Suedwestafrika 1 von Carl Paul

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Die Mission in unsern Kolonien

Von Pfarrer Carl Paul

Neue Folge der Dietelschen Missionsstunden, Drittes Heft, Verlag C. Ludwig Ungelenk, Dresden, 1905, Seite 1 bis 100.

Deutsch-Südwestafrika 1

7,6 MB

Inhalt

Vorwort

Umschau in Deutsch-Südwestafrika

Aus der Zeit der Pioniere

     Wie die ersten Missionare in unser Gebiet kamen
     Schwere Pfadfinderarbeit am Swakop
     Eine Oase in der Wildnis

Hendrik Witbooi

Südwestafrika als deutsche Kolonie

     Wie unser Gebiet unter die deutsche Herrschaft kam
     Die Lichtseiten der neuen Zeit
     Die Schäden der neuen Zeit

Anmerkungen

Links

Landkarten

Inhaltsverzeichnis


Links zur Einführung von  Carl Paul

  1. Was sind wir unsern Kolonien schuldig?
       Begangenes Unrecht wieder gut machen
       Schutzgebiete statt Kolonien
       Verderbliche Einflüsse
       Kolonialpflichten
       Kolonisierung nur mit gleichzeitiger Christianisierung

  2. Die Missionstätigkeit in unsern Kolonien
      Neues Interesse für die Mission
      Neue Herausforderungen für die Mission
      Eifersucht gegen England
      Überblick über Togo
      Überblick über Kamerun
      Überblick über Südwestafrika
      Überblick über Ostafrika
      Überblick über die Südsee
      Missionskräfte in Bewegung setzen

Inhaltsverzeichnis


Deutsch-Südwestafrika 2

Friedensbilder aus der Nama- und Herero-Mission

     Umfang beider Missionsgebiete
     Wie eine neue Station entsteht
     Aus dem Schulleben
     Vorbereitungsunterricht und Tauffeier
     Viehherden als kirchliche Stiftungen
     Freunde in der Not

Die Mission im Hereroaufstand

     Wie es zum Aufstand kam
     Die Missionare unter den Aufständischen
     Die Hererochristen während des Aufstands

Ein Blick in die Ovambo-Mission

Inhaltsverzeichnis 


Vorwort

Als der Reichskanzler Graf v. Bülow in der Reichstagssitzung vom 9. Mai d. J. die Rheinischen Missionare tadelte, weil sie zu unbequemer Zeit die Wahrheit über die Dinge in Südwestafrika gesagt hatten; als sich daraufhin und mit Berufung auf die von so hoher Stelle gesprochenen Worte eine Flut von Angriffen, Verdächtigungen und Verleumdungen gegen die Mission durch die Tagespreise ergoss, die sich an einer Stelle sogar zu fanatischer Bosheit steigerte, muss man unwillkürlich an die alte Geschichte aus dem Lande der Pharaonen denken, die mit der Bemerkung beginnt, dass ein anderer König in Ägypten aufkam, der von Joseph und seinen Verdiensten nichts wusste.

Die Pioniere der deutschen Kolonialpolitik, die vor 20 Jahren unser südwestafrikanisches Gebiet besetzten, genossen dabei mittelbar und unmittelbar so viel Förderung seitens der Rheinischen Missionare, dass sie ihrer Dankbarkeit bei jeder Gelegenheit Ausdruck gaben. Damals hörte man nur eine Stimme: Die Missionare haben sich die größten Verdienste um das Land und seine Bewohner, sowie um die Aufrichtung der deutschen Herrschaft erworben; ihr Werk verdient jede Anerkennung und Förderung.

Und jetzt? Die brutalen Kolonialegoisten, denen die Eingeborenen, mögen sie nun Heiden oder Christen sein, bei ihrer Ausbeutungspolitik im Wege sind, drängen sich in den Vordergrund und führen das große Wort. Der durch den Hereroaufstand angefachte nationale Zorn wird von ihnen zu einem Sturm» lauf gegen die christlichen und humanen Bestrebungen in diesem Schutzgebiet benutzt. Sie suchen die Missionare, die mehr als dreimal so lange wie sie selbst in Südwestafrika tätig sind, keck bei Seite zu schieben und rufen ihnen obendrein die unliebenswürdigsten Reden über die Nutzlosigkeit ihrer Arbeit zu.

Dieser Ungerechtigkeit sollen die nachfolgenden Blätter begegnen und dem deutschen Volke die Mission in Deutsch-Südwestafrika in ihrer wahren Bedeutung vor Augen stellen. Dass den glücklicherweise nicht sehr zahlreichen Missionsgegnern im kolonialen Lager hier kein Kolonialgegner antwortet, sondern ein warmer Kolonialfreund, der eine der schönsten Aufgaben unsrer Zeit darin erblickt, die deutsche Kolonialpolitik auf christliche Grundsätze zu stellen, wird der Leser selbst empfinden.

Wer im Besitz der beiden früher erschienenen Bändchen von "Die Mission in unsern Kolonien" ist, wird an der äußeren Gestalt wie an der Darstellungsweise des vorliegenden dritten Hefts eine kleine Veränderung wahrnehmen. Sie geht auf den Wechsel in der Person des Verlegers zurück. Derselbe wünscht durch Bilderschmuck und billiger gestellten Preis dem Buche eine möglichst weite Verbreitung zu geben. Dass seine Erwartungen in Erfüllung gehen, wünscht und hofft im Interesse der Mission auch

Lorenzkirch bei Strehla, September 1904

Carl Paul

Inhaltsverzeichnis


Eine Umschau in Deutsch-Südwestafrika

Wer mit der Eisenbahn von Swakopmund nach Windhuk fährt, gewinnt auf die schnellste und bequemste Weise einen flüchtigen Einblick in die Art des Landes und seiner Bewohner. Er sieht bei dieser Gelegenheit sozusagen einen Querschnitt von Deutsch-Südwestafrika. Das Dampfross führt ihn, wenn auch nicht mit europäischer Eile, so doch unvergleichlich .schneller als der jetzt endgültig von dieser Verkehrslinie verdrängte Ochsen-Wagen, durchs Land. So gelangt er binnen kurzem aus der nebelreichen und dabei doch so dürren Küstenzone in das durch gute Weideplätze und schattige Baumgruppen ausgezeichnete Hochland, über dem sich fast immer der blaue Himmel wölbt. Der Ochsenwagen brauchte zur Bewältigung dieser Strecke 14 - 17 Tage, der Eisenbahnzug legt die 382 Kilometer in zwei Tagen (ohne Nachtfahrt) zurück.

Die kahlen Dünen, die unmittelbar am Meeresstrand beginnen und mit ihrem Flugsand früher eine der lästigsten ja gefährlichsten Wegstrecken bildeten, hindern uns jetzt nicht mehr. Zur Rechten breitet sich neben der Bahnlinie das Flusstal des Swakop. Ein echt südafrikanisches Flussbett! An Wasserrauschen und anmutig grünende Ufer darf man dabei nicht denken. Es gibt nur zwei Flüsse in unserer südwestafrikanischen Kolonie, die immer immer fließendes Wasser ins Meer führen. Das ist der Oranjefluss, der die Südgrenze des Gebiets bildet, und der Kunene, der hoch oben im Norden mit seinem Unterlauf ein Stück der sonst noch so ungenauen deutsch-portugiesischen Grenze festlegt. Die andern Wasserläufe sind während der längsten Zeit des Jahres eigentlich nur als mehr oder weniger tiefe Einschnitte im Gelände vorhanden. Sie führen die für die Anwohner so wertvollen Wasserfluten nur dann zum Meer, wenn im Inlande einmal außergewöhnlich ergiebige Niederschläge gefallen sind. Beim Swakop geschieht das in der Regel jährlich einmal, bei anderen Flüssen muss man oft mehrere Jahre warten. Der in der Walfischbai mündende Kuisebfluss soll nur aller zehn Jahre einmal sein Wasser bis zum Meere bringen. Wenn ein solcher Wasserlauf sich ausnahmsweise mit dem ersehnten Nass füllt, fragt man dort: "Der Fluss kommt ab". Weil es so selten geschieht, gehört das "Abkommen" der Flüsse zu den großen Ereignissen des Jahres. Sobald in der Regenzeit einmal besonders schwere Gewitter zwischen den Bergen niedergehen, warten die Anwohner schon darauf. Welche Freude, wenn die schlammige Flut herangewälzt kommt! Kinder und Erwachsene laufen in ausgelassener Lust auf der ganz trockenen Talsohle vor dem Wasser her. Der ausgedörrte Grund saugt vieles auf, aber die nachdringenden Fluten füllen doch schließlich das Strombett aus. Bäume, Steine, Hütten werden mit fortgerissen. Doch die Überschwemmung dauert nicht lange, manchmal nur einige Stunden. Ebenso rasch wie die Wasser erschienen, verschwinden sie auch wieder. Ein Teil verläuft sich und verdunstet, ein andrer Teil versickert im Grunde, Hier und da bleiben noch längere Zeit an vertieften Stellen größere Lachen stehen. Die ganze Sohle des Flusstals aber ist mit einer schnell ausdörrenden Schlammkruste bedeckt. Am wertvollsten ist das Wasser, das unter der Oberfläche verschwunden ist. Es hält sich lange Zeit und wird den ortskundigen Eingeborenen mit Leichtigkeit wieder zu Tage gefördert.

Das Land steigt nach dem Innern zu allmählich an, macht aber erst 60 Kilometer von der Küste entfernt einen etwas besseren Eindruck. Freilich kann man mich hier noch nicht auf größere Regenmengen im Jahr rechnen, aber der Boden ist doch an manchen Stellen mit Gras bedeckt. Bei Karibib, der auf halbem Wege zwischen Swakopmund und Windhuk gelegenen Hauptstation, haben wir ziemlich die Höhe erreicht. Vor uns liegt nach Osten und Norden die unabsehbare Hochebene des südwestlichen Afrika. Dieses Plateau hat nur wenige Abflussrinnen, so dass der Regen, der hier niederfällt, dem Boden größtenteils erhalten bleibt. Daher hat das Land eine größere Frische und bedeckt sich mit reicherem Pflanzenwuchs.

Gitterraster: 100x100 km

Von Karibib bis Windhuk hat die Bahn nur noch mäßige Steigung. Sie nähert sich den ans das Hochplateau aufgesetzten Gebirgszügen, deren scharfumrissene Linien in der klaren Höhenluft den Reisenden um so mehr entzücken, als er bisher durch eine außergewöhnlich reizlose Landschaft fuhr. Hier begegnen wir endlich einer besseren Vegetation. Ein wogendes Grasmeer breitet sich über die größer werdenden Weideplätze aus. Die in der Regenzeit fallenden Niederschläge lassen binnen kurzem einen reichen Graswuchs emporschießen, der in der folgenden trockenen Zeit zu einem Heu auf dem Halme wird, wenn ihn die Herden der Eingeborenen nicht abweiden. Dadurch bekommt die gelbe Prärie fast das Aussehen eines wogenden, hellschimmernden Kornfeldes. Eine anmutige Unterbrechung dieser unabsehbaren Flächen bilden dichte Gruppen dunkelbelaubter Dornbäume. Sie verraten uns die unterirdischen Wasseransammlungen, die an einzelnen Stellen auch zu Tage treten. Jetzt sind wir in dem Gebiet, das nicht nur de» nomadisierenden Eingeborenen bessere Erträge abwirft, sondern auch europäische Farmer anlocken kann. Es gibt Stellen im Lande, die bei fleißigem Anbau die aufgewendete Mühe reichlich lohnen. Diese Überzeugung drängt sich jeden, auf, der einmal den üppigen Missionsgarten von Hoachanas mit seinen reichbehangenen Weinstöcken und Feigenbäumen besichtigt oder die Niederlassung von Otjozondjupa am neuerdings so vielgenannten Waterberge. Dort entspringt am Fuße des Felsens eine starke Quelle im Schatten gewaltiger Feigenbäume und eilt durch einen dichten Farrenbestand ins Tal hinab, dem sie die Fruchtbarkeit eines schönen Gartens verleiht. Also auch hier die alte Erfahrung, dass Afrika, das viel verschriene, überall schön und fruchtbar wird, wenn nur das nötige Wasser vorhanden ist. Weitblickende Forscher und Beobachter des Landes haben schon lange darauf hingewiesen, dass es die Aufgabe der Ansiedler sein wird, der Natur mit der Bewahrung und Regelung des Wasservorrats nachzuhelfen. Das hat in der Weise zu geschehen, dass man Stauwerke größeren Stils schafft, die in der Regenzeit die überschüssigen Wassermengen zurückhalten, um sie in der trockenen Periode für die Bewässerung wieder abzugeben. Im Kleinen haben das schon seit längerer Zeit die Missionare versucht, z. B. Missionar Judt in Hoachanas. Da es sich dabei aber meist um Bewegung großer Erdmassen und kostspielige Anlagen handelt, kann ein solches Werk in der Regel nicht von einzelnen Personen durchgeführt werde; sie müssten denn sehr große Mittel zur Verfügung haben.

Das Hochplateau um Windhuk steht wie der geographischen Lage nach so auch hinsichtlich der Fruchtbarkeit etwa in der Mitte zwischen dem südlichen und nördlichen Teile des Schutzgebiets. Der Süden ist im Allgemeinen steriler, obschon auch hier ewige bevorzugte Orte, wie das seit fast hundert Jahren besiedelte Bethanien, gefunden werden. Dagegen wird das Land immer ergiebiger, je näher man der portugiesischen Grenze in, Norden kommt. Dieses schon mehr tropische Gebiet kann vielleicht einmal zur Kornkammer für Deutsch-Südwestafrika gemacht werden. Dem Europäer aber lauert in diesen fruchtbaren Strichen ein tückischer Feind auf, den man in der Kolonie sonst wenig kennt, das Fieber. Damit wird wohl für alle Zeiten der stärkeren Besiedelung durch Weiße hier eine Grenze gezogen sein.

In Windhuk mischt sich auf höchst interessante Weise afrikanisches und deutsches Wesen. Da der Ort erst 1890 in die Hände der jetzigen Kolonisatoren kam, ist natürlich alles noch im Werden. Das Gouvernement und eine ganze Reihe militärischer Gebäude beherrschen den Ort, daneben sieht man Kaufläden und stattliche Privathäuser; die sauberen Straßen und schattigen Gärten sowie die hier und da verstreuten Gruppen alter Akazien geben dem Regierungssitz ein freundlicheres Aussehen als irgend einer anderen Europäerniederlassung im deutschen Gebiet. Auch Pfarrer und Lehrer sowie ein Krankenhaus für die weiße Bewohnerschaft sind vorhanden, nur fehlt es zur Zeit noch an einer Kirche für letztere, während die farbigen Christen durch die Fürsorge der Rheinischen Mission ein neues stattliches Gotteshaus haben.

Ein Gang durch die Straßen und namentlich ein Besuch im Eingeborenenquartier zeigt uns eine Musterkarte fast aller im Schutzgebiet vertretenen Stämme. Windhuk liegt ungefähr an der Grenze der beiden Hauptnationen von Deutsch-Südwestafrika, der Nama und Herero1). Daher sind diese am stärksten vertreten. Die Nama, die mit geringer fremder Beimischung die ganze Südhälfte des Schutzgebiets bewohnen, sind von gelber bis graubrauner Hautfarbe und gehören zum Stamm der Hottentotten, der außer in unserm Gebiet noch in der Kapkolonie haust, wo er sich aber noch viel weniger rein von fremder Blutbeimischung erhalten hat. Ihre Zahl ist nicht groß und da sie obendrein in viele Einzelstämme zerfallen, von denen hier nur die Zwartbois, Bondelzwarts, Velschoendragers und Topnaars genannt sein mögen, hat man bei ihnen nirgends. Sie sind ein den Eindruck einer geschlossenen Bevölkerung.

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Sie sind ein Volk von Jägern und Kriegern, geistig gewandt und leicht zugänglich, aber nicht im Stande, einer Sache mit Ausdauer sich zu widmen. Sie sind leicht beweglich und schlau, aber von geringer Widerstandskraft gegen die schädlichen Einflüsse der auf sie einstürmenden neuen Zeit. Der Branntwein hat große Verheerungen unter ihnen angerichtet. In letzter Zeit sind sie sehr heruntergekommen. Sie konnten während der Hungersnot an vielen Plätzen nur durch Almosen, die von der Regierung, Mission und Privathänden gespendet wurden, erhalten werden. Ihre Sprache gilt als eine der allerschwierigsten. Man hat sie, namentlich um der vielen Schnalzlaute willen, oft mit einem Vogelgezwitscher verglichen, aber durch die Bemühungen der unter ihnen wirkenden Missionare ist auch sie schon längst zur Schriftsprache erhoben.

Die Herero, die mit den stammverwandten Ovambo die nördliche Hälfte unsers Gebiets bewohnen, sind von ganz andrer Art und Herkunft. Sie sollen vor etwa einem Jahrhundert von Osten gekommen sein und in der Nachbarschaft des Tanganjikasees heute noch Bruderstämme haben, unter ihnen die in Deutsch-Ostafrika wohlbekannten Wanyamwesi. So Ratzel in seiner Völkerkunde. Andere rechnen sie zum großen Stamme der Kaffern, unter denen die Berliner und Hermannsburger Missionare in Südostafrika wirken. Im Gegensatz zu ihren wetterwendischen hottentottischen Nachbarn sind die Herero stetig und zäh. Sie sind schwer zugänglich, schwer zu überzeugen und zu bekehren und mehr Verstandes- als Gefühlsmenschen. Der stattliche kraftvolle Wuchs macht den Herero zu einer imponierenden Erscheinung und, wo es aus Körperkraft ankommt, zu einem gefährlichen Gegner. Die Männer waren in früherer Zeit nur mit dem Speer (Assagai) und der Wurfkeule (Kirri) bewaffnet; die Handelsbeziehungen der letzten Jahrzehnte aber haben ihnen zu den in ihrer Hand so gefährlichen Hinterladergewehren verholfen. Die Frauen machen einen besseren Eindruck, als man es in Afrika gewöhnt ist. Sie haben etwas stolzes ja hoheitsvolles in ihrer Erscheinung. Wenn sie verheiratet sind, tragen sie einen seltsamen Kopfputz aus Leder, der von drei großen sichelförmigen Zipfeln gekrönt wird.

Die Herero beschäftigen sich fast ausschließlich mit Viehzucht. Der Viehreichtum ihres Landes war bis vor Kurzem ein ganz ungeheurer. Das Vermögen eines Mannes ward immer nur nach der Zahl seiner Rinder berechnet. Einzelne besonders vermögende Große waren Besitzer von mehreren tausend Stück Vieh, in dessen Abwartung sie ganz aufgingen. Der Herero kennt jedes Stück seiner Herde genau, auch den Stammbaum desselben. Die besten Ochsen dienen als Reittiere. Unter den Charakterzügen der Herero muss die Unsittlichkeit hervorgehoben werden, die ihr Familienleben auf eine unglaublich niedrige Stufe herabdrückt. Es werden davon gräuliche Dinge erzählt, die man nicht glauben würde, wenn die Berichterstatter nicht so kundige und zuverlässige Leute wären. Man unterscheidet auch bei ihnen verschiedene Stämme, aber der große Aufstand von 1904 hat gezeigt, dass sie sich gegebenenfalls zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen zusammenschließen. Sie sind dazu durch die jahrzehntelangen Kämpfe mit ihren Erbfeinden, den Nama, geschult worden.

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Im Norden schließen sich an sie die Ovambo an, die schon vor ihnen in diese Gegenden eingerückt waren. Diese bewohnen das Land auf dem linken Ufer des Kuneneflusses. Es gehört nur ein Teil von ihnen zum deutschen Gebiet; die andern stehen dem Namen nach unter portugiesischer Herrschaft. Übrigens ist auch den innerhalb unsrer Grenze lebenden Ovambostämmen die deutsche Oberhoheit bisher sehr wenig zum Bewusstsein gebracht worden. Die Abgelegenheit ihres Landes verhinderte jede größere Machtentfaltung seitens der Kolonisatoren. Zum Unterschied von ihren viehzüchtenden Vettern, den Herero, sind die Ovambo zum Teil Ackerbauer. Sie haben sich feste Wohnsitze gesucht und kleine Staatswesen unter despotisch regierenden Häuptlingen eingerichtet. Wer aus dem Hererolande kommt, wo doch nur verschwindend kleine Stücke Landes bepflanzt oder besäet werden können, wird durch die reichere Bodenkultur im Ovambolande angenehm berührt. Einer der ersten Reisenden, die das jetzt deutsche Gebiet nach allen Richtungen hin durchzogen, der Schwede Andersson, rief beim Betreten dieser Gegend aus:

"Vergebens wäre es, unser Entzücken zu beschreiben. Genüge es zu sagen, dass anstatt der ewigen Strauchsteppe, wo uns jeden Augenblick die Dornen der Mimosen aus dem Sattel zu reißen drohten, die Landschaft nun ein anscheinend endloses Feld gelben Getreides darbot, übersäet mit zahlreichen friedlichen Hütten und gebadet im warmen Lichte der Tropensonne. Dazu erhoben sich hier und dort riesenhafte, breitästige, dunkellaubige Schatten- und Fruchtbäume und zahlreiche Fächerpalmen, einzeln oder in Gruppen. Es schien uns ein Elysium".

Die Namastämme sind von Süden her in unser Gebiet eingerückt, die Herero von Osten. Da fragt man unwillkürlich, ob denn das Land vorher menschenleer gewesen sein sollte. Sicherlich nicht. Ein Bruchteil der jetzigen Bevölkerung gehört der Abstammung nach weder zu den Nama noch zu den Herero und ist wahrscheinlich als Überrest der Urbewohner anzusehen, die tiefschwarzen Bergdamra2). Sie ziehen teils in den einsamen Bergländern umher, teils leben sie in dienender Stellung unter den beiden Hauptstämmen des Landes. Es sind anspruchslose, gutmütige Menschen, die von den andern Farbigen geringgeschätzt und misshandelt werden. Es ist eine alte Spottrede unter diesen, dass sie von den Pavianen abstammten. Soweit sie nicht auf den Werften der Nama oder Herero oder neuerdings bei den weißen Farmern in Dienst stehen, suchen sie ihre Nahrung auf der Jagd, die sie noch mit Pfeil und Bogen ausüben. Sie nehmen aber auch mit Pflanzenkost, Heuschrecken. Raupen und Ameisenlarven vorlieb. Der harte Kampf ums Dasein den die Bergdamra zu führen haben, spricht sich schon in ihren vergrämten Zügen und den durchfurchten Gesichtern aus. Die Kleidung des Mannes besteht nur in einem unbearbeiteten Fell, das um die Hüfte gebunden wird, während die Frau noch ein Schaffell um die Schultern legt. Die Leute sind von einer kaum glaublichen Unsauberkeit. Von ständigen Wohnungen kann man kaum reden. Sie benutzen dazu Bäume und Sträucher, die für den Unterschlupf ein wenig zugestutzt werden und nur einen sehr unvollkommenen Schutz gegen die Unbilden der Witterung bieten. Die Zahl der Bergdamra, die in der letzten Zeit sehr zusammengeschmolzen sind, wird zur Zeit auf etwa 35.000 geschätzt. Sie haben ihre ursprüngliche Sprache verloren und die der Nama angenommen.

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Schließlich ist noch eine Bevölkerungsschicht zu erwähnen, die zwar aus dem Naturboden der genannten Stämme, namentlich der Nama, hervorgegangen ist, aber eine wesentlich höhere soziale Stellung einnimmt, die Bastards. Sie bilden die durch Vermischung der Weißen mit den Farbigen entstandene Zwischenstufe. Ihren Bastardnamen sehen sie durchaus nicht als Beschimpfung an; sie sind geradezu stolz darauf. Das von alters her im Lande eingebürgerte Holländische ist als ihre Muttersprache zu bezeichnen. Die Hautfarbe bildet bei ihnen eine Farbenskala vom tiefen Schwarz bis zur hellen Gesichtsfarbe des Europäers, dessen Gewohnheiten sie sich in der Kleidung möglichst anzupassen suchen. Sie haben ein großes Selbstgefühl, das sie in den Augen des Europäers leicht zur Karikatur werden lässt, aber sie auch vor dem Herabsinken in die schlechten Gewohnheiten und Laster der reinen Afrikaner bewahrt. Als das Land noch reicher an wilden Tieren war, widmeten sie sich meist der Jagd und folgten dem Wild bis tief in die an die Ostgrenze des Namalandes sich anschließende Kalahariwüste Jetzt leben sie vielfach vom Ackerbau und Fuhrwesen. Die Hauptniederlassungen der Bastards sind Warmbad, Rietfontein, Kalkfontein und Rehoboth; alles Plätze, die auch in der Geschichte der Rheinischen Mission eine Rolle gespielt haben. Wie nach ihrer Abstammung zu erwarten ist, haben sich die Missionare ihrer besonders angenommen und bei ihnen auch viel Entgegenkommen gefunden.

Aus diesem kurzen und noch nicht einmal vollständigen Überblick über die Völkertafel von Deutsch-Südwestafrika ist zu ersehen, dass die Mission, die sich in jedes einzelne Volksleben zu versenken liebt, in unserm Gebiet eine besonders schwierige Aufgabe hat. Die dunkelbraunen Herero, die schmutziggelben Nama, die urwüchsigen Bergdamra und die nach Europäerart einherstolzierenden Bastards schwirren an den belebteren Plätzen in buntem Wechsel durcheinander. Seitdem die deutsche Herrschaft den Fehden der Eingeborenen unter sich ein Ende gemacht und die Stammesgrenzen mehr und mehr verwischt hat, lösen sich, die alten Volksverbände schnell auf. Man findet mehrere Missionsstationen, auf denen eine ähnliche Mischung der Bevölkerung besteht wie in Otjimbingue, wo Herero, Bergdamra und Bastards bei einander wohnen, und die Missionare gezwungen sind, drei fremde Sprachen zu reden. Gibt es noch eine deutsche Kirchgemeinde am Ort, so kann man an einem Sonntag die Predigt in vier verschiedenen Sprachen hören.

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Wir hatten das leicht erreichbare Windhuk zum Standquartier und Beobachtungsposten gewählt. Natürlich ist dort, nicht mehr das unverfälschte Volksleben zu finden. Wer die urwüchsigen Namaverhältnisse kennen lernen will, muss von Windhuk südwärts reisen; hat er es auf die grasreichen Weideplätze der Herero und ihr Hirtenleben abgesehen oder gar auf die von der Kultur noch viel weniger berührten Ovambo. so muss er in rein nördlicher Richtung ausziehen. Das Reisen hat dort freilich seine Schwierigleiten. Es ist ja heute nicht mehr überall das wegelose Land wie einst, die deutsche Kolonisation hat eine ganze Reihe besserer Verkehrsmittel geschaffen. In erster Linie Straßen, die an die Reit- und Zugtiere sowie an die federlosen Wagen nicht mehr so arge Zumutungen stellen, wie bis vor fünfzehn Jahren. Es gibt sogar regelmäßige Postkurse mit Pferdekarren von Windhuk über Bersaba und Keetmanshoop bis nach Warmbad im fernen Süden, und bis zum Ausbruch des Hereroaufstands hatte auch die nördliche Hälfte unsers Gebiets eine freilich nicht allzu häufig verkehrende Fahrgelegenheit. Der Grundsatz "Zeit ist Geld" gilt allerdings hier noch nicht. Wer von der Hauptstadt aus zur Süd- oder Nordgrenze der Kolonie reisen will, muss sich auch heute noch auf wochenlange Fahrten einrichten. Das ist nicht allein auf Rechnung der nach europäischen Begriffen unvollkommenen Verkehrsmittel zu setzen; es kommt auch die riesige Entfernung in Betracht. Man bedenke, dass das hoch oben im Ovamboland liegende Olukonda in der Luftlinie 530 Kilometer von Windhuk entfernt ist; auf deutsche Verhältnisse übertragen entspricht das dem Wege von Berlin nach Karlsruhe. Von der Hauptstadt bis zur Südgrenze des Gebiets aber ist es noch wesentlich weiter. Neben den Wagenfahrten hat die deutsche Verwaltung auch Fernsprechanlagen und für die größeren Entfernungen einen heliographischen Verkehr eingerichtet.

Aber diese Fortschritte der Technik haben für die Reisenden in Deutsch-Südwestafrika nur etwa dieselbe Bedeutung, wie die Luxuszüge im europäischen Bahnverkehr. Wer abseits von den großen Straßen zu tun hat, wie es bei den Missionaren natürlich vielfach der Fall ist, muss sich an das alte südafrikanische Verkehrsmittel, den Ochsenwagen, halten. Er kann geradezu als das Wahrzeichen unsers Gebiets angesehen werden, und wenn Deutsch-Südwestafrika jemals eigenartige Postwertzeichen erhalten sollte, könnte gar kein passenderes Bild dafür gewählt werden. Es lohnt sich, das originelle Vehikel näher in Augenschein zu nehmen. Der Wagen ist von bedeutendem Umfang, einem fahrbaren Hause zu vergleichen. Das Untergestell mag vier Meter lang sein, und weil es eine Tragfähigkeit von 50 - 60 Zentnern haben muss, sind alle Teile stark und widerstandsfähig gearbeitet. Die im Lande wohnenden Wagenbauer - es gibt altrenommierte Firmen in Windhuk und Otjimbingue - verwenden am liebsten die zähe Giraffenakazie oder Weißdorn. Während an den Außenseiten verschließbare Kästen und Wasserfässer angebracht sind, ist das Innere ein einziger leerer Raum, der sich vor der Abfahrt in ein Vorratsmagazin verwandelt. Was ist da alles mitzunehmen! Der Frachtfahrer verstaut darin die ihm zur Spedition übergebenen Kisten und Säcke. Aber auch wenn es sich nur um Personenbeförderung handelt, kommt eine Menge Reisebedarf zusammen: Frische und konservierte Nahrungsmittel, Kleider und Decken, zusammenlegbare Tische und Stühle, ferner Kessel und Pfannen, Teller und Tassen, Messer, Gabeln und Löffel, Beil und Säge, Hammer und Nägel, Laterne und Lichte, nicht zu vergessen den Spaten zum Aufgraben des Wassers und Eimer zum Schöpfen. Der Wagenführer, meist ein Bastard oder ein anderer zuverlässiger Eingeborener, versteht sich aufs Packen. Es muss alles festliegen, und die Ballen und Pakete sollen obendrein als Sitzgelegenheit dienen. Man tut nicht gut daran, sich vor dem Einspannen in den Wagen zu setzen, denn das ist ein langwieriges Geschäft. Die Zugochsen müssen erst von der Weide zusammengetrieben und in Reih und Glied gebracht werden, was nicht ohne Lärm und manchen festen Hieb abgeht. Sie werden dabei ein jeder mit seinem Namen gerufen, auf den sie hören, wenigstens die, welche gut eingefahren sind. Hat man junge und ungeübte Tiere darunter, so verzögern sie die Abfahrt zuweilen in der unangenehmsten Weise. In der Regel werden 16 - 18 Ochsen für einen Wagen gebraucht. Wer die Schwierigkeiten des Weges noch nicht kennt, sieht nicht ein. wozu diese Menge Zugtiere nötig sein soll. Aber wenn man einmal gesehen hat, wie schwer der Wagen durch den tiefen Sand fortzubewegen ist, zumal wenn es dabei bergauf geht, hält man die große Zahl nicht mehr für Verschwendung. Muss man mit ihnen doch gelegentlich so steile Abhänge hinauffahren, wie man sie auf deutschen Wegstrecken nirgends findet. Der Wagen hat übrigens nur eine kurze Deichsel für das erste Ochsenpaar. Die andern werden an einem starken Seil aus Ochsenhaut oder noch lieber an einer kräftigen Schiffskette vorgespannt. Diese Beweglichkeit des Gefährts ist namentlich wegen der Unebenheit des Geländes nötig, denn es kann vorkommen, wenn ein steiler Berg zu überwinden ist. dass ein Teil der Zugtiere schon wieder bergab läuft, während der Wagen noch bergan gezogen wird. Das ganze Gespann ist gegen 100 Fuß lang. Aller zwei bis drei Stünden pflegt man die anstrengende Fahrt, bei der es nötigenfalls über Stock und Stein geht, zu unterbrechen. Dann werden die Ochsen ausgespannt und auf die Weide geschickt. Auch die Menschen, denen das Stoßen und Schwanken des Gefährts zu einem gesunden Appetit verholfen, sind dann eifrig beschäftigt, für ihre Mahlzeit zu sorgen. Es wird sogleich ein tüchtiges Feuer angezündet, wofür es kaum irgendwo an dürrem Holze fehlt, und bald kocht das Wasser im Topf zur Bereitung von Kaffee oder Tee. Man rastet gewöhnlich ein bis zwei Stunden. Das Mittag- und Abendessen erfordert natürlich eine etwas größere Pause. Bei einer längeren Reise führt man immer einiges Schlachtvieh mit sich; hin und wieder wird auch ein Stück Wild erlegt, letzteres ist aber mit der fortschreitenden Kultur seltener geworden. Wenn es Mondschein gibt, fährt man in der heißen Zeit gern des Nachts. Das ist nicht nur angenehmer als am Tage, die Ochsen sollen auch im Dunkeln besser ziehen.

Wer einen solchen Ochsenwagen zur Verfügung hat und obendrein reichliche Zeit, kann unser ganzes Schuhgebiet, das anderthalb mal so groß ist. wie das deutsche Vaterland, durchreisen. Große Wasserläufe, wie in andern Gegenden Afrikas hindern ihn hier nicht. Und wenn es doch einmal geschähe, dass man sich gerade einem Flussbett nähert, wenn der Fluss "abkommt", so wartet man eben, bis sich das Wasser verlaufen hat. Je weiter wir uns bei unsrer Fahrt von, der Poststraße entfernen, um so naturwüchsiger wird das Volksleben sein, das sich uns auf den Missionsplätzen oder den Werften der noch heidnischen Eingeborenen darbietet. Namentlich an den Wasser-Plätzen unter den alten Bäumen kann man da ein ähnliches Leben und Treiben der Landesbewohner beobachten, wie am Brunnen einer deutschen Kleinstadt oder unter der Linde in einem thüringischen Dorfe. Da kommen die Frauen und Mädchen, um Wasser zu holen. Dazu brüllende und blökende Herden von Kühen, Schafen und Ziegen, die zur Tränte gebracht werden. Auch Afrika hat sein ländliches Stillleben und seine Abendidylle, - wenn nicht die Brandfackel des Krieges entzündet ist. Leider ist letzteres vor der deutschen Besitzergreifung die Regel gewesen, und auch seitdem die deutsche Flagge von den Warttürmen der Militärstationen weht, hat es an Kriegszügen nicht gefehlt. Der blutige Hererofeldzug hat schon manches Vorspiel gehabt.

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Aus der Zeit der Pioniere

Der durch seine Kolonialstudien wohlbekannte Jenenser Professor Dr. Dove schrieb vor einiger Zeit in der Kolonialzeitung:

"Es war im Lager einer Truppenabteilung bei Otjikango, wo uns kurz vor meinem Abschied vom Damaralande das Nationallied Deutschlands, vorgetragen von einer Anzahl junger, europäisch gekleideter Herero, daran erinnerte, dass hier Jahrzehnte vor der denkwürdigen Flaggenhissung im Jahre 1884 vaterländischer Einfluss gearbeitet hatte, die Gesittung der Heimat auch in diese fernen Hochsteppen Südafrikas zu verpflanzen. Seit zwei Generationen ist die Rheinische Mission, neben der unter den Ovambo finnische Sendboten leben, im Lande tätig gewesen. Sie besitzt das unbestreitbare Verdienst, dort nicht allein die ersten Anfänge der Kultur geschaffen, sondern bis in die neueste Zeit reichlich zur Förderung unsrer Kenntnis des Landes beigetragen zu haben. War dieser Nutzen für die Wissenschaft einst hauptsächlich die Folge größerer Reisen, so stellt die kleine Schar der Missionare heute eine Anzahl Beobachter, die mit anerkennenswertem Eifer und selbst unter pekuniären Opfern sich einer nicht immer angenehmen Arbeit unterziehen."

An dieses Urteil eines unbefangenen Beobachters zu er-innern dürfte gegenwärtig um so mehr am Platze sein, als die Rheinischen Missionare beim Ausbruch des Hereroaufstands ebenso gehässige wie grundlose Angriffe und Verdächtigungen über sich ergehen lassen mussten. Neben den Kolonialpolitikern und Forschern haben auch die Vertreter der Sprachwissenschaft alle Ursache, für die in unserm Gebiet von den Missionaren geleistete Vorarbeit dankbar zu sein. Es ist ihr Verdienst, dass die schwierigen Sprachen der Nama und Herero nicht nur bemeistert sind, sondern auch schon eine bedeutende christliche Literatur aufzuweisen haben. Die Namamissionare Krönlein und und Olpp sowie die unter den Herero arbeitenden Dr. Hahn und Dr. Brincker, die hier in erster Linie zu nennen sind, verdienen ein Ehrendenkmal unter den deutschen Gelehrten. Und wie für die wissenschaftliche Welt so ist ihre sprachliche Vorarbeit auch für die Männer des Kolonialdienstes, für die Beamten und Führer der Schutztruppe, ja auch für Ansiedler und Kaufleute, die dauernd mit den Eingeborenen verkehren wollen, von großem Werte. Das Erlernen der Landessprache, für die jetzt Grammatik und Wörterbuch vorhanden sind, bereitet hier viel weniger Schwierigkeiten als anderswo.

Andrerseits haben auch die Eingeborenen alle Ursache, den Missionaren, die als selbstlose Wohltäter zu ihnen gekommen sind, dankbar zu sein. Diese Männer im schwarzen Rock waren die ersten, die als Friedensvermittler zwischen die Nama und Herero traten, als diese in unaufhörlichen Stammesfehden sich zerfleischten. Sie haben in jahrzehntelanger Geduldsarbeit die wilden Nomadenhorden an größere Sesshaftigkeit und einen geregelten Anbau des Landes zu gewöhnen gesucht; in Zeiten der Dürre und Hungersnot aber spendeten sie mit freigebiger Hand Almosen, um dem hungernden Volke, Heiden wie Christen, über die schwerste Zeit hinwegzuhelfen. Diese Sprache der christlichen Liebe haben auch die Heiden verstanden. Und viele von den eingeborenen Christen zeigen auch schon ein Verständnis dafür, dass die Missionare ihnen mit dem christlichen Glauben etwas besseres gebracht haben, als Kulturfortschritte und Liebesgaben. Als eine Antwort darauf war die von den Führern des Hereroaufstandes angeordnete und allenthalben durchgeführte Schonung der Missionare und ihrer Familien anzusehen. Wer die Vorgeschichte unserer Kolonie nicht kannte, mag sich über die Ausnahmestellung, die den deutschen Missionaren in der bösen Zeit seitens der Herero zuteil wurde, gewundert haben. In Wirklichkeit kam dabei nur der Grundsatz zur Geltung: Wer Liebe säet. wird Liebe ernten. Wie das zu verstehen ist, mag ein Blick in die Vorgeschichte von Deutsch-Südwestafrika zeigen.

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Wie die ersten Missionare in unser Gebiet kamen

In der Kapkolonie liegt die älteste Eingangspforte Afrikas südlich vom Äquator. Mögen auch andre Küstenplätze in West- oder Ostafrika noch etwas früher eine Europäer-Ansiedelung aufzuweisen gehabt haben als Kapstadt, an dauernder Bedeutung kommt dieser altberühmten Station auf dem Seewege nach Ostindien keine gleich. Was aber für die Geschichte Afrikas noch wichtiger ist, man drang von keiner andern Stelle so früh ins Innere des dunklen Erdteils vor. Das gilt auch von der Ausbreitung des Christentums. Eine deutsche Mission, die der Brüdergemeine, hat das Verdienst, die viel verachteten und misshandelten Hottentotten an der Südspitze Afrikas zuerst mit dem Christentum bekannt gemacht zu haben. Ihr erster Sendbote, Georg Schmidt, kam schon 1737 dorthin. Widrige Verhältnisse politischer und kirchlicher Art ließen aber im 18. Jahrhundert das Werk nicht recht gedeihen.

Einen größeren Umfang nahm die Missionstätigkeit erst bei Beginn des 19. Jahrhunderts an, als in der evangelischen Kirche englischer und deutscher Zunge fast überall ein reges Missionsinteresse erwachte. Im Jahre 1799 gesellte sich die  Londoner Mission zu der der Brüdergemeine. Neben der Hottentotten Mission entstand die unter den Kaffern. Nach einigen Jahrzehnten war schon die ganze Kapkolonie mit christlichen Niederlassungen wie mit Lichtpunkten übersät. Unter den Pioniermissionaren dieser Zeit verdient namentlich der ebenso unerschrockene wie leutselige Moffat hervorgehoben zu werden. Etwas später begann hier die Laufbahn seines berühmten Schwiegersohns, David Livingstones.

Weil damals in Deutschland noch keine aussendenden Missionsgesellschaften bestanden, stellten sich die in der Missionsschule des "Vaters Jänicke" zu Berlin ausgebildeten  Jungen Männer vorzugsweise in englische Dienste. Auch die Londoner Mission hatte in der Nähe südafrikanischen Sendboten manche deutsche Namen aufzuweisen. Ihre Träger standen meist im westlichen Teile der Kapkolonie, wo die Missionsstationen bald bis an den Oranjefluss, ja noch  darüber hinaus vorgeschoben wurden. Eine von ihnen, namens Schmelen, muss hier besonders erwähnt werden, weil er als erster Missionar bis tief ins jetzige Deutsch-Südwestafrika vorgedrungen ist. Den größten Teil seines reichgesegneten Lebens widmete er der Namabevölkerung und den Buschmännern in der Nordwestecke der Kapkolonie, die den Namen Klein-Namaland führt. Dort legte die mehrere Quadratmeilen umfassende Kolonie (damals "Institut" genannt) Kommaggas an. Er ist es gewesen, der zuerst auf die große Ausbreitung des Hottentotten-Stammes nach Norden hin aufmerksam machte und auf die Notwendigkeit, unter ihnen Mission zu treiben. Um der praktischen Lösung dieser Aufgabe näher zu treten, unternahm er ausgedehnte Erkundigungsreisen jenseits des Oranjeflusses. Auf einen Ochsen reitend und von  30 - 50 ihm wohlgesinnten Nama oder Bastards als Schutzwache umgeben durchzog er als einer der ersten Europäer die Hochebene des Groß-Namalandes bis in die Gegend von Windhuk. Dann reiste er das Swakoptal hinab zur Walfischbai. Er sah dabei das Land noch im unberührten Naturzustande, musste aber auch alle Strapazen und Entbehrungen einer Reise durch die Einöden durchkosten. Der Wildreichtum des Gebiets half ihm und seinen Begleitern meist über die Nahrungssorgen hinweg, wurde aber einmal nichts erlegt, so ließ Schmelen einen der Ochsen schlachten, die er als Tauschmittel mit sich führte. Jeden Abend wurde zum Schutz gegen wilde Tiere oder feindselige Menschen ein Gehege von Zweigen und Dornen um seine Schlafstelle hergerichtet und obendrein eine Wache aufgestellt. Besondere Schwierigkeiten verursachte die Beschaffung des Trinkwassers für Mensch und Tier. Man hatte ja noch keine Ahnung, wo die nur den Landesbewohnern bekannten und von ihnen meist geheim gehaltenen Wasserstellen lagen. Schmelen pflegte dem ersten besten Buschmann, den er traf, zu gebieten, auf der Stelle Wasser zu graben. Fand sich an dem betreffenden Orte keins, so wurde der Eingeborene so lange festgehalten und wohl auch über Nacht der Sicherheit halber angebunden, bis er die Durstigen an ein Wasserloch brachte.


Heinrich Schmelen
1776 - 1848

Nachdem Schmelen so das Gebiet erkundet, ließ er sich ungefähr in der Mitte des Groß-Namalandes an einem fruchtbaren Platze nieder, den er Bethanien nannte. Das war die erste Missionsstation im Bereich des jetzigen Deutsch-Südwestafrika. Wir können die Wirksamkeit des Pioniermissionars daselbst hier nicht im Einzelnen verfolgen. Er ist etwa zehn Jahre im Lande geblieben und hat in dieser Zeit einen nachhaltigen Einfluss aus viele Capitäne - so nennt man hier die Inhaber der Häuptlingswürde unter den Eingeborenen - gewonnen. Wenn seine Nachfolger hier und da eine so überraschend freundliche Aufnahme fanden, so rührte das meist daher, dass der betreffende Capitän einst als Schüler oder Zuhörer zu Schmelens Füßen gesessen hatte. Leider waren die politischen Verhältnisse noch so unsicher, dass der wackere Vorkämpfer des Christentums sich auf dem weit vorgeschobenen Posten nicht halten konnte. Auch die von den Wesleyanern auf der rechten Seite des Oranjeflusses angelegte Station Warmbad musste um dieselbe Zeit wieder aufgegeben werden. Schmelen ging auf sein altes Arbeitsfeld zurück und wirkte noch gegen 20 Jahre im obengenannten Kommaggas. Er hat aber bis an sein Lebensende nicht aufgehört, für das neue Missionsgebiet zu beten und zu arbeiten. Letzteres namentlich in sprachlicher Hinsicht. Er übersetzte die vier Evangelien, den Katechismus und ein kleines Gesangbuch in die Namasprache. Was aber für die weitere Entwicklung der Nama- und Hereromission noch wichtiger war, er half die Männer herbeiziehen und heranbilden, die in der Folgezeit berufen waren, die verschiedenen Völkerschaften nördlich vom Oranjefluss dauernd unter christlichen Einfluss zu bringen, Im Jahre 1828 war zu Barmen die Rheinische Missionsgesellschaft entstanden. Ihre ersten Sendboten wurden 1829 nach Südafrika geschickt und fanden in der Kapkolonie neben denen der Londoner Mission reichliche Gelegenheit, das Glaubenswerk zu treiben. Um ein schiedlich-friedliches Vorgehen zu ermöglichen, vereinbarten die beiden Missiosleitungen nach einiger Zeit, dass die deutsche Gesellschaft längs der Westküste Afrikas hinausgehen sollte, während die Londoner Mission sich in nördlicher Richtung nach Betschuanenland wandte. Diese Vereinbarung sollte bedeutsam nicht nur für die Mission sondern auch für die spätere politische Gestaltung der Dinge in Südwestafrika werden. Der alte Schmelen sah mit Freuden die von ihm erstmalig beschrittene Bahn für seine Landsleute sich öffnen. Er schrieb am 4. Dezember 1838 von Kommaggas aus einen zündenden Brief nach Barmen, worin er seine früheren Reisen und die Wirksamkeit im Groß-Namalande darlegte, und flehentlich bat:

"Da ich nun anfange alt zu werden, liegt es mir schwer auf dem Herzen, das diese Seite von Afrika wieder in die heidnische Unwissenheit versinken sollte... Ich ersuche Sie, meine teuersten Väter uud Brüder, da Sie doch die Hände an den Missionspflug gelegt haben, doch ja nicht wieder zurück zu sehen, ohne Ihre Friedensboten auch nach diesem finstern Teile von Afrika zu senden. Es sind hier zwar nicht so viele Heiden wie auf der Ostseite von Afrika. Doch sollte man die wenigen nicht verachten; sie haben doch eine unsterbliche Seele, die muss uns teuer sein, weil sie mit in das Leiden des Sohnes Gottes ist eingeschlossen worden".

Am Schluss seines Schreibens entwarf er auch bereits einen Plan für die Besetzung des Landes bis hinauf zum Swakoptale. Als erste Aufgabe sah er die Wiederbesetzung von Bethanien an.

Zu derselben Zeit kam ein direkter Ruf aus dem Namalande an die Rheinischen Missionare. Auf ihrer in der Kapkolonie liegenden Station Ebenezer erschien eines Tages Jan Frederik, der Nama-Capitän von Bethanien. Er schilderte mit beweglichen Worten die Sehnsucht seiner Leute nach dem Worte Gottes. Seit Schmelens Wegzuge hatten sie erst recht eingesehen, was sie an ihm gehabt hatten. Es war unter ihnen geradezu der Gedanke laut geworden, wenn kein Missionar gutwillig zu ihnen käme, wollten sie nach Kapstadt reisen, um sich dort einen zu kaufen. Jan Frederik hielt sich einige Zeit bei den Missionsleuten auf, die ihn über die Verhältnisse des Namalandes ausfragten und seine und seines Volkes wahre Gesinnung zu erforschen suchten. Das Ergebnis war ein so hoffnungsvoller Ausblick auf das neue Missionsgebiet, dass man der Einladung des Capitäns sobald als möglich nachzukommen versprach. Die Missionsleitung in Barmen fasste darauf den Beschluss, das Nama- und Hereroland zu besetzen und für diesen Zweck ihre Arbeiterschar in Südafrika durch neue Aussendungen zu verstärken.

Noch bevor diese ankamen, worüber bei dem damaligen schwerfälligen Verkehr eine längere Zeit vergehen musste, machte sich einer der zuletzt angekommenen Missionare als Vorläufer auf den Weg. Es war der in der Missionsgeschichte von Deutsch-Südwestafrika rühmlich zu nennende H. Kleinschmidt. Da seine Reise nach dem Norden von so großer Bedeutung für unser Gebiet geworden ist, wollen wir ihn an der Hand seines Tagebuchs auf dem Wege begleiten.

Als Ausgangspunkt diente Schmelens Station, dessen Tochter er sich zur Lebensgefährtin ersehen hatte. Hier fand erst seine Ordination und am Tage darauf seine Hochzeit statt, ein großes Ereignis für die Christengemeinde am Platze. Unter den Teilnehmern an der Feier waren auch die beiden jungen Missionare Hahn und Knudsen, denen wir später wieder begegnen werden. Nach dem Abschied von der Familie, der namentlich der jungen Frau begreiflicher Weise sehr schwer wurde, und nach einigem Hin- und Herziehen zwischen den in Klein-Namaland gegründeten Stationen war endlich alles zur Fahrt fertig: ein wohlbespannter Wagen, eine stattliche Herde Ochsen, Kühe und Schafe nebst vier Dienstboten. Zur Unterstützung für den Missionar sowohl bei der Reise wie bei der künftigen Missionsarbeit begleitete ihn der im Kaplande geborene Jan Bam. Wegen der geringen Zahl der Begleiter mussten sie beide beim Einspannen der noch nicht recht eingefahrenen Ochsen sowie beim Antreiben des losen Rindviehs und der Schafe tüchtig mit helfen. Einige ungebärdige Tiere machten ihnen viel zu schaffen und wurden erst gefügiger, als man die wilden mit je einem zahmen Ochsen zusammenkuppelte.

Bis zum Oranjefluss verlief die Reise ohne besondere Abenteuer. Um so mehr Schwierigkeiten bot der Übergang über den Fluss, dessen linkes Ufer sie eines Abends erreichten. Der nächste Morgen war sehr schön. Die Reisenden ergötzten sich an der lieblichen Landschaft, die um so größeren Eindruck auf sie machte, als die Fahrt zuletzt durch eine recht öde Gegend gegangen war. Hier gab es Bäume, die sich im Wasser spiegelten, und die Turteltauben ließen sich hören. Da der Fluss ziemlich viel Wasser führte, kamen ihnen Bedenken, ob sie es wagen dürften, mit vollgepacktem Wagen durchzufahren. Ein des Schwimmens kundiger Mann ging zuerst hinein und stellte fest, dass ihm das Wasser bis an die Brust ging. Am bedenklichsten war die starke Strömung. Man musste mit der Möglichkeit rechnen, dass sie das Gefährt nach einer tiefen Stelle treiben würde. Aber es musste gewagt werden durchzufahren ohne das geringste abzuladen. Sie suchten die besten und erfahrensten Ochsen aus, die schon oft im Wasser gewesen waren. Nachdem der Missionar einen Psalm gelesen und mit den Leuten um eine glückliche Durchfahrt gebetet hatte, trieben sie zuerst das lose Horn- und Kleinvieh in den Strom hinein, um den Zugochsen Mut zu machen. Sobald die Tiere in die stärkere Strömung kamen, wurden mehrere Kälber und anderes Kleinvieh fortgerissen, aber von den Leuten glücklicherweise wieder aufgefischt. Nun setzte sich der Wagen in Bewegung. Als er jedoch ein Stück vom Ufer entfernt war, wollten die Ochsen nicht weiter, und schon begannen die Räder im Treibsand zu versinken. Jedermann erkannte die Gefahr. Es wurde mit aller Macht getrieben, geschlagen und geschrien, aber die Ochsen rührten sich nicht. Kleinschmidt ging schon mit dem Gedanken um, den Wagen abzuladen und ein Floß herzurichten, um das Gepäck Stück für Stück hinüberzuschaffen, was zwar ein sehr langwieriges aber doch schließlich sicher ans Ziel führendes Geschäft gewesen wäre. Er musste sich jedoch sagen, dass zum Durchziehen des Floßes mehr Schwimmer gebraucht wurden, als ihm zur Verfügung standen; sollten aber erst Leute herbeigeholt werden, so hätte der Wagen des Nachts im Fluss stehen bleiben müssen, was man nicht gut wagen konnte. Obendrein war es Sonnabend. So wurde also nach langem Warten und Beraten noch ein letzter Versuch gemacht. Der Missionar ermahnte die Leute zur Anspannung aller Kräfte. Diese zogen die Ochsen wieder zurecht, nahmen Peitschen und Stöcke zur Hand und fingen an zu treiben, während Kleinschmidt und Jan Bam in in die Hinterräder griffen. Siehe da! der Wagen bewegte sich endlich, und die Ochsen zogen ihn in einem Zuge durch bis ans jenseitige Ufer, das 200 bis 300 Schritt entfernt war. Drüben angekommen knieten alle nieder und dankten Gott für die gnädige Durchhilfe. Die Weiterfahrt kam an diesem Tage nicht mehr in Frage. Ein solcher Flussübergang kann als volles Tagewerk gelten. Sie brachten den Wagen an eine lauschige Stelle im Gebüsch und waren nun darauf bedacht, ihre Kleider, die von unten bis oben durchnässt waren, zu trocknen.

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Nach einigen Tagen ging es weiter und zwar in elftägiger Fahrt mit nur einmaligem Aufenthalt bis nach Bethanien. Kleinschmidt sah nun das Land mit eigenen Augen, das er im Namen seiner Missionsgesellschaft besetzen sollte. Er hat die Eindrücke dieser ersten Reise den Freunden im Wuppertale mit folgenden Worten beschrieben: 

"Am 19. August spannten wir wieder ein und fuhren bis Mitternacht, den 20. wieder bis gegen Mittag, wo es sehr warm wurde und die Ochsen zu dursten anfingen. Wir spannten in einem Flussbett aus, wo wir ein wenig Wasser gruben. Das gierige Zustürmen der Ochsen zum Wasser hätten Sie sehen sollen! Glücklicherweise fanden wir ein bis zwei Stunden von hier ein anderes Grabewasser, wo wir freilich den ganzen Tag zu graben hatten, aber doch für unser durstiges Vieh genug kriegten. Wir füllten unser Wasserfass wieder und zogen die ganze Nacht hindurch bis nach Bondbreek. Bam und ich trieben nachts das Vieh an; am Morgen war alles ermüdet und schläfrig. Meine Frau kochte geschwind Kaffee, wir tranken alle und legten uns schlafen, bis sie das Essen fertig hatte; ebenso auch die andern Male, wenn wir des Nachts gefahren waren. Eine große Anzahl Heuschrecken machte uns wach. Des Nachmittags spannten wir wieder ein und fuhren bis in ein großes baum- und grasreiches Flussbett, wo wir ausspannten und ein wenig Kaffee tranken, um bis Mitternacht fahren zu können. Gerade als wir einspannen wollten, kam ein Wagen von Bethanien. Wer war es? Der Bruder des Capitäns Jan Frederik, welcher von unserm Kommen nichts gewusst hatte und zu Herrn Fryer nach Donkinsbay wollte, um Güter zu holen. Er beschloss augenblicklich wieder umzukehren, um uns mit seinen losen Ochsen helfen zu können. Denselben Abend fuhren wir noch bis zwölf Uhr, und den andern Morgen, an einem Sonntag, bis zur Quelle Hoens, wo vom Oranjefluss aus das erste feste Wasser ist. Diese Quelle sitzt im Flussbett und läuft als ein Bach stark aus. Auch ist hier Gartenland und etwas nützliches Holz, als Eben-, Dorn- und Kameeldorbäume. Auch das Feld ist hier fruchtbarer als bisher. Dieser Platz ist auch Wohnung der Löwen und Buschmänner. Letztere lagen jetzt fünf Stunden von hier und hatten beim Honigbier-Saufen Streit bekommen und einander mit giftigen Pfeilen geschossen. Ein Mann war tot, einer am Sterben und andre verwundet. Ich nahm zwei Begleiter mit und ritt zu ihnen, um diese Elenden in ihrem doppelten Unglück zu besuchen. Ich fand sie in einem jammervollen Zustande nach Leib und Seele, verband ihre Wunden mit Öl und holte noch eine Harpune (das mit Gift beschmierte eiserne Winderhäkchen vorn an, Pfeil) bei einer Frau tief aus dem Fleisch heraus. Ein Mann konnte den Schmerz, des Herausholens nicht ertragen. Ich gab ihnen Öl und predigte ihnen Christum, bedrohte sie aber auch mit leiblicher Strafe bei wieder vorkommenden Fällen und ermahnte sie, nach Bethanien zu ziehen. Sie versprachen das, weil sie durch meine Behandlung einen günstigen Eindruck von weißen Menschen bekommen hatten. Auf Hoens ruhten wir einige Tage. Als wir weiter fahren wollten, bemerkten wir, dass einige unserer Tiere abhanden gekommen waren. Da wir Löwenspuren fanden, wurden wir etwas besorgt, bekamen sie aber glücklich wieder. Am zweiten Tage kamen wir bis Kaikaup (Grootliegte) und am folgenden bis Ou Kamma (Bitterwater) und fanden fünf Löwenspuren von voriger Nacht. Das Feld gefällt mir je länger je besser; wir fanden stärkeres Wasser, gute Grasweide, Bauholz (namentlich Kameeldornbäume, deren Stamm 30 - 40 Fuß hoch, 1½ Fuß dick und gut zu Balken und Dielen ist), und das nimmt zu bis Bethanien, wo wir endlich am 30. August 1842 mit großer Freude ankamen und eine freundliche Aufnahme fanden".

Die Ankömmlinge mochten sich ein Bild von Bethanien gemacht haben, wie es dem alten Schmelen aus der ersten Blütezeit des Ortes vor der Seele stand. Dem entsprach die Wirklichkeit freilich nicht mehr recht. Schon ehe sie in den Ort einzogen, sahen sie die ehemaligen Missionsgebäude liegen, aber in Trümmern. Und auch die Bewohnerschaft von Bethanien war sehr zurückgegangen. Einst hatten drei Capitäne mit ihren Stämmen hier gewohnt, und die Fläche des kultivierten Landes war sehr viel größer gewesen, was noch jetzt an den Spuren zahlreicher Gärten zu erkennen war. Aber die Capitäne Ammal (Ambraal) und Willem Zwartboi hatten bald nach Vater Schmelens Weggange auch den Ort verlassen, sei es weil Bethanien nicht mehr das Aussehen der Missionsniederlassung besaß, sei es, weil sie sich nach einem eigenen Platze sehnten. Immerhin war Bethanien noch anziehend genug.

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Seine schöne Lage am Fuße der im Osten lang sich hinziehenden Berge, dazu mehrere Quellen, von denen namentlich die an der Ostseite des Platzes sehr stark ist und die Anlage vieler Gärten gestattet, endlich die Gebrüder Frederiks mit ihren Leuten, deren Zahl sich zur Zeit auf etwa 100 belaufen mochte, wozu noch die Bewohner der dem Capitän unterstehenden Außenplätze kamen, das alles waren so günstige Vorbedingungen für eine gedeihliche Missionsstation, dass Kleinschmidt sich in Gottes Namen hier niederließ. Gleich am Tage nach seiner Ankunft wählte er mit Jan Bam das nötige Garten- und Kornland aus und entwarf den Plan für die künftigen Gebäude. Der erste Sonntags-Gottesdienst wurde unter einem Schattenbaume gehalten, wobei sich die Leute von Bethanien sehr aufmerksam und andächtig zeigten. Unter dem Eindruck der ersten Predigt suchten viele die Einsamkeit auf und gingen in sich. Es war, als ob das Christentum, das lange geschlummert hatte, in ihnen wieder aufwachte. Auch von auswärts stellten sich viele Leute ein. um in der Nähe des Missionars zu wohnen und beim Arbeiten zu helfen. Es boten sich auch mehrere Weiber an, der Frau Kleinschmidt behilflich zu sein. Sie mochte ihre Liebesdienste aber nicht annehmen, weil sie sehr schmutzig waren und nackt umherliefen. Der Missionar sprach darüber öffentlich im Gottesdienst sein Missfallen aus und seine Frau tat es unter vier Augen, wenn sie zu ihr kamen. Das half. Die Besseren machten sich bald Fellröcke und benahmen sich anständiger. Wenn auch die Missionsleute zunächst nur in einem landesüblichen Mattenhause wohnten, in ihrer Wohnstätte war doch dem verwilderten Bethanien wieder ein christlicher Mittelpunkt gegeben, von dem mancherlei Lichtstrahlen ausgingen.

Man sollte meinen, Kleinschmidt wäre nun sofort mit voller Energie an den Aufbau des Missionsgehöfts gegangen. Dazu kam es aber vorläufig nicht. Er fühlte in sich einen unwiderstehlichen Drang, noch weiter nordwärts zu ziehen. Dort hauste, wie man schon auf den Missionsstationen in der Kapkolonie erfahren hatte. Jonker Afrikaner, der Sohn des berühmten Orlamführers, der als Heide Jager Afrikaner geheißen hatte und der Schrecken Südafrikas gewesen war, nach seiner Belehrung durch die Sendboten der Londoner Mission aber den Namen Christian Afrikaner angenommen hatte. Er und andre unternehmende Hottentottenhäuptlinge waren in den letzten Jahrzehnten nordwärts bis an die Grenze des Damara d. h. Hererolandes gezogen und hatten sich an die Spitze kriegs- und beutelustiger Namahorden gestellt. Jonker Afrikaner war der angesehenste unter ihnen und wohnte in der Gegend des oberen Swakop. Da er in seinem Vaterhause christlich erzogen war, wollte er auch jetzt trotz seines Räuberlebens als Christ angesehen sein und hatte bei Gelegenheit die Bitte in seine alte Heimat gelangen lassen, man möchte ihm doch einen Missionar auf seine Werft senden. Diesem Rufe gedachte Kleinschmidt nachzukommen. Dass er es so schnell tat, hatte seinen Grund wohl auch in der Besorgnis, die englischen Wesleyaner, die einst Warmbad gegründet hatten, dann aber über den Oranjefluss zurückgegangen waren, möchten der Rheinischen Mission zuvorkommen. Kurz, nach einem halbmonatlichen Aufenthalt in Bethanien ging er schon wieder auf die Reise. Seine Frau ließ er mit dem Dolmetscher Gert Kloete, einem Bastard, der ihm nachgesandt worden war, unter den eben gewonnenen Freunden zurück.

Weil das Ochsengespann nicht mehr in guter Verfassung war und ihn zu langsam vorwärts gebracht hätte, wählte er von hier ab einen bewährten Reitochsen als Beförderungsmittel, beschränkte sein Gepäck auf das allernotwendigste und brach am 15. September mit Jan Bam, einem der Gebrüder Frederiks und einigen zuverlässigen Leuten auf. Es war ein interessanter Ritt durch das Herz des Namalandes bis hinauf an die Grenze der Herero. Sein landeskundiger Begleiter machte ihn mit allen Eigentümlichkeiten des Landes und seiner jüngsten Geschichte bekannt. Er führte ihn auf den Werften seiner Brüder und befreundeter Hordenführer ein. Der Missionar ließ sich dabei keine Gelegenheit entgehen, ein gutes Wort anzubringen. Nicht selten fand er willige Hörer und empfängliche Herzen. Die Leute, auch die eben erst "zahm gemachten", d. h. mit mildem Zwang auf die Werften der Nama gezogenen Buschmänner, sagten zuweilen: "Ja, das haben wir schon bei Jonker gehört". Andre Male freilich hatte er ganz unwissende, stumpfsinnige Zuhörer, die nur lachten, wenn er von christlichen Dingen sprach. Selbst ihr Capitän war nicht imstande, die Worte des Predigers zu verstehen. Aber es war doch ein Lichtschimmer, wenn dieser bekannte:

"Wir sind dumm und können die Sache noch nicht verstehen; wenn wir mehr davon werden gehört haben, dann wird es besser gehen".

Daneben traten dem Missionar Äußerungen der größten Verwunderung und doch unverkennbarer Zuneigung entgegen. So z. B. in jener Namawerft, wo eine alte Frau nach einer Ansprache sagte, Kleinschmidt und Bam müssten wohl von Gott aus dem Himmel gekommen sein; sie hätte noch nie Menschen gesehen, die so aussähen und so freundlich wären. Sie war auf solche Gedanken vielleicht durch die Bemerkung eines Begleiters gekommen, die Missionare seien Dienstknechte des Herrn Jesus. Ein Namamädchen meinte sogar, Kleinschmidt sei der Herr Jesus selbst.

Auf diesem Ritt machte der Missionar auch die erste Bekanntschaft mit den schwarzen Bergdamra und den Herero. Das war, wie Kleinschmidt schreibt, ein freudenvoller und gesegneter Tag. Unter einem schattigen Baume wurde eine Versammlung abgehalten. Die Leute waren sehr aufmerksam und sangen die angestimmte Melodie leise und richtig mit. Nach dem Gottesdienst legte sich der Missionar mit seinem Gehilfen unter einen anderen Baum, um zu ruhen. Aber bald kam der Hererohäuptling mit einigen Männern zu ihnen und redete eifrig auf sie ein. Da war an Schlafen nicht zu denken. Kleinschmidt verstand jedoch nicht. was er wollte. Als ein Dolmetscher herbeigerufen war. wurden ihm folgende Sätze übermittelt:

"Ihr seid merkwürdige und große Leute. wie ich sie noch nicht gesehen habe. Eure Handlungen sind auch ganz anders, als die der Leute hier unter uns (der Nama). Wenn die zu uns kommen, so ist ihr erstes Geschäft, unsere Häuser zu durchsuchen, und was sie finden, wie schmutzig es auch sein mag, das nehmen sie, ohne zu fragen oder dafür zu bezahlen. Auch wollen sie von Gott sprechen und meinen, sie verstünden etwas; aber sie sind so dumm und unwissend wie wir. Einer ist hier in dieser Gegend, der versteht die Sachen und handelt auch darnach (Jonker Afrikaner). Aber der Wandel und das Wissen der Nama ist nichts. Ihr Leute dagegen seid ganz anders. Bei eurem Kommen stürmt ihr nicht gleich in unsre Häuser, um schmutzige Speisen zu suchen, sondern ihr setzt euch ruhig unter einen Baum und erzählt uns gute und süße Worte. Ihr seid freundlich und gebt uns die Hand, und wenn wir euch etwas bringen, so bezahlt ihr uns dafür. Wie dumm wir auch sind, so sehen wir doch, dass ihr recht sprecht und auch darnach handelt. Ich habe Jonker in der Kirche hören sagen, dass ein Mann, ein Gerechter, für alle Menschen, die Ungerechten, gestorben ist, dass sie leben möchten. Das hat mein Herz angefaßt und ich habe gewünscht, mehr davon zu hören. Nun höre ich zu, meiner Freude dasselbe von euch, und noch mehr als das".

Man sieht, dieses Volk war reif für die Missionsarbeit und Kleinschmidt hatte recht, dem Reisebericht, den er in die Heimat sandte, die Überschrift zu geben:

"Wenn der Herr die Türen öffnet, wer kann sie zuschließen?"

Unmittelbar nach dieser Begegnung zog er auf dem Platze des berühmten Mannes ein, der ihm in solcher Weise vorgearbeitet hatte, des Jonker Afrikaner. Als die grünende Landschaft im Tal, das sich zum Swakop hinzieht, vor ihm lag. die schönste, die er in Afrika bis dahin gesehen, ging sein Herz in Sprüngen. Die Situation erinnerte ihn an das heimatliche Wuppertal, was ihn und seine Freunde hernach bei Gründung der Missionsstation bewog, den Plätzen, die Jonker Windhuk genannt hatte, die Namen Barmen und Elberfeld zu geben.

Jonker empfing den Missionar mit lauter Freude. Er fragte sogleich, ob der alte Schmelen in Kommaggas ihn geschickt habe. Als Kleinschmidt das bejahte und ihm den Empfehlungsbrief seines Schwiegervaters aushändigte, war es für den Capitän eine ausgemachte Sache, dass er ihn als Seelsorger für sein Volk, das sich auf etwa 1.000 Seelen belaufen mochte, behielt. Er wünschte, dass sogleich eine Anzahl Kinder von christlichen Eltern auf seiner Werft getauft und mehrere Ehepaare getraut würden. Das geschah denn auch am nächsten Sonntag in der von Jonker erbauten Kirche, die wohl 500 Menschen fassen mochte. Es fand auch ein großer Zulauf von Kranken statt, denen Kleinschmidt zur Ader lassen oder sonst helfen musste.

Nach mehreren Tagen eröffnete er aber dem Capitän. dass er jetzt noch nicht dauernd bei ihm bleiben könne, sondern nach Bethanien zurück müsse. Dort wolle er mit den neu in's Land kommenden Missionaren die weitere Besetzung des Nama- und Hererolandes beraten. Einen Missionar solle Windhuk auf jeden Fall bekommen. Jonker bat ihn, zunächst wenigstens seinen Gehilfen Bam bei ihm zu lassen, um Schule und Gottesdienst zu halten. So geschah es. Jonker stattete den neuen Freund reichlich mit Reitochsen und Proviant aus, versprach auch, einen Garten für die Mission anzulegen und später, wenn die Europäer wiederkehrten, zwei Ochsengespanne entgegen zu schicken. Jan Bam aber, der eigentlich auch gar nicht aufs Bleiben eingerichtet war, erhielt Kleinschmidts Neues Testament und überflüssige Kleider zur Ausstattung. Er amtierle von diesem Tage an als Seelsorger auf Jonkers Platz.

Bei seiner Rückkehr nach Bethanien fand der Missionar die Station schon viel reicher bevölkert. Das Gerücht, ein Weißer sei gekommen, um wieder zu predigen, hatte sich schnell im Lande verbreitet und dem Orte eine starte Anziehungskraft verliehen. Bald kamen auch die ersehnten Mitarbeiter an. Es waren die in der nun folgenden Periode der Missionstätigkeit vielgenannten Missionare Hugo Hahn und Knudsen. Dem letzteren ward Bethanien zu dauernder Versorgung übergeben. Er ging alsbald an den Bau solider Gebäude und sah die Arbeit unter seinen Händen von Tag zu Tag wachsen. Dürftig genug ging's freilich während dieser Anfangszeit bei Gottesdienst und Schulunterricht zu. Wenn die Gemeinde zusammengerufen werden sollte, wurde in Ermangelung einer Glocke ein aufgehängter eiserner Radreifen angeschlagen. Sollten die Kinder in der Erdkunde unterrichtet werden, so formte sich Knudsen einen Erdglobus aus Lehm. Diese und ähnliche Notbehelfe hinderten aber die Gemeinde nicht an schnellen Fortschritten im kirchlichen und geistlichen Leben. Es ist erstaunlich, aus Knudsens Tagebüchern zu ersehen, wie viele Taufen schon im Frühjahr 1843 stattfanden, und wie das Seelenleben der eben erst wieder unter den Einfluss des Evangeliums gekommenen Leute sich entfaltete. Ein alter Bastard, namens Tibot, leistete ihm übrigens aus einem fast ebenso stark wie Bethanien bevölkerten Außenplatze wertvolle Hilfe.

Die Freude über die große Empfänglichkeit der Namabevölkerung wurde freilich nach einigen Jahren sehr getrübt. Der wetterwendische Charakter des Volkes, der sich bis zum heutigen Tage noch nicht wesentlich gebessert hat, führte zu bösen Rückschlägen und Rückfällen in heidnisches Wesen. Es waren nur vorzeitige Frühlingsblumen, an denen Knudsen sich damals erfreuen durfte.

Kleinschmidt nahm einen kurzen Aufenthalt in Bethanien und kehrten dann mit Hugo Hahn auf Jonkers Platz zurück. Wie sich die Dinge dort weiter entwickelten, werden wir im folgenden Abschnitt sehen. Hier soll nur noch einer Untersuchungsreise nach Walfischbai gedacht werden, welche die beiden Missionare gemeinsam unternahmen. Es war ihnen klar, dass nach Gründung der Station Elberfeld-Barmen eine bessere Reiseverbindung zwischen Kapstadt und dem vorgeschobenen: Posten gesucht werden müsse. Die Ochsenwagenreise war zu mühsam und langwierig. Man pflichtet dem ohne Weiteres bei, wenn man hört, dass ein Brief von Jonkers Platz nach Kapstadt in der Regel neun Monate brauchte. Um die Beförderungszeit abzukürzen, untersuchten die Missionare den Weg längs des Swakop bis hinab ans Meer. Walfischbai erwies sich als ein guter Hafen, den schon manche Schiffer anliefen. Die Fahrt durch die Dünen des Küstengebiets war zwar anstrengend und wegen der Wasserlosigkeit weiter Strecken zeitweise gefährlich, aber die bedeutende Abkürzung der Reise war schließlich ausschlaggebend. So ward vom Jahre 1844 an dieser bis in unsere Tage herein fast ausschließlich benutzte Weg eröffnet. Die Mission brauchte natürlich einen Stützpunkt an der Küste. Es kam erst der Platz an der Mündung des Flusses in Frage, wo jetzt Swakopmund liegt. Schließlich aber ward eine Stelle im Hintergrund der Walfischbai gewählt. Die Niederlassung erhielt ihren Namen Scheppmannsdorf von dem ersten dort wirkenden Missionar. Auch ihm hat Jan Bam. der durch Hugo Hahns Einzug bei Jonker frei ward, eine Zeit lang vorgearbeitet.

Damit waren der Entwickelung der Mission in unserm Gebiet die Richtlinien vorgezeichnet. Der große Abstand zwischen Bethanien und Jonkers Platz wurde bald darauf durch eine Zwischenstation vermindert. Wir hörten früher von Willem Zwartboi, einem der Capitäne. die zu Schmelens Zeit in Bethanien gewohnt hatten. Als dessen Bruder einmal mit Kleinschmidt und Hahn zusammentraf, bat er dringend um einen Missionar für seinen Stamm. Sie willigten ein, machten aber zur Bedingung, dass Willem Zwartboi mit seinen Leuten zu der warmen Quelle Anuis käme. Ihr Vorschlag wurde angenommen, und Kleinschmidt selbst übernahm die Besetzung und Versorgung des Platzes, den er Rehoboth nannte in Erinnerung an 1. Mos. 26,22, wo es heißt: "Nun hat uns der Herr Raum gemacht und uns wachsen lassen im Lande". Am 30. August 1845 konnte er dort in Gegenwart der Missionare Hahn und Knudsen sowie des treuen Gehilfen Bam schon den Grundstein zur ersten Kirche legen. Nach der kirchlichen Feier ward ein echt südafrikanisches Festessen veranstaltet. Sechs Ochsen waren dafür schon am Tage vorher geschlachtet und teilweise gekocht worden. Die Missionare saßen mitten unter den Landeskindern und aßen diesmal nach deren Manier ohne Tisch vom Boden und tranken mit aus ihrem Bambusse (Trinkgefäß) von ihrer Milch. "Alles auf eine vergnügte Weise", sagt der Bericht.

Inhaltsverzeichnis


Schwere Pfadfinderarbeit am Swakop

Die alte Erfahrung, dass aller Anfang schwer ist, lässt sich aus der Missionsgeschichte durch unzählige Beispiele belegen. Der Beginn der Nama- und Hereromission aber schien eine Ausnahme von der Regel zu bilden. Das Vordringen der Missionare über den Oranje und die Besetzung der ersten Stationen war so schnell und leicht vor sich gegangen, als ob es hier gar keine Anfangsschwierigkeiten geben sollte. Das war eine Täuschung, aber sie hielt mehrere Jahre an.

Als Kleinschmidt und Hahn Ende 1842 bei Jonker Afrikaner einzogen, entsprach ihre Aufnahme ganz den Versprechungen, die der Capitän beim ersten Aufenthalt Kleinschmidts gemacht hatte. Ja die ersten Erlebnisse der Missionare in Windhuk gingen sogar noch über ihre kühnsten Hoffnungen hinaus. Wir wissen, dass Jonker zu der Zeit mit den Herero und Bergdamra auf dem Kriegsfuße lebte. Er wollte aber den Glaubensboten zeigen, dass in seiner Seele auch Friedensgedanken Platz fänden. Kurz vor Weihnachten hatten seine Leute drei Damrafrauen gefangen. Er ließ diesen nichts zu Leide tun, beschenkte sie vielmehr reichlich, sandte sie zu ihrem Volke zurück und ließ sagen, er wolle mit den Damra nun Frieden machen; sie möchten kommen und ihm die Hand reichen. Die durch die vorherigen Raubzüge eingeschüchterten Eingeborenen trauten der Botschaft anfangs nicht. Als Jonker aber sein Friedensangebot erneuerte, erschienen am heiligen Abend einige Abgesandte des schwarzen Volkes und sagten, ihre Häuptlinge hätten sie geschickt; wenn es dem Capitän mit dem Friedensschluss Ernst sei, möge er den Trinkbecher, den er selbst zu benutzen pflegte, nebst einigen andren näher bezeichneten Gegenständen schicken. Junker erklärte sich sogleich bereit dazu und händigte ihnen bei ihrer späteren Rückkehr tatsächlich die gewünschten Sachen ein. Das war der in der Missionsgeschichte des Landes berühmt gewordene Damrafriede, geschlossen am Christfest 1842.

Der Capitän gab auch in der Folgezeit auch manchen Beweis seiner Zuneigung zu den Glaubensboten, und was diesen noch mehr wert war, er unterstützte sie auf jede erdenkliche Weise bei ihrer Arbeit. Seine Leute hatten zwar, wie wir sahen, eine Kirche in ihrem Lager, aber ihr Christentum ließ viel, sehr viel zu wünschen übrig. In der ersten Zeit wollten alle fromm werden. Als aber die Missionare auf ein ordentlicheres Leben drangen, regte sich der Widerspruch. Wenn sie wegen ihrer Saufereien oder Unsittlichkeiten zur Rede gestellt wurden, drohten sie, sich an den Lehrern zu rächen. Da kam Jonker ihnen zu Hilfe. Er richtete eine Sittenpolizei ein, welche die Trinkgelage verhindern musste; Unsittlichkeit, namentlich bei den Getauften, wurde mit tüchtigen Stockprügeln bestraft. Selbst bis auf den Kirchgang erstreckten sich seine Zuchtmittel, ja er pflegte selbst nachmittags zu predigen, wobei er seine Leute ermahnte, den Missionaren, die es gut mit ihnen meinten, zu gehorchen. Auch hinsichtlich der täglichen Nahrung war er den Missionaren ein fürsorglicher Freund. Seine Gefälligkeit ging sogar soweit, dass er einen ordentlichen Weg nach der Walfischbai für sie herzustellen beschloss und alle seine Männer dazu beorderte.

Nahezu zwei Jahre hielt dieser Sonnenschein über der ersten Missionsarbeit an der Grenze des Hererolandes an. Dann zogen die Wolken auf. Der Capitän überraschte die Missionare eines Tages mit der Nachricht, dass ein Oheim von ihm, der noch am Oranjefluss wohnte, zu ihm käme. Dieser aber hatte in Verbindung mit den wesleyanischen Missionaren daselbst gestanden und brachte sich einen derselben, namens Haddy, mit. Kleinschmidt und Hahn mussten sich sagen, dass sie wegen der Unterschiede ihrer kirchlichen Anschauungen auf die Dauer nicht an ein und demselben Platze mit diesem wirken könnten. Es ließ sich durch Unterhandlungen nicht erreichen, dass sie ihr Elberfeld und Barmen - so hatten sie das jetzige Groß- und Klein-Windhuk genannt - für sich allein behielten, daher zogen sie im Oktober 1844 ab.

Von nun an beginnt die eigentliche Herero-Mission. Bisher hatten die beiden unter den Nama gelebt und als Kirchensprache das Holländische benutzt, das in der Umgebung der Capitäne vielfach gesprochen wurde; wünschten sie aber einmal mit der andern Namabevölkerung in Verbindung zu treten so waren jederzeit Dolmetscher zur Hand. Bei ihrem Wegzug von Windhuk war ihnen klar, dass sie sich nun unter den Herero niederlassen sollten. Namentlich Hahn, der von jetzt ab in den Vordergrund tritt, trug sehnliches Verlangen darnach. In der Bibel, die er bei seiner Ordination daheim erhalten hatte, stand eine Inschrift, die ihn geradezu ins Damraland (so wurde das Gebiet der Herero damals stets genannt) wies. "Von dem Augenblicke an", erklärte er später, "empfing ich die felsenfeste Verheißung: Damraland soll euch gegeben werden". Nun tat er mit dem Freunde die ersten Schritte zur Verwirklichung seines Jugendtraums. Sie gedachten sich zuerst in Okahandja niederzulassen, das sie "Schmelens Hoffnung" nannten, aber Jonker wiederriet das und empfahl ihnen dringend, sich nach Otjikango, einen Ort im Swakoptale zu setzen. Sie folgten seinem Winke und nannten die Stelle, an der sie ihre Hütte bauten, Neu-Barmen3). Kleinschmidt hat hier nur ein halbes Jahr gewohnt. Dann zog er südwärts und gründete Rehoboth. An seine Stelle trat der junge Rath, um auf viele Jahre Freud und Leid mit Hahn zu teilen.

Die Missionsniederlassung wurde zwischen den Felsen hart am Flusstale gebaut. Die Brüder ließen sich namentlich durch eine starke heiße Quelle bestimmen, den Ort zu wählen. Im übrigen hatte er wenig Reize. Der Boden war steinig und sandig, wild zerklüftet und mit Salpeterablagerungen bedeckt. So wenig einladend der erste Anblick war, bei längerem Wohnen stellte sich doch heraus, dass mit Fleiß und Ausdauer ein Garten angelegt und Früchte erbaut werden konnten. Das Wohnhaus kam neben einen großen Kameeldornbanm zu stehen, dessen Blätterdach es größtenteils beschattete. Als aber die ersten schweren Gewitterregen fielen, zeigte sich, dass weder der Baum noch das Dach ihres Hauses genügenden Schutz gegen die niederstürzenden Wassermassen bot. Ihre geringe Habe wurde ganz durchnässt. Auch an Gefahren für Gesundheit und Leben fehlte es nicht. Im Hause hatten sie es öfters mit Schlangen und Skorpionen zu tun. In der Nacht aber umkreisten Löwen Hyänen und Leoparden ihren Wohnplatz. Sie hatten gleich im Anfang eine überaus unruhige Nacht, weil fünf Löwen ganz nahe herkamen und sich nicht verscheuchen lassen wollten. Auch Krankheiten stellten sich in ihrer dürftigen Hütte ein, wohl veranlasst durch die gänzlich veränderte Lebensweise. Sie mussten in dieser Zeit nämlich fast ganz vom Ertrag ihrer Jagdflinte leben.

Am meisten aber machten ihnen die Menschen zu schaffen, um deretwillen sie in diese Wildnis gekommen waren. Während man sie in Bethanien und bei Jonker mit offenen Armen empfangen hatte, begegneten ihnen die in der Nachbarschaft wohnenden Herero mit unverkennbarem Misstrauen. Sie sahen den Brüdern beim Bau ihres Hauses nur von weitem zu. Später kamen sie näher und wurden durch ihre Zudringlichkeit lästig. Sie bettelten und stahlen mit einer Unverschämtheit, dass womöglich alles unter Verschluss gehalten werden musste. Von einer freiwilligen Aushilfe mit Nahrungsmitteln war nicht die Rede. Nicht einmal gegen Bezahlung wollten sie etwas hergeben. Dabei waren sie nicht etwa arm. Die Missionare staunten über die Größe ihrer Herden. Der in ihrer Nähe wohnende Häuptling Katjikuru besass allein gegen 10.000 Rinder. Wie verschlagen sie waren sieht man an der Tatsache, dass sie den Missionaren jahrelang einige wichtige Wasserstellen, die in der Nähe lagen, verheimlichten.

Unter diesen Umständen war natürlich das Erlernen der Hererosprache mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft. Im Verkehr mit den Nama hatten die Missionare jederzeit Dolmetscher zur Hand gehabt, hier leistete ihnen niemand diesen Dienst. Sie baten Jonker, er möge ihnen zur Erlernung der Landessprache behilflich sein, konnten aber keinen sprachkundigen Mann erhalten; nur ein Mädchen, das zwar die Hererosprache verstand, aber eine durchaus unzureichende Hilfskraft war. So mussten sie auch alle Mühseligkeiten durchkosten, mit denen das Sprachstudium unter Naturvölkern verbunden zu sein pflegt. Als Hahn sich eines Tages wieder einmal abgequält hatte, in den ungelichteten Urwald der Sprache einzudringen und dabei auch noch die Entdeckung machen musste, dass die, welche ihm helfen sollten, anscheinend mit böser Absicht falsch übersetzten, rief er voll Verdruss aus:

"Fürchtete ich nicht die Hand des Herrn, ich liefe weg und überließe es andern Brüdern, die mehr Gabe und Energie besitzen, diese Sprache zu lernen. In Geduld muss ich aber ausharren, bis mich der Herr nach oben oder anderswohin ruft". 

Wenn man weiß, dass Hahn später ein Meister der Eingeborenensprachen in unserem Gebiet geworden ist und wegen seiner Sprachkenntnis in den Gelehrtenkreisen Europas die höchste Anerkennung gefunden hat, kann man aus einem solchen Ausruf einen Rückschluss auf die Größe der ihm gestellten Aufgabe ziehen.

Bild aus Wikipedia
Carl Hugo Hahn
1818 - 1895

Zähe Ausdauer führte aber auch hier zum Ziele. Die Missionare kamen mit der Zeit hinter das Geheimnis der Wort- und Satzverbindungen und konnten es endlich wagen, die erste Predigt in der Hererosprache zu halten. Jubelnd schrieben sie anfangs 1847 nach Hause, dass ihre Zunge endlich gelöst sei. Noch könnten sie nicht "reinlich und fertig" sprechen sondern erst stammeln. Interessant ist. was sie über die Entstehung ihrer ersten Predigten mitteilten.

"Unsere Predigten müssen einen sonderbaren Prozess durchmachen. Erst werden sie deutsch aufgeschrieben, dann in die Hererosprache übersetzt. Ist das geschehen, so nehmen wir einen Mann vom Platze, dem wir die Predigt Satz für Satz vorlesen, und er muss sie sprachlich korrigieren. Wenn er nicht versteht, was wir sagen wollen, dann sucht Daniel, der von uns am geläufigsten spricht (ein Südafrikaner, den sie als Gehilfen zu sich genommen hatten), es ihm deutlich zu machen. Wir denken sagen zu können, dass wir biblisch noch nichts Verkehrtes gesagt haben, obwohl sehr Unvollkommenes, da uns die Wörter Sünde. Gerechtigkeit, Heiligkeit etc. noch mangeln. Ein großes Glück war es. dass wir in der Woche vorher noch das Wort "Schuld" fanden. Der Gottesdienst wird in meiner Kammer auf folgende Weise gehalten. Ohne Amtskleid sitzen wir auf meinem Bette, die Leute um uns auf der Erde. Erst singen wir einen holländischen Vers, dann wird die Predigt gelesen, und nach einem weiteren Gesang beten wir. Letzteres geschieht kniend in der Hererosprache. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, nach so langem Harren in einer Sprache, in welcher das noch nicht geschehen, Gottes Wort verkünden und vor den Gnadenthron treten zu dürfen. Und wie unscheinbar, wie glanzlos beginnt das Reich Gottes".

Von nun an taten sie auch tiefere Blicke in die Gesinnung und die Anschauungswelt der Herero. Sie lernten in ihnen ein höchst unliebenswürdiges Volk kennen; tapfer, wo kein Widerstand ist; feig, sobald ihnen jemand mit Festigkeit entgegentritt. In der Eitelkeit bis zur allerordinärsten Putzsucht suchen sie ihres Gleichen. Vom Reichsten bis zum Ärmsten sind sie unverschämte Bettler. Ein Mann, der viele tausend Rinder besitzt, schämt sich nicht, bei den Missionaren um ein Stück stinkendes Fleisch oder die Eingeweide eines Tieres zu betteln. Wenn geschlachtet wird, ist alles Volk vor der Tür und sucht den Abfall auf. Gewöhnlich entsteht dabei solch ein Streit, dass einem die Ohren gellen. Dass Lügen ein Schandfleck sei, ist ihnen unbekannt. Im Schmeicheln suchen sie ihren Meister, solange es in ihrem Interesse ist; sie können aber auch über alle Begriffe grob sein, wenn, man ihnen nicht zu Willen ist. Sie sind im höchsten Grade unkeusch und schamlos. Das Leben eines Menschen gilt bei ihnen sehr wenig; ein Mord wird mit ein paar Ochsen gut gemacht. Um das Familienleben ist's traurig bestellt. Der Mann nimmt so viele Weiber, als er kaufen kann, verlässt aber die Frau nach Belieben oder hält sich zu seines Nächsten Weib; davon wird nicht viel Aufhebens gemacht. Das ist ungefähr der Inhalt der Berichte, die von den Missionaren nach der Beobachtung der ersten Jahre erstattet wurden.

Etwas länger dauerte es, bis man hinter die religiösen Anschauungen des Volkes kam. Von Götzenbildern war nirgends etwas zu sehen, dagegen spielten die Zauberer eine ebenso große Rolle, wie bei andern südafrikanischen Stämmen. Sie wurden bald als Ärzte, bald als Regenmacher oder als Beschwörer von drohenden Seuchen in Anspruch genommen. Weil die von ihnen verordneten Zaubermittel von den Herero für ganz unentbehrlich angesehen wurden, wenn sie auf der Jagd oder sonst etwas erreichen wollten, glaubten sie, dass auch die Missionare mit solchen Dinge umgingen. Als Hahn eines Abends vor seinem Hause auf und ab ging und dabei öfters zum Sternhimmel emporschaute, wurden sie ganz aufgeregt und behaupteten, er treibe Zauberei.

Eigentümliche Gebräuche mit religiösem Beiwerk konnte man bei der Totenbestattung beobachten, namentlich wenn ein angesehener Mann starb. Die Gräber der Häuptlinge wurden mit einem mächtigen Dornzaun umgeben, dass niemand hinzu konnte. An den umstehenden Bäumen fanden sich zuweilen 10bis 14 Paar Hörner von Ochsen, die am Grabe geopfert waren. Kann der Stamm nach einiger Zeit wieder an die Stelle, so ward von neuem Vieh geschlachtet; der Sohn des Häuptlings brachte dann ein Opfer von Milch und fragte dabei den Toten über wichtige Stammesangelegenheiten um Rat.

Neben vielen albernen Spukgeschichten fanden die Missionare auch etwas Edleres, das sie an eine Sitte der alten Griechen erinnerte, das heilige Feuer. Dasselbe brennt entweder auf der Opferstelle oder im Hause der Frau des Häuptlings, deren Tochter Besorgerin dieses Feuers ist. Wenn der Stamm weiterzieht, wie es bei den nomadisierenden Herero oft geschieht, trägt sie es in der Nähe der Ochsen. Überfällt sie unterwegs ein Regen, so wird schnell ein Schirm von Fellen gemacht, damit die heilige Flamme nicht verlöscht. Geschieht das doch einmal, so versammelt der Häuptling alle Viehposten und entzündet das Feuer durch Reiben zweier Stöcke aufs neue. Zieht ein Teil des Stammes der Weide wegen weiter, so gibt der Häuptling ihnen etwas vom heiligen Feuer mit.

Anfangs wohnten die Missionare ganz allein auf Neu-Barmen. Als ihre Station aber bekannter geworden war und ihr Bleiben außer Frage stand, kamen arme Leute und siedelten sich bei den Brüdern an. Die Missionare teilten ihnen das günstig gelegene Land im Flusstal zu und gaben ihnen Anweisung, wie Gärten anzulegen wären. Sie hatten die Freude, den Besitzstand ihrer Pfleglinge bald wachsen zu sehen. Die, welche vor ein paar Jahren nichts besassen und verstanden, als wilde Wurzeln zu graben, Honig und Heuschrecken zu suchen, nannten nun schon mehrere hundert Stück Vieh ihr Eigen und gaben sich grosse Mühe mit ihren Gärten, die sie meist zweimal täglich begießen mussten, da nur wenige so lagen, dass das Wasser aus der Quelle hingeleitet werden konnte. So gewann die Station von Jahr zu Jahr an Ansehen. Auch die wohlhabenderen Nomaden würdigten Neu-Barmen hin und wieder ihres Besuchs. Sie trieben ihre großen Viehherden über den Platz, um den weissen Häuptling (Hahn) zu begrüßen. So. sehr sich der Missionar auch sträubte, diese Würde in Anspruch zu nehmen, er war in den Augen der Eingeborenen der Eigentümer des Platzes, und die Anwohner galten als seine Untergebenen. Weil es nun auf Hahns Platz immer so ordentlich zuging, entstand allmählich ein förmlicher Marktverkehr. Die umherschweifenden Stämme gaben sich hier ein Stelldichein, tauschten ihre Jagdbeute, Tabak oder Eisengeräte gegen einander aus, handelten auch mit den Missionaren, die ihren Fleischbedarf von ihnen kauften. Kurz, Neu-Barmen ward mehr und mehr ein öffentlicher und berühmter Platz.

Im Geistlichen ging es natürlich nicht so schnell vorwärts. Aber es waren doch auch in dieser Hinsicht kleine Fortschritte zu verzeichnen. Hahn hatte eine kleine Kirche gebaut, in der sich die Bewohner des Platzes regelmäßig versammelten. Es kamen dabei freilich zuweilen Szenen vor, die mit unsern Begriffen von Weihe und Andacht schwer vereinbar sind. Als man einst zur Abendandacht versammelt war, rief einer der Anwesenden laut: "Kambanja (so hieß der Hirte der Missionare), das Rindvieh ist gekommen!" Ein andres Mal kam während der Predigt eine Anzahl Frauen, die krochen auf allen Vieren herein und setzten sich mit dem Rücken gegen den Prediger nieder. Damit wollten sie ihre große Schamhaftigkeit beweisen. Es ging also mühsam und bescheiden vorwärts. Aber es ging doch vorwärts. Als Ostern 1849 noch ein dritter Missionar, Kolbe, ihnen zu Hilfe kam, konnten die zuerst gekommenen bereits daran denken, einige Spracharbeiten niederzuschreiben und sich an kleine Übersetzungen zu wagen. Sie hatten einzelne Teile der heiligen Schrift übersetzt und die ersten Lehrbüchlein zusammengestellt. Da die Missionsleitung ihnen eine kleine Druckerpresse schickte, konnte man sie an Ort und Stelle vervielfältigen. Kolbe versuchte sich sogar als Dichter und lieferte eine kleine Sammlung christlicher Hererolieder.

Die erste Taufe bildet jedes Mal einen wichtigen Abschnitt in der Entwickelung eines neuen Missionsunternehmens. Sie ließ in Neu-Barmen lange auf sich warten. Im Mai 1849 ward das Sakrament zum ersten Male hier gespendet. Der es aber empfing, war kein Herero, sondern ein Mann von Kommaggas, den Kolbe als Wagentreiber mitgebracht hatte. Die Ortsbewohner waren noch nicht reif und die Missionare dachten nicht daran, Leute ohne die rechte christliche Erkenntnis ans Taufwasser zu führen.

Was in diesen letzten Jahren geschehen war, konnte man als den ersten Schimmer der kommenden Morgenröte ansehen. Leider sollte es noch auf lange hinaus zu keinem Sonnenaufgang kommen. Von Windhuk her türmten sich furchtbare Wetterwolken auf. Bis 1844 bezeichneten die Missionare Jonker Afrikaner immer noch als ihren lieben frommen Capitän, von nun an aber erscheint er in ihren Berichten als Wüterich und Geißel des Landes. Seit dem Abzug der Barmer Brüder von Windhuk ging es Schritt für Schritt rückwärts mit ihm. Hatte er bis dahin seine Ehre darein gesetzt, an seinem Wohnplatz Kirche und Schule zu haben und selbst gelegentlich als Lehrer seiner Leute zu wirken, so fing er nun an, sich religiösen Einflüssen zu verschließen. Der Umschwung datiert von einer Reise nach Walfischbai, die er in Gesellschaft eines weißen Händlers unternahm. Mit letzterem war der Vertreter einer Menschenklasse auf dem Schauplatz unserer Geschichte erschienen, die von jener Zeit bis zum heutigen Tage sehr viel Unheil über Südwestafrika gebracht hat. Jonker erkannte bald, dass er durch die europäischen Kaufleute seine Herrschaft über das Land wesentlich befestigen konnte. Sie brachten ihm für seine fetten Ochsen und Schaft' eine bessere Bewaffnung: Gewehre. Pulver und Blei. Er wusste schon dafür zu sorgen, dass die Herero und Bergdamra nichts von diesen wertvollen Neuigkeiten in die Hände bekamen. Der Verkehr mit den Handelsleuten blieb sein Monopol. So war er denn bald mit den aus der Kapkolonie importierten Pferden und Feuerwaffen den nackten Schwarzen überlegen. Ihre Spieße und Pfeile brauchte er nicht mehr zu fürchten, und auch ihre große Körperkraft half ihnen nichts mehr.

Damit war die Friedenszeit am Swakop vorbei. Den Anstoß zum Wiederausbruch der Feindseligkeiten gegen die Herero gab die Ankunft eines Händlers, dem Jonker eine bedeutende Summe schuldete. Gleichzeitig mit ihm kamen Gesandte eines Hererostammes, die sich über die Gewalttätigkeiten eines anderen Häuptlings beklagten. Jonker konnte nach einigem Zaudern nicht widerstehen, eine Probe seiner Überlegenheit abzulegen. Er hatte es auf den angeklagten Häuptling abgesehen. Der floh aber, als er vom Nahen des mächtigen Capitäns hörte. Verdrossen setzte dieser seinen Weg fort und stieß dabei auf einen Hererostamm, der in vollem Frieden lebte und eben mit dem Melken seiner Herde beschäftigt war. Er überfiel die Leute, die nichts arges dachten und vor Schrecken ihre Tiere im Stich ließen. Letztere ließ Jonker von seinen Knechten wegtreiben, er selbst setzte hinter den Flüchtlingen her. Die Männer wurden niedergemetzelt, Frauen und Kinder zu Gefangenen gemacht. Mit Beute beladen zog der Gewaltmensch heim. Unterwegs traf er auf zwei andere Stämme, griff sie gleichfalls an und nahm ihnen ihre Herden weg. Gleich auf der Wahlstatt wurde die Beute geteilt; es mochten im Ganzen 4.000 Stück Groß- und Kleinvieh sein. Der Händler nahm gewissenloser Weise das vor seinen Augen geraubte Vieh, als Bezahlung seiner Schuld und ging seiner Wege. Jonker aber. in dem die alte Räubernatur erwacht war, suchte Gelegenheit zu neuen Gewalttaten. Er hörte dass an der Meeresküste drunten ein Schiff gescheitert war und wollte sich das Strandgut sichern. Dasselbe war aber für ihn unerreichbar, so dass er mit leeren Händen den Rückweg antreten musste. Da wurde ihm in der Nähe einiger Hererodörfer etliches Vieh gestohlen. Er ließ den Häuptling rufen, nahm ihn mit erheuchelter Freundschaft auf und nötigte ihn, in seinem Lager zu schlafen. In der Nacht ermordeten sie den Gast. Der wischte sich sterbend das Blut aus dem Gesicht, wandte sich nach Jonker um und sagte:

"Es wird dir dafür nicht gut gehen, wirst keinen Segen haben von meinem Vieh, um dessen willen du mich ermorden lässt, ohne mich noch einmal meine Weiber und meine Kinder sehen zu lassen".

Jonker zog darauf weiter, das geraubte Vieh folgte ihm, aber der Fluch des ermordeten Häuptlings auch.

Wie wir oben sahen, war in Windhuk ein Methodist als Seelsorger an die Stelle der Rheinischen Missionare getreten; er hatte aber keinen rechten Einfluss auf den Capitän erlangt und war wieder abgezogen, als Jonker sein unchristliches Leben begann. Nun hielt es Hahn für seine Pflicht, dem Wüterich ins Gewissen zu reden. Er erreichte auch bei persönlichem Vorsprechen eine vorübergehende Dämpfung seiner Kriegsgelüste, aber sobald der seelsorgerliche Mahner den Rücken gekehrt hatte, schlug Jonker seine Versprechungen wieder in den Wind. Die Vermittelungsversuche des Missionars scheinen sogar dazu geführt zu haben, dass seine Station nicht mehr wie bisher als neutraler Boden angesehen wurde. Es kam vor, dass die wilden Horden auch durch Neu-Barmen zogen und hier Schaden anrichteten. Infolgedessen begaben sich diejenigen Herero, die noch etwas zu verlieren hatten, weg; nur das arme Volk blieb da. Den Boten des Friedens ward das Herz immer schwerer, wenn sie in die zunehmende Feindseligkeit ihrer Umgebung hineinsahen. Auf der einen Seite drohte das Lager Jonkers, zu dem sich allerhand raublustige Hottentottenführer gesellten; auf der andern der Hererohäuptling Kahitjene, sein stärkster Widerpart. Die Missionsstation lag mitten zwischen beiden. Wenn das Unwetter zum vollen Ausbruch kam, war die christliche Niederlassung in der größten Gefahr. Und das Gewitter brach wirklich los. Jonker und seine Spießgesellen begannen ein wildes Jagen und Treiben nach Norden hin. Der ehemals christliche Capitän voran, neben ihm heidnische Namaführer, hinter ihnen drein Christen und Heiden, so wirbelte die wilde Rotte Verderben bringend durch das Land. Die Herero aber waren nicht nur die Gejagten und Beraubten. Wenn ihr gemeinsamer Feind einmal in andern, Gegenden beschäftigt war, wandten sich die einzelnen Hererohäuptlinge wider einander und plünderten in ihrer Nachbarschaft. Kurz, es entbrannte ein Krieg aller gegen alle. In diese Zeit der Verwirrung (es war im August 1850) fiel die Verwüstung der Missionsstation Okahandja, die als Absenker von Neu-Barmen kurz vorher angelegt war. Es kam hier zu einem Zusammenstoß zwischen Jonker und Kahitjene. Letzterer hatte sich hinter den Steinmauern der kleinen Kirche festgesetzt und eine Zeit lang Jonkers Ansturm ausgehalten. Zuletzt entwich er vor der Übermacht und entkam glücklich. Aus Wut darüber fiel das Raubgesindel des Capitäns über die Stationsleute her, zerstörte, plünderte alles, schnitt den Kindern und Frauen zum Spaß Hände und Füße ab, schlitzte ihnen den Leib auf und verübte weitere unsagbare Gräuel. Den Missionar Kolbe selbst wagte die wilde Rotte zwar nicht anzutasten, aber die Begegnung mit dem trunkenen Räuberhauptmann ließ keinen Zweifel, dass für ihn nichts anderes übrig blieb, als die Flucht nach Neu-Barmen. Die furchtbaren Ereignisse des Überfalls hatten einen so entsetzlichen Eindruck auf den jungen Missionar gemacht, dass er nicht länger unter dem rohen Volke bleiben mochte. Er ist bald darauf aus dem Lande gegangen und hat sich einen andern Wirkungskreis gesucht.

Der Schauplatz von Jonkers Schandtaten glich nun einem großen Kirchhof. Allerorten bleichten die Gebeine der Herero. ln den Felsklüften und auf den Bergen. Hier und da fand sich ein Häuflein halbverhungerter Schwarzer, die scheu durch die Einöde zogen und niemandem trauten, der ihnen begegnete. Tausende waren verhungert, hingemordet oder in ihren Hütten verbrannt. Unzähligen Frauen waren Hände und Füße abgehackt wegen der eisernen und kupfernen Ringe, die sie an Armen und Beinen trugen. Das einst so zahlreiche Volk schien am Aussterben zu sein.

Hahn sah die mühsam errungenen Anfänge wieder in nichts zusammensinken. Es schien ganz unmöglich, unter den gegenwärtigen Verhältnissen Mission zu treiben. So beschloss er, in die Heimat zu reisen, um mit den Leitern der Missionsgesellschaft zu beraten, wie und wo das gestörte Werk fortgesetzt werden sollte. Nachdem er dem eben angekommenen jungen Missionar Schönberg die Station übergeben, reiste er ab. Bevor er jedoch nach Europa fuhr, wollte er noch einen letzten Versuch bei Jonker machen. Er kehrte wieder um, suchte ihn auf und machte ihm freundschaftliche Vorstellungen, stellte auch seine baldige Rückkehr in Aussicht. Der ganz verwilderte Capitän wollte aber nichts von ihm wissen. Er wolle eher sterben und verderben, als nochmals einen Missionar bei sich aufnehmen, war seine trotzige Antwort. Tiefbetrübt zog der Glaubensbote, der einst einen so vielversprechenden Eingang bei ihm in Windhuk gefunden hatte, von dannen. Es war im Jahre 1853, gerade 10 Jahre, nachdem er ins Hereroland gekommen war.

Wer nur nach äußerlichen Erfolgen fragt, mag dieses Jahrzehnt als verlorene Zeit ansehen. Dem Tieferblickenden aber zeigt die Folgezeit, dass auch diese harte Pfadfinderarbeit nicht vergeblich gewesen ist.

Inhaltsverzeichnis


Eine Oase in der Wildnis

Im Januar 1864 landete ein Schiff in der Walfischbai, dessen Insassen für einige Wochen eine lebhafte Bewegung in den aufstrebenden Küstenplatz brachten. Es war eine große von Hugo Hahn geführte Reisegesellschaft der Rheinischen Mission. Der Pfadfinder der Hereromission4) hatte sich bei seiner mühsamen Tätigkeit in Neu-Barmen überzeugt, dass auf dem bisher von der Mission eingeschlagenen Wege an das Hererovolk nicht heranzukommen war. wenigstens unter den derzeitigen Verhältnissen. Nicht nur das wilde Kriegsgetümmel, auch das unstete Umherziehen der Nomaden ließ es zu keiner rechten Missionsarbeit kommen. Darum hatte er einen neuen Plan für die Christianisierung des Hererolandes ersonnen und den Vorstand der Missionsgesellschaft in Barmen dafür gewonnen. Man sollte versuchen, das Volk zunächst sesshaft zu machen und an einem mit den Kulturmitteln des christlichen Europa ausgestatteten Platze in Werken des Friedens zu üben. Hahn selbst übernahm die Ausführung. Er brachte neben einer Anzahl neuer Missionskräfte vier Kolonistenbrüder aus der Heimat mit, die ihm bei Anlegung der geplanten Ackerbau- und Handwerkerkolonie behilflich sein sollten.

Die Ankömmlinge wurden von den wenigen noch im Lande anwesenden Missionaren aufs freudigste begrüßt und gingen mit der Begeisterung, die den Angriff eines neuen Werkes zu begleiten pflegt, an die Arbeit. Der Schmied Hälbich und der Wagenbauer Tamm legten gleich in der Walfischbai die ersten Proben ihrer Kunst ab. Es galt, die Wagenzüge nach dem Innern instand zu setzen. Der größte Teil der Reisenden schlug die Richtung nach Windhuk ein. Es waren sechs Wagen, jeder mit 14 Ochsen bespannt. Wegen des tiefen, losen Sandes kam man in der an der Meeresküste sich hinziehenden Dünenzone nur langsam vorwärts. Die Kolonisten lernten dabei gleich den Schauplatz ihrer künftigen Wirksamkeit von der am wenigsten einladenden Seite kennen. Aber ihr erfahrener Führer vertröstete sie auf die besseren Verhältnisse im Innern des Landes und brachte sie glücklich an ihr Ziel, nach Otjimbingue. Der Ort liegt schon in ziemlicher Höhe, auf halbem Wege zwischen Walfischbai und Windhuk. Ein weiterer Vorzug ist seine Lage im Tal des Swakop.

Otjimbingue erscheint seit Mitte 1849 in den Barmer Missionsblättern. Der uns schon bekannte Missionar Joh. Rath legte in diesem Jahre die erste christliche Niederlassung dort an. Ein überaus bescheidener Anfang. Seine ärmliche Wohnstätte war ganz nach Art der Pontoks, d. i. Eingeborenenhütten gebaut. Sie hatte die Form eines Bienenkorbs und war in der Mitte sechs Fuß hoch, der Umkreis am Boden 50 - 60 Fuß. Über ein leichtes Gerüst waren Matten gedeckt. Ein Fenster war nicht darin. Das Licht drang teils durch das Deckmaterial, teils durch die als Eingang dienende Öffnung, die bei Nacht mit einer Matte verhängt ward. Neben diesem "Missionshause" erstand ein aus Rohr erbautes Kirchlein, das an Schönheit und Wetterfestigkeit ungefähr mit dem Wohnhause wetteifern konnte. Nicht weit davon lagen die Hütten der armen Herero, die sich nach und nach dem Missionar anschlossen. Das erste Jahrzehnt dieses Platzes verlief vielleicht noch stürmischer als die Anfangsgeschichte des weiter oben im Swakoptale liegenden Neu-Barmen. Der Kampf der Nama gegen die Herero tobte auch hier. Rath musste mehr als einmal den Ort verlassen. Zuletzt kam eine so schwere Heimsuchung über ihn. dass er darunter fast erlag. Er war mit seiner Familie nach Kapstadt gereist, um für die ältesten Töchter dort eine bessere Erziehung zu suchen. Zur Rückreise benutzte er den Seeweg bis zur Walfischbai. Das Schiff, auf dem er mit Frau und Kindern fuhr, war in der Hand gewissenloser Leute, die es jedenfalls darauf anlegten, durch eine absichtlich herbeigeführte Strandung die Versicherungssumme des Fahrzeugs herauszuschlagen. Kurz vor seinem Bestimmungshafen ließ man es bei Nacht auflaufen. Die Besatzung rettete sich ohne Schwierigkeiten. Der Missionar aber wusste sich in der Finsternis nicht zu helfen. Als er aus seinem dürftigen Schlafraum kroch, schlugen schon die Brandungswellen über das Schiff. Was sollte er in dieser verzweifelten Lage mit den Seinigen anfangen? Seine Frau und vier kleine Kinder fanden unmittelbar neben ihm den Tod im Wasser. Ihm selbst schwand zuletzt auch die Besinnung. Wie durch ein Wunder blieb er am Leben und wurde gerettet. In welcher Gemütsverfassung er ans Land und später auf seine vereinsamte Station zurückkam, kann man sich denken. Er hielt es nicht lange mehr in Otjimbingue aus und hat sich dann ein neues Arbeitsfeld in der Kapkolonie gesucht. An seine Stelle trat, wenigstens zeitweilig, Kleinschmidt von Rehoboth. Er war es, der bei Beginn der sechziger Jahre mit unerschütterlichem Glaubensmut das schwer, gefährdete Missionswerk am Swakop vor der Preisgabe bewahrte. Da ihm gerade kein weiterer Missionar zur Seite stand, suchte er beide Stationen zu versorgen, und eilte zwischen Rehoboth und Otjimbingue hin und her. Im August 1861 hörte er, dass Jonker Afrikaner in Okahandja dem Tode nahe sei. Er wollte ihm noch einmal ins Gewissen reden. Leider gelang es dem treuen Seelsorger nicht, den abtrünnigen Mann zur Buße zu rufen. Dieser starb in Herzenshärtigkeit und ohne Glauben. Der Fluch des Hererovolkes, dem er so viele Wunden geschlagen, folgte ihm. Sein Grab ward bald von den weidenden Rindern zertreten. Von den Wirren, die seinem Tode folgten, ward auch Otjimbingue wieder in Mitleidenschaft gezogen. Selbst Kleinschmidt, dessen Gesundheit unter den Entbehrungen der Kriegszeit zu leiden anfing, mochte an der Zukunft der Hereromission irre werden. Da kam gerade zu rechter Zeit der junge Missionar Brincker in Otjimbingue an. Kleinschmidt konnte ihn eben noch in die Arbeit einführen, dann war sein Tagewerk vollendet. Er starb 1864 an den Folgen einer aufregenden Flucht aus Rehoboth, wo wieder einmal eine Räuberbande alles verwüstete. Inzwischen war jedoch H. Hahn zurückgekehrt, um der Mission einen neuen Aufschwung zu geben.

Der Einzug der Kolonistenbrüder in Otjimbingue brachte tatsächlich neues Leben in den Platz und seine Umgebung. Sie gingen rüstig ans Werk, errichteten nach Europäerstil gebaute Häuser und nahmen das günstig gelegene Land unter Kultur. Alles, was unter ihren emsigen Händen entstand, erregte die Bewunderung der Eingeborenen. Die Missionsstation ward zu einer Berühmtheit im Lande. Wollten die Häuptlinge oder die in besseren Verhältnissen lebenden Christen für ihre nach europäischer Art zu bauenden Häuser Türen, Fenster u. dergl. haben, so mussten sie sich die Hilfe der Missions-Handwerker sichern. Auch der Büchsenmacher war ein von allen geschätzter Freund, dem es nie an Aufträgen gebrach. Ebenso der Stellmacher und Wagenbauer. Selbst für den Anbau des Landes ließen sich manche Herero gewinnen. Sie legten Gärten an und begannen im Flussbett zu pflügen und zu säen; kurz, es war, als ob mit der Begründung der kleinen christlichen Kolonie ein neuer Geist in das stumpfe Nomadenvolk gefahren wäre. Hahn berichtete nach einigen Jahren, dass die Eingeborenen zu Otjimbingue mehrere hundert Scheffel Weizen aus ihren Flussgärten ernten könnten. Den Gesamteindruck des Ortes schildert ein neuer Ankömmling, der junge Missionar Viehe. im Jahre 1867 mit folgenden Worten:

"Otjimbingue ist ein besonders belebter Ort. Man sieht sofort, dass es die Metropole des Landes ist. Die vielen Bewohner fangen zum Teil schon an, Häuser von Ziegelsteinen zu bauen. Sonst aber tragen sie noch ganz das Gepräge wilder Heiden. Ihr Eindruck ist mir jedoch viel wohltuender, als der der andern Farbigen, die ich bisher gesehen habe, und der Gedanke liegt nicht so fern, dass sich hier ein wirkliches Volkskirchentum und Volkschristentum anbahnen könnte. Wenn ich das ganze Volt hier sehe, so muss ich sagen, meine Erwartungen sind mehr als befriedigt".

Das alles lag ganz in der Richtung der Hahn'schen Pläne. Die von ihm mitgebrachten und andre in den folgenden Jahren nachgesandte Kolonisten haben tatsächlich als die Lehrmeister der Eingeborenen gewirkt. Gleichwohl hat die Kolonie keine größeren Dimensionen angenommen. Neben klimatischen Schwierigkeiten, die dem Landbau sehr enge Grenzen zogen, war die nicht zur Ruhe kommende Kriegsfurie das Haupthindernis. Otjimbingue selbst ward mehrfach bestürmt, namentlich von den unter dem "großen Capitän" Hendrik Zes stehen Nama. Hugo Hahn musste dabei sogar selbst einmal den Platzkommandanten spielen, um seine Ansiedelung nicht vernichten zu lassen. Die Herero zeigten im Allgemeinen auch wenig Neigung und Begabung, ein Handwerk zu erlernen. Dagegen gedieh ein andrer Zweig des kolonisatorischen Unternehmens aufs beste, der Handel. Die Handwerksstätten verwandelten sich mit der Zeit in Kaufläden, die Handwerksbrüder in Rechnungsführer oder Händler; es hielt nicht schwer, für Ketten, Eisenwaren und andre nützliche europäische Fabrikate die Erzeugnisse des Landes, wie Straußenfedern, Elephantenzähne, Felle, Rinder usw. einzutauschen. Die Missionare sahen diesen Geschäftszweig nicht ungern, weil er einen hohen Beitrag zu den immer wachsenden Kosten ihrer Stationen lieferte. Aber die Missionsgesellschaft in Barmen erblickte darin eine Gefährdung des geistlichen Charakters der Mission. Sie zog sich ganz von dem Geschäft zurück und überließ es der im Jahre 1870 ins Leben gerufenen Wuppertaler Missionshandelsgesellschaft, die sich als ein selbstständiges, rein kaufmännisches Unternehmen darstellte und nur insofern einen Zusammenhang mit der Missionsgesellschaft behielt, als ein Teil ihres Reinertrags in die Missionskasse floss. Es wurde übrigens nach wie vor darüber gewacht, dass nur Männer mit christlichen Anschauungen und vorbildlichem Wandel, in dieses Unternehmen eintraten, das sich in der Folgezeit über das ganze Nama- und Hereroland ausbreitete. Dass heute neben gewissen übelbeleumundeten Händlern und Kolonisten, aus deren Gebaren der Hereroaufstand wesentlich mit zurückzuführen ist, auch manche durchaus ehrenwerte Kolonisten im Lande wohnen, ist vor allem auf diese erste deutsche Kolonisationsperiode in Südwestafrika zurückzuführen. Einige der bekanntesten Familien tragen noch jetzt die Namen der Kolonistenbrüder aus Hahns Zeit. Wenn sich nun auch im Laufe der Jahre herausgestellt hat, dass die zivilisatorischen Bestrebungen von Otjimbingue nicht die daran geknüpften weitgehenden Missions-Hoffnungen erfüllt haben, so hat die regelmäßig von vielen Europäern besetzte Station doch zu jener Zeit eine große Bedeutung für die andern Missionsniederlassungen im Lande gehabt. Sie diente oft als Zufluchtsstätte der Missionsgeschwister, die sich bei den fortdauernden Kriegswirren auf ihren Stationen nicht halten konnten. "Wäre dieser Hafen nicht gewesen", heißt es in einem Bericht, "wir wären sicherlich wie Spreu in den Stürmen weggefegt worden, und schwerlich gäbe es heute eine Herero-Mission."

Es dürfte hier ein Hinweis auf die damalige Ausbreitung der Rheinischen Mission im Hererolande am Platze sein. In erster Linie war das Swakoptal besetzt. An das im Mittellauf des Flusses gelegene Otjimbingue reihten sich weiter oben Neu-Barmen (Otjikango) und Schmelens Hoffnung (Okahandja) an. Diese drei Stationen bestanden bereits im Jahre 1870, wo als vierte Omaruru besetzt wurde. Im Lauf der nächsten sechs Jahre kamen ebenso viele neue hinzu. In der Reihenfolge ihres Entstehens Otjosazu unweit Okahandja, Otjizeva zwischen Neu-Barmen und Windhuk, Otjozondjupa (Waterberg) als nördlichster Vorposten und Omburo nicht weit von Omaruru. Unter den Nama, um das hier nebenbei zu erwähnen, hatten sich an die uns schon bekannten alten Niederlassungen Bethanien und Rehoboth bis 1866 folgende neue angereiht: Berseba, Gibeon, Hoachanas und Gobabis, sowie das in der Nähe der Walfischbai liegende uns schon bekannte Scheppmannsdorf. Ende der sechziger Jahre kamen noch Keetmanshoop und Warmbad hinzu. Letzteres ward von den Wesleyanern übernommen. Im Jahre 1870 ward auch Windhuk wieder besetzt.

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Rehoboth 1871

Hatten die Berichte aus Otjimbingue in den Anfangsjahren die Kulturbestrebungen in den Vordergrund gestellt, so betonten die späteren mehr die geistliche Seite der dort geleisteten Arbeit. Predigt und Schulunterricht nahmen den größten Teil von Hahns Zeit und Arbeitskraft in Anspruch, zumal da hier an der Grenze des Nama- und Hererolandes mehrere Sprachen in Frage kamen. An Zuzüglern fehlte es der Station nicht, bald meldeten sich auch Taufbewerber in größerer Zahl. Hahn hätte ihrer viel mehr zum Taufbecken führen können, wenn er nicht bei manchen Bedenken gegen ihr Verständnis und die Lauterkeit ihrer Wünsche gehabt hätte. Auch die Besorgnis wegen ihres wankelmütigen Charakters legte ihm Zurückhaltung auf. Der Schulunterricht ließ sich ebenfalls gut an. Unter den besseren Schülern befand sich der Älteste Sohn des Hererohäuptlings Kamaharero und ein zweites von dessen Kindern. Ihr Vater wünschte sehr, Hahn sollte die beiden ganz in sein Haus nehmen, was aber zunächst nicht möglich war. Die Schule hatte auch sonst Zulauf, nur ließen es die Kinder am regelmäßigen Schulbesuch fehlen, und ihre Eltern wussten den Wert des Unterrichts noch wenig zu schätzen. Das Viehhüten schien ihnen wichtiger zu sein. Unter den Hilfskräften, die dem Missionar in der Schule zur Seite standen, wird schon 1865 ein getauftes Hereromädchen Magdalene erwähnt. Bald darauf rief Hahn eine Anstalt ins Leben, die für die weitere Entwickelung der Mission von größter Bedeutung zu werden versprach: die Gehilfenschule von Otjimbingue, in der Regel kurz das Augustineum genannt. Es war ihm dabei in erster Linie um tüchtige Lehrer zu tun. Wie es aber im Anfangsstadium einer Mission immer der Fall ist, die hier ausgebildeten Eingeborenen, die meist schon in reiferem Alter standen, wirkten zugleich als Evangelisten unter ihrem Volke. Man sandte sie je zwei nach verschiedenen Richtungen aus und konnte mit ihren Erfolgen recht zufrieden sein. Die Herero haben eine gute natürliche Anlage zu freier Rede; das kam ihnen hierbei zu statten. Bezeichnend für die Schwachheit, deren sich diese Anfänger selbst bewusst waren, ist ihr Verlangen, dass sie zu solchen Predigtreisen stets ihre Frauen mitnehmen dürften, denn, sagten sie, "für Männer allein ist es zu gefährlich, unter die Heiden zu gehen, weil diese es darauf anlegen, sie durch heidnische Weiber verführen zu lassen". Dieser Mangel an Charakterfestigkeit ist übrigens bis heute noch nicht überwunden. Das 1867 gegründete Augustineum hat eine nicht unbedeutende Zahl eingeborener Gehilfen geliefert, aber die Missionare haben, noch keinem die Ordination zu erteilen gewagt. In andern afrikanischen Missionen gewinnt man in der Regel viel früher tüchtige eingeborene Pastoren.

Wie oben erwähnt, galt Otjimbingue als der sehenswerteste, wichtigste Platz im ganzen Lande. Es zeichnete sich aber auch in kirchlicher und moralischer Hinsicht aus. Die Bewohner hielten den Sonntag und waren regelmäßige Kirchenbesucher, selbst bei Nebengottesdiensten und Bibelstunden. Wenn ein weißer Händler, von denen viele hier sesshaft wurden, den Sonntag nicht hielt, erklärten sie ihn für ärger als einen Heiden; denn auch die umwohnenden Heiden fingen an, den Sonntag zu feiern, Leute, die in größerer Entfernung von der Station wohnten, legten sich Kerbstücke an, um ja den siebenten Tag nicht zu vergessen. Die Christen sagten sich ferner von Vielweiberei und Unzucht los und sorgten durch gegenseitige Überwachung für rücksichtslose Bestrafung etwaiger Fehltritte. Ihre neue Gesinnung sollte auch im Äußerlichen zum Ausdruck kommen, z. B. in der Kleidung. Sie legten allgemein das schmierige Nationalkostüm ab und nahmen dafür europäische Kleider an. Bei den Frauen ging es damit langsamer als bei den Männern, die vielfach schon als Heiden zur neuen Tracht übergingen, falls sie auf der Station wohnten. Wenn aber der Missionar eine Frau zum ersten Male in europäischen Kleibern umhergehen sah, konnte er mit Bestimmtheit darauf rechnen, dass sie sich nächstens zum Taufunterricht melden würde. Unter den Christen bürgerte sich nach und nach die Sitte der Morgen- und Abendandacht ein, wobei der Hausvater einen Schriftabschnitt las und ein Gebet sprach. Dabei kamen auch mehr und mehr christliche Lieder in Brauch, Die Leute hatten eine Freude daran, die Übersetzungen deutscher Choräle mehrstimmig einzuüben und in ihren Hütten zu singen. Man fand auch überall in den christlichen Häusern den Katechismus und ein Buch mit biblischen Geschichten, Ja, wenn ein christlicher Mann auf Reisen ging, führte er diese Bücher, obwohl er ihren Inhalt meist auswendig kannte, mit sich, wodurch die Anfänge des Christentums bis in die fernsten Teile des Landes getragen wurden. Die Herero, über deren Geiz und Habgier die ersten Missionare so bittere Klage geführt hatten, wurden jetzt bereits zu christlicher Opferwilligkeit erzogen. Der Gotteskasten an der Kirchtür von Okahandja brachte jährlich 600 - 900 Mark ein. Auch sonst steuerten die Leute für kirchliche Zwecke gern bei, namentlich wenn sie Naturalien bringen durften, wie Vieh oder den Ertrag ihrer Gärten und der Jagd.

Diese aus dem Anfang der 70er Jahre stammende Schilderung beweist, dass schon damals ein hoffnungsvoller Anfang mit der Hereromission gemacht war. Welche Freude mochte Hugo Hahns Herz bewegen, wenn er die hier zutage tretenden Erfolge mit der schwierigen Pionierarbeit in Neu-Barmen verglich.

Der wackere Mann hatte übrigens um diese Zeit noch einen andern namhaften Erfolg zu verzeichnen. Durch seine Vermittelung kam der berühmte Friede von Okahandja zustande. Jonker Afrikaner war, wie wir sahen, gestorben, aber das Geschlecht der Afrikaner, ihre Raublust und die Erbfeindschaft gegen die Herero war geblieben. Seine Nachfolger Christian und Jan hatten allerdings nicht mehr die großen Erfolge ihres berüchtigten Vorfahren aufzuweisen und traten auch vor den eigentlichen Namacapitänen, von denen wir im nächsten Abschnitt einen genauer kennen lernen werden, nicht mehr so stark hervor. Auf der andern Seite waren die von Jonker immer gehetzten und ausgeraubten Herero stärker und selbstbewusster geworden. Ihr Oberhäuptling Kamaharero, der in seiner Jugendzeit in der Umgebung Jonkers gelebt und bei ihm seine ersten Kenntnisse der Kriegsführung mit Feuerwaffen erworben hatte, wusste ihre Streitkräfte zu sammeln. So standen sich die beiden Gegner jetzt etwa gleichstark gegenüber, und wir haben auf den letzten Seiten gelegentlich ihrer Überfälle und Beutezüge Erwähnung getan. Die Feindseligkeiten wären wohl ohne Aufhören fortgegangen, wenn nicht die Ausbreitung des Christentums im Lande allmählich einen Umschwung der Anschauungen und Sitten herbeigeführt hätte. Durch die christlichen Namahäuptlinge im Süden des jetzigen deutschen Gebiets ward der Gedanke eines Friedensschlusses angeregt, worauf sich die Missionare, namentlich der hochangesehene und beliebte H. Hahn, als Vermittler anboten. Sie brachten in Okahandja eine große Versammlung zustande. Es war im Spätsommer 1870, zu derselben Zeit, wo der deutsch-französische Krieg ganz Europa in Atem hielt. Der Fürsprache der Missionare hatte es die Afrikanersippe zu danken, dass sie ihren von Jonker angelegten Hauptsitz Windhuk behalten durfte, um ihre Viehherden in Frieden neben denen der Herero zu weiden. Als Zeichen ihrer guten Gesinnung nahmen sie den erfahrenen Namamissionar Schröder bei sich auf, so dass Windhuk, das einst die erste Missionsniederlassung in dieser Gegend aufzuweisen hatte, von jetzt ab wieder in der Liste der Rheinischen Stationen erscheint.

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Kirche von Okahandja erbaut 1870

Hahn verließ einige Jahre nach dem Frieden von Okahandja seine Station Otjimbingue und damit das Missionsfeld. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und der Missionsleitung in Barmen über die obenerwähnte Handelsgesellschaft veranlasste ihn, seinen Abschied zu nehmen, was übrigens in voller Freundschaft geschah. Er übernahm ein geistliches Amt in der Kapkolonie. Dort ist er mit kurzen Unterbrechungen bis zu seinem im Jahre 1895 erfolgten Tode geblieben. Sein Name verdient einen Ehrenplatz unter den Pionieren des Christentums und des Deutschtums in Deutsch-Südwestafrika.

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Hendrik Witbooi

Die Nama-Mission hat eine wesentlich andere Entwickelung gehabt als die unter den Herero. Das ist hauptsächlich im verschiedenen Volkscharakter begründet. Die Nama sind ein leicht bewegliches Volk. Wer sie zu fassen versteht, kann schnelle Erfolge erzielen. Schwelen, Kleinschmidt und ihre Nachfolger haben bei ihnen ohne Schwierigkeiten Eingang gefunden. Nach ihren Berichten konnte es scheinen, als würde die Christianisierung des Landes das Werk einiger Jahrzehnte sein. Aber bald kamen empfindliche Rückschläge. Einer der ersten Missionare, der sich zu dauernder Wirksamkeit in Bethanien niederließ, war Knudsen! Wie fühlte sich der Mann gehoben, wenn er die Scharen seiner Kirchgänger oder die Menge der Taufbewerber ansah; wenn er in der Einzelseelsorge tiefere Blicke in das Gebetsleben oder die Sündenbekenntnisse seiner Christen tat! Ähnliches findet sich auch in den Erstlingsberichten des Missionars Olpp aus Gibeon wieder. Aber fast unvermittelt neben den Lichtseiten lag tiefer Schatten. Knudsen musste schon nach kurzer Zeit so traurige Erfahrungen mit den Schnellbekehrten machen, dass er die Enttäuschung nicht verwinden konnte und das Missionsfeld verließ. Die Missionsarbeit erforderte, wie sich allmählich herausstellte, auch hier viel Geduld. War es mit dem Ergreifen schnell gegangen, so erwies sich das Festhalten als um so schwerer. In der Herero-Mission dagegen lagen die größten Schwierigkeiten am Anfang. Wir haben in einem der vorhergehenden Kapitel die mühselige Pionierarbeit im Swakoptale kennen gelernt. Als Hahn nach vieljährigem Bemühen endlich in einem bekehrten Hereromädchen die Erstlingsfrucht reifen sah und zu ihrer Taufe schreiten wollte, musste er darauf gefasst sein, dass sie von ihren empörten Volksgenossen umgebracht würde. Sowie aber in der Folgezeit der Bann gebrochen war, nahm die Mission unter den Herero einen um so erfreulicheren Aufschwung.

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Hendrik Witbooi
ca.1830 - 1905

Die Eigenart der Namamission, bei der es durch so viel Fallen und Wiederaufstehen gegangen ist, lässt sich wie an der Geschichte einzelner Stationen, die schnell aufblühten, um nach kurzer Zeit wieder verlassen zu werden, so auch an manchem Lebensbild beobachten. Das bekannteste Beispiel dieser Art ist der seiner Zeit vielgenannte und heute noch lebende Capitän Hendrik Witbooi von Gibeon. Man kann ihn geradezu als eine charakteristische Figur aus seinem in der Christianisierung begriffenen Volke bezeichnen, womit freilich nicht gesagt sein soll, dass es nicht auch Beispiele einer größeren christlichen Entschiedenheit und standhafter Treue unter den Namachristen gäbe. Aber die Zahl der schwankenden Charaktere ist leider, bisher immer größer gewesen.

Die Familie Witbooi, nach der sich später ihr etwa 2 - 3.000 Seelen zählender Stamm nannte, war vor längerer Zeit aus der Kapkolonie heraufgezogen und hatte sich am Großen Fischfluss ungefähr in der Mitte des Groß-Namalandes niedergelassen. Ihr neuer Sitz hieß Kachatsus. Als dort im Jahre 1863 durch Missionar Knauer die Station Gibeon angelegt ward, trat die gesamte Häuptlingsfamilie in nähere Beziehungen zum Christentum. Knauer blieb aber nur kurze Zeit, Schon 1867 trat Olpp an seine Stelle. Die Gemeinde zu Gibeon erlebte unter ihm ihren Geistesfrühling. Der ging freilich ebenso schnell vorüber, wie das Ergrünen des dürren Namalandes nach kurzer Regenzeit, aber Ende der 60er Jahre war es wirklich eine Lust, Missionar unter den Leuten zu Gibeon zu sein. Es ging ein Rauschen durch die Gemeinde, und die Häuptlingsfamilie ward von der Bewegung besonders ergriffen. Vom Urgroßvater bis zum Enkel bewegten sie die Frage in ihrem Herzen: "Was muss ich tun, dass ich selig werde?" Das hochangesehene 90 jährige Familienoberhaupt David Witbooi kam eines Tages zu Olpp und fragte:

"Ich habe schon viele Missionare kennen gelernt und unter meinem Volk arbeiten sehen, aber selbst nie nach ihnen gehört. Etliche sind Christen geworden und mir zuvorgekommen; jetzt will ich aber nicht länger zurückstehen".

Dass er endlich unter die Taufbewerber trat, war bei seinem Alter und dem Ansehen, das er genoss, wichtig für seine Familie und sein Volk. Die Capitänschaft aber gab er in dieser Zeit bereits an seinen schon in der Kindheit getauften Sohn Moses ab. Dessen zweiter Sohn Hendrik und sein gleichnamiger Sprössling wurden zugleich mit dem Alten in die religiöse Bewegung hineingezogen. Der Missionar trat in ein besonders nahes Verhältnis zu diesen beiden; ja man kann sagen, dass sich ein Freundschaftsverhältnis zwischen ihnen bildete.

Hendrik hatte als zweiter Sohn des regierenden Capitäns zunächst keine Anwartschaft auf die Nachfolge. Das war nur vorteilhaft für sein religiöses Leben, denn die Reibereien und Ränkespiele unter den Namahäuptlingen nahmen die Stammeshäupter auch in der damaligen verhältnismäßig friedlichen Zeit ganz in Anspruch und verdarben ihren Charakter. Der Capitänssohn kümmerte sich also wenig um Politik, widmete sich dafür ganz seinen Herden und beschäftigte sich unter Anleitung des Missionars gern mit kirchlichen Dingen. Da er sich ebenso wohl durch christliche Erkenntnis wie durch einen rechtschaffenen Wandel auszeichnete, ward er zum Kirchenältesten gewählt.

Olpp erzählt in seinen Lebenserinnerungen verschiedene Züge aus dieser Zeit, die unsern Hendrik als einen trefflichen Namachristen kennzeichnen. In Warmbad sollte die neue Kirche geweiht werden. Als der Missionar sich dazu rüstete, ließ er gelegentlich das Wort fallen, es wäre doch schön, wenn einige von den Christen aus Gibeon an diesem Feste teilnähmen. Sie hätten sich ja seiner Zeit auch sehr gefreut, als Vertreter andrer Gemeinden zur Einweihung ihrer eigenen Kirche gekommen wären. Wegen der großen Entfernung des Festortes hegte er allerdings von vornherein Zweifel, ob jemand dieser Einladung Folge leisten würde. Er fuhr denn auch allein mit seinem Ochsenwagen von Gibeon ab. Wie staunte er aber, als sein Fuhrwerk in dem auf halbem Wege gelegenen Keetmanshoop von einem zweiten Wagen mit Kirchweihgästen eingeholt ward. Sein Presbyter Hendrik hatte anspannen lassen, um mit Frau und Kindern an dem kirchlichen Feste teilzunehmen. Um die Leistung recht zu würdigen, muss man wissen, dass Warmbad etwa 100 Stunden Fahrzeit von Gibeon entfernt ist. Später gab Hendrik auch einen rührenden Beweis von Anhänglichkeit, als sein Missionar nach einigen Jahren schwerkrank das Land verlassen musste. Dieser ließ sich im Wagen bis nach Port Nolloth im Klein-Namaland bringen, um von dort mit dem Schiff weiter zu fahren. Da war es wieder der treue Gemeindeälteste Hendrik, der im Verein mit dem Schullehrer Samuel dem geliebten Lehrer das Geleite gab. Sie erreichten erst in vier Wochen die Station Steinkopf jenseits des Oranjeflusses, Zu einer früheren Umkehr waren die Begleiter nicht zu bewegen. Hendrik sagte: "Ich gehe so weit, bis ich meinen Lehrvater in die Hände von weißen Menschen abgeben kann".

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Zu dieser persönlichen Anhänglichkeit kamen noch manche andre Beweise einer gut christlichen Gesinnung, so dass Olpp auf Grund einer zwölfjährigen Bekanntschaft das Gesamturteil über ihn fällte, er habe ihn nur als edlen Menschen und wahren Christen kennen gelernt.

Da kam der Rückschlag. Hendrik wurde in die Politik der Namahäuptlinge hineingezogen. Der in Okahandja zwischen den Nama und Herero geschlossene Friede hielt nur bis 1880 an. Die Erbfeinde zogen wieder gegen einander zu Felde. Von den Namahäuptlingen war namentlich Moses Witbooi von einem unversöhnlichen Hass gegen die Schwarzen erfüllt, und sein Sitz Gibeon bildete sozusagen das Hauptquartier der Gelben. Leider fiel gleich beim Beginn der Feindseligkeiten der ältere Bruder Hendriks, wodurch dieser in die Stellung eines Thronfolgers einrückte. Hier liegt der Wendepunkt seines Lebens. Er geriet jetzt auf eine schiefe Ebene. Da war zunächst die Entzweiung mit seinem Vater. Dabei fällt noch kein Schatten auf seinen Charakter. Im Gegenteil. Sein Vater Moses, der ein rechter Hitzkopf gewesen zu sein scheint, war in Streit mit den Bastards von Rehoboth geraten, die sich auf die Seite der Herero schlugen, und hatte ihnen eine große Viehherde geraubt. Das gefiel dem Sohn nicht. Er tadelte den Raubzug entschieden und drang auf Erstattung des gestohlenen Viehes, ja er erklärte sich bereit, im Verein mit einigen Freunden die Bastards schadlos zu halten. Das empörte den Capitän. Es kam zum Streit zwischen Vater und Sohn, und schon hatte es den Anschein, als sollte es dadurch zu einer Spaltung des ganzen Witbooi-Stammes kommen. Das wurde allerdings durch den Abzug des alten Moses von der Station und seine bald darauf im Felde erfolgte Ermordung verhindert. Aber die weitere Entwickelung der Dinge war auch für Hendrik verhängnisvoll. Er trat die Capitänswürde an. Von nun an schien es, als wäre ein böser Geist in ihn gefahren oder als wachte der alte verschlagene Namageist wieder in ihm auf. Wer ihn während der nächsten 15 Jahre bei seinem Kriegs- und Räuberleben beobachtete, konnte kaum glauben, dass das derselbe Mann war, der die Kirche von Gibeon mit gebaut, dem Missionar so willig gedient und im kirchlichen die Missionsgesellschaft eine ernste Vermahnung zugehen. Sie erreichte aber damit nur, dass er sein Kriegs- und Lagerleben mit einem gewissen kirchlichen Apparat ausstattete. So nötigte er z. B. bei seinem endgültigen Abzug von Gibeon im Juli 1885 den Missionar Rust, eine große kirchliche Abschiedsfeier zu halten. Er versammelte seine Leute in und vor der Kirche, hielt eine Ansprache an sie, betete und sang ein Lied mit ihnen. Der Missionar musste sich, wenn auch mit schwerem Herzen, dazu verstehen, den als Lehrer ausgebildeten "kleenen" Hendrik, den Sohn des Capitäns, mit in den Krieg ziehen zu lassen. Er sollte an den Sonntagen Gottesdienst halten und den Kindern Schulunterricht erteilen. Auf Gibeon blieben nämlich nur ganz wenige Leute zurück, denn nach Namasitte zogen auch Frauen und Kinder mit ins Feld, So behielt das Lagerleben selbst in Hendriks wildester Zeit noch gewissermaßen einen religiösen Anstrich. Als er in Hornkranz belagert ward, sorgte er doch immer dafür, dass in ihrer Mitte eine Gottesdienststätte blieb. Es war zwar nur ein viereckiger von Zweigen umhegter Raum ohne Dach, Altar und Bänke. Aber er versammelte hier doch regelmäßig seine Spießgesellen zu einer Erbauungsstunde.

Was von diesen kümmerlichen Überresten des Christentums zu halten war, zeigte Hendriks wilde Kriegsführung, die zuletzt in ein unbändiges Räuberleben ausartete.

Der an der Spitze der vereinigten Hereroscharen stehende Maharero trat ihm sofort kampfbereit entgegen und brachte ihm bei Osona unweit Okahandja eine vollständige Niederlage bei. Sein ganzer Tross ward vernichtet. Es fehlte nicht viel, so wäre Hendrik selbst mit seinen besten waffenfähigen Männern umgekommen. Nun schlug sein bisheriger Übermut in eine fast verzweifelte Stimmung um. An eine Rückkehr nach Gibeon mochte er nicht denken. Er besaß ja fast nichts mehr von der Herrlichkeit eines Namacapitäns. Seine Zugochsen, Wagen, Pferde - alles war verloren. Und doch beherrschte ihn in den folgenden Jahren immerfort der Gedanke: Rache für Osona! Er zog sich in die Feldwildnis von Hornkranz, nicht weit von Rehoboth, zurück. Die von hier ausgesandten Spione mussten die Gelegenheit zu räuberischen Überfällen erkunden. Fand man irgendwo in der Nähe schlecht bewachte Viehherden der Herero, so wurden sie überfallen und als willkommene Beute weggeführt. Kam ein größerer Wagentransport von Walfischbai herauf, die streifende Horde bemächtigte sich seiner. Kurz, was einst die Raubritter im deutschen Mittelalter verübten, das lebte hier in südafrikanischer Form wieder auf. Wenn man bedenkt, dass Hendrik noch immer gegen 500 Mann um sich hatte, und dass diese Räuberschar mit Franen und Kindern nur auf den Ertrag ihrer Beutezüge angewiesen war, so ergibt sich ohne Weiteres, dass dieses Raubgesindel zu einer wahren Landplage für die ganze Umgebung werden musste. Die nördliche Hälfte des Namagebiets verödete damals zusehends. Waren doch auch die einst mit den Witboois verbundenen Namastämme schon lange nicht mehr vor den Räubern sicher. Die allgemeine Entvölkerung des Landes erstreckte sich sogar schon auf die Missionsstationen. Gibeon war gleich nach Hendriks Abzug aufgegeben worden. Ähnlich ging es mit Hoachanas, das ganz verödete. Selbst aus Otjimbingue zogen viele Bewohner weg, um ihr Leben und Eigentum in Sicherheit zu bringen. Als der Missionsinspektor Dr. Schreiber im Jahre 1894 auf seiner Visitationsreise in süd-nördlicher Richtung durchs Namaland zog, kam er nach dem Verlassen von Berseba in ein völlig menschenleeres Land, wo er elf Tage lang weder eine menschliche Ansiedlung noch einen Eingeborenen antraf. So oft er nach dem Grunde dieser Verödung und der Ruinen am Wege fragte, erhielt er die traurige Antwort: "Das ist Hendriks Werk."

Inzwischen war mit der deutschen Besitzergreifung von Südwestafrika eine neue Macht auf den Plan getreten, und Hendrik war unvorsichtig genug, auch mit ihr anzubinden. Die Bannerträger unserer Kolonialpolitik nahmen zuerst eine abwartende, beobachtende Haltung ein, weil ihnen noch kein genügendes militärisches Aufgebot zur Verfügung stand. Als aber Hauptmann v. François im Sommer 1888 mit der neugegründeten Schutztruppe von Walfischbai heraufgezogen, und der kleine Truppenkörper in den folgenden Jahren durch eine größere Zahl deutscher Kavalleristen verstärkt war, konnte man im Ernst daran gehen, dem Ruhestörer von Hornkranz zu begegnen. Alle Versuche, ihn zur friedlichen Rückkehr nach Gideon zu bewegen, waren erfolglos. So ward am 12. April 1893 sein Felsenlager endlich gestürmt. Die Witboois erlitten dabei sehr starke Verluste, aber ihr schlauer Anführer entkam. Er wurde nun förmlich gejagt und dadurch mürbe gemacht. Zuletzt stand ihm nicht mehr v. Francois, sondern Major Leutwein gegenüber. Ihm gelang es, den in der Naukluft verschanzten Feind völlig zu besiegen. Hendrik sah das Erfolglose weiterer Kämpfe ein und ergab sich hier.

Als zu jener Zeit in den politischen Blättern über die Kämpfe von Hornkranz und Naukluft berichtet ward, erregten die von Hendrik an jene beiden Offiziere geschriebenen Briefe nicht wenig Verwunderung. Ton und Inhalt dieser Schriftstücke stimmten durchaus nicht mit der Vorstellung überein, die man sich bei uns in weiteren Kreisen von einem afrikanischen Bandenführer gemacht hatte. Es war unverkennbar, der Witbooi fühlte sich dem deutschen Offizier gegenüber als ebenbürtiger Gegner. Sehr bezeichnend war in dieser Hinsicht die über Gleichberechtigung noch hinausgehende Anschauung, die in einem Gespräch mit Hendriks Tochter Katharine zum Ausdruck kam. Diese war in der ganzen Zeit nicht von ihres Vaters Seite gewichen und hatte ihn an dem Morgen, wo Hornkranz gestürmt wurde, zu rechter Zeit geweckt. Während ihr Vater sich in Sicherheit bringen konnte, fiel sie selbst in die Hände der deutschen Soldaten, Weit entfernt, sich durch die Gefangenschaft einschüchtern zu lassen, machte sie den Leuten der Schutztruppe vielmehr die größten Vorwürfe darüber, dass sie sich unterstanden hätten, ihren Platz einzunehmen, sie überhaupt mit Krieg zu überziehen und noch dazu in so früher Morgenstunde zu kommen. Man erwiderte, dass ihr Vater doch auch die andern Hottentottenstämme und die Herero bekämpft und vielfach mit Sonnenaufgang überfallen habe. Darauf entgegnete sie selbstbewusst, dass ihr Vater auch der König des Landes sei und das tun dürfe, die Fremden aber nicht.

Major Leutwein bewies bei der Unterwerfung Hendriks die bei ihm seither oft beobachtete weise Mäßigung, die auf Verständnis für die Anschauungen der Nama beruht. Er verlangte unbedingte Anerkennung der deutschen Macht und Rückkehr nach Gibeon. Dafür wurde aber auch Hendriks Stellung als Namacapitän anerkannt. Außerdem erhielt der Schutzvertrag einen Zusatz, in dem Hendrik für sich und seine Nachfolger das heilige Versprechen abgab, auf den Ruf des Landeshauptmanns hin. gegen alle äußeren und inneren Feinde des deutschen Schutzgebiets mit seinen waffenfähigen Männern unbedingt und unverzüglich Heeresfolge zu leisten.

Es sei hier nur kurz erwähnt, dass Hendrik Witbooi die nachsichtige Behandlung, die ihm von seinem Bezwinger zuteil ward, mit rechtschaffener Treue vergolten hat. Er zog sich still, wieder nach Gibeon zurück, fand sich auf den Trümmern seiner alten Capitäns-Herrlichkeit in die bescheidene Stellung eines deutschen Vasallen und kam jedes Mal bereitwillig der Schutztruppe zu Hilfe, wenn es irgendwo in unserm weiten Kolonialgebiet einen Aufstand niederzuzwingen gab. Wir übergehen hier die Einzelheiten. Für uns ist es von größerem Interesse, zu erfahren, wie sich der verwilderte Hendrik in der letzten Zeit zu Mission und Christentum gestellt hat.

Bild von Seite 76

Die Missionare, die ihn nach seiner Besiegung aufsuchten, berichten einstimmig, dass er ganz gedemütigt, aber auch voll guter Vorsätze war. Sie hatten den bestimmten Eindruck, dass die Zeit, wo er sich unter die Herrschaft seines bösen Geistes begeben, vorüber sei, und dass an die Stelle des vielen Kummers, den er ihnen im letzten Jahrzehnt bereitet, wieder eine, wenn auch durch die traurigen Erfahrungen stark herabgeminderte Freude treten würde. Der Verlauf der letzten zehn Jahre hat diesen Erwartungen entsprochen. Hendrik bat bei seiner Rückkehr nach Gibeon die Rheinische Gesellschaft, ihm wieder einen Missionar zu senden. Mit der Aufgabe, den seit 1887 verlassenen Platz, neu zu besetzen, ward Missionar Schröder von Berseba betraut. Als er zum ersten Male nach Gibeon kam und in Begleitung, des deutschen Platzoffiziers einen Rundgang machte, fand er allerdings die ehemals blühende Missionsstation in trauriger Verfassung. Die Bewohner machten einen verkommenen Eindruck. Armut und Elend standen den ausgehungerten Gestalten, auf dem Gesicht geschrieben. Vieh, Wagen, Gerätschaften fehlten fast ganz. Die Missionsgebäude befanden sich in einem geradezu trostlosen Zustande. Eigentlich nur Ruinen. Im Wohnhaus, hatten gerade über ein Dutzend Kälber vor der brennenden Sonne Schutz gesucht. Von Dielen fand sich in den Wohnräumen keine Spur mehr. Das Lehmdach war durch Wind und Regen total zerrissen. Ähnlich sah es in der Kirche aus: kein Altar, keine Bänke, keine Fenster. Alles vernichtet oder verbrannt. Das ehemalige Gotteshaus hatte nämlich der hierher gelegten Abteilung der Schutztruppe als Kaserne dienen müssen, bis die militärischen Gebäude auf der beherrschenden Höhe hinter Hendriks Haus fertig waren. Und nun Hendrik selbst. Der Missionar fand ihn in seinem noch unfertigen Hause, wo er kränklich auf einem Fell lag, umgeben von seinen "Großen", die auf der bloßen Erde hockten. Im ersten Augenblick konnte der Besucher vor Bewegung kein Wort sprechen. Dann kam es zu einem ernsten Gedankenaustausch über Vergangenheit und Zukunft. Hendrik versprach alles zu tun, was in seinen Kräften stände, die Missionsstation aus ihren Trümmern erstehen zu lassen und selbst ein neues Leben zu beginnen.

Seitdem ist nichts geschehen, wodurch Hendrik seine Versprechungen gebrochen und sich aufs neue belastet hätte. Die ihn näher kennen, zweifeln trotz allem, was hinter ihm liegt, nicht an der Aufrichtigkeit seines Christentums. Man wird auch auf ihn das Wort anwenden können: "Es ist Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut."

Ohne Zweifel besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen seiner Gestalt und der des Junker Afrikaner. Während der letztere aber in der zweiten Hälfte seines Lebens tiefer und tiefer sank und zuletzt ganz mit Gott und aller Welt zerfallen war, liegt über Hendrik Witboois Lebensabend - er ist jetzt nahezu 70 Jahre alt - ein freundlicheres Licht. Man kann die beiden Persönlichkeiten wohl geradezu als Repräsentanten ihrer Zeit ansehen. Ein Fortschritt zum Guten ist dabei unverkennbar.

Es war im Vorstehenden einmal von Hendrik Witbooi dem Jüngeren die Rede. Der Missionar Olpp hatte ihn als Knaben besonders gern und wandte viel Fleiß an seine Ausbildung zum Schullehrer. Als sein Vater in den Krieg zog, musste er die Witboois als eine Art Feldgeistlicher begleiten. Er hat sein Lehramt unter ihnen mit allem Fleiß verwaltet; von der Teilnahme an den Ungerechtigkeiten seines Stammes aber hielt er sich fern. Sein Lebenslauf ist daher ohne den Makel seines Vaters geblieben. Im Jahre 1899 konnte er in Gibeon sein 25jähriges Lehrerjubiläum feiern, wobei ihm auch seitens des anwesenden Bezirkshauptmanns Anerkennung zuteil ward. Der derzeitige Missionar Simon von Gibeon schrieb bei dieser Gelegenheit, dass er ihn für einen wahrhaft bekehrten Christen halte und als einen Mann schätze, der an Treue, Begabung und Fleiß vielleicht alle seine Stammesgenossen übertreffe. Möge es ihm vergönnt sein, durch eine lange, gesegnete Wirksamkeit den Namen Hendrik Witbooi wieder ganz zu Ehren zu bringen.

Inhaltsverzeichnis


Südwestafrika als deutsche Kolonie

Wie unser Gebiet unter die deutsche Herrschaft kam

Am 6. August 1884 ward an verschiedenen Stellen der südwestafrikanischen Küste - in Angra Pequena, Sandwichhafen, Swakopmund und bei Kap Frio - die deutsche Flagge gehisst. Das Datum ist deshalb bedeutsam, weil Deutschland mit diesem Tage in die Reihe der Kolonialmächte trat. Die bis dahin vielerörterte Frage, ob wir Kolonien brauchen oder nicht, war durch die Tatkraft des Bremer Kaufmanns Lüderitz gegenstandslos geworden. Die Reichsregierung billigte sein Vorgehen in das von keiner andern europäischen Macht besetzte südwestafrikanische Gebiet und fügte seinen Erwerbungen ihren Schutz zu. Nur die genau in der Mitte der Küstenlinie zwischen der Mündung des Orange und des Kunene gelegene Walfischbai, die wir schon in den vorigen Kapiteln als Ausgangspunkt des Baiweges nach Windhuk kennen lernten, musste den Engländern überlassen werden, die übrigens zu ihrem größten Verdruss vor die vollendete Tatsache gestellt wurden, dass Deutschland sich neben der Kapkolonie einen Besitz im gemäßigten Klima Südafrikas gesichert hatte. Zu Ehren seines Erwerbers wurde die Angra Pequenabai in Lüderitzbucht umbenannt. Sie hat diesen Namen auf die Dauer behalten, während der anfangs gebräuchliche Name "Lüderitzland" wieder aufgegeben wurde, als das Kolonialgebiet im Lauf der Jahre größere Dimensionen annahm. Zwei Expeditionen ins Innere führten zum Abschluss der ersten Verträge mit den eingeborenen Häuptlingen. Im Namalande war Bethanien der bedeutendste Ort. Hier residierte der Capitän Josef Frederiks. Bei den Verhandlungen mit ihm dolmetschte ein Missionslehrer. Die deutschen Kolonialpioniere, die mit freigebigen Händen auftraten, fanden hier keinerlei Schwierigkeiten, war doch der Capitän und sein Volk dank der vieljährigen Missionstätigkeit in Bethanien an die Europäer gewöhnt und durch die selbstlose Wirksamkeit der Rheinischen Glaubensboten besonders für die Deutschen eingenommen. Nicht ganz so leicht hatten es die Unterhändler im Hererolande beim Oberhäuptling Kamaharero. Dieser trat selbstbewusster auf und war auch nicht ohne Misstrauen. Aber man hatte hier mit der Person der Beauftragten eine besonders glückliche Wahl getroffen. Einer der beiden Kommissare war der frühere Rheinische Missionar Dr. Büttner, der mit den Landesverhältnissen ganz vertraut war und auch der Hererosprache kundig. Mit ihm erschien Dr. Göring, der seinem Auftreten nach ebenfalls für einen Missionar gehalten werden konnte. Sie kamen in einer kritischen Zeit nach Okahandja. Die Herero erwarteten gerade den Überfall Hendrik Witboois. Sein Angriff fand in der Tat statt, während die deutsche Expedition auf Kamahareros zögernde Antwort wartete. Wir wissen bereits, dass die Witboois mit blutigen Köpfen abziehen mussten. Die Deutschen mischten sich nicht in den Kampf, leisteten jedoch den Verwundeten liebevollen Beistand. Das führte zu einem günstigen Bescheid des Oberhäuptlings. Die Missionare jedoch, die auch hier wieder unsern Kolonialpolitikern mit aller durch ihr Amt gebotenen Zurückhaltung zu Hilfe kamen, freuten sich besonders über diese erste Tat ihrer Landsleute im Hererolande. Einer von ihnen schrieb:

"Das deutsche Regiment hat gut begonnen. Die Herren Kommissare haben ihre Tätigkeit damit angefangen, Wunden zu verbinden. Wir wollen das als gutes Vorzeichen betrachten, dass die deutsche Herrschaft auch wirklich berufen ist, die Wunden und Nöte des Landes allmählich zu heilen".

Als es sich darum handelte, einen Wohnsitz für den Reichskommissar zu wählen, konnte wiederum nur eine Missionsstation in Frage kommen. Rehoboth wurde dazu bestimmt. Dr. Göring vollendete von hier aus die Vertragsverhandlungen. Es gelang ihm mit sämtlichen Eingeborenen-Stämmen außer den Witboois, Khauas und Bondelswarts Schutzverträge zu schließen.

Im ersten Jahrzehnt konnte von einer regelrechten deutschen Verwaltung eigentlich noch nicht die Rede sein. Die erworbenen Rechte und Länderstrecken gehörten der deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika, die mit Handel und industriellen Unternehmungen auf den Plan trat, auch deutsche Ansiedelungen und Ausnutzung der Bodenschätze in's Auge fasste. Die Vertreter dieser Gesellschaft suchten sich mit den Capitänen, in deren Gebiet sie lebten, abzufinden, so gut es eben ging. Militärische Machtmittel hatten sie nicht hinter sich. Der launische und von englischer Seite bearbeitete Kamaharero machte ihnen dabei mancherlei zu schaffen. Weil aber zu der Zeit die Witboois gegen ihn zu Felde lagen, wagte er den Deutschen nicht offen entgegenzutreten. Man sah jedoch auf deutscher Seite bald ein, dass es eine kurzsichtige Politik war, aus der Gegnerschaft der Eingeborenenstämme Nutzen zu ziehen. Das Land wurde dabei seinem Ruin entgegengeführt. Dem zu wehren, begann man 1888 mit Bildung einer Schutztruppe. Ihre erste Garnison war die 40 Kilometer von Otjimbingue am "Baiweg" gelegene Wilhelmsfeste. Ihr Kommandant Hauptmann v. François übernahm von Dr. Göring, der das Land bald wieder verließ, auch das deutsche Kommissariat. Seine Kämpfe mit Hendrik Witbooi haben wir schon kurz berührt. Nach einiger Zeit ward der Sitz der Regierung nach Windhuk verlegt. Was Jonker Afrikaner und seine Nachfolger nicht erreicht hatten, das gelang den deutscheu Eroberern in kurzer Zeit: der günstig liegende Platz blühte sichtlich auf.

Von 1893 an ging die Verwaltung aus den Händen der Kolonialgesellschaft in die des Reiches über. Damit begann eigentlich erst die neue Zeit, Hatten bisher die Capitäne als unumschränkte Herren ihres Gebiets gegolten und sich auch noch manche Übergriffe gegen andere Stämme erlaubt, so wurden sie nun in die Stellung deutscher Vasallen herabgedrückt. Das kam schon in der Besetzung des Landes mit Militärstationen offensichtlich zum Ausdruck. Von Warmbad im Süden bis hinauf an die Grenzen des Ovambolandes, von Swakopmund bis Gobabis, ja an den Rand der Kalahari-Steppe wehten die Fähnlein der deutschen Reiter. An nicht weniger als 16 Stellen wurden feste Plätze errichtet, von denen einige wie Zwingburgen anzusehen sind. Die Feste von Okahandja, die unser Bildchen zeigt, ist eine der stattlichsten Anlagen. Dass es bei dieser Ausdehnung der deutschen Wacht nicht ohne Schwierigkeiten abging, versteht sich von selbst. Die bisherigen Machthaber bäumten verschiedene Male auf, sobald sie das stärkere Anziehen des eisernen Ringes empfanden. Aber das kluge und maßvolle Vorgehen Major Leutweins einerseits und die mit ihm im besten Einvernehmen handelnden Missionare andrerseits, die in der deutschen Besitzergreifung eine wirkliche Wohltat für das Land und seine Völker erkannten, brachten es dahin, dass um die Jahrhundertwende das ganze Nama- und Hereroland die deutsche Oberherrschaft anerkannte.

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Es ist im Vorstehenden wiederholt der Missionare als der Helfer und ihrer Stationen als der Stützpunkte der deutschen Macht Erwähnung getan. Ihre Verdienste wurden damals von allen Seiten anerkannt. Erst in neuerer Zeit hat man versucht, dieses Blatt aus der Anfangsgeschichte unserer Kolonie in Vergessenheit zu bringen, ja gewisse Kolonialkreise haben sich nicht gescheut, die Rheinischen Missionare als unpatriotische Leute und als Hinderer der deutschen Interessen hinzustellen. Das ist nicht nur undankbar, sondern auch unehrlich. Wer es mit der Wahrheit hält, wird aus den obenerwähnten Tatsachen aus der Zeit der Besitzergreifung ganz andere Schlüsse ziehen und den Zeugnissen unparteiischer Männer über die Verdienste der Missionare Glauben schenken.

Die evangelische Mission mischt sich grundsätzlich nicht in politische Angelegenheiten. Wenn die Rheinischen Missionare in Südafrika nach dieser Seite hin etwas mehr getan haben, als es sonst in unseren Kolonien der Fall ist, so geschah es um deswillen, weil nicht nur sie selbst und ihr Friedenswerk, das unter den Afrikaner- und Witbooiwirren schwer gelitten hatte, des Schutzes bedurfte, sondern auch die unterdrückten Stämme der Eingeborenen nur durch eine christliche Macht zu ihrem Rechte kommen konnten. Über ihr Verhalten in der schwierigen Mittelstellung zwischen den deutschen Kolonisatoren und den Eingeborenen schreibt H. v. François in seinem Buche "Nama und Damara":

"Ob die Missionare den Regierungsorganen noch etwas mehr in die Hände hätten arbeiten können, darüber kann man verschieden urteilen. Bei alledem aber darf man nicht vergessen, dass der Missionar, gleichviel welcher Nation und welcher Gesellschaft er angehört, unmöglich ein Re-gierungs- oder Parteiorgan sein kann, sondern vielmehr über den politischen Ideen und Parteiinteressen stehen muss; dass er in höherem Dienste steht, als den, der Menschen, Man versteht diesen Standpunkt nicht sogleich! ich bekenne offen, dass auch ich meine Zeit gebraucht habe, um ihn zu begreifen, und dass deshalb nicht immer vollste Harmonie zwischen den Missionaren und den Regierungsvertretern hat herrschen können. Das hindert mich indessen nicht, an dieser Stelle dem Wirken und Treiben der Missionare volle Achtung und eine über das Durchschnittsmaß der Phrase weit hinausgehende Anerkennung und Bewunderung zu zollen. Ohne die Pionierarbeit der Missionare wäre die Besitzergreifung des Landes ein völlig illusorischer Akt auf dem Papier gewesen: was Händler, Industrielle und Gelehrte, zumal Holländer und Engländer, zur sogenannten Erforschung und Kultivierung getan haben, fällt gar nicht ins Gewicht neben den positiven Ergebnissen der Missionsarbeit,"

So H. v. François. Was er nach diesen Sätzen voll Bewunderung über die selbstlose Arbeit und die aufopferungsvolle Hingabe der Missionare an ihren Beruf noch zu ihrem Lobe schreibt, können wir überschlagen, weil das für uns eine selbstverständliche Sache ist.

Handelt es sich hier um die Bedeutung der missionarischen Vorarbeit für den Politiker, so sind die im Lande vorhandenen Missionsstationen mit ihren Gebäuden, Gärten und Feldern in wirtschaftlicher Hinsicht eine große Hilfe für die ankommenden Kolonisten gewesen. Der größte Teil der Regierungsplätze lehnte sich ohne Weiteres an die vorhandenen Missionsstationen an. An einzelnen Orten, wie in Otjimbingue, nahm sogar die Regierung ehemaliges Missionsland in Besitz und setzte ihre Beamten auf die wohlangebauten Grundstücke, ein für Südwestafrika besonders wertvoller Erwerb. Und wie vielen deutschen Ansiedlern mögen die herrlichen Gärten der Missionare von Bethanien, Hoachanas und Keetmanshoop zum Vorbild gedient haben! Auf letztere Station kommt der bekannte Forschungsreisende Dr. H. Schinz in seinem Buche "Deutsch-Südwest-Afrika", in dem er die Resultate seiner 1884 - 87 in unserem Schutzgebiet unternommenen Forschungsreisen niedergelegt hat, zu sprechen. Dort heißt es:

"Da, wo noch vor 20 Jahren die schmutzigen Hütten der herumstreifenden Hottentotten gestanden hatten, erhebt sich heute das einfache, aber weitläufige Missionsgehöft, eingerahmt von einer kleinen Mauer; das saubere einstöckige Haus, an dem jeder Stein und jeder Balken von der praktischen Tätigkeit des Missionars zeugt, und hinter dem Hause der Garten mit Gemüse und Blumenbeeten, zwei mächtigen, prächtig gedeihenden Feigenbäumen und einer langen Weinlaube, Unweit vom Hause und umstanden von einer Reihe dickstämmiger Akazien erhebt sich die steinerne Kirche, überragt von einem kleinen Turm, Dort, wo früher der Sand im Kampf mit den Elementen hoch in die Luft emporgewirbelt wurde und der Orkan wild durch das Buschwerk raste, finden wir heute die Gartenanlagen der Gemeindegenossen, sorgfältig bewässert durch kleine, mit der Hauptquelle in Verbindung stehende Gräben. An Stelle der zu dauernder Ansiedelung ungeeigneten Mattenhäuser baut sich bereits der eine oder andere der Eingeborenen ein bescheidenes Lehmhäuschen und trägt dazu bei, dass die Station mehr und mehr das Aussehen eines Dörfchens erhält."

Wie aus den Schlussworten hervorgeht, war die vorbildliche Tätigkeit der Missionare auch in kultureller Hinsicht nicht ohne Bedeutung. Ihre Stationen waren nicht nur als Kulturoasen im dürren Lande anzusehen, die Eingeborenen eigneten sich auch nach und nach die Kulturfortschritte an, die sie bei ihren Lehrmeistern sahen. Die ins Land kommenden deutschen Kolonisten aber konnten sich die jahrzehntelangen Erfahrungen dieser Pioniere zu nutze machen.

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Die Lichtseiten der neuen Zeit

Da die Mission unserer Kolonialpolitik in so weitgehender Weise vorgearbeitet hatte, liegt die Frage nahe, ob die Neuordnung der Verhältnisse im Nama- und Hererolande auch der Mission Vorteile gebracht hat. Diese Frage ist unbedingt zu bejahen. Die deutsche Verwaltung brachte Ordnung und größere Sicherheit für Leben und Eigentum in's Land. Ein Blick auf das wilde, wüste Treiben in den Zeiten Jonkers oder Hendrik Witboois genügt, um die Größe dieses Gewinns zu ermessen. Es war schon als ein großer Fortschritt anzusehen, dass jetzt nur noch zwei Oberhäuptlinge im ganzen Kolonialgebiet anerkannt wurden, einer unter den Herero, der andere unter den Namastämmen. Es hat auch nach 1884 noch zahlreiche Kriegszüge, Strafexpeditionen und Scharmützel gegeben, aber sie haben, wenn man vom großen Hererofeldzug absieht, der Mission doch nicht mehr so empfindlichen Schaden zufügen können, wie der eigentlich ununterbrochene Kriegszustand, der namentlich auf Jonkers Rechnung zu setzen war. Die mit der deutschen Besitzergreifung eintretende Friedenszeit kam namentlich der Hereromission zugute, die im letzten Jahrzehnt aufblühte, wie nie zuvor.

Die Machtbeschränkung der Stammeshäupter war auch von Vorteil für die Entwickelung der Mission, denn ihre Eifersüchteleien konnten nun kein Hindernis für die Ausdehnung, des Werkes mehr bilden. Erst jetzt konnte z. B. ernstlich an die Christianisierung der verachteten Bergdamras gedacht werden. Sie wurden bisher von den herrschenden Stämmen wie Geschöpfe niederen Grades behandelt. Nun erhielten sie eine freie, ihnen ebenbürtige Stellung in der Bewohnerschaft der Kolonie. Seitdem erscheint die Bergdamramission als ein neues und mühsames, aber doch hoffnungsvolles Werk in den Berichten.

Die weitgehende Besserung der Verkehrsverhältnisse kam ebenfalls der Mission zu statten. Wir sahen, wie der einstige schwerfällige Ochsenwagenverkehr von Kapstadt durch das Namaland infolge der Eröffnung des Walfischbai-Hafens schon eine wertvolle Abkürzung erfahren hatte. Aber dieser in englischen Händen befindliche Küstenplatz wurde bis 1884 und noch darüber hinaus nur als Anhängsel der Kapkolonie behandelt und obendrein stiefmütterlich. Diesem ärgerlichen Zustand machte die deutsche Verwaltung mit der Anlegung von Swakopmund und dem Bau einer Steinmole ein Ende, die Wörmannlinie aber richtete einen direkten Dampferverkehr zwischen Hamburg und dem neuen Küstenplatze ein. Zunächst blieb noch für eine Reihe von Jahren die schwierige Wagenstrecke nach Windhuk, Dann aber wurde, beschleunigt durch die große Viehseuche, der sehr viele Zugochsen zum Opfer gefallen waren, die erste Eisenbahnstrecke nach dem Innern der Kolonie gebaut, der in Bälde weitere Schienenwege folgen sollen. Noch ehe diese Verkehrserleichterung zustande kam, richtete man regelrechte Postkurse ein, welche die Hauptorte des Landes mit einander verbinden. In den weiter zurückliegenden Gegenden, wo auf lange hinaus an keinen Bahnbau zu denken ist, ging man mit Anlegung ordentlicher Straßen vor, die in gewissen Abständen mit Brunnenanlagen ausgestattet sind. Natürlich versah man die Hauptplätze auch mit Telegraphenleitungen, und auf den dafür zunächst noch nicht in Betracht kommenden weiten Strecken spielt der Heliograph.

Die großartige Beschleunigung des Verkehrs kam denen, die 50 Jahre zuvor im Nama- und Hererolande gelebt hatten, namentlich an jenem Tage zum Bewusstsein, als nach Beendigung des Bahnbaues die telegraphische Verbindung zwischen Windhuk und Berlin hergestellt war. Der alte Missionar Rath, der damals noch lebte, schrieb aus der Kapkolonie, wo er seinen Altersruhesitz hatte, über das epochemachende Ereignis:

"Da lese ich eben in den Rheinischen Missionsberichten, der Gouverneur Leutwein habe um 11 Uhr von Windhuk nach Berlin telegraphiert, und um 5 Uhr hatte er die Antwort. Dabei wird bemerkt: was würden die alten Brüder dazu gesagt haben, die oft über ein Jahr auf Beantwortung ihrer Briefe warten mussten! Nun, ich bin das letzte alte Überbleibsel aus jener Anfangszeit und kann das nur bestätigen. Ich habe schon mehr als einmal gefragt: Wenn anno 1845, als ich in Otjikango (Neu-Barmen) saß, die vier großen Propheten selber zu mir gekommen wären und verkündigt hätten, wie es am Ende des Jahrhunderts, das ich freilich nicht zu erleben erwartete, im Hereroland aussehen würde, meine Antwort wäre gewesen: 'Meine Herren! Sie sind ja Propheten, und ich wage nicht zu widersprechen; aber entschuldigen Sie, es eigentlich gläubig in mich aufzunehmen vermag ich auch nicht.'"

Nehmen wir noch hinzu, dass in der Hauptstadt Windhuk, deren Bewohnerschaft jetzt schon in die Tausende geht, vorzügliche Ärzte und ein von den Schwestern des "Frauenvereins für Krankenpflege in unsern Kolonien" bedientes Krankenhaus zu finden sind, während die Missionare früher zur ärztlichen Konsultation womöglich nach Kapstadt reisen mussten; dass hier eine selbständige deutsche Kirchgemeinde besteht, deren Pastor die Seelsorge an unsern Landsleuten treibt, soweit sie für ihn erreichbar sind, und dass auch für guten Schulunterricht der weißen Kinder am Orte gesorgt ist, so muss man anerkennen, dass in den hinter uns liegenden 2O Jahren deutscher Kolonialpolitik auch in Deutsch-Südwestafrika manches getan worden ist, was der Missionsarbeit im Lande zur wesentlichen Erleichterung dient.

Und nicht nur gute Einrichtungen wurden geschaffen, auch die ausführenden Organe verdienen warme Anerkennung. Unsere Truppen haben im Großen und Ganzen dem deutschen Namen Ehre gemacht. Tauchen auch in den Missionsberichten hier und da Klagen über das Verhalten einzelner Soldaten auf, so sind doch die ihnen wegen ihrer Mannszucht gespendeten Lobsprüche eher noch häufiger. Auch ihre Stellung zu Mission und Kirche wird mehrfach gelobt. Der Missionar Albath von Gochas schrieb, dass fast die ganze Mannschaft jeden Abend freiwillig zur Andacht käme. Er habe aus ihr sogar eine Sängerschar gebildet, die mehrstimmige Lieder mit Lust und Freude übe. Namentlich wird das Entgegenkommen der Vorgesetzten gerühmt, die den Untergebenen meist mit gutem Beispiel vorangehen und die Bemühungen der Missionare, vorkommende Verstöße gegen die christliche Sittlichkeit zu beseitigen, warm unterstützen. Es sei bei dieser Gelegenheit erwähnt, dass auf den weit vorgeschobenen militärischen Posten die dort wirkenden Missionare die Seelsorge unter den deutschen Landsleuten als eine selbstverständliche Nebenpflicht ansehen und ausüben, und dass sie dabei sehr viel mehr Entgegenkommen finden, als man es sonst in unsern tropischen Kolonien beobachten kann.

Besondere Anerkennung findet unser Beamtenstab. Wir sahen schon, dass die ersten deutschen Kommissare Hand in Hand mit den Missionaren gingen. Diese nahen Beziehungen haben natürlich mit dem Erstarken der deutschen Macht an manchen Orten aufgehört. Aber wir könnten eine ganze Reihe trefflicher Männer, Offiziere wie Zivilbeamte, nennen, die sich durch ihr humanes Verhalten gegen die Eingeborenen wie durch freundliches Entgegenkommen gegen die Interessen der Mission ausgezeichnet haben und noch auszeichnen. Es sei hier nur der treffliche Mann mit Namen genannt, der an der Spitze der Kolonie steht, Oberst Leutwein.

Ihm fiel die schwierige Aufgabe zu, die gegen einander wütenden Eingeborenenstämme zur Ruhe zu bringen und sie hernach zum Untertanengehorsam gegen die deutsche Herrschaft zu zwingen. Er konnte es bei Verfolgung dieser Aufgabe vielfach nicht vermeiden, mit Waffengewalt einzuschreiten. Dass ihm dabei die militärische Schneidigkeit, wo sie angebracht war, nicht gemangelt hat, zeigt das lange Register der niedergeworfenen kleinen Aufstände, wofür ihm meist nur sehr schwache Abteilungen der Schutztruppe zur Verfügung standen. Er könnte sich mit demselben Rechte wie mancher Feldherr im alten römischen Kolonialreiche einen Triumphbogen mit ehrenden Inschriften nach Windhuk bauen lassen. Aber mehr als militärischer Ruhm gilt ihm ein durch Gerechtigkeit, die mit Milde gepaart ist, überwundener und versöhnter Feind. Hendrik Witbooi, der frühere Plagegeist des Landes, jetzt aber treuer Bundesgenosse unserer Schutztruppe, ist ein lebendiger Beweis für Leutweins glückliche Politik, Es ist bezeichnend, was der Namacapitän kurz nach seiner Unterwerfung zu einem Missionar äußerte:

"Für den mir gewährten Frieden bin ich vielen Dank schuldig und meinerseits soll alles geschehen, denselben zu bewahren. Aber dennoch fürchte ich mich vor der Zukunft, einesteils der Existenz meines Stammes wegen, denn ich habe nichts, absolut nichts, wovon ich leben soll; andernteils wegen meines Verhältnisses zur deutschen Regierung. Es gibt rücksichtsvolle Leute unter den Deutschen, die unserem Namacharakter Rechnnng tragen und uns darnach zu behandeln wissen; aber es gibt noch mehr rücksichtslose Leute, welche nur zu befehlen verstehen, und vor-denen bin ich bange."

Das Verständnis für das Volk und seine Interessen, dazu das rechtzeitige Schweigenlassen der Flinten und Kanonen, das hat dem Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika die Achtung, das Vertrauen, ja die Liebe der Eingeborenen verschafft. Feierliche Huldigungen werden wohl auch den Gouverneuren andrer Kolonien einmal zuteil, aber sie gelten dort meist nur der waffenstarken Regierungsgewalt. Hier tragen sie zugleich den Charakter einer Ehrerbietung, die von Herzen kommt. So schreibt Missionar Fenchel von Keetmanshoop, Leutweins menschenfreundliche Art habe ihm das Herz des Volkes und der Christengemeinde gewonnen, so dass man nie anders als mit Ehrerbietung, vom obersten Herrn des Landes sprechen höre. Ein andrer Berichterstatter aus Berseba erwähnt, dass der Gouverneur, der die Station und auch ihre Schule besucht hatte, von den Schulkindern mit dem Liede "Harre meine Seele usw." verabschiedet worden sei und dass die Erwachsenen, selbst Frauen, in Scharen herbeigeeilt wären, ihn noch einmal zu grüßen. Bezeichnend für die Stimmung der Bevölkerung und zugleich für das gute Einvernehmen mit den Missionaren ist die Beschreibung eines Empfangs, der dem Gouverneur in Otjimbingue bereitet ward. Missionar Meyer schreibt darüber:

"Er traf eines Tages von seinem Zuge nach Norden hier ein und wurde aufs Freundlichste bewillkommnet. Unser Platz prangte im Fahnenschmuck. Weiße und Schwarze, Gelbe und Braune hatten Fähnlein angeschafft. Die Glocken läuteten und die Hurras wollten kein Ende nehmen. Der Zug ging durch die ganze Station hindurch. Vorauf ritt die Kapelle und spielte, dann folgte der Gouverneur mit dem neuen Stationschef, diesem der Herrscher aller Herero (Samuel Maharero) mit seinem Stabe; dann kamen die Lanzenreiter; den Schluss bildeten 50 - 60 Kavalleristen. Es war ein imposanter Zug. Hinter der Kirche ward Parademarsch gehalten, und dann ging's durch die Ehrenpforte auf die Militärstation. An einem der folgenden Tage nahm der Herr Gouverneur mit seinen Offizieren bei uns das Abendbrot ein. Wir aßen in meinem Zimmer; die Kapelle war auch erschienen und spielte im Wohnzimmer. Am nächsten Sonntag hielt ich Militärgottesdienst. Der Gemeindegesang wurde durch die Kapelle, die auf der Galerie Platz genommen hatte, begleitet. Noch an demselben Abend erfolgte der Abmarsch. Das mehrtägige Verweilen des Gouverneurs war unsrer hiesigen Arbeit sehr förderlich. Auch die Schullehrer wurden zu treuer Arbeit ermahnt und die Schule mit einer Gabe bedacht".

Wie man hieraus sieht, hat es der Vertreter der deutschen Macht verstanden, nicht nur das Land, sondern auch die Herzen zu erobern. Wie grell sticht gegen das eben geschilderte freundschaftliche Einvernehmen mit den Missionsleuten das Verhalten des derzeitigen Gouverneurs von Kamerun ab, der sogar einen Erlass herausgegeben haben soll, worin den Beamten der Besuch auf den Basler Missionsstationen verboten wurde!

Leider haben gewisse Händler- und Kolonistenkreise, denen der Gouverneur nicht hart und rücksichtslos genug gegen die Eingeborenen erschien, in jüngster Zeit aus dem Hinterhalt boshafte Pfeile gegen ihn abgeschossen. Eine Zeit lang schien es sogar, als sollte es ihnen gelingen, den besten Gouverneur, den wir zur Zeit in unseren Kolonien haben, zu Falle zu bringen. Es hat sich aber auch hier wieder gezeigt, dass die Lügen kurze Beine haben. Möge sein weises und mildes Regiment dem deutsch-südwestafrikanischen Gebiet noch lange erhalten bleiben!

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Die Schäden der neuen Zeit

Neben den Lichtseiten der deutschen Kolonisierung liegen auch tiefe Schatten. Wenn ein Volk seine Selbständigkeit verliert, und sein Land von einer europäischen Macht in Besitz genommen wird, so hängt damit meistenteils eine Störung der in ihm schon vorhandenen Missionstätigkeit zusammen. Die Besitzergreifung von Kamerun und die von Deutsch-Ostafrika lieferten besonders betrübende Beispiele dieser Art. In Südwestafrika war die Störung nicht so empfindlich. Es gab allerdings zeitweilig Spannungen zwischen den Weißen und den Farbigen, die sich in Gochas und Okahandja auch auf die Missonsarbeit übertrugen; an letzterem Orte musste wegen des ausgesprochenen Misstrauens, das Kamaharero selbst die Missionare empfinden ließ, auf kurze Zeit Kirche und Schule geschlossen werden. Aber zu einer tiefergehenden Schädigung durch militärische Maßnahmen ist es im Anfang unserer Koloninlära hier nicht gekommen.

Erst der Hereroaufstand hat eine solche Störung gebracht, dafür allerdings in um so größerem Maßstabe. Schwerer, weil von längerer Dauer ist gewöhnlich der Schaden, den das Einfluten zerfetzender Kräfte in einem Kolonialgebiet mit sich bringt. Der weiße Mann setzt sich zwischen die Eingeborenen hinein. Die alten Volksverbände lösen sich auf. Die von Alters her geübten Ordnungen und Sitten fallen dahin.

In Deutsch-Südwestafrika haben wir ein besonders starkes Eindringen fremder Elemente zu verzeichnen. Unsere anderen afrikanischen Kolonien liegen im Tropengürtel und haben in der Fiebergefahr, die dem Europäer dort droht, einen Türhüter, der nicht allzu viele Fremdlinge hineinlässt. Südwestafrika dagegen bietet mit seiner Höhenlage und dem gemäßigten Klima bessere Vorbedingungen. Hier können die Europäer ungestraft körperliche Arbeit tun und durch ganze Generationen im Lande bleiben. Der Unterschied in der Besiedelung fällt deutlich in die Augen, wenn man die Zahl der in Deutsch-Südwestafrika wohnenden Weißen mit der im noch etwas größeren deutsch-ostafrikanischen Gebiet vergleicht. Nach dem Weißbuch von 1904 wohnten im Jahre vorher 1.275 Weiße (darunter 1.014 Deutsche) in Deutsch-Ostafrika, in unserer südwestafrikanischen Kolonie dagegen 4.682 Weiße, davon 2.998 deutsche Staatsangehörige; also dreimal so viel. Neben den Soldaten der Schutztruppe spielen die Händler und Farmer eine große Rolle, Man mag ein Recht haben, das zahlreiche Einwandern unsrer Landsleute und ihr Sesshaftwerden im Lande vom deutsch-nationalen Standpunkt aus freudig zu begrüßen, auf die eingeborene Bevölkerung aber übt die Nachbarschaft des weißen Mannes eine ähnliche Wirkung aus wie ein starker Baum auf die Schwächlinge in seiner Umgebung, Er nimmt ihnen über der Erde den Sonnenschein weg und unter der Erde die Bodenfeuchtigkeit, Nun datiert die Ansiedelung von Weißen und das Umherziehen von Händlern in unserm Gebiet allerdings nicht erst seit der deutschen Besitzergreifung. Gleich nach den ersten Missionaren tauchten schon gewinnsüchtige Wanderhändler auf, und in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war bereits ein größerer Burentrek in unserem Gebiet zu verzeichnen. Seitdem sind fast immer einige der vor den Engländern zurückweichenden Buren über die deutsche Grenze getreten, was man in Missionskreisen wegen der früheren Gegnerschaft der Buren gegen die Mission nicht eben freudig begrüßte. Seitdem vollends die Willkürherrschaft der eingeborenen Häuptlinge durch die deutsche Regierung gebrochen war, schwoll der Strom der weißen Einwanderer sichtlich an. Es sind neben ehrenwerten und rechtschaffenen Leuten auch sehr bedenkliche Elemente ins Land gekommen, die, wenn sie mit den mühsam gesammelten Missionsgemeinden in Berührung treten, einen sehr ungünstigen Einfluss auf die Farbigen ausüben.

Das gilt auch von einem Zweige des Handels, der zwar in Togo und Kamerun noch viel stärkere Verwüstung anrichtet, aber auch hier viel Anlass zu Klagen gibt, dem Branntweinhandel. Die Nama sind von jeher leidenschaftliche Verehrer berauschender Getränke gewesen; indes war die Bereitung des Honigbieres und des Gebräues, das sie sich aus den Beeren des sogenannten Rosinenbuschs herstellten, immerhin mit einiger Mühe verbunden, und die scheut der Nama nun einmal. Welche herrliche Gabe war ihm deshalb die Branntweinflasche, die er nur zu entkorken brauchte, um den feurigen Inhalt zu erlangen. Kein Wunder, dass die Trunksucht im Lande rapid zunahm. Haben die Eingeborenen Geld, so geben sie geradezu unbegreifliche Summen für den Verderben bringenden Fusel aus. Früher, als die Missionare noch unumschränkte Herren auf ihren Stationen waren, nahmen sie in der Regel gleich einen Satz in die Lokalordnugen auf, dass kein Branntwein auf diesen Plätzen verkauft werden dürfte. Jetzt dulden die Landesgesetze solche gutgemeinte Beschränkungen nicht mehr, und der Branntweinhändler hatte freies Spiel. Doch sucht die Verwaltungsbehörde auf vorgebrachte Klagen der Missionare oder christlicher Häuptlinge das Übel wenigstens einzuschränken.

Eine weitere Landplage, die ja in neuester Zeit die Augen besonders auf sich gezogen hat, ist der Handel auf Borg. Die Kaufleute, die zum Teil als Wanderhändler das Land durchziehen und den Eingeborenen bis ins "Feld" nachgehen, liefern ihnen die Waren vielfach auf Kredit. Damit wird das leichtsinnige Volk zu verschwenderischen Anschaffungen verführt. An die Stelle der alten einheimischen Geräte treten europäische Artikel, die sie kaum zu gebrauchen wissen; die einfache Volkstracht muss der hier vielfach lächerlich wirkenden Kleiderpracht der deutschen Städte weichen. So ließ sich z. B. der Sohn des Oberhäuptlings Sam, Maharero vor einiger Zeit im Frack, Cylinder und weißen Handschuhen, seine Braut im weißseidenen Kleide trauen. Der Händler hatte ihnen diesen Hochzeitsstaat aufgeschwatzt.

Um der unsinnigen Verschuldung ihrer Pflegebefohlenen zu wehren, erließ die Mission einen Hirtenbrief, in dem es heißt:

"Ist denn kein Verstand in euch? Ihr sagt: Wir hatten diese Sachen sehr nötig, und die Händler beredeten uns, sie auf Borg zu nehmen. So? Wir denken, ihr habt sie meist nicht nötig, sondern seid nur lüstern darnach. Wenn euch jemand einen schönen bunten Strick gibt und zu euch sagt: 'Nehmt, nehmt, tut ihn um den Hals! Ist es nicht ein schöner Strick?' Tut ihr das? Fürchtet ihr nicht, dass ihr euch damit erwürgt? So ist es mit den Sachen, die euch von den Händlern aufgedrungen werden, sie auf Borg zu nehmen. Sie sind nur der schöne bunte Strick, mit welchem ihr gefesselt werdet. Und wenn ihr erwürgt seid, was helfen euch dann die Sachen, die ihr auf Borg gewonnen habt? Ihr habt sie unterdessen verbraucht, und euer Gut, von dem ihr leben musstet, ist dahin."

Die treugemeinte Warnung blieb nicht ohne Erfolg. Es bezahlten daraufhin in Okazeva alle Gemeindeglieder und Taufbewerber ihre Händlerschulden, selbst der alte Häuptling Tjetjoo nahm sich die Mahnung zu Herzen und tilgte die seinigen. Wo aber der Einfluss der Mission geringer war, wucherte das Übel weiter. Nebenbei gesagt liegt in diesem Interessenkampf zwischen Mission und Händlertum einer der Gründe für die neuerdings in gewissen Kolonialkreisen hervorgetretene Missionsfeindschaft., Der Missionar, der als väterlicher Freund der Ausbeutung der Eingeborenen entgegentritt, ist dem skrupellosen Kolonialegoisten ein Dorn im Auge. Es soll an dieser Stelle übrigens nicht unerwähnt bleiben, dass einzelne solide Händler entschieden gegen das unsinnige Auf-Borg-Geben sind. Welche verhängnisvolle Rolle dasselbe beim Ausbruch des Hereroaufstands gespielt hat, ist bekannt.

Vielfach im Zusammenhang mit den Schuldverhältnissen der Eingeborenen steht die Landfrage, insofern nämlich die Händler sich schließlich mit dem Grundbesitz ihrer zahlungsunfähigen Schuldner bezahlt machten. Die Ländergier ist, wie es scheint, eine von der Kolonialpolitik unzertrennbare Begleiterscheinung. Nach der Anschauung der Afrikaner kommen die Europäer überhaupt nur nach Afrika, um ihr Land "aufzuessen". Sie haben mit dieser Redeweise gar nicht so unrecht. In Südwestafrika kommen die vom Landhunger getriebenen Leute von allen Seiten. Da sind die Vertreter der Regierung, die das von den Bewohnern in Benutzung genommene Land vermessen und das übrige für Regierungsland erklären. Hat sich ein Stamm oder auch nur dessen Häuptling eine grobe Unbotmäßigkeit zu Schulden kommen lassen, flugs werden sie mit der Einziehung von Ländereien bestraft. Da sind weiter die großen Gesellschaften. Neben der Kolonialgesellschaft für Südwestafrika entstand die Deutsch-westafrikanische Kompanie, die Damaraland-Konzession, die englische South West Africa Companie, das Kharaskoma-Syndikat, die Hanseatische Land-, Minen- und Handelsgesellschaft und wie die geldgierigen Ungeheuer sonst noch heißen mögen. Die ihnen erteilten Gerechtsame gehen natürlich alle auf Kosten der Eingeborenen. Endlich die vielen Ansiedler, zum großen Teil ehemalige Angehörige der Schutztruppe, die nach abgedienter Militärzeit im Lande bleiben und entweder von der Regierung oder mit Hilfe der obenerwähnten Händler ein zur Anlage einer Farm günstig gelegenes und genügend großes Stück Land erwerben. Ob an der Enteignung der ursprünglichen Besitzer deren Leichtsinn und Indolenz oder listige Übervorteilung oder ein brutaler Gewaltakt schuld ist, läßt sich nachträglich schwer entscheiden. Tatsache aber ist, dass das den Eingeborenen verbliebene Land in der letzten Zeit immer kleiner und minderwertiger wurde.

Die Mission hat der Enteignung der Farbigen nicht untätig zugesehen. Sie ist seit einem Jahrzehnt darauf bedacht, dem Volke nach dem Vorbild der älteren Missionsstationen in der Kapkolonie einen unveräußerlichen Grundbesitz zu sichern. Diesem Zwecke sollen die sogenannten Reservate dienen. In der dafür mit der Regierung bez. dem betreffenden Häuptling, der das Land zur Verfügung stellt, getroffenen Vereinbarung wird der Rheinischen Missionsgesellschaft für die Dauer von zunächst 70 Jahren das Recht eingeräumt, sich innerhalb des genügend groß bemessenen Gebietes mit ihren Angehörigen an beliebigen Stellen niederzulassen und nach ihrem Ermessen alle Einrichtungen und Anlagen zu schaffen, die das Wohl der Eingeborenen in seelsorgerlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu fördern geeignet sind, doch dürfen alle aus diesem Gebiet stammenden Einnahmen der Missionsgesellschaft immer nur zur Bestreitung von Ausgaben derselben mit Beziehung auf das südwestafrikanische Schutzgebiet Verwendung finden. Es ist auch die Bestimmung getroffen, dass in einem Reservat keine Lizenzerteilung zum Ausschank geistiger Getränke erfolgen darf. Andern Fremden als den Missionsangehörigen ist die Niederlassung verboten.

Als erste derartige Freistatt für die Eingeborenen unter missionarischer Aufsicht ist Rietmond-Kalkfontein im östlichen Namalande eingerichtet. Weitere Reservate wurden für die Missionsplätze Gochas, Hoachanas und Bethanien beantragt, Die Reichsregierung hat aber noch immer gezaudert, in ihre Abgrenzung zu willigen.

Wir haben im Vorstehenden ohne Voreingenommenheit die Vorteile und die Schäden, welche die deutsche Besitzergreifung mit sich gebracht hat, nachzuweisen gesucht. Fragt man nun nach dem Gesamtergebnis der großen Veränderung, die in Deutsch-Südwestafrika vor sich gegangen ist, so muss man das Bild, das sich aus den letzten Jahresberichten der Rheinischen Missionsgesellschaft ergibt, als ein durchaus unerfreuliches bezeichnen. Die einst zu schönen Hoffnungen berechtigende Namamission leidet unter der offenkundigen Degeneration des Volkes, das die Berührung mit den Weißen nicht vertragen zu können scheint, Dafür ist freilich nicht nur das mit der kolonialen Entwickelung zusammenhängende Einströmen zersetzender Kräfte verantwortlich zu machen, auch Dürre nnd Hungersnot, Rinderpest und Fieberepidemie, die im letzten Jahrzehnt nach einander das Land heimsuchten, haben die Namabevölkerung sehr geschwächt.

Das Hererovolk erwies sich zunächst als widerstandsfähiger gegen die widrigen Einflüsse der neuen Zeit. In ihm trat während der letzten Jahre eine größere Empfänglichkeit für das Evangelium hervor, als je zuvor. Da kamen die traurigen Ereignisse vom Januar 1904, welche die ganze mühsame Arbeit von Jahrzehnten über den Haufen warfen, so dass vorläufig niemand zu sagen vermag, wo es mit der Herero-Mission hinauswill. Am günstigsten steht noch die Arbeit unter den Bastards und den Bergdamra da. Vielleicht drängt die Entwicklung der Dinge auf eine Bevorzugung dieser beiden Volksklassen hin, die bisher hinter den Nama und Herero sehr zurücktraten.

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Anmerkungen

1)
Wir wollen uns im Nachfolgenden immer der abgekürzten Namen Nama und Herero bedienen. Sprachlich richtiger wäre die Einzahl Namab und die Pluralform Namaqua, während beim Hererovolke ein einzelner Mann streng genommen Omuherero heißt, die Mehrzahl Ovaherero. Ähnlich ist es beim Namen Ovambo. Diese Bezeichnung ist jetzt die allgemein übliche statt der Einzelbezeichnung Omuambo und der Mehrzahl Ovaambo.

2)
Der mittlere Teil unsers Schutzgebiets heißt heute noch das Damaraland. Die Bezeichnung stammt von den Nama, die bei ihrem Einrücken in's Land die vorgefundenen Bewohner Damnb und Damagu, Daman oder Damara nannten, worunter auch die Herero mitverstanden wurden.

3)
Dieser Ortsname hat sich bis heute erhalten und bildet mit den ebenfalls gebliebenen biblischen Bezeichnugen Rehoboth, Gibeon, Berseba ein Denkmal der seitens der Rheinischen Missionare geleisteten Pionierarbeit. Sie führten anfangs noch mehr deutsche Namen ein. So wurde der Swakop von ihnen "Rhein" und das Flusstal von Windhuk "Wupper" genannt. Man hat aber später von diesen Bezeichnungen abgesehen.

4)
Er hatte die in der Hemmt zugebrachten Jahre dazu benutzt, einige Übersetzungen für die südwestafrikanische Mission drucken zu lassen. Für diese und weitere Spracharbeiten ward ihm später von der Berliner Universität der Doktortitel verliehen.

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