Veroeffentlichungen von Carl Paul 2

Gaebler Info und Genealogie

Home neu • Genealogie • Christoph Gäbler • Hannelore  Schwedes • Indien • Ökumene • Politik • Bildung • Kunst • Was noch? • Privat • Kontakt • Suchen
 

Carl und E. Paul
Carl Paul
Dokumente 1
Dokumente 2
Togo
Kamerun
Ostafrika 1
Ostafrika 2
Ostafrika 3
Südwestafrika 1
Südwestafrika 2
Südseeinseln 1
Südseeinseln 2
Tagebuch 1
Tagebuch 2
Pfarramt Lorenzkirch
Pfarrer Lorenzkirch
Georg H. Sappuhn
Lorenzmarkt
Otto Baltzer

Fortsetzung der Veröffentlichungen von Carl Paul

Inhalt

zum Inhaltsverzeichnis


Rückblick auf das Jahr 1900 [1]

Von Pastor Carl Paul in Lorenzkirch

 Allgemeine Missions-Zeitschrift, Berlin 1901, Seite 25 - 37 und 70 - 89

213 KB

I.

Das vergangene Jahr wurde in den evangelischen Missionskreisen aller Länder als Schlussstein des Missionsjahrhunderts gefeiert. Wie manches Ebenezer ist da in Festpredigten und Konferenzansprachen gesetzt worden! Aus der unabsehbaren Menge der Versammlungen ragen zwei besonders hervor, die ausdrücklich an die Wende der Jahrhunderte gelegt waren, um die Missionsarbeiter zu einem dankbaren Rückblick und zu arbeitsfreudigem Ausblick zu veranlassen: die Weltmissionskonferenz in New York und die Jahrhundertfeier in Herrnhut. Es ist nicht nötig, auf die Einzelheiten dieser beiden Zusammenkünfte, die allen Teilnehmern unvergesslich sind, einzugehen. Die Leser dieser Zeitschrift sind bereits davon unterrichtet. Über die vom 21. April bis 1. Mai tagende Missionskonferenz jenseits des Ozeans hat D. Merensky im Juli, September und Oktober des vorigen Jahrgangs ausführlich Bericht erstattet, von den Herrnhuter Tagen (6. bis 10. Juni) aber gab D. Warneck ein Stimmungsbild in der Julinummer. Unter den literarischen Erscheinungen des letzten Jahres befinden sich auch die Berichte über beide. Der amerikanische ist ein starkes zweibändiges Werk geworden, der deutsche zerfallt in zwei mäßig starke Broschüren, deren erste den eigentlichen Festbericht, von der Missionsdirektion der Brüderunität erstattet, bringt, während die andere die vier wichtigsten Vorträge  und die  Schlusspredigt im Wortlaut enthält.

Der Umstand, dass fast gleichzeitig eine Jahrhundertfeier in Deutschland und in Amerika gehalten wurde, erklärt es zum Teil, dass aus den deutschen Missionskreisen nur sehr wenige Männer auf der Weltkonferenz in New York erschienen. Es waren im ganzen drei, zwei von ihnen seitens des Ausschusses der deutschen Missionen deputiert; eine kleine Zahl in unserer reiselustigen Zeit und bei dem bequemen Schnelldampferverkehr mit New York, Den tiefer liegenden Grund wird man darin zu suchen haben, dass die Art, wie die Missionsleute englischer Zunge Feste feiern und Konferenzen halten, uns Deutschen nicht ganz sympathisch ist, so sehr wir auch bei anderer Gelegenheit die Solidarität der evangelischen Mission aller Sprachen und Nationalitäten betonen. Die Engländer und Amerikaner treiben auch bei ihren Missionsversammlungen mehr Gepränge als wir; vor allem aber sagt es dem gründlicheren Deutschen nicht zu, dass die erdrückende Menge der Vorträge ihrer Qualität vielfach Eintrag tut. Auch dies Mal wieder war das New Yorker Konferenz-Programm ganz ungeheuer überladen. Unsere englisch redenden Vettern lieben multa, wir multum. Dies charakterisiert auch die beiderseitigen Konferenzen.

Neben den Vorträgen der deputierten deutschen Vertreter kam die deutsche Auffassung der Missionsaufgaben der Gegenwart übrigens auch in dem Sendschreiben zum Ausdruck, das der Herausgeber dieser Zeitschrift an die Missionskonferenz in New York richtete. [2] Was Warneck da den Engländern und Amerikanern zu bedenken gab, hat freundliche Aufnahme gefunden, obgleich es manche ihnen unbequeme Wahrheit enthielt.

Für zwei der deutschen Gesellschaften ist das vergangene Jahr in besonderem Sinne ein Trauerjahr geworden. Die Norddeutsche Mission verlor ihren Inspektor D. Franz Michael Zahn, und fast zu gleicher Zeit starb der Gründer der Schleswig-Holsteinschen Missionsgesellschaft P. Ch. Jensen in Breklum. Inspektor D. Zahn gehörte zu den Großen unter den deutschen Missionsmännern. Was er in den 38 Jahren seiner Amtstätigkeit der Norddeutschen Mission gewesen ist, dafür haben seine Freunde in Bremen mündlich und schriftlich manch schönes Zeugnis abgelegt. Aber er gehörte nicht nur den Missionskreisen dieser Stadt und ihrer Umgebung. Er war einer der Wortführer in der gesamten deutschen Mission. Sein scharfer Geist befähigte ihn besonders, Probleme zu lösen und bei neu auftauchenden Fragen Richtlinien zu ziehen. Die Besucher sowohl der kontinentalen Missionskonferenz wie der verschiedenen deutschen Provinzial-Missionskonferenzen, von denen er die Hallesche am meisten besuchte, sind oft mit großer Befriedigung seinen geistvollen Darlegungen gefolgt, die später fast regelmäßig weiteren Kreisen durch den Druck zugänglich gemacht wurden. In der Polemik schlug er eine scharfe Klinge; die afrikanischen Branntweinhändler haben sie reichlich zu fühlen bekommen. [3] Sein Nachfolger in Bremen wurde P. Schreiber, bisher am Diakonissenhaus in Kaiserswerth, ein Sohn des bekannten Inspektors der Rheinischen Mission. P. Jensen in Breklum trat in der Öffentlichkeit weniger hervor, dafür war er um so inniger mit der Schleswig-Holsteinschen Mission und den andern Liebeswerken seiner engeren Heimat verwachsen. Er hat die erstere am 19. September 1876 ins Leben gerufen und in den Jahren seither aus kleinen Anfängen großgezogen. Seine Mission hat es im letzten Jahre auf 147.000 Mark Jahreseinnahme gebracht, was umso beachtenswerter ist, als sie es mit einem räumlich beschränkten Unterstützungsgebiet zu tun hat. Jensen war die Seele der Arbeit; er hatte aber auch, wie jemand bei seinem Tode sagte, den Glauben, der Berge versetzt.

Sonst hat das vergangene Jahr im Bereich der deutschen Gesellschaften keine wesentliche Veränderung gebracht. Zwischen der Heimat und den Missionsfeldern fand allerdings ein lebhaftes Kommen und Gehen statt. Im Herbst, wo die meisten Missionare auf die südlichen Arbeitsfelder reisen, konnte man ganze Scharen ausziehen sehen. Binnen wenigen Wochen entsandte, um nur einige Gesellschaften zu nennen, die Baseler Mission elf Geschwister allein nach Westafrika, Leipzig 13 nach Ostindien, Berlin I 18 nach China und Afrika, Berlin III sechs nach Deutsch-Ostafrika, während aus Barmen kurz nach einander zwei große Reisegesellschaften abgingen: zusammen 19 Personen. Jetzt können auch wir Deutschen von "großen Scharen Evangelisten" reden.

Erfreulich sind die Ernteerträgnisse, von denen auf den Jahresfesten zu berichten war. Die Zahl der den 16 älteren deutschen Missionsgesellschaften zugehörigen getauften Heidenchristen ist von 346.495 auf 361.550 gestiegen. In Summa beträgt sie mit Einschluss der neueren Missionsorganisationen am Ende des Jahrhunderts 369.493 und die 35.579 Katechumenen hinzugerechnet: 405.072 (vergl. die statistische Übersicht in dieser Nummer). Die Zahl der deutschen Missionare vermehrte sich auf 800; die Beiträge sind auf 5.367.127 Mark gestiegen, während die Ausgaben sich auf 5.449.276 Mark belaufen. Ebenso hat auf dem Missionsgebiete manche neue Stationsgründung stattgefunden, freilich ist auch manche alte Missionsstation wenigstens vorläufig zerstört worden, so in Asante und in China.

Einer der alten Missionsvereine feierte in aller Stille sein 50jähriges Jubiläum, der Frauenverein für China. In ihm trat seiner Zeit die erste spezielle Vereinigung deutscher Missionsfreunde für das ostasiatische Heidentum zusammen; die Baseler und die Rheinische Mission hatten schon vorher Missionare nach China gesandt. Gützlaff war neben P. Knak der eigentliche Gründer des Vereins, der seine Arbeit bekanntlich auf Hongkong tut, wo 1861 das große Findelhaus  gebaut wurde. In den 50 Jahren seines Bestehens hat er 28 Sendboten männlichen und weiblichen Geschlechts dorthin geschickt.

In Süddeutschland sind einige neue Missionskonferenzen in der Entstehung begriffen. In Horb, Ulm und Hall liegen die Brennpunkte der Bewegung. Man scheint sich im Süden aber nicht für derartig geschlossene Vereinigungen entscheiden zu können, wie wir sie in Norddeutschland schon seit Jahren haben. Auch zieht man dort die Kreise noch enger, da Württemberg allein drei Missionskonferenzen zu verzeichnen hat. Es werden auch solche aus der Schweiz erwähnt, sie tragen aber immer nur den Charakter bloßer Zusammenkünfte, den sie in Norddeutschland bekanntlich ganz verloren haben. Die Schleswig-Holsteinsche Missionskonferenz hat die Freude erlebt, dass ihr Vorsitzender, Propst Wallroth in Altona, zum Generalsuperintendenten von Holstein ernannt wurde.

Br. Lepsius, der Freund der Armenier, sucht die christlichen Kreise Deutschlands für eine Orientmission zu interessieren; sie ist jedoch vorläufig noch nicht über das Stadium eines Projekts hinaus gediehen. Seit er von einer achtmonatlichen Reise durch Kleinasien, Armenien zurückgekehrt ist, wirbt er für sie durch eine neue Zeitschrift "Den christlichen Orient". Sie erscheint monatlich und wird in Berlin W. 10, Lützow Ufer 5 ausgegeben. Teils im Zusammenhange mit den Lepsiusschen Plänen, teils unabhängig von ihnen beschäftigt die deutschen "Gemeinschaftskreise" der Gedanke, ein eigenes Missionsunternehmen ins Werk zu setzen und ein Schwiegersohn des Gründers und Leiters des East, London Institute's, Grattan Guinness, ein bisher in Deutschland völlig unbekannter Herr Kumm, macht für eine etwas abenteuerliche "Sudan-Pionier-Mission" in diesen Kreisen Propaganda. Angesichts der neuen Zersplitterung der deutschen Missionskräfte, der Missionspflicht, die wir gegen unsere Kolonien haben und der Gefahr einer wachsenden Isolierung der Gemeinschaftskreise von den landeskirchlichen Missionsfreunden kann man diesen Unternehmungen gegenüber nicht ohne ernste Bedenken sein.

Von verschiedenen Seiten hat man im vergangenen Jahre den Versuch gemacht, die deutsche Kinderwelt mehr für die Mission zu erwärmen. Neben den verschiedenen schon längere Zeit bestehenden Missionsblättern für die Jugend, von denen als neuere nur die von P. Spieß in Breslau herausgegebene "Kindergabe" und das in Neukirchen erscheinende "Jugendmissionsblatt" mit einer Auflage von je 30.000 Exemplaren erwähnt seien, traten drei weitere Kindermissionsblätter ins Leben, nämlich  in Basel, Herrnhut und Leipzig. Sie   haben binnen Jahresfrist eine schon weite Verbreitung gefunden. Die "Kleine Missionsglocke" des Leipziger Missionsverlags brachte es in den ersten neun Monaten auf 65.000 Abonnenten. Einen solchen Erfolg hat noch kein Missionsblatt in Deutschland gehabt!

Der früher schon wiederholt unternommene Versuch, die Tagespresse regelmäßig mit zuverlässigen Mitteilungen aus der Heidenmission zu versorgen, stand an verschiedenen Orten aufs Neue zur Beratung. In Herrnhut beschäftigten sich die Vertreter der Missionskonferenzen in einer Nebenversammlung damit. In Nürnberg wurde bei Gelegenheit der bayerischen Festwoche in Anlehnung an einen Vortrag des Pf. Seiler aus Feucht darüber verhandelt. Die Missionskonferenz im Königreich Sachsen aber hat mit dem 1. Oktober vorigen Jahres die Herausgabe einer Pressekorrespondenz mit dem Titel ,,Neue Nachrichten aus der Heidenmission" ins Werk gesetzt. Es haben sich schon im ersten Vierteljahr über 200 Subskribenten aus allen Teilen Deutschlands gefunden.

Die Universitäten treten jetzt in ihrer Gesamtheit mehr und mehr aus der ehemaligen Zurückhaltung gegenüber der Mission heraus. Im Sommersemester 1900 gab es Missionsvorlesungen in Basel, Berlin, Bern, Göttingen, Halle, Jena und Straßburg; im Wintersemester traten Erlangen, Königsberg, Leipzig, Marburg, Lausanne und Paris hinzu. Einige dieser Namen erscheinen zum ersten Male in diesem Zusammenhang und sind darum mit doppelter Freude zu begrüßen.

Unter den politischen Ereignissen der letzten Zeit hat keins die Missionskreise so in Mitleidenschaft gezogen, wie dir Wirren in China. Wir werden ihre Wirkungen auf den Missionsbetrieb draußen später noch einmal berühren. Aber auch die Missionsgemeinde in der Heimat wurde dadurch stark in Bewegung gebracht. Es traten hässliche Dinge hervor. Man konnte noch mit einem mitleidigen Seufzer darüber hinweggehen, dass das deutsche Publikum es sich bieten ließ, wenn geldgierige Verleger von Ansichtspostkarten die Zerstörung von Missionsstationen in China mit all ihren grausigen Einzelheiten abbildeten und diese abscheulichen Bildwerke zu Tausenden absetzten. Mit tiefer Betrübnis aber musste es jeden Missionsfreund erfüllen, als jene widerwärtige Zeitungspolemik, die an den Namen v. Brandt anknüpfte, das Haupt erhob und von der urteilslosen Presse durch alle Teile Deutschlands weitergetragen wurde. Es zeigte sich, dass es eine verfrühte Hoffnung war, wenn man in Missionskreisen annahm, die öffentliche Meinung in Deutschland und die sie regierende Tagespresse habe in den letzten zehn Jahren mehr Wohlwollen und Verständnis für die Heidenmission bekommen. Bei einigen Zeitungen trifft das ja zu, aber die große Menge fällt, wie wir gesehen haben, auch heute noch dem ersten besten Verleumder der Mission in die Hände; er braucht sich noch nicht einmal, wie jener chinesische Gesandte a. D. mit dem Nimbus des "Kenners" zu umgeben. Selbst angesehene Redaktionen, wie die der "Hamburger Nachrichten" gaben den unqualifizierbaren Auslassungen eines kaufmännischen Jünglings Raum, der konstatierte, dass man bei der Ermordung der Missionare Schadenfreude empfände. Es wird noch vieler erzieherischer Einflüsse auf die öffentliche Meinung bedürfen, ehe wir bessere Zustände in unserer Tagespresse erwarten können. An Bemühungen in dieser Richtung haben es die Vertreter der Mission ja auch in diesem Falle nicht fehlen lassen. Es ward ein regelrechter Zeitungs- und  Broschürenkampf gegen die Verleumder geführt. Männer wie Warneck, Maus, Horbach und andere griffen zur Feder, um einesteils die irregeleitete öffentliche Meinung auf den rechten Weg zu bringen und andererseits die Verquickung von Mission und Politik, wie sie von der römischen Mission gerade auch in China planmäßig betrieben wird, in ihrer Gefährlichkeit zu bekämpfen. Über dem großen Zeitungskampf ist übrigens ein kleinerer, den der bekannte Militärschriftsteller und Weltreisende Tanera hervorrief, in weiteren Kreisen ziemlich unbemerkt geblieben. [4] Er spielte sich in sächsischen Blättern ab und ging von einer indischen Reisebeschreibung aus. Tanera sprach da in dem gewöhnlichen Tone der Weltreisenden abfällig über die Mission und die eingeborenen Christen. Er musste es aber erfahren, dass man heutzutage die Mission doch nicht mehr ungestraft schmähen darf. Verschiedene Geistliche und ein indischer Missionar parierten seine Angriffe. Leider erwies sich der Herr Hauptmann a. D. auch für die schlagendsten Beweisführungen als unzugänglich. Seine letzte Entgegnung im "Rochlitzer Tageblatt" enthält einige Sätze, die wir festnageln müssen, weil sie von einem sonst so geschätzten Schriftsteller herrühren: "Die Mission bei hochgebildeten Völkern, wie es Chinesen und Japaner sind, ist direkt unmoralisch. Sie bringt in Familien, welche unter dem Schutze ihrer Religion seit Jahrtausenden in Ruhe gelebt haben, Hass und Streit. Keine Mission hat dort Dauererfolg. Dagegen endet die sogenannte Bekehrung stets in Mord und Massentotschlag." Eine Auseinandersetzung mit derartigen Missionsgegnern führt zu nichts. Wir müssen diese Art nach und nach aussterben lassen. [5] Dass übrigens speziell für die evangelische Mission dieser Presse-Feldzug nicht unrühmlich verlaufen ist, dafür finden die Leser an einer andern Stelle dieser Nummer die Beweise.

Endlich kann hier ein Beschluss der letzten Eisenacher Kirchenkonferenz nicht unerwähnt bleiben, weil er geeignet ist, der Mission, wenn auch nur mittelbar, zu dienen. Die Vertreter der deutschen Kirchenregierungen haben die kirchliche Versorgung der im Auslande wohnenden evangelischen Deutschen als eine dringlich gewordene Aufgabe ihrer Landeskirchen anerkannt und beschlossen, die kirchlichen Bedürfnisse der ausländischen Diaspora mehr als bisher zu ermitteln und deren Befriedigung zu vermitteln. Wenn dieser Beschluss, wie man hoffen darf, bald zur Ausführung gelangt, wird nicht nur ein schreiender kirchlicher Notstand aus der Welt geschafft, sondern auch ein schwerer Schaden von der Heidenmission abgewandt. Denn das unkirchliche und unchristliche Verhalten vieler Europäer ist eins der anstößigsten Hindernisse für den Missionserfolg.

Die Missionskonferenz im Königreich Sachsen hat der indischen Mission einen Hilfsdienst zu leisten versucht durch ein Preisausschreiben, das eine wissenschaftliche Darstellung der religiösen und philosophischen Grundanschauungen der Inder und eine Beurteilung derselben vom christlichen Standpunkte aus forderte. Es liefen acht Bearbeitungen des Themas ein (drei aus Deutschland, zwei aus England und drei aus Indien). Das aus den drei Universitätsprofessoren Windisch, Lindner (beide in Leipzig) und v. Schröder (Wien) bestehende Preisrichter-Kollegium krönte die Schrift des Baselers Missionars W. Dilger in Ostindien. Als beachtenswert hervorgehoben und für die Drucklegung empfohlen wurden noch die Arbeiten von P. Happel in Heubach und P. Kreyher in Groß-Laeswitz.

zum Inhaltsverzeichnis


Frankreich

Wenn wir nun unsere Umschau auf die evangelischen Missionskreise in anderen Ländern ausdehnen, so bietet uns zunächst das benachbarte Frankreich das erquickliche Bild eines musterhaften Missionseifers unter den Freunden der Pariser Missionsgesellschaft. Die Seelenzahl der französischen Protestanten beträgt nur ca. 650.000, und doch konnte die Pariser Missionsgesellschaft beim letzten Kassenabschluss eine Jahreseinnahme von rund 900.000 Francs feststellen. Die Ausgaben waren freilich noch höher, aber es fanden sich bald Freunde, die das entstandene Defizit bereits vor dem Jahresfest deckten. Die Anforderungen, die an diese Gesellschaft herantreten, haben sich gerade in der jüngsten Zeit sehr vermehrt. Die französische Kolonialregierung führt den Grundsatz, dass in ihren Gebieten nur französische Missionare tätig sein sollen, mit rigoroser Strenge durch. Infolge dessen muss die mit Arbeit schon überladene Pariser Gesellschaft immer wieder neue Aufgaben übernehmen, wenn Frankreich eine neue Kolonie erwirbt. Von den sieben verschiedenen Missionsfeldern (Sotholand, Sambesi, Senegambien, Kongo, Tahiti, Neukaledonien und Madagaskar) kamen neuerdings Bitten um vermehrte Arbeitskräfte, es konnten aber aus Mangel an Personen 25 Stellen nicht besetzt werden. Bei dem beschränkten Zuflussgebiet in der Heimat kommt die Gesellschaft natürlich auch einmal an die Grenze ihrer Kräfte. Man kann sich nur freuen, wenn es ihr gelingt, neue Quellen aufzuschließen, wie das z. B. im letzten Jahre geschah, wo die in St. Petersburg wohnenden evangelischen Franzosen unter sich einen kleinen Sammelverein gründeten, der in Form von "Missionskopeken" den Pariser Freunden unter die Arme greift. Das weitverzweigte Werk der Gesellschaft wird auf allen Seiten von warmer Sympathie getragen. Man wird selbst mit warm, wenn man die Berichte über eine Abordnungsfeier im Diakonissenhause zu Paris oder in der evangelischen Stadtkirche von Reims oder im fernen Alpental von Torre Pellice liest. Leider hat die Gesellschaft einen schweren Verlust in ihrem Missionshause zu beklagen. Am 21. Juli starb Professor Hermann Krüger, der theologische Lehrer an ihrem Seminar, ein Mann, gleich ausgezeichnet als Missionsgelehrter wie als Christ. Als man am 16. Oktober in Paris seine Gedächtnisfeier hielt - er war während der Ferien in Basel heimgegangen - konnten seine Freunde und Schüler kaum Worte genug finden, den großen Verlust zu kennzeichnen, den sie alle erlitten. Professor Krüger war auch bei den deutschen Missionsmännern ein gern gesehener Gast, wenn er zu besonderen Gelegenheiten z, B. der kontinentalen Missionskonferenz unter ihnen erschien. Im Elsass geboren, gab er sich in seinem Empfinden, Reden und Handeln durch und durch als Franzose, aber seine Losung war, wie er in Bremen sagte: nationalisare non necesse est, amare necesse est. [6] 

Die Weltausstellung gab der Pariser Missionsgesellschaft Veranlassung, sich mit einer Darstellung ihrer Arbeiten  zu beteiligen. Sie erhielt dafür zwei goldene Preise, ihre beiden Missionare Mondain und Chazel wurden obendrein durch je eine silberne Medaille ausgezeichnet. Im "Journal des Missions évangéliques" lesen wir darüber: "Wir legen diesen Auszeichnungen, wie unsere Freunde wissen, nur einen relativen Wert bei, denn wir arbeiten für Gott, für das Seelenheil der Menschen, für die Zwecke der Humanität und nicht in Erwartung menschlicher Vergeltung. Und doch kann es uns nicht gleichgültig sein, welche Meinung die Menschen von unserem Werke haben. Denn diese öffentliche Meinung ist eine Macht, mit der wir mehr oder weniger rechnen müssen." Es war seiner Zeit derselbe Beweggrund, der die deutschen Gesellschaften veranlasste, sich bei der Berliner Kolonialausstellung zu beteiligen.

Mit der Pariser Ausstellung waren übrigens auch verschiedene Kongresse verbunden, die das Missionswesen berührten. Auf einem derselben wurde eine neue Statistik über die Religionen der Erde vorgelegt, in der unter anderem ziffernmäßig nachgewiesen wurde, wie viel schneller sich die christlichen Völker vermehren, als die heidnischen und mohammedanischen; auf einem andern Kongresse suchte man die Antisklavereibewegung aufs neue zu schüren, aber fast ausschließlich im Interesse der römischen Kirche; letztere macht neuerdings auch in Österreich Anstrengungen, die Frage noch einmal in Fluss zu bringen. Ebenso wurden über die humane Behandlung der Eingeborenen nicht unfruchtbare Verhandlungen geführt.

zum Inhaltsverzeichnis


Holland

In den holländischen Missionskreisen ging es still zu. Die Niederländische Sendlingsgenossenschaft nahm vor einigen Jahren bei ihrem 100jährigen Jubiläum einen neuen Anlauf. Der dabei zu Tage getretene Eifer scheint aber wenig Nachhaltiges geschaffen zu haben, wenigstens sind die damals gewachsenen Einnahmen wieder zurückgegangen. Ihr Missionsdirektor Gunning bereist gegenwärtig Holländisch-Indien, mit ihm ein Baron v. Bezeluer, der das Missionsfeld auch aus eigener Anschauung kennen lernen möchte. Ein Verlust für die Amsterdamer Missionskreise war der bei Beginn des Jahres erfolgte Tod des greisen Pastors Loomann. Seinem Einfluss war es hauptsächlich zu danken, dass im Jahre 1855 das sogenannte Java-Komité gegründet wurde. Der Verstorbene war lange Zeit sein Vorsitzender.

zum Inhaltsverzeichnis


England

In England tagte vom 2. bis 6. Januar der zweite internationale akademische Missionskongress, natürlich in London. Er war stark besucht, wie überhaupt die Bewegung zu Gunsten der Mission unter der studierenden Jugend aller Länder im Zunehmen ist. Als greifbare Frucht kann man die wachsende Zahl der akademisch gebildeten jungen Leute ansehen, die in den Missionsdienst treten. Das gilt besonders von England und speziell von Canterbury. Das dortige Kolleg St. Augustin hat bis jetzt 525 Studenten in den Missionsdienst gesandt. An dem genannten Kongress nahmen 1.700 Studenten und Studentinnen teil, die 200 Hochschulen vertraten. Um  diese Zahlen nicht zu überschätzen, muss man sich allerdings vergegenwärtigen, dass die Engländer mit dem Namen "Hochschulen" nicht nur die eigentlichen Universitäten bezeichnen, sondern auch Institute, die unsern Gymnasien gleich zu achten sind. Der deutsche "Studentenbund für Mission" hatte dafür gesorgt, dass auch die deutschen Universitäten vertreten waren. Es hat großen Eindruck auf die begeisterte Jugend gemacht, dass die höchsten kirchlichen Würdenträger (Erzbischof von Canterbury, Bischof von London, der Vorsitzende der schottischen Freikirche u. a. nicht nur erschienen, sondern auch Ansprachen hielten.

Eine der größten englischen Gesellschaften, die Society for the Progagation of the Gospel in Foreign Parts (S. P. G.) begann mit der Feier ihres 200jährigen   Jubiläums. Der eigentliche Gründungstag ist der  16. Juni 1701, daher  ist  das  Fest von  Rechts wegen erst 1901 zu feiern. Die streng hochkirchliche Gesellschaft will aber das  ganze Jahr als Jubeljahr begehen. Schon im Frühjahr des vergangenen Jahres erschien eine Art Festschrift mit dem Titel: "Die geistliche Ausdehnung des englischen Reichs. Zwei Jahrhunderte der Arbeit für Kirche und Nation." Es ist bezeichnend für die in der S. P. G. herrschende Anschauung, dass auf dem Einband des Buches als Wahrzeichen ein altertümliches Kreuz mit der englischen und amerikanischen Flagge zu beiden Seiten angebracht ist. Die  Gesellschaft gebietet über einen Stab von 787 Missionaren, von denen aber die meisten richtiger als Kolonialgeistliche zu bezeichnen wären. Ihre 55 Diözesen sind über den ganzen Erdball verteilt, 54 Sprachen und Dialekte sind auf den verschiedenen Arbeitsfeldern vertreten. Bei den Missionaren der andern evangelischen Missionsgesellschaften, mit Ausnahme der englisch-kirchlichen. sind die Sendboten der S. P. G. wenig beliebt. Sie nehmen zu wenig Rücksicht auf andere Leute. Die beste Arbeit, die sie tun, ist offenbar die kirchliche Versorgung ihrer Landsleute in heidnischen Ländern. In dieser Hinsicht können wir sie zum Muster nehmen. Wenn man doch auch bei   uns in Deutschland dem Gedanken näher träte, der in  der Festschrift ausgesprochen ist: "Die Gesellschaft will dafür sorgen, dass die Pioniere Englands gleich von Anfang an sich in christlicher Luft bewegen, ein gutes christliches Beispiel vor Augen haben und christliche Unterweisung empfangen, und dass, sobald Kolonien entstehen, auch die Kirche mitgepflanzt wird. Die Kolonisten können das nicht von sich selbst aus tun; die Kirche muss sich ihrer annehmen."

Im Gegensatz zur S. P. G. erfreut sich die kirchliche Missionsgesellschaft (C. M. S.) in Deutschland besonderer Sympathien. Bei ihr paart sich kirchliche Straffheit mit evangelischer Freiheit, ökumenischem Sinn und brüderlichem Verhalten gegen andere Missionen. Dafür fallen ihr aber auch viele Herzen aus allen Teilen der Staatskirche zu. Ihre Einnahmen haben zum ersten Mal die riesige Summe von sechs Millionen Mark überstiegen. Welchen Zulauf an Missionsarbeitern die Gesellschaft hat, ersieht man aus einer Aufstellung über die in den letzten zehn Jahren bei ihr eingetretenen Männer und Frauen. Im Jahre 1890 hatten mehrere Freunde der Gesellschaft aus dem geistlichen Stande in einem Schreiben (dem berühmt gewordenen Keswick-Brief) für die kommenden zehn Jahre 1.000 neue Missionsleute gewünscht. In der letzten Oktober-Nummer des Intelligencer wurde nun das Fazit des vergangenen Jahrzehnts gezogen; dabei stellte sich heraus, dass die C. M. S. in dieser Zeit tatsächlich 1.002 neue Arbeiter in ihren Dienst genommen hat. [7] 

Der am 28. Oktober zu Oxford gestorbene Professor Max Müller war auch in den Missionskreisen ein angesehener Mann. Hat er doch mit seinen Sprach- und Religionsarbeiten der Mission wertvolle Dienste geleistet. Das wird überall rückhaltlos anerkannt, auch wenn man seinen religiösen Standpunkt nicht zu teilen vermag und ihn von dem Vorwurf nicht freisprechen kann, dass er den indischen Hinduismus sehr idealisiert hat. Der seit 1850 an der Universiiät Oxford wirkende Gelehrte, den die Ostindische Compagnie seiner Zeit mit der Herausgabe des Rig-Veda beauftragte, war einer der bedeutendsten Vermittler zwischen der europäischen und indischen Geisteswelt. Wenn die Missionsleute trotzdem nicht ganz ungetrübten Blickes dem Verstorbenen nachblicken, so liegt das an den Schwierigkeiten, die er, wenn auch vielleicht in bester Meinung, den Missionaren  unter den Hindu bereitet hat. Noch Ende 1899 musste das wissenschaftliche Organ der Kirchlichen Missionsgesellschaft Verwahrung gegen einen offenen Brief des Professors an die Anhänger des Brahmo Samadsch einlegen, in dem dieser Hindu-Sekte anheim gegeben wurde, sie brauchten nicht den Christus anzunehmen, wie ihn die Missionare predigen, sie sollten nur die Evangelien nehmen und sie sich selbst auslegen. Eigentlich seien sie ja Christen, sie sollten nur den letzten Schritt tun und übertreten. Es musste schmerzlich für den greisen Gelehrten sein, dass  die Adressaten ihm aus Indien antworteten: er (M. Müller) gehöre doch eigentlich zu ihnen, er solle seinerseits den letzten Schritt tun und Hindu werden. M. Müller war kein orthodoxer Christ, aber ein warmherziger, religiöser Mann, auch ein großer Missionsfreund, der mit vielen hervorragenden Missionaren in Verbindung stand. Besonders im letzten Jahrzehnt ist die gegenseitige Stellung erst eine getrübte, ja manchmal eine verbitterte geworden und die, Schuld ist wohl nicht eine einseitige gewesen.

Die chinesischen Wirren haben natürlich auch in den englischen Missionskreisen eine starke Bewegung hervorgerufen. Die dortigen Gesellschaften wurden neben den amerikanischen ja in erster Linie betroffen. Daher veranstaltete man in London und Glasgow gleicherweise wie in New York und Boston große Gebetsversammlungen. Ähnlich wie in Deutschland gab es eine Zeitungsfehde. Sie ist jedoch nicht so heftig gewesen wie die unsrige. Die englischen Zeitungsleser haben im allgemeinen etwas mehr Kenntnis von der Mission und vielleicht auch mehr Verständnis. Von großer Bedeutung war, dass die führenden englischen Zeitungen den Vertretern der Mission ihre Spalten öffneten, was in Deutschland von vielen nicht geschah. Großen Eindruck machte es, dass vier große Gesellschaften (L. M., C. M. S., Ch. I. M. und Presbyt. M.) in zwei gemeinsamen Briefen in der Times gegen die Beschuldigungen eine überzeugende Abwehr veröffentlichten. Es verdient übrigens hier angemerkt zu werden, dass die bekannte Rede des englischen Premiers schleunigst ins Arabische übersetzt und von Ägypten aus verbreitet wurde, offenbar in einer der Mission feindlichen Absicht.

In London waren unter den fremden Völkern, die gelegentlich als Schauobjekte herumgeführt werben, wieder einmal christliche Eskimos. Ein Missionar ihres Volkes ließ es sich nicht nehmen, sie zu besuchen und in ihrem Glauben zu stärken. Dasselbe versuchte ein indischer Missionar aus Sachsen bei den "Malabaren" im Zoologischen Garten in Leipzig, unter denen er aber keine Christen fand. Wenn man doch diese Menschenausstellungen jedes Mal in ähnlicher Weise hintertreiben könnte, wie es Bischof Tucker von Uganda tat, als jüngst ein europäischer Händler im Grenzgebiet zwischen Deutsch- und Englisch-Ostafrika eine Anzahl der dortigen Pygmäen für die Ausstellung in Paris exportieren wollte. Er rief die englischen Regierungsorgane zu Hilfe und verhinderte den Plan. Glücklicher Weise gehen jetzt auch den deutschen Kolonialkreisen die Augen darüber auf, welcher Schaden den Eingeborenen unserer Schutzgebiete zugefügt wird, wenn man sie hierzulande ausstellt. In der "Kolonialzeitung" erhob sich zu unserer Freude eine warnende Stimme dagegen und hoffentlich gelingt es der geplanten Eingabe an das Auswärtige Amt, diesen verderblichen Ausstellungen in Deutschland, wenigstens von Eingeborenen aus unsern Kolonien, ein Ende zu machen.

zum Inhaltsverzeichnis


Schottland

Ein großes Ereignis war die am 31. Oktober d. J. feierlich vollzogene Vereinigung der freien schottischen und der uniert presbyterianischen Kirche, deren ausgedehnte Missionen nun auch unter der einheitlichen Leitung der Vereinigten freien Kirche von Schottland stehen werden. Dieser jetzt stattliche Kirchenkörper von 495.178 Kommunikanten (die schottische Staatskirche zählt 648.478 Kommunikanten) bildet jetzt eine der bedeutendsten evangelischen Missionsorganisationen mit einer durchschnittlichen Arbeiterzahl von 333 Männern und ledigen Frauen auf 17 Arbeitsgebieten mit 156 Hauptstationen, 41.567 kommunionberechtigten Heidenchristen. 13.667 Anwärtern auf die volle Kirchengliedschaft, 56.135 Schülern und einer heimatlichen Einnahme von 3.696.780 Mark. Hoffentlich ist dieser erfreuliche Zusammenschluss der Anfang einer Einheitsbewegung namentlich unter der englischen und amerikanischen Denominationenfülle. [8] 

zum Inhaltsverzeichnis


USA

Werfen mir nun noch einen wenigstens flüchtigen Blick auf die Vereinigten Staaten von Nordamerika.

D. Dennis, der Verfasser des bedeutenden Werkes: Christian missions and social progress hatte für die New Yorker Konferenz  eine allgemeine Missionsstatistik geliefert, die er mit einem sorgfältigen Fleiß vorbereitet hatte, wie er noch von keinem nicht bloß amerikanischen Statistiker aufgewendet worden ist. Während er über die nichtamerikanischen Missionen nur das summarische Ergebnis mitteilte, legte er über die amerikanischen eine Spezialstatistik vor, welche über die dortige Heidenmissionstätigkeit, geordnet nach dem Gründungsjahr der einzelnen Missionsorganisationen, folgende Übersicht gibt:

I. Direkte Missionstätigkeit unter Nichtchristen: Gesellschaften, welche einzeln aufgeführt werden: 49, dazu 38 diesen Gesellschaften angeschlossene zum Teil sehr bedeutende  Frauenvereine.

  • Missionare: ordinierte 1.352, nicht ordinierte 109, ledige Missionarinnen 1.006, Ärzte und Ärztinnen 274,

  • Eingeborene Mitarbeiter: ordinierte 1.575, sonstige 15.013.

  • Organisierte heidenchristliche Gemeinden: 4.107.

  • Heidenchristliche Kommunikanten: 421.597. [9]

  • Gesamtzahl der Heidenchristen: 1.257.425.

  • Missionsbeiträge: 21.612.192 Mark. [10]

II. und III. kommen dazu noch teils indirekt der Mission dienende, teils unabhängig von den Gesellschaften arbeitende 44 Organisationen und Anstalten mit einer Einnahme von 1.701.072 Mark und 46 ordinierten und 120 nichtordinierten Missionaren, 33 Ärzten und 41 Missionarinnen.

In den letzten Jahren musste eine ganze Reihe von nordamerikanischen Missionsgesellschaften einen Rückgang in ihren Einnahmen verzeichnen und infolge davon die Aussendung von Missionaren, ja vielfach die Arbeit auf den Missionsgebieten beschränken. In der letzten Zeit ist aber wieder ein Aufschwung eingetreten, den der Einfluss der New Yorker Konferenz noch verstärkt hat. Neue Missionsgebiete wurden erschlossen und sofort vielseitig besetzt in dem durch den Krieg mit Spanien den Vereinigten Staaten in Westindien und durch die Philippinen zugefallenen Besitz.

zum Inhaltsverzeichnis


Australien

In Australien besinnt sich jetzt auch die anglikanische Kirche mehr und mehr auf ihre Missionspflicht; reichlich spät, wenn man bedenkt, dass schon 1788 ein englischer Bischofssitz in Sydney errichtet ward. Nach einem Zensus aus dem Jahre 1897 bekannten sich etwa 1 Million Seelen zur Kirche von England, wobei die von Neuseeland noch nicht eingerechnet sind. Weitaus die meisten gehören zu den Diözesen von Sydney und Melbourne. Die Heidenmission wurde seitens dieser Kirche im Jahre 1850 begonnen, wenigstens nominell. Man begnügte sich aber in den ersten Jahrzehnten mit einer bescheidenen Arbeit an den Eingeborenen des australischen Festlands. Später kam ein Missionsunternehmen in Neuguinea hinzu, auch erhielt die Melanesische Mission Unterstützungen. [11] Das im vorigen August gefeierte 50jährige Jubiläum nahm einen erhebenden Verlauf. Es hatten sich 20 englische Bischöfe eingefunden. Die riesige Stadthalle von Sydney füllte sich eine Woche lang jeden Abend mit Freunden der Mission. Der Bischof von Tasmania war die Seele der Bewegung.

zum Inhaltsverzeichnis


II.

Uganda

Auf den Missionsfeldern hat es im vergangenen Jahre nicht an Frühlingslust und Erntefreuden gefehlt. Aus verschiedenen afrikanischen Missionen ist eine frohe Nachricht nach der andern gekommen. Besonders hoffnungsvoll nimmt sich das Werk der Kirchlichen Missionsgesellschaft in Uganda aus. Es ist dort seit 15 Jahren unaufhaltsam vorwärts gegangen; aber man war zunächst sehr vorsichtig mit Erteilung der Taufe. Jetzt können unbedenklich größere Scharen in die Kirche aufgenommen werden. Nach einem Bericht des Bischof Tucker, der unermüdlich das Land bereist, fanden im Jahre 1899 fast 5.000 Heidentaufen statt, so dass sich die Gesamtzahl der evangelischen Waganda jetzt auf über 22.000 beläuft. 11.000 Kinder besuchen die Missionsschulen. Sehr bemerkenswert ist der Bücherhunger der Waganda. Es wurden in einem Jahre 60.338 Bücher verkauft. Als Erlös bekamen die Missionare eine solche Menge von Kaurimuscheln, die als Scheidemünzen  gelten, dass 368 Trägerlasten  davon zusammenkamen. Das Neue Testament nimmt unter den verkauften Büchern den ersten Platz ein. Neben dem eigentlichen Uganda werden auch die Nachbarländer immer mehr in den Schallbereich der Missionspredigt gezogen. In Budu, welches die Katholiken bisher fast ganz mit Beschlag belegt hatten, gibt es jetzt auch 20 evangelische Kirchen, in Koki 14. Besonders hoffnungsvoll lässt sich die neubegonnene Arbeit in Toro an. Dort konnte Tucker im Jahre 1896 die Erstlinge taufen, jetzt gibt es 545 Christen daselbst, drei große Kirchen und 40 Aussenstationen. Die nach Westen dringenden Vorposten von  Uganda sind nicht mehr weit von der Station Yakusu der englischen Baptisten am oberen Kongo entfernt. Einer der Ugandamissionare hat sogar schon einmal den Kongoweg zur Heimreise benutzt, ein Zeichen, dass die Missionskette quer durch Afrika fast wie geschlossen ist. Die Eröffnung der Ugandabahn wird in Zukunft den Zugang zu diesem hervorragend wichtigen Missionsfelde sehr erleichtern. Schon jetzt, wo etwa die Hälfte des Schienenwegs fertig ist, kommen die Missionare wesentlich schneller an den Viktoria Nyanza. Die letzte Reisegesellschaft brauchte von Mombassa bis Uganda nur 37 Tage (früher ca. 90). Der Telegraph reicht bereits bis Mengo, so dass sich die dortigen Missionare nötigenfalls binnen Tagesfrist mit London verständigen können.

Ein anderes sehr fruchtbares Misstonsfeld im Seengebiet bebaut die Schottische Freikirche längs der Westküste des Nyassa-Sees. Der im Ngonilande wirkende Missionar Laws veranstaltete vor einem Jahre ein Tauffest, bei dem gegen 7.000 Menschen zusammenströmten und 457 Heiden getauft wurden. Die strengen Schotten sind mit der Erteilung der Taufe sehr vorsichtig verfahren und noch heute befolgen sie diese Praxis. Die Zahl ihrer getauften Christen würde sonst viel größer sein, als sie jetzt ist (2.100). Etwa 3.000 Katechumenen stehen im Vorbereitungsunterrichte. Besonderer Fleiß wird auf die Schulen verwendet, deren die Mission 117 zählt, die von 12.200 Schülern und Schülerinnen besucht werden. Aufs lebhafteste beteiligen sich die Eingeborenen an der Missionsarbeit; über 300 dienen meist als unbezahlte Gehilfen. Auch die Leistungen der Eingeborenen für ihre kirchlichen Bedürfnisse sind beträchtlich.

zum Inhaltsverzeichnis


Kongo

Im Kongostaat sind die Erfolge noch gering. Es war aber hier in missionarischer Hinsicht vollständiges Neuland. Die bedeutendsten haben die amerikanischen Baptisten aufzuweisen, unter deren Stationen Banza Manteke mit 1.700 Christen obenan steht. Leider bringen jedes Jahr grauenhafte Mitteilungen von dort über die von Kolonisten und Beamten verübten Greuel. Umso erfreulicher ist es, dass sich die Zahl der Missionare in dem riesigen Gebiet beständig vermehrt. Nach einer Statistik in der Kolonialzeitung beläuft sie sich auf 120, die der Niederlassungen auf 40. Die englischen Baptisten, die den großen Strom bis zu den Stanley-Fällen hinauf besetzt haben, sind dabei mit 33 Missionaren auf 11 Stationen beteiligt. Zu der nicht unbeträchtlichen Kongo-Flotille stellen sie die beiden Missionsdampfer Peace und Goodwill. Die Römischen machen hier wie überall, wo neue Gebiete zu erobern sind, der evangelischen Mission empfindlich Konkurrenz, Sie haben 180 Missionsleute beiderlei Geschlechts und 36 Niederlassungen im Kongostaat. Ein Erlass der Regierung verdient hier angemerkt zu werden, weil er ein schweres Hindernis für die Missionsarbeit beseitigen hilft, den Alkoholmissbrauch. Nach einer Verordnung der Regierung ist in 19/20 der Oberfläche des Kongostaats die Einfuhr und Fabrikation von Alkohol und die Einfuhr von Destillierapparaten verboten. An gewissen Orten ist die Einfuhr von Spirituosen zwar gestattet, aber nur bei sehr strenger Aufsicht und hoher Steuer (70 Franks für 100 Liter). Ähnliche Verschärfungen sind nach Revision der einschlägigen internationalen Vereinbarungen auch für unsere in dieser Hinsicht besonders verrufene Togokolonie mit dem Jahre 1900 eingetreten. Die Einfuhr wurde mit höheren Abgaben belegt, auch traten erschwerende Bestimmungen für den Kleinverlauf und Ausschank von Branntwein auf dem ganzen Küstenstreifen von Lome bis Kleinpopo und an der französischen Grenze den Monu aufwärts ein. Das ist doch eine kleine Frucht der gewissenschärfenden Agitation seitens der deutschen Missionskreise.

zum Inhaltsverzeichnis


Madagaskar

Madagaskar war seit der französischen Besitznahme das Sorgenkind der evangelischen Mission. Im letzten Jahre aber ist eine Wendung eingetreten, die besonders dem Eingreifen der französischen Protestanten zu danken ist, aber auch darin ihren Grund hat, dass die maßlosen Gewalttätigkeiten der Jesuiten den französischen Behörden endlich doch zu arg wurden; auch sind ihnen die Augen dafür geöffnet worden, dass die englischen  und norwegischen Missionare keine politische Rolle spielen. Je länger je mehr hat sich die Pariser Mission in Madagaskar Sympathien erworben und speziell General Gallieni hat ihr wiederholt unverkennbare Beweise seines Wohlwollens gegeben. Die evangelische Mission kann sich also ungehindert der Wiedersammlung und dem Wiederaufbau ihrer Gemeinden widmen. Allerdings stark gelichtet sind diese Gemeinden, wenigstens die  der Londoner Missionsgesellschaft, deren Mitgliederzahl fast auf den fünften Teil des früheren Bestandes zusammengeschmolzen ist. Allerdings ist zu vermuten, dass von den übrigen 4/5 sich jetzt noch ein beträchtlicher Prozentsatz in der Pflege der Pariser Missionsgesellschaft befindet; wir haben aber keinen statistischen Anhalt dafür, wie hoch sich derselbe etwa belaufen wird. Jedenfalls hat das Werk der Londoner Missionsgesellschaft die Probe schlecht bestanden und es ist zu wünschen, dass die Leiter derselben sich endlich einmal ernstlich mit einer Revision ihres missionarischen Betriebs und seiner Grundsätze beschäftigen. Die norwegische Mission ist ganz anders aus der schweren Versuchungszeit hervorgegangen; ihre Verluste sind unbeträchtlich. Und wenn es auch richtig ist, dass der Hauptsturm gegen die englische Mission der Independenten sich gerichtet hat, so muss der erschreckende Zusammenbruch derselben zuletzt doch in der Unsolidität ihrer  Arbeit seinen Hauptgrund haben. Mit Spannung wurde gegen Ende August in den Missionskreisen der Ausfall der staatlichen Prüfungen in Antananarivo erwartet, von deren Bestehen die Befähigung zum Unterricht in den höhern Schulen abhängig ist. Der Erfolg war für die Protestanten recht günstig. Sie brachten 30 ihrer Kandidaten durch, die Katholiken dagegen nur 28. Während die französische Besitzergreifung der Insel allerlei wirtschaftliche Förderung bringt, auch anzuerkennen ist, dass unter dem neuen Regiment die Rechtspflege eine bessere geworden, geht von der Frivolität und Sittenlosigkeit vieler französischer Kolonisten, Soldaten und Beamten ein sehr demoralisierender Einfluss aus, der die geistliche Arbeit der Mission vielleicht mehr erschwert, als der Gewaltdruck es getan, unter der sie in den letzten Jahren gestanden hat.

zum Inhaltsverzeichnis


Niederländisch-Indien

Unter den Missionen, die im letzten Jahre mit vollen Händen ernten durften, befindet sich auch die Rheinische in Niederländisch-Indien, In Sumatra fanden 2.465 Taufen statt, so dass die Zahl der getauften Christen auf 43.883 stieg. Der zur Visitation auf dem Missionsfeld anwesende Inspektor Dr. Schreiber konnte selbst vielen Bekehrten das Sakrament spenden. Besonders erfreulich ist es, dass der Zuwachs auch auf Kosten des Islam geschieht, so wurde z. B. aus Bungabondar der Übertritt nun 120 Mohammedanern gemeldet. Dazu sind drei neue Stationen angelegt, ist die Zahl der eingeborenen Lehrer und Pastoren im beständigen Wachstum und hat sich jüngst auch ein Batascher Missionsverein gebildet, der eingeborene Pastoren als Evangelisten in die heidnischen und mohammedanischen benachbarten Landschaften aussendet. Mit zweien ist bereits der Anfang gemacht. Auch ein Missionsarzt hat auf der Hauptstation Pea Radja seine Arbeit begonnen.

Verhältnismäßig noch größer sind die Fortschritte auf der benachbarten kleinen Insel Nias. Die Berichte von den dortigen Stationen sind fast alle auf den Ton gestimmt, den Missionar Probst von Dahana anschlug: "Der Segen Gottes beugt uns in den Staub". Die auf der Insel stationierten Missionare wurden auf 16 vermehrt und infolge dringender Bitten seitens der Heiden drei neue Stationen: Sogae Adu, Moroo und Nakko-Inseln angelegt. Auf der erstgenannten fiel Pflügen, Säen und Ernten fast in eins zusammen. Im Februar wurde mit dem Bau der Station begonnen und kaum war ein notdürftiges Unterkommen für den Missionar Momeyer beschafft, als er sich auch schon von Taufbewerbern umlagert sah. Die Zahl derer, die dringend Unterricht begehrten, betrug gegen Ende des Jahres schon 600, Momeyer ist jetzt mit dem Bau einer Kirche beschäftigt, die mindestens 1.000 Menschen fassen soll, die Katechumenen helfen fleißig mit, sie liefern Holz und arbeiten am Bau. Die Gesamtzahl der Christen auf der kleinen Insel beläuft sich auf 4.334. Die vom Inspektor geleitete Konferenz der Nias-Missionare richtete ein Gesuch an die holländische Regierung, doch das Land, soweit es nun mit Missionsstationen besetzt ist, auch wirklich unter ihre Verwaltung zu nehmen, damit das Leben und Eigentum der Christen gesicherter ist zumal vor den Zügen der berüchtigten Kopfabschneider, welche die Insel in so übeln Ruf gebracht haben.

zum Inhaltsverzeichnis 


Grönland

Der Übergang der Grönländischen Mission aus den Händen der Brüdergemeine in die der dänischen Staatskirche ist auch unter dem Gesichtspunkte einer gereiften Ernte anzusehen. Bei den großen Aufgaben, die der Mission der Brüdergemeine in allen Erdteilen gestellt sind, musste sie darauf bedacht sein, ihre Kräfte möglichst zu konzentrieren. "Nun war Grönland das einzige Gebiet brüderlicher Missionstätigkeit, aus dem die Brüdergemeine ihre dort arbeitenden Kräfte mit Ehren und mit gutem Gewissen zurückziehen  konnte, um sie anderweitig zu verwenden." Es gab für sie in Grönland keine eigentliche Missionsarbeit mehr, denn die Westküste ist ein christliches Land und für die Heiden auf der Ostküste  haben die Dänen durch Errichtung einer Station die Fürsorge übernommen. Wenn die Brüdergemeine blieb, so tat sie mehr oder weniger nur Hilfsarbeit für die dänische Kolonialkirche. Umso näher lag der Entschluss, das Land zu verlassen, dessen Geschichte allerdings aufs engste mit der Herrnhuter Mission verflochten ist. Der Umfang ihrer Arbeit war nach dem Stand vom 31. Dezember 1899: sechs Hauptstationen  (Neuherrnhut, Umanak, Lichtenfels, Lichtenau, Igdlorpait und Friedrichsthal), 28 Außenstationen, 903 Abendmahlberechtigte, 48 erwachsene Nichtkommunikanten, 560 Kinder und 126 in Kirchenzucht befindliche Gemeindeglieder. Zur geistlichen Versorgung dieser Christen waren acht Missionare und 30 Nationalhelfer da. Die feierliche  Übergabe fand im Hochsommer  des Jahres statt. Seitens der dänischen Kirche wurden die Pastoren Balle, Vater und Sohn, mit der weiteren Seelsorge betraut. Pastor Balle sen., seit fast 40 Jahren Direktor des Gehilfenseminars der dänischen Kirche und Pastor der dänisch-grönländischen Gemeinde in Godthaab, soll künftig die nördlichen Gemeinden bedienen, sein in Grönland geborener und mit Sprache und Sitten der Grünländer vertrauter Sohn wird die südliche Gruppe der Stationen versorgen. Die Hauptfeier fand am 5. August in Lichtenau  statt. 800 Grönländer, eine Schar, wie sie in dem dünn bevölkerten Lande kaum  je auf einem Platze versammelt gewesen sind, stellten sich ein. Weil die Kirche der Station viel zu klein für die Versammlung war, vollzog sich der denkwürdige Akt im Freien neben dem Missionshause. Seitens der scheidenden Brüdergemeine sprach der bisherige Superintendent Bruder Riegel, worauf sich der neue Seelsorger Pastor Balle jun. mit Berufung auf das Schriftwort: "Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit" einführte. Auf den andern Stationen gab es entsprechend kleinere Abschiedsfeiern.

Es fehlt also beim Blick auf den Missionsacker der Welt im vergangenen Jahre nicht an Ereignissen, die zum Danken Anlass geben, aber vorwiegend war es doch ein schweres Jahr voll Kämpfe und Trauer.

zum Inhaltsverzeichnis


Südafrika

Auf drei Missionsfeldern hat die Kriegsfurie gewütet und dem Friedenswerke der Glaubensboten schweren Schaden zugefügt: in Südafrika, Kumase und China.

Südafrika ist das ganze Jahr hindurch nicht zur Ruhe gekommen. Wie sehr die Mission in Mitleidenschaft gezogen wurde, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der ganze weitausgedehnte Kriegsschauplatz als Missionsgebiet zu bezeichnen ist. In Transvaal wirken fünf Missionsgesellschaften mit etwa 80 Missionaren auf ebenso vielen Hauptstationen. Berlin I und Hermannsburg stehen obenan. Im Oranje-Freistaat wird die Arbeit vorzugsweise von Berlin I und den Wesleyanern getan, die Zahl der Missionare beträgt hier 16, die der Hauptstationen 49. Der ausfällige Unterschied zwischen beiden Zahlen erklärt sich durch die große Menge der eingeborenen, Gehilfen, deren es im Oranje-Freistaat 465, in Transvaal 698 gibt. Sämtliche Missionsgemeinden in Transvaal und Oranje-Freistaat hatten vor dem Kriege 82.130 Gemeindeglieder. In Natal und Zululand sind sieben Gesellschaften tätig, von den Deutschen wiederum Hermannsburg und Berlin I. Es wurden hier insgesamt 76 evangelische Stationen mit über 40.000 Christen gezählt. Damit sind aber nur die unmittelbar betroffenen Missionen bezeichnet, unmittelbar haben auch alle anderen südafrikanischen zu leiden gehabt, zumal in der jüngsten Zeit, wo die Kapkolonie zum Kriegsschauplatz wurde. Da wurden auch die Stationen der Brüdergemeine und der rheinischen Missionsgesellschaft in Mitleidenschaft gezogen. Wie es den einzelnen Missionaren und Gemeinden ergangen ist, lässt sich zurzeit noch nicht völlig übersehen, weil der Postverkehr zumal mit den auf dem Kriegsschauplatze liegenden Orten fast ganz aufgehört hatte. Aber so viel ist gewiss, dass die Missionsarbeit auf den meisten Stationen gestockt hat. Wenn auch die Farbigen nicht direkt am Kriege beteiligt waren, so verwandte man sie doch vielfach als Hilfskräfte für den militärischen Apparat und führte sie damit von ihren Wohnplätzen weg.

Die Missionare wurden vielfach zu Predigern in der Wüste. Sehr beträchtlich ist der finanzielle Schaden, den die Stationen erlitten. Berlin I schätzt seinen Verlust auf mindestens 200.000 Mk. Die Missionsniederlassungen, die durch den Fleiß ihrer Bewohner zu wertvollen Farmerplätzen im Lande geworden waren, mussten ansehnliche Kriegssteuern zahlen. So hatte z.B. die Berliner Station  Bethanien beim Beginn des Krieges 40 Eingeborene, fünf Wagen. 30 Ochsen und 20 Pferde zu stellen. Dazu kamen die Leistungen während der Kämpfe und der dadurch entstehende Verlust, dass die Beiträge der Gemeinden über Jahr und Tag vollständig wegfielen, weil nach den Gesetzen in den Burenstaaten während eines Krieges alle Pacht-, Zinszahlungen und dergleichen aufhören. Noch viel schmerzlicher aber als diese materielle Einbuße wird der moralische Schaden empfunden. Die Eingeborenen waren von Natur wild und kriegerisch. Es hat vieler Arbeit und Geduld bedurft, ehe sie zu bewegen waren, sich in Friedenswerken zu üben. Als die Missionare sie glücklich dahin gebracht hatten, brach dieser unselige Krieg aus und bot den neubekehrten Heiden das traurige Schauspiel, dass zwei christliche Völker sich vor ihren Augen zerfleischten. Dadurch wurden die heidnischen Instinkte wieder mächtig erregt. Es ist den Missionaren bis zur Stunde gelungen, stärkere Ausbrüche heidnischer Wildheit bei den unter ihrem Einfluss stehenden Stämmen zurückzuhalten, ein nicht zu unterschätzender Erfolg der Missionstätigkeit. Aber dass das Christentum selbst durch die oft nicht nur unchristlichen, sondern geradezu unmenschlichen Vorgänge auf dem Kriegsschauplatz in Misskredit bei den Farbigen geriet, konnten sie leider nicht hindern. In schwere moralische Konflikte führte die von den  Engländern verlangte Leistung des Neutralitätseids; zumal in den Fällen, wo ein von englischen Truppen besetzter Platz bald darauf wieder in die Hände der Buren fiel. Das hat auch auf den Missionsstationen, wie von Hermannsburg gemeldet wird, viel Verwirrung hervorgerufen. Als eine besondere Fügung Gottes ist es zu bezeichnen, dass die in Frage kommenden Gebiete vorzugsweise in den Händen deutscher Missionare sind. Sie konnten unparteiisch bleiben und haben tatsächlich das Vertrauen aller Beteiligten behalten, so dass sie ihre Arbeit nach Beendigung des Krieges ungehindert fortsetzen können. Dass mehrere Hermannsburger Missionare, darunter der Direktor E. Harms, vorübergehend in englische Gefangenschaft gerieten, hat keine nachteiligen Folgen weiter gehabt. Peinlicher war der dem Berliner Missionar Prozesky gemachte Prozess, der zu einer Verurteilung seitens des  englischen Gerichts führte. Man begreift, dass  die  Sehnsucht nach dem Aufhören des schon 1½ Jahr dauernden Krieges im Missionslager sehr groß ist.

zum Inhaltsverzeichnis


Ghana

Die politischen Unruhen in Asante währten im Vergleich dazu nur kurze Zeit, aber sie genügten, einer hoffnungsvollen Arbeit der Basler Mission ein - wir hoffen nur vorläufiges - Ende zu bereiten. Der im westafrikanischen Missionsdienst ergraute Ramseyer, der früher mit seiner Frau vier Jahre in der Gefangenschaft der Asanteneger geschmachtet, hatte Kumase nach der englischen Eroberung im Jahre 1896 zum Centrum einer bereits stationsreichen Asante-Mission gemacht. Da brach infolge des herausfordernden Betragens des englischen Gouverneurs, der alle Warnungen des kundigen Ramseyer in den Wind schlug, in den ersten Apriltagen des vorigen Jahres ein furchtbarer Aufstand aus. Bald stand das ganze Volk in Waffen, so dass sich die Basler Geschwister samt den gleichfalls in Kumase stationierten Wesleyanern genötigt sahen, von dem ihnen angebotenen Schutz im englischen Fort Gebrauch zu machen. Die schwache Kolonialtruppe war außerstande, den zahllosen Asantekriegern im offenen Kampfe zu begegnen. Kleine Truppenkörper, die von der Küste zu Hilfe kamen, wurden zurückgeschlagen. Schon musste man fürchten, dass die belagerten Europäer ausgehungert würden, da wagten die Missionsleute im Verein mit der militärischen Begleitung des Gouverneurs am 23. Juni nach 2½ monatlicher Belagerung den Durchbruch nach der Küste. Es waren von der Basler Mission die Missionare Ramseyer und Jost mit ihren Frauen, Missionar Weller und die verwitwete Frau Haasis. Die mit viel Bangen unternommene Flucht gelang, wenn auch unter unsäglichen Schwierigkeiten. Leider starb unterwegs Missionar Weller infolge der ausgestandenen Strapazen. Die andern erreichten Mitte Juli die sichere Küste. [12] An eine Wiederbesetzung der zerstörten Stationen war zunächst nicht zu denken, obwohl die Missionare wiederholt die Versicherung empfingen, dass das aufgeregte Volk es nicht auf sie, sondern nur auf die Engländer abgesehen habe. Die Nachrichten über die Beruhigung der Aufständischen gehen zurzeit noch auseinander. Nach englischen Zeitungen soll der Krieg gänzlich vorbei sein, nach französischen Quellen ist aber an friedliche Zustände noch lange nicht zu denken. Ergreifend waren die Worte, mit denen der unerschrockene Ramseyer nach der Befreiung seinen ersten Brief an das Komitee in Basel schloss: "O, dass die lieben Missionsfreunde mein armes Asantevolk, von welchem die meisten nichts vom Krieg wollten, nicht vergessen möchten! O, dass sie die Freudigkeit nicht verlieren! Nach diesem Sturm wirb sicherlich unsere Arbeit in Asante um so herrlicher blühen ... Hier heißt es, mehr als je: Niemals zurück!"

zum Inhaltsverzeichnis


Togo

Ein trauriges Nachspiel hatte dieser Krieg in der benachbarten deutschen Togokolonie. Weil bei den Kämpfen auch Evheneger ums Leben gekommen waren, rächten sich deren Stammesangehörige für das vergossene Blut durch die Ermordung von fünf Asanteleuten, die schon lange Zeit in den Ho-Dörfern, nahe bei der gleichnamigen Station der Norddeutschen Mission wohnten. Als Dr. Grüner, der Leiter der Regierungsstation Misahöhe, von diesem Wiederaufleben heidnischer Blutrache erfuhr, wurde der schuldige Häuptling und sein Volk energisch bestraft. Für die schon zahlreichen Christen in Ho brachte der Verlauf der Verhandlungen die glänzende Genugtuung, dass sie über jeden Verdacht erhaben blieben. Auf die Heiden aber hat das vermittelnde Eintreten der Missionare und das bei aller Entschiedenheit wohlwollende Verhalten der deutschen Beamten solchen Eindruck gemacht, dass die Gottesdienste und Schulen in Ho jetzt großen Zulauf haben.

zum Inhaltsverzeichnis


China

Der durch die Katastrophe in China der Mission zugefügte Schaben lässt sich zur Zeit immer noch nicht ganz übersehen. Was sich heute konstatieren lässt, hat die Chronik der vorigen Nummer (S. 50 ff.) zusammengestellt. Seitdem ist Neueres noch nicht bekannt geworden, hoffentlich ein Zeichen dafür, dass wenigstens die lange, traurige Totenliste nun abgeschlossen ist. Erfreulicherweise mehren sich aber die Nachrichten über das glaubensmutige Verhalten vieler eingeborener Christen, namentlich auch vieler Nationalhelfer, welche Treue bis in den Tod bewiesen haben. Genaueres wird man freilich erst erfahren, wenn es möglich geworden sein wird, alle die zerstörten Stationen wieder zu besuchen oder wenigstens in einen Verkehr mit ihnen zu treten. Auf manche der verlassenen Stationen haben es bereits die Missionare versucht, wieder zurückzukehren, in den meisten Küstenstädten und ihrer Umgebung ist das Werk teils nicht unterbrochen gewesen, teils wieder aufgenommen worden. In Peking sind viele der Missionare geblieben, die die Belagerung mit durchgemacht haben. Über ihr und der eingeborenen Christen Verhalten während derselben richtete der amerikanische Gesandte Conger folgendes Schreiben an die amerikanischen Missionare:

"Einem jeden von Ihnen, die Sie mit uns glücklicherweise von dem uns drohenden Blutbad errettet sind, möchte ich in dieser Stunde der Rückblick auf das Jahr Befreiung aussprechen, was meines Wissens mit mir alle Gesandten der Mächte in gleicher Weise fühlen und empfinden, nämlich unsern tiefgefühlten Dank für die unschätzbare Hilfe, welche Sie und die eingeborenen Christen uns während der Belagerung geleistet haben, so dass wir jetzt noch am Leben sind. Ohne Ihre ebenso einsichtsvolle wie erfolgreiche Hilfsleistung in Rat und Tat wäre unsere Rettung unmöglich gewesen. Ich glaube und hoffe, dass nach Gottes weisem Rat die Opfer, die Sie gebracht haben und noch bringen, und die Gefahren, die Sie bestehen, für das irdische und geistliche Wohl des Volkes, dem Sie die Arbeit Ihres Lebens weihen, reiche Früchte tragen werden."

Hiermit stimmt, was ein deutscher Zollbeamter namens Bismarck, in seinem im ostasiatischen Loyd veröffentlichten Tagebuche schreibt: "Es ist geradezu erhebend, zu sehen, wie manche schon dem Tode geweihte, alte, verwundete Männer den jüngeren Christen Trost zusprachen und sie in ihrem Glauben zu bestärken suchten. Hsianz tien tschu, d. h. denke an Gott! hört man fast überall und hier erst lernt man das Wort Märtyrer in seiner ganzen edlen Bedeutung kennen." In Tschifu erklärte ein Engländer, früher habe er nie an die Aufrichtigkeit dieser orientalischen Christen geglaubt, jetzt aber glaube er daran, nachdem er gesehen, wie standhaft sie in der schrecklichen Verfolgung geblieben sind.

Wie die Sachen endlich in China ausgehen werden, vermag heute niemand zu sagen. Bis jetzt sind die militärischen wie die diplomatischen Erfolge gerade nicht glänzend zu nennen. In den Missionskreisen ist man überwiegend hoffnungsvoll für die Zukunft, jedenfalls denkt man nicht an einen Rückzug. Freilich ehe keine völlige Beruhigung eingetreten und keine Bürgschaft für eine wirkliche Religionsfreiheit geleistet ist, kann wenigstens im Innern des Landes an eine Wiederaufnahme der Arbeit nicht gedacht werden. Ob, und in welcher Höhe Entschädigungen gefordert werden sollen für die enormen Verluste, darüber scheint weder in diplomatischen noch in missionarischen Kreisen ein Beschluss gefasst worden zu sein. In den letzteren ist eine Minorität vorhanden, welche auf jede Entschädigung verzichten möchte, aber die Majorität neigt sich einer Vereinbarung dahin gehend zu, dass jedenfalls ein Blutgeld für die Ermordeten nicht gefordert und eine Entschädigung für die Sachverluste nur nach der wirklichen Höhe des zerstörten Eigentums verlangt werden dürfe.

Viel Besorgnis macht die Mandschurei, die, wie es scheint, an Russland als Beute abfällt. Was die evangelische Mission unter russischer Herrschaft zu erwarten hat, ist bekannt. In ihrem Port Arthur-Gebiete war den dortigen schwedischen Missionaren die Arbeit verboten worden. Würde dieselbe Intoleranz in der Mandschurei geübt, so bedeutete das für die evangelische Mission den Verlust eines ihrer fruchtbarsten chinesischen Arbeitsgebiete. Zwar ist der Sturm auch über die Mandschurei gegangen und augenblicklich die Arbeit in derselben sistiert; aber nach allem, was gerade über die zahlreichen mandschurischen Christen bekannt geworden, ist die Wiederaufnahme derselben mit Sicherheit zu erwarten, wenn nicht Russland sich unduldsamer erweist als China. Doch Gott sitzt im Regimente und wir wollen nicht vor der Zeit sorgen.

zum Inhaltsverzeichnis


Japan

Auch die japanische Mission, in der sich übrigens wieder eine langsamere Vorwärtsbewegung Bahn zu brechen scheint, hat im letzten Jahre eine Beunruhigung erfahren. Aus der perfekt gewordenen Revision der Verträge mit den auswärtigen Mächten schien das Christentum zuerst nur Vorteile davonzutragen. Die Missionare bekamen Freiheit, ohne Pass und andere Erschwerungen durch das ganze Land zu reisen oder sich irgendwo niederzulassen. Auch war die Gleichberechtigung aller Religionen proklamiert. Die für gottesdienstliche Zwecke nötigen Gebäude und Ländereien sind für steuerfrei erklärt, mögen sie nun in buddhistischen oder christlichen Händen sein. Aber plötzlich erschien ein Schulerlass, welcher die Missionstätigkeit empfindlich zu schädigen droht. Er soll aus den politischen Kreisen des Prinzen Konoye hervorgegangen sein und geradezu die Tendenz haben, die Fortschritte des Christentums aufzuhalten. Er handelt von den Privatschulen und bestimmt, dass in keiner solchen Schule, die ihren Schülern die Berechtigung zum Besuch der höheren Lehranstalten und Universitäten verschaffen will, irgend welcher Religionsunterricht erteilt oder religiöse Handlungen vorgenommen werden dürfen. Es ist also nicht wie in den unter staatlicher Aufsicht stehenden indischen Schulen, wo der Staat nur den weltlichen Unterricht pflegt, die Missionare aber nach der religiösen Seite hin gewähren lässt. Hier wird die Religion aus den Schulen gänzlich verbannt. Privatschulen, die auf die vorgeschriebenen Bedingungen nicht eingehen wollen, dürfen Schüler unter 10 Jahren überhaupt nicht aufnehmen; ihre älteren Schüler aber werden von den höheren Bildungsanstalten ausgeschlossen, wenn sie nicht religionslos erzogen werden. Mit einer einzigen Ausnahme sind die Missionsschulen natürlich nicht darauf eingegangen. Der Erlass wurde zunächst zwar sehr milde gehandhabt, hatte aber doch gleich im ersten Vierteljahr die Schließung von 21 Schulen mit 2.328 Schülern zur Folge. Es wären ihrer eigentlich noch mehr gewesen, aber manche Schulen erhielten die Erlaubnis, erst ihren Jahreskursus zu Ende zu führen, bevor die neuen Bestimmungen auf sie angewandt weiden. Allein so groß auch der Schaden, den die Mission augenblicklich durch den Rückgang ihrer Schülerzahl dadurch erleidet, so schreibt doch Missionar Dening: "die Probe, die damit die japanischen Christen an den Tag legten, ist nicht zu unterschätzen und wohl der Kosten wert, die der Verzicht auf die staatlichen Vorteile mit sich bringt. Wir bedauern es nicht, denn dadurch ist die allgemeine Aufmerksamkeit auf das christliche Schulwesen und seine offenbaren Erfolge, sowie auf den Charakter der aus diesen Schulen hervorgegangenen Männer, gelenkt worden. Und damit ist ein unverkennbarer, moralischer Gewinn erzielt." Die Missionare und japanischen Kirchengemeinschaften haben gegen die Verfügung, die mit der gewährten Religionsfreiheit nicht im Einklang steht, Einspruch erhoben und die Freude gehabt zu erleben, dass die gesamte japanische Presse gleichfalls gegen   das Schulgesetz opponierte.

 zum Inhaltsverzeichnis


Nicaragua

Ein die Missionsschulen schädigender Eingriff der Regierungsorgane wird auch von der anderen Halbkugel der Erde berichtet, aus Nicaragua. Er betrifft die Herrnhuter Mission in Bluefields. Die Brüdergemeine hatte dort zwei Elementarschulen mit zusammen 310 Schülern und eine höhere Schule mit 17 Zöglingen unter einer fast ausschließlich englisch redenden Bevölkerung. Nun wurde 1894 das Moskitoländchen, in dem Bluefields liegt, von Nicaragua annektiert und damit unter spanische Herrschaft und katholische Intoleranz gebracht. Während vorher das Volksleben ganz unter englischem Einfluss gestanden hatte und in Kirche und Schule ausschließlich die englische Sprache gebraucht wurde, verlangte man nun, dass das Spanische diese Stelle einnähme. Ein katholischer Geistlicher Dr. Luna wurde Schulinspektor und führte eine Verordnung herbei, nach welcher der ganze Unterricht in der spanischen Sprache zu erteilen sei und zwar von Lehrern, die das nikaraguanische Staatsexamen abgelegt hätten. Missionar Reichel, der Leiter der Moskitomission, versuchte den seinen Anstalten drohenden Schlag dadurch abzuwenden, dass er den Schulinspektor darauf hinwies, die Schüler verstünden gar nicht spanisch und ihre Eltern wünschten auch nicht, dass sie die Sprache lernen; umsonst, Dr. Luna berief sich auf den Wortlaut des Gesetzes und drohte mit Geldstrafen, wenn der Unterricht englisch fortgesetzt werde. Er hoffte die Kinder aus den evangelischen in die schlechten spanischen Regierungsschulen, die natürlich in katholischen Händen sind, hinüberzuziehen. Die Bevölkerung war höchst aufgebracht und wollte von den minderwertigen Staatsschulen nichts wissen. In einer am 17. Juni abgehaltenen sehr bewegten Gemeindeversammlung erklärte Reichel, dass er, um sich nicht der offenen Auflehnung gegen das Gesetz schuldig zu machen, sich schweren Herzens entschlossen habe, die höhere Schule der Brüdergemeine und ihre zwei Elementarschulen in Bluefields zu schließen und damit eine durch 51 Jahre geübte Schularbeit und die Pflege von mehr als 300 Kindern aufzugeben. So gingen die Schüler zunächst auf unbestimmte Zeit in die Ferien, Der rigorose Schulinspektor trieb die Sache aber noch weiter. Am 1. August wurde ein Gesetz veröffentlicht, das die Kinder, die nicht in die spanische Schule gehen, mit Gefängnisstrafe bedroht. Nach den neuesten Berichten nimmt die Maßregelung noch größere Dimensionen an. Auch außer Bluefields wurden die Missionsschulen geschlossen. Dr. Luna reiste gegen Jahresschluss die Küste entlang, nicht um das Schulwesen zu pflegen und spanische Lehranstalten zu gründen, sondern um die evangelischen Schulen zu schließen. Die Brüdergemeine hofft, dass in der leidigen Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und verstärkt die Reihen ihrer Missionsarbeiter im Lande. Das Wort Gottes darf glücklicher Weise an der Moskitoküste noch unverboten gepredigt werden.

 zum Inhaltsverzeichnis


Ostafrika

Auch die in Ostafrika und Indien wütenden Hungersnöte übten einen lähmenden Einfluss auf die Missionstätigkeit aus. Die afrikanische betraf hauptsächlich die Küstengebiete von Deutsch- und Englisch-Ostafrika und damit die Arbeitsfelder von Berlin III, Leipzig, Universitätenmission, Kirchenmissionsgesellschaft und der freikirchlichen Methodisten. Die Berichte enthielten herzzerreißende Einzelheiten über die Not der armen Neger, dazu bedenkliche Ausblicke in die Zukunft, da ganze Gegenden in der Nähe der Missionsstationen wie ausgestorben waren. Andererseits gab das namenlose Elend den Missionaren Gelegenheit, den Heiden durch die Tat zu veranschaulichen, was christliche Barmherzigkeit ist und dadurch einen Zugang zu ihren Herzen zu finden. Die Leipziger Mission unter den Wakamba hatte bisher nach mehr als zehnjähriger Tätigkeit fast keine Erfolge aufzuweisen. Während der Hungersnot konnte sie ihre Erstlinge taufen und als die Not zu Ende ging, hatte sie ein Haus voll Kinder, deren Eltern verhungert oder verschollen waren. Die in Europa zu Gunsten der Hungernden gesammelten Gelder wurden von der Leipziger wie von der Berliner deutsch-ostafrikanischen Mission größtenteils nicht zu bloßen Almosen verwandt, sondern in Form von Lohn für Notstandsarbeiten ausgegeben, was einen Vorteil für die Notleidenden und das Missionswerk zugleich darstellt. Es mag nicht unerwähnt bleiben, dass auch die deutsche und die englische Kolonialregierung Geldmittel bewilligte und ihre Verwendung vielfach in die Hände der Missionare legte.

 zum Inhaltsverzeichnis


Ostindien

In Ostindien nahm die Hungersnot weit größere Dimensionen an. Sie suchte hauptsächlich die nordwestlichen Provinzen heim; am schlimmsten soll es in Gudscherati und Radschputana gewesen sein. Eine Bevölkerung von 54 Millionen wurde davon betroffen. Nach einer Kundgebung des Vizekönigs Lord Curzon waren in der schwersten Zeit sechs Millionen Darbende zu unterstützen. Die indobritische Regierung tat, was sie konnte; bis zum März 1900 verausgabte sie 172 Millionen Mk. Daneben leistete die freiwillige Hilfstätigkeit Außerordentliches. Allein bei der indischen Sammelstelle gingen 19½ Millionen ein, darunter 4½ Millionen von Eingeborenen Indiens. Dazu wetteiferten die Missionsgesellschaften aller Denominationen und Nationen, das Elend zu lindern. Besondere Erwähnung verdient Dr. Klopsch, der Herausgeber des "Christian Herald" in New York, der mit einem Schiff voll Nahrungsmitteln und Kleidungsstücken nach Bombay kam, um selbst an Ort und Stelle zu helfen. Diese Opferwilligkeit der Christen hat ihres Eindrucks auf die Heiden nicht verfehlt. In einer Versammlung zur Begrüßung des ebengenannten Amerikaners sagte ein angesehener Hindu namens Tschandawarkar: "Ich bin kein Christ in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes, aber als ich hörte, welche unermüdliche Anstrengungen die Missionare sich's haben kosten lassen, die Hungernden vom Tode zu erretten, da habe ich mir und meinen Freunden gesagt, dass der Geist Christi noch lebendig sei." Heidnische Zeitungen, denen die Missionstätigkeit sonst oft Anlass zu Spöttereien oder feindseligen Bemerkungen gab, konnten sich jetzt nicht einhalten, das Verhalten der Glaubensboten rückhaltlos anzuerkennen und es ihren hartherzigen Landsleuten als Spiegel vorzuhalten. Wie nicht anders zu erwarten, hat die Zeit der Not viele arme Hindus zu den Missionaren getrieben; man hat aber aus früheren Erfahrungen gelernt, mit der Aufnahme solcher Reischristen vorsichtig zu sein; die Basler Mission hat geradezu den Grundsatz aufgestellt, dass keine Heiden, die von ihr Almosen empfangen, während dieser Zeit in den Taufunterricht aufgenommen  werden.

zum Inhaltsverzeichnis


Sudan

In Afrika sind zwei neue Unternehmungen der Kirchlichen Missionsgesellschaft zu verzeichnen. Sie haben es beide auf den Sudan, das Bollwerk des afrikanischen Islam abgesehen. Sobald der Mahdi gefallen und Khartum seinen Anhängern entrissen war, ging die Gesellschaft an die Besetzung dieses wichtigen Vorpostens, der seit Gordons tragischem Ende aus der Reihe der Lichtpunkte in Nordafrika gestrichen war. Ihre beiden Missionare Dr. Harpur und Rev. Gwynne begaben sich nach Omdurman, um dort Kundschafterdienste für die Besetzung des oberen Niltales zu tun. Sie begnügten sich vorläufig damit, Gottesdienste für ihre Landsleute zu halten, um den kaum beschwichtigten Fanatismus der Mohammedaner nicht sogleich wieder zu erregen. Die erste Feier wurde zu Weihnachten 1899 in dem früher vom Mahdi bewohnten Palaste gehalten. Bei einer Kunstschaftsreise den Blauen Nil aufwärts kamen sie bis Sennar, auch haben sie Fühlung mit den Stationen ihrer Gesellschaft in Uganda gesucht. Damit wird die früher schon einmal benutzte Missionsstrasse von Ägypten zum Victoria Nyanza wieder eröffnet und hoffentlich eine Bresche in die Hochburg des Islam gelegt. Fast gleichzeitig wurde eine Expedition vom Niger her in den westlichen Sudan unternommen. Die dazu bestimmten drei jungen Männer Ryder, Richardson und Dr. Miller bereiteten sich durch Sprachstudien im Quartier der Hausahändler von Tripolis darauf vor und gingen unter Führung des Bischof Tugwell vom Niger aus nach Nordosten vor. Ihr Ziel war Kano in Sokoto, einem der Hausastaaten. Die Gegenden, durch die sie mit ihrer Karawane zogen, fanden sie schwach bevölkert, offenbar infolge der häufigen Sklavenjagden. Mehrere Städte lagen in Trümmern, die Dörfer waren dünn gesät. Sie kamen glücklich nach Kano, durften aber nicht dort bleiben und kehrten daher erst nach Zaria, später bis Gierko zurück. Hier starb Ryder und Richardson musste mit gebrochener Gesundheit die Heimreise antreten. Der Bischof und Dr. Miller aber hielten mutig aus. Der "König" von Gierko kam ihnen freundlicher entgegen, als die Machthaber der ebengenannten ungastlichen Orte. Sie eröffneten eine Apotheke vor dem Tore seiner Stadt und hatten bald Zulauf. Es gelang ihnen auch Gottesdienste einzurichten, die im Herbst vom König und 40 seiner Untertanen besucht wurden. Am Ende des Jahres, wo schon eine Verstärkung aus der Heimat unterwegs war, lauteten die erst zuversichtlichen Berichte des Bischofs bedenklicher. Der König von Zaria hat sie aufgefordert, das Land zu verlassen. Dem steht zwar der Wunsch der Leute von Gierko und ihres Oberhaupts gegenüber, die sie zu bleiben baten, es scheint aber fraglich zu sein, ob jener nicht seinen Willen durchsetzen kann. Jedenfalls darf man zu den Sendboten der C. M. S. das Vertrauen haben, dass sie den vorgeschobenen Posten behaupten, wenn er irgend möglich ist.

 zum Inhaltsverzeichnis


Verstorben

Der Tod hat im vergangenen Jahre auf vielen Missionsfeldern reiche Ernte gehalten. Von den am meisten heimgesuchten Gebieten sei nur das der Pariser Mission am Sambesi erwähnt, wo die Reihen der Arbeiter durch viele Todesfälle und Heimkehr von Invaliden stark gelichtet wurden. Es starben auch manche hervorragende Missionare. So am 23. April in Rangun Brayton, der Senior der hinterindischen Missionare im hohen Alter von 92 Jahren. Er hat 62 Jahre lang unter den Pwo-Karenen gewirkt und diesem Volke eine Bibelübersetzung gegeben. Aus der Reihe der Heimgegangenen vorderindischen Missionare sei Robert Clark erwähnt, der im Dienst der C. S. M. stand. Er wirkte seit 1851 im Pandschab, wo er die dortige Mission mit begründete. Es war zuerst ein gefährlicher Posten. Kurz vorher hatte der englische Kommissar einem Offizier, der die Berufung von Missionaren vorschlug, geantwortet: "So lange ich Kommissar in Peschawar bin, soll kein Missionar über den Indus kommen. Wünschen Sie, dass wir alle totgeschlagen werden?" Clark hat in der Pandschab- und Sindh-Mission eine reich gesegnete Arbeit getan, die dortigen Gemeinden der C. M. S. zählen jetzt nach vielen Tausenden. Für seine Liebe zu den Eingeborenen aber ist eine Bemerkung charakteristisch, die sein gleich noch zu erwähnender Schüler bewahrt hat. Clark sagte, als ein Missionar seiner Bekanntschaft gestorben und auf dem Friedhof der englischen Gemeinde begraben war: "Wenn ich sterbe, so begrabt mich aus dem Gottesacker der eingeborenen Christen. Ich liebe die Kinder dieses Landes sehr und wünsche, dass meine Gebeine zu den ihrigen gelegt werden, dass, wenn der Herr kommt, ich mit ihnen zusammen auferstehen mag." Man will das Andenken des verdienten Mannes durch Erbauung einer Robert-Clark-Gedächtnishalle in Amritsar ehren.

Bald nach ihm, seinem geistlichen Vater, starb in dieser Stadt der bekannte Dr. Imad ud-din Lahiz. Er war der angesehenste unter den in Nordindien bekehrten Mohammedanern. Konnte er doch in seinem Stammbaum Namen von fürstlichem Geblüt und berühmte Gelehrte des Islam nachweisen. Umso größeres Aufsehen erregte sein im Jahre 1866 erfolgter Übertritt, zu dem er den ersten Anstoß durch Lesen des Neuen Testaments empfangen hatte. Seitdem er 1868 die Ordination empfangen, wirkte er als eins der eifrigsten Mitglieder der Pandschabmission durch Wort und Schrift und gewann viele seiner ehemaligen Glaubensgenossen. In seinen auf ihre Bekehrung gerichteten Schriften wird er noch lange nach seinem Tode eine nachhaltige Wirkung ausüben. Eins seiner letzten Werke war die Übersetzung des Korans in das gewöhnliche Urdu. Er wollte damit den geheimnisvollen Nimbus zerstören, den die Verteidiger des Islam in Nordindien um ihr arabisches Religionsbuch zu verbreiten gewusst haben.

In Schanghai starb am Ende des v. J. der Veteran der Londoner Missionsgesellschaft Dr. Muirhead nach einem 53jährigen fruchtbaren Missionsdienste und auf den Sangirinseln (im Nordosten Niederländisch Indiens) der frühere Goßnersche Missionar Kelling nach einer 45jährigen Tätigkeit auf seinem welteinsamen Eiland. Überblicken wir zum Schluss noch die Verlustliste der deutschen Gesellschaften, so ergibt sich, dass mehr als die Hälfte von ihnen überhaupt keine Todesfälle in den Reihen ihrer Arbeiter zu beklagen hatten.

Dennoch weist das Verzeichnis 23 Namen auf. Es starben von der

Baseler Mission

  • am 7. Mai Ferdinand Kobel, er starb, 30 Jahre alt, in Mangamba (Kamerun) nach dreijährigem Missionsdienst;

  • am 3. Juli Karl Weller, er starb, 26 Jahre alt, auf dem Marsch von Kumase zur Küste nach zweijährigem Missionsdienst;

  • am 7. September Martin Schaub, er starb, 50 Jahre alt, in Lilong (China) nach 26 jähriger Dienstzeit;

  • am 23. September E. Rettig, er starb, 32 Jahre alt, in Swatow (China) nach dreijährigem Missionsdienst;

  • am 15. November G. A. Lankmeyer, er starb, 29 Iahe alt, in Mangamba (Kamerun) nach zweijähriger Dienstzeit.

Brüdergemeine

  • am 28. Juni die Diakonisse Pauline Perchner in Paramaribo, 37 Jahre alt, nach dreijährigem Missionsdienst.

Berlin I

  • am 6. Mai Missionar Kühl in Wallmannsthal (Transvaal), 60 Jahe alt, nach 35jährigem Missionsdienst;

  • am 21. September Franz Losse in Lubobelo (Deutsch-Ostaftika) 30 Jahre alt, nach einjährigem Missionsdienst.

Norddeutsche Mission

  • am 14. Februar Matthäus Seeger, der während seiner Urlaubsreise 40jährig in Calw starb, nachdem er 16 Jahre lang an der Sllavenküste gewirkt hatte.

Hermannsburger Mission

  • am 23. März Georg Behrens in Harmshope (Südafrika) nach 14jähriger Dienstzeit;

  • am 22. April Wilhelm Behrens  in Bethanie (Ttansvaal) nach 42½jähriger Dienstzeit;

  • im Juni Wilhelm Rodewald in Mocoeli (Transvaal) nach 20jährigem Missionsdienst, [13]

  • im Juli (?) Christoph Backeberg in Berseba (Transvaal) nach 35jähriger Dienstzeit; [14]

  • am 15. Oktober Johann Kück in Empangweni (Natal) nach 39jähriger Dienstzeit;

  • am 15. Oktober David Wolff in Ekhulengeni (Transvaal) nach 13jährigem Missionsdienst.

Rheinische Mission

  • am 13. Januar Eduard Lewandomsky in Si Laitlait (Sumatra),  30 Jahre alt, nach fünfjähriger Dienstzeit;

  • am 1. Mai Wilhelm Stahlhut in Ondjiva  (Ovamboland), 35  Jahre alt, nach siebenjähriger Dienstzeit;

  • am 22. Juni Wilhelm Jckler in Omupanda (Ovamboland) im Alter von 35 Jahren nach vierjährigem Missionsdienst;

  • am 10. Juli Paul Albath in Gochas (Deutsch-Südwest-Afrika) im Alter von 31 Jahren nach sechsjähriger Dienstzeit;

  • am 11. November Wilhelm Schaar in Okombahe (Deutsch-Südwest-Afrika), 35Jahre alt nach zehnjährigem Missionsdienst.

  • am 13. November Friedr. Wilh. Chr. Hager, Pastor, im Alter von 60 Jahren, von 1866 - 1879 Missionar in Borneo,

Schleswig-Holsteinische Mission

  • am 22. Mai Missionar Kuhlmann in Koraput (Ostindien);

  • am 3. Juni Seminardirektor Timm in Kolapad (Ostindien).

 zum Inhaltsverzeichnis


Anmerkungen

[1] 
Der Jahrgang 1900 hat keine Rundschauen gebracht. Es war meine Absicht, statt ihrer einmal eine General-Übersicht über ein ganzes Jahr zu geben. Nur sollte sie bereits in der Dezember-Nummer 1900 erscheinen. Leider konnte sie bis dahin der Verfasser nicht liefern, und so beginnt mit ihr der neue Jahrgang, der übrigens auch wieder Spezial-Rundschauen bringen wird.  D. H.

[2] 
Es ist auf S. 201 ff, des vorigen Jahrgangs  abgedruckt. Auch englische Missionszeitschriften, z. B. The MissionWorld, Miss. Rev. of the World, Chinese Recorder haben seinen Wortlaut gebracht.

[3] 
N. M-Z. 1900, 239

[4] 
In meiner Broschüre ist Seite 8 Anmerkung 2 Taneras gedacht.  D. H.

[5] 
Ich fürchte, sie stirbt nie aus. D. H.

[6]  
Diese Zeitschrift wird nächstens einen Spezialartikel über die Pariser Missionsgenossenschaft bringen, den der verstorbene Krüger noch für sie vorbereitet, aber leider nicht fertig zu stellen vermocht hat. Seine handschriftlichen Notizen hat er dem Herausgeber zur Verfügung gestellt.
D. H.

[7]  
Aber wo sind sie? Nach dem letzten Jahresberichte hatte die Gesellschaft in ihrem Dienste 400 ordinierte, 102 nichtordinierte männliche Missionare und 126 ledige Missionarinnen, dazu 53 Ärzte. Nun waren 1890 schon ca. 400 da - es müssen also ziemlich viele den Missionsdienst wieder verlassen haben. D. H.

[8]
Eine der nächsten Nummern wird über dieses missionsgeschichtlich wichtige Ereignis ausführlichen Bericht bringen.  D. H.

[9]  
Ohne die Indianer Amerikas. D. H.

[10]  
Umfassen aber das Einkommen trom home and foreign sources. D. H.

[11]  
Auch die C. M. S. bezieht aus Australien nicht unerhebliche Unterstützung. D. H.

[12] 
Die Geschichte dieser aufregenden Monate ist unter dem Titel veröffentlicht: Schreckenstage in Kumase. Nach dem Tagebuch von Missionar Ramseyer, dargestellt von P. Steiner. Basel. 50 Pfg.

[13]  
Datum unbekannt, des Krieges wegen nur spärliche Briefe.

[14]  
Datum unbekannt, des Krieges wegen nur spärliche Briefe.

zum Inhaltsverzeichnis 


Das Verhältnis unserer deutsch-ostafrikanischen Mission zur Kolonisation

Von Carl Paul

Die Leipziger Mission daheim und draussen, Verlag der Ev.-luth. Mission Leipzig 1914, Seite  217 - 229

Der Straßburger Professor Lucius wies beim Beginn unserer Kolonialära darauf hin, dass in Zeiten großzügiger kolonisatorischer Bestrebungen auch die missionierende Kirche regelmäßig größere Fortschritte gemacht hat. Er prophezeite daher gute Missionserfolge in den neuen deutschen Besitzungen. Der vorsichtige und in der Beurteilung des Grenzgebietes zwischen Mission und Kolonisation ganz gewiss nicht optimistische D. Warneck ließ in seiner Schrift "Welche Pflichten legen uns unsere Kolonien auf?" ähnliche Töne erklingen. Die Geschichte der letzten 30 Jahre hat eine Bestätigung jener Prophezeiung gebracht. Allerdings muss im kolonisierenden Volke eine der christlichen Kirche günstige Stimmung vorhanden sein, wenn die Missionsbestrebungen durch die Kolonialpolitik gefördert werden sollen. Andernfalls wird die Kolonisierung ohne einen sonderlich bemerkbaren christlichen Einschlag erfolgen. Wir haben derartige Beispiele vor Augen. In Frankreich steht die tonangebende Politik im Kampf mit der Kirche. Dasselbe gilt von Portugal, das gegenwärtig ebenfalls noch größere Kolonialgebiete besitzt. Der Kampf gegen die christlichen Bestrebungen daheim setzt sich auch in den französischen und portugiesischen Kolonien fort. Die Folge davon ist eine ganz geringe Missionstätigkeit in ihnen. Unsere deutschen Schutzgebiete grenzen in West- und Ostafrika zum Teil hart an die Kolonialgebiete dieser Völker. Man kann dort die verschiedene Wirkung einer missionsfreundlichen und einer missions-feindlichen Kolonialpolitik beobachten. Während es in den deutschen Kolonien von Missionsniederlassungen förmlich wimmelt, muss man sie in den französischen und portugiesischen Gebieten mit der Lupe suchen. Aus dieser Gegenüberstellung ist zu ersehen, dass die deutsche Kolonisation sich als eine Förderin der Missionstätigkeit erwiesen hat.

Anderseits ist festzustellen, dass das Zusammentreffen von Mission und Kolonisation leicht Zusammenstöße und Erschwerungen mit sich bringt. Sie ergeben sich aus der grundsätzlichen Verschiedenheit beider. Die Kolonialpolitik ist in ihrer Reinkultur eine ausgesprochene Egoistin. Wenn ein Volk Kolonien erwirbt, geht es nicht auf den Pfaden der Wohltätigkeit. Es sucht ein Abflussgebiet für seine überschüssige Bevölkerung oder Erleichterung in der Zufuhr wichtiger Nahrungsmittel. Es verschafft sich Absatzgebiete für seine Industrieerzeugnisse; wohl auch ein Betätigungsfeld für seine unternehmungslustige junge Mannschaft. Als Grundgedanken von alledem wird man hinstellen dürfen: das Mutterland will von den Kolonien zehren, sich auf deren Kosten bereichern. Die Mission stellt sich in einen ausgesprochenen Gegensatz zu solchen egoistischen Bestrebungen. Sie will aus den Kolonien für sich nichts holen; sie will etwas, und zwar ein hohes Gut, in die überseeischen Gebiete hinaustragen. Sie stellt sich in jeder Hinsicht als eine Wohltäterin der Kolonialbevölkerung dar. Mission und Kolonialpolitik haben also von Haus aus ganz verschiedene Beweggründe. Und wenn sie sich begegnen, geraten sie leicht in eine gewisse Gegnerstellung, zumal wenn die Kolonisatoren jenen selbstsüchtigen Standpunkt mit aller Schärfe und Rücksichtslosigkeit geltend machen. Da sieht sich die Mission unversehens in die Rolle eines Anwalts der Eingebornen gedrängt, die sie nicht vergewaltigen lassen will. So kommt es zur Gegnerschaft zwischen beiden. Wir haben diesen Vorgang in den letzten Jahrzehnten wiederholt erlebt. Zeitungsfehden und Verunglimpfungen der Mission in öffentlichen Vorträgen waren hier in der Heimat die Folge davon. Draußen in den Kolonien ein noch viel unbehaglicherer Zustand. Da die Verschiedenheit beider Kräfte in ihrem Wesen begründet ist, wird diese Gegnerschaft nie ganz verschwinden; aber sie lässt sich bei beiderseitigem guten Willen mildern. Ihre Vertreter sind mit der Zeit tatsächlich einander nähergekommen. Die Kolonisatoren haben eingesehen, dass sie nicht Raubbau treiben dürfen; denn das hieße, die Henne schlachten, die die goldenen Eier legt. Sie haben auch günstiger über die eingeborene Bevölkerung urteilen gelernt. Der Großkaufmann Eduard Woermann in Hamburg erließ kürzlich ein Preisausschreiben über die Frage, wie der Kindersterblichkeit in unsern Kolonien gewehrt werden könnte. Das war an sich schon ein Zeichen von Wertschätzung, der Eingeborenen, die wir mit Genugtuung feststellen wollen. Aber noch wertvoller war die Begründung. Er sprach es mit einer kaufmännischen Redewendung unverhohlen aus, dass die farbige Bevölkerung das wirtschaftlich wertvollste Aktivum unserer Kolonien wäre. Von dieser Erkenntnis ist nur noch ein kleiner Schritt zur Freundschaft mit der Mission, die ja das deutliche Bestreben bekundet, dieses Aktivum noch leistungsfähiger und wertvoller zu machen. In der Tat mehren sich die Freunde der Mission in den kaufmännischen und wirtschaftlichen Kreisen. Anderseits haben auch die Missionskreise dem Kolonialpolitiker manches Zugeständnis gemacht. Wir sind in dieser Hinsicht in Deutschland allmählich auf denselben Standpunkt gekommen, den die englischen Missionsgesellschaften schon früher einnahmen. Der reine Doktrinarismus wird schließlich nirgends auf die Dauer das Feld behalten. Die Kolonisatoren, mögen das nun Kaufleute oder Pflanzer oder Beamte oder Schutztruppler sein, sehen ein, dass die Missionare für immer dableiben und nach ihren Grundsätzen weiter arbeiten werden. Die Missionare aber finden auch ihrerseits keinen andern Ausweg, als dass man sich mit den anderen vertragen lernen muss. So kommt ein Kompromiss zwischen der Mission und der Kolonialpolitik zustande, bei dem man die Leistungen des früheren Gegners anerkennt, ja vielleicht sogar Vorzüge an ihm entdeckt, während man gleichzeitig etwas weniger selbstbewusst über den eigenen Wert denkt. In dieses Stadium treten wir jetzt in unsern überseeischen Gebieten nach Überwindung der kolonialpolitischen Kinderjahre und Kinderkrankheiten allenthalben ein.

Von diesen allgemeinen Sätzen soll nun die Anwendung auf das Verhältnis unserer Mission in Deutsch-Ostafrika zur Kolonisation gemacht werden. Vergegenwärtigen wir uns zunächst den Werdegang beider in unserem Missionsgebiet. Hier soll nur von den drei Gebirgslandschaften an der Nordgrenze Deutsch-Ostafrikas die Rede sein, über die unsere 14 Stationen verstreut sind. Es wird sich freilich nicht immer vermeiden lassen, auf Vorgänge in der ganzen ostafrikanischen Kolonie Bezug zu nehmen; denn nicht jede kolonisatorische Maßregel, die einen Einfluss auf unsere Tätigkeit ausübt, lässt sich in den Bezirksämtern von Wilhelmsthal, Moschi und Aruscha nachweisen.

Die Mission hielt am Kilimandscharo ihren Einzug gleichzeitig mit den ersten kolonialpolitischen Ereignissen.*. Die evangelische Mission hat es nicht gern, zugleich mit der militärischen Besetzung des Landes sich irgendwo niederzulassen. Es liegt die Missdeutung seitens der Eingebornen gar zu nahe, dass Schwert und Kreuz miteinander im Bunde stehen, das Land zu erobern. Die katholische Mission ist in dieser Hinsicht anscheinend weniger bedenklich. So war es nicht ganz zufällig, dass unsere ersten Missionare sich nicht nach Moschi setzten, wie ursprünglich geplant war, sondern nach Madschame weiterzogen, weil in Moschi zu der Zeit die Militärstation ausgebaut ward. Ähnlich gestaltete sich das Verhältnis der Mission zur Kolonisation am Meru, wo Nkoaranga zum ersten Missionsplatz wurde, während die politische Niederlassung in dem eine halbe Tagereise entfernten Aruscha liegt. Dasselbe wiederholte sich jüngst noch einmal in Jramba. Der Missionsplatz Ruruma liegt auch dort ziemlich weit abseits vom Militärposten Mkalama. Wir reden gewiss nicht einem gespannten Verhältnis zwischen den Leuten der Regierung und der Mission das Wort; wir begrüßen ein völlig einträchtiges Vorgehen beider, wo nur immer es zustande kommt. Aber in der ersten Zeit hat es doch die Bedeutung eines nützlichen Anschauungsunterrichts für die Eingebornen, wenn ihnen auch durch die getrennte Lage der beiderseitigen Niederlassungen deutlich gemacht wird, dass die Missionsstation und die Militärstation zwei verschiedenen Herren dienen.

Sobald nun die beiden Kräfte im afrikanischen Neuland in Tätigkeit treten, üben sie auch eine Wechselwirkung aufeinander aus. Fragen wir zuerst, wie die Kolonialpolitik und die Kolonisation auf die Mission wirken.

Man kann im allgemeinen den Satz aufstellen, dass die deutsche Kolonialpolitik die Missionstätigkeit nicht direkt fördert, aber eine für sie günstige Atmosphäre schafft. Der Neger erhält auch im Inlande mit der Zeit eine Vorstellung von der Macht  des Deutschen Reiches und von seiner Kulturhöhe. Er beugt sich vor dieser neuen Erscheinung und verliert das Vertrauen zu den Kräften, die bisher in seinem eigenen Volkstum wirksam waren. Da sich das auch auf das religiöse Gebiet überträgt, wird er zur Annahme des Christentums geneigt.

Die Kolonisation aber wird vielerorts zu einer Wegbereiterin für die Mission. Man braucht nur einmal die ost-afrikanischen Reiseberichte vor 30 Jahren mit den heutigen zu vergleichen, um den gewaltigen Fortschritt zu erkennen. Damals noch ein umständlicher Segelschiffsverkehr mit der ostafrikanischen Küste via Sansibar, jetzt eine glatte Überfahrt von Hamburg nach Tanga mit den bequemen Schiffen der Deutschen Ostafrika-Linie. Damals ein mühsamer 14tägiger Fußmarsch mit teuren Trägerlöhnen und Wegezollabgaben von der Küste zum Kilimandscharo. Er wurde durch die Ugandabahn, die ja der englischen Kolonisation zu verdanken ist, nur um die Hälfte abgekürzt. Jetzt eine einfache Bahnfahrt von Tanga nach Neu-Moschi. Von den Bahnstationen am Paregebirge und Kilimandscharo erreicht man jede unserer Niederlassungen in diesen Gebirgsländern mittels eines Tagesmarsches. Auch am Fuß des Meru, wird der Lokomotivenpfiff bald ertönen. Nimmt man dazu die immer fortschreitende Anlegung ordentlicher Straßen und Brückenbauten über die Bergströme, sowie die Bequemlichkeiten der Post und der Telegraphie, die ebenfalls bis ganz oder doch ziemlich nahe an unsere Stationen heranreichen, so haben wir da eine Menge Verkehrserleichterungen, die für die Kolonisation geschaffen sind, aber auch der Mission zugute kommen. Also die Kolonisation wird zur Wegbahnerin für die Mission. Ferner hat die von der deutschen Verwaltung ins Werk gesetzte Befriedung des Landes eine größere Sicherheit für Leben und Eigentum herbeigeführt. Am Kilimandscharo findet man eine Reihe von Europäergräbern, die es bezeugen, dass auch hier der schwarze Mann dem weißen den Eintritt wehren wollte. Es sind nicht nur Soldatengräber. Auch zwei wissenschaftliche Forscher haben ihren Pionierdienst mit dem Tode bezahlen müssen. Am Meru aber liegt das Doppelgrab unserer beiden Brüder Ovir und Segebrock. Alle diese Grabstätten sind in den neunziger Jahren gegraben worden, wo das Leben der Europäer am Berge noch gefährdet war. Heutzutage aber geht man, nur mit dem Bergstock oder dem Regenschirm bewaffnet, ungehindert weithin durch das Land. Hätten die Räuberhelden von der Art des Sina von Kiboscho oder Meli von Moschi heute noch das Heft in Händen, unsere Missionare hätten es viel schwerer, Evangelistenwege zu machen, ihr Land zu bebauen und ihre Gemeinden beisammenzuhalten. Der Landfriede ist eine Wohltat für ihr Werk.

Weiter ist an die Vorteile der Gesundheitspflege zu erinnern. Unsere Stationen liegen zwar fast ausnahmslos in gesunder Höhenlage; jede Reise durch die Niederung aber kann eine Malariaerkrankung zur Folge haben, wenn die Missionsleute nicht vorsichtig sind und prophylaktisch Chinin nehmen. Die Entdeckung des Malariaerregers und der ihm wehrenden Chininprophylaxe ist aber wiederum im Zusammenhang mit der Kolonisation erfolgt. Mit der Bekämpfung der Schlafkrankheit und anderer Seuchen ist man noch nicht ganz so weit, wohl aber weisen auch die allgemeinen hygienischen Verhältnisse allerlei Fortschritte auf. Das kommt auch unserm Werke zugute.

Der eigentliche Missionsbetrieb erfährt, wie oben erwähnt, keine direkte Begünstigung seitens der Kolonisatoren; aber der im Volke hervortretende Bildungstrieb, der mit den neuen politischen Verhältnissen auch in einem gewissen Zusammenhang steht, trägt doch an manchen Orten dazu bei, unsere Schulen zu füllen; und diese Schulen liefern wiederum einen ziemlich bedeutenden Prozentsatz der Taufbewerber.

Dieser Förderung der Mission durch die Kolonisation steht freilich auch manches Hemmnis, das von dieser Seite kommt, gegenüber. Wir haben wie in andern Schutzgebieten so auch am Kilimandscharo zunächst geradezu eine Störung der Mission durch die Kolonisatoren erlebt. Es war im Anfang der neunziger Jahre. Die unwahre Behauptung, dass die in Moschi sitzenden englischen Missionare den Dschaggakriegern Gewehre gegen die deutsche Schutztruppe in die Hände gespielt hätten, und die nachfolgende Verdrängung der C. M. S., die einer Ausweisung bedenklich ähnlich sah, bilden kein Ruhmesblatt unserer Kolonialeschichte. Ferner ist auf die durch die Kolonisation geschehende schnelle Entwurzelung der auch bei den heidnischen Völkern vorhandenen sittigenden Ordnungen und Kräfte hinzuweisen; auf die ebenso rasche und zum Teil absichtliche Zerstörung des Volkstums, worüber Gutmann, der begeisterte Freund des Dschaggavolkstums, besonders klagt; auf den schlechten Einfluss der durch Mission und Kolonisation. Handel und Wandel ins Land geführten fluktuierenden farbigen Elemente sowie auf den mit der Kolonisation einflutenden Islam, der uns eine viel schwerere Aufgabe stellt als das afrikanische Heidentum. Der zwar langsam aber sicher vor sich gehende Abfluss der ansässigen Bevölkerung aus der gesunden Höhenlage in die weniger günstig gelegenen Farmgebiete bringt auch mancherlei Schädigung unserer Arbeit mit sich. Der Schulunterricht der Jugend und die Taufvorbereitung sowie der Kirchenbesuch der Erwachsenen werden dadurch erschwert. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht verschwiegen werden, dass eine nicht geringe Zahl der ins Land gekommenen weißen Männer in religiöser Hinsicht ganz gleichgültig ist und einzelne ein sittlich anstößiges Leben führen. Solch ein schlechtes Beispiel des weißen Mannes aber wirkt entsittlichend auf die Farbigen und erschwert die Beobachtung einer straffen Kirchenzucht in den jungen heidenchristlichen Gemeinden. Das ist die Gegenrechnung, die wir aufzumachen haben. Wir wollen hier den Nutzen und die Schädigungen gegeneinander nicht aufrechnen, sondern uns damit begnügen, beides nur festzustellen.

Fragen wir nun anderseits, wie die Missionstätigkeit auf die Kolonisation wirkt. Es wird sich auch hier dem objektiven Beobachter ein Nutzen und eine Benachteiligung ergeben.

Mit der politischen Seite der Kolonisation macht die Mission sich im allgemeinen nicht zu schaffen. Es liegen allerdings Beispiele aus andern Schutzgebieten vor, wonach auch die evangelische Mission ihre Mitwirkung nach dieser Richtung nicht gänzlich versagt hat. So leistete z. B. die Rheinische Mission der deutschen Regierung bei der Besitzergreifung von Deutsch-Südwestafrika schätzenswerte Dienste; und bei der Niederwerfung des letzten größeren Aufstandes in Deutsch-Ostafrika spielte ein Superintendent der Berliner Mission und seine Station eine nicht unbedeutende Rolle. Unsere eigene Mission hat sich nach dieser Seite hin nicht betätigt. Wohl aber beweist auch sie sich als Kulturträgerin in den Werken des Friedens. Jede unserer Stationen bedeutet, rein äußerlich angesehen, einen Lichtpunkt im dunklen Afrika. Mit dem Betreten einer Missionsstation wird jeder Afrikareisende aus der Wildnis in eine dem Kulturmenschen wohltuende Umgebung versetzt. Dr. Hans Meyer schrieb seinerzeit in seinem Reisewerk über die Kilimandscharo-Besteigung von seinem Abstieg an der Seite von Madschame und der Rast auf unserer dortigen Station: "Hier in dieser fernen stillen Kulturoase fühlte ich im kleinen Familienkreis des Missionars Müller wieder einmal den herzerwärmenden Einfluss des deutschen Gemüts und des deutschen Idealismus." Inzwischen sind neben den Missionsniederlassungen ziemlich viele trauliche Beamten- und Farmerhäuser in Deutsch-Ostafrika entstanden. Aber noch immer wissen die Kolonisten das Missionshaus mit seiner gemütlichen Gastfreundschaft zu schätzen. Mancher unverheiratete Mann kann nur hier wieder einmal den Segen des deutschen Familienlebens genießen. Einzelne unserer Stationen werden auch in wirtschaftlicher Hinsicht geschätzt. Ich denke da namentlich an Nkoaranga am Meru, dessen Stationarius Schachschneider in der Bepflanzung seines Stationslandes ganz Vortreffliches leistet, oder an den Missionar Fokken von Aruscha, der als Viehzüchter einen guten Namen bei den Kolonisten hat, oder an Rothers Kautschukplantage in Gonja. In Marangu blühte eine Zeitlang das Handwerk. Durch das dortige Brandunglück ist eine Störung in den Betrieb gekommen; wir hoffen aber binnen kurzem in Schira die Lehranstalt für praktische Arbeit in verbesserter Gestalt wiedererstehen zu lassen.

Zur geistigen Hebung der Bevölkerung tragen die Missionsschulen in hervorragendem Maße bei. Das gilt vom Kilimandscharogebiet und dem Paregebirge in besonderer Weise. Während an der Küste viele Regierungsschulen bestehen, sind die Neger in den von uns besetzten Bergländern ausschließlich auf die Missionsschulen angewiesen, letztere kommen zwar nicht direkt der Kolonisation zugute. Sie dienen in erster Linie dem Volkswohl der Eingebornen. Aber jeder weitschauende Kolonialpolitiker wird den Segen einer soliden, guten Volkserziehung zu schätzen wissen, auch wenn er die Frucht davon erst nach einem halben oder ganzen Menschenalter ernten kann. Gerade in dieser soliden Volkserziehung und Volksbildung aber liegt ein Vorzug der Missionsschule. Mit ihren 87 Schulen und 8.270 Schülern beiderlei Geschlechts leistet unsere Mission einen ansehnlichen Beitrag zur Hebung des Volkes.

Die Mission stellt auch einen Teil der geistigen Kräfte, die im Dienste der Erforschung unserer Kolonie stehen. Um geographische Studien und Entdeckungen handelt es sich für unsere Brüder nicht mehr. Baumann und Hans Meyer sind vor ihnen dagewesen. Doch darf in diesem Zusammenhang der Name Rebmanns als des Entdeckers des Kilimandscharo nicht ungenannt bleiben. Rühmend zu erwähnen ist aber der Anteil, den unsere Missionare an der Förderung der afrikanischen Sprachwissenschaft und Volkskunde haben. Dass das Kidschagga zur Schriftsprache erhoben wurde, ist ausschließlich ihr Verdienst. Beim Chasu wenigstens zum großen Teile. Dasselbe gilt von der Erforschung der Masaisprache. Für die Dschagga-Volkskunde sind Gutmanns Arbeiten geradezu epochemachend. Die jetzt im Druck befindliche Schrift unseres Lehrers Kittel über die geistigen Anlagen der Dschaggaknaben und von Dannholz über das Seelenleben der Paregebirgler werden auch die gebührende Anerkennung finden.

Wenn ich schließlich noch die Tätigkeit unseres Missionsarztes und der vier Krankenpflegerinnen er- wähne, die ihre Liebesdienste nicht nur den Farbigen, sondern auch den Europäern in unserm Gebiet zugute kommen lassen, so ist damit nach vielen Seiten hin ein Nutzen der Mission für die Kolonisation angedeutet. Die beste Hilfe aber, die die Mission zur Hebung und Veredelung der eingebornen Bevölkerung leistet, liegt in der Pflanzung neuer Gesinnungskeime. Das in die Negerstämme getragene Christentum ist zwar zunächst eine geistige Kraft. Diese setzt sich aber bis in die äußersten Glieder des Volkskörpers durch und macht sich mit der Zeit im sittlichen Verhalten und schließlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht geltend. Man muss nur Geduld haben, ihre Wirkungen abzuwarten. Jedes Feld braucht gewisse Zeit, ehe aus der Saat die reifen Ähren werden. Das beachten viele Kritiker nicht.

Nun die andere Seite der Sache. Haben denn die Kolonialpolitiker und die Kolonisten auch berechtigte Klagen über die Mission und die Missionare? Es ist eine nicht wegzuleugnende unerfreuliche Tatsache, dass in Beamten- und Ansiedlerkreisen eine gereizte Stimmung gegen die Mission herrscht. Sie mag zum Teil daher kommen, dass die Mission in der ersten Periode der Kolonisation das Gewissen der Kolonialpolitik darstellt. Es sei an den Kampf der Missionskreise gegen den Branntweinhandel in unsern westafrikanischen Kolonien erinnert. Einen solchen im kaufmännischen Geschäftsgebaren liegenden Angriffspunkt hat die Kolonisation in Deutsch-Ostafrika nicht. Aber diejenigen Europäer, die einen moralisch anfechtbaren Wandel führen, sehen im Missionar, selbst wenn er sie nicht kritisiert oder anklagt, einen ihnen lästigen Beobachter. Das führt zu der oben erwähnten Spannung. Freilich nur vorübergehend. Es wird auch am Kilimandscharo und Meru, wie anderwärts, die Zeit kommen, wo die kirchliche Versorgung der Ansiedler aus den Händen der Missionare in die eines eigenen Ansiedlerpastors übergeht. Diese Wandlung vollzieht sich in unserem Gebiet gerade jetzt. Noch im Laufe dieses Jahres begibt sich der vom Landeskonsistorium zu Dresden berufene erste deutsche Pastor von Leudorf, der mit der Zeit auch die Städte Neu-Moschi und Aruscha zu versorgen haben wird, nach Ostafrika. Vielen Europäern ist es ferner ein Dorn im Auge, dass der Missionar häufig als Verteidiger des Eingebornen auftritt. Unsere Missionare haben das bei Behandlung der Arbeiterfrage getan und zuletzt bei der Sperrung des Dschaggalandes gegen den Zuzug weißer Kolonisten. dass dieses Eintreten für die Interessen der Eingebornen manchem Kolonisten lästig ist, kann man verstehen; denn es wird damit dem Herrenmenschentum und der rücksichtslosen Ausnutzung des Landes und Volkes eine Schranke gezogen. Es ist aber bezeichnend, dass bei den dadurch entstandenen Streitfragen die über den Parteien stehende Regierung wiederholt auf die Seite der Missionare trat, woraus man doch den Schluss wird ziehen dürfen, dass der Anwalt der Eingebornen wirklich eine gute Sache verfocht. Ein solcher Verteidiger sieht sich um des Gewissens willen genötigt, seine Stimme zu erheben, mag sie nun gern gehört werden oder nicht, solange nicht überall vertrauenswürdige Eingebornen-Kommissare bestellt sind oder die Rechtslage der Farbigen auf andere Weise sichergestellt ist. Man muss bei der Beurteilung solcher Streitfälle auf eine höhere Warte treten und darf sich durch Angriffe oder Tadelsstimmen, die aus dem Lager der Beteiligten kommen, nicht irreführen lassen. Leider nehmen die in Deutsch-Ostafrika erscheinenden Zeitungen noch immer in einseitiger Weise Partei für die Ansiedler. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis in diesen Organen der öffentlichen Meinung auch die berechtigten Interessen der Eingebornen ihre Vertretung finden. Die am Kilimandscharo jetzt aufgerollte Frage des Arbeitszwanges berührt, wie oben gezeigt, auch die Missionstätigkeit, und es ist daher verständlich, dass sie auch in den Missionskreisen lebhaft erörtert wird, darf aber nicht vergessen, dass das wirtschaftliche Leben der Kolonie ein Grenzgebiet der Mission darstellt. Um so behutsamer werden daher die Missionare ihre und ihrer Pflegebefohlenen Interessen zur Geltung bringen müssen.

Auf dem Gebiet des Schulwesens steht die Auseinandersetzung noch bevor. Fernerstehende können denken, die Mission habe in ihren Schulen ein unbeschränktes Hausrecht und könne bei deren Einrichtung ganz nach ihrem Belieben verfahren. Das bisherige Verhalten der ostafrikanischen Kolonialverwaltung scheint diese Auffassung zu rechtfertigen. Es gibt keine Regierungsaufsicht der Missionsschulen und dementsprechend auch keine Regierungsbeihilfe zu den Kosten dieser Lehranstalten. Die Mission kann Schulen einrichten, wo sie nur will. Sie hat volle Freiheit hinsichtlich der Unterrichtsfächer und bei Aufstellung der Lehrpläne. Damit steht unsere deutsch-ostafrikanische Mission im ausgesprochenen Gegensatz zur Tamulenmission, wo unserem Schulwesen von der englischen Regierung freiwillig angenommene goldene Ketten angelegt worden sind. Aber auch in Deutsch-Ostafrika wird der jetzige Zustand nicht bleiben. In der kleinen west-afrikanischen Togokolonie werden seit mehreren Jahren Versuche gemacht, wie die Beziehungen zwischen der deutschen Kolonialregierung und den Missionsschulen gestaltet werden sollen. Die dort gemachten Erfahrungen werden später der Regelung der Dinge in Ostafrika zugute kommen, wir müssen die unbeschränkte Freiheit, die unsere Schulen jetzt noch genießen, in vollem Maße ausnutzen, indem wir die Jugendunterweisung in erster Linie unter den missionarischen Gesichtspunkt stellen. dass die Schüler gleichzeitig zu tüchtigen Gliedern der menschlichen Gesellschaft herangebildet werden müssen, versteht sich von selbst; sie könnten ja sonst den Anforderungen der neuen Zeit nicht gerecht werden. Eben damit dient die Missionsschule auch der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Zu gleicher Zeit aber muss die Leitung unseres Schulwesens sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit der Regierung als der Schulaufsichtsbehörde einrichten. Jetzt gleichen unsere Schulen auf den Hauptstationen und Außenplätzen noch den Sämlingspflanzen, die unter günstigen Umständen aus mehr oder weniger zufällig ausgestreuten Samenkörnern entstanden sind. In Bälde muss der geordnete Betrieb eines Pflanzgartens eintreten.

Die Ausbreitung des Islam soll, als zu den Beziehungen zwischen Mission und Kolonisation gehörig, wenigstens noch kurz erwähnt sein. Es ist eine erst in den letzten Jahren deutlicher erkannte Tatsache, dass der Mohammedanismus, der sich schon vor der deutschen Besitzergreifung an der ostafrikanischen Küste festgesetzt hatte, auf den Wegen der Kolonisation in die heidnischen Gebiete des Innern einflutet. In den Reihen unserer Kolonialpolitiker fehlte es früher nicht an Lobrednern und Fürsprechern des Islam. Sie erwarteten von seiner Verbreitung eine kulturelle Hebung des Landes. Die schon damals aus dem Missionslager kommenden Warnungen wurden überhört. In jüngster Zeit ist aber die Überzeugung von der islamischen Gefahr allgemeiner geworden. Nachdem die Vertreter der Mission bei den Kolonialkongressen immer stärker betont hatten, dass die christlichen wie die deutschen Interessen in gleicher Weise durch den Islam bedroht sind, kam auch den kolonialen Kreisen die Erkenntnis, dass unsere Kolonialpolitik auf der bisherigen Bahn nicht fortschreiten dürfe. Die Vorstandssitzung der Deutschen Kolonialgesellschaft zu Breslau am 3. Juni 1913 nahm daher folgende Resolution an:

"Der Vorstand sieht in der fortschreitenden Islamisierung in Ostafrika eine ernste politische und kulturelle Gefahr, der entgegengetreten werden muss. Das Reichs-Kolonialamt möge in dieser Richtung unter Anforderung der nötigen Mittel evtl. entsprechende Maßnahmen veranlassen".

Es kann den Wortführern der Mission nicht in den Sinn kommen, von der deutschen Regierung ein Einschreiten gegen den Islam mit den Machtmitteln des Staates zu verlangen. Das widerspräche den in der Kongoakte von 1885 von den Kolonialmächten ausgesprochenen Grundsätzen der religiösen Duldung in den afrikanischen Schutzgebieten. Aber das dürfen die Vertreter der christlichen Mission erwarten und fordern, dass die Kolonialverwaltung durch ihre Einrichtungen die Ausbreitung des Mohammedanismus fernerhin nicht mehr fördert. Solches ist, wenn auch unbeabsichtigt, in den letzten Jahrzehnten tatsächlich geschehen. Mit dieser negativen Behandlung der Frage können wir uns aber nicht zufrieden geben. Die christliche Kirche hat die Aufgabe, die jetzt noch heidnischen Völker Ostafrikas möglichst schnell in den Schallbereich der Evangeliumsverkündigung zu ziehen, zugleich aber die eigentliche Mohammedaner-Mission in Angriff zu nehmen.

Mission und Kolonisation sind, wie wir sahen, zwei Kräfte, die verschiedenen Ursprung und verschiedene Ziele haben. Aber ihre Wege schneiden und verschlingen sich vielfach. Dadurch beeinflusst eine die andere. Es müsste zu einem scharfen Gegensatz beider führen, wenn die Kolonialpolitik in rein egoistischem Sinns gehandhabt würde und die Mission weltfremd und verständnislos für volkstümliche und nationale Interessen bliebe. Dieser Gegensatz würde ein Unglück für das Missionsfeld sein. Sind dagegen die Kolonialpolitiker sich der Verantwortung bewusst, die sie vor Gott tragen - man wird das dem obersten Leiter unserer Kolonialpolitik nicht absprechen können - und sind die Missionen auch ihrer Aufgabe in den Beziehungen zu den weltlichen Faktoren gewachsen, so ist bei beiderseitigem Entgegenkommen ein Handinhandgehen sehr wohl möglich, und das wird ein Segensquell für die Völker werden, zu deren Bekehrung auch unsere Mission nach Deutsch-Ostafrika gegangen ist.

Anmerkung

Wollen wir unsere Vorläuferin in Moschi, die englische Missionary Society, mit hinzurechnen, so war die Mission in diesem Gebiet zuerst da. Sehen wir aber nur auf die eigene Geschichte, so ist die Besetzung des Dschaggalandes durch die deutsche Kolonialmacht kurz vor unserm Erscheinen erfolgt.

Links

zum Inhaltsverzeichnis 


Die Welt des Islam als Missionsproblem

Von Missionsdirektor Prof. Carl Paul in Leipzig

Lutherisches Missionsjahrbuch für das Jahr 1923, H. G. Wallmann Leipzig, Seite 6 - 14

Es hat lange gedauert, bis die Christenheit die richtige Stellungnahme zum Islam fand. Sie erkannte die neue Religion zunächst nicht als solche. Man kann das mit dem Verhalten Mohammeds zu Judentum und Christentum erklären. Während er die Abgötterei des Heidentums aufs schärfste verurteilte und die Ausrottung des Götzendienstes als ein Gott wohlgefälliges Weil bezeichnete, nahm er den "Leuten des Buches" gegenüber - so nennt er im Hinblick auf das Alte und Neue Testament die Juden und Christen - eine schonendere Haltung ein. Er legte ihnen zwar eine Kopfsteuer und gewisse Beschränkungen bei ihrer Religionsübung auf, aber an ihre Vernichtung dachte er nicht. Die von ihnen mit Pietät behandelten Personen der heiligen Geschichte nannte auch er mit Ehrfurcht. Das täuschte die Christen seiner Zeit und wirkte noch einige Jahrhunderte nach. Die Apologeten der morgenländischen Kirche, wie Johannes Damascenus oder Theodor, Bischof von Kara, klärten das Angriffsgelände der an» stürmenden Sarazenen in überraschend sanfter Weise auf, und infolge der hartnäckigen theologischen Streitigkeiten im kirchlichen Lager konnte es sogar geschehen, dass die Christen Ägyptens lieber die mohammedanischen Horden ins Land kommen sahen als ihren christlichen Glaubensgenossen, den oströmischen Kaiser. In der abendländischen Kirche war man noch unklarer. Hier polemisieren Petrus Mauritius und Petrus Venerabilis im 12. Jahrhundert zwar in schärferem Tone, aber beide sehen im Islam nur eine Häresie oder Sekte. Dieser trat bei seiner Ausbreitung auch gar nicht wie eine missionierende Religion auf. Er zog mit fliegender Fahne durch Vorderasien und Nordafrika. Nur auf die Eroberung der Länder und Unterwerfung der bisherigen Machthaber schien er es abgesehen zu haben; Missionare des Islam stellten sich im Gefolge der Kalifen nicht ein. So ist es zu verstehen, dass das christliche Abendland sich nicht zur Missionierung sondern nur zu einem Gegenstoß mit gleichen Waffen herausfordern ließ. Einen solchen haben wir in den Kreuzzügen vor uns. Der Historiker Kugler kommt am Ende seiner Geschichte der Kreuzzüge zu einem ziemlich absprechenden Urteil über die in religiöser und ethischer Hinsicht geringwertige Leistung der abendländischen Christenheit. Wir können diesen Gegenstoß unter dem missionarischen Gesichtspunkt nur als einen Fehlgriff bezeichnen. Vom Geiste Jesu Christi war diese Stellungnahme zu der neuen und mit jedem weiteren Jahrhundert immer mehr als gegnerisch empfundene Religion nicht erfüllt. Die Nachwirkungen sind bis in die Reformationszeit zu spüren. Deren Predigten und Gebete gegen die Türken nähren das Gefühl, dass man es im Mohammedanismus mit einem Feinde der christlichen Kirche zu tun habe. Obschon einzelne Missionsstimmen laut werden, sieht man im allgemeinen die Missionsaufgabe noch nicht.

Es wäre aber doch höchst befremdlich, wenn die katholische Kirche, der der Islam im Mittelmeergebiet einen tausendjährigen Besitz entrissen und mit seiner Festsetzung in Sizilien und Unteritalien sich sozusagen ganz nahe vor den Stuhl Petri gestellt hatte, ihre geistliche Aufgabe gar nicht erkannt hätte. Sie versagte in Wirklichkeit nicht ganz. In Raymundus Lullus, dem Spross eines vornehmen spanischen Geschlechts, stand aus ihr der erste bedeutende Mohammedanermissionar auf. Wie dieser spät» bekehrte feurige Mann die Versäumnisse seiner Jugendzeit nach» holte, Italien und Frankreich bereiste, um am Sitz des Papsttums und an den berühmtesten Universitäten seiner Zeit die träge Christenheit gegen den sie herausfordernden Islam mobil zu machen wie er in Spanien und Italien arabische Studienanstalten in Gang brachte und schließlich in vorgerückten Lebensjahren drei Missionsreisen ausführte, die ihn in den Hafenplätzen Nordafrikas die wirksamste Methode der Disputation mit Mohammedanern finden ließ, das bildet eines der interessantesten Kapitel in der mittelalterlichen Missionsgeschichte. Sein 1315 erfolgter Märtyrertod krönte seine missionarische Lebensarbeit. Franziskaner- und Dominikanermönche setzten in der Folgezeit sein Werk im östlichen Mittelmeerbecken fort. Einige ihrer damals angelegten Stationen werden heute noch von ihren Ordensbrüdern gehalten. Zu einer kraftvollen Besetzung der nordafrikanischen und vorderasiatischen Linie kam es aber nicht. Die Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Ostindien brachte binnen kurzem ungeheuer große und leicht zu bearbeitende Missionsfelder in überseeischen Ländern der christlichen Kirche nahe. Die Missionspriester der genannten Orden und die Jünger Loyolas wurden von ihnen stark angezogen. Die lockende Aufgabe in den spanischen und portugiesischen Kolonialreichen lieh die Sarazenenmission in Vergessenheit geraten. Die römische Kirche hat sie bis in unsere Tage herein sichtlich vernachlässigt, obwohl der Ausgangspunkt der katholischen Propaganda den Ländern des Halbmondes auch heute noch näher liegt als jedes andere Missionszentrum der Christenheit.

In der Kirche der Reformation ist der Missionstrieb spät erwacht. Wir kennen die Gründe dieser Verzögerung und erheben keine Vorwürfe. Man kam in den ersten Jahrhunderten der lutherischen Kirche nicht über gewisse Schranken hinweg, wie Kawerau einmal treffend sagte: auch das Geschlecht unsrer Tage hat noch seine Schranken, über die eine spätere Generation vielleicht den Kopf schütteln wird. Als am Anfang des 18. Jahrhunderts Bartholomäus Ziegenbalg als erster Missionar aus unsrer Kirche hervorging, zog auch er in weitem Bogen um den mohammedanischen Länderblock herum, der zwischen dem christlichen Europa und den heidnischen Äquatorialgebieten lag. In gleicher Weise umschiffen die ihm nachfolgenden Missionare die Südspitze Afrikas oder benutzen später den Tunnelweg des Suezkanals durch den Bergkoloss des Islam, denn auch ihnen winkten in Indien, China oder der Südhälfte Afrikas schnelle Erfolge. Die Mohammedaner-Mission aber stand damals in dem Rufe, erfolglos zu sein. Ja, die missionierende Kirche stellte sich so einseitig auf die Belehrung der Heidenwelt ein, dass man, wenn von äußerer Mission die Rede war, nur die Heidenmission im Auge hatte. Wurde in den Kirchengebeten die Mission überhaupt erwähnt, so fast immer nur als Heidenmission. Ganz selten ward der Judenmission gedacht, der Mohammedanermission niemals. Erst im 19. Jahrhundert erwachte das Missionsgewissen dem Islam gegen« über. Bei den Versuchen, das damit entstehende Problem zu lösen, kam man auf den Gedanken, die erstarrten morgenländischen Kirchen zu geistlichem Leben zu erwecken und hernach zum Ausgangspunkt der Mohammedanermission zu machen.

Man hört viele geringschätzige Urteile über die Altersschwäche der griechisch-katholischen, armenischen, syrischen, koptischen oder abessinischen Kirche; und es ist nicht zu leugnen, dass sie im Gesamtbild der Christenheit jetzt eine bescheidene, um nicht zu sagen klägliche Rolle spielen. Aber man sollte doch nicht vergessen, dass die Nestorianer einst eine großartige Missionstätigkeit entfaltet haben, deren Spuren man durch ganz Asien findet, von Mesopotamien bis nach Südindien und China. Und schon der Umstand, dass diese alten Kirchen heute noch bestehen, fällt zu ihren Gunsten in die Wagschale. Am ganzen Nordrand Afrikas ist die christliche Kirche, aus der hochberühmte Kirchenmänner hervorgegangen waren, von der islamitischen Hochflut ganz hinweg gespült worden. (Vgl. Iselin. Der Untergang der christlichen Kirche in Nordafrika. Basel 1918.) Im Hinblick auf diese traurige Tatsache kann man den stehengebliebenen ehrwürdigen Pfeilern der orientalischen Kirchen, die in Vorderasien und der Nordostecke von Afrika immerhin noch eine Seelenzahl von 5 - 6 Millionen aufzuweisen haben, seine Achtung nicht versagen. Sie haben unter der Herrschaft und Misswirtschaft des Islam viel Schweres erduldet und ihren Posten dennoch behauptet. Kein Wunder, dass man sich beim Beginn einer neuen Ära für die Mohammedanermission nach ihnen umsah und sie als Bundesgenossen warb. Die Basler Mission sandte bald nach ihrer Entstehung Sendboten durch Russland in das Kaukasusgebiet. Zu Jerusalem entstand 1841 das preußisch-englische Bistum. In jahrzehntelangen Bemühungen suchte man die geistlich verarmte Abessinische Kirche an den Leib der abendländischen Christenheit anzugliedern und ihr durch neue Blutzirkulation zu helfen. Zuletzt kam unter einem ganzen Schwarm von europäischen und amerikanischen Missionsunternehmungen, die man besser als Evangelisationsbestrebungen bezeichnet, der Jerusalemsverein. Sie alle gingen darauf aus, an der Berührungsstelle zwischen Afrika und Asien und nahe bei dem Hauptquartier des Islam missionierende Kräfte in Bewegung zu setzen. Aufs Große und Ganze gesehen ohne den gewünschten Erfolg. Es zeigte sich auch hier, dass es leichter und praktischer ist, einen Neubau zu errichten, als eine morsch gewordene Ruine umzubauen.

In den Kolonialgebieten der protestantischen Völker fand sich das am leichtesten zugängliche Arbeitsfeld der neueren Mohammedanermission. Dort braucht man mit einem starken gegnerischen Faktor fast gar nicht zu rechnen: der in den Kernländern des Islam noch immer herrschenden Unduldsamkeit, die sich vielerorts bis zur Lebensgefahr für solche, die zum Christentum übertreten, steigert. Es sei hier eine kurze Statistik des gegenwärtigen Islam eingeschoben. Eine wirklich zuverlässige Aufzählung ist noch nicht möglich. Genau gezählten Gebieten stehen andere mit sehr oberflächlicher Schätzung gegenüber. Die Angaben über die Gesamtseelenzahl des Mohammedonismus schwanken zwischen 175 und 259 Millionen. Mart. Hartmann errechnete 224 Millionen, G. Warneck 215 - 220, S. Zwemer geht noch unter 200 Millionen herab. Unterscheidet man die Sprachgebiete, so findet man etwa 45 Millionen, die das Arabische als Muttersprache sprechen, 63 Millionen verteilen sich auf die Sprachen Indiens, etwa 30 Millionen reden malaiisch, ungefähr ebenso viele Mohammedaner bedienen sich afrikanischer Sprachen. Nach Herrschaftsgebieten verteilt findet Zwemer 81 Millionen als britische, 30 Millionen als französische, 30 Millionen als niederländische, 15 Millionen als türkische Untertanen. 16 Millionen sollen unter nichttürkischen mohammedanischen Herrschern leben. Wohin die 16 Millionen russische Mohammedaner bei der Aufteilung nach dem Weltkrieg geraten sind, lässt sich noch nicht übersehen. Die 2½ Millionen der deutschen Kolonien sind teils dem französischen, teils dem britischen Herrschaftsgebiet einverleibt.

Nordindien wurde seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts zum klassischen Land der neuzeitlichen Mohammedanermission. Der als Kaplan für die englischen Truppen ausgesandte Henry Martyn diente als Pfadforscher; auf ihn folgte der aus Württemberg stammende Lutheraner Karl Pfander. Er brachte aus Persien, wo er sich in mühsamer Geduldsarbeit und unter Lebensgefahr die Sporen verdient hatte, seine berühmte Schrift "Die Wage der Wahrheit" mit. Beide griffen auf die schon von R. Lullus benutzte Methode der öffentlichen Disputation und des Ringens zwischen Mann und Mann zurück. Weitere englische Missionare voll Mut und Begabung traten in ihre Fußtapfen. Die Erfolge sind unverkennbar. Die Art des Missionsfeldes und der Arbeitsmethode bringt es mit sich, dass sie mehr gewogen als gezählt sein wollen. D. Imadeddin, ein geistig bedeutender Mann vor seiner Taufe und später eine hervorragende theologische und missionarische Persönlichkeit, gehört zu den Früchten dieses Feldes.

Im Niederländisch-Ostindischen Kolonialgebiet, wo der malaiische Zweig des Islam sich noch immer ausdehnt, ist mit den holländischen Gesellschaften die Rheinische Mission teilweise von der Heidenmission zur Mohammedanermission übergangen. Sie hat es hier im Unterschied von Nordindien mit animistischen Mohammedanern zu tun, die noch nicht lange unter dem Zeichen des Halbmondes leben. Infolgedessen unterscheidet sich die Methode der Arbeit nicht wesentlich von der unter den Heiden Sumatras oder der anderen Inseln. Dem entsprechen auch größere Zahlenerfolge. Der im dortigen Missionsdienst erfahrene G. Simon zeigt in seiner Schrift "Islam und Christentum im Kampf um die Eroberung der animistischen Heidenwelt" den Vorgang im einzelnen und gibt in seinem späteren Buche "Der Islam und die christliche Verkündigung" einen Überblick über die Beziehungen zwischen beiden Religionen im Lauf der Jahrhunderte. Auch im äquatorialen Afrika hängen die Anfänge der Mohammedanermission vielfach mit der Kolonialpolitik zusammen. Dr. Krapf, der ostafrikanische Pionier, träumte auf seinem einsamen Posten an der noch verschlossenen Pforte des dunkeln Erdteils von einer christlichen Stationenkette, die von seinem Arbeitsfeld bei Mombasa quer durch Afrika nach Kamerun reichen und der vom Sudan ausgehenden südwärts gerichteten Ausbreitung des Islam Halt gebieten sollte. Zu seiner Zeit, da Innerafrika ganz unerforscht dalag, zeigte sich noch keine Möglichkeit, wie dieser Traum verwirklicht werden könnte. Da setzte nach einem Menschenalter die große Kolonialbewegung in Afrika ein. Der Kongostaat entstand. Deutschland erwarb und erschloss mit erstaunlicher Schnelligkeit seine Kolonien in Kamerun und Ostafrika. Große Scharen von männlichen und weiblichen Missionskräften wandten sich diesen Gebieten zu. Mitten im Weltkrieg wurde das letzte Glied der Krapsschen Kette geschlossen, allerdings mit etwas anderer Linienführung, als sie dem Träumer vorschwebte. Die Frage: Wer gewinnt Afrika, Kreuz oder Halbmond? ist damit zwar noch nicht gelöst, aber wir haben größere Klarheit über sie erlangt.

Um die Jahrhundertwende fing man in den evangelischen Missionskreisen an, die Missionsaufgabe deutlicher zu sehen. Samuel Zwemer in Kairo rief als Herold zu einer planvoll und kräftig betriebenen Mohammedanermission auf. Zwei denkwürdige Konferenzen in Kairo (1906) und Lucknow (1911) dienten zu allseitiger Orientierung. Die dort gehaltenen Vorträge stellen sich heute noch als wichtige Fundgruben beim Studium unsrer Frage dar. Die in der geistigen Zentrale am Nil gehaltenen sind in Newyork und London unter dem Titel "Methods of Mission Work among Moslems" wenigstens teilweise gedruckt; die von Lucknow (Nordindien) erschienen mit der Bezeichnung "lslam and Mssions" an denselben Orten (Fleming H. Revell Comp.). An diese großzügigen Tagungen auf afrikanischem und asiatischem Boden schloss sich 1913 eine solche in Bethel bei Bielefeld an, die zwar auch unter der geistigen Führung T. Zwemers stand, aber sonst fast nur von Deutschen besucht war. Als ihr Merkmal kann eine Neuorientierung für den Missionsdienst bezeichnet werden. Bisher wirkte noch immer die mittelalterliche Auffassung nach, dass der Islam als Feind und Konkurrent der christlichen Kirche zu behandeln sei. In Bethel fingen wir an, das in der Heidenmission so wirksame Barmherzigkeitsmotiv auch auf die Mohammedaner anzuwenden.

Nach diesen Präliminarien steht die Welt des Islam deutlicher denn je vor den Augen der Christenheit. Wir überschauen ihren Besitzstand, der sich viel geschlossener als der des Christentums vom Atlantischen Ozean durch die Nordhälfte Afrikas und Vorderasiens weit nach Osten erstreckt, einen südöstlichen Ausläufer nach Vorder- und Hinterindien sowie in die malaiische Inselwelt entsendend. Die Zügel der politischen Führung sind dem Sultan von Konstantinopel längst entglitten, aber eine Zeitlang hatte es den Anschein, als ob im Panislamismus eine alle Anhänger Mohammeds einigende Organisation entstünde, die durch Ausrufung des "heiligen Krieges" der übrigen Menschheit gefährlich werden könnte. Die Erfahrungen des Weltkrieges haben solche Befürchtungen beschwichtigt. Aber die in der Welt des Islam wirksamen geistigen Potenzen wollen doch ernst genommen sein. Man bekommt sie in Damaskus und Lahore, mehr noch in Kairo zu spüren. In den zahlreichen Orden aber, unter denen der der Senussi wohl am einflussreichsten ist, glüht der Glaubenseifer besonders stark. Auf ihm beruht namentlich der dem Islam noch immer innewohnende Ausbreitungstrieb. Während dieser in den ersten Jahrhunderten nach der Hedschra sich vorzugsweise nach Norden und Westen richtete, ist an diesen Stellen von einer Missionstätigkeit des Mohammedanismus nichts mehr zu bemerken. Der Islam ist hier über die subtropische Zone nicht viel hinaus» gekommen. Aber in der Südhälfte Afrikas und in den tropischen Ländern Asiens macht er noch Eroberungen. Um ihm auch dort Halt zu gebieten, bezeichnete ihn Zwemer in seinem temperamentvollen Buche "Der Islam" als eine Herausforderung an den Glauben und rief die evangelische Christenheit zu einem allgemeinen modernen Kreuzzug auf, der des christlichen Namens würdiger wäre als der Mittelalterliche.

Bei einer in größerem Maßstab geplanten Mohammedaner-Mission müssen wir uns allerdings von vornherein der besonderen Schwierigkeiten bewusst sein. Der vordere Orient gehört wegen der andauernden politischen Unruhe zu den unsichersten Missionsfeldern der Erde. Je weiter man in das zentrale Asien hineinkommt, um so mehr nimmt diese Unsicherheit ab; aber gerade dort muss man mehr als anderswo mit islamitischem Fanatismus rechnen. In Afrika wiederum liegen sehr große Gebiete des Islam in französischen Kolonien und sind dadurch für den größten Teil der evangelischen Missionare unzugänglich. Frankreich lässt nur Glaubensboten seiner eigenen Nationalität in seinem Herrschaftsbereich zu. Auch die anderen kolonialen Machthaber stellen sich nicht selten den Mohammedanermissionaren hindernd in den Weg, weil sie von ihrer Tätigkeit politische Unruhen befürchten. Zu diesen äußerlichen Hemmungen kommen innere Schwierigkeiten. Simon machte bei seinen Disputationen mit malaiischen Mohammedanern die überraschende Entdeckung, dass diese in den Europäern ein religionsloses Geschlecht sahen, sich selbst aber als Hüter des Gottesglaubens betrachteten. Jedenfalls glauben sie keinen Fortschritt in religiöser Hinsicht zu machen, wenn sie den christlichen Glauben annehmen; nicht Christus, sondern Mohammed, der zuletzt gesandte Bote Allahs, habe die abschließende Offenbarung gebracht. Der einfache Monotheismus des Koran verdiene den Vorzug vor der komplizierten Lehre des dreieinigen Gottes. Diesen Einwand kann man auch häufig von kühlen Beobachtern, die auf der christlichen Seite stehen, hören. Nimmt man hinzu, dass der Islam den zu ihm übertretenden Heiden große Zugeständnisse an ihre sittlichen Schwächen macht, während das missionierende Christentum beim Übertritt eine Belehrung, d. h. eine neue Gesinnung und eine gereinigte Lebensführung verlangt, so sehen wir da in der Tat Berge von Schwierigkeiten auftauchen, die man in solchem Umfang in der Heidenmission nicht kennt.

Aber haben sich die Missionare der christlichen Kirche jemals durch Schwierigkeiten abschrecken lassen? Wenn heutzutage viele Gebiete der Heidenmission ihre Schrecken verloren haben, so wissen wir, dass dieselben früher schwere Opfer, auch Märtyrerblut gefordert haben. Aber die Pioniere hatten Mut und ließen sich durch solche Gefahren nicht abschrecken. Wie lange mussten Afrika oder China belagert werden! Jetzt sind ihre Tore geöffnet. Nun kommt die Welt des Islam an die Reihe. Warum soll nicht auch diese Festung eingekreist und von allen Seiten zugleich angegriffen werden? Wir haben ungehinderten Zugang zum afrikanischen Islam von Norden und Süden her; und wenn uns zeitweilig das Eindringen in die mohammedanische Welt Vorderasiens ver» sagt bleiben sollte, so kann man ihr von Süden und nach Wiederherstellung der Sibirischen Eisenbahn auch von Norden her beikommen. Auch durch China führt ein Weg zu den Mohammedanern.

Man muss allerdings bei der Mohammedanermission andre Mittel und Methoden gebrauchen als gegenüber der Heidenwelt. Die ärztliche Mission wird bei der Türöffnung eine größere Rolle spielen. Der hinter dem Arzt und der Krankenpflegerin kommende Lehrmissionar wird sich theologisch und dialektisch anders einstellen I müssen, als man es gegenüber den indischen Götzendienern oder den Fetischanbetern Westafrikas gewöhnt ist. Die Bildungsstätten künftiger Mohammedanermissionare müssen sicherlich dem Rechnung tragen und womöglich in innigere Verbindung mit unseren besten Universitäten gebracht werden.

Gerade die lutherische Kirche darf auf ihren Anteil an der Mission in der Welt des Islam nicht verzichten. Sie hat das vor der katholischen Kirche voraus, dass sie Wort und Sakrament als Gnadenmittel benutzt, nicht die den Mohammedaner anstößigen Heiligenbilder und andere sinnenfällige Mittel. Gegen» über den aus der reformierten Kirche entstandenen Sekten aber zeichnet sie sich durch eine klare kirchliche Arbeitsweise und pädagogische Beharrlichkeit aus. Sie hat leider dem Islam gegenüber ihr Pfund bisher vergraben. Nur einzelne starke Mohammedaner Missionare wie Krapf und Pfander sind aus ihr hervorgegangen Es ist an der Zeit, deren Erbe anzutreten und zu mehren. In unserer Kirche wird man fortan nicht mehr vom Problem der Mohammedanermission sprechen, wir sehen eine klare Missionsaufgabe vor uns. Der Herr gebe uns Mut und Kraft, sie zu lösen.

Links


Zur Eigenart der lutherischen Missionsmethode

Von Professor D. Carl Paul, Schweta

Lutherisches Weltmissionsjahrbuch für das Jahr 1925, H. G. Wallmann Leipzig, Seite 5 - 15

Der viel beklagte späte Beginn der evangelischen Missionstätigkeit war für ihre Arbeitsweise von Vorteil. Hätte die junge Kirche der Reformation neben ihrem heimischen Aufbau sofort ein Missionswerk in Angriff genommen, was an sich wohl möglich gewesen wäre, wie der entsprechende Vorgang im Methodismus beweist, so hätte sie schwerlich von Anbeginn eine neue, ihrem Wesen völlig entsprechende Methode geschaffen. Benutzte in der Heimat ein lutherisch gewordener Pfarrer, der oft genug in seiner ersten Amtsperiode noch als Priester in der Papstkirche gewirkt hatte, bei seiner Amtsverrichtung vielfach dieselben Formen, so hätte es nahegelegen, dass auch bei der Ausbreitung des neuen Glaubens in der Heidenwelt die mittelalterliche römische Methode übernommen wurde. Das geschah glücklicherweise nicht. Als Bartholomäus Ziegenbalg seine missionarische Pfadfinderarbeit in Südindien begann, tat er dies zwar in unmittelbarer Nähe des Arbeitsfeldes, das nicht lange vorher durch Franz Xavier und seine jesuitischen Mitarbeiter in Angriff genommen war; aber er ging von Anfang an grundverschiedene Wege. Wir dürfen ihn als Schöpfer einer neuen Methode bezeichnen, die sich im Gesamtbereich der lutherischen Mission durchgesetzt hat. Man könnte versucht sein zu sagen: in der ganzen evangelischen Mission, denn im 18. Jahrhundert ist allenthalben nach seinem Muster gearbeitet worden, soweit es sich um missionarische Reinkulturen handelte. Aber nach kaum 100 Jahren sehen wir in deutlicher Weise die evangelische Missionsmethode in einen lutherischen und einen kalvinistischen Zweig gegabelt. Während die im kontinentalen Europa entstandenen Missionsgesellschaften bei ersterem beharrten, kam in England und den unter seinem Einfluss stehenden Kirchengebieten der zweite Typus auf. Neben den Unterschieden der Lehre sind starker Wagemut, unbedenkliche Benutzung staatlicher und kultureller Machtfaktoren sowie radikale Verwerfung vorgefundener Lebensformen seine hervorstechenden Kennzeichen. Wegen der in der Neuzeit immer stärker werdenden Mischung der Konfessionen lässt sich heutigentags natürlich keine geographische Grenzlinie ziehen und behaupten, dass die in gewissen Ländern beheimateten Missionsgesellschaften nach lutherischer, die anderen nach kalvinistischer Methode arbeiten. Es gibt zahlreiche Mischgebilde. Aber es ist doch nichts zufälliges, dass die im Ausstrahlungsbereich der Wittenbergischen Reformation entstandenen Missionen zu den Tagungen der Kontinentalen Missionskonferenz in Bremen zusammenkommen, um sich ihrer Eigenart gegenüber der an Quantität weit überlegenen Missionsleistung der englisch redenden Welt bewusst zu werden und ihr Sondergut dauernd zu pflegen.

Wir sehen hier davon ab, die auf dem Boden des Kalvinismus erwachsenen Missionsbestrebungen hinsichtlich ihrer Arbeitsweise näher zu kennzeichnen, außer soweit es für die Erfassung der Eigenart der lutherischen Missionsmethode nötig ist. Letztere kann nur in Form einer Skizze dargestellt werden. Die zu einer gründlichen Durcharbeitung des Problems nötigen Quellen fließen äußerst spärlich. Wären die alten evangelischen Missionsgesellschaften mehr darauf bedacht, ihren Sendboten ausführliche Vokationen und bindende Instruktionen mitzugeben, so könnten wir aus ihnen wenigstens ein fest umrissenes Postulat ersehen. Solches urkundliche Material liegt aber nur vereinzelt vor. Ebenso selten sind die auf Grund von persönlicher Erfahrung oder vergleichender Beobachtung ruhenden Bearbeitungen unseres Themas. Man darf erwarten, dass solche Untersuchungen gerade im Bereich der kontinentalen Missionskreise, die in der Missionswissenschaft von jeher die Führung gehabt haben, in Zukunft sich mehren.

Der Leipziger Historiker Albert Hauck wies gelegentlich auf die Bereicherung hin, die das auf Missionswegen durch die Länder der Erde fortschreitende Christentum aus der Wesensart der einzelnen Völker mitgenommen habe. Die Hebräer, die Griechen, die Lateiner - jedes dieser Völker brachte seine beim historischen Rückblick deutlich erkennbare Gabe. Den Germanen verdankt die christliche Theologie die Vertiefung des Glaubensbegriffs. Luthers kindlichinniger und doch zugleich weltweiter Glaube, das ist das köstlichste Gut, welches das Luthertum der nichtchristlichen Welt anzubieten hat. Es ist unserer Kirche niemals verlorengegangen, nur zeitweilig bei den Kämpfen um die reine Lehre im 17. Jahrhundert mehr oder weniger verdeckt. Lic. H. Leubes neue Schrift über die "Reformideen in der deutschen lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie" bringt eine Ehrenrettung jener durch ein pietistisches Schlagwort in Verruf gekommenen Periode der Kirchengeschichte, aus der deutlich zu erkennen ist, dass die mit dem Ausbau des Lehrsystems beschäftigten Dogmatiker der Anwendung der Glaubenssätze aufs praktische Leben durchaus nicht gleichgültig gegenüberstanden; und Lic. Dr. Frick führt in seiner gedankenreichen Schrift über Ursprung, Geschichte und Ziel der evangelischen Mission im einzelnen den Nachweis, dass das Luthertum jener Tage sich auch mit den Missionsgedanken viel stärker auseinandergesetzt hat, als man bisher annahm. Immerhin mag in diesem Zusammenhang mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass es eine durch die heimische Kirche gehende pietistische Welle war, die das lutherische Missionsschiff flott machte. Der lutherischen Kirche ist ein pietistischer Grundzug eigen, der mit der in ihr dominierenden Rechtfertigung durch den Glauben zusammenhängen mag. Die neben anderem daraus sich ergebende Trägheit zur Missionstat, die wir in allen lutherischen Kirchengebieten zum Unterschied von den reformierten feststellen können, bedurfte des pietistischen Treibers. Frick wird wohl recht haben mit seiner Feststellung, dass die reformierte Konfession früher als das Luthertum zur Missionsbetätigung im modernen Sinn geschritten ist und durch ihr Beispiel das Luthertum angesteckt hat. Aber das zeitliche Vorangehen hat auf die Missionsmethode der nachfolgenden Kirche keinen starken Einfluss gehabt. Unsere Kirche kann auch als die missionierende nur nach ihren eigenen Grundsätzen handeln.

Sie benutzt als Missionsmittel das Wort. Die Verkündigung des Evangeliums ist ihr von zentraler Bedeutung. So lange der Missionar noch mit gebundener Zunge unter dem fremden Volke steht, soll sein und der Seinigen Wandel als vorgelebtes Wort wirken. Vor dem katholischen Sendboten hat er dabei voraus, dass auch seine Ehefrau ihren heidnischen Schwestern als Vorbild gesetzt ist und ein christliches Familienleben als Anschauungsunterricht benutzt werden kann. Sobald die Sprache des Missionsobjekts bemeistert ist, wird sie in den Dienst der Arbeit gestellt. Es ist ein alter lutherischer Grundsatz, den Dolmetscher nur als vorübergehenden Notbehelf zu gebrauchen und sich auch der in weitem Umkreis verständlichen Verkehrssprachen wie des Kisuaheli nicht auf die Dauer bei der Predigt zu bedienen. Wenn englische und amerikanische Missionsmänner in Indien vorzugsweise das Englische benutzen, um die christlichen Gedanken dem gebildeten Teile des Volkes nahezubringen, so kann unter Umständen auch eine lutherische Mission bei dieser Sonderaufgabe ein Stück des Weges mitgehen. Aber als Grundsatz hält sie mehr als jene an der Verkündigung in der Muttersprache des Objekts fest. Das liegt in der Tendenz begründet, dem Volke wirklich ans Herz zu kommen.

Neben dem Worte Gottes stehen für uns die Sakramente als Gnadenmittel, auf dem Missionsfeld ebenso wie in der heimischen Kirche. Wem die Taufe nur als feierlicher Aufnahmeakt in die christliche Gemeinde gilt, der weiß nichts von ihrem sakramentalen Charakter und unterschätzt sie zugunsten des missionarischen Wortes. Uns gilt sie als Trägerin eines objektiven Heilsgutes. Darum finden wir in der lutherischen Mission überall die Kindertaufe als zu Recht bestehend, aber nicht ohne Sicherstellung einer nachfolgenden christlichen Erziehung durch das in seinem heiligen Ernst noch unverblasste Patenamt. Der Taufe von Erwachsenen geht regelmäßig ein mindestens einjähriger Katechumenat voraus, der den geistlichen Ackerboden für das sakramentale Saatgut bereiten soll. Beim Sakrament des Altars wird auf dem Misstonsfelde in gleicher Weise auf die Seelenstärkung wie auf die Reinigung des Herzens und Wandels Wert gelegt. Der gewissenschärfende Beichtzuspruch und die streng gehandhabte Kirchenzucht zielen hierauf ab. Feierlichkeit und Ernst kennzeichnen auch in den Missionskirchen die lutherische Abendmahlfeier. Neben ihnen kommt das Wohlgefallen an einer reicheren Liturgie zum Ausdruck. Wer einem Abendmahlgottesdienst auf dem klassischen Boden der lutherischen Tamulenmission beiwohnt, bekommt einen tiefen Eindruck von solchen Weihestunden. Zu den charakteristischen Merkmalen lutherischer Arbeitsweise gehört ferner die Betonung der Lehre. Nicht als ob sie mehr Schulen schüfe als andere Missionen. Neben den vielgegliederten und reich ausgestatteten Lehranstalten, wie sie von englischen und schottischen Gesellschaften in Indien oder dem vorderen Orient unterhalten werden, können sich die zu viel bescheidenerer Aufmachung gezwungenen "armen" lutherischen Schulen kaum sehen lassen. Aber hinsichtlich der soliden Frucht des Lernens brauchen sie den Vergleich nicht zu scheuen. Das gilt ebenso wohl von der Lehre im Katechumenenunterricht wie in der Kinderschule. Luthers Kleiner Katechismus ist und bleibt ein Schulbuch ohnegleichen. Während man ihn in der alternden Kirche der Heimat vielfach nicht mehr zu würdigen weiß, kommt er auf dem jungfräulichen Boden der Missionsfelder wieder zu Ehren. Wie wissen aber auch unsere schwarzen Lehrer in Afrika dieses Buch zu handhaben! Unter den Bantunegern lebt das Ideal des alten deutschen Schulmeisters wieder auf, der darauf hielt, dass seine Zöglinge etwas Ordentliches lernten, namentlich Sprüche und Lieder; der aber zugleich ein ausgezeichneter Pädagoge war und die Schüler zum Respekt vor den heiligen 10 Geboten erzog.

Alle bisherigen Erörterungen treffen indessen noch nicht den Kernpunkt der lutherischen Missionsmethode. Er liegt in ihrer kirchengründenden Tendenz. Auch der lutherische Missionar fängt natürlich wie der von reformierter Prägung mit der Gewinnung einzelner Seelen an. Wer anders bauen will, verleugnet die evangelische Art. Bei der Grundlegung begangene Versäumnisse oder Fehler rächen sich später in allen Teilen des Bauwerks. Daher die unscheinbaren Anfänge einer Missionsstation, die nur einem unverständigen Beobachter nichtssagend erscheinen. Aus den vereinzelten Erstlingen entsteht die Gemeinde, die ihr geistlicher Vater formt und pflegt. Diese ersten Schritte sind allen evangelischen Missionen gemeinsam. Auch die China-Inland-Mission geht soweit mit uns. Aber von hier an macht sich unsre kirchliche Eigenart geltend. Jene huldigt gleich vielen anderen dem Prinzip des sorglosen Samenstreuens. Sie ist nur darauf bedacht, die Verkündigung des Evangeliums unter die nichtchristlichen Völker zu tragen. Wenn der göttliche Same aufgeht, sieht sie ihre Hauptaufgabe als erfüllt an. Der Missionar braucht dann nur noch die gläubig gewordenen Seelen zueinander zu führen und ihnen die erste Gemeindeorganisation zu geben. Dann kann er weitergehen. Dies ist das Schema der Kongregationalisten. Es gibt in England eine berühmte alte Missionsgesellschaft von dieser Art, die eine glänzende Reihe hervorragender Pfadfinder in alle Welt gesandt hat. Aber Gustav Warneck konnte nie ohne innere Erregung vom Versagen dieser Mission beim Reiferwerden ihrer Gründungen reden. Da war der große pädagogische Grundzug zu vermissen, der für ein gesundes Gedeihen unerlässlich ist. Man entließ die gewonnenen Gemeinden zu früh aus der mütterlichen Fürsorge. Statt der selbständigen Entwicklung, die man ihnen vergönnen wollte, erlebte man eine Verkümmerung der hoffnungsvollen Anfänge.

Im Unterschied von dem missionarischen Samenstreuer, der nach getaner Arbeit weitergeht, um ein anderes Feld zu bestellen, ist es dem lutherischen Missionar um eine Tochterpflanzung seiner Mutterkirche zu tun. Man wende nicht ein, dass damit der biblische Boden verlassen werde. Christi Gleichnisse ließen keine andere Wahl. Sie hätten dem Missionar das Samenstreuen zur Pflicht gemacht. Das mag richtig sein, besagt aber nichts für die spätere Behandlung des Saatfeldes. Übrigens führt die fortgeschrittene kirchliche Entwicklung selbstverständlich im zwanzigsten Jahrhundert zu anderen Formen als im apostolischen Zeitalter.

Man darf unsere Kirche auch nicht schelten, dass sie Propaganda statt Mission treibe. Der römischen Mission wird wohl nicht mit Unrecht zur Last gelegt, dass sie ähnliche Welteroberungsgedanken hegt, wie die vom Egoismus beherrschte Kolonialpolitik, und dass sie ihr Absehen vor allem auf den Ausbau ihrer alle Erdteile umspannenden Hierarchie richtet. Wir aber wissen uns gänzlich davon frei, wenn wir von der missionierenden Kirche als einer Mutter reden, der in der Heidenwelt Töchter geboren werden, die sie mit mütterlicher Liebe betreut und in deren Häuslichkeit sie ihre besten Güter und Gaben zu übertragen sucht. Um das zu erreichen, hält die Mutterkirche möglichst lange die Verbindung mit der Tochtergründung aufrecht, auch wenn letztere schon zur wirtschaftlichen Selbständigkeit gekommen ist. Wie lange dauert es z. B., bis in einer jungen Missionskirche die literarische Produktion auf eigene Füße gestellt werden kann. In der 200 Jahre alten indischen Tamulenkirche, die während des Krieges ihre Selbständigkeit erlangt hat, nährt man die Seelen noch immer aus den reichen Schätzen der deutschen Theologie, sei es dass man deren Erbauungsschriften in Übersetzungen benutzt oder D. Zehmes vor kurzem erst in tamulischer Sprache geschriebene Kirchengeschichte und Glaubenslehre. Vom Missionsobjekt aus gesehen ist das Verhältnis der Töchter zur Mutter zuerst als Nähr- und Unterhaltungspflicht, hernach als Erziehungsaufgabe, zuletzt als Fürsorge einer für die selbständig gewordene Tochter betenden Mutter zu verstehen. Seitens des Objekts aber wird in der ersten Zeit Unterordnung und Einfügung, zuletzt Dankbarkeit und Pietät erwartet. Für letztere liefert die Kriegs- und Nachkriegszeit herrliche Beispiele aus den Erlebnissen der deutschen Missionen. Charakteristisch ist für die lutherische Mission die niemals aufhörende Verbindung zwischen der Mutterkirche und ihren Töchtern. Sie ist sich bewusst, anderen Konfessionen gegenüber eine einheitliche Körperschaft zu bilden, die über die ganze Erde reicht.

Es erhebt sich hier die Frage, ob unter der Mutterkirche in diesem Zusammenhang der einzelne lutherische Kirchenkörper zu verstehen ist, in dessen Mitte das Missionshaus steht, so dass das Arbeitsfeld einer deutschen Mission sich an das deutsche Luthertum gebunden fühlt, in anderen Fällen an das schwedische oder amerikanische. Das ist nicht unsere Meinung. Wir sehen die missionierende lutherische Kirche als eine Einheit an, der sämtliche Missionshäuser unserer Konfession in allen Teilen der Erde als Glieder gleichen Wertes einzuordnen sind. Hinter ihnen steht sozusagen die unsichtbare lutherische Kirche. Mit jeder auf einem Missionsfeld entstehenden Tochterkirche wächst die Familie um ein neues Glied. Diese Betrachtungsweise ist von besonderem Werte, wenn bei politischen Verwicklungen die Missionare einer gewissen Nationalität im Lande der Mission nicht mehr geduldet werden, oder sich aus anderen Ursachen zurückziehen wollen. Dann können nach Vereinbarung die aus dem einen Lande gekommenen lutherischen Arbeitskräfte alsbald durch solche aus einem andern ersetzt werden, wie es im Weltkrieg tatsächlich mit schwedischen und amerikanischen Missionaren geschah, die an die Stelle der vertriebenen deutschen Männer und Frauen traten, ohne dass dem Objekt dadurch in kirchlicher Hinsicht ein fühlbarer Schaden zugefügt wurde.

Gegen die Verpflanzung der Kirche und ihrer Einrichtungen auf die Missionsfelder wird das Bedenken erhoben, dass dabei nicht das reine Evangelium sondern ein geschichtlich belastetes Christentum verbreitet werde; es sei nicht recht, den Asiaten oder Afrikanern die Kirchenformen Europas oder Amerikas aufzunötigen. Es liegt etwas Berechtigtes in diesem Vorwurf, der uns namentlich aus den Kulturvölkern Asiens entgegenschallt. Er trifft aber nicht nur uns sondern die ganze missionierende Kirche. Die Gefahr einer schematischen Übertragung der heimischen Kirchenformen ist in der Tat groß. Missionare und Missionsleitungen sollten nie vergessen, dass eine der ersten Forderungen, die man an eine missionarische Kraft zu stellen hat, die der Selbstlosigkeit ist. Das heißt im vorliegenden Falle: je mehr eine missionierende Kirche auf das Wohl ihrer Tochterkirche bedacht ist, um so weniger wird man sie des Propagandismus zeihen können. Das Wohl der Tochter erfordert ein Eingehen auf ihre Eigenart. Da es sich bei der gegenwärtigen Mission um eine Verpflanzung in andere Rassen und Erdteile handelt, versteht es sich von selbst, dass die völkisch bedingte und geschichtlich gewordene Eigenart der Mutter bei der fernen Tochter manche Abwandlungen erfahren muss. Die Leitung eines Missionswerkes hat gerade in dieser Beziehung eine eminent schwierige Aufgabe. Sie muss das Wesentliche ihres Heilsbesitzes herausschälen. Nur dieses ist beim Aufbau einer Tochterkirche unter allen Umständen festzuhalten. Anderes kann abgewandelt werden.

Es ist ein für diese Missionsaufgabe sehr wertvoller Vorzug des Luthertums, dass es das Schwergewicht auf den Wandel der Gesinnung, nicht auf die äußeren Formen legt. Die lutherische Mission hat von Anbeginn jedes fremde Volkstum geschont und ihren Sendboten zur Pflicht gemacht, bei aller Anhänglichkeit an die eigene Volksart, die im Heim der Missionarsfamilie ihre Berechtigung behält, in der werdenden Kirche der Eigenart der Eingeborenen Rechnung zu tragen, soweit diese sich mit christlichen Anschauungen und Normen verträgt. Hierher gehört, um das auch in diesem Zusammenhang noch einmal zu betonen, die Erhaltung der Sprache, der Volkssitten, der Kleidung usw. Es ist bezeichnend, dass die indische Kaste von den reformierten Missionen schlechthin verworfen wird, während die lutherischen in ihr ein soziales und ein religiöses Moment unterscheiden und darauf bedacht sind, das Übel durch Einpflanzung einer neuen Gesinnung von innen heraus zu überwinden. Die Aufgabe der Mission gegenüber dem heidnischen Volkstum wird also so gefasst: nicht mit schnell zufahrender Hand ausrotten, sondern christlich durchleuchten!

Daraus ergibt sich als Zweckbedienung unserer Arbeit nicht die Entstehung neuer Kirchen sondern die Ausbreitung unserer eigenen Kirche, aber ohne schematische Übertragung und Vergewaltigung des fremden Volkstums. Neben den Kirchen in Europa und Amerika, von denen die Missionare ausgehen, sollen indische, chinesische oder afrikanische lutherische Kirchen erstehen. Beim Eisenacher Weltkonvent des Luthertums war von diesen ersehnten Töchtern unserer Kirche zunächst nur eine einzige zu sehen, die durch Oberlehrer Asirvadam von Madras vertretene Tamulenkirche. Wenn die Lutheraner der Erde in künftigen Jahrzehnten wieder zusammenkommen, gesellen sich zu ihr hoffentlich jedes Mal neue Schwestern, um das Prophetenwort Jes. 60,4 noch schöner zur Anschauung zu bringen.

Wir legen es demnach auf Volkskirchen ab, wenn man dieses mehrdeutige Wort recht versteht. Dass wir aber den jetzt zum Schlagwort gewordenen Nationalkirchen nicht das Wort reden können, bedarf nach dem Gesagten kaum noch der Erwähnung. Das gegenwärtige Christentum ist überall nur in der Form kirchlicher Ausprägungen vorhanden. Auch die Mission wird ausschließlich so gehandhabt. Man sehe sich die vielen christlichen Gemeinschaften in heidnischen Großstädten wie Kalkutta oder Shanghai oder sonst wo an. Sie stellen sich überall nur als mehr oder weniger selbständige Töchter einer missionierenden Kirche oder Sekte dar, die ihr Sonderdasein behaupten. Sie dem indischen oder chinesischen Volkstum zuliebe in einen einheitlichen Kirchenkörper zusammenzuschweißen, ist ein Akt der Willkür. Uns scheint eine solche Nationalkirche nur ein Phantom zu sein, wenn sie in einer frühen Periode der Christianisierung angestrebt wird. Für erstrebenswert und erreichbar halten wir dagegen christliche Konferenzen im nationalen Bereich. Die römische Kirche wird auch dafür nicht zu haben sein; das wissen wir im voraus. Aber die auf evangelischem Grunde bauenden Missionen und Missionskirchen können zur Förderung ihrer gemeinsamen Interessen unbedenklich eine solche Verbindung suchen und damit den Wünschen der selbstbewussten asiatischen Völker entgegenkommen. Ob nach Jahrhunderten Verschmelzungen der in den Missionsländern entstandenen Sonderkirchen eintreten, wollen wir ruhig dahingestellt sein lassen.

Wie eingangs erwähnt, hat die soeben skizzierte Missionsmethode ihre Heimat auf dem europäischen Kontinent. Zu den hier domizilierenden Missionsgesellschaften haben sich im letzten halben Jahrhundert amerikanische und zuletzt auch ein australischer Kirchenkörper gesellt, die mit Bewusstsein lutherische Mission treiben. Ob sie alle nach einer gemeinsamen Methode arbeiten? Das wird sich erst feststellen lassen, wenn sie in noch engere Fühlung miteinander treten und fortdauernde Arbeitsgemeinschaft pflegen. Es wäre nicht zu verwundern, wenn die amerikanischen Lutheraner aus der kirchlichen Eigenart ihres Landes manches auf die Missionsfelder übertragen, was dem Wesen der deutschen oder skandinavischen Missionsart fremd ist. Darüber wird man sich verständigen müssen. Man ist hoffentlich auf beiden Seiten des Ozeans empfänglich genug, um von den andern Brüdern etwas zu lernen.

Wenn wir rückwärts schauend die Missionsgeschichte aller Jahrhunderte an unserm geistigen Auge vorüberziehen lassen, beobachten wir sehr verschiedene Arbeitsweisen der Missionare. Wie ganz anders als die antike Welt wurden im Mittelalter die germanischen Völker für das Christentum gewonnen. Und wie groß ist der Unterschied zwischen der Methode eines Ansgar oder Otto von Bamberg und der des John Williams oder eines Missionars in der Gegenwart. Erfolg hatten sie alle, sofern sie dem Missionsbefehl ihres Herrn und Meisters nachkamen und die Heiden in Jüngerschaft Jesu einführten. Es gibt keine ausschließlich gültige Missionsmethode, auch keine unfehlbare. Wir müssen mit allem Ernst und Fleiß nach der für unsre Kirche und unsre Zeit besten Methode suchen.

 onmousedown="ET_Event.link('Link%20auf%20www.gaebler.info',