Suedseeinseln 2 von Carl Paul

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Die Mission in unsern Kolonien

Von Pastor Carl Paul

Neue Folge der Dietelschen Missionsstunden, Vierter Teil, Verlag C. Ludwig Ungelenk, Dresden, 1908, Seite 147 bis 260

Die Deutschen Südsee-Inseln 2

7,6 MB

Inhalt

Bei den Pfadfindern der Rheinischen Mission an der Astrolabe-Bai

Der verheißungsvolle Anfang der Neuendettelsauer Mission

     Durch die Schule zur Taufe
     Ein Besuch auf der Sattelberg-Station

Das Evangelium unter den Kannibalen des Bismarck-Archipels

     Die ersten Märtyrer auf Neu-Pommern
     Das schwarze Lotu
     Neu-Mecklenburg tut sich auf

Hoffnungen und Rückschläge auf den mikronesischen Inseln

     Die fünf Morgensterne
     Die spanische Verwüstung auf Ponape

Samoa einst und jetzt

Anmerkungen

Literatur

Landkarten

Inhaltsverzeichnis


Links zur Einführung von  Carl Paul

  1. Was sind wir unsern Kolonien schuldig?
       Begangenes Unrecht wieder gut machen
       Schutzgebiete statt Kolonien
       Verderbliche Einflüsse
       Kolonialpflichten
       Kolonisierung nur mit gleichzeitiger Christianisierung

  2. Die Missionstätigkeit in unsern Kolonien
      Neues Interesse für die Mission
      Neue Herausforderungen für die Mission
      Eifersucht gegen England
      Überblick über Togo
      Überblick über Kamerun
      Überblick über Südwestafrika
      Überblick über Ostafrika
      Überblick über die Südsee
      Missionskräfte in Bewegung setzen

Inhaltsverzeichnis


Die Deutschen Südsee-Inseln

Ozeanien und das deutsche Schutzgebiet

Eine Rundfahrt durch die deutsche Südsee

     Kaiser Wilhelms-Land
     Der Bismarck-Archipel
     Die Karolinen
     Die Marshall-Inseln
     Samoa

Wie das Christentum in die Südsee kam

     Entdecker und Ansiedler
     Die ersten Missionare
     John Williams
     Die Melanesische Mission
     John Coleridge Patteson
     Die australische Methodisten-Mission
     John Paton, der Presbyterianer-Missionar
     Die Mikronesische Mission des American Board
     Deutsche Missionare auf Neu-Guinea
     Die katholische Mission

Inhaltsverzeichnis 


Bei den Pfadfindern der Rheinischen Mission an der Astrolabe-Bai

Es war im Juli 1890, als ein der Neu-Guinea-Kompagnie gehöriger Dampfer von Bogadjim durch die Astrolabe-Bai gen Norden fuhr. Nach einer sechsstündigen Fahrt kam er vor der Dampier-Insel an. Er überbrachte drei Sendboten der Rheinischen Mission und ihre zur Anlegung einer neuen Station nötige Ausrüstung. 

Der Führer der kleinen Schar, Missionar Kunze, hatte in der letzten Zeit mit seinem Freunde Bergmann die Station Siar bei Friedlich Wilhems-Hafen gebaut. Nun war ihm der Auftrag geworden, mit zwei Neulingen, Klaus und Bösch, auch eine Niederlassung auf der Dampier-Insel zu gründen. Von Bogadjim, das schon seit mehreren Jahren besetzt war, hatte man ihnen nicht nur guten Rat, sondern auch allerlei Gebrauchsgegenstände für Haus und Hof mitgegeben.

Dampier-Insel (Karkar)

Es wehte ein heftiger Wind, so dass auf den Riffen, die dem Strande von Dampier vorgelagert sind, eine starke Brandung stand. Wohin das Auge blickte, überall weissschäumende Wellen als Warnungszeichen für den nahenden Dampfer. Der Kapitän schritt unruhig auf der Kommandobrücke hin und her und spähte scharfen Auges, wo sich ihm ein leidlich sicherer Ankerplatz bieten möchte. Kaum hatte er einen solchen gefunden und den Lauf des Schiffes gehemmt, als auch schon ein ganzer Schwarm von Eingeborenen aus den in einiger Entfernung sichtbaren Stranddörfern auf leichten Kanus herbeieilte. Wie die Bienen schwärmten sie um das Schiff her. Es wohnte zu der Zeit noch kein Weißer auf ihrer Insel. Kunze war wohl als der erste in ihre Nähe gekommen. Er hatte einige Zeit vorher einen flüchtigen Besuch auf, Dampier gemacht. Jetzt rief er ihnen in der Siar-Sprache zu, er käme mit seinen Gefährten, um dauernd bei ihnen zu bleiben. Sie verstanden aber nur wenig von seiner Rede, denn auf der Insel wird trotz der Nähe von Siar eine andere Sprache geredet. Immerhin ward den Eingeborenen so viel klar, dass der Weiße diesmal bei ihnen zu wohnen gedachte, und das gereichte ihnen offenbar zur größten Freude. Jeder Europäer ist in ihren Augen ein reicher Mann; auch der bescheidenste Missionar, der auf die meisten Gaben und Errungenschaften der Kultur verzichtet, wenn er seinen in die Wildnis vorgeschobenen Posten bezieht.

Das zur Ausstattung der Missionare gehörige Boot ward ins Wasser gelassen und mit ihrem Gepäck beladen. Dessen gab es immerhin eine ansehnliche Menge. Da die Dampier-Insel nur aus besonderem Anlass von einem Dampfer angelaufen wird, mussten die Ankömmlinge alles mit sich führen, was sie in den nächsten Monaten voraussichtlich brauchten. Neben Kleidern und Wäsche, Küchen- und Hausgerät hatten sie eine Menge Werkzeuge, Nägel und andere zum Hausbau nötige Dinge eingepackt. Mehrere Kisten waren mit Tauschwaren gefüllt, für die man von den Eingeborenen die erforderlichen Nahrungsmittel einzuhandeln gedachte, denn auf den Gebrauch des Geldes verstehen sich diese Naturkinder noch nicht. Statt der Geldtasche braucht der Missionar bei ihnen eine gefüllte Vorratskammer, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kaufladen eines Händlers hat. Da waren billige Küchenmesser, Hobeleisen, Beile; auch Perlen und Tabak in ziemlicher Menge. Außerdem hatte man den Brüdern etwas Vieh mitgegeben; etliche Ziegen mit ihren Lämmern, zwei Schweine, einen Stamm Hühner und auch ein paar Enten. Die Papua haben nur wenige Haustiere; und die sie besitzen, sind von sehr geringer Qualität. Die Missionare erhofften für sich selbst wie für die Eingeborenen einen guten Nutzen von dem kleinen Viehbestand.

Alle diese Habseligkeiten durch die Brandung zu bringen, war keine Kleinigkeit. Das Boot musste die Fahrt zum Strande wiederholt zurücklegen. Eben war es schwer beladen wieder abgefahren, als es auf einem der vielen Riffe hängen blieb. Trotz aller Bemühungen der Mannschaft schlugen die Brandungswellen über ihm zusammen. Die Insassen mussten, um wenigstens das Fahrzeug zu retten, ihre Fracht schleunigst in die See werfen und kamen nach diesem Verlust triefend ans Ufer. Glücklicherweise lagen die versunkenen Kisten in verhältnismäßig seichtem Wasser, so dass die Eingeborenen, die sehr geschickt tauchen, sie später herausholen konnten. Vom Inhalt war aber nur wenig brauchbar geblieben. Das eingedrungene Seewasser hatte die Kleider fast ganz verdorben; noch mehr die für die erste Zeit bestimmten Nahrungsmittel.

Sobald die Ausschiffung beendet war, gab der Dampfer ein Signal. Das war der Abschiedsgruß der deutschen Schiffsbesatzung. Für die drei Missionare ward dadurch die letzte Verbindung mit der Kulturwelt gelöst. Von, nun an sahen sie sich auf den Verkehr mit den dunkelbraunen, fast schwarzen Leuten angewiesen, die neugierig umherstanden. Es waren zum Teil wilde und herausfordernde Gesichter, in die sie schauten. Man konnte diesen Gesellen wohl zutrauen, dass sie Diebe, Mörder und andere Missetäter waren. Mit wem sollten sie anbinden, wessen Gastfreundschaft erbitten?

Die hereinbrechende Nacht überhob sie vorläufig der Entscheidung. Die Eingeborenen, deren Dörfer nicht in unmittelbarer Nähe der Landungsstelle lagen, boten den Ankömmlingen keine Herberge an. Zum Fortschaffen ihrer Habseligkeiten wäre an diesem Abend auch schwerlich Zeit genug gewesen. So blieb den Missionaren, die einige Miokesen (das sind eingeborene Arbeiter aus dem Bismarck-Archipel) mitgebracht hatten, nichts andres übrig, als sich am schmalen Ufersaum für die erste Nacht ein notdürftiges Obdach herzurichten. Es war ein nicht ungefährliches Nachtquartier. Auf der einen Seite die Brandung des Meeres, die bei eintretender Flut noch höher stieg, auf der andern der dichte, düstere Urwald, von dem die Fremdlinge nicht wussten, was er barg. Die Ziegen und Schweine wurden an die Bäume gebunden, schienen sich aber sehr zu fürchten. Für die Missionare ward aus dem Mastbaum, den Ruderstangen und dem Segel des Bootes ein provisorisches Zelt hergerichtet. Ihre Arbeitsleute mussten mit einer noch einfacheren Lagerstelle vorlieb nehmen.

Als die Inselbewohner, die noch immer als müßige Zuschauer umhergestanden hatten, diese Vorbereitungen für die Nachtruhe sahen, zogen sie ab. Sie unterließen es nicht, nach Papuasitte sich höflich zu verabschieden. Dem Dorfältesten von Kulobob, so hieß das nächste Dorf, gab Kunze beim Abschied zu verstehen, er möchte am folgenden Tage, sobald der Hahn gekräht hätte, mit seinen Leuten wiederkehren. Nun waren die Missionare sich selbst überlassen. Es kam ihnen erst jetzt recht zum Bewusstsein, dass der denkwürdige Tag sich neigte, an dem sie ihr künftiges Arbeitsfeld betreten hatten. Unter solchen Umständen wird der Abendsegen mit besonderer Inbrunst gebetet.

Nach einer unbehaglichen Nacht - es regnete in Strömen - kam Madom, der Dorfälteste, richtig wieder und hatte es auffällig eilig, die Fremden in sein Dorf zu bringen. Dass das nicht aus selbstloser Fürsorglichkeit geschah, sollten sie bald erfahren. Die freundschaftlichen Gefühle galten weniger den weißen Männern, als vielmehr den in ihren Kisten enthaltenen Schätzen. Er mochte fürchten, dass die Bewohner der Nachbardörfer Sehu und Potulu als Mitbewerber um die Weißen und ihre Habseligkeiten auftreten möchten. Daher suchte er sie so schnell als möglich in sein Dorf zu bekommen.

Dort hielt es nicht schwer, eine Hütte als Unterkunftsraum für die nächsten Tage zu mieten. Sie gehörte dem ältesten Sohne des Madom. Wie es in den Papuadörfern Sitte ist, stand das Haus auf Pfählen, so dass der Wind frei unter der Wohnung hindurchstreichen konnte. Da die Eingeborenen am liebsten im Schatten der Bäume sich anbauen, ist diese Durchlüftung sehr nötig. An die Hausstützen wurden die Ziegen und Schweine der Missionare angebunden. Die Hütte enthielt nur einen einzigen Raum, der zugleich als Wohnzimmer, Küche und Schlafkammer dienen musste. Wie die Insassen beim ersten Schlafengehen entdeckten, hatte der Besitzer eine Menge Wurfspeere und Pfeile zurückgelassen, die an der Decke hingen. Ein ungewohnter Zimmerschmuck für die Boten dessen, der die Spieße der wilden Völker in Sicheln verwandelt.

Eine der ersten Aufgaben war die Wahl eines Stationsplatzes. Die Missionare hatten ihr Auge auf den bewaldeten Rücken einer niedrigen Hügelkette geworfen, der die Bucht von Kulobob umrahmt. Dort oben hofften sie gesünder zu wohnen, als hart am Strande oder im Schatten der Bäume bei den Hütten der Insulaner. Auch wünschten sie ihrer Habseligkeiten wegen nicht in allzu enger Nachbarschaft mit den Dorfbewohnern sich anzubauen. Wir werden sehen, dass diese Vorsicht sehr angebracht war. Aber Madom und seine Leute wollten vom Verkauf jenes Hügels nichts wissen. Sie brachten allerhand Einwände vor und boten eine Baustelle an, die den Missionaren am allerungeeignetsten erschien. Erst als Kunze erklärte, dann würde er sich nach einer andren Gegend umsehen, ward guter Wille. Eine neue Schwierigkeit bereitete der Umstand, dass das unbebaute Urwaldland nach Papuasitte gemeinsamer Besitz ist, so dass jeder einzelne Mann des Dorfes seine Zustimmung geben musste und auch ein Anrecht an die Kaufsumme zu haben glaubte. Über diesen Punkt kam Kunze leichter hinweg. Er breitete in kluger Berechnung sämtliche Gegenstände, die er als Bezahlung bot, vor der versammelten Bewohnerschaft auf ebener Erde aus: ein halbes Dutzend Beile, eine Anzahl Busch- und Küchenmesser, ferner eine Menge Hobeleisen und Bandeisenstücke. Das wirkte. Madom setzte sich mit den Männern vor die zur Schau gelegten Sachen, während die jungen Leute sich an den Seiten gruppierten, und die Frauen und Mädchen im Hintergrund Aufstellung nahmen. Der Älteste ließ erst einige Zeit sein Auge mit Wohlgefallen auf den begehrenswerten Eisensachen ruhen. Dann prüfte er sie Stück für Stück mit der Hand. Endlich nahm er die Verteilung vor. Die wertvolleren Gegenstände, wie Beile und Buschmesser, fielen ihm selbst und den älteren Männern zu, die Hobeleisen und Bandeisen der Jugend, die Küchenmesser den Knaben. Als Zugabe reichte schließlich der Missionar jedem einen kleinen Posten Perlen und Tabak. Auch die Frauen und Mädchen gingen nicht ganz leer aus. Man war zuletzt auf beiden Seiten mit dem Handel zufrieden. Die Leute von Kulobob hatten eine Menge Werkzeuge bekommen, wie sie sie noch nie besessen hatten; die Mission aber kam in den Besitz eines Grundstücks von mehreren Hektaren und hatte doch nur Tauschwaren im Werte von etwa 35 Mark ausgegeben.

Bild von Seite 153

Auf der Baustelle wurde nun in der Folgezeit tüchtig gearbeitet. Erst musste der Urwald niedergelegt und ausgerodet werden. Dann ging es an den Wegebau und die Herrichtung eines Stückes Land für neue Anpflanzungen; zuletzt an den Hausbau.

Für die erste Zeit musste ein ganz aus einheimischem Material hergestelltes Häuschen genügen. Später ward ein solides, geräumiges Wohnhaus errichtet, dessen Holzwerk vorgerichtet von Australien kam. Wegen der gefräßigen Ameisen, die nur gewisse Holzarten verschonen, musste man zu diesem Aushilfsmittel greifen. Als aber die Balken und Bretter vom Dampfer ans Land befördert wurden, kam ein Teil des Holzes abhanden, so dass den Brüdern und ihren Gehilfen immer noch reichliche Arbeit verblieb. Ein Hausbau in den Tropen kostet unter allen Umständen viele Tropfen Schmeiß.

Während dieser Bauzeit trat ein garstiger Zug im Wesen der Eingeborenen hervor. Sie stahlen wie die Raben. Die Missionare durften kein Werkzeug, überhaupt keinen Gegenstand von einigem Werte aus den Augen lassen, sonst wussten es die herumlungernden Männer oder Jungen an sich zu bringen. Sie waren darin äußerst geschickt. Sah man ihnen scharf auf die Finger, so benutzten sie schlauer Weise ihre gelenkigen Zehen. Wenn sie beim Diebstahl ertappt wurden, schämten sie sich zwar und brachten auf Verlangen das Gestohlene wohl auch wieder, waren aber frech genug, nachträglich eine Belohnung für die freiwillige Rückgabe zu fordern.

Einmal geriet Kunze bei solcher Gelegenheit in ernste Lebensgefahr. Er sah, wie einige Männer aus den Bergen, die sich als Arbeiter angeboten hatten und von ihm angestellt waren, sich mit seinen Werkzeugen auf und davon machten. Der Missionar rief sie an und eilte hinter den Flüchtlingen her. Die entwendeten Sachen waren ihm unentbehrlich. Die Schwarzen konnten aber natürlich schneller laufen. Um sein Eigentum nicht fahren zu lassen verfolgte er die Diebe bis in ihr Dorf. Dort aber trat ihm die schnell alarmierte Bewohnerschaft in höchster Aufregung entgegen. Die Männer erhoben drohend ihre Wurfspeere. Glücklicherweise gelang es dem Missionar, an einen großen Baum als Rückendeckung zu kommen. Da flog ein Speer, der ihm den Hut durchbohrte. Schon wollte, der ihn geworfen, einen zweiten senden, als ein Weib hervorsprang und dem wütenden Manne in den Arm fiel. Sie rettete dem Missionar damit das Leben. Als dieser sie genau ansah, erkannte er in ihr eine Eingeborene, die einige Zeit vorher auf der Station gewesen war, um sich eine Wunde verbinden zu lassen.

Die Glaubensboten nahmen nun jede Gelegenheit wahr, die Sprache der Insel zu erlernen. Eine schwierige Aufgabe, zu deren Lösung sie nicht das geringste Hilfsmittel hatten mitbringen können. Sie tasteten anfangs völlig im Dunkeln. Später ist festgestellt worden, dass auf dem von der Rheinischen Mission an der Astrolabe-Bai in Angriff genommenen Arbeitsfelde zwei voneinander stark abweichende Sprachgruppen zu unterscheiden sind. Die im Innern der Bai liegenden Stationen Bogadjim und Bongu gehören zum eigentlichen Papua-Sprachgebiet, auf den Inseln Siar, Ragetta und Dampier aber handelt es sich um melanesische Dialekte, die den im Bismarck-Archipel gesprochenen Idiomen verwandt sind. Doch ist auch die Siar-Sprache von der auf Dampier noch so verschieden, wie das Deutsche und Englische. Da galt es, mit Unverdrossenheit und Scharfblick einen gangbaren Pfad durch den Urwald der neuen Sprache zu suchen.

Nach beendeter Tagesarbeit setzten sich die Brüder unter die Eingeborenen und suchten ihnen eine Bezeichnung nach der andern abzulauschen. Der kleine Vorrat an Wörtern, die sie aufzeichneten, wuchs trotz der immer wieder nötig werdenden Streichungen und Korrekturen von Tag zu Tag. Die Papua wunderten sich nicht wenig über das Aufschreiben. Sie fragten, was das "Einkratzen" zu bedeuten hätte. Als es ihnen erklärt wurde, und einer der Weißen seine Niederschrift vorlas, riefen sie mit unbändiger Freude:

"Das Gekratzte redet!"

Die Namen und Bezeichnungen der sichtbaren Dinge waren ja ohne sonderliche Schwierigkeit zu ermitteln. Aber wie mühsam war die Feststellung bei Begriffen, die der übersinnlichen Welt angehören. Kunze fand eines Tages das ihm noch völlig unverständliche Wort "miai". Er schrieb es in sein Notizbuch und sann lange darüber nach, ob er es nicht mit anderen Ausdrücken in Verbindung bringen könnte. Immer vergebens. Nach mehreren Wochen sagte ein Jüngling zu ihm: "Wenn ein Mann stiehlt, so schlägt ihn "miai". Wie freute er sich, das unverstandene Wort in solchem Zusammenhang wieder einmal zu hören. Er fragte sofort, was das wäre, das den Dieb schlägt. Die Antwort lautete natürlich "miai", und er war nicht klüger als vorher. Da kam ihm der Gedanke, ob es vielleicht die Bezeichnung für das Gewissen sei. Das wäre ja köstlich, dachte er; dann wäre ein Wort gefunden, das für die christliche Predigt von ganz besonderem Werte ist. Und richtig, als er fragte, ob "miai" gesehen werden könne, verneinte der Papua das. Auf weiteres Drängen sagte er, miai sei im Innern des Menschen. Nun ward der Forscher seiner Sache immer sicherer. Um jeden Irrtum auszuschließen, drehte er den zuerst gehörten Satz um und fragte, ob miai den Mann auch schlüge, wenn er das Gestohlene zurückgäbe. "Nein", lautete die Antwort, "wenn er die Sache zurückgibt, so zerreißt miai, und es ist Ruhe und Frieden". Somit war also wirklich das wichtige Wort gefunden und zugleich ein interessanter Beleg für die Nichtigkeit dessen, was im zweiten Kapitel des Römerbriefes über das Gewissen der Heiden steht. Ähnlich ging es beim Finden der Worte für "Seele", "Versöhnung" und andere Begriffe, die bei der Verkündigung des Evangeliums unentbehrlich sind.

Es ist im Vorstehenden meist von Kunze die Rede gewesen. Klaus und Bosch, die mit ihm gekommen, waren nicht lange an seiner Seite geblieben. Klaus starb an einer Lungenentzündung, nachdem er kurz vorher einen schweren Anfall von Dysenterie überstanden hatte. Bosch aber wurde von der Missionsleitung wieder abgerufen, um an der Festlandsküste mit einem andren Missionar, namens Scheidt, eine weitere Station anzulegen. Sie fanden dabei, wie wir an anderer Stelle schon erfuhren, ein schreckliches Ende. In der Franklin-Bai wurden sie von den Eingeborenen erschlagen.

Kunze sollte aber nicht allein bleiben. Eines Tages erhielt er die Freudenbotschaft, dass seine Braut aus der deutschen Heimat gekommen sei und drüben in Bogadjim seiner harre. Unbekümmert um Wind und Wetter bestieg er sein kleines Segelboot, das ihn schon bei mancher gefährlichen Fahrt durch die Astrolabe-Bai getragen hatte. Über den Trautag und das kurze Zusammensein mit den Freunden zu Bogadjim legten sich freilich tiefe Schatten. Das dortige Missionshaus hatte sich wieder einmal in ein Hospital verwandelt. Es waren nicht weniger als drei schwere Patienten zu pflegen. Selbst der den Missionsleuten von Barmen zur Hilfe gesandte Arzt Dr. Frobenius war unter ihnen. So bekam Kunzes Braut gleich bei ihrer Ankunft in Neu-Guinea einen Vorgeschmack der Berufsleiden und musste eine Probezeit als Krankenpflegerin bestehen. Die am Trautag vermisste Freude kam nach, als die junge Frau ihren Einzug auf der Dampier-Insel hielt. Wie schauten und jubelten die Leute von Kulobob, als der Dampfer diesmal eine weiße Frau ans Land setzte! Von diesem Tage an stellten sich auch die scheuen Weiber und Kinder häufiger im Missionshaus ein. Die ganz spärlich bekleideten Papuafrauen wurden nicht müde, ihre schönen Kleider, und was sie sonst als Ausstattung mitbrachte, zu bewundern. Nur dass sie nicht Tabak rauchen mochte, wollte ihnen nicht in den Sinn. In Neu-Guinea raucht das weibliche Geschlecht nämlich ebenso leidenschaftlich, wie das männliche, und selbst die kleinen Kinder drehen sich schon ihr Zigarettchen.

Nun wurden die Beziehungen zwischen dem Missionshaus und den Eingeborenen immer engere. Die in den Hütten der letzteren geübte Krankenpflege gab den Missionsleuten willkommenen Anlass, hier und da ein gutes Wort anzubringen, die Geisterfurcht aber und das mit der Krankenbehandlung verbundene Zauberwesen zu unterminieren. Ja nach einiger Zeit fanden sich sogar zwei Knaben aus der Nachbarschaft bereit, als Kostschüler in das Missionshaus zu ziehen. Frau Kunze gab sich alle erdenkliche Mühe mit ihnen. Sie hatte auch die Freude, dass die Jungen ein christliches Lied singen lernten, das sich wie ein Lauffeuer unter der Dorfjugend verbreitete. Aber das böse Nationallaster brach auch hier wieder hervor. Die braunen Burschen bestahlen ihre Pflegeeltern. Diese sahen den Fall nicht allzuschwer an. Was die Alten so häufig taten, dessen musste man auch bei ihren Kindern gewärtig sein. Doch das gute, freundschaftliche Verhältnis war gestört. Als die Knaben ihre Unredlichkeit entdeckt sahen, verwandelte sich ihr zutrauliches Wesen in Scheu und Argwohn. Sie liefen eines Tages davon. Die wilde Bevölkerung der Insel war offenbar noch nicht reif für ein so nahes Verhältnis zu den weißen Leuten.

Nur kurze Zeit, kaum ein Jahr währte das Eheglück im Missionshause. Frau Kunze hatte schon bald nach ihrer Ankunft merkwürdige Anfälle von Schwäche gehabt. Nach einiger Zeit stellte sich die gefürchtete Malaria ein und zwar so heftig, dass ihre Kräfte zusehends schwanden. Zu ihrer Stärkung ließ sie sich über dem Fußende des Bettes den Spruch anbringen:

"Uns ist bange, aber wir verzagen nicht."

Auch sonst trat in diesen Tagen des Leides ihre tiefgegründete Frömmigkeit aufs schönste hervor. Dem armen Manne, der sie nur so kurze Zeit als Lebensgefährtin besessen, wollte das Herz brechen, da er ihr Ende kommen sah. Als sie bemerkte, wie der Schmerz an ihm nagte, sagte sie:

"Versprich mir, dass du dich in mein Sterben schicken willst. Ja, willst du dafür danken? Bitte, versprich es mir, ich kann mich sonst nicht freuen."

Mit den Worten: "So, nun will ich mich still hinlegen", rüstete sie sich zu ihrem letzten Stündlein. Sie versank in einen schlafähnlichen Zustand und nannte in ihm noch die Namen aller Frauen und Mädchen, die zu ihr in die Nähschule gekommen waren, ein Zeichen, dass sie ihrer bis zuletzt liebend und segnend gedachte.

Der trauernde Witwer musste trotz seiner tiefen Bekümmernis selbst für alle Einzelheiten des Begräbnisses Sorge tragen. Bei der Herstellung des Sarges stand ihm erfreulicher Weise Madom bei. Auch die übrigen Dorfbewohner zeigten sich teilnehmend und anhänglich. Der Missionar aber hielt tapferen Herzens die Grabrede und richtete dabei Hammerschläge an die Herzen der Heiden.

"Seht, meine Frau, eure gute Missis, wie ihr sie nanntet, ist nun gestorben, ebenso wie früher Missionar Klaus. Sie haben gewusst, dass euer Land ein böses, ungesundes Land ist. Aber sie sind doch zu euch gekommen, weil sie euch lieb hatten und euch den Weg zu Jesus zeigen wollten, damit auch ihr in das Jesusreich kommen könntet. Hier liegen nun ihre Leiber. Ihre Seelen aber sind zu Jesus in den Himmel gegangen. Nicht der Nawir (Zauberer) hat sie gebunden, wie ihr sagt, wenn Leute bei euch sterben. Wer ein Jesusfreund ist, den kann der Namir nicht binden, denn Jesus ist stark. Er macht los vom Bösen und vom Nawir." 

Zuletzt sprach er noch von der Auferstehungshoffnung der Christen.

Wie in diesem Falle, benutzte der Missionar auch bei besonderen Vorkommnissen im Leben der Eingeborenen jede sich bietende Gelegenheit, ihnen den Wert des christlichen Glaubens zu zeigen. Noch viel häufiger aber musste das Zwiegespräch unter vier Augen dazu dienen. Diese Form der Verkündigung machte in der Regel einen tieferen Eindruck, als die öffentliche Rede. Mit Bezug darauf sagte einst ein Papua:

"Wir kommen zwar alle zum Gottesdienst, aber viele halten dein Wort nur für eine 'Rede', wie bei uns auch oft eine Rede gehalten wird, weil das einmal so Sitte ist. Eine Rede trifft nur das Ohr. Aber wenn du abends im Dorf sitzest und mit Einzelnen redest, dann triffst du die Leber." (Er meinte das Herz.)

Deutlicher noch war die Sprache der Liebe, die der Missionar bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Anwendung brachte. Einst war ein Brand in der Nähe der Missionsstation ausgebrochen, wobei ein junger Mann, der noch einmal in das brennende Haus geeilt war, sich furchtbare Brandwunden zugezogen hatte. Als Kunze ihn aufsuchte, saßen sämtliche Dorfbewohner heulend und klagend um ihn her, aber niemand tat etwas zur Linderung seiner furchtbaren Schmerzen. Sie riefen nur immerfort:

"Er ist von Nawir gebunden, er muss sterben."

Der Missionar forderte die Leute auf, sie sollten Kokosöl bringen und damit den verbrannten Körper betupfen. Aber keiner tat es. Da holte er selber Öl herbei und strich es auf die Brandstellen. Der Mann starb zwar am nächsten Tage, aber unvergesslich blieb seinem Pfleger der warme Blick, mit dem er ihn ansah, und wie er ihn dankbar am Arme fasste. Die Sprache der Liebe versteht auch der Papua.

Bild von Seite 161

Am hoffnungsvollsten ließ sich die Arbeit unter den Kindern an. Mit der Zeit kam eine regelrechte Schule in Gang. Den kleinen Krausköpfen wurde es zwar nicht leicht, das Abc zu bezwingen. Und das Stillsitzen fiel ihnen offenbar noch schwerer. Wenn sie sich wieder rühren durften, klagten sie wohl:

"O, meine Knochen sterben!"

Aber schließlich befreundeten sie sich doch mit der neuen Kunst und kamen auch außer der Schulzeit ins Missionshaus, namentlich so lange die Missionarsfrau noch lebte.

An einigen Jungen, die Kunze auf diese Weise näher an sich herangezogen, hatte er besondere Freunde, als er später einmal eine Erkundigungsreise mit dem Boot rings um die Insel machte. Er nahm sie in der Absicht mit, dass die ihm noch gänzlich fremden Eingeborenen auf der andern Seite von Dampier an seinen Begleitern gleich erkennen sollten, er sei ein Freund ihres Volkes. Dieser Zweck ward vollständig erreicht. Zugleich aber waren die Jungen vorzügliche Dolmetscher des Evangeliums unter den Heiden. In einem Dorfe, wo sie im Männerhaus nächtigten, kamen sie fast gar nicht zum Schlafen, weil die Ortsbewohner die Nacht hindurch nicht aufhörten, sie über den Missionar und den Zweck seines Aufenthalts unter den Dampier-Leuten auszufragen. Ein andermal hörte Kunze, der sich nur stellte, als ob er schliefe, dass sie den umherliegenden Leuten alles erzählten, was sie bis dahin von Jesus gehört hatten, und zwar so klar und lebendig, wie er es selbst in der fremden Sprache nicht hätte sagen können. Im Stillen knüpfte er die Hoffnung daran, dass er sie später noch einmal zu tüchtigen Evangelisten ihres Volkes würde ausbilden können.

Diese schönen Anfänge sind leider wie eine im Frühjahr erfrorene Blüte zunichte geworden. Die Rheinische Mission sah sich genötigt, die Tätigkeit auf der Dampier-Insel abzubrechen. Das kam so. Kunze hatte viel vom Fieber zu leiden, so dass er nach mehreren Jahren um einen Heimaturlaub nachsuchen musste. An seiner Stelle ward Missionar Dassel, der schon zwei Jahre an seiner Seite tätig gewesen war, mit der Leitung der Station beauftragt. Ihm standen Schreckenstage bevor. Der die Insel beherrschende Berg, den man für einen gänzlich erloschenen Vulkan gehalten hatte, fing plötzlich wieder an zu rumoren. Der drohende Ausbruch brachte die Missionsniederlassung in die höchste Gefahr. Zu gleicher Zeit brach eine Pockenepidemie aus. Die Dampier-Leute starben in großer Anzahl dahin. Der Überlebenden bemächtigte sich eine furchtbare Panik; sie gingen mit dem Gedanken um, die Insel ganz zu verlassen. Unter diesen traurigen Umständen ward die Station aufgegeben, nachdem vorher noch ein Grab auf dem kleinen Gottesacker gegraben worden war. Ein vorübergehend anwesender Missionar hatte das Unglück gehabt, dass sein Jagdgewehr sich unversehens entlud und ihm eine tödliche Verwundung beibrachte.

So ist die Dampier-Insel eine jener Stätten, wie man sie auf vielen Missionsfeldern findet, wo das Licht eine Zeit lang in der Finsternis geschienen hat und dann weggenommen wurde. Jetzt erinnern nur die Gräber auf dem verwilderten Missionsgrundstück noch an jene Zeit. Hoffentlich kann die unterbrochene Arbeit später wieder aufgenommen werden. Die Missionare der andern Stationen haben die Verbindung mit den Dampier-Insulanern nicht ganz verloren.

Auf dm vorstehenden Seiten war wiederholt von Krankheiten und Todesfällen die Rede. Das ist leider die Signatur der Rheinischen Misston in Kaiser Wilhelms-Land bis in die jüngste Zeit geblieben. In den ersten zwei Jahrzehnten verlor sie 20 Missionsleute durch den Tod. Von diesen liegen 19 in Bogadjim und Bongu, Siar, Ragetta und Dampier begraben. Das zwanzigste Grab entstand in Sydney, wo einer ihrer tüchtigsten Pioniere, Missionar Bergmann, auf der Heimreise starb. Außerdem mussten neun Männer wegen ihrer gefährdeten Gesundheit das Land für immer verlassen.

Was für ergreifende Episoden sind aus dieser Leidenszeit zu verzeichnen! Im Jahre 1893 ward Missionar Arff beauftragt, auf einem Berge in der Nähe von Bogadjim eine Gesundheitsstation anzulegen. Seine junge Frau begleitete ihn. Bald nach seiner Ankunft stellte sich ein Fieberanfall bei ihm ein, dessen Keime er aus der Niederung mit hinaufgenommen hatte. Der Kranke musste in einer elenden Papuahütte Zuflucht suchen. In einer Ecke des dürftigen Raumes war sein Lager, daneben die Hängematte seiner Frau. Der eingeborene Junge, den sie zur Hilfsleistung mitgenommen hatten, musste auch in demselben Räume schlafen. Das Fieber hielt Tage lang an und schwächte den Kranken mehr und mehr. Ein nächtlicher Unfall, bei dem die auf Pfählen stehende Hütte sich senkte, führte seinen Tod herbei. Was sollte die arme Witwe nun in der Bergwildnis tun, wo ihr niemand ratend und helfend zur Seite stand? Sie brachte es nicht übers Herz, die Leiche des geliebten Mannes dort oben, wo es noch keine Christen gab, zurückzulassen. Es ward ein Eilbote hinab nach Bogadjim gesandt. Das heiße Klima, in dem die Verwesung so schnell eintritt, lässt keinen langen Aufschub der Beerdigung zu. Die Stunden des Wartens dünkten der Ärmsten eine Ewigkeit zu sein, zumal da es Nacht wurde, ohne dass Antwort kam. Schon hatte sie das Handwerkszeug zurechtgelegt, um selbst einen Sarg zu zimmern; da schimmerte endlich ein Licht durch den Urwald. Der Missionar Hoffmann von Bogadjim kam als Tröster und Helfer; er brachte auch Träger mit, die den Leichnam bei Fackelschein durch den finstern Wald und über gefährliche Abhänge hinab zur Missionsstation schafften. Das sind Trübsalszeiten schwerster Art. Wenn dann eine Witwe, wie es in diesem Falle geschah, noch bittet, sie nicht heimzusenden, sondern als unverheiratete Missionarin weiter dienen zu lassen, so darf man das wohl einen Heroismus nennen, wie ihn deutsche Frauen in der Heimat nicht leicht zu beweisen haben. Die Zeit der Pfadfinder auf Neu-Guinea ist reich an ähnlichen tragisch-heroischen Zügen.

Solche Arbeit und solche Opfer können doch nicht vergeblich sein. In der Tat hat auch in der Astrolabe-Bai die Wartezeit nach 20 Jahren ihr Ende gefunden. Die Missionare hatten nach und nach entdeckt, wo der Kern des passiven Widerstands gegen das Christentum lag. Im Geheimkult der Papua. Von Götzendienst ist in ihren Dörfern wenig zu sehen. Eigentliche Tempel gibt es nicht. Als Stätten des religiösen Kultus kommen nur die sogenannten "Männerhäuser", wie sie an der Astrolabe-Bai heißen (im Huon-Golf ist ihr Name "Lum"), in Betracht. Hier findet man auch eine Art Götzenbilder. Sie werden in Bogadjim "Sillum" genannt. Das sind grob geschnitzte Holzfiguren, die eine menschliche Gestalt darstellen. Zuweilen auch lange Balken, die an der Stirnseite der Männerhäuser angebracht sind und eine ganze Reihe solcher Figuren aufzuweisen haben. Dieser Sillum hat nach dem Aberglauben der Eingeborenen die Macht, ihnen allerlei Schaden zuzufügen. Um ihn abzuwenden, bringt man Opfer von Schweinefleisch und dergleichen. Die erwachsenen Männer, die einen Geheimbund unter sich bilden und den Weibern nichts verraten, verzehren diese Opfergaben, behaupten aber öffentlich, der Geist habe sie aufgegessen. Das geheimnisvolle Wesen, von dem da gefabelt wird, trägt in den einzelnen Landschaften verschiedene Namen, die schon im verhältnismäßig kleinen Gebiet der Rheinischen Mission mehrfach wechseln. Hier wird es Asa oder Ai, dort Messiab oder Barak genannt. Er scheint auch eine Art Ahnenverehrung damit verknüpft zu sein.

Mit diesem Aberglauben musste das Christentum den Kampf aufnehmen. Es haben wohl einzelne Missionare den Versuch gemacht, das Bollwerk des Heidentums kurzer Hand zu stürmen und zu stürzen. Die meisten gingen jedoch mit Behutsamkeit zu Werke. Sie sagten sich, dass Menschen, die ihr Leben lang in der Geistesfurcht befangen gewesen und von der Wirklichkeit der Zauberei fest überzeugt sind, nur langsam aus dieser ungesunden geistigen Atmosphäre herauszubringen sind. So konnte es Missionar Hoffmann wohl verstehen, dass ein zutraulicher Mann in Bogadjim ihm einst sagte:

"Hoffmann, wir beide sind in allen Dingen eins. Unsere Herzen würden den gleichen Schlag tun, wenn nicht der Asa zwischen ihnen stände."

Ähnlich verhielten sich die Leute von Siar, die zu ihrem Missionar Weber sagten:

"Die Gottesrede wollen wir hören; wir kommen ja auch jeden Sonntag. Aber taufen lassen wir uns noch nicht."

Nach dem Grunde gefragt, antwortete einer:

"Ich mag mich nicht von Gott binden lassen."

Trotzdem fühlten sie sich mehr und mehr zu den Weißen hingezogen, die es so gut mit ihnen meinten, und sprachen das auch unzweideutig aus. Die Missionare, die so lange scheinbar vergeblich gearbeitet hatten, freuten sich natürlich über jedes kleine Zeichen einer kommenden Sinnesänderung. So, wenn dem einen gesagt wurde:

"Helmich, du musst noch etwas warten. Du hast wohl recht. In meinem Innern ist auch eine Stimme, die mir sagt, dass deine Jesusrede wahr ist. Aber verstehe, ich habe noch zwei Herzen."

Solche Äußerungen lassen in der Volksseele lesen und zeigen, dass das Menschenherz im Grunde dieselbe Stellung zur "Jesusrede" einnimmt, mag es in der Südsee oder in Europa schlagen.

Deutlicher sah Hoffmann schon die Bollwerke des Heidentums fallen, als er 1902 zum ersten Male in siegesgewissem Tone von Bogadjim berichtete, die Eingeborenen wollten den Asakult nun abschaffen. Sie hätten ihm erklärt, aus dem Dorfe solle der heidnische Spektakel ganz entfernt werden, nur an verschwiegenen Plätzen im Walde möge er sein Dasein weiter fristen. Der Missionar hatte erwidert, wenn sie mit dem Asa ein Ende machen wollten, dürften sie es auch im Geheimen nicht mehr mit ihm halten. Gott sähe auch ins Verborgene. Damit war die Sache scheinbar abgetan. Hoffmann schrieb, er habe im Anfang des Jahres die Asahörner noch einmal gehört, seitdem nicht mehr. Zunächst erlebte er freilich eine Enttäuschung. Während er sich eine Zeit lang auf der Sattelberg-Station bei den Neuendettelsauer Brüdern aufhielt, lebte der alte Aberglaube nochmals auf. Es wurde wieder ein richtiges Asafest gefeiert. Der Missionar war kaum auf seine Station zurückgekehrt, als die Bogadjim-Leute am Sonntag eine Menge Gäste aus den Gebirgsdörfern mitbrachten, die aus Anlass des heidnischen Festes an die Küste gekommen waren. Diese Fremden nahmen sich sogar heraus, dem Missionar gegenüber die väterliche Sitte des Asa zu verteidigen, was die Einheimischen nicht mehr wagten. Es kam an diesem Tage zu einer sehr heftigen Auseinandersetzung. Hoffmann bekennt, dass er im Stillen doch Respekt vor der Zähigkeit bekommen habe, mit der diese Heiden an ihrer alten Religion hingen. Er vergleicht sie mit den alten heidnischen Recken Norddeutschlands, die auch lieber mit ihren Ahnen in die Hölle wollten, als dem Christentum gehorchen.

Trotz dieser rückläufigen Bewegung mehrten sich die Zeichen, dass es bei dem Teile der Bevölkerung, der in ständiger Berührung mit den Missionaren lebte, mit der alten Geister- und Zauberfurcht vorbei war. Hoffmann musste einmal bei Nacht nach Siar fahren und nahm mehrere junge Burschen mit. Diese waren bei der Abfahrt sehr zuversichtlich, denn ein Alter im Dorfe hatte nach ihrer Gewohnheit durch einen Zauber gutes Wetter und guten Wind für die Reise gemacht. Als sie aber die offene See erreichten, brach ein furchtbares Unwetter los. Da kam eine schreckliche Angst über die jungen Leute.

"Hoffmann erkennt Jesus auch in der Nacht die Menschen?"
 

"Gewiss, Jesu Augen sehen bei Tag und Nacht."
 

"Hoffmann, unsere Alten im Dorfe können nichts. Willst du nicht Jesus sagen, daß er hilft, wie damals den Menschen auf dem kleinen See Tiberias?"

Während dieser Worte kam ein besonders starker Wasserguss über Bord. Hoffmann wollte seine Schüler erst noch ein Weilchen auf die Probe stellen und sagte:

"Betet ihr selbst zu Jesus, ihr habt ja genug von ihm gehört."
 

"Das hilft gewiss nicht. Jesus kennt uns nicht. Rede du lieber mit ihm. Aber schrei auch laut, damit er hört, dass du im Boote bist. Er möchte dich in der Finsternis nicht sehen."

Es war eine eigenartige Situation; aber der Missionar konnte nicht umhin, in Sturm und Wetter laut mit ihnen zu beten. Nach mehrstündiger Fahrt kam die kleine Gesellschaft glücklich in Siar an. Auch diese stürmische Nacht musste dazu dienen, dem neuen Glauben den Weg zu bereiten.

Bald darauf geschahen merkwürdige Dinge an den uns bekannten Orten in der Astrolabe-Bai. Fuhr da eines Tages Missionar Bergmann von Siar nach Ruo. Ein Mann, namens Talad, bat ihn, mitfahren zu dürfen. Er trug einen geschmückten Speer. Das bedeutet nach Papuasitte, dass er den Leuten auf Ruo eine Botschaft zu überbringen hatte. Man sprach auf der Hinfahrt nicht davon. Während der Heimreise aber sagte der Bote:

"Bergmann, wir haben in Siar gestern Abend beschlossen, den Messiab aufzugeben und dafür deinen Jesus anzunehmen. Die Ruoleute geben den Messiab auch auf; ebenso die von Seg und Jab, von Ragetta und Jabob, Bilibili, Bogadjim und Bongu."

Der Missionar glaubte zu träumen; so überraschte ihn die Freudenbotschaft. Er drang in den Mann, ihm weiteren Aufschluss zu geben. Der aber antwortete nur, die Männer von Siar würden bald in sein Haus kommen und es ihm sagen. Wirklich stellten diese nach Verlauf von einigen Tagen sich ein und erklärten in Gegenwart der Frauen, vor denen doch sonst der ganze Geheimkult mit einem undurchdringlichen Schleier verhüllt wird, der Messiab sei schlecht, sie wollten jetzt Jesum dafür haben. Zum vollständigen Zusammenbruch der alten Geisterfurcht aber musste noch eine wunderbare Erscheinung, eine Art Vision oder Traumgesicht helfen, wie sie auch sonst auf den Missionsfeldern wohl vorkommen, wo das Alte stürzt. Nach Bongu drang eines Tages das Gerücht, weit hinten im Lande sei ein Himmelsmann mit seinem Kinde auf die Erde gekommen und habe alle Speere, Pfeile, Bogensehnen und Zaubergeräte zerbrochen. Diese Gegenstände hätte er in mehrere Körbe gepackt, sein Kind aber in einen besonderen Korb. Er habe gesagt, der Ai sei erlogen; die Männer sollten die beim Geheimkult gebrauchten Instrumente den Frauen und Kindern zeigen, dann aber verbrennen. Alles dagegen, was der Missionar den Bonguleuten und anderen von der Gottesrede gesagt habe, sei gut und wahr. Mit dieser hier nur verkürzt wiedergegebenen Botschaft, die von Dorf zu Dorf gegeben worden war, hatte man zehn wohl verwahrte Körbe an die Küste gebracht. Die erschreckten Bonguleute kamen zu ihrem Missionar und fragten, ob von dieser Geschichte auch etwas in seinem Buche stünde, oder ob er schon vorher Nachricht bekommen habe. Er musste beides verneinen, knüpfte aber die ernstliche Mahnung daran, dass sie doch endlich den ganzen heidnischen Betrug fahren lassen und den christlichen Glauben annehmen sollten.

Bild aus Wikipedia "Gartenlaube"

Kirchgängerinnen auf Aroani

Das geschah Mitte November 1906. Einen Monat später wurden die vier Erstlinge von Bongu getauft."2) Drei von ihnen waren seit anderthalb Jahren im Taufunterricht gewesen. Die heilige Handlung hatte ein denkwürdiges Vorspiel. Man brachte die oben erwähnten Körbe mit den zerbrochenen Waffen und Zaubergeräten, um sie zu verbrennen. Als die gefürchteten Dinge zum Vorschein kamen, - ein Kind war übrigens nicht in den Körben zu finden - wich zuerst alles scheu zurück. Nun wurden die Flammen ihres Scheiterhaufens geschürt. Sobald sie emporloderten, stimmte der Missionar mit den Schülern an: "Gotoiga al biniëba" d. h. "Nun danket alle Gott". Unter diesem Gesang und einem sich anschließenden Gebet erfolgte die Verbrennung. Dann ging man in die Kirche zur Tauffeier.

Einige Tage später brachten die Männer von Bongu ihren eigenen Zauberkram herzu. Es war eine für die Bewohner dieses Dorfes bedeutsame Stunde, als sie noch einmal auf den Instrumenten bliesen, um sie dann zu zerschlagen und ins Feuer zu werfen. Die herbeigerufenen Frauen zitterten vor Furcht am ganzen Leibe. So tief saß der alte Aberglaube in ihren Herzen. Erleichtert atmete alles auf, als die Flammen die Wahrzeichen der alten Spukgeschichten verzehrten. Nur eine besonders schöne Maske "Ai gate", d. h. Kopf des Ai genannt, behielt der Missionar zurück, um sie an das Museum des Missionshauses in Barmen zu schicken. Alles übrige aufzubewahren, hätte keinen Zweck gehabt, da die genannte Sammlung und andere ethnographische Museen bereits genügende Proben besitzen.

Ob damit das Heidentum an der Astrolabe-Bai wirklich in seinen Grundfesten erschüttert ist, wird die Zukunft lehren. Die, Zahl der Taufbewerber mehrte sich in der Folgezeit von Woche zu Woche. Es haben inzwischen wieder mehrere größere Tauffeste stattgefunden. Jedenfalls liegt hier ein wichtiger Abschnitt in der Geschichte der Rheinischen Misston auf Neu-Guinea vor. Die Zeit der vorbereitenden Arbeit ist beendet. Es nahen die frohen Tage der Ernte.

Inhaltsverzeichnis 


Der verheißungsvolle Anfang der Neuendettelsauer Mission

Die bayerischen Missionare haben in Kaiser Wilhelms-Land auf einem langen Küstenstreifen, der von Samoahafen in der Tiefe des Huon-Golfs nordwärts bis weit über Finschhafen hinausreicht, eine ununterbrochene Kette von Stationen, die in schönster Entwickelung begriffen sind. An den Orten, wo die Missionsarbeit zuerst einsetzte (auf den Tami-Inseln Wonam und Kalal, in Simbang und auf dem Sattelberge), findet man Erstlingsgemeinden mit größerer Seelenzahl. Aber auch die später entstandenen Niederlassungen Deinzerhöhe, Yabim und Pola, die noch kein Jahrzehnt alt sind, haben schon Gemeinden von mehr als 100 Seelen aufzuweisen.

Wenn man damit die lange Wartezeit der Rheinischen Mission vergleicht, fragt man sich unwillkürlich, wie diese Verschiedenheit der nicht weit voneinander liegenden Arbeitsfelder, die uns in der Geschichte von Williams, Patteson und Paton auch schon begegnete, wohl zu erklären ist.

Man wird später vielleicht noch einmal klarer erkennen, was der Mission an der einen Stelle förderlich, an der andern hinderlich gewesen ist. Jetzt kann es nur als Vermutung ausgesprochen werden, dass das größere Entgegenkommen der Papuastämme am Huon-Golf möglicher Weise mit ihren Beziehungen zur polynesischen Inselwelt, in der das Christentum schon lange Eingang gefunden hat, zusammenhängt. Solche sind namentlich auf den Tami-Inseln deutlich erkennbar. Allem Anschein nach haben die Neuendettelsauer Brüder auch einen besonders glücklichen Griff getan, als sie die männliche Jugend ihres Gebietes planmäßig an sich heranzogen und nach kürzerem oder längerem Aufenthalt auf der Missionsstation wieder nach Hause schickten, wodurch sie eine Menge Verkündiger der neuen Botschaft unter ihren Volksgenossen gewannen. In diese eigenartige Missionsmethode, die mit der der Melanesischen Mission eine gewisse Ähnlichkeit hat, soll uns der nächste Abschnitt einen Einblick verschaffen.

Durch die Schule zur Taufe

Als Flierl und Tremel sich 1886 in Simbang niederließen, mussten sie monatelang im Zelt wohnen, bis ihr erstes Häuschen fertig war. Sie hatten damals noch keine Hilfskräfte zur Verfügung und begnügten sich zunächst mit einem sehr bescheidenen Junggesellenheim. Erst nach Jahr und Tag ward ein stattliches Wohnhaus errichtet. Auch hierbei benutzten sie nur das landesübliche Material, teils um Kosten zu sparen, teils um den Eingeborenen ein leichter nachzuahmendes Vorbild zu geben.

Um bei dieser größeren Bauarbeit nicht lediglich auf die mehr oder weniger willig geleisteten Handlangerdienste der Leute von Simbang angewiesen zu sein und für ihre Person mehr Zeit zur eigentlichen Missionstätigkeit zu gewinnen, ließen sie sich einige junge Burschen von der Methodisten-Mission in Neu-Lauenburg schicken, die bereits Christen waren und sich den beiden Europäern aufs engste anschlossen. Die Missionsstation erhielt dadurch schon frühzeitig eine kleine christliche Hausgemeinde.

Ein unliebsames Vorkommnis machte die Missionare auf den Teil der eingeborenen Bevölkerung aufmerksam, der bei der Einführung des Christentums im Lande eine wichtige Rolle spielen sollte. Eines Morgens drängte sich die neugierige Jugend von Simbang in großer Zahl um die Tür des Missionshauses. Tremel forderte sie auf wegzugehen. Die Jungen gehorchten. Aber der unter ihnen stehende alte Ngakau, der sich schon wiederholt schlecht gegen die Weißen benommen hatte, wich nicht von der Stelle. Da fasste der Missionar ihn am Arme und bedeutete ihn, er möge auch Platz machen. Das nahm der trotzige Mensch furchtbar übel und drohte mit seiner eisernen Hacke. Als ihm diese entwunden und fortgeworfen war, griff er nach seinem Handbeil. Das ward ihm auch entrissen und folgte der Hacke nach. Der entwaffnete Heide geriet nun in schreckliche Wut. Die unweit stehenden Kinder sahen das, und da sie aus seinen Gebärden erkannten, dass er seine Werkzeuge aufheben und Unheil anrichten wollte, kamen sie ihm zuvor und liefen mit der Hacke und dem Beil in den Wald. Einer von den Knaben, die in dieser Weise den Missionaren zu Hilfe kamen, war Ngakaus eigner Sohn Bolatu.

Dieser kleine Zug prägte sich den Glaubensboten tief ein und gewann noch mehr an Bedeutung, als dieser Bolatu einer ihrer ersten und besten Schüler ward. Das Zutrauen der Knaben, die gern im Missionshaus verkehrten, legte ihnen den Gedanken nahe, durch sie eine Brücke zum Herzen des Volkes schlagen zu lassen. Sie kamen dadurch sehr bald zu einer planmäßig betriebenen Schultätigkeit. Nicht als ob sie den altbewährten Weg der evangelischen Mission, mit der Predigt des Evangeliums an die ganze heidnische Bevölkerung zu gehen, aufgegeben hätten. Den benutzten auch sie, sobald ihnen die Zunge durch Erlernung der Landessprache gelöst war. Aber mehr als in andern Missionen half ihnen dabei, die durch ihren Unterricht gehende männliche Jugend.

Die Neuendettelsauer Mission sucht bei Anlegung ihrer Stationen gleichzeitig einen größeren Grundbesitz zu erwerben. In Simbang beträgt er gegen 60 ha, auf dem Sattelberge mehr als 500 ha. Nur auf den Tami-Inseln musste sie sich aus örtlichen Gründen mit einer kleinen Scholle Landes begnügen. Soll dieses Missionsland nutzbar gemacht werden, so sind eingeborene Arbeitskräfte unentbehrlich. Sie waren in Simbang und bei den später angelegten Stationen unschwer zu bekommen. Ließen sich die Männer des Yabim-Stammes doch schon für die Plantagen der Neu-Guinea-Kompagnie anwerben. Warum nicht für die Missionsstationen, die ganz nahe bei ihrer Heimat lagen? Es wurden bestimmte Termine und ein ordentlicher Lohn mit ihnen vereinbart. In erster Linie waren sie also Arbeiter im Dienst der Missionare. Sie mussten beim Bau der Häuser und bei der Urbarmachung des Landes helfen. Ein Teil von ihnen ward auch in der Hauswirtschaft und bei der Versorgung des Viehes beschäftigt; die aus den Stranddörfern als Ruderer usw. Diese praktische Arbeit füllte aber nur einen Teil des Tages aus. Die übrig bleibenden Stunden gehörten dem Unterricht. Wer nur einigermaßen Begabung dafür zeigte, wurde im Lesen und Schreiben unterwiesen. Dass die Missionare die Gelegenheit benutzten, die Schüler auch mit der biblischen Geschichte bekannt zu machen, versteht sich von selbst.

Der Yabim-Stamm, in dessen Bereich die erste Station lag, lieferte, wie gesagt, sehr bald junge Burschen in größerer Zahl. Wenn sie ihr halbes oder ganzes Jahr ausgedient hatten, kehrten sie in ihre Dörfer zurück. Es war in der Regel kein Mangel an solchen, die an ihre Stelle traten. Zuweilen boten sich mehr an, als aufgenommen werden konnten. Bei den nach dem Huon-Golf zu wohnenden Bukaua hielt es schwerer. Auch als in ihrer Mitte schon die Station Deinzerhöhe errichtet war, musste der dort wohnende Missionar manchen vergeblichen Gang tun. Hier spielten die Zauberer noch eine zu wichtige Rolle, und der Argwohn der wilden Leute war schwer zu überwinden. Die Häuptlinge des Landes verhielten sich daher lange Zeit ablehnend. Endlich aber sah auch die Jugend dieser Landschaft ein, dass das Leben bei den Missionsleuten mit keinerlei Gefahr für sie verbunden war, sondern nur Gewinn brachte.

Die religiöse Bedeutung einer solchen Arbeits- und Schulzeit auf der Station schien anfangs nicht sonderlich groß zu sein. Die jungen Leute gingen als Heiden zurück, wie sie gekommen waren. Es hat sich noch keiner von ihnen während seiner "Schulzeit" taufen lassen. Ja die Missionare mussten häufig Klage führen, dass ihre Schüler beim biblischen Unterricht schwerfälliger wären, als in den andern Stunden. Doch übte der Aufenthalt in der christlichen Atmosphäre offenbar einen sittigenden Einfluss auf sie aus; auch erhielten ihre abergläubischen Anschauungen einen starken Stoß. Und das um so mehr, wenn ein junger Mann, wie es nicht selten geschah, nach einiger Zeit um erneute Aufnahme nachsuchte.

Die Missionare verloren manche der ehemaligen Hausgenossen wieder aus den Augen. Bei einigen aber machten sie die interessante Beobachtung, dass diese in ihren Dörfern als Lobredner der Mission, ja geradezu als Werber für den neuen Glauben auftraten. So hatte also der Religionsunterricht bei ihnen doch tieferen Eindruck gemacht, als ihre Lehrer erst dachten. Und die gemeinsamen Abendandachten waren ihnen so zur Gewohnheit geworden, dass sie sie auch in ihrer heidnischen Umgebung fortsetzten. In gleicher Weise auch die Sonntagsgottesdienste. Besondere Ereignisse der Station mögen ihnen unvergesslich geblieben sein. So der Tod des Missionars Held, welcher wie der im Nachfolgenden wiederholt erwähnte Pfalzer mit zu den Bahnbrechern der Mission in diesem Teile von Kaiser Wilhelms-Land gehörte. Als dieser fühlte, dass seine Sterbestunde nahte, ließ er die sämtlichen Stationsschüler vor sein Zimmer rufen und in ihrer Sprache das Lied singen: "So nimm denn meine Hände". Hierauf mussten die Jungen an sein Bett treten. Während sie in feierlicher Stille vor ihm standen, sagte der Sterbende mit fester Stimme:

"Napali, Yesuni" , d.h. "Ihr Jungen, ich gehe hin zu Jesu". Dann fuhr er fort: "Und ihr, hört sein Wort, glaubt es, haltet seine Lehre! Dann werdet ihr auch dahin nachfolgen."

Sie mussten ihm darauf alle der Reihe nach die Hand geben und gingen dann zu ihrem täglichen Unterricht. Einem Alten von Simbang, der zugegen war, traten bei dieser Szene die Tränen in die Augen.

Dass die jungen Burschen später, wenn sie wieder zu ihren Eltern und Jugendfreunden kamen, von solchen und ähnlichen eindrucksvollen Ereignissen erzählten, ist selbstverständlich. Die Missionare ließen es auch, so oft sie eine Abteilung verabschiedeten, nicht an Ermahnungen hierzu fehlen. Besonders empfänglichen Knaben gaben sie wohl auch direkte Anweisung, wie sie das auf der Station Gelernte draußen anwenden sollten. Einzelne baten geradezu, sie mit einem guten Vorrat auszurüsten, um ihn weiter geben zu können. So wünschte ein Küchenjunge beim Ende seiner Kontraktzeit, der Missionar möge ihm einige Gebete einprägen, die er in seinem Dorfe weiter sagen wolle. Dieser Wunsch ward ihm in der Weise erfüllt, dass sein Lehrer eine Perlenschnur der schönsten Bibelsprüche zusammenstellte, die der Junge vor dem Abschied auswendig lernte.

Bild von Seite 177

Dorfplatz mit Lum

Es war hocherfreulich zu sehen, wie die jungen Leute, die doch immerhin nur in eine oberflächliche Berührung mit dem Christentum getreten waren, draußen mit ihrem Pfunde wucherten. Die Papua haben in ihren Dörfern schön verzierte Versammlungsräume, in denen sie viel sitzen und schwatzen. Diese auf gemeinsame Kosten errichteten Häuser heißen "Lum". Das obenstehende Bild zeigt ein solches. Hier werden die beim Geheimkult benutzten Balumhölzer aufbewahrt, deren Verfertigung bisher den Bewohnern der Tami-Inseln als Einnahmequelle diente. Die Missionare bequemten sich bald nach ihrem Einzug der Landessitte an und bauten für ihre Versammlungen ein ähnliches Haus, das zum Unterschied von den alten "Lum Papia", d. h. "Versammlungshaus für Papier", genannt wurde, weil man in ihm las und schrieb. Nun hörten die Missionare zu ihrer Freude, dass die ehemaligen Schüler in ihren Heimatdörfern auf eigene Kosten solche neue Lums bauten, um dort ihre Freunde mit allem dem bekannt zu machen, was sie vom Unterricht und aus den Andachtsstunden behalten hatten.

In dieser Weise bereiteten die entlassenen Arbeitsburschen den Boden für die Predigtgänge der Missionare vor. Wenn diese in ein solches Dorf kamen, fanden sie schon einen geeigneten Platz und eine Zuhörerschar. Ja die Zubereitung der Dörfler erstreckte sich noch weiter. Die jungen Männer hatten sich auf der Station an die Sonntagsruhe gewöhnt. Auch diese Einrichtung übertrugen sie in das heimische Dorf, so dass das dritte Gebot in manchen Dörfern äußerlich schon gehalten wurde, als es noch gar keine Christen dort gab. Es konnte freilich geschehen, dass ein Vertreter der neuen Ordnung, der weitab von einer Missionsstation wohnte, sich bei der Zählung der Wochentage versah und erst beim gelegentlichen Zusammentreffen mit seinem Missionar darauf aufmerksam wurde, daß sein Dorf den Sonntag einen Tag zu spät feierte.

So bildete sich um die Missionsstationen ein Kreis von Dörfern, in denen christlich angeregte Leute wohnten. Man hörte Tag für Tag christliche Lieder aus dem neuen Lum durch den Ort schallen. Die Missionare kehrten häufig hier ein, um den von ihren Schülern gehaltenen Abendandachten beizuwohnen. Dass das, was die selbst noch mit einem Fuß im Heidentum stehenden Burschen ihren Landsleuten boten, nur auswendig Gelerntes und häufig auch Missverstandenes war, versteht sich von selbst. Um diesen Missstand zu beseitigen, trafen die Lehrer, wo es anging, die Einrichtung, dass ihre freiwilligen Helfer am Freitag zur Station kamen und sich für den Sonntag vorbereiten ließen. Immerhin konnte der neue Lum bereits als eine Quelle christlichen Lichtes in der heidnischen Finsternis angesehen werden. Er stand in einem immer mehr hervortretenden Gegensatz zum bisherigen Versammlungshaus. Während in diesem die alten Heiden sich über Jagd und Fischfang, Feldbau und Bootsfahrten, Schweinemärkte und andere Dinge des irdischen Lebens unterhielten, häufig aber auch über Streitigkeiten, Zauberei, böse Weibergeschichten und Mordtaten, saßen die der neuen Bewegung zugetanen Männer und Jünglinge im andern Lum um ihren Wortführer und übten ein christliches Lied ein. Wenn der Missionar bei ihnen zu Gaste war, trug die Unterhaltung regelmäßig zur Klärung der Gedanken über das Christentum bei und offenbarte die bei Einzelnen immer stärker werdende Neigung zum Übertritt.

Es dauerte nicht mehr lange, so erfolgten die ersten Anmeldungen zur Taufe. Wie zu erwarten, waren es ehemalige Schüler, die diesen Schritt taten: Kaboing und Kamungsanga. Am 20. August 1899 wurden sie in Simbang von Missionar Pfalzer in den Schoß der christlichen Kirche aufgenommen. Es bildete sich seitdem die Sitte aus, dass die Täuflinge am Tage vor der heiligen Handlung ihr Herz in einer Privatbeichte erleichtern.

Welche Gedanken einen Papua bewegen, wenn er die Taufe begehrt, konnte Missionar Pfalzer aus den Briefen ersehen, die ihm zu jener Zeit von ehemaligen Schülern zugingen. Ein solcher mag in wörtlicher Übersetzung hier Platz finden. Er ist von einem gewissen Jka geschrieben und lautet:

"Weswegen wir wollen baden in Taufe."

"Deswegen: Jesus sagte zu seinen Jüngern so: Geht in alle "Dörfer hin und sagt meine Lehre; und wenn ein Mensch meiner "Lehre Beifall gibt und sein Inneres mit mir ist, wie er mich fest ergreift, und wenn dieser Mann baden wird in Taufe, -des Herrn Name geht auf ihn hinauf, und wird des Herrn Jünger, wird nicht verloren gehen, Jesus sagt: Wir zuvor wie Wildlinge. Jetzt unser Verständnis erwacht zu unserm Herrn, und unser Herz schmerzt über unserm eigenen Schlechten, und wir wollen unser Inneres ändern. Wir wollen meiden unsere eigenen Dinge, die irdischen; wir wollen wegwerfen Geister und Geisterplätze und die übrigen irdischen Dinge, und wir bitten um Taufe, dass sie auf uns komme, und des Herrn Name steige auf uns, und wir dann wie ein taugliches Gefäß. Der Herr wird sein Eigentum in sein Papier schreiben, wir werden des Herrn Volk; er wird uns immer behüten, wird uns nicht wegwerfen."

Dieser Brief gibt bei aller Unbeholfenheit des Ausdrucks doch Zeugnis davon, dass der junge Papua begriffen hat, um was es sich bei der Taufe handelt. Solche Äußerungen eines auf der Schwelle zwischen Heidentum und Christentum stehenden Menschen sind um so wertvoller, da er sie ganz für sich allein ohne Beihilfe seines Lehrers niedergeschrieben hat.

Der Zugang zum Sakrament wurde den Taufbewerbern nicht leicht gemacht. Da es sich in der ersten Zeit doch nur um Einzelne handelte, kannten die Missionare von der Schulzeit her die Eigenheiten und Schwächen eines jeden und drangen natürlich auf ernstliche Selbstzucht. Später, als die Meldungen zahlreicher wurden, hielt es Missionar Bamler in Deinzerhöhe für angebracht, ihnen mit aller Deutlichkeit zu sagen, dass sie als Christen in jeder Hinsicht die besten ihres Volkes werden müssten. Er betonte in seinen Predigten das Arbeiten fast ebenso sehr, wie das Beten, und machte den Fleiß geradezu zu einer Vorbedingung für die Annahme der Taufbewerber. "Faulenzer machen dem Herrn Christus keine Ehre," pflegte er zu sagen.

Die beiden Erstlinge von Simbang erhielten bei der Taufe biblische Namen: Tobias und Silas. Später bildete man aus der Landessprache neue Namen, die eine schöne christliche Bedeutung hatten. Die Täuflinge durften sie sich meist selbst wählen. Hier sind einige Proben. Der vorhin erwähnte Jka ließ sich Yaingwoga d. h. "Evangelist" nennen. Andere wählten Bezeichnungen wie: Yakamtung (ich glaube), Matagede (Auge emporgerichtet).

Das weibliche Geschlecht hielt sich längere Zeit fern. Das ist ja die Erfahrung aller Missionsfelder. Als aber Jünglinge und Männer in größerer Zahl Christen geworden waren, näherten sich auch die Mädchen den Missionshäusern, zumal denen, in denen eine Hausfrau waltete, und taten es dann bald an Lerneifer den Knaben gleich. Man sammelte sie erst nur hin und wieder am Sonntag nachmittags. Es war ein lieblicher Anblick, wenn fast sämtliche Mädchen aus dem Taimidorf bei Deinzerhöhe von Vater oder Mutter begleitet zur Station kamen und den Missionar baten:

"Erzähle uns".

Aufmerksam saßen sie, wenn ihre Bitte erfüllt wurde, auf der Veranda des Hauses. Durch ihre lebhaften Zwischenfragen ward manches Missverständnis beseitigt. Erst wenn es finster wurde, dachten sie ans Heimgehen. Vorher aber drückte jede dem Erzähler die Hand, und gar drollig klang es, wenn sie dazu ihr "gutt nagt" sagten. Beim Fortgehen stimmten sie gewöhnlich ein fröhliches Liedchen an. Etliche Mädchen fragten bei solcher Gelegenheit einmal, warum sie denn gar nicht kommen und lesen lernen dürften. Das gab willkommenen Anlass zur Einrichtung einer Mädchenschule. Es fand sich genug Arbeit für weibliche Hände auf der Station. Die mussten sie an Stelle des Schulgeldes leisten. Vormittags wurden sie unterrichtet, nachmittags arbeiteten sie. Die Mehrzahl stellte sich durchaus nicht ungeschickt zum Lesen und Schreiben an. Ihre Besuche im Missionshaus wurden auch benutzt, ihnen zu schicklicher Kleidung zu verhelfen. Die ihre Sache besonders gut machten, bekamen eins der bunten Kleidchen, die von bayerischen Missionsvereinen nach Deinzerhöhe geschickt wurden. Das mehrte den Eifer der Schülerinnen noch.

Auch die Frauen holten übrigens mit der Zeit nach, was sie zueist versäumt hatten. Auf einzelnen Stationen sind sie jetzt bei den Taufanmeldungen bereits in der Mehrzahl. Auch wird ihre Aufmerksamkeit im Gottesdienst besonders gelobt.

Der frühe Tod eines der beiden Erstlinge, des Tobias Kaboing, machte einen tiefen Eindruck auf Christen wie Heiden, weil es ein recht gottseliges Sterben war. Er lebte im Yabimdorfe Bubalum und hatte dort der Mission manche schätzenswerte Dienste geleistet. Wie eine Säule stand er unter der kleinen Schar der jüngeren Christen. Die Missionare hofften aus ihm noch einmal einen trefflichen Evangelisten für weitere Kreise machen zu können. Da raffte ihn eine hitzige Krankheit hinweg. Sein geistlicher Vater, Missionar Pfalzer, eilte zu ihm, sobald er davon hörte. Er fand den Patienten aber bereits in einem Zustande, der die Hoffnung auf Genesung ausschloss. Nur mit seinem Trostzuspruch konnte er ihm noch helfen. Dafür war der junge Christ herzlich dankbar. Wenn die peinigenden Schmerzen einmal nachließen, faltete er die Hände und betete:

"Herr Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich meiner, schließe deine Türe nicht vor mir zu!"

Auf die Frage, ob er glaube, dass Christus auch für ihn gestorben sei, und dass Gott ihn darum nicht verstoßen werde, antwortete er bestimmt:

"Ja, ich glaube das, ich gedenke daran"

Seine Dorfgenossen, besonders die Weiber, wollten die Krankheit nach heidnischer Sitte besprechen lassen, denn nach ihrer Meinung geht jede Erkrankung auf Verzauberung zurück. Dazu ließ es der Missionar aber nicht kommen, obwohl er mit dem alten Yaboa von Simbang, der seine Kunst an ihm versuchen wollte, eine heftige Auseinandersetzung deswegen hatte.

Als Tobias Kaboing unter seinen eigenen und der Mitchristen Gebeten entschlummert war, eilten die Glaubensgenossen, weiße und schwarze, von allen Seiten herbei, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Sie ließen ihn nicht auf heidnische Weise aufbahren, wobei der überladene Schmuck von Eberhauern und Hundezähnen die größte Rolle zu spielen pflegt. Ein einfaches Tuch und ein Kreuz darauf, das war sein Sarg-schmuck. Die Feier begann mit einem Liede, das nach Melodie und Text unsrem "Wer weiß, wie nahe mir mein Ende" entspricht. Auf den liturgischen Teil folgte als Schriftvorlesung die Geschichte des Jünglings von Nain und hierauf eine kurze Ansprache, welche in Anknüpfung an die mit dem Verstorbenen zuletzt besprochene Geschichte vom verlorenen und wiedergefundenen Sohne den Spruch behandelte "Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen". Eine besondere Mahnung an die anwesenden Christen bildete den Schluss, worauf die Trauer-Versammlung noch sang: "Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh?"

Bei diesem ersten Begräbnis eines Christen musste die Frage erörtert werden, ob er nach herkömmlicher Sitte bestattet werden sollte oder nicht. Die Papua haben die Gewohnheit, ihre Toten unter ihren Hütten zu begraben. In gewissen Fällen wird das Grab auch beim Lum des Ortes gemacht. Die Christen entschlossen sich, ihren Freund im christlichen Versammlungshaus aufzubahren und auch dort zu begraben. So blieben sie in Gemeinschaft mit ihm; denn nun konnten sie an jedem Abend rechts und links von seinem Grabe sitzen und beim Singen ihrer Lieder seiner treulich gedenken.

In späterer Zeit versuchten die Missionare, die Umgebung des Lum Papia zu einem Gottesacker nach deutscher Art zu machen. Weil das aber gar nicht im Einklang mit der Papuasitte steht, konnten sie mit dem Gedanken bisher nur auf Tami durchdringen. Sie warten in Geduld, bis die alte Sitte von selbst ins Wanken kommt.

Bild auf Seite 184

Besonders stark ist die Bewegung zum Christentum in Deinzerhöhe und den umliegenden Dörfern geworden. Nachdem die ehemaligen Schüler in ihren Orten kleinere oder größere Zuhörerkreise gesammelt hatten, traten die Missionare mit ihrer Predigt regelmäßig unter die Heiden. Sie pflegen die Tritonmuschel zu blasen, wenn sie in ein Dorf kommen. Auf dieses wohlbekannte Zeichen eilen die Bewohner aus ihren Hütten oder den Feldern herbei und scharen sich im Versammlungshaus um den Prediger. In den seltener oder noch gar nicht besuchten Orten kommt es wohl vor, dass seine Rede manchen Zuhörern unverständlich bleibt, zumal da in den Bukaua-Dörfern die Yabimsprache nicht allgemein verstanden wird. Dann erklärt nötigenfalls der Häuptling seinen Untertanen das Gesagte. Der Prediger sah einmal, wie der von Olugetu zu seinen Worten beifällig nickte und, zu den Dorfgenossen gewendet, sagte:

"Unsere Eberhauer und Hundezähne will er nicht, er will unser Inneres."

Das war immerhin eine richtige Verdolmetschung, so kurz und papuanisch die Wiedergabe der Predigt auch ausfiel.

Die Taufanmeldungen aus den Yabim- und Bukauadörfern wurden nun immer zahlreicher, so dass die Missionare kaum Zeit und Kraft genug hatten, den Vorbereitungsunterricht mit der nötigen Sorgfalt durchzuführen, zumal da das Klima in der Niederung an der Küste seine lähmende und schwächende Wirkung ausübt. Glücklicherweise war das Missionshaus in Neuendettelsau imstande, fortgesetzt Verstärkungen zu schicken. Es stehen jetzt mehr als 20 Missionare im Dienst. Um aber die Kräfte der Weißen zu schonen, geht man mit dem Plan um, die eingeborenen Gehilfen gründlicher auszubilden. Auf dem Logaueng-Berg bei Simbang ist eine Anstalt für sie im Entstehen.

So häufig die Tauftage in neuerer Zeit auch geworden sind, sie machen doch immer noch großes Aufsehen in der Umgebung und werden regelmäßig von der ganzen Gemeinde als Freudenfeste gefeiert. Im stattlichen Festzug der von nah und fern herbeigekommenen Christen werden die weißgekleideten Täuflinge wie im Triumph zum Taufwasser geführt. Auf den älteren Stationen hat der Lum Papia einem regelrechten Kirchlein Platz gemacht. Statt der Tritonmuschel läutet ein von den Missionsfreunden in der deutschen Heimat geschenktes Glöckchen zum Gottesdienst. Man hat natürlich beim Kirchenbau gleich auf Zuwachs gerechnet; an den Tauftagen aber tritt trotzdem regelmäßig Platzmangel ein. Wiederholt half man sich damit, dass die Wände weiter hinaus gerückt wurden. Doch kann es immer noch vorkommen, wie es in Yabim geschah, dass die männliche Jugend im Dachgebälk Platz nehmen und von dort aus die feiernde Gemeinde herunterschauen muss. Sind Ehepaare unter den Neugetauften, so schließt sich an die Tauffeier in der Regel ein zweiter Festtag an, an dem ihre Ehen christlich eingesegnet und ihre kleinen Kinder getauft werden.

Der fortschreitenden Entwickelung der Gemeinden in der Yabim - Landschaft entsprechen auch die besseren Hilfsmittel der Mission im Schul- und Kirchengebrauch. Es ist bereits eine kleine Literatur in der Landessprache vorhanden. Man hat sie hauptsächlich dem Fleiß des 1906 verstorbenen Missionars Vetter zu verdanken, der als bester Kenner der Jabimsprache galt. Unter seiner Aufsicht wurden Fibel, Katechismus, Liederbuch und Biblische Geschichten gedruckt. Es wird neuerdings auch ein Sonntagsblatt in dieser Sprache herausgegeben.

Da die im Bereich der Neuendettelsauer Mission wohnenden Stämme tüchtige Arbeitskräfte liefern, kommt es vor, dass auch einzelne Christen unter den hier angeworbenen Plantagenarbeitern sind. Missionar Zahn fand bei einer Geschäftsreise in der Gegend von Friedrich Wilhelms-Hafen viele Yabim- und Bukaua-Leute. Er holte die Christen zusammen und hielt ihnen einen Gottesdienst. Wie freuten sie sich, als sie in der Fremde das Wort Gottes in ihrer Muttersprache hörten. Das war doch noch etwas anderes, als wenn die in der Nähe ihrer Arbeitsplätze wirkenden Rheinischen Missionare mit ihnen redeten. Bei der Rückkehr musste Zahn jedoch eine schmerzliche Erfahrung machen. Er benutzte einen Lloyddampfer, der eine größere Anzahl deutscher Landsleute an Bord hatte. Als der Sonntag kam, erbot sich der Missionar, ihnen einen Gottesdienst zu halten. Es kam aber keiner zustande. Die meisten der in unseren Kolonien lebenden Männer scheinen im Gegensatz zu den kirchlich gesinnten Engländern, die überall Gottesdienste veranstalten, kein Verlangen nach geistlicher Speise zu haben. Betrübt ging der Missionar von den Kajüts-Passagieren zu den Eingeborenen, die dasselbe Schiff zur Heimfahrt benutzten. Kaum hatten sie ihn erblickt, so riefen sie: "Sang tali saxta", d. h. "Zahn, den Sonntag sehen!" Wie beschämend für die weißen Christen!

Die Frage, ob die Getauften treu bleiben und die Echtheit ihrer Bekehrung mit der Tat beweisen, lässt sich wegen der Kürze der Zeit natürlich nur mit allem Vorbehalt beantworten. Bei vielen muss der tägliche Wandel sich doch vorteilhaft von dem der Heiden abheben, denn einer der letzteren sagte einmal zum Missionar: "Wir sehen, es ist doch ein ganz anders Ding, getauft zu sein und zu leben, wie diese." Die Verpflichtung hierzu wird den Bekehrten natürlich vor und bei der Taufe nachdrücklich zu Gemüte geführt.

Ein schwieliger Punkt, der schon bei der Taufanmeldung und während der Vorbereitung zu manchen Weiterungen führt, liegt in den ehelichen Verhältnissen. Männer, die als Heiden mehrere Frauen hatten, was nicht selten ist, müssen sich entschließen, alle bis auf eine zu entlassen. Die dabei sich ergebenden Schwierigkeiten machen nicht nur den Nächstbeteiligten, sondern auch den Missionaren viel Mühe und Kopfzerbrechen. Junge Männer müssen sich verpflichten, als Christen nur eine Frau zu nehmen. Im Heidentum genießen die Männer eine fast schrankenlose Freiheit, und wer die menschliche Natur kennt, wird es erklärlich finden, dass in einem Volke, das sich eben erst von heidnischen Anschauungen loslöst, bei den Übergetretenen der alte Adam leicht wieder auflebt. Solche Männer werden dann in Kirchenzucht genommen. Im Allgemeinen unterwerfen sich die Getauften willig den Ordnungen der Gemeinde und nehmen es als etwas selbstverständliches hin, dass sie bei Verirrungen gestraft werden, bei schweren Fällen auch durch öffentliche Kirchenbuße.

Gibt es in dieser Hinsicht Schatten im Leben der jungen Gemeinden, so fehlt es andrerseits auch nicht an Beweisen, dass ein neuer Geist die Herrschaft gewinnt. Um den Landfrieden ist es entschieden besser bestellt, als früher. In Wareo sagten bald nach Gründung der Station die Alten zum Missionar:

"Jetzt seid Ihr da, jetzt ist das Kriegführen und Totschlagen vorbei".

Dass das nicht nur im Sinne einer Nötigung durch die neue Obrigkeit zu verstehen ist, zeigt sich im Verkehr der christlichen Eingeborenen untereinander. Wenn man bedenkt, dass bis vor kurzem nicht nur die verschiedenen Stamme, sondern auch Nachbardörfer desselben Stammes sich gegenseitig bei irgend einem Todesfall der Zauberei beschuldigten, sich beraubten und mit Krieg überzogen, dass aber jetzt die Yabim als Gäste und Taufzeugen zu den Übertrittsfeiern der Bukauachristen, und umgekehrt diese als Festbesucher zu jenen kommen, so ist das unverkennbar eine edle Frucht der Friedensbotschaft, die zu den Papua gekommen und von ihnen angenommen worden ist. Auch über der Nacht des Aberglaubens und dem Zaubereiunfug geht das Licht auf. Auf der neugegründeten Station Heldsbach erkrankte ein Taufbewerber in der Vorbereitungszeit schwer. Kurz vor seinem Tode konnte er noch getauft werden. Dass es ihm voller Ernst mit dem Abtun des Alten und dem Eintritt in die christliche Gemeinschaft war, ging unter anderem daraus hervor, dass er einem bekannten Zauberer, der bei ihm erschien, zurief:

"Willst du von Zauberei reden, so komm nicht in mein Haus".

Das muss man einem Menschen, der bis vor kurzem steif und fest daran glaubte, dass jede Erkrankung auf Zauberei, zurückzuführen sei, wirklich hoch anrechnen.

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Ein Besuch auf der Sattelberg-Station

Das mörderische Klima von Neu-Guinea hat auch der Neuendettelsauer Mission zu schaffen gemacht. Als das bekannte große Sterben der Beamten und Pflanzer in Finschhafen stattfand, wohnten die Missionsleute ganz in der Nähe. Während aber die andern Ansiedler fluchtartig die Gegend verließen, hielten sie aus. Das Fieber war freilich auch in ihren Häusern ein häufiger Gast. Außerdem litten sie viel an den sogenannten klimatischen Wunden, die zwar bei sorgfältiger Behandlung nicht lebensgefährlich, aber doch sehr lästig sind und die Arbeitskraft lähmen.

Finschhafen

Um diesen Gefahren des Klimas zu begegnen, war Flierl von vornherein auf Anlegung einer hochgelegenen Gesundheitsstation bedacht. Aber erst 1892, also sechs Jahre nach der Gründung von Simbang, kam er zur Ausführung des Planes. Er musste dabei zum zweiten Male auf diesem Missionsfelde die Mühsale der Pfadfinderarbeit durchkosten. Die Erkundigungsmärsche durch die Waldwildnis waren mit großen Anstrengungen verbunden, denn die in die Berge führenden Pfade der Eingeborenen waren äußerst primitiv. Der Wanderer musste oft auf Händen und Füßen über steile Schluchten klettern, dann wieder durch verworrenes Dickicht kriechen, Sümpfe oder niedergefallene Baumriesen des Urwaldes umkreisen usw. Wenn andre Europäer auf Kosten der Regierung oder großer Gesellschaften ähnliche Expeditionen unternehmen, werden ihnen reiche Geldmittel zur Verfügung gestellt. Der Missionar aber sucht zu sparen, wo er nur kann.

Endlich war ein geeigneter Platz gefunden. Er lag auf dem 900 Meter hohen Sattelberge, der sich unweit Finschhafen mit mehreren Vorbergen landeinwärts gegen das Hauptgebirge von Kaiser Wilhelms-Land erhebt. Sein Plateau war mit üppigem Urwald bestanden. Ihn niederzulegen hielt nicht lange auf, da die Bergbewohner, die bei gelegentlichen Besuchen an der Küste schon einige Berührung mit den Missionaren gehabt hatten, sehr dienstwillig waren. Es bereitete ihnen offenbar großes Vergnügen, mit den Äxten und Sägen, die der Missionar zur Verfügung stellte, den großen Bäumen zu Leibe zu gehen. Wenn wieder so ein fallender Waldriese krachend den Abhang hinunterstürzte, konnten sie sich mit Jauchzen und Jubelgeschrei kaum genug tun.

Als der Wald, der bis dahin die Aussicht verhindert hatte, beseitigt war, erkannte Flierl erst, was für einen schönen Platz er erworben hatte. Nach allen Seiten öffnet sich eine entzückende Fernsicht. Über die dunkel bewaldeten Hänge, die sich zur Küste hinunterziehen, sieht man nach Osten weit auf das schimmernde Meer hinaus. Am Horizont schweben ferne Inseln und die Gestade von Neu-Pommern über der Wasserfläche. Auf der andern Seite erblickt man wie aus der Vogelschau die nahe am Küstensaum liegenden drei kleinen Tann-Inseln, jenseits des weiten Huon-Golfs aber in blauer, nebelhafter Ferne die Hochgebirgsketten von Neu-Guinea. Nach Westen zu erheben sich in mehrstündiger Entfernung höhere Waldgebirge, die vielfach von Wolken verhüllt sind. In dieser Richtung breitet sich ein unbegrenztes Forschungsgebiet aus, das allerdings dem Naturfreund mehr Ausbeute verspricht, als dem Missionar. Soweit man bisher in Erfahrung gebracht hat, ist das Land in den höheren Gebirgslagen äußerst spärlich bewohnt.

An diesem ausgesucht schönen Platze, der die in gesundheitlicher Hinsicht auf ihn gesetzten Hoffnungen durchaus erfüllt hat, fing nun ein munteres Bauen an. Die Bergstation ist im Laufe der Jahre zum Hauptort der Neuendettelsauer Mission geworden und zugleich zu einer Sehenswürdigkeit von Kaiser Wilhelms-Land.

Um die Bedeutung der Niederlassung, wie sie jetzt ist, kennen zu lernen, schließen wir uns einer der vielen Reisegesellschaften an, die Jahr aus Jahr ein hinaufpilgein, sei es, dass neue Missionsleute aus der Heimat ankommen, oder dass die auf den anderen Stationen krank gewordenen Männer und Frauen zur "Kur" hinaufgebracht werden. Finschhafen dient in der Regel als Ausgangspunkt.

Bis vor einigen Jahren musste man die Unbilden einer Reise im unkultivierten Lande beim Aufstieg reichlich durchkosten. Es ging zuerst nach Busum, einem Küstendorf, entweder zu Fuß durch den Urwald auf ungebahntem Wege oder im Boot. Die Fahrt verursachte freilich bei einigermaßen bewegter See dem Neuling viel Unbehagen. Von Busum kletterten die Wandrer den steilen Berg hinauf. Obwohl die Hindernisse, die Flierl seiner Zeit vorfand, sich inzwischen wesentlich verringert hatten, war das immer noch eine schwierige Partie.

Diese Reiselüsten gehören jetzt der Vergangenheit an. Die Misstonsleute haben eine bequeme Fahrstraße auf ihren Berg gebaut, so dass wir uns unter Umständen sogar den Luxus einer Wagenfahrt leisten können. Für die Patienten, die auf der Gesundheitsstation untergebracht werden, ist das eine nicht hoch genug anzuschlagende Erleichterung gegen früher, wo der Aufstieg eine wirkliche Strapaze war.

Wie sich die Bergstation einem Besucher darstellt, der das Geschaffene auf seinen praktischen, wirtschaftlichen Wert hin ansieht, zeigt ein Bericht des Herrn v. Bennigsen, des früheren Gouverneurs von Deutsch-Neu-Guinea. Er nahm im Juni 1901 einen achttägigen Aufenthalt auf dem Sattelberge und fühlte dabei, wie er schreibt, zum ersten Male seit seiner Ankunft in der Südsee den Zauber echt deutschen Familienlebens. Den Eindruck, den die Ansiedelung auf ihn machte, schildert er folgendermaßen3):

"Das Land rings um die Station ist vom Walde befreit und zu Kulturen verwendet, welche der Ernährung der Missionare, ihrer Angehörigen und der farbigen Schulkinder dienen. Eine schöne Herde von 30 Stück Rindvieh weidet am Bergabhang. Wohlgepflegte größere Flächen sind mit der rankenden Süßkartoffel, andere mit deutschen Kartoffeln und Gemüse, mit Bananen, Ananas und Maulbeeren bepflanzt. In den von Schulunterricht freien Nachmittagsstunden schwingen die fleißigen Kai-Jungen Axt, Buschmesser und Hacke, so dass wir, wenn nicht im Vordergrund die Kreuze auf der im Bau begriffenen Schule an den religiösen Zweck der Niederlassung gemahnten, zunächst glauben würden, die gut gehaltene Farm eines fleißigen deutschen Ansiedlers vor uns zu haben. Missionar Flierl, nicht allein ein eifriger Verkündiger des Wortes Gottes, sondern auch ein tüchtiger Landwirt, der hier oben in den Bergen Neu-Guineas den Boden schon mit Pflug und Ochsen beackert, hat es in selten glücklicher Weise verstanden, seine Missionsstation gleichzeitig auch zu einer wirtschaftlich vorbildlichen Anlage zu machen. Er wird hierin von seiner Frau unterstützt, die die Produkte des Landes sowie der Viehwirtschaft und Geflügelzucht vorzüglich zu verwenden und den großen Haushalt in sparsamster und doch reicher Weise zu führen versteht. Sie und ihre vier kräftigen, blühenden Kinder sprechen für die Gesundheit der Station. Moskitos und Malaria bleiben wegen des freien, dem Winde von allen Seiten ausgesetzten Hausplatzes den Hausbewohnern bei ständigem Aufenthalt hier oben fern, und die gemäßigte Temperatur, die nachts regelmäßig auf 15¼ Grad Reaumur (19° C) herabsinkt, hindert die Erschlaffung von Geist und Körper."

Seit diesem Besuch des Gouverneurs ist auf dem Sattelberge noch viel gerodet, gepflanzt und gebaut worden. Im September 1903 wurde die Kirche fertig, ein für Neu-Guinea recht stattliches Gebäude mit würdigem Altar (die schönen Paramente und Abendmahlsgefäße sind Geschenke bayerischer Missionsfreunde); die sauber geweißten Wände und die gestrichenen Bänke erinnern an eine deutsche Dorfkirche. Der aus heimischem Material fein gearbeitete Taufstein wurde am Erscheinungsfest 1904 bei der Taufe der Erstlinge aus den Bergstämmen in Benutzung genommen. Wenige Jahre nach Vollendung des Kirchenbaues wurde noch ein größeres Versammlungshaus gebaut, weil bei besonderen Gelegenheiten die Menge der Besucher nicht Raum genug fand. Ungefähr gleichzeitig entstand ein schmuckes Herberashaus für Erholungsbedürftige, deren immer einige hier weilen. Der gute Ruf der Gesundheitsstation hat sich schnell auch außerhalb der Missionskreise verbreitet. Neben Angehörigen der Rheinischen Mission suchen Beamte und andere Europäer die frische Bergluft auf.

Leider verursachte das im September 1906 stattgefundene Erdbeben wie in den Niederlassungen an der Küste so auch auf dem Berge nicht unbeträchtlichen Schaden am Wohnhaus, den Wasserbehältern und einigen anderen Baulichkeiten. Doch haben die solid gearbeiteten Häuser den schweren Tag besser überstanden, als man während der vielen heftigen Erdstöße fürchten musste.

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Die um die Station her wohnenden Eingeborenen gehören zum Kai-Stamme, der bei der Küstenbevölkerung als besonders schlecht und wild verschrien ist. Wenn das ein Papua vom andern sagt, so ist darauf zunächst noch nicht viel zu geben, zumal wenn die beiden verfeindet sind. Aber auch die Missionare gewannen keinen günstigen Eindruck, als sie tiefere Blicke ins Volksleben der Bergbewohner tun konnten. Einer der auf dem Sattelberge stationierten Missionare, Christ. Keysser, entwarf in der ersten Zeit ein furchtbar düsteres Bild von ihrem Treiben. In einem seiner Berichte heißt es:

"Wie hocken sie so teilnahmslos da, während man zu ihnen vom Besten spricht, das man zu geben hat. Entweder schauen sie einen mit höhnisch grinsenden Gesichtern an, oder sie starren gedankenlos vor sich hin. Sie merken freilich nichts davon, wie es oft in einem siedet und kocht, und dass es dem Missionar zuweilen wie dem Propheten Elias unter dem Wach-holder ergeht. Wenn sie dagegen einander von ihren Scheußlichkeiten erzählen, da kommt Leben und Bewegung in sie. Dann sind sie in ihrem Element. Da hat z. B. einer die Frau seines Freundes verführen wollen. Er trat mit seinem Verlangen vor sie hin, als sie mit ihrem kleinen Sohne auf einem Baumstamm den in der Regenzeit angeschwollenen Busimbach überschreiten wollte. Da die Frau ihm widerstand, schlug der rohe Mensch sie mit seinem Beile, so dass sie sofort samt ihrem Kinde in die reißende Flut stürzte. Unten am Meer, wo der Bach mündet, hat man die tote Frau mit einer klaffenden Wunde am Hinterkopf aus dem Wasser gezogen; der Leichnam des Kindes lag in der Nähe des Tatortes am Ufer. Oder: Ein Mann besucht seine Freunde, die sich aus irgendwelchen Gründen in ihr Baumhaus zurückgezogen haben. Man unterhält sich in der luftigen Hütte, die auch bei den Papua ein beliebter Zufluchtsort ist. Plötzlich wird der Gast von dem neben ihm sitzenden Manne umfasst; ein andrer ergreift den Speer und stößt ihn dem Opfer in die Brust. Stöhnend kriecht der zum Tode Verwundete zur Tür hinaus und stürzt vom Baum hinunter auf den Erdboden, wo er mit Geheul empfangen und vollends totgeschlagen wird. Ein andrer erwürgt seinen völlig wehrlosen Onkel. Da derselbe sterbend nach dem Grunde fragt, erwidert der Neffe roh: 'Weil ich einen Eberhauer dafür bekomme'. Für einen schönen Eberzahn oder eine Hundezahntasche wird der Freund zum Mörder des Freundes."

Das sind kleine Sittenbilder aus der Zeit, da die Kai in Berührung mit dem Christentum kamen. Von demselben Missionar wissen wir, dass ein Mann kurz vor seiner Taufe freiwillig gestand, dass er vier Morde, 40 größere Diebstähle und 20 Fälle von Ehebruch auf dem Gewissen hatte, ganz zu schweigen von einer Menge kleinerer Untaten.

Unter diesen Umständen ist es zu begreifen, dass das Heidentum der Kai den Missionaren zuerst wie eine trotzige, schwer einnehmbare Burg erschien. Man hatte anfangs Schüler von der Küste mit heraufgenommen. Sie mussten aber wieder in ihre wärmere Heimat hinabgeschickt werden, weil ihnen das Klima auf dem zeitweilig in Wolken gehüllten Berge nicht bekam. Ersatz für sie aus den Kai-Dörfern zu erhalten, hielt zuerst schwer. Das Volk war noch zu misstrauisch.

Schließlich wurde aber auch dieser Teil des Missionsfeldes durch Vermittelung der jungen Männer und die ihnen erwiesene Liebe geöffnet. Es war eine kritische Zeit, als einzelne der aus den Kaidörfern stammenden Schüler auf der Station krank wurden. Natürlich hieß es sofort, sie wären von den Weißen bezaubert. Noch gespannter wurde die Stimmung, als ein Junge starb. Er war der Neffe des Häuptlings in einem Bumingdorfe. Die Angehörigen holten die Leiche in den zwei Stunden entfernten Ort. Man musste sich darauf gefasst machen, dass alle Kostschüler entliefen, aus Furcht, dass die Buming-Leute gegen die Missionsstation Krieg machen würden. Da hatte Flierl den Mut, zum Begräbnis seines Schülers selbst unter die Wilden zu gehen. Mit den Stationsknaben aus jener Gegend setzte er sich mitten in die Trauerversammlung. Als die Weiber in ihren schwermütigen Klagen einmal eine Pause machten, sagte der Missionar, er wolle nun auch singen und etwas sagen. Da sie nichts einzuwenden hatten, stimmte er ein christliches Sterbelied in ihrer Sprache an. Die Schüler sangen leise mit. Dann hielt er eine kurze Ansprache über das allen Menschen auferlegte Sterben und die Auferstehungshoffnung der Christen. So bannte er den Unmut der Hinterbliebenen. Als nach einiger Zeit die Mutter seines Lieblingsschülers gestorben war, begab er sich auch ins Trauerhaus. Bei den Papua besteht die Sitte, dass die Bewohner der Nachbardörfer zur Mittrauer kommen, wenn ein Todesfall vorliegt. Er bequemte sich dieser Sitte an und benutzte auch diesen Vorfall, den Dörflern in der Umgegend der Station näher zu kommen.

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Johann Flierl um 1886

Diese und ähnliche Bemühungen waren nicht vergebens. Im Oktober 1904 trat ziemlich unvermittelt ein Umschwung ein. Die Leute aus der Nachbarschaft kamen in Scharen zum Gottesdienst. Es wurden an manchem Sonntag über 200 gezählt. Darunter auch solche von Buming. Die aus Fisako scheuten sogar den Weg von drei Stunden nicht. Weil die ferner Wohnenden am Sonntag nicht rechtzeitig zum Gottesdienst da sein konnten, stellten sie sich schon am Sonnabend ein und übernachteten bei gutem Wetter auf dem Stationsgrund im Freien, bei Regen lagen sie zusammengepfercht in den Häusern der Stationsknaben. Mit Rücksicht auf diesen Andrang wurde das schon erwähnte Versammlungshaus neben der Kirche gebaut.

Einen hübschen Zug berichtet Missionar Keysser aus der Zeit, wo er zwei Jünglinge aus dem Kai-Stamme, die ersten ihres Volkes, zur Taufe vorbereitete. Ogang und Guba, so hießen sie, waren durch einen längeren Schulunterricht schon mit den Hauptstücken der christlichen Lehre bekannt, konnten auch ordentlich lesen und schreiben. Nach der Taufe gedachten sie wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Der Missionar hatte gerade das Markus-Evangelium übersetzt und ließ seine Übersetzung von ihnen abschreiben, wobei er ihnen zugleich den Text Vers um Vers erklärte. Die eine Hälfte des Tages waren sie draußen bei körperlicher Arbeit, die andre wurde dem Unterricht und dem Abschreiben gewidmet. Es war ein rührender Anblick, sie Tag für Tag bei der mühsamen Arbeit zu sehen. Sie malten langsam ein Wort ums andre. Zuletzt aber war die Freude groß, als sie nach ihrer Taufe das selbstgeschriebene Evangelium in ihrer Muttersprache mitnehmen konnten.

An die Aufnahme dieser beiden Erstlinge in die christliche Gemeinde schloss sich eine ganze Reihe schöner Tauffeste an. Es ging den Missionaren seitdem fast wie den Fischern auf dem See Genezareth, die wider Erwarten einen so reichen Fischzug taten, dass sie den Segen kaum bergen konnten. Bei Beginn des Jahres 1907 sahen sie 300 Taufbewerber vor sich. Um den Vorbereitungsunterricht mit aller Sorgfalt behandeln zu können, mussten sie die Schar sichten. Ähnlich war der Andrang der Kostschüler. Es meldeten sich doppelt so viele, als aufgenommen werden konnten.

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Das Evangelium unter den Kannibalen des Bismarck-Archipels

Während die christlichen Niederlassungen am Huon-Golf als Tochtergemeinden von Neuendettelsau das Gepräge der lutherischen Kirche an sich tragen, weht durch die im Bismarck-Archipel entstehenden Missionsgemeinden der Geist des großen englischen Erweckungspredigers John Wesley.

Wie weit die Wellenschläge der von ihm einst hervorgebrachten Bewegung gehen, zeigt ein Blick auf die Ausdehnung der nach ihm genannten Kirche in Australien. Wie in allen britischen Kolonien hat die englische Staatskirche auch dorthin ihren ganzen Apparat von Bischöfen und Geistlichen übertragen. Neben den Gemeinden der Staatskirche aber machen sich auch alle jene in England entstandenen evangelischen Richtungen geltend, die man bei uns in Deutschland als "Sekten" bezeichnet, die aber wegen ihrer Größe und Organisation sehr wohl beanspruchen können, Kirchen genannt zu werden. Die Methodisten4) nehmen unter ihnen eine hervorragende Stellung ein. Sie verfügen in Australien über nicht weniger als 700 bis 800 Geistliche. Ihre Gemeinden sind von lebhaftem Missionseifer erfüllt, der sich bisher ausschließlich in der Südsee betätigte. Künftig wird er auch zur Christianisierung Ostindiens beitragen.

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Es besteht ein lebhafter Verkehr zwischen den Gemeinden des australischen Festlandes und ihren Neugründungen in der benachbarten Inselwelt.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts lösten sich die methodistischen Gemeinden Australiens von ihrem Mutterstock in Großbritannien los und bildeten eine eigene Organisation, wobei sie die Pflege der in Ozeanien liegenden Missionsfelder ganz allein übernahmen. Sie begnügten sich aber mit den schon ins Werk gesetzten Arbeiten nicht. Im Jahre 1875 kam die Mission im Bismarck-Archipel hinzu.

Es war damals ein Aufsehen erregendes Wagnis, Missionare unter die Kannibalen von Neu-Pommern und Neu-Mecklenburg zu senden, denn es gab zu der Zeit dort noch keine Ordnung schaffende Hand. England betrachtete zwar die Inselgruppe als zu seiner Interessensphäre gehörig, unterhielt aber keinerlei Stützpunkte seiner Macht im Archipel; von kolonisatorischen Unternehmungen war vollends nicht die Rede. Erst in den 80er Jahren, als die Auseinandersetzung wegen der deutschen und englischen Ansprüche begann, stieg die Zahl der Weißen und die Sicherheit für Leben und Eigentum. Als am 3. November 1884 die deutsche Flaggenhissung auf Matupi, Mioko und anderwärts erfolgte, hatte das Evangelium schon an vielen Küstenplätzen in aller Stille seinen Einzug gehalten.

Neu-Lauenburg, die zwischen den beiden Hauptinseln des Archipels liegende Inselgruppe, bildete den Ausgangspunkt. Am schönen Hunterhafen im Norden der Hauptinsel ward das erste Missionshaus errichtet, in dem die Fäden des Betriebes während der ersten Zeit zusammenliefen. Später ist die ebenfalls zur Neu-Lauenburg-Gruppe gehörige kleine Insel Ulu an die Stelle dieser ersten Zentralstation getreten. Hier werden die eingeborenen Gehilfen, von deren Verwendung die Methodisten-Mission einen so ausgiebigen Gebrauch macht, ausgebildet. Sie kehren naturgemäß gern wieder einmal in dem Institut ein, dem sie ihre Schulung verdanken. Im Laufe der Jahre sind als weitere Hauptstationen hinzugekommen: Raluana und Kabakada auf der Gazelle-Halbinsel; Eratubu und Kudukudu an der schmalen Stelle von Neu-Mecklenburg, die Neu-Lauenburg gegenüberliegt; endlich Omo im Norden der Insel. An allen diesen Orten sind weiße Missionare stationiert, denen in den älteren Bezirken eine größere, in den jüngeren eine kleinere Anzahl eingeborener Prediger und Lehrer zur Seite steht.

Die Ausbreitung des Christentums ist nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten jetzt im besten Gange. Welche Veränderungen dadurch im Volksleben bewirkt werden, lässt sich am deutlichsten auf der Gazelle-Halbinsel sehen. Man wird allerdings bei Beurteilung der dortigen Missionserfolge auch den bald nach dem Einzug der Missionare eingetretenen Einfluss der deutschen Kolonisation in Anrechnung bringen müssen.

Drei Jahrzehnte sind, wenn es sich um die Verwandlung roher Kannibalen-Stämme in ein gesittetes Volk handelt, eine sehr kurze Spanne Zeit. Dass aber in dieser Hinsicht tatsächlich schon sehr erfreuliche Fortschritte zu verzeichnen sind, geht aus folgender Kundgebung hervor, welche die im Jahre 1900 zur Feier des 25 jährigen Jubiläums versammelte methodistische Synode von Neu-Pommern erließ:

"Vor 25 Jahren war Neu-Pommern noch ein Land voll Unwissenheit, Grausamkeit, Vergewaltigung der Schwachen, Mord und Menschenfraß. Wenn dagegen heute die Eingeborenen auf Neu-Lauenburg, Neu-Mecklenburg und der Gazelle-Halbinsel, soweit der Einfluss unserer Mission reicht, in Frieden und Sicherheit leben, und die Wohlfahrt gedeiht, so ist das eine Wirkung des Evangeliums Jesu Christi. Wo man früher fast immer das Getöse von Kriegs- und Raubzügen vernahm, hört man jetzt ein dankbares Volk Gott preisen, dass - es ihn kennen lernte und ihm dienen darf. Vor 22 Jahren erschlugen noch die Eingeborenen von Neu-Pommern in hinterlistiger und grausamer Weise einige unserer Lehrer, heute haben sie ihr Verhalten gegen das "Lotu" dergestalt geändert, dass wir nicht alle ihre Wünsche nach Pastoren und Lehrern befriedigen können. Das Christentum macht sich bei unserm Volke nicht nur im Äußerlichen geltend, es wird ihm zur Herzenssache und beeinflusst sein tägliches Leben und Treiben. Viele leben im Bewusstsein der Nähe Gottes. Manche bewiesen in der Todesstunde, dass sie in Christus ihren Erlöser gefunden hatten."

Es liegen Zeugnisse von unbeteiligter Seite vor, welche die Richtigkeit dieser Sätze bestätigen. Das Evangelium hält offenbar jetzt einen siegreichen Einzug unter den Kannibalen des Bismarck-Archipels, so ungebärdig diese sich auch anfangs dazu stellten. Neu-Mecklenburg blieb in den ersten Jahrzehnten hinter Neu-Pommern zurück und ist erst in den letzten Jahren reichlicher mit Stationen und Missionslehrern besetzt worden. Auf der Gazelle-Halbinsel aber ist die Pionierarbeit vorbei; namentlich im nordöstlichen Teil. Hier handelt es sich schon um die Vertiefung der christlichen Erkenntnis und den weiteren Ausbau der gesammelten Gemeinden. Die nachfolgenden Abschnitte sollen uns einen Einblick in die bisherige Entwickelung tun lassen.

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Männer und Frauen der Gazellehalbinsel
um 1890

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Die ersten Märtyrer auf Neu-Pommern

Was Selwyn und Patteson für das südöstliche Melanesien waren, das ist D. Georg Brown, der langjährige Generalsekretär der Methodisten-Mission, für den Bismarck-Archipel gewesen: Pfadfinder und Organisator der Missionstätigkeit. Nachdem er 1874 Viktoria, wo man zuerst Interesse für die neue Mission zeigte, Neu-Süd-Wales und Tasmania als Werber bereist hatte, zog er im April des nächsten Jahres auf dem der Missionsgesellschaft gehörigen Schiffe "John Wesley" aus.

Die Fahrt ging über Fidschi, Samoa und Rotuma. Er besuchte diese alten Misstonsfelder in der ausgesprochenen Absicht, eingeborene Lehrer für das neue Gebiet zu holen.

Die Gemeinden auf den Fidschi-Inseln hatten gerade eine schwere Heimsuchung erlebt. Ein Drittel der Bewohnerschaft war einer Masern-Epidemie zum Opfer gefallen; darunter nicht wenige Pastoren und Lehrer. Brown begab sich nach Nawuloa in das Seminar zur Ausbildung eingeborener Gehilfen. Es sind immer gegen 100 Studenten dort, zum Teil verheiratete Männer. Man hielt gerade die Abgangsprüfung. Nachdem die Missionare, denen die Ausbildung der Kandidaten oblag, die braunen Leute geprüft und für tüchtig erklärt hatten, von nun an Lehrer ihres Volkes zu sein, trat Brown vor die Versammlung. Er erzählte zuerst von seiner Untersuchungsreise nach Neu-Pommern und Neu-Mecklenburg. Die dort wohnenden Kanaken seien zur Zeit noch ebenso fern vom Glauben an den lebendigen Gott und von der Erkenntnis des Heils, wie die Fidschi-Leute vor 50 Jahren, und doch wären die Verheißungen der Bibel auch für diese Heiden geschrieben. Jetzt solle auch ihnen der Tag des Heils anbrechen. Es frage sich nur, wer dazu behilflich sein wolle. An diese Mitteilungen schloss er einen warmherzigen Aufruf. Wen sein Herz dränge, möge jetzt mit ihm ziehen, um das Licht des Evangeliums in die Nacht des Heidentums zu tragen. Als er gesprochen, ging eine große Bewegung durch die Versammlung. Am liebsten wären gleich alle 20 Abiturienten mitgegangen. So viele konnte aber Brown nicht annehmen. Er wählte schließlich acht Männer aus, darunter fünf verheiratete. Einen tiefen Eindruck machte es auf alle Anwesenden, als Joeli Bulu, der älteste und angesehenste unter den eingeborenen Pastoren, die Erkorenen zu rechter Treue im Dienst des Herrn unter den fernen Heiden ermahnte. Es war ein feierlicher Abschied von der Gemeinde ihrer Heimat.

Bevor sie abreisten, wurde ihr Entschluss noch auf die Probe gestellt. Der englische Administrator, vor dem sie erscheinen mussten, legte ihnen die Frage vor, ob sie auch wüssten, daß sie in ein ganz unbekanntes Land und unter schrecklich wilde Menschen geführt werden sollten. Sie erwiderten, das sei ihnen gesagt worden; ihr Eintritt in den Missionsdienst unter den Kannibalen des Bismarck-Archipels erfolge vollkommen freiwillig. Aminio Bale, der den Wortführer machte, sagte zum Schluss:

"Herr, wir haben die Sache reiflich überlegt. Wenn wir sterben, so sterben wir; und leben wir, so leben wir".

Zu den Missionsleuten von Fidschi kamen in Samoa noch zwei Ehepaare. In Rotuma endlich gesellte sich Missionar W. Fletscher zu den Evangelisten.

Am 15. August kam das Missionsschiff im Hunterhafen auf Neu-Lauenburg an. Weil gerade Sonntag war, ging die Reisegesellschaft nicht sofort ans Land, sondern beging den Tag mit einer Weihe- und Gebetsversammlung auf dem "John Wesley". Am Montag ward in Kinawanua an der Hafenbucht der Platz für eine Ansiedelung gesucht und mit Errichtung der notwendigsten Baulichkeiten begonnen.

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Neu-Lauenburg (Duke-of-York-Inseln)

Sobald die erste Unterkunft gesichert war, segelte Brown mit einigen Begleitern hinüber zur Gazelle-Halbinsel. In Matupi, wo sein Schiff sofort von zahlreichen Kanus umschwärmt wurde, machte er sich mit den Eingeborenen von Neu-Pommern bekannt. Diese sahen verwegen und wenig vertrauenerweckend aus. Der üble Eindruck ward noch verstärkt, als die Missionare in Nodup auf der sogenannten Krater-Halbinsel landeten. Sie kamen gerade zu einem Kriegszug, den ein Stamm gegen seine Nachbarn führte. Nach diesem ersten Ein- blick in die Verhältnisse des Missionsfeldes kehrte Brown mit den Seinen in den Hunterhafen zurück und richtete sich dort häuslich ein.

Der "John Wesley" lichtete bald wieder seine Anker, um heimwärts zu fahren. Der Missionar sah sich nun mit seinen eingeborenen Gehilfen vom Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen. Sein Segelboot war nur für Küstenfahrten zu gebrauchen. Er traf alsbald seine Anordnungen für die Besetzung des Arbeitsfeldes. Neben Neu-Lauenburg, das die Hauptstation behalten sollte, gedachte er gleichzeitig Vorposten auf die beiden großen Inseln zu senden. Er sprach eines Sonntags diesen Gedanken aus und fragte, wer freiwillig nach Neu-Pommern und Neu-Mecklenburg gehen wollte. Alle Anwesenden erklärten sich bereit. Es wurden je zwei ausgewählt: Ratu Livai und Penijimani Caumea für die Gazelle-Halbinsel, Elimotama und Pauliasi Bunoa für Neu-Mecklenburg. Ihre Abordnung fand unter vielen Gebeten statt. Brown führte sie selbst am Bestimmungsort ein. In Nodup kam ihm der Häuptling Tobula, der sich in der Folgezeit als eine Stütze der Mission bewährte, freundlich entgegen.

Der Missionar selbst behielt, wie gesagt, seinen Sitz auf Neu-Lauenburg, wo die ihm zur Seite stehenden Lehrer leicht Eingang fanden. Ein junger Eingeborener, der etwas Englisch verstand, war als Vermittler von großem Werte, solange die Ankömmlinge noch nicht der Landessprache mächtig waren. Bald konnte zu Molot in der Tiefe des Hafens das erste Kirchlein errichtet werden; ein bescheidenes Bauwerk aus Stangen, Gras und Blättern. Die Stationsarbeit überließ Brown seinen farbigen Mitarbeitern. Er verwandte seine Zeit fast ausschließlich dazu, die Neu-Lauenburg-Gruppe und Neu-Mecklenburg auszukundschaften und an den geeigneten Stellen die braunen Lehrer zu verteilen.

Aus dem ersten Jahre, wo die meisten der Fidschileute noch beisammen waren, ist eine Predigt bemerkenswert, die der schon genannte Aminio Bale seinen Freunden hielt. Er redete da von den Anfechtungen des Glaubens im Missionsberuf, wies auf die schweren Erfahrungen der ersten Glaubensboten in ihrer Heimat Fidschi hin und fuhr fort:

"Ihr sagt: 'Was geht das uns an? Wir leben ja auch in einem heidnischen Lande und haben doch keine Anfechtung. Die Leute hassen uns nicht. Wir haben genug zu essen. Wir schlafen jede Nacht im Frieden. Wann haben wir etwas von Hass verspürt?' Nun, ich sage euch: malua., maIua! (wartet nur!) Die Reihe kommt auch an uns. Gottes Wort bleibt wahr. Wir werden schon auch noch gehasset werden. Wartet nur, bis ihr die Sprache versteht, bis ihr diese Leute wegen ihrer Sünde tadelt, bis ihr Buße verlangt, bis ihr euch gegen ihren Hochmut wendet, bis ihr das Kreuz Christi predigt. Dann wird eure Zeit kommen."

Diese Prophezeiung sollte sich bald in überaus trauriger Weise erfüllen. Brown, der noch einmal nach Australien zurückgekehrt war, um seine Frau und zwei Kinder nachzuholen, saß eines Tages in seinem einfachen Studierzimmer, als ein Eingeborener ihm durchs Fenster die Schreckenskunde zurief, drüben auf der Gazelle-Halbinsell sei der eingeborene Pastor Sailasi mit drei andern Fidschianern erschlagen und aufgefressen worden. Ihre Witwen und Kinder schwebten in der größten Gefahr.

Das wirkte wie ein Blitz aus heitrem Himmel. Der Missionar eilte, Näheres zu erfahren. Was ihm berichtet wurde, ließ ihn in einen furchtbaren Abgrund hineinschauen, an dessen Rande er sich mit seinen braunen Freunden niedergelassen hatte.

Den ersten beiden Lehrern waren bald weitere vier Fidschi-Leute auf die Gazelle-Halbinsel nachgefolgt. Sie hatten sich in Ratawul beim Häuptling Talili niedergelassen. Anscheinend waren die dortigen Einwohner mit der Ansiedelung der Fremden einverstanden. Nur Talili blieb ihr versteckter Widersacher. Es war nicht klar zu erkennen, was er gegen sie hatte. Möglicherweise fürchtete er, die Ankömmlinge, die zu seinem Ärger auch Erkundigungsreisen in die Berge unternahmen, würden ihm den Zwischenhandel mit dem Bergvolke stören, den er als sein Monopol betrachtete. Vielleicht wurde er auch misstrauisch, weil sie die alten Anschauungen und Sitten, unter denen, der Menschenfraß eine wichtige Rolle spielte, erschütterten. Kurz, sie waren ihm ein Dorn im Auge. Er ließ sich das zwar den Fremden gegenüber nicht merken, aber im stillen lauerte er auf eine Gelegenheit, sie umzubringen. Die fand sich, als die Lehrer von Ratawul eines Tages ein Stelldichein mit ihren an der Blanche-Bai wohnenden Freunden verabredet hatten und zu diesem Zweck landeinwärts wanderten. Eine beträchtliche Anzahl von Talilis Leuten schloss sich dem Zuge an, ohne Verdacht zu erregen. Sailasi suchte die Gelegenheit zu einer Verkündigung des Evangeliums an die Heiden, die ihm sonst unerreichbar waren, zu benutzen. Er hatte gerade eine Ansprache gehalten, als die vom Häuptling gedungenen Mörder über die ahnungslosen Christen herfielen. Der Pastor wurde nebst zwei anderen Fidschianern, Livai Naboro und Timote auf der Stelle erschlagen. Der vierte, Beni mit Namen, ein besonders starker Mann, war nicht so leicht zu überwältigen. Er wehrte sich, entkam den Mördern und schleppte sich bis in Talilis Dorf, ohne zu wissen, dass er damit in die Höhle des Löwen lief. Als er ganz erschöpft dort ankam, bat er um eine Kokosschale mit Wasser. Man reichte ihm den Labetrunk. Während er ihn aber an die Lippen brachte, kam Talili selbst herbei und versetzte dem Unglücklichen einen furchtbaren Messerhieb, der fast den Kopf vom Rumpfe trennte. Ein fanatisches Jubelgeschrei begleitete das Zusammenbrechen des Opfers.

Nun war die Bestie in den Kannibalen erwacht. Sie führten gräuliche Szenen auf. Das Fleisch der Erschlagenen wurde unter die Dorfbewohner verteilt und bei wüsten Mahlzeiten verzehrt. Auch die Nachbardörfer bekamen einen Teil davon. Sie mussten natürlich manchen Faden Muschelgeld dafür bezahlen. So geizig sie sonst auch waren, eine solche Gelegenheit ließen sie sich nicht entgehen.

Damit aber nicht genug. Es waren ja auch noch die Frauen und Kinder der Ermordeten da. Die sollten ebenfalls ihr Leben lassen. Nur das liebliche zwölfjährige Töchterlein des Pastors Sailasi gedachte Talili zu verschonen. Die sollte sein Weib werden neben 10 oder 12 anderen, die er schon hatte. Es war ein Glück für die Geängsteten, dass Natu Livai, der Fidschi-Lehrer, von der Blanche-Bai mit einigen jungen Burschen herbeieilte, die Christen zu schützen. Lange konnte er aber die Station Ratawul nicht halten. Wenn von Neu-Lauenburg keine Hilfe kam, war ihnen der Tod von der Hand der Wilden gewiss.

Sobald Brown die Lage übersah, stand sein Entschluss fest. Er musste den bedrohten Christen beispringen. Sofort schickte er einen Eilboten zum Häuptling und ließ ihm sagen, er möge kommen, mit ihm zu reden. Talili aber gab die trotzige Antwort, vier Lehrer habe er schon gegessen, es würden bereits Taroknollen gekocht, mit denen der Missionar selbst verspeist werden solle. Die anderen Weißen (er meinte die im Archipel ansässigen Händler) kämen auch noch dran.

Diese Frechheit musste bestraft werden. Brown beriet sich mit den Kaufleuten auf Neu-Lauenburg und der Gazelle-Halbinsel. Sie waren alle für einen energischen Strafzug gegen den Kannibalen-Häuptling. Die Fidschi-Lehrer, die um ihre Landsleute trauerten und das eigene Leben bedroht sahen, stimmten bei. So kam es zu einer Expedition gegen die heidnischen Dörfer, die sich an der Untat beteiligt hatten. Es kämpfte auch ein eingeborener Stamm, der in Feindschaft mit Talilis Leuten lebte, auf Seite der Christen. Es gelang dem Missionar, der den Zug befehligte, wenigstens einige zerstreute Gebeine der Märtyrer aufzufinden und zu bestatten. Die bedrohten Familienglieder wurden in Sicherheit gebracht. Der mordgierige Stamm erlitt bedeutende Verluste.

Das Strafgericht machte tiefen Eindruck auf die Eingeborenen. Sie haben es in der Folgezeit nicht wieder gewagt, den Lehrern feindselig zu begegnen. Erst im August 1904 ist zum zweiten Male Märtyrerblut auf ihrer Halbinsel geflossen. Das große Blutbad, das damals von den Bainingern in St. Paul angerichtet wurde (zehn Angehörige der katholischen Mission verloren dabei ihr Leben), ist bei allen Ansiedlern von Neu-Pommern noch in frischer Erinnerung.

Browns entschiedenes Vorgehen hat seiner Zeit großes Aufsehen gemacht. Es war das erste Mal, dass ein evangelischer Missionar zu den Waffen griff, um sich der wilden Heiden zu erwehren und seine Mitarbeiter zu schützen. In den Missionskreisen Australiens und Europas verurteilte man den Strafzug allgemein. Den Gegnern der Mission war das eine willkommene Gelegenheit, einen Sturm gegen den streitbaren Gottesmann heraufzubeschwören. Es kam soweit, dass die englischen Behörden eine Untersuchung einleiten mussten. Sie konnten jedoch nichts finden, was strafbar oder auch nur tadelnswert gewesen wäre. Graf Pfeil teilt in seinen schon erwähnten "Studien aus der Südsee" mit, dass bald nach der kritischen Zeit ein deutsches Kriegsschiff im Bismarck-Archipel kreuzte, und dass dessen Kapitän die Notwendigkeit des bewaffneten Vorgehens gegen Talili und seine Spießgesellen auf Grund eigener Beobachtungen überzeugend nachgewiesen habe. Ohne das energische Eingreifen Browns sei das Leben der farbigen Lehrer und vieler Weißen ernstlich bedroht gewesen. Auf dieses Urteil hin wurde das Verfahren gegen den Missionar eingestellt. Der Forschungsreisende kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Brown keinen Tadel verdiente. Ähnlich urteilt Dr. H. Schnee in seinem wiederholt erwähnten Buche.

Man wird in Betracht ziehen müssen, dass es zu jener Zeit - das Blutbad fand im April 1878 statt - noch keine Kolonialmacht im Bismarck-Archipel gab, die Recht und Pflicht zur Züchtigung der Mörder hatte. Wie die Dinge heutzutage liegen, braucht niemand mehr zur Selbsthilfe zu greifen. Jetzt macht dort die deutsche Behörde und lässt in ihrem Bereich keine Freveltat ungesühnt. Damals aber konnte man noch nicht einmal mit dem regelmäßigen Besuch europäischer Kriegsschiffe rechnen. Hätte Brown auf ein solches warten wollen, so wären zu der Ermordung jener vier Lehrer wohl noch weitere Bluttaten gekommen.

Von weltlicher Seite wird also nichts mehr gegen jenen Strafzug eingewandt. Im Gegenteil, die besten Kenner des Bismarck-Archipels nehmen den Missionar gegen seine früheren Ankläger in Schutz. In den Kreisen der evangelischen Mission aber ist das Urteil über jenes Vorkommnis kein wesentlich anderes geworden. Man bedauert den wackeren Pfadfinder des Christentums im Lande der Kannibalen, dass er keinen anderen Ausweg aus den tatsächlich vorhandenen Schwierigkeiten finden konnte, als den Waffengang. Aber die Verbindung von Kreuz und Schwert kann man keinesfalls billigen. In den katholischen Missionskreisen denkt man anscheinend anders über diese Frage.

Es ist das erste Mal gewesen, dass ein evangelischer Missionar zu den Waffen griff. Glücklicher Weise ist es der einzige Fall geblieben.

Wer jetzt in die Talili-Bai kommt - die an der Nordseite der Gazelle-Halbinsel gegenüber der Insel Watom liegende Bucht hat ihren Namen von jenem Kannibalen-Häuptling erhalten -, wird durch nichts mehr an die schrecklichen Erlebnisse der ersten Zeit erinnert. Die an der Küste verstreuten Dörfer befinden sich fast alle im Schallbereich der christlichen Predigt. Ihre Bewohner gehen fleißig zu Kirche und Schule, und die in ihrer Mitte liegende Hauptstation Kabatada gilt schon lange nicht mehr als ein gefährdeter Posten.

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Das schwarze Lotu

Die methodistische Mission wurde von den Samoanern "Lotu Tonga" genannt, weil sie über die Tonga-Inseln zu ihnen gekommen war. Im Bismarck-Archipel hat sich dagegen der Name "Lotu Korakorong" d. h. "das schwarze Lotu" eingebürgert. Er ist ursprünglich wohl als Spott gemeint. Die Katholiken bezeichneten damit die evangelische Mission als fast ganz auf schwarze Prediger und Lehrer angewiesen, während sie selbst so viele weiße Priester und Missionsschwestern auf ihrer Seite haben. Die Methodisten-Mission lässt sich den Beinamen ruhig gefallen. Sie weiß, was sie der Arbeit ihrer farbigen Gehilfen zu verdanken hat. Offenbar kommt sie gerade dadurch schneller, als die katholische Kirche, zu dem Ziel, das Christentum zur Volksreligion zu machen. Übrigens haben die Evangelischen neben jenem Namen noch einen andern aufgebracht; sie nennen ihre Religionsgemeinschaft "Lotu tuna" d. h. "das wahrhaftige Lotu". Das ist eine nicht ungeschickte Erwiderung auf den Spott von jener Seite.

Der weiße Missionar nimmt im Bismarck-Archipel ungefähr dieselbe Stellung ein, wie ein Superintendent im evangelischen Deutschland. Er hat als Bezirksvorsteher eine große Anzahl eingeborener Prediger und Lehrer unter sich; der von Raluana gegen 50, der von Ulu etwa 25 u.s.f.

Die farbigen Lehrer sind schlichte und verhältnismäßig sehr bedürfnislose Leute. Ihre Kleidung besteht aus einem Hemd oder einer leichten Jacke und dem Sulu, einem langen Stück Kattun, das um die Hüfte geschlungen wird und bis übers Knie herabfallt. Gehen sie auf die Reise oder zur Heidenpredigt in entfernter gelegene Dörfer, so begnügen sie sich an warmen oder regnerischen Tagen wohl auch mit letzterem. Ein Fremder wird es dem dunkelbraunen Manne mit dem Lendenschurz schwerlich ansehen, dass er ein Prediger des Lotu ist. Er müsste denn durch das über die Schulter getragenen Paket, in dem sich unter andern Dingen einige kleine Bücher befinden, darauf aufmerksam werden. Solche Predigttouren in die weitere Umgebung aber bilden immerhin nur die Ausnahme. Für gewöhnlich bleibt der farbige Lehrer auf seiner Station, die natürlich ganz einfach angelegt und ausgestattet ist. Die von Fidschi oder Samoa gekommenen Männer brachten gern den in ihrer Heimat jetzt üblichen Baustil, der sich der europäischen Hausform nähert, zur Anwendung, während die aus dem Archipel selbst stammenden Lehrer sich ganz an die heimische Bauweise anlehnen, nur daß ein christliches Haus mehr Licht und Luft beansprucht, auch vermehrte Schlafräume für die Familie. Der Hausrat gibt bei aller Bescheidenheit doch Kunde von der mit dem Christentum eingezogenen höheren Kultur.

Neben dem Wohnhaus des Lehrers erhebt sich das aus landesüblichem Material hergestellte Kirchlein, das zugleich als Schulhaus dient. Befremdlich würde uns beim Eintritt der Anblick der Lernenden sein. Da sitzen nicht nur Kinder, wie bei uns, sondern ungefähr ebenso viele erwachsene Leute, hauptsächlich Männer. Sie wollen an Kenntnissen nicht hinter der Jugend zurückstehen und holen jetzt nach, was sie in ihrer Kindheit versäumten. Man sieht hieraus, dass auch im Bismarck-Archipel bereits ein Wissensdurst erwacht ist. Bei den überzeugten Christen spricht wohl auch das Verlangen mit, durch das Bibellesen besser an die Quelle der christlichen Erkenntnis zu kommen.

Aus diesen Dorfschulen gehen die besten Schüler in die höhere Lehranstalt des Distrikts über, die der Missionar auf der Hauptstation unterhält, und die wiederum ihre tüchtigsten Zöglinge zur weiteren Ausbildung nach Ulu ins Seminar schickt.

Sonntags wird das Schulhaus, wie gesagt, zur Kirche. Auf den vorgeschobenen Posten ruft eine Holztrommel die Gottesdienstbesucher zusammen. In der Hauptstation dagegen läutet ein Glöckchen den Sonntag ein, wie uns das  Bild der Kirche von Raluana zeigt. Hier sind die Wände des Gotteshauses nicht mehr aus Mattengeflecht, sondern von Steinen und Kalk hergestellt.

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Den eingeborenen Gehilfen ist ihr Arbeitspensum genau vorgeschrieben. Am Sonntag haben sie zweimal zu predigen, wobei sie sich mit ihrem Nachbar abwechseln können; ferner Sonntagsschule zu halten, die Taufbewerber zu unterrichten und etwa noch Gebetsversammlungen zu veranstalten. In der Woche sind vier Tage mit Schulunterricht besetzt. Um das alles bewerkstelligen zu können und für weitere Missionstätigkeit nach außen hin frei zu werden, suchen sie aus den Neubekehrten ihres Dorfes Helfer heranzubilden. Diese stehen ihnen erst in der Sonntagsschule und beim Unterricht der Taufbewerber bei; später werden sie Predigtgehilfen am Orte.

Ehe es zu einem so geregelten Schul- und Kirchenbetrieb kommt, hat der farbige Lehrer mühselige Pfadfinderarbeit zu leisten. Lassen wir uns das von Pauliasi Bunoa, der in Kalil an der Küste von Neu-Mecklenburg stationiert wurde, erzählen. Er schreibt:

"Das waren schwere Anfangstage,  Die Eingeborenen sahen uns wie Wundertiere an. Sie verstanden nicht, was wir sagten und taten. Offenbar misstrauten sie uns und wollten uns zuerst keine Nahrungsmittel ablassen. Manchen Tag musste ich mit meiner Familie hungrig zu Bett gehen. Als ich dann anfing, mein Haus zu bauen und das Land urbar zu machen, ließen sie sich für jede Hilfe reichlich bezahlen. Von Entgegenkommen und Liebe keine Spur. Wir hatten Tage der Angst, des Hungers und der Not."

Als er über diese Schwierigkeiten hinweg war, stellte sich Krankheitsnot in der Familie ein. Er sah einige seiner Kinder unter sehr traurigen Verhältnissen sterben. Dann erkrankte auch seine Frau Sieni. Weil er in seiner Einsamkeit keinen ärztlichen Rat einholen konnte, beschloss er, die Schwerkranke hinüber nach Neu-Lauenburg zu schaffen. Die in der Nachbarschaft wohnenden Fidschi-Lehrer standen ihm bei. Sie brachten ihr Boot zu Wasser, hissten das Segel und fuhren mit der notdürftig gebetteten Patientin ab. Da sie den Wind gegen sich hatten, mussten sie angestrengt rudern. Schon war der wegen seines schlechten Wetters berüchtigte St. Georgs-Kanal hinter ihnen, als an der Nordspitze von Neu-Lauenburg ein Unwetter heraufzog und sie weit zurückwarf. Sie ruderten aus Leibeskräften, konnten aber gegen den Sturm nichts ausrichten. In dieser Stunde der höchsten Not starb Sieni, die während der angstvollen Fahrt natürlich allen Unbilden der Witterung und des Meeres ausgesetzt war. Ihr armer Mann musste es mit ansehen, ohne seinen Posten auf der Ruderbank verlassen zu dürfen. Es war ihm nicht einmal vergönnt, die Leiche an seinen Wohnplatz zurückzubringen. Er begrub sie in Kabasorisi, wohin sie verschlagen waren.

Es mag hier beiläufig erwähnt sein, dass auch im Bismarck-Archipel die Missionstätigkeit durch das Klima erschwert wird. Die polynesischen Lehrer leiden zwar unter den Tropenkrankheiten nicht so sehr, wie die Weißen; aber es ist immerhin auffällig, wie groß die Sterblichkeit unter ihnen ist. Sobald es sich zeigt, dass sie das Klima nicht vertragen, schickt man sie in ihre Heimat zurück. Früher dauerte es leider gar lange, bis sich wieder eine Gelegenheit dazu fand. Der "John Wesley" war häufig nicht zu erreichen, wenn er nötig gebraucht wurde, und machte obendrein eine langsame Fahrt. Da war es eine sehr willkommene Hilfe, dass die Missionsgesellschaft im Jahre 1905 von einem Freunde einen schmucken Dreimaster als Geschenk erhielt, der bis dahin in England als Rennjacht gedient hatte und zur dauernden Erinnerung an den Gründer der Mission "George Brown" genannt wurde. Er ist jetzt viel unterwegs, um erkrankte Lehrer heimzuschaffen und Ersatz zuholen.

Unter den eingeborenen Gehilfen sind vortreffliche Leute. So erhält z. B. Rupeni Nagera, einer der Pioniere in Neu-Mecklenburg, von allen Missionaren, die mit ihm zu tun gehabt haben, das höchste Lob. Er gab auch seinen einzigen Sohn in den Missionsdienst, sah ihn aber in jungen Jahren zu Kudukudu sterben.

Eine bedeutende Wirksamkeit entfaltete ferner Aminio Bale auf Neu-Lauenburg, wo wir ihn im vorigen Abschnitt schon kennen lernten. Sein Distriktsvorsteher gab ihm das Zeugnis eines klugen, tapferen, durchaus praktischen, gleichzeitig aber auch geistvollen Mannes. Die andern Lehrer waren gewöhnt, nach ihm zu blicken und sich von ihm leiten zu lassen. Es lag ein Segen auf allem, was er angriff. Als er nach Molot am Hunterhafen kam, fand er dort noch keinen einzigen Christen vor; als er das Dorf verließ, lebte kein Heide mehr darin. Es mag viele Leute auf Neu-Lauenburg geben, die ihm mit ähnlichen Empfindungen nachschauen, wie jener Daniel Kaupa, der ehemalige Häuptling von Molot, der in seiner kleinen Lebensbeschreibung erzählt, dass er und seine Leute Kannibalen voll Raublust und Mordgier gewesen wären, bevor die christlichen Lehrer kamen, dass er es aber namentlich dem Aminio zu verdanken habe, wenn er seitdem ein andrer Mensch geworden und nun in seiner Heimat als Hilfsprediger wirken könne.

Wie in ihrer Lebensarbeit beweisen sich die farbigen Lehrer auch mit ihrem gottseligen Sterben vielfach als würdige Vorbilder für die eingeborenen Christen. So berichtet Missionar Sprott von der neuangelegten Station Omo, dass er als ersten Todesfall den des Lehrers Jakob Tobulogan zu melden habe. Er starb im Regierungskrankenhaus. Vor seinem Sterben sang er die Nacht hindurch christliche Lieder und bat andre Patienten, mit ihm zu beten. Vom Lehrer Aisake Rabulewa auf Neu-Pommern aber wird erzählt, dass seine letzten Worte lauteten: 

"Ich sterbe, aber der Weg vor mir ist licht. Ich sehe das Tor des Himmels offen, durch das ich eintreten soll. Es ist kein Hindernis mehr auf meinem Wege. Ich bin zum Gehen fertig, um zu der Ruhe zu kommen, die uns im Himmel bereitet ist."

Bisher war meist von den aus Polynesien gekommenen Predigern und Lehrern die Rede. Neben ihnen aber wächst eine Schar eingeborener Gehilfen aus dem Archipel heran. Die Pflege der Gemeinden kann ja auf die Dauer nicht in fremden Händen bleiben. Sobald daher die Mission in geregelten Gang gekommen war, ward ein Seminar in Ulu, einer kleinen Insel der Neu-Lauenburg-Gruppe, eingerichtet. Hierher schicken die in Neu-Pommern und Neu-Mecklenburg wirkenden Missionare begabte junge Männer ihres Bezirks zur weiteren Ausbildung. Die Leitung der Anstalt liegt in den Händen eines Missionars, dem ein farbiger Pastor zur Seite steht. Als Unterrichtssprache hat man den im Osten der Gazelle-Halbinsel gesprochenen Dialekt gewählt, von dem man annimmt, daß er sich in den meisten Teilen des Archipels als allgemeine Schul- und Kirchensprache wird durchsetzen lassen.

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Ulu bei Neu-Lauenburg (Duke-of-York-Inseln)

In diesem Seminar wird fleißig gearbeitet. Der Unterricht erstreckt sich neben den schon in den niederen Schulen gelehrten Elementarfächern, deren Pensum hier erweitert wird, namentlich auf das Lesen und die Erklärung der heiligen Schrift. Dazu kommt die Übung im Predigen. Die älteren Seminaristen haben einen Nebengottesdienst auf Neu-Lauenburg allein zu versorgen und werden auch von Zeit zu Zeit auf die Gazelle-Halbinsel hinübergeschickt, um dort Dorfpredigten zu halten. Da es sich um die Heranbildung tüchtiger Prediger handelt, werden diese Leistungen einer scharfen Kritik unterzogen, wie bei den Kandidaten in einem deutschen Predigerseminar. Neben der wissenschaftlichen Arbeit erhalten die Seminaristen Zeit zu praktischer Beschäftigung. Drei halbe Tage der Woche werden der Landwirtschaft gewidmet. Die Zöglinge leisten diese Arbeit als Entschädigung für die ihnen im Seminar gewährte freie Station.

Gelegenheit zu solcher Beschäftigung bietet die mit der Anstalt verbundene Plantage, für die jetzt ein besonderer Pflanzungsdirektor angestellt ist, weil der Leiter des Seminars das Amt wegen des Umfangs der Geschäfte nicht mehr nebenbei verwalten konnte. Bis 1906 waren nahezu 18.000 Kokospalmen angepflanzt, von denen ein Teil ins tragfähige Alter gekommen ist. Neben dieser Hauptfrucht sind kleinere Flächen mit Yams von der besten Fidschi-Sorte bepflanzt. Auch werden Süßkartoffeln, Gummibäume und Kaffee kultiviert. Man hofft, aus dem Verkauf der Kopra mit den Jahren einen bedeutenden Beitrag zu den Kosten des Missionswerkes zu erzielen.

Da die Arbeitsleistung der 30 - 40 Seminaristen, die doch nur einen Teil der Woche in der Plantage beschäftigt werden können, nicht ausreicht, die Pflanzungen in Stand zu halten, stellt man noch eine Anzahl junger Burschen aus dem Archipel ein, meist Heiden, die in ähnlicher Weise wie für die Plantagen der Händler auf der Gazelle-Halbinsel angeworben und für ihre Arbeit bezahlt werden. Der Mission ist es aber nicht nur um ihre Arbeitskraft zu tun, sie sucht diese jungen Leute auch im christlichen Sinne zu beeinflussen. Eine Abendschule dient hauptsächlich diesem Zwecke. Es sind schon viele Taufbewerber aus ihr hervorgegangen.

Leider mussten die Seminaristen bisher meist halbfertig wieder in die Distrikte hinausgegeben werden. Das von allen Seiten geäußerte Verlangen nach Lehrern war so dringend, dass manche kaum ein Jahr oder doch nur wenig mehr als Ausbildungszeit hatten. Dieser Eile ist es wohl auch zuzuschreiben, dass die Einführung des deutschen Sprachunterrichts in der Anstalt bisher ein frommer Wunsch blieb. Es ist durchaus nötig, dass die künftigen Lehrer der Mission in den Stand gesetzt werden, deutsch zu lesen und zu schreiben und auch sonst im Verkehr mit den Behörden sich der deutschen Sprache zu bedienen.

Von großem Wert für die ausziehenden Lehrer ist die in der Sprache der Gazelle-Halbinsel vorhandene christliche Literatur. Die Missionare haben hier wie anderwärts viel Fleiß darauf verwandt, ein Schriftsprache zu schaffen und gute Bücher für den Kirchen- und Schulgebrauch herauszugeben. Die Methodisten-Mission hat allen ihren Arbeiten den an der Blanche-Bai gesprochenen Dialekt zu Grunde gelegt, während die katholische Mission für ihre Bücher den Dialekt der Nordküste, wie er bei Wlawolo gesprochen wird, wählte. Die beiden Konfessionen gehen also auch in dieser Hinsicht getrennte Wege. Für die evangelischen Insulaner sind neben Wörterbüchern und Grammatik vorhanden: eine Sammlung biblischer Geschichten, Katechismus, Liederbuch, auch Lese- und Rechenbücher. Als Krönung der literarischen Arbeit aber ist das 1902 fertig gewordene Neue Testament zu bezeichnen. Die beiden ersten Exemplare wurden unserm Kaiser überreicht, der dem Missionar Fellmann in Raluana als dem abschließenden Herausgeber daraufhin eine Ordensauszeichnung verlieh. Den Missionaren Danks (jetzt Generalsekretär der Missionsgesellschaft), Rickard, Chambers und Crumb soll jedoch unvergessen sein, welche wichtigen Vorarbeiten sie für diese erste Bibelausgabe des Bismarck-Archipels geleistet haben.

Dass übrigens die eingeborenen Christen schon ein nicht geringes Verlangen nach Bücherkost haben, ersieht man aus dem Umsatz, der zu Raluana beim Schriftenverkauf erzielt wird. Er beträgt jährlich 3 - 400 Mark.

Über die Leistung der farbigen Mitarbeiter sprechen sich die Missionare fast durchweg lobend aus. Auch Beamte und Forschungsreisende haben manches anerkennende Wort für sie. Wenn Graf Pfeil erwähnt, dass unter ihrem Einfluss Krieg und Raublust sich vermindern, der Kannibalismus aber aus ihrer Umgebung gänzlich verschwindet, so erkennt man, dass ihre Arbeit auch schnell zu wirklich schönen Kulturerfolgen führt.

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Christliche Häuptlingsfamilie aus Neu-Pommern

Wir hörten oben von einem Häuptling auf Neu-Lauenburg, der selbst bekannte, dass er seine Verwandlung aus einem rohen Menschenfresser in einen friedfertigen Evangelisten auf einen bekannten Fidschilehrer zurückführen müsse. Mancher Häuptling auf der Gazelle-Halbinsel könnte ein ähnliches Bekenntnis ablegen. Es gibt schon eine ganze Anzahl Christen unter ihnen. Einen von ihnen zeigt das obenstehende Familienbild. Er ist an der Mütze und dem Stabe, den von der Regierung verliehenen Standesabzeichen der Häuptlinge, zu erkennen, während der Sohn sich durch seine Kleidung als zur Schiffsbesatzung der "Arcona" gehörig ausweist.

Alle Anerkennung verdienen die finanziellen Leistungen der jungen Gemeinden. Sie werden von den Missionaren beizeiten angehalten, für ihr Kirchen- und Schulwesen Opfer zu bringen. Dass sie die gottesdienstlichen Gebäude auf eigene Kosten errichten, betrachtet man als selbstverständlich. Sie liefern aber auch namhafte Geldbeiträge zur Missionskasse. Wenn sie jährlich ungefähr 25.000 Mark dafür sammeln, so ist das gewiss eine anerkennenswerte Leistung von Gemeinden, die vor 30 Jahren die erste Bekanntschaft mit dem Christentum machten. Die im Oktober jedes Jahres gefeierten allgemeinen Missionsfeste, die übrigens zu sehr beliebten, von nah und fern besuchten Volksfesten geworden sind, bilden die Hauptkollektentage; und wenn jemand sonst noch nicht darauf bedacht gewesen wäre, etwas zu ersparen, in den letzten Wochen vor dem Feste wird er sicher Lohnarbeit suchen, um einen anständigen Beitrag zur Kollekte geben zu können. Da der Kanake von Nater sehr geizig ist - die wohlhabenden Leute von Neu-Pommern halten, was die Anhäufung ihrer großen Muschel-eld-Ringe betrifft, den Vergleich mit jedem strebsamen Kapitalisten Europas aus -, ist die Opferwilligkeit der eingeborenen Christen für die Zwecke ihrer Gemeinde wie für die Christianisierung ferner Inseln ein deutlicher Beweis, dass das Christentum auch in dieser Hinsicht die natürlichen Triebe bei ihnen veredelt.

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Neu-Mecklenburg tut sich auf

Der Name von Neu-Mecklenburg war bis vor kurzem der Inbegriff alles Schrecklichen und Unnahbaren. Um die Kenntnis von Land und Leuten war es schlecht bestellt. So viel aber wusste man, dass dort die berüchtigtsten Menschenfresser der Südsee hausten. Die Schiffskapitäne erzählten grauenhafte Dinge. Jedermann hütete sich, das Land ohne Not zu betreten. Viele Seeleute, Händler und Arbeiter-Anwerber hatten ihr Leben unter den Keulenschlägen der Kannibalen verloren.

Die Neu-Guinea-Kompagnie, die 1886 auf der benachbarten Gazelle-Halbinsel festen Fuß fasste (Matupi war Sitz des ersten deutschen Richters für den Bismarck-Archipel), nahm zur Entwickelung von Neu-Mecklenburg eine abwartende Stellung ein. Das änderte sich erst, als ihre Hoheitsrechte auf das Reich übergingen. Bis dahin blieb Neu-Mecklenburg wie Dornröschens Schloss in der deutschen Sage abseits liegen.

Unternehmende Kaufleute kamen als die ersten Vertreter des Deutschtums auf die Insel. Die Hamburger Firma Hernsheim & Komp. setzte sich schon vor 25 Jahren an der Nordspitze fest und zog von hier aus vorsichtig die West-  und Ostküste in ihren Handelsbereich. Mit welchen Gefahren das verbunden war, zeigte die 1884 geschehene Plünderung und Verbrennung ihrer Station Nusa. Zwei Jahre später wiederholte sich das in Kapsu, wobei ein weißer Händler sein Leben verlor; 1890 in Butbut.

Das Reich tat im Jahre 1900 einen Schritt vorwärts mit Gründung einer Regierungsstation auf der eben genannten Nusa-Insel, die später aufs Festland nach Käwieng verlegt ward. Hatte bis dahin der kraftvolle Arm der deutschen Verwaltung nur gelegentlich von der Gazelle-Halbinsel herübergegriffen, so konnte der Stationsleiter des Nordbezirks von Neu-Mecklenburg jetzt selbständig und planmäßig vorgehen. Nach vier Jahren kam im Süden Namatanai als zweiter Regierungsplatz hinzu. Hier sträubten sich zwar die Eingeborenen etwas stärker, als an der verkehrsreichen Nordspitze der Insel; den Bau einer kleinen Zwingburg in ihrer Mitte konnten sie aber doch nicht hindern.

Beide Stationen bestehen also erst wenige Jahre, und doch hat der Landfriede in dem 13.000 qkm großen Gebiet bereits schöne Fortschritte gemacht. Es wurden Häuptlinge eingesetzt und in eine Art Vasallenverhältnis zu den deutschen Beamten gebracht. Der Bau von Wegen, Brücken und Hafendämmen macht überraschend schnelle Fortschritte. Dass die Regierung aber nicht nur auf die Sicherung ihrer Herrschaft und den Vorteil der Kaufleute bedacht ist, beweisen ihre Kulturanlagen: eine Musterpflanzung und die Viehzuchtstation in Käwieng; noch mehr aber das dort eingerichtete Krankenhaus und die Verfolgung aller greifbaren Fälle von Kannibalismus.

Die Ausbreitung des Christentums macht ebenfalls schnelle Fortschritte. Bis um die Jahrhundertwende wohnten nur farbige Lehrer auf Neu-Mecklenburg. Sie sind auch hier als die eigentlichen Pfadfinder der Mission vorangegangen. Ihre Häuschen, die auf den ersten Blick von den Hütten der Eingeborenen kaum zu unterscheiden waren, lagen anfangs an der von Neu-Lauenburg leicht erreichbaren Westküste zerstreut. Hier eins und da eins. Mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten, sahen wir bereits aus einem Bericht des Pauliasi Bunoa. Im Jahre 1901 folgten ihnen die ersten weißen Missionare zu dauernder Ansiedelung. Der Anfang ward mit der von Neu-Lauenburg nur etwa 40 km entfernten Station Eratubu gemacht. Bald darauf kam Kudukudu an der Ostküste hinzu, noch bevor die Regierungsstation Namatanai in der dortigen Gegend eröffnet ward. Die an der Nordspitze der Insel besonders schnell fortschreitende Entwickelung führte dazu, dass 1905 in Omo eine dritte Niederlassung der wesleyanischen Mission entstand.

Zwischen diesen drei Hauptpunkten wurden nun in schneller Folge zahlreiche Nebenplätze besetzt. Das Seminar in Ulu war kaum imstande, die nötigen Lehrer und Evangelisten zu liefern. Die Missionsleiter mussten immer wieder einmal auf die schon länger christianisierten polynesischen Inseln, namentlich Fidschi und Samoa, zurückgreifen. Was D. Brown als Pfadfinder auf Neu-Lauenburg und Neu-Pommern einst angefangen, das setzte nun Missionar Fellmann von Raluana im Verein mit den für Neu-Mecklenburg bestimmten anderen Weißen fort. Das ganze Gebiet ward in Bezirke eingeteilt. Jeder Missionar erhielt eine Anzahl Lehrer, die längs der Küste stationiert wurden. Zu diesem Zwecke hatte der Vorsteher ausgedehnte Reisen zu unternehmen und mit den Häuptlingen wegen Errichtung der Stationen, Landerwerb und dergl. umständliche Verhandlungen zu führen. Wir wollen ihn auf diesen Wegen ins Land der Kannibalen begleiten.

Da das schmale Neu-Mecklenburg im Innern sehr gebirgig ist, und die Bevölkerung infolgedessen fast ausschließlich an der Küste sitzt, sind die meisten Dörfer von der See aus zu erreichen. Leider sind an der zunächst in Betracht kommenden Westküste fast gar keine Häfen vorhanden, auch ist der Strand mit Klippen übersät, so daß der Verkehr vom Schiffe aus immerhin seine Schwierigkeiten hat. Das musste Fellmann gleich beim Beginn seiner Dienstreisen erfahren. Er kreuzte mit einem Begleiter auf dem Missionsboot "Litia" an der Küste. Sie hatten gutes Wetter für die Fahrt gewählt, aber eine starke Strömung trug sie weiter nach Norden, als ihnen lieb war. Auf eine längere Reise in unbekannten Gegenden hatten sie sich nicht eingerichtet. Sie warfen daher am ersten besten Orte Anker und gingen ans Land. In der Nacht aber kam eine starke Dünung auf, die ihr Fahrzeug auf die Klippen warf. Nun saßen sie mitten unter den Eingeborenen, denen sofort klar war, daß die Fremden keine Möglichkeit zum Entweichen hatten.

 
Neu-Mecklenburg (New Ireland)

In solchem Falle gilt es, keine Furcht zu zeigen. Auch die Neu-Mecklenburger kennen die Pflicht der Gastfreundschaft. Ihre Dörfer sind sogar verhältnismäßig gut auf das Beherbergen von Fremden eingerichtet. In jedem Orte steht ein Männer-Haus, das von außen häufig mit kunstfertigen Schnitzereien versehen und innen ziemlich geräumig ist. Es dient den unverheirateten Männern und etwaigen Gästen als Nachtquartier. Frauen und Kinder dürfen es auf keinen Fall betreten. Wenn sie zufällig oder aus Neugierde hineinkommen, kann es geschehen, dass sie das mit gewaltsamem Tode büßen müssen. Wie es scheint, dienen diese Häuser auch religiösen Zwecken. Geheimbündelei, Maskentänze und ähnliche Zeremonien finden sich hier, wie auf andern Südseeinseln.

Für den Europäer ist es freilich kein Vergnügen, im Männerhaus zu übernachten. Man denke sich eine große Hütte mit einem einzigen Raum, in dem 20 oder mehr Leute schlafen. Am Tage hat die frische Luft freien Zutritt durch die Tür. Bei Nacht wird diese aber zugesetzt. Die Ausdünstung der vielen Schläfer würde allein schon genügen, eine unerträgliche Stickluft zu erzeugen. Es kommt aber hinzu, dass die ganze Nacht hindurch im Schlafraum ein oder mehrere Feuer unterhalten werden, deren Rauch keinen andern Abzug findet, als durch die Spalten der Wände und etwaige Schadstellen im Dach. Die Herberge im verräucherten Gesellschaftshaus ist also wenig angenehm. Die zur Erinnerung aufgehängten Kinnbacken der früher hier verzehrten Menschen tragen auch nicht gerade dazu bei, den Gästen einen ruhigen Schlaf zu verschaffen. Daher ziehen es die Missionare häufig vor, ihr Nachtlager unter den Pandanusbäumen am Meeresstrand aufzuschlagen. Größere Landreisen erübrigen sich, wie gesagt, durch die lange, schmale Form der Insel. Ganz zu vermeiden sind sie aber doch nicht. Will der Missionar oder ein farbiger Lehrer von Eratubu nach Kudnkudu reisen, so kann er ja mit dem Segelboot um die Südspitze der Insel herumfahren. Das ist aber eine Entfernung von 300 km. Er braucht viele Tage, bei ungünstigem Wetter sogar Wochen zur Fahrt nach der Ostküste. In der Luftlinie liegen die beiden Misstonsstationen aber gar nicht weit voneinander. Man versuchte es daher mit einer Durchquerung der bergigen Insel. Eingeborene als Führer zu gewinnen, war allerdings unmöglich. Sie scheuten den undurchdringlichen Wald, der hinter den Dörfern beginnt, und die kalte Gebirgsluft, die auf der Höhe weht. Vor allem aber fürchteten sie sich vor den drüben wohnenden Stämmen, in denen sie natürlich ihre Feinde sahen. Der Aufstieg durch die pfadlose Wildnis ist ja auch für die Missionare keine Kleinigkeit. Dafür belohnt sie der reizvolle Wechsel der Flora und Fauna. Auf dem Bergsattel finden sie Wald und Wiese von fast europäischem Aussehen. Die Felsen und Bäume ganz mit Moos überwachsen, dazu interessante Farne in allen Größen vom zierlichsten Blattwerk bis zur baumartigen Form. Den Glanzpunkt der Bergtour aber bildet die entzückende Fernsicht über das Meer und den Archipel. Die Neu-Lauenburg-Gruppe und die Gazelle-Halbinsel liegen mit ihren malerischen Buchten wie auf der Karte ausgebreitet vor dem Beschauer. Da die Missionare mit diesen Gegenden durch jahrelange Arbeit vertraut sind, hat es für sie einen besondern Reiz, hinüberzuschauen. Er wird dadurch noch erhöht, dass sie dort viele Orte wissen, in denen das Christentum bodenständig geworden ist, während es in den zu ihren Füßen liegenden Dörfern von Neu-Mecklenburg noch im Kampfe mit Geisterfurcht, Zauberei und Kannibalismus steht.

Im Leben der Eingeborenen traten bei näherer Bekanntschaft manche recht abschreckende Züge hervor. Die Männer sehen zwar nicht übel aus. Sie sind im allgemeinen groß, stark und gut genährt. Ihr Wohlbefinden geht aber nur allzu sehr auf Kosten ihrer Weiber. Diese müssen alle groben Arbeiten verrichten, das Feld bebauen, Holz herbeischleppen und die Mahlzeit zubereiten. Die Hausherren dagegen bringen den ganzen Tag mit süßem Nichtstun zu; sie hocken am Feuer und kauen Betel mit Kalk oder Pfeffer. Bei den Mahlzeiten müssen die Frauen in einiger Entfernung sitzen, wie die Hunde, und warten, ob etwas für sie abfällt. Zu festlichen Gelegenheiten und Schmausereien, die bei der Männerwelt sehr beliebt sind, werden sie nicht mitgenommen. Sie machen denn auch den Eindruck elender, verkommener Geschöpfe. Das harte Leben hat hässliche Zeichen in ihr runzeliges Gesicht geschrieben. In den Jahren, wo eine deutsche Frau in der schönsten Lebensblüte steht, tragen sie schon die Merkmale des Verbrauchtseins an sich. Gerade für sie bedeutet der Einzug des Christentums eine Erlösung von schweren Lasten.

Mit welcher Roheit selbst die angeseheneren Heiden ihre Weiber behandeln, zeigt folgender Vorfall. Eine Frau des in der Nähe von Kudutudu wohnenden Häuptlings Matantuduk war erkrankt und anscheinend dem Tode nahe. Der gefühllose Gatte schickte sie nach Nokon zu ihren Angehörigen zurück und legte ein ausgeschlachtetes Schwein zu ihr ins Boot, das bei der Leichenfeier verzehrt werden sollte. Ihre Natur war aber widerstandsfähiger, als er dachte. Sie erholte sich auf der Seefahrt. Als sie in das Haus ihres Mannes zurückkehrte, wurde ein zweites Schwein geschlachtet, vermutlich um ihre Rückkehr aus dem Rachen des Todes zu feiern.

Die Eingeborenen sind, wie hieraus zu ersehen, große Liebhaber des Schweinebratens. Auf die Pflege und Mästung der Borstentiere wird eine fast zärtliche Sorgfalt verwendet. Die Frauen und Mädchen behandeln die Ferkel, wie europäische Damen ihre Schoßhündchen. Bei jeder Gelegenheit wird ein Schmaus ausgerichtet, wobei große Mengen Schweinefleisch verzehrt werden. So oft die Missionare zu einem Häuptling kamen, um ein Stück Land für ein Lehrerhaus oder die Kirche zu kaufen, wurde ihnen zu Ehren ein Essen veranstaltet. Es wäre vom Gastgeber als schwere Beleidigung empfunden worden, wenn sie die Einladung ausgeschlagen hätten. Als der Häuptling Gilai starb, mussten sofort 30 große Schweine ihr Leben lassen, und dieses Schlachtfest wiederholte sich noch einmal am Tage der Totenfeier. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein riesiger Eber verspeist, der eine Berühmtheit seiner Landschaft bildete und mit einem ganzen Haufen Muschelgeld bezahlt werden musste.

Beweisen sich die Neu-Mecklenburger damit als ein genusssüchtiges Volk, so ist das doch nur ein harmloser Zug im Vergleich zu ihrer Gier nach Menschenfleisch. Die ersten Besucher des Landes wurden fast starr vor Entsetzen darüber. Als D. Brown einst von Neu-Lauenburg herüberkam, geriet er unter einen Haufen lustiger Eingeborener, die sich an einem Feuer zu schaffen machten. Der schwarze Junge, welcher ihn begleitete, zeigte sich merkwürdig ängstlich und drängte den Missionar zum Verlassen des Platzes. Wie er ihm hernach verriet, geschah das, weil die Leute gerade den Schenkel eines Menschen zu ihrer Mahlzeit bereiteten. Der Junge fürchtete, Brown würde sein Entsetzen kund geben, wenn er es bemerkte, und die Eingeborenen gegen sich aufbringen. Das geschah in unmittelbarer Nähe des Platzes, wo jetzt die Station Eratubu steht. Auf der anderen Seite der Insel in Kudukudu kam derselbe Missionar in ein Haus, in dem er 35 Kinnbacken von Männern und Frauen zur Erinnerung an Kannibalenfeste aufgehängt fand.

Der vorhin erwähnte Gilai war ein besonderer Liebhaber der grässlichen Speise. Eines Tages war die Polizeitruppe in seiner Gegend und erschoss den benachbarten Häuptling wegen irgend einer Untat. Oilai bat, man möge ihm doch den Toten zum Verspeisen überlassen. Als das Ansinnen abgewiesen wurde, machte er den Versuch, wenigstens ein Bein oder einen Arm zu erlangen. Natürlich wieder vergebens. Er verriet aber durch sein weiteres Betteln eine so starke Gier nach dem Menschenfleisch, dass der in der Nähe stationierte Fidschi-Pastor Rupeni Nagera es für geraten hielt, die Leiche mit großen Steinen beschwert an einer tiefen Stelle in's Meer zu versenken.

Über die Grausamkeit, mit der die Kannibalen ihre Mitmenschen töten, macht Missionar Fellmann folgende empörende Mitteilungen:

"Lauscht der Neuling den Erzählungen der Alten, die noch die rohen kannibalischen Akte mitbegangen haben, so mag ihm fast das Blut in den Adern erstarren, denn er blickt in einen Abgrund von höllischer Bestialität. Die unglücklichen Opfer wurden oft, nachdem man sie durch Brechen der Arme und Beine hilflos gemacht hatte, vermittelst eines Bambus-Messers bei lebendigem Leibe zerlegt. Den mit starken Nerven ausgerüsteten Schlachtopfern schwanden die Sinne nur ganz langsam, und sie mussten es sehen, wie man Teile ihres Körpers vor ihren Augen verkaufte, in grüne Blätter wickelte und mit Freudengeheul davontrug, um sie zwischen heißen Steinen zu braten und mit Genuss zu verzehren."

Wenn Fellmann von diesen Dingen als von früheren Untaten redet, so ist damit gemeint, dass sie jetzt aus der Nachbarschaft der Stationen verschwunden sind. In den dunkeln Teilen Neu-Mecklenburgs, die noch nicht vom Licht der christlichen Kultur erleuchtet sind, geschehen sie bis zum heutigen Tage.

Man begreift, dass es den ersten Glaubensboten in der Mitte solcher Leute zuweilen unheimlich ward. Fellmann hielt sich im Jahre 1906 mit seinem Freunde Pearson und einigen farbigen Lehrern in Mesi auf, um die Vorbereitung zur Anlegung einer neuen Hauptstation zu treffen. Ahnungslos übernachten sie beim Häuptling Gilam. Während sie am nächsten Morgen das gekaufte Land vermessen, hört einer der Lehrer, der ein wenig von der Landessprache versteht, wie die abseits sitzenden Wilden sich unterhalten. Missmutig sagt einer von ihnen:

"Was wollen denn die Fremden bei uns? Warum messen sie unser Land? Wir sollten uns über sie hermachen und alle totschlagen."

Die anderen spenden Beifall. Einer aber erwidert:

"Wie können wir denn? Das sind ja Missionare."

Ob dieser Kannibale vielleicht eine Vorstellung davon hatte, dass die Missionare als Wohltäter zu ihnen kommen? Jedenfalls waren diese froh, als sie den Ort im Rücken hatten. Sie dachten noch oft mit Schaudern an die im Häuptlingshause zugebrachte Nacht, wo sie jedes Mal, wenn das Feuer geschürt wurde, die funkelnden Augen von 40 mit ihnen in demselben Räume nächtigenden Kannibalen auf sich gerichtet sahen.

Trotz dieser Fährlichkeiten geht die Besetzung der Küstendörfer mit Lehrern ununterbrochen fort. An manchen Orten kommt ihnen schon ein gewisses Verlangen und ein aufdämmerndes Verständnis für das, was sie zu geben haben, entgegen. So erschienen z. B. einmal Boten mit der Bitte um "das neue Ding, welches die Menschen in Ruhe und Frieden leben läßt." Eine merkwürdige Umschreibung des christlichen Glaubens. In den Dörfern, die seit längerer Zeit Berührung mit dem Christentum haben, kann man, wenn vom Kannibalismus gesprochen wird, die Rede hören: 

"Ja, so war es, als das Lotu noch nicht zu uns gekommen war."

Wenn nicht alles trügt, geht Neu-Mecklenburg, das so lange wie eine trotzige Burg des Heidentums voll roher Sitten dastand, jetzt einer baldigen Christianisierung entgegen. Die schnell vorrückenden Straßenbauten, der zunehmende Verkehr mit der Außenwelt und die wachsenden Sicherheit für Leib und Leben ebnen den Boten des Evangeliums in früher ungeahnter Weise die Wege. Wenn auch die Zeit noch fern ist, wo jedes Stranddorf einen christlichen Lehrer, Kirche und Schule hat, und die Gräuel des Heidentums ganz verschwinden, die neue Zeit ist doch angebrochen. Neu-Mecklenburg tut sich auf.

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Hoffnungen und Rückschläge auf den mikronesischen Inseln

Während die Kannibalen auf den meisten Inseln des Bismarck-Archipels noch mit eiserner Rute gebändigt werden müssen, kann der Bezirksamtmann auf den Karolinen mit sanftem Hirtenstab regieren. Er hat es mit gefügigen Leuten zu tun. Die meisten Inseln weisen auch einen verhältnismäßig hohen Kulturstand auf. Die Wohnungen der Eingeborenen sind wesentlich besser gehalten, als die der Melanesier. Nackte Menschen findet man nur noch an den vom Verkehr kaum berührten Orten. Die meisten Insulaner kleiden sich schicklich und mit einer gewissen Anmut.

Bild aus Wikipedia

Die fünfzigjährige Missionstätigkeit hat also auch im äußerlichen Leben der Menschen deutliche Spuren zurückgelassen. Es war nicht immer so, wie heute. Die ersten Besucher, welche die Karolinen noch im heidnischen Naturzustand fanden, sahen häufig die Kriegsfackel lodern. Ja einzelne Missionare erfuhren zu ihrem Leidwesen am eigenen Leibe, dass die Eingeborenen es ruhig mit ansehen konnten, wie ein Fremder auf ihrer Insel dem Hungertode nahe kam, während sie selbst keinen Mangel litten.

Die bisherige Missionstätigkeit bietet ein vielgestaltiges Bild. Das gilt schon vom Missionspersonal, welches nach Mikronesien kam. Wie wir sahen, waren es teils Amerikaner, teils christliche Lehrer von Hawaii. Viele von ihnen haben nur eine kurze Gastrolle auf diesen Inseln gegeben. Doch fehlt es auch nicht an treuen Arbeitern mit langer Dienstzeit. Als solche verdienen einen Ehrenplatz in der Geschichte dieser Mission: Albert A. Sturges und Frank E. Rand, die Jahrzehnte lang auf Ponape (Ponpei) wirkten. Robert W. Logan, der sich erst um Ponape, dann um die Ruk-Gruppe besondere Verdienste erwarb. Auf den letztgenannten Inseln arbeitete auch Alfred Snelling, der nur leider in den letzten Jahren mit seiner Misstonsgesellschaft zerfallen war und als Freimissionar, vom Sturm verschlagen, ein trauriges Ende fand. Ganz besonders aber ist Edward Doane hervorzuheben; er musste auf Ponape (Ponpei), das er in Jahrzehnte langer Arbeit lieb gewonnen hatte, die große Bitterkeit bei spanischen Zeit auskosten und sogar in die Verbannung gehen. Auch Frauenkräfte haben sich zahlreich in den Dienst dieser Mission gestellt. Es sei nur Annette Palmer genannt, die ebenfalls die kritische Zeit auf Ponape erlebte, aber auch das Wiederaufleben der Mission unter dem deutschen Regiment. Sie starb erst 1906 nach 22jähriger Arbeitszeit. In der Mission auf den Marshall-Inseln sind Dr. Edmund Pease und Dr. Clinton F. Rife als die bedeutendsten Arbeiter zu nennen. Ihre Station war Kusaie. Unter den Lehrern aus Hawaii ist keiner besonders hervorgetreten.

Die Karolinen-Mission weist keine stetig fortschreitende Entwickelung auf. Wollte man ihre Geschichte schreiben, so müsste man sie in lauter Einzelbilder zerlegen. Ponape, Kusaie, Ruk, Mortlock - sie haben ganz verschiedene Schicksale gehabt und verdienten wohl eine eingehende Behandlung. Aber bei keiner einzigen dieser bekanntesten Inseln oder Gruppen bewegt sich die Christianisierung in einer gleichmäßig verlaufenden, aufsteigenden Linie. Auf Zeiten frohester Hoffnung folgen überall schmerzliche Rückschläge. Das hängt zum Teil mit verheerenden Naturereignissen zusammen. Wir haben bei unsrer Rundfahrt gesehen, dass ein Taifun binnen wenigen Stunden eine blühende Insel verwüsten und entvölkern kann. Andre Störungen kamen im Gefolge politischer Ereignisse. Endlich war auch die Missionsmethode des American Board nicht dazu angetan, ein planmäßiges, wohlgefügtes Kirchengebäude auf den Karolinen entstehen zu lassen. Was jetzt vorhanden ist, kann man eigentlich nur als mehr oder weniger gut behauene, herumliegende Bausteine bezeichnen. Es gehört ein ausgezeichneter Baumeister hin, wenn ein rechtschaffenes Gebäude zustande kommen soll.

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Die fünf Morgensterne

Der Missionsbefehl lautet: "Gehet hin!". Auf den Karolinen und Marshall-Inseln mochte man ihn abändern in: "Fahret hin!". Keine andre Mission ist so auf den Schiffsverkehr angewiesen, wie diese.

Das empfanden die ersten Missionare sofort, als das Segelschiff, das sie aus Hawaii gebracht hatte, wieder heimgefahren war. Der Weltverkehr berührte vor 50 Jahren jene Inseln noch nicht. Es war für die Händler zu wenig dort zu holen. Kein Wunder, dass die ersten Missionsberichte aus Kusaie und Ponape (Ponpei) oft im Ton der Sehnsucht und Klage gehalten waren. Es verging ein Jahr und noch mehr, bis die einsamen Leute wieder ein Lebenszeichen aus ihrer Heimat erhielten. Ein Missionar, dessen Mutter in Amerika gestorben war, empfing die Trauerbotschaft sogar erst nach zwei Jahren. Das Ausbleiben des Proviants wurde nicht minder schmerzlich empfunden. Dazu kam das Bewusstsein, dass ringsumher viele Inseln lagen, die dasselbe Recht auf die Predigt des Evangeliums hatten, wie die zuerst besetzten. Ohne Missionsschiff waren sie aber unerreichbar.

Die diesbezüglichen Wünsche fanden in Amerika an einer Stelle Gehör, auf die zuerst kein Missionar gerechnet hatte. Ein findiger Mann kam auf den Gedanken, den Kindern in der Sonntagsschule von der Südseemission zu erzählen und sie zu Sammlungen für ein Missionsschiff aufzufordern. Er wählte einen originellen Weg und brachte die nötige Summe spielend auf. Die Kinder erhielten für ihre Gabe einen Anteilschein und wurden dadurch sozusagen Mitbesitzer des Missionsschiffes. Damit war nicht nur das nächstliegende Interesse gesichert, sondern auch eine fortgehende Anteilnahme an den Geschicken des Fahrzeugs. Als der erste "Morgenstern", so wurde das Schiff genannt, nach zehnjährigem Dienst unbrauchbar wurde, bedurfte es nur eines Winkes, und die Kinderhände rührten sich aufs Neue. So sind im Lauf der Jahre fünf "Morgensterne" gebaut und in die Südsee entsandt worden. Während sie den großen Dienst zwischen der Heimat und den Missionsfeldern versahen, besorgten drei Schoner, die nach bedeutenden Missionaren des American Board genannt waren, den Verkehr innerhalb der Inselgruppen.

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Lassen wir einige Bilder aus der Geschichte dieser viel genannten Missionsschiffe an uns vorüberziehen.

Am 30. November 1856 sah die Kirche in der Parkstraße zu Boston eine merkwürdige Abschiedsfeier. Als Hauptperson trat nicht ein Missionar vor, wie sonst, sondern der Kapitän Moore mit der von ihm angeworbenen Schiffsmannschaft; daneben Hiram Bingham. ein Missionarssohn aus Hawaii. Sie sollten am nächsten Tage mit dem "Morgenstern" ausfahren. Das Haus war bis auf den letzten Platz gefüllt. Freudestrahlend saßen die Kinder da, welche den Bau des Misstonsschiffes mit ihren Gaben ermöglicht hatten und schon bei seinem Stapellauf als die Eigentümer eine wichtige Rolle gespielt hatten.

Obwohl das Schiff den weiten, gefährlichen Weg um Kap Hörn nehmen musste, hatte es doch eine glückliche Fahrt. Zunächst nach Hawaii. Dort sah man der Ankunft des "Morgenstern" mit größter Spannung entgegen, denn die Kinder auf den Sandwich-Inseln hatten ebenfalls mitgesammelt. Es lag auch schon eine schöne Flagge bereit, das Schiff zu zieren. Sie trug als Sinnbilder einen Stern und eine Taube. War das eine Lust, als dieses Wahrzeichen am Mastbaum des Missionsschiffes flatterte! Die Jugend von Honolulu war aus den Kirchen im festlichen Zuge herbeigeführt worden und stand zu Tausenden am Hafen. Unter ihren Gebeten und Liedern fuhr das Schiff von dannen.

Fast noch größer war die Freude bei den Missionsleuten in Mikronesien, als sie das Fahrzeug erblickten, das eine dauernde Verbindung zwischen ihnen und der Heimat herstellen sollte. Die von Kusaie konnten es sich nicht versagen, bis Ponape mitzufahren. Der "Morgenstern" zeigte sich auch bei den noch ganz heidnischen Inseln. Die Missionare knüpften bei solcher Gelegenheit neue Verbindungen an. Es wurde z. B. Mokil und Pingelap erstmalig angelaufen; die noch von keinerlei Kultur beleckten Eingeborenen dieser Inseln machten einen furchtbaren Eindruck auf die Besatzung.

So hat das Schiff zehn Jahre lang der Mission gedient. Es ward dann, weil es nicht mehr genügte, verkauft. Ein größeres trat an seine Stelle. Dasselbe hatte aber nur eine kurze Lebensdauer. Es scheiterte 1869 vor Kusaie.

Als die Nachricht von diesem Unglücksfall nach Amerika kam, brachten die Kinder die Geldmittel für den dritten "Morgenstern" auf. Ihm fiel neben den alten Pflichten eine neue Aufgabe zu. Das Christentum war nun bodenständig auf den Karolinen geworden. Die Insel Ponape (Ponpei), auf der 1860 die Erstlinge getauft waren, fing an, Glaubensboten für die andern Inseln zu stellen. Gegen Mitte der 70er Jahre zogen die ersten eingeborenen Lehrer nach den Mortlock-Inseln. Unter ihnen war das Ehepaar Obadiah und Obadinia. Die Letztere, eine Tochter des "Königs" Hezekiah, gehört zu den edelsten Frauengestalten der Südsee. Sie hat sich als Übersetzerin biblischer Schriften einen Namen gemacht. Als sie die Heimat verließ, dichtete sie ein warm empfundenes Abschiedslied, dessen Anfang lautet:

"Jesus Christus gibt mir Freud' und Frieden
'Komm ans Werk!' so rief er mich, sein Kind.
'Bringe meinen Segensgruß hiniedenl
Allen denen, die verloren sind.'
Lebt nun wohl, ihr alle, meine Lieben!
Vater, Mutter, lebt wohl im Herrn!
Christi Geist hat mich zum Werk getrieben
Und ich folge seinem Rufe gern."

uch dieses Schiff scheiterte nach zwölfjähriger Dienstzeit in Kusaie. Als der vierte "Morgenstern" gebaut wurde, nahm man die Dampfkraft zu Hilfe und baute eine Maschine ein. Die beiden vorigen Fahrzeuge waren gestrandet, weil sie als Segler den von Wind und Meeresströmung herbeigeführten.

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Der neue Dreimaster, der übrigens fast doppelt so groß war, wie sein Vorgänger, ist denn auch von 1884 - 1901 glücklich allen Taifunen und anderen Fährlichkeiten entronnen. Als er im letztgenannten Jahre verbraucht war, und der "Morgenstern Nr. 5" beschafft werden sollte, ließ man endlich die Segel ganz weg. Das schmucke Dampferchen, welches unser Bild zeigt, war von Windstille und Meeresströmung unabhängig. Es hat aber, so gute Dienste es den Missionaren auch leistete, unter allen Schiffen seines Namens die kürzeste Dienstzeit gehabt. Die in der Südsee besonders schwierige Kohlenbeschaffung war der Missionsgesellschaft auf die Dauer zu kostspielig. So hat man es nach Jahresfrist verkauft. Ein ruhmloses Ende der mit so viel Begeisterung begrüßten Kinderschiffe. Es fiel ungefähr in dieselbe Zeit, da der American Board sich zum Rückzug aus der Karolinen Mission entschloss. Für die jetzt eingetretenen deutschen Missionare erhebt sich infolgedessen die Schiffsfrage von neuem. Die Dampfer des Norddeutschen Lloyd bringen sie zwar bis Kusaie, Ponape oder Ruk, fahren aber an allen anderen Inseln vorüber. Um sie regelmäßig besuchen zu können, brauchen die Missionare ein eigenes Fahrzeug.

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Die spanische Verwüstung auf Ponape

"Hier ist eine Gewalttat, die zum Himmel schreit!" Mit diesen Worten schloss eine in der Allgemeinen Missionszeitschrift 1891 veröffentlichte Korrespondenz aus Madrid, die über den Beginn der spanischen Ära auf den Karolinen berichtete und in den evangelischen Missionskreisen der alten wie der neuen Welt eine tiefgehende Erregung hervorrief. Mit einer in der modernen Kolonialgeschichte fast einzig dastehenden Brutalität waren die harmlosen Ponapesen so lange gereizt und getreten worden, bis sie sich zu Ausständen und Bluttaten hinreißen ließen. Zugleich hatte das spanische Regiment im Bunde mit der römischen Kirche eine Probe mittelalterlicher Intoleranz geliefert, wie sie keine protestantische Kolonialmacht unsrer Tage fertig bringt.

Die evangelischen Missionare hatten sich durch jahrzehntelange Arbeit in Mikronesien das Vertrauen der Eingeborenen erworben. Von ihren Stützpunkten in Ponape (Ponpei), Kusaie und Ruk aus waren viele Inselgruppen in den Bereich der christlichen Predigt gezogen. Neben 20 weißen Missionsleuten wirkten 44 farbige Gehilfen. Die Zahl der Gemeindeglieder und der Missionsschüler ging in die Tausende.

Die Insel Ponape gehörte zu den hoffnungsvollsten Missionsfeldern. Hier trat um die Mitte der 80er Jahre eine lebhafte Bewegung zum Christentum ein, die fast alle Teile der Bevölkerung ergriff. Von den fünf Oberhäuptlingen waren vier zum Christentum übergetreten. Ein Drittel der auf 3000 Seelen geschätzten Bewohnerschaft bekannte sich zum neuen Glauben. Mit Befriedigung stellten die auf der Insel wirkenden Missionare Doane und Rand fest, dass die Trunksucht in den Gemeinden merklich abnahm, Vielweiberei und Sonntagsarbeit desgleichen.

Da ward auch dieser Teil der Südsee vom Kolonialfieber ergriffen. Die Kriegsschiffe der europäischen Völker fuhren umher und suchten einander mit Flaggenhissungen zuvorzukommen. Die Insulaner wussten nicht, wie ihnen geschah. Sie wurden zum Spielball der Mächte. Man erwartete allgemein, Deutschland werde seine Land, wie auf die Marshall-Inseln, so auch auf die Karolinen legen. Da unterbreitete Bismarck die gleichzeitig erhobenen deutschen und spanischen Ansprüche dem Spruch des Papstes. Dieser entschied zu Gunsten Spaniens. Man ahnte damals bei uns wohl kaum, dass diese Lösung der Frage den Anfang, zu einer blutigen Tragödie bilden sollte, die sicher vermieden worden wäre, wenn man den Ponapesen gestattet hätte, sich für die deutsche Herrschaft zu entscheiden.

Unmittelbar nach dem Schiedsspruch erteilte die Propaganda in Rom den Kapuzinern der spanischen Ordensprovinz den Auftrag, eine Mission auf den östlichen Karolinen zu beginnen, Der zum Superior ernannte Pater Saturnino d'Artajona ging mit fünf Mönchen schleunigst an Bord des Kriegsschiffs, das von diesen Inseln Besitz ergreifen sollte. Mit welchen Erwartungen das geschah, erfuhr man von den Ordensleuten schon beim Beginn ihrer Fahrt. Sie gingen nach Ponape, wie sie freimütig sagten, um die Bewohner der neuen spanischen Inseln dem Protestantismus zu entreißen.

Am 13. März 1887 erschien das Kanonenboot "Manila", das den Gouverneur Posadilla mit einer kleinen Besatzungstruppe und die Mönche trug, im reizvollen Langarhafen an der Nordseite von Ponape (Ponpei). Die Eingeborenen brachten den Spaniern, die sie zum ersten Male sahen, keinerlei Neigungen entgegen. Aber die Missionare beschwichtigten sie und führten ihnen zu Gemüte, dass es töricht und vergeblich sei, sich feindlich zu ihrer neuen Obrigkeit zu stellen. Der Gouverneur vermied auch seinerseits in den ersten Tagen alles, was zu einem Zusammenstoß führen konnte. Die Proklamation, mit der er die Insel betrat, enthielt neben andern schönen Redewendungen die Versicherung, dass niemand seines Glaubens wegen beunruhigt werden solle.

Das friedliche Einvernehmen dauerte aber nicht lange. Die Spanier waren in Kenan gelandet, wo die Mission ein größeres Grundstück besaß. Das wollte der Gouverneur haben. Statt es nun, wie es in deutschen Kolonien Sitte ist, der Mission abzukaufen, ging der neue Herr mit der größten Rücksichtslosigkeit gegen die früheren Rechte vor. Es kam deswegen zu Misshelligkeiten zwischen ihm und Missionar Doane, der es sich nicht gefallen lassen wollte, dass das Misstonsland weggenommen wurde, und dass die Soldaten, ohne auch nur zu fragen, seine für einen Kirchbau bestimmten Materialien fortschafften. Zur Verschärfung der gereizten Stimmung trugen gewisse Händler bei, denen der Missionar bei der Ausbeutung der Eingeborenen schon lange im Wege gewesen war. Sie trieben es arg mit Verhetzung und Verleumdung. Diese Beachcombers d. h. Strandjäger, wie sie wegen ihres hier nicht näher zu bezeichnenden unsauberen Nebenerwerbs genannt wurden, waren die bösen Geister, die auch in der Folgezeit viel zur Zuspitzung der Gegensätze beitrugen.

Die Spannung entlud sich in einem Gewitter, das sich zunächst über Doanes Haupt zusammenzog. Der Missionar war gerade bei seinem Kirchbau beschäftigt als einige Soldaten erschienen, ihn verhafteten und an Bord des im Hafen liegenden Kriegsschiffes brachten. Er fragte, was er verbrochen habe. Niemand sagte es ihm. Auch sein Freund Rand, der von der andern Seite der Insel herbeieilte, konnte es nicht erfahren. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Schreckensnachricht, dass der Freund und Berater der Eingeborenen gefangen sei, durch die Insel. Es entstand eine starke Erregung gegen den neuen Herrn. Dieser mochte meinen, die Eingeborenen würden sich beruhigen, sobald der Gefangene ganz vom Schauplatz entfernt würde. Er schickte ihn nach Manila. Wenn er aber damit den ihm unbequemen Mann für immer beseitigt zu haben glaubte, so hatte er sich geirrt. Doane, der erst auf den fernen Philippinen erfuhr, wessen er angeklagt wurde, konnte sich vor dem dortigen Generalkapitän Terrero vollständig rechtfertigen. Seine Gefangennehmung erwies sich als ein reiner Gewaltakt. Er wurde freigesprochen und erhielt sogar ein in schmeichelhaften Worten gehaltenes Anerkennungsschreiben vom spanischen Oberbeamten, der seine Verdienste um die Hebung von Ponape rühmte und ihn unbedenklich auf sein Arbeitsfeld zurückgehen ließ.

Dort hatten sich aber inzwischen traurige Dinge abgespielt. Die Spanier hausten in ihrer neuen Kolonie aufs entsetzlichste. Die Händler, die völlig freie Hand bekamen, brachten eine Menge Spirituosen unter die Eingeborenen. Hand in Hand damit ging eine schamlose Lockerung der Sitten. Die Soldaten feierten wahre Orgien der Unzucht. Selbst die Mädchen der Missionsschulen wurden nicht verschont.

Der Gouverneur legte es darauf ab, Puerto Santiago, wie die neue Niederlassung genannt wurde, zu einer glänzenden Kolonialstadt zu machen. Er zog die Oberhäuptlinge hierher und belustigte sie mit Hahnengefechten und dergleichen. Seine Kapuziner aber setzten pomphafte Prozessionen ins Werk, um sich bei den Eingeborenen beliebt zu machen. Sie besuchten auch die andern Teile der Insel, soweit ein Spanier sich in jenen Tagen der Gärung nur eben wagen durfte. Die Madrider Zeitung "El Imparcial" schrieb in ihrer Vorgeschichte des Aufstands darüber: "Die Kapuziner voll brennenden Eifers wollten an einem Tage mit der langen protestantischen Missionsarbeit aufräumen. Mit dem Kruzifix in der Hand durcheilten sie die Insel und drängten die Eingeborenen, ihre Religion zu wechseln." Der Gouverneur unterstützte ihre Bemühungen ohne jede Zurückhaltung. Einem der evangelischen Oberhäuptlinge erklärte er unverblümt, er habe für die Eingeborenen Lehrer und Prediger mitgebracht, auf die sie einzig und allein zu hören hätten; er brauche keine Amerikaner, um die Ponapesen zu unterrichten.

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Das reizte die Eingeborenen, die nicht einsahen, warum sie ihren evangelischen Glauben wegwerfen sollten, aufs Neue. Eine rücksichtslose Behandlung, die der Gouverneur den erst verhätschelten Oberhäuptlingen zuteil werden ließ, brachte schließlich das Pulverfass zum Explodieren. Mit Mühe und Not gelang es dem Missionar Rand im Verein mit dem christlichen Häuptling Paul, einen Teil der Bevölkerung von unbedachtsamen Schritten abzuhalten. Die Leute von Jokoj und Not - in diesen beiden Provinzen hatte die Mission noch den wenigsten Anhang - griffen zu den Waffen, jagten die spanische Besatzung aus ihrer kleinen Festung auf das im Hafen liegende abgetakelte Kriegsschiff und wussten schließlich auch dieses in ihre Gewalt zu bekommen. Don Isidor Posadilla und seine Leute büßten ihr ungerechtes Verhalten mit gewaltsamem Tode.5)

Dies der erste Akt des Trauerspiels. Der zweite ließ nicht lange auf sich warten. Die Regierung sandte einen neuen Gouverneur mit wesentlich stärkerer Besatzung. Er sah von einer größeren Strafexpedition ab, da die Ober-Häuptlinge auf Veranlassung des zurückgekehrten Missionars Doane ihre Unterwerfung erklärten und die Mörder Posadillas auslieferten.

Es folgte eine verhältnismäßig ruhige Zeit, bis Doane im Jahre 1890 aus Gesundheitsrücksichten nach Honolulu ging, wo er starb.

Kaum hatte er den Rücken gekehrt, als es zu einer neuen Verwickelung kam. Das Hauptquartier der evangelischen Mission befand sich in Ua an der Ostküste der Insel, wo der Stamm der Metalanim sitzt. Ihr Oberhäuptling Paul war ein eifriger Christ, zwei seiner Unterhäuptlinge Diakonen der Gemeinde. Die Mission besaß in Ua eine große Kirche, eine schöne Schule und ein stattliches Wohnhaus.

Diesen Ort fasste der Gouverneur jetzt ins Auge. Er schickte eine Abteilung von 35 Soldaten nebst zwei Kapuzinern. Sie sollten eine kleine Festung bauen mit einer katholischen Kirche und einer Kaplanswohnung. Worauf es dabei abgesehen, war klar. Für das Fort ward ein Platz bestimmt, der nur 100 m von der evangelischen Kirche entfernt war; der Bauplatz für die katholische Kirche sogar nur 20 m. Das geschah offenbar auf Betreiben der Mönche, denn der Gouverneur hatte erst versprochen, die spanische Niederlassung nicht in die Nähe der Missionsstation zu legen. Diese neue Rücksichtslosigkeit brachte die Eingeborenen furchtbar auf. Vergebens bemühte sich die Missionslehrerin Fräulein Palmer, die seit Doanes Abreise allein im Missionshaus wohnte, sie zu beschwichtigen. Auch der Häuptling Henry Nanpei von Ronkiti, der sich seit dem Abgang des Missionars der Gemeinde widmete, bot umsonst seinen Einfluss auf. Die erregten Eingeborenen fielen über den Leutnant und die Soldaten her und überwältigten sie. Es wäre auch den beiden Geistlichen (Pater Augustin und Mönch Benito) ans Leben gegangen, wenn die oben genannten Missionsleute sie nicht gerettet und mehrere Tage in ihrem Hause verborgen gehalten hätten. Eine edle Rache.

Der Gouverneur verhängte nun ein schweres Strafgericht über die schuldig gewordene Landschaft. Dem Missionar Rand, der eben von einer längeren Reise zurückkehrte, gelang es glücklicher Weise noch, die Zöglinge des Seminars von Ua auf dem "Morgenstern" nach Kusaie zu überführen. Gekämpft wurde wenig, weil die Spanier sich noch nicht stark genug fühlten. Sie kühlten aber ihr Mütchen mit der gänzlichen Zerstörung der evangelischen Niederlassung.

Pastor Rand und eine Missionsschwester versuchten trotzdem, auf der Insel auszuharren. Sie gingen nach Kiti, der südwestlichen Landschaft, wo sie den Spaniern am fernsten waren. Aber auch dort litt man sie nicht. Der Gouverneur erklärte, er könne ihnen nur erlauben, auf Ponape zu bleiben, wenn sie ihre Mission aufgäben, bei den Spaniern wohnten und sich jeder Evangelisationsarbeit unter den Eingeborenen enthielten. Das war gleichbedeutend mit einer Knebelung ihrer Kräfte. Sie zogen sich nach Kusaie zurück. Die Brutalität hatte gesiegt.

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Zehn Jahre haben die Spanier noch auf Ponape (Ponpei) gehaust, dann hatte ihre Stunde geschlagen. Ihre Flagge wurde niedergeholt. An ihrer Stelle stieg im Jahre 1900 die deutsche auf. Wer noch im Zweifel geblieben wäre, wo die Schuld an den ponapesischen Wirren lag, der braucht nur die deutsche Insel wieder zu besuchen. Wie ein Südsee-Idyll liegt sie da. Die deutschen Beamten haben nicht die geringste Schwierigkeit, das friedfertige Volk zu regieren.

Die evangelischen Gemeinden hatten in der bösen Zeit natürlich sehr gelitten. Dass der spanisch-katholische Ansturm sie nicht zerrissen hat, ist namentlich dem wiederholt genannten Oberhäuptling Paul und dem Henry Nanpei zu verdanken. In letzterem tritt uns jene Bereinigung von Häuptling und Pastor entgegen, wie man sie auf den Karolinen nicht selten findet. Er hat in der Zeit, wo die Missionare von der Insel gewaltsam ferngehalten wurden viel Arbeit gehabt. Auch die Leiden um des evangelischen Glaubens willen blieben nicht aus. Man setzte ihn eine Zeit lang mit seiner Familie ins Gefängnis, um ihn mürbe zu machen. Er ließ sich aber durch nichts zum Abfall bewegen.

Als beim Beginn der deutschen Ära die evangelischen Missionare zurückkehrten, ging der Gouverneur Dr. Hahl an Bord ihres Schiffes, sie zu begrüßen. Mit ihm kam Henry Nanpei und übergab die geretteten evangelischen Gemeinden. Er hat an ihnen getan, was er konnte. Dass er auch der deutschen Regierung bei den Verhandlungen mit den Eingeborenen wertvolle Dienste leistet, ist in vielen amtlichen Berichten aus Ponape zu lesen.

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Samoa einst und jetzt

In der neuern Geschichte Samoas stehen zwei Tage als Merksteine seiner Entwickelung. Am 24. August 1830 betrat John Williams erstmalig den Boden von Sawaii, womit die Christianisierung der Samoa-Gruppe begann. Die Gemeinden der Londoner Mission feiern noch jetzt um diese Zeit einen jährlichen Gedenktag. Der andre Wendepunkt wird durch den 1. März 1900, an dem das Deutsche Reich von seinen Inseln Besitz ergriff, bezeichnet.

An diesem Tage gab es in Apia eine herrliche Feier. Gegen 5.000 Samoaner umstanden den Flaggenmast, bei dem Dr. Solf mit einer stattlichen Schar deutscher Begleiter erschien, um den denkwürdigen Akt der Flaggenhissung vorzunehmen. Er ließ eine Kundgebung in samoanischer, deutscher und englischer Sprache verlesen, sodass jedermann sie verstehen konnte. Nach einer kurzen Ansprache zog er selbst das Wahrzeichen der deutschen Macht auf. Eine Musikkapelle spielte. Die auf der Reede liegenden Kriegsschiffe feuerten den Salut.

Die Feier war nicht ohne religiöse Weihe. Es wurden einige Bibelstellen verlesen, auch ein Gebet gesprochen.

Am nächsten Tage wurden die Abordnungen der Missionsgesellschaften vom Vertreter des Deutschen Kaisers besonders empfangen. Mit den sämtlichen Sendboten der Londoner Mission erschien auch eine Anzahl eingeborener Pastoren, aus jedem der sieben Missionsdistrikte einer. Missionar Newell, der jetzt mehr als 25 Jahre in Samoa tätig ist, trat als Sprecher vor. Er überreichte eine schön gebundene samoanische Bibel und die Geschichte der Londoner Mission. Die festliche Stimmung wurde durch die von den Papauta-Schülerinnen in deutscher Sprache vorgetragenen patriotischen Lieder wesentlich erhöht. Hierauf bot sich ein farbenprächtiges Bild. Die Zöglinge der Missionsschulen zogen vorüber. Erst die Insassen des Lehrer- und Prediger-Seminars von Malua, dann die Knaben und Mädchen der andern Schulen; sämtlich sauber gekleidet. Die Inschriften und Abzeichen auf den Fahnen der einzelnen Abteilungen ließen erkennen, welches der Sitz und die Bestimmung von jeder Schulanstalt war. Die ganze Jugend hatte Schleifen und Rosetten in den deutschen Farben angelegt. Reizend machten sich die Papauta-Schülerinnen, die rote und weiße Blumen in ihrem glänzend schwarzen Haar trugen.

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Wie bei dieser Gelegenheit, so haben auch in der Folgezeit die evangelischen Missionare sich rückhaltlos mit der durch die deutsche Besitzergreifung geschaffenen Lage abgefunden. Es ist eine aus der alten Zwietrachtszeit von Samoa, wo bekanntlich deutsche, amerikanische und englische Interessen miteinander stritten, zurückgebliebene Verleumdung, als ob die Londoner Mission den deutschen Interessen entgegen sei. Diese hat vielmehr seit 1900 alles, was in ihren Kräften stand, getan, in ihren Gemeinden neben der christlichen Gesinnung, die sowieso die Untertanentreue einschließt, auch das Deutschtum zu pflegen. Von besonderer Bedeutung war hierfür die bald darauf erfolgte Berufung des deutschen Pastors Heider an das Seminar in Malua. Für eine im deutsch-patriotischen Sinne gehaltene Mädchenerziehung sorgt die Missionslehrerin Frl. Schnitze in Papauta. Die höchsten Beamten der Kolonie haben wiederholt ihre Anerkennung dafür ausgesprochen.

Wie haben sich doch die Verhältnisse seit der Ankunft von John Williams geändert. Als dieser auf seiner ersten Fahrt nach Sawaii an Upolu vorüberkam, lagen die Eingeborenen gerade in blutiger Fehde wider einander. Malietoa, der Herrscher von Sawaii, griff seinen Nebenbuhler auf der andern Insel an. Beim Siege begnügte er sich nicht damit, viele feindliche Männer erschlagen zu haben. Er verfolgte auch die Greise, Frauen und Kinder. Nachdem er sie in ihren Schlupfwinkeln aufgestöbert hatte, ließ er eine große Grube mit Holz und andern Brennstoffen füllen. Als diese in Brand gesetzt waren, wurden die Unglücklichen hineingeworfen. Es kamen 200, nach einem andern Bericht sogar 400 Menschen in den Flammen um. Solche Gräuelszenen waren einst keine Seltenheit auf den schönen Inseln. Wie oft wurden damals ganze Dörfer niedergebrannt und die Fruchtbäume der Feinde abgehauen, um die Bewohner auf Jahre hinaus zu schwächen. Auch dem Kannibalismus sollen die Samoaner in ihrer heidnischen Zeit ergeben gewesen sein, wenn auch nicht in so hohem Grade, wie die Melanesier. Ein alter Eingeborener, der es gestand, fügte hinzu, sie hätten es nicht aus Verlangen nach Menschenfleisch getan, sondern um damit den Hass gegen ihre Feinde zu beweisen.

Jetzt sind die Kriege vorbei. Auch die politischen Umtriebe, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts so viel von sich reden machten. Wer durch Upolu oder Sawaii reitet, braucht keine Waffen mehr mitzunehmen. Das Land ist wohl ebenso sicher, wie eine Touristengegend in Deutschland oder der Schweiz.

Die religiöse Veränderung springt natürlich nicht so deutlich in die Augen, zumal da die heidnischen Samoaner keine Tempel, keine Opferaltäre, keine Götzenbilder hatten. Sie hielten es mit dem Etudienst, einer ähnlichen Form der Abgötterei, wie der afrikanische Fetischismus. Sie machten alles mögliche zu ihrem Etu: Fische, Vögel, Reptile, selbst Steine. Dann erwiesen sie diesen Dingen eine abergläubische Verehrung. Außerdem lag die Furcht vor bösen Geistern wie ein Bann auf ihnen.

Das Christentum hat sein Licht in dieses dunkle Gebiet des Aberglaubens getragen. Auf Sawaii steht ein interessantes Denkmal seines Sieges. Bei der Missionsstation Matautu lag ein Wald, in dem ein gefürchteter Geist hausen sollte. Niemand wagte das Holz zu fällen. Anfangs scheuten sich auch die neugetauften Christen noch vor dem Geisterhain. Als in den 70 er Jahren eine Kirche in Matautu gebaut werden sollte, wusste der Missionar Pratt jedoch einige beherzte Leute zu bewegen, einen der großen Teakbäume zu fällen. Nun war es mit dem "Tabu" vorbei. Man baute mit dem ausgezeichneten Teakholz eine ganz im alten samoanischen Stil gehaltene Kirche, die heute noch steht. In ihr versammelten sich während des Vulkanausbruchs im Jahre 1906 die Christen aus der Umgegend drei Wochen lang alle Tage, um Gott zu bitten, dass der Lavastrom ihre Hütten und Pflanzungen verschonen möchte. Ihr Gebet ward erhört. Ganze Täler und Dörfer wurden zerstört, das bedrohte Matautu dagegen blieb ohne wesentlichen Schaden. Mit einem feierlichen Dankgottesdienst in der "Vulkan-Kirche", zu dem auch die Missionsleute aus Upolu herüberkamen, schloss die bewegte Zeit.

An die sonstigen Errungenschaften der neuen Zeit erinnerte beim 75-jährigen Missionsjubiläum das Monatsblatt "O le Sulu Samoa" ("Die Leuchte Samoas"), das von der Londoner Misston herausgegeben und in den evangelischen Gemeinden viel gelesen wird. Die heidnischen Grausamkeiten und Unsitten, hieß es da, sind von der Bildfläche verschwunden. Doch schonten die Missionare alle harmlosen, dem Geist des Christentums nicht widersprechenden Volkssitten, so dass das Volk seine nationalen Bräuche und Eigentümlichkeiten behalten hat. Die Missionare gaben ihm eine Schriftsprache und Literatur, die im Lande selbst gedruckt wird.

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Missionsdruckerei in Malua

 Jedes Dorf hat seine Kirche und Schule, die das geistige Niveau der Bewohner heben, auch Ordnung, Reinlichkeit und Sittsamkeit Pflegen. Neben der Bücherweisheit vermittelt die Mission dem Volke auch eine Menge praktischer Fertigkeiten. In Leulumoega und Malua bestehen Tischlerwerkstätten. Gibt es irgendwo ein Haus zu bauen oder einen Garten anzulegen, so werden die Maurer-, Zimmermanns-, Tischler- oder Erdarbeiten von den Knaben unter Leitung eines Missionars besorgt. Die Mission machte sich auch durch Einführung fremder Kulturpflanzen verdient. In Leulumoega hat sie einen botanischen Garten mit etwa 200 Pflanzen. Ein Fachmann, der ihn besuchte, Professor Wohlmann, hat seinem Gründer und Pfleger, dem Missionar Hills, sehr anerkennende Worte gewidmet, in denen er aussprach, es sei dessen Verdienst, dass unsre Pflanzer die wertvollsten tropischen Kulturgewächse in Samoa schon vorgefunden hätten. In jüngster Zeit ist ja von der Regierung wie von den in Menge herbeigeströmten Kolonisten vieles getan worden, den Stand der samoanischen Kultur zu heben. Es soll aber den Missionaren unvergessen sein, daß sie den Grund dazu gelegt haben.

Wie die neue christliche Zeit sich bis in die feinen Adern des Volkskörpers hinein geltend macht, tritt vielleicht nirgends so schön hervor, wie in dem von Frl. Valeska Schnitze geleiteten Papauta-Mädchen-Institut der Londoner Mission. Das weibliche Geschlecht pflegt die heidnische Religion und die heidnischen Bräuche am längsten zu bewahren. Um so wertvoller ist die von guten pädagogischen Grundsätzen getragene Arbeit in Papauta. Sie dient ebenso wohl zur geistigen und moralischen Hebung der jungen Samoanerinnen wie zur Pflege deutscher Sprache und Gesinnung.

Die Anstalt liegt überaus anmutig an einem Bergabhang oberhalb Apias. Wir treten von der gut gehaltenen Straße in das einem großen Palmenhain gleichende Anwesen. Aus dem villenartigen Hauptgebäude erschallt, wenn wir gerade in einer Freistunde kommen, munteres Reden und Scherzen. Denn hier wohnen etwa 100 lebenslustige junge Mädchen. Es sind viele Töchter der eingeborenen Pastoren und Lehrer darunter; andere stammen aus den alten vornehmen Familien der deutschen Inseln. Alles ist sauber und praktisch eingerichtet, von den Lehrsälen bis zu den Schlafräumen. Draußen auf dem Wiesenplan unter den Palmen ein Turnplatz, um den die deutschen Backfische wohl ihre samoanischen Altersgenossinnen beneiden können.

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Ganz in der Nähe ein kristallklarer Bach, in dem die Mädchen jeden Morgen baden. Weiterhin große Pflanzungen von Bananen und Brotfruchtbäumen. Es ist auch im fruchtbaren Samoa nicht leicht, eine so vielköpfige Familie regelmäßig mit dem täglichen Brot zu versorgen. In der Anfangszeit, als die Pflanzungen eben erst angelegt wurden, musste sich die Leiterin oft kärglich behelfen. Es kommt auch jetzt noch vor, dass in dürren Jahren die selbstgebauten Früchte nicht ausreichen wollen. Dann geht ein Bittruf ins Land hinaus, und die Eltern der Pensionäre oder die Dorfpastoren schicken ganze Bootsladungen von Bananen oder Taroknollen, um dem Mangel abzuhelfen.

Man hegte anfangs die Besorgnis, dass die jungen Samoanerinnen sich nicht in die straffe Ordnung des Hauses fügen würden. Die weibliche Jugend ist dort nämlich von der heidnischen Zeit her sehr zu lockeren Sitten geneigt. Doch sind bisher in der Anstalt während ihres 15-jährigen Bestehens nur zwei ernstere Disziplinarfälle vorgekommen. Die Vorsteherin griff gleich beim ersten Male kräftig zu. Sie war einem Stelldichein auf die Spur gekommen. Da ließ sie sofort ihr Pferd satteln und ritt im Galopp zum Oberhäuptling Malietoa, dessen Tochter auch in der Schule war. Sie setzte es durch, dass an dem jungen Manne, der die Schulordnung gestört hatte, ein Exempel statuiert wurde. Das schuldige Mädchen wurde natürlich sofort entlassen. Das ist die empfindlichste Strafe in Papauta, denn die Schülerinnen hängen mit großer Liebe an der Anstalt und ihrer Leiterin.

Der Unterricht erstreckt sich auf alle Wissensgebiete, berücksichtigt aber auch die weiblichen Handarbeiten. Frl. Schultze verwendet im Verein mit ihrer europäischen Kollegin und den vier eingeborenen Mitarbeiterinnen, die sie sehr schätzt, viel Zeit und Sorgfalt auf die Pflege der deutschen Sprache. Was die Mädchen darin leisten, zeigt die jährliche Prüfung, zu der wohl auch der oberste deutsche Beamte gelegentlich kommt. Pastor Heider aus Malua berichtet von einer solchen, die er selbst abhielt. Sie dauerte 3½ Tage und erstreckte sich auf Lesen, Schreiben, Diktat, mündlichen Ausdruck, Grammatik und deutsche Geschichte. Bei der schriftlichen Geschichtsprüfung stellte er fünf Fragen über Luther, die Reformation und unsre Kaiserin. Viele Mädchen schrieben in den 2½ Stunden, die ihnen gegeben waren, fünf bis sechs große Bogenseiten voll. Die Leistungen konnten meist mit "gut", manche auch mit "sehr gut" bezeichnet werden. In der mündlichen Prüfung wurden die Mädchen einzeln vorgerufen und hatten jede sechs bis zehn Fragen zu beantworten. Auch ließ der Examinator den 23. Psalm, das Vaterunser oder ein deutsches Gedicht aufsagen. Dass unsre patriotischen Gesänge und andre deutsche Lieder eine Pflegestätte in Papauta haben, ist schon erwähnt.

Die Zöglinge verpflanzen bei ihrer Heimkehr die gewonnene Bildung in ihre Dörfer. Man erkennt dort die ehemaligen Papauta-Schülerinnen an ihrer anständigen, sauberen Kleidung, am wohlgeordneten langen Haar, am gesitteten Betragen, ja auch an den verfeinerten Gesichtszügen. Tritt man in das Haus eines eingeborenen Pastors oder eines Häuptlings, so findet man leicht heraus, ob seine Frau ehemals in Papauta war. In diesem Falle zeichnet sich das Haus durch Ordnung und Sauberkeit aus. Da die Zöglinge der Anstalt auch in Gesundheitslehre und Krankenpflege unterwiesen werden, kann man auch in dieser Hinsicht an ihren Häusern und Kindern interessante Beobachtungen machen.

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Ein Gegenstück zu Papauta ist das westlich von Apia am Meeresstrand gelegene große Lehrinstitut von Malua, Hier werden die braunen Lehrer und Prediger ausgebildet die später entweder auf ihren Heimatsinseln ins Amt treten oder einem an sie ergehenden Rufe in die Missionstätigkeit auf den noch heidnischen Inseln der Südsee Folge leisten. In Malua versammelt sich jährlich einmal die samoanische Kirchensynode, an der die geistlichen und weltlichen Abgeordneten der evangelischen Gemeinden teilnehmen. Es ist ein erhebender Anblick, wenn diese Hunderte in der schönen Jubiläumshalle versammelt sind, wobei in der Regel die jungen Männer, die ihr Studium im Seminar beendet haben, ordiniert und abgeordnet werden.

Angesichts dieser Verhältnisse fragt man sich, ob es nicht an der Zeit wäre, die evangelische Kirche in Samoa selbständig zu machen und ihre Verwaltung ganz in die Hände der Eingeborenen zu legen. In finanzieller Hinsicht ist man vom Ziel der Selbständigkeit nicht mehr weit entfernt. Die samoanischen Gemeinden bringen für ihre Bedürfnisse jährlich schon gegen 40.000 Mark auf, so dass der Beitrag der Missionsgesellschaft auf 20.000 bis 25.000 Mark herabgesetzt werden konnte. Die Leiter der Londoner Mission bekundeten neuerdings in der Tat die Neigung, den eingeborenen Geistlichen eine größere Verantwortlichkeit zu übertragen. Die erfahrenen Missionare haben aber Bedenken dagegen erhoben. Sie erkennen an, dass einzelne Pastoren, z. B. der in reiferen Jahren stehende Alama im Falealili-Bezirk, sehr tüchtig und vertrauenswürdig sind. Für die vollständige Selbstverwaltung und Selbsterbauung aber sind die Samoaner noch nicht reif. Man mag sie noch eine Zeit lang von weißen Missionaren beaufsichtigen und beraten lassen. Nach weiteren 75 Jahren werden gewiss aus ihrer Mitte genügend viele wohlgebildete und charaktervolle Männer hervorgegangen sein, denen man die selbständige Leitung ihrer Kirche wird anvertrauen können.

Es ist eine interessante Stufenleiter christlicher Entwickelung, auf die wir hier am Schluss zurückblicken. Neu-Guinea, Bismarck-Archipel, Karolinen, Samoa - jedes dieser Inselgebiete ist ein Stück weiter aus dem Heidentum heraus. Wir sehen da den christlichen Sonnenaufgang über den deutschen Inseln der Südsee.

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Anmerkungen

2)
In Bogadjim war 1903 ein einzelner junger Mann namens Gumbo getauft worden.

3)
 Deutsches Kolonialblatt 1901, Seite 632.

4)
Dieser Name ist gleichbedeutend mit dem der Wesleyaneri und wird jetzt mit Vorliebe gebraucht.

5)
Die traurigen Ereignisse haben ein belletristische Behandlung gefunden in: "Was ist Wahrheit" Tagebuchblätter eines Mönches auf Ponape. Von Hild. Daiber. Stuttgart. 1905. Mag auch die Phantasie der Verfasserin oder ihrer Gewährsmänner manche Einzelheiten hinzugefügt haben, Das Ganze ist offenbar eine zutreffende Zeichnung jener Jahre, die den spanischen "Kolonisatoren" gleicherweise wie ihren Helfern in der Kutte zu Unehre gereichen.

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Ausgewählte Literatur zur Geschichte der Südsee-Mission

John Williams, der Missionar der Südsee und die Londoner Mission. Von D. W. F. Vesser, In vierter Auflage bearbeitet von Kirchenrat D. Kurze, 239 S. Berlin. Buchh. der Berliner Missionsgesellschaft. 1896.

John Coleridge Patteson, der Missionsbischof von Melanesien. Von Wilh. Baur, Hof- und Domprediger in Berlin. 230 S. Gütersloh. Bertelsmann. 1877.

John G. Paton, Missionar auf den neuen Hebriden. Eine Selbst°-biographie. Von seinem Bruder herausgegeben. 148 S. Leipzig, Wallmann. 1891.

Comai von Lenakel, ein Glaubensheld auf den neuen Hebriden. Von Missionar Frank H. L. Paton. Leipzig. Wallmann. 1906.

Von Nias nach Kaiser Wilhelms-Land. Ein Reisejahr von Missionar J.W. Thomas, 140 S. Gütersloh. Bertelsmann. 1892.

Im Dienst des Kreuzes auf ungebahnten Pfaden. Schwierige Missionsanfänge auf einsamer Südsee-Insel, Von Missionar G, Kunze. 4 Hefte. 348 S. 2. Auflage. Gütersloh. Bertelsmann 1901.

Führungen Gottes. Ein Rückblick auf meinen Lebensgang und auf meine 20jährige Tätigkeit in der Mission. Von Missionar Joh. Flierl. 172 S.. Neuendettelsau. Missionshaus. 1899

New Britain Mission. A brief history. By Rev. Benj. Danks. 52 pag. Sydney. 447 Kent Street. 1901.

Micronesia. Fifty years in the island world. A History of the Mission of the American Board. By Mrs. Theod. C. Bliss. 167 pag. Boston. 1906.

Samoa. Das Land, die Leute und die Mission. Von Kirchenrat D. Kurze. 108 S. Berlin. M. Warneck. 1900.

Pearls of the Pacific. Sketches of Missonary life and work in Samoa and other Islands in the South Seas. By V. A. Barradale, M. A. 192 pag. London 1907.

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