehnen gefunden hatte. Hinfort kannte sein Leben nur eine einzige leidenschaftliche Zielsetzung: ein Botschafter des Christus zu sein. Schon im Alter von 17 Jahren begann er seinen selbstgewählten Beruf auszuüben und als wandernder Sadhu die Gottesbotschaft von Ort zu Ort zu tragen, und bis zu jenen verhängnisvollen Apriltagen des Jahres 1929 - 24 Jahre lang - gab es für ihn nur dies eine: ein Zeuge Christi zu sein. In der Hitze der indischen Tiefebene und in der Kälte der Himalaya-Berge, in der Einsamkeit weltentrückter Dörfer und in dem flutenden Leben geschäftiger Großstädte, vor Reich und Arm, Gelehrt und Ungelehrt, im Morgenland wie im Abendland tat er unerschrocken seinen Dienst. Erst als seine Gesundheit zerrüttet war, schränkte er seine Tätigkeit ein. Wenn man sein Leben mit dem vieler anderer indischer Christen vergleicht, so lässt sich kaum leugnen, dass er große Tatkraft und besonders starken missionarischen Eifer besessen hat.

Aber nicht nur das, wir finden auch, dass seine Wirksamkeit von besonderem Segen begleitet war. Inder wie Europäer, Männer wie Frauen, Alte wie Junge erheben ihre Stimme und bezeugen, dass für sie die Begegnung mit Sundar Singh etwas Besonderes bedeutet habe. Noch jetzt redet man beispielsweise in Süd-Indien, wie ich selbst dort hörte, von Sundar Singh's Besuch im Jahre 1919 und gedenkt des Sadhu in Dankbarkeit und Freude. Es waren nicht neuartige Gedanken, die er ausgesprochen hätte, und es war auch nicht eine besondere Glut der Rede, die die Zuhörer gepackt hätte, sondern es war, wie von allen Seiten immer wieder versichert wird, seine christliche Persönlichkeit, die mehr als Worte die Zuhörer in ihren Bann zog. Sein schlichtes Auftreten und sein bescheidenes Wesen, verbunden mit lauterer Gesinnung und zielbewußter Festigkeit, erweckte den Eindruck einer geschlossenen Persönlichkeit. Fast alle, die mit ihm in Berührung kamen, erhielten von ihm den Eindruck eines Menschen, der eine tiefe Herzensfrömmigkeit besaß und im Gebetsumgang mit Gott stand.

Sundar Singh's einstiger Schulkamerad Ralla Ram gibt ihm das Zeugnis: "Er ist so gerade wie ein Schilfrohr und so rein wie eine Glocke" (1). Ist er das? Es scheint nicht so. Denn es gibt einen Missklang, der die Harmonie stört, eine schrille Dissonanz; die unwiderlegliche Tatsache, dass er zu verschiedenen Zeiten Dinge behauptet hat, die sich bei näherer Nachprüfung als unhaltbar herausstellten. Wenn wir von den vielen Punkten absehen, bei denen wir uns mit einem non liquet begnügen mussten, so bleiben doch noch zahlreiche Begebenheiten, die entweder anders verlaufen sind, als Sundar Singh behauptet hat, oder überhaupt nicht stattgefunden haben, trotzdem sie Sundar Singh als eigene Erlebnisse geschildert hat. Wir erinnern an seine Behauptung von seinem 40tägigem Fasten, das bestenfalls nur eine Woche gewährt hat, an seine Kailâs-Reisen von 1912 und 1916 mit all den Einzelheiten über die Begegnung mit dem Maharishi und den Angaben darüber, was er auf dem Wege zum und vom Kailâs erlebt haben will, während in Wahrheit nichts von alledem der Wirklichkeit angehört; wir erinnern weiter an den 7. Juni 1914, an dem Sundar Singh in Ilam gemartert worden sein will, während er tatsächlich anderswo weilte, an seine Behauptung von 1923, er komme aus Tibet zurück, an seine Ilasar-Berichte usf.; ja selbst eine Persönlichkeit wie Tashi Wangdi - wie möglicherweise auch Thapa - existiert überhaupt nicht. Wie passt dies alles zu Sundar Singh's sonstigem Charakterbild? Wird durch diese Sachen sein Christenleben Lügen gestraft und er selbst ein Heuchler und Lügner? Oder gibt es eine Lösung für diesen Widerspruch? Müssen wir um der Sauberkeit willen den Stab über Sundar Singh brechen und vor ihm warnen? Oder gibt es Faktoren, die eine mildere Beurteilung möglich erscheinen lassen oder gar zur Notwendigkeit machen?

Die Schwierigkeit, eine Antwort auf diese Fragen zu finden, liegt vor allem in dem Umstand beschlossen, dass Sundar Singh ein Inder ist. Gerade die letzten Jahre haben die Erkenntnis, dass es rassenmäßige und völkisch bestimmte Charakterprägungen gibt, in die weitesten Kreise unseres Volkes getragen. Wenn man daran denkt, wie schwierig es ist, beispielsweise den russischen Menschen zu begreifen - wir erinnern etwa an die Beobachtungen von Erich Edwin Dwinger -, wird es deutlich, dass es erst recht schwierig sein muss, einen Inder soweit zu verstehen, dass man ihm bei einer kritischen Beurteilung Gerechtigkeit widerfahren lassen kann. Für die Mission ist es freilich ein schon sehr altes Problem. Man braucht nur ein Buch wie etwa das von Niekamp vom Jahre 1740 (2) zur Hand zu nehmen, in dem ein ganzes Kapitel "von der Malabaren Gemüthsbeschaffenheit ..." handelt, um zu sehen, dass bereits seit zwei Jahrhunderten die deutsche Mission mit diesen Problemen ringt. Aber bis zum heutigen Tag gibt es, von vereinzelten Versuchen abgesehen (3), noch keine wirklich erschöpfende und völlig befriedigende Untersuchung über das Wesen des indischen Menschen. Es würde weit über den Rahmen unserer Arbeit hinausgehen, wenn wir an dieser Stelle eine derartige Wesensschau versuchen wollten (4). Tatsächlich wissen wir von der Struktur des indischen Menschentums zu wenig, als dass wir es ohne weiteres versuchen könnten, vom indischen Menschen als von einer gegebenen Größe auszugehen und von da aus ein Verständnis für Sundar Singh zu gewinnen. Aber auch der umgekehrte Weg kommt schwerlich in Frage, dass wir nämlich von Sundar Singh selbst als einen typischen Vertreter indischer Art ausgingen und von ihm aus einen Einblick in indische Wesensart zu gewinnen versuchten. Denn in einem einzelnen Menschen, und wäre er noch so hervorragend, kann sich das völkische Ideal selten völlig ausprägen; und was Sundar Singh betrifft, so war er zugleich Christ und konnte so Charakterzüge entfalten, die für den Durchschnittsinder nicht allgemein charakteristisch sind, wie andererseits in ihm wie in jedem anderen Einzelindividium neben typisch artgemäßen Zügen auch Unarten zu finden sind, die man keinesfalls verallgemeinern darf. Es bedarf deshalb einer gründlichen Vertrautheit mit dem indischen Volkstum, wenn man als Nicht-Inder den Versuch machen will zu sagen, welche Charakterzüge bei einem bestimmten Inder, wie Sundar Singh, als spezifisch indisch anzusehen sind, und welche aus diesem Rahmen herausfallen.

Angesichts dieses Sachverhaltes kommen wir zu dem Ergebnis, dass vorläufig die wissenschaftlichen Voraussetzungen fehlen, um eine bis ins Einzelne gehende Analyse der Persönlichkeit Sundar Singh's vorzunehmen. Gleichwohl können wir uns nicht völlig der Aufgabe entziehen, wenigstens bis zu einem gewissen Grade und selbstverständlich mit den nötigen Vorbehalten eine Deutung Sundar Singh's aus seinem indischen Menschentum heraus zu versuchen. Natürlich kommen auch sonstige Faktoren in Betracht, die dabei in Erwägung zu ziehen sind.

Im Einzelnen drängen sich uns verschiedene bedeutsame Gesichtspunkte auf, die wir bei einer Deutung von Sundar Singh's Persönlichkeit zu beachten haben und die wir kurz nebeneinander stellen.

  1. Sundar Singh war der Sohn eines indischen Dorfes. Was das heißt, kann nur der ganz ermessen, der selbst viel in indischen Dörfern geweilt und auf die Gespräche ihrer Bewohner gelauscht hat. Es ist eine in vieler Hinsicht verzauberte Welt, in der die Inder leben. Andrews zeichnet davon ein anschauliches Bild (5), und ich kann es aus viel kürzerer Erfahrung bestätigen. Der einfältige Dörfler in Indien sieht und hört Dinge, von denen wir nichts ahnen. In der Einsamkeit vernimmt er Stimmen und im Finstern erblickt er übermenschliche Gestalten, die ihm drohend oder warnend in den Weg treten. Seine Götzenprozessionen und Opfer sind umwittert vom Geheimnisvollen. Mehr noch als die anderen steht der Priester auf der Schwelle zwischen der Welt des Sinnlichen und der des Übersinnlichen, da er - häufig jede Woche einmal zu einer bestimmten Stunde - von der Gottheit besessen und zu ihrem Sprachrohr wird, während die anderen Dorfbewohner, Jung und Alt, auf seine Worte achtgeben. Wenn die Seuchen durch das Land ziehen, so ist es die Gottheit, die selbst durch die Dorf Straßen schreitet und die Menschen schlägt. Alles Unglück ist das Wirken unsichtbarer Mächte. Auf Schritt und Tritt sieht sich der Inder von Geheimnissen umwoben. Die Grenzlinie zwischen Sein und Schein, zwischen Wirklichkeit und Einbildung verwischt sich, und Wunder werden zu Selbstverständlichkeiten, wie umgekehrt Alltägliches zum Wunder wird. Vollends aber wird dies genährt durch die Erzählungen der heiligen Schriften der Inder, wie der Puranâs, in denen das Gleiche gelehrt wird. Schon von früh auf wird das kindliche Gemüt mit diesen Märchen und Sagen erfüllt, und noch der Erwachsene glaubt an ihre Wirklichkeit. - Das war die Welt, in der Sundar Singh aufwuchs. Später hat er zweifellos vieles von dem, was er als Kind geglaubt hatte, abgelegt. Aber den Schlüssel zu der Welt des Geheimnisvollen und Wunderhaften verlor er nicht. Schon seine Bekehrung lag auf der Grenze des Wunderhaften. Nun tauchte er in die Welt des Neuen Testamentes ein, die in ganz anderer Weise zu der Seele des Orientalen spricht als zu uns. Dass Christus Wunder wirken konnte, ist dem Inder selbstverständlich. Dass er Gewalt besaß über Krankheit und böse Geister, war das Wenigste, was Sundar erwarten konnte. So bedeutete sein Eindringen in die Welt der Bibel nicht einen Bruch mit der Welt des Geheimnisses, wie er sie bis dahin kannte, wenn natürlich auch eine Reinigung und Läuterung seiner bisherigen Vorstellungen erfolgte. So blieb sein nachfolgendes Leben von wunderhaften Erscheinungen umrankt. Erlebnisse, die uns alltäglich erscheinen, erhielten bei ihm eine symbolhafte Deutung und damit einen tieferen, geheimnisvollen Sinn. Umgekehrt konnten aber auch rein geistige Erlebnisse in die Wirklichkeit projiziert und damit materialisiert werden. So erhalten derartige Erzählungen wie die vom Mann mit dem Lamm, von der nächtlichen Speisung bei Kalyan, von der geheimnisvollen Flussüberquerung auf dem Rücken eines Mannes eine Deutung, die uns Abendländer vielleicht fremdartig anmutet, die aber dem Morgenländer gerecht werden dürfte. Nicht als ob wir alles rationalisieren wollten und die Möglichkeit des Wunders an sich bestreiten. Wir möchten nur deutlich zu machen versuchen, dass Gott zu verschiedenen Menschen verschiedenartig spricht. Anders redet er zu den hochgebildeten Menschen einer hoch entwickelten Kultur mit ihren Spitzenleistungen auf dem Gebiet der Technik und der exakten Wissenschaften, und anders zu den anspruchslosen und naturverbundenen Kindern einer tropischen Welt.
     

  2. Darüber hinaus besaß Sundar Singh eine besonders stark ausgeprägte visionäre Veranlagung. Er war ein Ekstatiker. Man hat es nicht ohne Recht bedauert, dass Sundar Singh den Schleier von diesen Dingen hinweggezogen und in aller Öffentlichkeit von ihnen geredet hat (6). Vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus sind wir freilich dankbar, dass wir dadurch in die Lage versetzt werden, ihn besser würdigen zu können. Allerdings ihn in dieser Hinsicht wirklich zu verstehen, sind wir abendländischen Menschen des 20. Jahrhunderts nur schwer in der Lage. Wir erfahren, dass er zwar in der ersten Zeit seines Christenlebens verhältnismäßig nur selten in den Zustand der Ekstase geriet, sie dann jedoch später für ihn "ein beinahe tägliches Erlebnis" wurde (7), und zwar manchmal für mehrere Stunden ohne Unterbrechung. So wird es uns begreiflich, dass sein Innenleben eine besondersartige Prägung besaß. Das Kennzeichen der Ekstase aber ist nicht eine Schwächung, sondern gerade eine Überhöhung des Bewußtseins, wie Streeter in eingehenden Ausführungen deutlich macht (8). Wenn daher jemand häufig und schließlich fast täglich bei hellwachem Zustand in die Welt des Geistes eintaucht und dabei jede Wahrnehmung der äußeren Welt und jede Empfindung für Zeiteinteilung verliert, wie es bei Sundar Singh der Fall war und es von seinen Freunden auf Grund persönlicher Beobachtungen bezeugt wird (9), wird er nicht nur den irdischen Dingen gegenüber eine andere Stellung einnehmen als ein Nicht-Ekstatiker. sondern er wird beim Rückblick auf sein Leben bei bestimmten Erlebnissen wie einst Paulus schließlich nicht mehr unterscheiden können, ob er dabei im Leibe oder außer dem Leibe gewesen ist (vgl. 2. Kor. 12, 1-4). Von hier aus ergibt sich die Möglichkeit, dass Sundar Singh später Dinge, die er lediglich in der Ekstase geschaut hat, als nicht-ekstatische, gewöhnliche Erlebnisse ansah und in die Wirklichkeit hineinprojizierte. Wenn Andrews meint, dass die angeblichen Unterhaltungen mit dem Maharishi und dessen angebliche Bibelerklärungen aus solchen ekstatischen Zuständen stammen könnten (10), so lässt sich diese Möglichkeit sicher nicht von der Hand weisen. Und da die Ekstase einen Zustand strenger Gedanken- und Gefühls-Konzentration darstellt, wie wir eben sahen, so ergibt sich von hier aus auch die Möglichkeit, dass sich der Erlebnis- und Gedanken-Ablauf bei diesen Ekstasen selbst zu verschiedenen Zeiten in den gleichen Bahnen bewegen konnte. Praktisch bedeutet dies, dass hierdurch die Möglichkeit nahegerückt wird, dass Sundar Singh mehrfach, und zwar in verschiedenen Jahren, ekstatische Erlebnisse hatte, die den Maharishi betrafen, ohne dass dabei die Kongruenz dessen, was er zu verschiedenen Zeiten schaute, in Frage gestellt worden wäre. Und ebenso, wie Sundar Singh in einer Vision - Streeter bezeichnet Visionen als den "Höhepunkt dieser Gedanken- und Gefühls-Konzentration" (11) - jenen Aussätzigen schaute, der nach seiner eigenen Aussage im Jahre 1908 gestorben war, so wäre es auch denkbar, dass Sundar Singh in solch einem Zustand mehrfach auch Tashi Wangdi geschaut hätte, der als Verkörperung eines geheimen Wunsches nach Bekehrung in Tibet entstanden sein könnte. Selbst auch das Rasar-Erlebnis dürfte sich am natürlichsten durch ekstatische Erlebnisse erklären. Jedenfalls erscheint mir diese Deutung viel naher liegend und erheblich ungezwungener als wenn man derartige Erzählungen auf legendäre Motive zurückführt, die Sundar Singh aufgegriffen haben soll (12).

    Dass wir mit dieser Erklärung auf dem richtigen Wege sind, ergibt sich m. E. aus nichts so deutlich wie aus dem Ilam-Erlebnis. Wenn unsere Deutung dieses Erlebnisses richtig ist, so ist dieses geradezu ein Schulbeispiel für die Projizierung eines transzendentalen Erlebnisses in das Diesseits, wobei sich noch heute die einzelnen Stufen dieses Realisationsprozesses deutlich erfassen lassen.

    In diesem Zusammenhang sei eine Äußerung von Andrews erwähnt, die eine überraschende Bestätigung der eben vorgetragenen Gedanken bedeutet: "Ich habe von seinen (Sundar Singh's) Lippen Schilderungen von übernatürlichen Erlebnissen (visitations) vernommen, die mich positiv in dem Glauben bestärkt haben, dass er tatsächlich Dinge in seinem Innenleben (inward things) objektiv geschaut hatte, und zwar in der gleichen Weise, wie ich es als Knabe getan hatte. Nur war bei ihm diese Fähigkeit bis zu seinen Mannesjahren aktiv geblieben. Bei mir selbst dagegen kam sie bereits in meiner Jugend fast zum Erlöschen und trat im späteren Leben nur sehr selten wieder in Erscheinung ..." (13).

    Wenn wir somit versucht haben, Sundar Singh als Inder und als Mystiker zu verstehen, so wird es uns dadurch möglich, für viele seiner ungeschichtlichen Aussagen eine einleuchtende Erklärung zu finden. Freilich werden wir zögern, in der Gabe der Ekstase vorbehaltlos ein "Gnadengeschenk" zu sehen, wie es Heiler tut (14). Luther jedenfalls hat darum gebetet, dass er von derartigen Gesichten und Offenbarungen verschont bleiben möchte. Das Leben Sundar Singh's ist geradezu ein Anschauungsbeispiel dafür, wie verhängnisvoll es werden kann, wenn durch das ekstatische Erlebnis der natürliche Wirklichkeitssinn beeinträchtigt wird. Wir sind der Überzeugung, dass seine Berichte über den Maharishi nicht nur anderen, sondern auch ihm innerlich eher geschadet als genützt haben. Und wenn Sundar Singh in seinen Ekstasen tatsächlich Umgang mit derartigen Geistwesen wie den Maharishi gehabt hat, so ergibt sich daraus, dass seine Ekstasen von bedenklichen Erscheinungen nicht frei geblieben sind, soweit es sich um ihren Inhalt handelt. Ekstasen an sich brauchen nichts Krankhaftes zu sein. Wir denken nur an die apostolische Zeit zurück. Aber im Blick auf die Ekstasen Sundar Singh's können wir Bedenken nicht unterdrücken. Vielleicht hat Pfister letztlich doch nicht Unrecht gehabt, als er in seinem Legendenbuch zu der Feststellung kam, dass beim Sadhu u. a. "erhebliche Störungen der Realitätsfunktion" und somit psychopathische Züge zu beobachten seien (15). Wenn wir somit bei ihm von krankhaften Zügen, und zwar eben vor allem im Blick auf seine Ekstasen, reden, so tun wir es allerdings mit aller Zurückhaltung, weil wir als Abendländer über einen Morgenländer urteilen. Was uns bereits als krankhaft anmutet, kann gleichwohl in seinen Anfangsformen in den Augen der Inder noch als unbedenklich empfunden werden.
     

  3. Schließlich kommen wir zu einem weiteren Punkte, den wir anzufügen haben. Wir haben bisher Sundar Singh von seiner völkischen Bedingtheit, wie von seiner religiösen Prägung her zu verstehen versucht. Und doch genügt es noch nicht, um alle seine Aussagen verständlich zu machen. Nunmehr haben wir noch eine dritte Linie aufzuweisen. Sundar Singh war ein indischer Mensch und ein religiöser Mensch; dabei war er aber immer Mensch. Maurice Bonnard bringt es auf die Formel: "Er ist ein großer Evangelist und ein großer Christ, aber er ist ein Mensch, der noch nicht zu dem vollkommenen Maße Christi durchgedrungen ist" (16). Obschon man in den meisten Fällen, wie mir scheint, damit rechnen kann, dass Sundar Singh in aller Ehrlichkeit an die Objektivität der Ereignisse geglaubt hat, die in Wirklichkeit nur subjektiv waren, so fehlt es doch nicht an einzelnen Episoden, die den Schluss nahe legen, dass Sundar Singh tatsächlich in, wenn auch vereinzelten Fällen, von seinen Erlebnissen bewusst falsche Vorstellungen zu wecken versucht hat. So kann man sich zum Beispiel im Jahre 1923, wo er behauptete, geradewegs aus Tibet zurückzukehren, oder zu der Zeit, wo er von der Gyantse-Schule redete, nicht dem Eindruck entziehen, dass er es mit der Wahrheit nicht genau genommen hat. Wir würden diesen Punkt sehr stark betonen müssen, wenn wir die Überzeugung gewonnen hätten, dass er beispielsweise die Todesdepeschen selbst abgesandt hätte oder bei ihrer Absendung beteiligt gewesen wäre. Da dies aber, wie wir in unserer Untersuchung feststellten, nicht in Frage kommt, handelt es sich im Ganzen nur um sporadische Einzelheiten, die den Verdacht einer Unwahrhaftigkeit Sundar Singh's nahe legen. Und zwar sind es stets Dinge in Verbindung mit seinen Tibet- oder Nepal-Reisen. Man fühlt sich manchmal versucht, bei Sundar Singh von einem Tibet- und Nepal-Komplex zu reden, wenn man sieht, wie er geradezu krampfhafte Bemühungen macht, in jenen Gebieten das Evangelium zu predigen. Die Gerechtigkeit erfordert allerdings, dass wir sofort einen Faktor nennen, der das Entstehen eines solchen Komplexes begünstigt haben mag. Wir meinen vor allem den Kult, der mit dem Sadhu getrieben worden ist. Die Schriften von Zahir stempelten ihn ja geradezu zu einem Heiligen. Aber nicht nur durch seine indischen Freunde, sondern auch durch Missionsleute ist er in ungewöhnlichem Maße verherrlicht worden. Vollends seine Besuche in Europa führten dazu, dass geradezu Lobeshymnen auf ihn angestimmt wurden-, erklärlich ist dies nur aus der damaligen Zeitlage, wo nach den seelischen Verwüstungen des Weltkrieges eine besondere Empfänglichkeit für die Botschaft des Evangeliums und damit für einen Evangelisten wie Sundar Singh bestand, wo aber auch zugleich die Gefahr einer besonderen Wertschätzung gerade der wunderhaften Züge von Sundar Singh's Erlebnissen bedenklich zutage trat. So geriet Sundar Singh in Versuchung, nun auch seinerseits die romantische Seite seiner Reiseerlebnisse besonders zu betonen, und so mag seine Vorliebe für das verschlossene Tibet und Nepal, über das seine Freunde im Morgenland und Abendland zu allem Überfluss immer Neues hören wollten, für ihn zum Fallstrick geworden sein. Schließlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass der Sadhu bei seinen Reisen im Jahre 1912 und 1916 überhaupt erst 24 bzw. 28 Jahre alt war, also noch außerordentlich jung. In späteren Jahren hat Sundar Singh vielfach bedeutend größere Zurückhaltung bewahrt und viel besonnener über seine Erlebnisse gesprochen, wenn er es nicht vorzog, über sie ganz zu schweigen.

    Gleichwohl, die Tatsache, dass Sundar Singh zuzeiten es mit der Wahrheit nicht genügend genau genommen hat, macht ihn schuldig. Wir denken dabei nicht nur an das, was er gesagt hat, sondern auch an das, was er nicht gesagt hat. Wenn wir im 1. Kapitel unserer Untersuchung darauf hingewiesen haben, dass Sundar Singh bei den Büchern von Zahir und Frau Parker in erster Linie darauf gesehen habe, ob sein inneres Wollen klar zum Ausdruck gekommen sei, so ergab sich doch auf der anderen Seite, dass er den Einzelheiten über die Erlebnisse, die über ihn berichtet wurden, ziemlich gleichgültig gegenüber stand. Nachdem wir nunmehr auch festgestellt haben, dass er selbst bei seinen eigenen Berichten nicht immer die nötige Gewissenhaftigkeit walten ließ, liegt genug Grund vor, dass wir dies Verhalten Sundar Singh's, so sehr es auch dem orientalischen Menschen, und zwar selbst den Christen, verständlich sein mag, als mit der Wahrheit im Widerspruch stehend ablehnen. Denn die Wahrhaftigkeit soll sich nicht nur auf die inneren Bezirke unseres Erlebens erstrecken, sondern auch bis in die Verästelungen unseres äußeren Seins. Und das war bei Sundar Singh nicht der Fall, wenigstens nicht immer. Wir haben keinen Anlass, diesen Mangel bei Sundar Singh zu verschweigen. Wir wissen nur zu gut, dass jeder Mensch seine Schwächen hat. Deshalb haben wir bei einer Beurteilung der Persönlichkeit des Sadhu die Pflicht, auch von seinen Fehlern zu reden. Wenn wir die Frage der Heiligung der christlichen Persönlichkeit bei ihm aufwerfen wollen, so müssen wir feststellen, dass er trotz aller Bemühungen, ein Leben in der Nachfolge Christi zu führen, oft noch weit hinter dem Ideal zurückgeblieben ist. Der mangelnde Wahrheitsernst ist es, der sein Charakterbild trübt. Bei ihm wie bei vielen anderen Christen, die eben erst dem Heidentum entwachsen sind, finden sich häufig stark in die Augen springende Charakterschwächen, die jedoch gepaart sind mit besonders starker Bekennerfreudigkeit. In dieser Hinsicht erweist sich Sundar Singh als ein typischer Christ der ersten Generation, der mit starkem Eifer auch starke Schwächen vereint. Umso größer aber erscheint uns die Barmherzigkeit Christi, der diesen Sohn eines einsamen indischen Dorfes trotz seiner Fehler zu seinem Rüstzeug erkor und sein Wirken Ungezählten zum Segen werden ließ.

Damit stehen wir am Ende unserer Arbeit. Noch einen Augenblick halten wir inne und blicken zurück. Die Frage, an der sich die Geister schieden und von der wir auszugehen hatten, lautete, ob Sundar Singh ein Betrüger oder ein Heiliger war. Die Antwort auf diese Frage findet sich auf den vorhergehenden Seiten. Sie ist ihrem Wesen nach, wie es nicht anders sein kann, eine Hypothese, allerdings, wie wir meinen, eine wissenschaftlich wohlbegründete Hypothese. Urteile über andere Menschen müssen und werden stets nur mit Vorbehalt gemacht werden. Denn wir sehen nur, was vor Augen ist. Dem unvoreingenommenen Leser müssen wir es überlassen, zu entscheiden, ob unsere eigene Charakterdeutung Sundar Singh gerecht wird oder nicht.

Ende

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Anmerkungen

  1. Brief an Hei., 28. 8. 25, Dok. II, 67.
     

  2. Niekamp: Kurzgefasste Missionsgeschichte oder historischer Auszug der evangelischen Missions-Berichte aus Ost-Indien von dem Jahre 1705 bis zum Ende des Jahres 1736 ... Halle, Waisenhaus, 1740.
     

  3. Vgl. z. B. H. W. S c h o m e r u s : Die Eigenart des indischen Geisteslebens gegenüber dem europäischen und christlichen (enthalten in dem Sammelband von Althaus: Die Weltreligionen und das Christentum, München 1928); Dr. Ihm eis: Wie gelangen wir zu einer gerechten Beurteilung indischen Menschentums? "Lutherisches Missions-Jahrbuch für das Jahr 1934'', Leipzig, p. 10-25.
     

  4. Ich hoffe, in absehbarer Zeit einen kurzen Beitrag zu dieser Frage, die mich schon länger beschäftigt hat, zu veröffentlichen.
     

  5. Andr. 152 ff.
     

  6. Vgl. besonders die Schrift von S. S.: Geschichte aus der jenseitigen Welt (s. Literatur-Verzeichnis): vgl. auch Str-d 89-125; «H 91-95.
     

  7. Str-d 107.
     

  8. a. a. O. 106 ff.
     

  9. a. a. O. 
     

  10. Andr. 159 f.
     

  11. Str-d 114.
     

  12. So z. B. Leg. 290-292. Grundsätzlich angesehen bereitet es erhebliche Schwierigkeiten, S. S.'s Berichte, soweit sie unhistorisch sind, in wirklich befriedigender und einleuchtender Weise auf Legenden zurückzuführen, die ihm von vornherein bekannt waren. Wenn es Tatsache wäre, dass S. S. Legenden einfach als eigene Erlebnisse wiedergibt, wäre man m. E. genötigt, in S. S. einen Simulanten oder Phantasten zu erblicken. Es bleibt mir unverständlich, dass Hei. nichts Belastendes darin erblickt, wenn S. S. wirklich legendäre Stoffe als eigene Erlebnisse ausgegeben haben sollte.
     

  13. C. F. Andrews: What I owe to Christ. Hodder & Stoughton, London 31934, 34.
     

  14. 4H 91.
     

  15. Leg. 252.
     

  16. Maurice B o n n a r d : Une polemique sur le Sadhou S. S. "Revue de Theologie et de Philosophie", Lausanne, N. S. 14, 1926, 155.

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