Sven Hedin

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Sven Hedin

Der letzte Entdeckungsreisende

Quelle: Johannes Paul: ''Abenteuerliche Lebensreise - Sieben biographische Essays'' (Seite 317 - 378: Sven Hedin: Der letzte Entdeckungsreisende) - Wilhelm Köhler Verlag Minden 1954

Sven Hedin

An einem Frühlingsabend des Jahre 1880 waren alle Stockholmer auf den Beinen. Sie wollten einen Landsmann empfangen, der eines der großen Probleme der Entdeckungsgeschichte gelöst hatte: die Bezwingung der Nordostpassage, des Seeweges vom europäischen Eismeer entlang der Nordküste Asiens zum Stillen Ozean. Erik von Nordenskiöld war der Mann, der mit seinem Dreimaster "Vega" diese Tat vollbracht hatte. Unter den mehr als hunderttausend Menschen, die den mit einem Schlag in aller Welt berühmt gewordenen Schweden begrüßen wollten, war auch ein Junge von fünfzehn Jahren, der mit heißem Herzen alle Bilder dieses Abends in sich aufnahm. Sein Name war Sven Hedin.

Zehn Uhr abends erdröhnen von den Batterien auf dem Kastelholm die ersten Kanonenschüsse. Bündel von Raketen steigen in die Luft. Bald lässt ein strahlendes Feuerwerk die Festbeleuchtung der Häuserfronten erblassen. Brausend pflanzt sich ein Chor von Jubelrufen am Ufer fort, und dann erscheint das Märchenschiff, die "Vega". Langsam und feierlich gleitet es Stockholms Ström hinauf und wirft vor dem Königsschloss Anker. Hier endet die Fahrt des kühnen Forschungsreisenden, der als erster Mensch ganz Asien und Europa umfahren hatte.

Für den jungen Sven Hedin wird dieser Tag zum entscheidenden Wendepunkt: "Von wunderbaren Gedanken erfüllt legte ich mich nieder. Ich hatte ein unerhört Großes erlebt und eine Erfahrung gesammelt, die mein ganzes Leben bestimmen sollte. Wenn Nordenskiöld nur durch das Vordringen in unbekannte Teile der Erdoberfläche sich weltumspannenden Ruhm erworben hatte, so stand auch mir die gleiche Bahn offen." Seit diesem Tag hat er sein Lebensziel klar vor Augen: er beschließt, Polarforscher zu werden.

 

Sven Hedin wurde am 19. Februar 1865 in Stockholm geboren, wo sein Vater Stadtarchitekt war. Sein Elternhaus, in dem schlichte Frömmigkeit, Gastlichkeit und der Sinn für Gelehrsamkeit herrschten, blieb ihm bis ins Alter der Inbegriff von Heimat und Geborgensein. In der Schule wollte es anfangs nicht recht gehen. Aber nach einigen Jahren packte ihn der Ehrgeiz. Vor allem reizte ihn das Kartenzeichnen. Allein aus seiner Schulzeit sind sieben dicke Bände mit selbstgezeichneten Karten erhalten.

Als er zwanzig Jahre alt war und kurz vorm Abitur stand, fragte ihn der Rektor seines Gymnasiums, ob er Lust hätte, auf kurze Zeit nach Baku am Kaspischen Meer zu gehen. Er sollte dort einen Knaben unterrichten, dessen Vater Ingenieur auf den Naphthafeldem der Brüder Nobel war. Ohne Zögern sagte Hedin zu. Gewiss war das nicht gerade der kürzeste Weg, um Polarforscher zu werden. Aber instinktiv fühlte er, dass sich ihm hier die große Chance bot, um irgendwie die Träume seiner Jugendjahre zu verwirklichen.

Der Abschied von der Heimat, von Eltern und Geschwistern fiel ihm bitterschwer, diesmal wie auch bei jeder späteren Reise. Aber schon am ersten Tage siegte sein fröhlicher Optimismus und die Neugier auf die funkelnde Ferne. Mit seinem Schüler und dessen Mutter fuhr er über Petersburg und Moskau der Grenze Asiens entgegen. Durch die Nadelwälder und die Steppen Russlands saust der Zug. Ohne zu ermüden nimmt er all die neuen, fremdartigen Bilder in sich auf: Kleine weiße Kirchen mit grünen Zwiebeltürmen, freundliche Dörfer, Bauern in roten Kitteln und hohen Stiefeln bei der Feldarbeit, endlose Landstraßen, auf denen die Troika dahinjagt.

Hedins Tätigkeit als Hauslehrer war von vornherein auf ein halbes Jahr befristet. Sie ließ ihm hinreichend Zeit, um sich mit Land und Leuten seiner neuen Umgebung bekannt zu machen. Die langen Winterabende benutzte er, um Russisch, Tatarisch und Persisch zu lernen. Schon nach wenigen Monaten konnte er alle drei Sprachen ziemlich fließend sprechen. Er war entschlossen, keineswegs sogleich wieder nach Hause zurückzukehren. Jetzt lockte ihn die märchenhafte Romantik des Orients. Eine Reise quer durch Persien sollte ihm einen ersten Eindruck davon verschaffen. Doch die Frage der Finanzierung bereitete ihm noch erhebliches Kopfzerbrechen. Eines Tages erschien Ludwig Nobel plötzlich in Baku, um die Betriebsanlagen zu inspizieren. Zur allgemeinen Überraschung nahm er auf die Fahrt über die Ölfelder den jungen Sven Hedin mit, der sich ihm vor seiner Abreise von Stockholm schon flüchtig bekannt gemacht hatte. Hedin ist beglückt über diese Ehre, und sogleich durchzuckt ihn der Gedanke, hier könnte er einen Mäzen finden. Dem schwerreichen Manne müsste es doch ein leichtes sein, ihm die Reise durch Persien zu ermöglichen. Mit Begeisterung berichtet er ihm darum von seinen Plänen. Aber der schweigsame alte Herr blieb kühl und verschlossen.

Diese Ablehnung hat Hedin tief getroffen. In dem Entschluss, die Reise allen Schwierigkeiten zum Trotz doch zu wagen, konnte sie ihn nur bestärken. "Als ich mich an jenem Abend zu Bett gelegt hatte", schrieb er später, "dachte ich lange über die Ereignisse dieses Tages nach und gelobte mir mit beinahe aufrührerischer Entschlossenheit: ich werde ihm zeigen, dass ich Persien ohne Geld bezwingen kann. Ich habe einen mächtigen Helfer, und die ewigen Sterne werden über meinen Wegen leuchten."


Zu Pferd durch Persien

So musste er sich mit einer sehr bescheidenen Reisekasse auf den Weg machen. In Baku hatte er 180 Rubel gespart. Sein Vater, der anfangs mit den persischen Reiseplänen gar nicht einverstanden war, schickte ihm noch einmal die gleiche Summe. Das Geld wechselte Hedin sogleich in persische Silbermünzen um und ließ es in einen Ledergürtel einnähen, den er stets um den Leib trug. Seine Kleidung bestand aus einem einzigen Anzug und einem Wintermantel. "Zum Schutz gegen die Wärme habe ich einen großen Korkhut, zum Schutz gegen Krankheit eine kleine Apotheke, gegen körperliche Feinde einen scharf geladenen Revolver, gegen geistige - die Bibel. Ich bin so ruhig, als gelte es eine Reise nach dem Tiergarten."

Zum Reisebegleiter wählte er seinen jungen tatarischen Sprachlehrer Baki Chanow. Ein Dampfer mit mächtigen Schaufelrädern brachte beide von Baku zu der persischen Hafenstadt Rescht. Beim überschreiten des Elburs-Gebirges hatten sie die ersten Strapazen zu überstehen. Ein wütender Schneesturm hüllte das ganze Land ein. Die Kälte, auf die sie mit ihrer Kleidung nicht vorbereitet waren, drang den beiden einsamen Reitern durch Mark und Bein. Endlich war der letzte Kamm überschritten, und vor ihnen lag im Sonnenglanz der Steppe die Stadt Kaswin, von der einst der Prophet Mohammed gesagt hatte: "Ehrt Kaswin, denn diese Stadt liegt auf der Schwelle einer der Pforten des Paradieses."

Der Weg zu den paradiesischen Gefilden Persiens, von denen Hedin träumte, war jedoch noch weit. Erst nach einem anstrengenden Ritt von sieben Tagen trafen sie in Teheran ein. Hier hatte Hedin Empfehlungen an den Schweden Dr. Hybennet, den Zahnarzt des Schah, der sich ein Vergnügen daraus machte, den jungen Landsmann mit großartiger Gastfreiheit aufzunehmen und ihm alle Sehenswürdigkeiten der persischen Hauptstadt zu zeigen.

Der Sommer stand unmittelbar bevor; so beschloss er, die Reise nach Süden nicht länger aufzuschieben. Sein Begleiter war in Teheran an einem heftigen Fieber erkrankt. Hedin bedauert, ihn zurücklassen zu müssen; aber schon nach wenigen Tagen meint er, es sei doch eigentlich ein Vorteil, allein zu reisen. Ende April verließ er die Stadt, von jugendlicher Abenteuerlust berauscht: "Unendliche Weiten eines unbekannten Landes breiteten sich vor mir aus, als ich mit meinem ersten Stallknecht zum südlichen Stadttor von Teheran hinausritt. Ich fühlte mich glücklich über die asiatische Freiheit, die mich mit offenen Armen aufnahm. Reiter, Karawanen, wandernde Derwische, alle Lebewesen, die wir sahen, waren meine Freunde."

Die Reise führte ihn zu den denkwürdigen Stätten der persischen Geschichte aus drei Jahrtausenden. In Isfahan bewundert er die prächtige Fassade der Königsmoschee mit ihren kostbaren Fayencen. In Schiras, seit alter Zeit berühmt durch seine Rosen, die Schönheit seiner Frauen und die Güte seines Weines, gedenkt er des großen persischen Dichters Hafis, der einst hier gelebt hat. - Die Ruinen von Persepolis sind das eindrucksvollste Denkmal des Altertums, das in Persien erhalten geblieben ist. Sie liegen in einer Gegend, die heute fast völlige Wüste ist. Eine Doppeltreppe, auf der zehn Reiter nebeneinander die niedrigen Marmorstufen hinaufreiten konnten, führt zu einer riesigen Plattform; hier stehen noch heute die Grundmauern und dreizehn der sechsunddreißig Säulen, die einst die Dachbalken des Palastes von Xerxes trugen. Sinnend steht der junge Hedin vor den Ruinen dieses Königsschlosses, das im Jahre 331 v. Chr. in Trümmer fiel, als Alexander der Große nach einem tollen Trinkgelage den Palast und die ganze Stadt in Flammen aufgehen ließ.

Nachdem er in vier Wochen 1.600 Kilometer zurückgelegt hatte, erreichte er bei Buschehr die Küste. Noch im Alter schildert er diese Stadt als den schrecklichsten Ort, der ihm je in Asien vorgekommen sei. über die Hitze am Persischen Golf stöhnt er ebenso wie sechshundert Jahre früher Marco Polo. - Sein nächstes Ziel ist Bagdad. Um Geld zu sparen nimmt er nur einen Deckplatz auf dem englischen Dampfer, der ihn nach Basra bringt. Die Pracht und der Reichtum der alten Kalifenstadt, von denen uns die Märchen aus Tausendundeiner Nacht berichten, sind heute verschwunden. Fast alles fiel den mehrfachen Mongolenstürmen zum Opfer. Trotzdem ist Bagdad auch heute noch eine interessante Stadt mit engen, malerischen Straßen, in denen man alle Völkerschaften des vorderen Orients trifft. In den Basaren bestaunte Hedin persische Teppiche, seidene Gürtel, Brokate und andere Kostbarkeiten. Er hätte sich gern ein Andenken an Bagdad gekauft, aber ein Blick auf seine Kasse sagte ihm, dass er kaum noch, die Rückreise bis Teheran bestreiten konnte.

Er hat Gelegenheit, sich für diese Reise einer Karawane von Kaufleuten und heimkehrenden Mekkapilgern anzuschließen. Doch bald geht ihm das zu langsam; auch reist die Karawane nur nachts, so dass er von der Landschaft nichts zu sehen bekommt. Er mietet darum ein arabisches Vollblutpferd, dessen Besitzer, ein alter Araber, ihn begleitet. Das ist teuer, aber viel reizvoller. Als Hedin in der westpersischen Stadt Kir-manschah den Araber abgelohnt hatte, blieb ihm gerade noch Geld genug für ein bescheidenes Abendessen. Hier gab es keinen Europäer, an den er sich wenden konnte. Selbst mitten in der Wüste hatte er sich nicht so einsam gefühlt wie jetzt. "Ich setzte mich auf eine zerfallene Lehmmauer, um zu überlegen, und betrachtete die Menschen, die vorübergingen. Sie sahen mich an, als sei ich ein wildes Tier, und scharten sich in lebhaften Gruppen um mich. Was in aller Welt sollte ich anfangen? Es waren nur noch einige Stunden bis zur Dämmerung, und wo sollte ich die Nacht zubringen, um den Schakalen zu entgehen?"

Da erinnerte er sich, dass man ihm in Bagdad von einem reichen arabischen Kaufmann Aga Hassan erzählt hatte, der hier in Kirmanschah lebte. Seine Karawanen durchzogen ganz Westasien von Herat bis Jerusalem und von Samarkand bis Mekka. Das war der Mann, der ihm helfen konnte! - Hedin ließ sich bei ihm melden. Als der Araber hörte, dass sein Besucher aus Schweden, dem Lande König Karls XII. kam, der als "Eisenkopf" noch immer im Türkischen Reich gerühmt wurde, bot er Hedin mit orientalischer Höflichkeit seine Gastfreundschaft an: "Sie müssen mir versprechen, sechs Monate lang mein Gast zu sein. Was ich besitze, gehört Ihnen, Sie haben nur zu befehlen."

Er blieb nicht sechs Monate, sondern wenige Tage, aber diese Zeit war wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. "In einem großen Saal mit persischen Teppichen und schwarzseidenen Diwans ließ ich mich häuslich nieder. Zwei Sekretäre bildeten meinen Hofstaat, und Diener waren bei jedem Wunsch zur Hand! Hatte ich Appetit, so brachte man mir auserlesene Stücke am Spieß gebratenen Schaffleisches, Hähnchen mit Reis, saure Milch, Käse und Brot, Aprikosen, Weintrauben und Melonen, und hinterdrein gab es Kaffee und eine Wasserpfeife. Wollte ich trinken, so wurde mir ein süßes Getränk aus Dattelsaft mit Eis serviert. Und wollte ich ausreiten, um mir Stadt und Umgegend zu besehen, so warteten meiner auf dem Hof arabische Vollblutpferde!"

Es war wahrhaftig ein Reisemärchen, aber schließlich musste Hedin doch Aga Hassan seine Lage offenbaren und ihn um Hilfe angehen. Zunächst vertraute er sich einem der Sekretäre an. Der fand es zwar seltsam, dass ein Europäer ohne Geld auf eine so weite Reise geht, gab ihm aber sogleich die tröstliche Versicherung: "Geld können Sie von Aga Hassan so viel bekommen wie Sie wollen." - Der Sekretär hatte nicht zuviel versprochen. Der alte Araber war in jeder Weise um seinen Gast bemüht. Er warnte ihn vor den Räubern auf den Gebirgsstraßen und sorgte dafür, dass Hedin sich dem Postreiter anschließen durfte, der stets von drei Soldaten begleitet wurde. Beim Abschied ließ er ihm diskret durch den Sekretär einen mit Silbermünzen gefüllten Lederbeutel überreichen.

Die Entfernung bis Teheran betrug fünfhundert Kilometer. Schon die erste Etappe war eine harte Probe. In sechzehn Stunden legten sie mehr als hundertsechzig Kilometer zurück. Es ging vorüber an dem schneebedeckten Gipfel des Elwend und an den Ruinen von Ekbatana. Als die Reiter schließlich nach fünf Tagen in Teheran einritten, hatten sie in den letzten fünfundfünfzig Stunden keinen Augenblick geschlafen. Um vier Uhr morgens klopfte Hedin an die Tür seines Landsmannes Dr. Hybennet. Der war hocherfreut, seinen jungen Freund zwar sehr abgemagert, aber sonst wohlbehalten wieder zu sehen.

Nun musste Hedin ernstlich an die Heimkehr denken. Auf allen seinen späteren Unternehmungen betrachtet er es gleichsam als Ehrensache, für die Rückreise niemals den gleichen Weg zu wählen wie auf der Ausfahrt, selbst wenn das bequemer und billiger war. Schon jetzt folgt er diesem Grundsatz und benutzt die Gelegenheit, auf dem Heimweg Konstantinopel, den Balkan und Wien wenigstens flüchtig kennen zu lernen. Im September 1886 traf er wieder in Stockholm ein, von Eltern und Geschwistern wie ein Triumphator empfangen.

 

Hedins erste asiatische Reise war alles andere als eine wissenschaftliche Forschungsreise. Wie ein Landstreicher - ewig in Geldnöten, was ihn aber wenig bekümmerte, - war er mit nur tausend Mark drei Monate lang durch Persien und Mesopotamien gezogen. Aber er hat dabei ungeheuer viel gelernt, Er hat sehen gelernt und in seinen Briefen und Tagebüchern ein erstaunliches Talent entwickelt, all das Gesehene in lebendigen Bildern wiederzugeben. Er weiß jetzt, wie man in Asien reist. Er hat bewiesen, dass er mit den Angehörigen der verschiedensten Völkerschaften vortrefflich umzugehen versteht. Der Zauber des Orients hat ihn unrettbar gepackt. Er fühlt es jetzt mit schicksalhafter Gewissheit: Nicht in der Arktis wird er um Entdeckerruhm kämpfen, sondern in Asien, nur in Asien!

Zunächst widmete er sich in Stockholm dem Studium der Geologie. Nebenbei genügte er seiner Militärpflicht, was nur wenig mehr als einen Monat in Anspruch nahm, und vor allem schrieb er ein Buch über seine Persienreise. Zu seinem grenzenlosen Erstaunen bot ihm ein schwedischer Verleger dafür dreitausend Kronen, weit mehr, als die ganze Reise gekostet hatte. - Im Herbst 1889 ging er nach Berlin und ließ sich an der Universität immatrikulieren. Hier lehrte der berühmte Geograph Freiherr von Richthofen, der selbst jahrelang als Forschungsreisender in Asien gelebt hatte. Noch im Alter bekennt Hedin, er habe zwar viele bedeutende Persönlichkeiten in seinem Leben kennen gelernt: "aber keine machte auf mich einen tieferen, gewaltigeren und nachhaltigeren Eindruck als Ferdinand von Richthofen, und in keines anderen Menschen Nähe habe ich mich kleiner und unbedeutender gefühlt."

Richthofen fand Gefallen an dem jungen Studenten, der ihm von Nordenskiöld empfohlen worden war und der so begeistert von seinen persischen Reiseerlebnissen zu berichten wusste. Er legte ihm nahe, sich die Erforschung Zentralasiens zum Lebensziel zu setzen, und sagte ihm eine große Zukunft voraus, verlangte aber zunächst eine gründliche wissenschaftliche Vorbildung.

Doch schon nach wenigen Monaten bot sich für Hedin die Gelegenheit zu einer neuen Reise nach Asien. Das war eine Versuchung, der er nicht widerstehen konnte.


Gesandtschaftsreise zum Pfauenthron

Der König von Schweden hatte beschlossen, im Frühjahr 1890 eine außerordentliche Gesandtschaft zum Schah von Persien zu schicken. Hedin war dazu ausersehen, sie als Dolmetscher und Landeskundiger zu begleiten. Er wurde von König Oskar in Audienz empfangen und gewann in ihm einen väterlich-freundlichen Gönner bis an dessen Lebensende. Für die Dauer dieser Gesandtschaftsreise wurde Hedin zum Vizekonsul ernannt und bekam eine Art Diplomatenuniform, um auf die Perser gehörigen Eindruck machen zu können.
Die Mitglieder der Gesandtschaft, die der Oberhofjägermeister Treschow leitete, fuhren über Berlin und Wien nach Konstantinopel. Hier empfing sie Sultan Abdul Hamid, der ihnen den Medschidije-Orden in verschiedenen Klassen verlieh. Für Hedin war es der erste Orden seines Lebens, über den er sich knabenhaft freute. - Als sie schließlich in Teheran ankamen, erwartete sie ein Empfang mit allem orientalischen Prunk. Kavallerie in großer Paradeuniform kam ihnen zur Begrüßung entgegen, Infanterieregimenter bildeten Spalier. Mehrere Militärkapellen spielten die schwedische Nationalhymne; die ganze Bevölkerung von Teheran strömte herbei, um das prachtvolle Schauspiel zu sehen.

Bald wurden sie vom Herrscher in Audienz empfangen. "An der Stirnseite des Saales, zwischen dem einzigen bis zum Erdboden reichenden Fenster und dem Pfauenthron, stand Schah Nasreddin. Der eigenartige Thron, der einem großen Stuhl mit Rückenlehne und verlängertem Sitz und Stufen gleicht, war mit dicken Goldplatten belegt und mit Edelsteinen besetzt. Er gehörte einst dem Großmogul in Delhi; vor bald zweihundert Jahren hatte ihn Nadir Schah auf seinem indischen Feldzug erobert. - Nasreddin Schah war schwarz gekleidet und trug auf der Brust achtundvierzig riesige Diamanten und auf jedem Schulterstück drei große Smaragde. An der schwarzen Mütze hatte er eine Diamantenagraffe und an der Seite einen krummen Säbel, dessen Scheide mit Juwelen übersät war. Er betrachtete uns unverwandt; seine Haltung war königlich, er stand da wie ein echt asiatischer Despot, seiner Erhabenheit und Macht bewusst."

Nachdem sie ihren Auftrag erfüllt und durch Empfänge, Paraden und Gastmähler gebührend gefeiert worden waren, bereiteten sich die Mitglieder der Gesandtschaft auf die Rückreise vor. Nur einer zögerte: Hedin. Sollte er sich mit all diesen Festen zufrieden geben, bei denen er doch nur die Rolle eines Statisten spielte? Musste er nicht vielmehr diese Gelegenheit benutzen, um tiefer in das Herz des Erdteils einzudringen, dem er sein Leben weihen wollte? Zu eigener wissenschaftlicher Arbeit fühlte er sich noch immer nicht hinreichend gerüstet. Aber als Vorbereitung für ein späteres Forschungsunternehmen konnte ein solcher Vorstoß wohl dienen. Er bat darum telegraphisch König Oskar um die Erlaubnis, sich von der Gesandtschaft trennen zu dürfen und auf eigene Faust die Reise nach Osten fortzusetzen. Der König stimmte zu und erklärte sich sogar bereit, die Kosten zu tragen.

Im September verließ Hedin Teheran auf der berühmten Karawanenstraße nach Chorassan. "Schon Xerxes und Darius hatten auf dieser Straße eine Postverbindung eingerichtet, und zu Tamerlans Zeiten waren die Haltestellen, an denen die Kuriere des Großkönigs ihre Pferde wechselten, ungefähr dieselben wie jetzt. Hier ist klassischer Boden der Geschichte. Hier holte Alexander der Große den fliehenden Darius Kodomannus ein, hier zog Harun-al-Raschid einher, hier verheerten, plünderten und mordeten die wilden Horden der Mongolen, hier hallte die Wildnis wider vom Waffengeklirr Nadir Schahs."

Hedin reist mit drei Pferden und einem Stallknecht, der ebenso wie die Tiere an jeder Station gewechselt wird. In Mesched besucht er das Grab Harun-al-Raschids und bewundert die herrliche Moschee mit blauer Kuppel, die Tamerlans Lieblingsfrau hier bauen ließ. - An Tamerlan selbst, den gewalttätigen tatarischen Welteroberer, erinnert in Samarkand ein nach seinen eigenen Plänen errichtetes Grabmal, das Hedin als eines der schönsten Mausoleen der Welt bezeichnet. An einer Wand der Grabhalle sind in arabischer Schrift die Worte zu lesen: "Wenn ich noch lebte, würden die Menschen beben."

Feierlich ist ihm zumute, als er Anfang Dezember die Grenze Ostturkestans überschreitet und damit zum ersten Male die gelbe Erde Chinas betritt. In Kaschgar knüpfte er viele persönliche Beziehungen an, die ihm später von Nutzen werden sollten. Am Weihnachtsabend trat er die Rückreise an. In der öden Steppe am Fuße der schneebedeckten Bergriesen des Tien-Schan besuchte er noch das Grab des großen russischen Reisenden Prschewalskij; dann ging es in eiliger Fahrt über Buchara und die Wüste Karakum ans Kaspische Meer. Nach einjähriger Abwesenheit traf er im März wieder in Stockholm ein.

 

Auch diese Reise brachte noch keine umfangreichen wissenschaftlichen Ergebnisse. Aber sie gab ihm die Gewissheit, dass er jetzt das wahrhaft lohnende Ziel für seine Lebensarbeit gefunden hatte. "Als ich im Frühjahr 1891 nach Stockholm zurückkehrte, fühlte ich mich wie ein Eroberer unermesslicher Gebiete. Kaukasien, Mesopotamien, Persien, Russisch-Turkestan und Buchara hatte ich durchquert und war bis Chinesisch-Turkestan vorgedrungen. Ich traute mir daher zu, nun eine große Schlacht schlagen und ganz Asien erobern zu können, vom Westen bis zum Osten. Meine asiatischen Lehrjahre lagen jetzt hinter mir; große und ernsthafte geographische Aufgaben erwarteten mich. Ich brannte vor Sehnsucht, wieder hinauszukommen zu wilden Abenteuern. Schritt für Schritt hatte ich mich immer weiter zum Herzen des größten Erdteils vorgearbeitet. Jetzt kamen für mich nur noch Pfade in Betracht, die noch nie ein Europäer betreten hatte."

Es kam ihm nun nur noch darauf an, sein Studium wenigstens formal so schnell wie möglich abzuschließen. Im Frühjahr 1892 fuhr er nach Berlin und besuchte wieder einige Wochen lang die Vorlesungen von Richthofen. Aber schon im Juni ging er nach Halle, um an der dortigen Universität bei dem Geographen Kirchhoff sein Doktorexamen zu machen. Offenbar waren dort die Zulassungsbedingungen besonders günstig, denn schon sechs Wochen später kann er jubelnd nach Hause berichten, dass er das Examen bestanden hat. Seine Doktorarbeit trug den Titel "Der Demawend nach eigener Beobachtung."

Die zweite Reise hatte Hedin bis tief nach Innerasien hineingeführt, aber doch nur bis an die Schwelle jener Gebiete, die bisher von der geographischen Forschung wenig oder noch gar nicht berührt waren: Ostturkestan mit dem Tarimbecken und der Takla-makan, die Wüste Gobi und Tibet. Hier waren noch Gebiete vom mehrfachen Umfang europäischer Großstaaten, die auf der Landkarte nur als weiße Flecke verzeichnet waren. Es war sein Ehrgeiz, auf der neuen Reise, die er jetzt mit aller Energie vorbereitete, tief in diese "Terra incognita" Innerasiens vorzustoßen.

Schwierig war auch diesmal wieder die Finanzierung. Hedin hatte die Kosten auf zwanzigtausend Kronen veranschlagt. Erfahrene Freunde suchten ihn zu überzeugen, dass dies viel zu wenig sei. Sie bemühten sich, in ihrem Bekanntenkreise Gönner zu finden, die je einige hundert oder tausend Kronen beisteuerten. Wesentlich war schließlich die Bereitschaft des Königs und der Familie Nobel, die neue Reise großzügig zu unterstützen.


Die Todeskarawane

Es war Mitternacht, als der Dampfer "Von Döbeln" am 16. Oktober 1893 mit Hedin an Bord sich vom Kai von Skeppsbron löste. Um keinen Abschiedsschmerz aufkommen zu lassen, rief er Eltern und Geschwistern fröhlich zu: "Ich komme bald wieder!" Aber seine Mutter wusste es besser. "Bald, nach seiner Zeit!" flüsterte sie. Tatsächlich dauerte die Reise mehr als dreieinhalb Jahre.

Um wieder einen neuen Weg nach Zentralasien kennen zu lernen, fuhr Hedin diesmal mit der Eisenbahn zum Südende des Ural nach Orenburg. Von Taschkent aus geht er dann sein erstes Ziel an, das Hochplateau des Pamir. Mehrmals versucht er, dessen gewaltigsten Gipfel, den 7.900 Meter hohen Mustag-ata, den "Vater der Eisberge", zu bezwingen. Auch der dritte und letzte Ansturm führte nicht zum Erfolg. In 6.300 Meter Höhe stellt Hedin bei sich wie bei seinen kirgisischen Begleitern alle Symptome der Bergkrankheit fest: schnellen Puls, Taubheit, geringe Körperwärme und Schlaflosigkeit. Auch die Yaks, die das Gepäck tragen sollten, waren in dem tiefen Schnee nicht mehr vorwärts zu bringen.

So musste Hedin sich schweren Herzens zur Umkehr entschließen. Aber die Nacht, die er in diesem Höhenlager verbrachte, bot ihm noch ein einzigartiges Erlebnis. "Die Sonne ging unter, und ihr Purpurschein erlosch auf den Westhängen des Mustag-ata. Als der Vollmond über der Zinne der Felswand an der Südseite des Gletschers aufstieg, trat ich in die Nacht hinaus, um eines der großartigsten Schauspiele zu bewundern, die ich je in Asien gesehen habe. Die ewigen Schneefelder auf der höchsten Kuppe des Berges, das Firnbecken, das den Gletscher speist, und seine höchsten Regionen badeten im Silberschein des Mondes, aber wo der Eisstrom in seiner tiefen Felsrinne lag, herrschte nachtschwarzer unergründlicher Schatten, über die gewölbten Schneefelder zogen weiße dünne Wolken, und man glaubte die Geister des Berges zu sehen, die im Freien ihre Tänze aufführten. Ich stand so hoch wie der Gipfel des Chimborasso oder des Mount Mac Kinley und höher als der Kilimandscharo, der Montblanc und alle Bergspitzen dreier Erdteile; nur die höchsten Gipfel Asiens und der Anden waren höher. Bis zur Spitze des höchsten Berges der Erde, des Mount Everest, fehlten noch 2.600 Meter. Aber ich glaube dennoch, dass das Bild, das sich vor mir entrollte, an wilder, phantastischer Schönheit alles übertraf, was ein Sterblicher auf Erden erblicken kann. Mir war, als stünde ich an der Grenze des unermesslichen Raumes, in dem rätselhafte Welten von Ewigkeit zu Ewigkeit kreisen."

 

Nach der Rückkehr vom Pamir begab sich Hedin im Frühjahr 1895 von Kaschgar aus auf eine Expedition, die zur schwersten und verlustreichsten unter allen seinen asiatischen Unternehmungen werden sollte. Sie galt der Erforschung der Wüste Takla-makan, die das Innere jenes weiten Beckens ausfüllt, das dem Hochland von Tibet im Norden vorgelagert ist. Die Gewässer der Randgebirge sammeln sich in einem großen Strom, dem Tarim, der schließlich in dem See Lop-nor sein Ende findet. Dem Tarim strömen von Süden einige wenige Flüsse zu, die nur nach der Schneeschmelze in den Grenzgebirgen Tibets Wasser führen. Hedin hatte sich vorgenommen, die Wüstenstrecke zwischen zweien dieser Flüsse, dem Jarkent-darja und dem Chotan-darja, zu durchqueren.

Nur vier Eingeborene begleiteten ihn. Karawanenführer wurde sein alter erprobter Diener Islam Bai, Kamelführer zwei andere Kirgisen, Kasim und Mohammed. Schließlich wurde im letzten Augenblick noch ein Mann angeworben, der vorgab, mit der Wüste wohl vertraut zu sein und immer einen Weg zu finden. Er wurde daher Jolltschi, das heißt "Wegweiser", genannt. Der Proviant, das Trinkwasser und alle sonstigen Gepäckstücke wurden von acht baktrischen Kamelen getragen, starken und prächtigen Tieren, die Islam Bai für je 135 Mark in Jarkent gekauft hatte.

Als die Karawane am 10. April das Dorf Merket am Ufer des Jarkent-darja verließ, hatten sich alle Bewohner auf den Dächern ihrer Häuser oder am Straßenrand versammelt. Sie machten bedenkliche Gesichter und sparten nicht mit Ratschlägen und Prophezeiungen. "Die Kamele sind zu schwer beladen", meinte ein Zuschauer. Und ein alter Mann murmelte vor sich hin: "Die kommen nie wieder!"

Die Entfernung von Merket bis zum Chotan-darja beträgt etwa dreihundert Kilometer. Hedin hoffte, die Strecke in weniger als einem Monat zu bewältigen. Während der ersten zwölf Tage ging alles ausgezeichnet. Die Karawane zog noch am Rande des eigentlichen Wüstengebietes nach Nordosten. Menschen und Tiere waren frisch und ausgeruht, und fast jeden Tag konnte ein Brunnen gegraben werden. Am Abend des 21. April trafen sie in der Nähe des Jarkent-darja sogar einen kleinen Süßwassersee. Die Kamele konnten sich an dem üppigen Schilf seiner Ufer noch einmal gütlich tun und sich satt trinken. Jetzt erst begann der Vorstoß in den zentralen Teil der Wüste. Hedin befahl seinen Leuten, für zehn Tage Wasser mitzunehmen und die Behälter mit Schilfbündeln zu umwickeln, um sie gegen die Sonnenbestrahlung zu schützen. Das Plätschern des Wassers war das Letzte, was er hörte, als er am Abend einschlief.

 

Schon am ersten Tag der eigentlichen Wüstenreise stieß man auf Sanddünen, die zwanzig bis dreißig Meter hoch waren. Anfangs gab es zwischen den Dünen noch ebene Flächen mit hartem Lehmboden, und hier und da stand eine einsame Tamariske. Aber bald hörte auch das auf. Soweit der Blick reichte, sah man nichts als die immer höher sich türmenden Ketten der Wanderdünen.

Am Abend des ersten Tages hatte die Karawane 26 Kilometer zurückgelegt. Der Versuch, in einem Tal zwischen den Dünen Wasser zu graben, schlug fehl. Als am Morgen des nächsten Tages die Wasserbehälter den Kamelen aufgeladen werden sollten, klangen sie so hohl, dass Hedin den Inhalt nachprüfte. "Zu meinem Erstaunen fand ich, dass er nur noch zwei Tage reichte. Ich nahm die Leute ins Verhör und erinnerte sie an meinen Befehl, Wasser für zehn Tage mitzunehmen. Jolltschi, der "Wegweiser" entgegnete, wir hätten nur noch zwei Tage bis zum Chotan-darja. Ich konnte sie nicht schelten, denn ich hätte selbst nachsehen sollen, wieviel Wasser wir vom See mitnahmen. Wir hatten nur zwei Tagesmärsche zurückgelegt, und es wäre klüger gewesen, in den eigenen Spuren zurückzugehen; dann wäre die Karawane gerettet worden und kein Leben verloren gegangen. Aber ich konnte mich nicht zu einem Rückzug entschließen und hatte allzu großes Vertrauen zu meinem Führer." Der Wasservorrat reichte nur noch für einen Tag. Jetzt sollte er über drei Tage gestreckt werden. Das bedeutete zwei Becher täglich für jeden Mann.

Am nächsten Tage zog sich die Karawane weit auseinander. Als sie sich am Abend sammelte, fehlten zwei Kamele, der "Alte" und der "Große Schwarze". Sie konnten nicht mehr weiter, berichtete der Karawanenführer Mohammed, und hatten ihren davonziehenden Gefährten einen langen fragenden Blick nachgesandt. Hedin war tief erschüttert und malte sich ihr Schicksal aus. "Wenn ich nachts wach lag, dachte ich mit Entsetzen an die armen Tiere. Anfangs waren sie vielleicht froh gewesen, dass sie ruhen durften. Dann war die Nacht mit ihrer Kühle gekommen. Sie hatten sicher darauf gewartet, dass die Männer zurückkehrten und sie holten. Das Blut strömte immer dicker durch ihre Adern. Wahrscheinlich starb der "Alte" zuerst. Nun war der "Große Schwarze" allein. Schließlich starb auch er in der majestätischen Stille der Wüste, und die wandernden Dünenhügel würden im Laufe der Zeit die irdische Hülle der beiden Märtyrer begraben."

Hedin beschloss nun, alles zurückzulassen, was nicht unbedingt notwendig war: Proviant und Decken, Kochapparat und Geschirr. Alle Konserven, die irgend etwas Flüssiges enthielten, wurden verteilt. Dazu gab es zum letzten Male einen Becher Tee. Der ganze Wasservorrat bestand jetzt noch aus zwei kleinen Kannen. Am nächsten Morgen war eine davon verschwunden. Alle hatten Jolltschi in Verdacht. Mühsam schleppte sich die Karawane zwölfeinhalb Stunden vorwärts. Als am 30. April bei Sonnenaufgang die Kamele beladen wurden, ertappte man Jolltschi mit der letzten Wasserkanne am Munde. Islam und Kasim schlugen ihn zu Boden und hätten ihn wohl getötet, wenn nicht Hedin dazwischengetreten wäre.

Am nächsten Vormittag blieb Hedin hinter der Karawane zurück. Als er sie mittags an ihrem Lagerplatz erreichte, bot sich ihm ein schrecklicher Anblick. Jolltschi lag wie tot am Boden. Mohammed lag auf dem Bauch und rief tränenüberströmt Allah um Hilfe an. Islam starrte unausgesetzt nach Osten. Plötzlich erwachte Jolltschi. Er kroch auf Hedin zu, ballte die Fäuste und schrie: "Wasser! Gib uns Wasser, Herr! Nur einen Tropfen Wasser!"

Gab es denn gar nichts mehr zu trinken? Da war ja noch eines der Schafe übrig, die man als lebenden Proviant mitgenommen hatte. Islam packte es, drehte ihm den Kopf in die Richtung nach Mekka und schnitt die Halsschlagader durch. Alle stürzten sich auf das dicke, braunrote, übelriechende Blut. Auch Hedin versuchte es. Aber die Schleimhäute seines Mundes waren vertrocknet, und der Ekel packte ihn so, dass er schon den ersten Schluck wieder ausspucken musste. Doch Islam und Jolltschi tranken es, und sinnlos vor Durst scheuten sie sich sogar nicht, Kamelurin aufzufangen; sie hielten sich die Nase zu und tranken das Gefäß leer. Bald danach packte sie ein übles Erbrechen, und schreiend wälzten sie sich im Sande.

Erst an diesem Lagerplatz scheint Hedin den ganzen Umfang der Katastrophe erkannt zu haben. Noch einmal überprüfte er das Gepäck. Jetzt mussten auch die photographischen Apparate geopfert werden mit tausend Platten, davon hundert schon belichtete, ferner das Zelt, die Apotheke, Sättel und Kleidungsstücke. Es war klar: Mohammed und Jolltschi konnten nicht mehr weiter und mussten zurückbleiben. Beide hatten das Bewusstsein fast verloren. Die Kamele waren viel zu schwach, um noch einen Menschen zu tragen. Hedin hoffte, die beiden Männer würden vielleicht doch noch seiner Spur folgen können, oder er würde später imstande sein, ihnen zu Hilfe zu kommen.

Als die Dämmerung hereingebrochen war, machte er sich mit Islam und Kasim auf den Weg. Bald legte ein Kamel sich nieder und war nicht mehr vorwärts zu bringen. Kurz danach erklärte Islam, er sei am Ende seiner Kräfte und wolle hier sterben. Jetzt wird Hedin klar, dass der letzte Akt des Wüstendramas begonnen hat. "Da ich jetzt einsah, dass das Spiel verloren war, beschloss ich, alles im Stich zu lassen, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich opferte sogar die Tagebücher und wissenschaftlichen Journale und nahm nur mit, was ich stets in meinen Taschen trug."

Hedin nahm Abschied von Islam und befahl ihm, seiner Spur zu folgen, sobald er wieder bei Kräften wäre, erhielt aber keine Antwort mehr. Dann wanderte er mit Kasim die ganze Nacht hindurch nach Osten. Als am nächsten Vormittag die Sonne zu heiß brannte, zogen sie sich aus und gruben sich am Nordabhang einer Steildüne bis zum Hals in den noch nachtkühlen Sand ein. — Auch in der nächsten Nacht setzten sie ihre mühselige Wanderung fort, waren aber schon so schwach, dass sie lange Ruhepausen einlegen mussten. Beim Sonnenaufgang packte Kasim plötzlich Hedin an der Schulter und zeigte erregt nach Osten. "Eine Tamariske!" rief er. Schon fühlte Hedin sich fast gerettet. "Also das erste Zeichen organischen Lebens! Gott sei Lob und Dank! Die Hoffnung, die dem Erlöschen nahe gewesen, flammte wieder auf. Drei Stunden lang wankten und taumelten wir vorwärts, ehe wir diesen ersten Strauch erreichten, den Ölzweig, der uns verkündete, dass das Wüstenmeer doch eine Küste hatte. Wir dankten Gott für diese gesegnete Gabe und kauten die grünen bitteren Nadeln der Tamariske."

Nachdem sie am Abend mehrere Stunden lang weitergewandert waren, stießen sie plötzlich im Dunkeln auf drei dicht nebeneinander stehende Pappeln mit saftigem Laub. Zum Essen waren die Blätter zu bitter, aber auf der Haut zerrieben erzeugten sie ein angenehm erfrischendes Gefühl. Unter den Bäumen lag trockenes Astwerk. Das trugen sie auf den Kamm der nächsten Düne und entzündeten dort ein loderndes Feuer, um Islam den Weg zu weisen, falls er noch am Leben war.

Als Hedin bei Sonnenaufgang erwachte, zeigte sich am Horizont im Osten nicht mehr die gezackte Linie der Dünen, sondern eine waagerechte, dunkelgrüne Linie. Das konnte nur der Uferwald des Chotan-darja sein! Noch einmal rafften sie ihre letzten Kräfte zusammen und schleppten sich vorwärts. Nach einigen Stunden wurden die Dünen niedriger und hörten schließlich ganz auf. Am Nachmittag erreichten sie die ersten Bäume. Da stand er vor ihnen, der Wald, dicht und üppig, mit Blumen, Gras und Kräutern. Die Luft erklang vom Summen der Insekten und Vogelgezwitscher. Am Boden sah man die Fährten von zahlreichen wilden Tieren, bald auch einen Pfad mit deutlichen Spuren von Menschen und Pferden.

Für die Schönheiten der Natur hatten sie jetzt freilich keinen Sinn. Aufs äußerste erschöpft brachen beide im Schatten eines Pappelhaines zusammen. Hedin kroch in die Wurzelhöhlung eines Baumes und lag dort zehn Stunden lang. Erst am Abend war er imstande, sich zu erheben. Er wusste: Wenn sie nicht innerhalb weniger Stunden Wasser fanden, dann waren alle bisherigen Anstrengungen umsonst. Kasim lag regungslos am Boden. Er starrte in den Himmel und flüsterte, er wolle hier unter diesen Pappeln sterben.

So musste Hedin sich allein auf den Weg machen. Mühsam schleppte er sich von Baum zu Baum, durch Dickicht und Dornen. Plötzlich ging der Wald an einer steilen Böschung zu Ende. Vor ihm lag das Flussbett des Chotan-darja, aber es war trocken wie der Sand der Wüste! Hedin wusste, erst im Sommer, wenn das Eis der hohen Berge im Süden geschmolzen war, würde sich der Trockenfluss in einen reißenden Strom verwandeln. Er beschloss, das Flussbett, das hier Nord-Südrichtung hat, zu durchqueren. Er musste also genau nach Osten gehen. Im schwachen Schein des Mondes prüfte er am Kompass die Richtung. Aber immer wieder kam er nach rechts ab. Eine unsichtbare Macht, so meinte er, wollte ihn nach Südosten drängen. Schließlich gab er nach und folgte dieser Richtung. "Plötzlich fuhr ich zusammen und blieb stehen. Ein Wasservogel, eine Wildente oder Wildgans, flog mit klatschendem Flügelschlag auf, und ich hörte den plätschernden Laut von Wasser! Im nächsten Augenblick stand ich am Rand eines Tümpels. Sein Wasser sah im Mondschein schwarz wie Tinte aus, und der umgestürzte Pappelstamm spiegelte sich darin. In der stillen Nacht dankte ich Gott für meine wunderbare Rettung. Wäre ich genau nach Osten weitergegangen, dann wäre ich rettungslos verloren gewesen.

Ich setzte mich ruhig an den Rand des Tümpels und fühlte meinen Puls. Er war so schwach, dass ich ihn kaum spürte, und zählte nur neunundvierzig Schläge. Dann trank ich und trank und trank. Das Wasser war kalt, kristallklar und süß wie das beste Quellwasser. Mein ausgedörrter Körper sog die Feuchtigkeit wie ein Schwamm ein. Alle Gelenke wurden geschmeidig, die pergamentharte Haut wurde weich und meine Stirn feucht. Der Puls nahm an Stärke zu und stieg nach einigen Minuten auf sechsundfünfzig Schläge. Das Blut strömte leichter durch die Adern. Ich fühlte mich erquickt und neubelebt. Dann trank ich wieder und streichelte das Wasser dieses gesegneten Tümpels, den ich Choda-verdi-köll taufte, 'den von Gott geschenkten See'."

Jetzt galt es, Kasim zu retten. Hedin zog seine hohen Schaftstiefel aus und füllte beide bis zum Rand mit Wasser, dann ging er in den eigenen Spuren zurück. Er fand seinen Diener noch in derselben Stellung, in der er ihn am Abend verlassen hatte. "Ich sterbe", waren die einzigen Worte, die Kasim flüsternd hervorbrachte. Aber er setzte sich auf, und Hedin konnte ihm den Stiefel an die Lippen führen. Er trank ihn in einem Zuge aus, nach kurzer Pause auch den anderen. Als Hedin ihn aber jetzt mit zum Chotan-darja nehmen wollte, erklärte Kasim, dass er dazu noch zu schwach sei. "Folge dann meiner Spur, sobald Du kannst", sagte Hedin. "Ich gehe erst an den Tümpel und dann im Flussbett nach Süden."

Er kehrte also jetzt allein zurück, trank sich noch einmal satt und ruhte einige Zeit. Dann ging er an der Uferböschung entlang nach Süden. Plötzlich traf er in einer Lichtung auf eine weidende Schafherde. Der junge Hirt starrte ihn entgeistert an. Als Hedin ihn mit "Salam aleikum!" begrüßte, verschwand er eilends im Dickicht. Bald kam er mit einem älteren Manne zurück. Beide hielten sich in respektvoller Entfernung. Hedin erzählte ihnen in kurzen Worten von seinem Schicksal. Die Hirten schienen ihm anfangs nicht recht zu trauen, führten ihn aber doch zu ihrer armseligen Hütte und gaben ihm zu essen: Maisbrot und frische Schafmilch. Dann legte er sich erschöpft nieder und schlief bis tief in den Morgen hinein.

Am nächsten Tag hört er plötzlich ein Kamel brüllen. Er trat vor die Hütte. Da kam von einem der Hirten geführt das große weiße Kamel seiner Karawane, und hinter ihm wankten Islam und Kasim! Islam fällt Hedin vor Rührung zu Füßen. Dann erzählt er am Feuer seine Erlebnisse. Bei den Pappeln, an denen auch Hedin und Kasim vorbeikamen, musste er zwei völlig erschöpfte Kamele zurücklassen. Schließlich war es ihm gelungen, mit dem weißen Kamel aus der Wüste zu entkommen. Die Last des Tieres enthielt Hedins Tagebücher und Karten, dazu das chinesische Silbergeld, zwei Flinten und Tabak.

Was Hedin kaum mehr zu hoffen gewagt hatte, war eingetreten: wenigstens zwei seiner Diener waren gerettet, und der Geldvorrat machte ihn unabhängig von fremder Hilfe. Von einer vorüberziehenden Karawane kaufte er drei Pferde und Proviant. Dann nahm er Abschied von den Hirten, die er für ihre Hilfe überreichlich entlohnte, und kehrte mit seinen Begleitern unter Umgehung der Wüste in einem fünfhundert Kilometer langen Ritt nach Kaschgar zurück.

 

Die ersten Monate des nächsten Jahres benutzt Hedin zu einer Reise in das Mündungsgebiet des Tarim, zum Lop-nor. Immer wieder erzählen ihm Eingeborene von einer sagenhaften alten Stadt, die unter dem Wüstensand begraben liegen soll. Er geht allen diesen Hinweisen sorgfältig nach und dringt noch einmal tief in die Wüste ein. Tatsächlich stieß er bald auf die Ruinen einer alten Stadt. Die meisten Häuser waren völlig vom Sand bedeckt, aber an zahlreichen Stellen ragten Pfosten und ganze Wände aus den Dünen empor. Hedin fand kunstvolle Buddhastatuen und andere Plastiken buddhistischer Heiliger. Er machte sich genaue Aufzeichnungen über die Lage der Stadt, ihre Gärten und Anlagen, von denen er noch deutliche Spuren fand. Für eine gründliche Ausgrabung fühlte er sich aber nicht gerüstet. Es genügte ihm als Geographen, den Archäologen den Weg gewiesen zu haben. Spätere systematische Untersuchungen der Funde haben das Alter der Stadt mit etwa zweitausend Jahren bestimmt.

Nach einer Ruhepause in der Stadt Chotan brach Hedin zu seinem letzten Unternehmen auf. Er wollte über Nordtibet nach China reisen und in Peking die große Expedition beenden. Sechs ständige Diener begleiteten ihn; die Karawane bestand aus mehr als sechzig Tragtieren. Nach vierzehn Tagen waren sie bereits mitten in den hohen Randgebirgen dieses gewaltigsten Hochlandes der Erde. Obwohl es erst Mitte August war, sank die Temperatur schon auf zehn Grad unter Null. Hier ist die Heimat der Wildesel und der wilden Yaks, die Hedin mit leidenschaftlichem Interesse beobachtet, wie er schon in der Wüste die wilden Kamele aufgespürt hatte. Er bringt es aber nicht über sich, selbst eines dieser Tiere zu erlegen. "Ich bin kein Jäger und nie einer gewesen. Das hat nicht seinen Grund im Gehorsam gegen das erste Gebot in Buddhas Gesetz, kein Leben zu zerstören. Aber ich habe es nie über mich gewinnen können, ein Lebenslicht auszulöschen, das aufs neue anzuzünden mir die Macht fehlt. Am allerwenigsten würde ich ein so edles Tier töten können wie das wilde Kamel. Dagegen habe ich stets Jäger mit mir gehabt, denn das ist sowohl des Proviants wie der wissenschaftlichen Sammlungen wegen nötig."

In der eisigen Höhe Nordtibets wurde die Weide immer spärlicher. Das mitgeführte Futter reichte nicht weit. Bald brach eines der Lasttiere nach dem anderen zusammen. Nach zwei Monaten waren von der stolzen Karawane nur noch siebzehn Tiere am Leben. Tungusische Räuber bedrohten in der grenzenlosen Weite der Zaidam-Hochebene die Reisenden. Nur durch kluge Taktik vermag Hedin ein Feuergefecht und einen Nachtangriff zu vermeiden. - Als er schließlich den Oberlauf des Hoang-ho und damit die Grenze des eigentlichen China erreicht hat, zählt er seine Barschaft und stellt fest, dass er nur noch 770 chinesische Tael besitzt, in seiner Lage eine äußerst geringe Summe, denn allein bis Peking war es noch ein Weg von drei Monaten. Aber das macht ihm wenig Sorge. Er hat ein erstaunliches Talent, wenn es nötig ist, auch ohne viel Geld vorwärts zu kommen und im Notfall immer einen Menschen zu finden, der es sich zur Ehre anrechnet, ihm behilflich zu sein.

Er entlässt jetzt alle Diener bis auf Islam Bai, gibt ihnen das Doppelte des vereinbarten Lohnes und sorgt für ihre Heimkehr. Nach vielen Strapazen kommt er endlich im März 1897 in Peking an. Da Schweden damals noch keine Gesandtschaft in China unterhielt, begab er sich in die russische Botschaft. Der Botschafter selbst war auf Urlaub in Europa, aber der Geschäftsträger hatte von Petersburg den Auftrag bekommen, Hedin jede gewünschte Hilfe zu gewähren. So zog er jetzt in die Privatwohnung des Botschafters ein. Seine Kleidung war so abgerissen, dass er drei Tage brauchte, um sich völlig neu auszustatten. Dann machte er seine offiziellen Besuche und stürzte sich in den Trubel der Empfänge und Feste, die ihm zu Ehren von Chinesen und Europäern gegeben wurden. Jedesmal, wenn er aus der Wildnis in den Bereich der Zivilisation zurückkehrt, klagt er bewegt darüber, dass ihm nun das stille Gleichmaß der Tage und die erhabene Ruhe Innerasiens verloren gehen. Aber im Grunde ist es gerade dieser ständige Wechsel, der ihn immer von neuem reizt.

Zur Heimreise nach Europa benutzte Hedin die transsibirische Bahn, die jedoch damals erst bis zum Jenissei fertiggestellt war. In Petersburg hört er, dass Zar Nikolaus II. seinen Besuch in Zarskoje Selo erwartet. Hedin berichtet ihm von seinen Unternehmungen in den letzten drei Jahren. Der Herrscher verfolgt auf einer riesigen Asienkarte den Reiseweg und ist besonders interessiert an Hedins Urteil über die Arbeit der russisch-englischen Grenzkommission im Pamir. Als er hört, dass Hedin schon wieder eine neue Reise nach Zentralasien plant, sagt er ihm seine Unterstützung zu, insbesondere Zollfreiheit und freie Fahrt und Fracht auf allen russischen Eisenbahnen. Das versprach für Hedins nächste Reise erhebliche finanzielle Vorteile. Die Expedition, die er jetzt beendete, hatte ihn einschließlich der ganzen Ausrüstung 39.000 Mark gekostet. Für eine Reise, die mehr als dreieinhalb Jahre dauerte und ihn über 25.000 Kilometer führte, ist dies gewiss keine allzu große Summe, aber es war doch mehr als das Doppelte seines Voranschlages.

 

Wie viele andere Weltreisende war Hedin ein emsiger Briefschreiber. Selbst in den entlegensten Gegenden Asiens fand er irgendwie Anschluss an die Post. Immer nahm er sich auf seinen Reisen Zeit zu geruhsamen Pausen, in denen er oft nächtelang Briefe von unglaublichem Ausmaß schrieb. So sandte er am Vorabend des Weihnachtsfestes 1894 aus Kaschgar 149 Seiten Privatbriefe ab. Die meisten gingen an seine Eltern und Geschwister. Sie wurden ebenso eifrig beantwortet. In Peking stellte Hedin fest, dass er von seinem Vater auf dieser Reise 143 Briefe mit rund 3.000 Seiten bekommen hatte. Daneben unterhielt er einen lebhaften Briefwechsel mit zahlreichen Männern der Wissenschaft, vor allem seinem Lehrer von Richthofen. Auch dem König Oskar und der Familie Nobel berichtete er schon von unterwegs.

Durch diesen Briefwechsel war von seinen Abenteuern und von den Ergebnissen seiner Forschungen bereits viel in die Öffentlichkeit gedrungen. Als er jetzt nach Hause kam, stellte er mit Erstaunen fest, dass er ein berühmter Mann geworden war. Die bedeutendsten Stätten geographischer Forschung, vor allem Berlin und London, Paris und Petersburg bemühten sich, ihn als Redner zu gewinnen, überall wurde er mit Orden, Medaillen und anderen Ehrungen überhäuft.

Die Vortragsreisen und die damit verbundenen Festlichkeiten erforderten viel Zeit und Kraft. Hedin ist durchaus empfänglich für den Ruhm, der ihm jetzt nach. Jahren der Entbehrungen und der Einsamkeit zuteil wird. Aber zwischen diesen Reisen zieht er sich in Stockholm in den engsten Familienkreis zurück, um seine wissenschaftlichen Ergebnisse auszuarbeiten und das große, für breitere Kreise bestimmte Reisewerk zu schreiben. Es erscheint in Deutschland bei dem Verleger Brockhaus unter dem Titel "Durch Asiens Wüsten" in zwei dicken Bänden mit vielen Hunderten von Abbildungen.


Stromfahrt durch die Wüste

Schon bald nach seiner Heimkehr betrieb Hedin die Vorbereitungen für seine neue Expedition. Die Finanzierung war diesmal einfacher. Er machte die Erfahrung, dass ein berühmter Mann leichter Mäzene findet als ein Unbekannter. Freunde und Gönner brachten insgesamt 40.000 Kronen auf. Tatsächlich kostete die Reise schließlich das Doppelte dieser Summe, aber die Differenz konnte er jetzt aus den Einkünften seines Buches bestreiten. - "Schone dich, ich will dich nicht verlieren", sagte der König mit bewegter Stimme, als Hedin sich von ihm verabschiedete.

Am Johannistag des Jahres 1899 verließ er Stockholm wieder für mehr als drei Jahre. Das Gepäck war diesmal weit umfangreicher als auf der vorigen Reise. Es enthielt unter anderem vier Bildkameras mit 2.500 Platten, Waffen und Munition, Geschenke für Eingeborene und sogar ein Faltboot mit Rudern, Mast und Segel. Der Zar, den er in Petersburg aufsuchte, wollte ihm durchaus zwanzig Kosaken als ständige Begleitmannschaft mitgeben. Hedin hatte alle Mühe, ihm klarzumachen, dass er höchstens vier Mann gebrauchen konnte.

Ausgangspunkt der neuen Reise war wieder Kaschgar. Hedin wollte den Tarim in seiner ganzen Länge bis zum Lop-nor befahren und dabei eine genaue Karte des bisher noch kaum bekannten Stromes aufnehmen. Er wechselte 11.500 Rubel in chinesisches Silbergeld um, was den Devisenmarkt Kaschgars schwer erschütterte und eine Geldlast von dreihundert Kilogramm ergab.

 

Nahe dem Dorfe Merket am Yarkent-darja, wo im Jahre 1895 die Todeskarawane ihren Ausgang genommen hatte, kaufte Hedin eine große Flussfähre. Sie war elf Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Auf dem Vorderteil der Fähre wurde Hedins Zelt aufgeschlagen. Es war in der Fahrtrichtung offen. Aus zwei Kisten wurde hier ein großer Tisch errichtet. Das gab einen idealen Arbeitsplatz. Er bot alle Annehmlichkeiten eines Studierzimmers und gewährte doch unbehinderte Aussicht auf das ständig wechselnde Flusspanorama, das jetzt Tag für Tag vor Hedin abrollte. Im Achterdeck war der Platz für die Diener, unter ihnen wieder Hedins alter Gefährte Islam Bai. Um auch schmale Flussarme befahren zu können, ließ Hedin noch eine zweite wesentlich kleinere Fähre bauen. Sie führte den Proviant mit sich, darunter viele Hühner, Melonen und frisches Gemüse. An Bord der großen Fähre befanden sich auch einige Schafe und zwei junge Hunde, Dowlet und Yolldasch.

Das Reisen war für Hedin nicht nur ein Mittel, um ein bestimmtes Forschungsziel zu erreichen, sondern durchaus auch Selbstzweck, ein Stück seines Lebens, dem er sich mit Andacht und Leidenschaft hingab. Die Schilderung, die er in seinem Reisewerk von der Tarimfahrt gibt, atmet noch das Glück dieser Tage: "Ich sitze an meinem Schreibtisch und habe das erste Blatt Papier, Kompass, Uhr, Feder, Blei und Fernglas vor mir und blicke auf den prächtigen Strom hinaus, der sich in wilden Krümmungen durch die Wüste hinschlängelt. Wie die Schnecke führen wir unser Haus mit uns und sind stets "zu Hause". Ohne dass ich einen Schritt zu machen oder ein Pferd zu lenken brauche, kommt die Landschaft still und langsam auf mich zu. Bei jeder Biegung entrollen sich vor mir neue Bilder von bewaldeten Landzungen, dunklen Dickichten oder wogenden Schilffeldern. Islam stellt ein Brett mit warmem Tee und Brot auf den Tisch. Eine feierliche Stille umgibt uns. Nur von Zeit zu Zeit wird sie unterbrochen, wenn das Wasser um einen Ast gurgelt, der an einer seichten Stelle hängengeblieben ist, oder wenn wir dem Ufer gar zu nahe gekommen sind und die Bootsleute uns mit langen Stangen abstoßen, oder wenn die Hunde sich jagen und vom Vorderschiff aus einen Hirten anbellen, der, zur Bildsäule erstarrt, vor seiner Hütte aus Reisig und Zweigen steht und der lautlos dahingleitenden Fähre zusieht. Das Leben des Flusses wird mir vertraut, ich fühle die Schläge seines Pulses. Jeder Tag lehrt mich seine Gewohnheiten besser kennen. Nie habe ich eine idyllischere Reise gemacht, die Erinnerung daran ist mir unvergesslich."

Bei Einbruch der Dämmerung wird die Fähre am Ufer festgemacht. Die Diener gehen an Land und bereiten die Abendmahlzeit, während Hedin die Aufzeichnungen des Tages ordnet und abschließt. Dann wird das Essen aufgetragen. Meist gibt es Tee und Reispudding, Brot, Eier und Gurken, manchmal auch gebratene Wildenten oder Fasanen, die Islam im Uferwald erlegt, oder Fische, die Kasim, der Führer der Ersatzfähre, mit einem kleinen Speer harpuniert. Während die Mannschaft schon im Schlafe liegt, entwickelt Hedin in der Dunkelkammer noch die photographischen Aufnahmen. Oft ist er erst nach Mitternacht damit fertig.

Die Karte, die Hedin auf dieser Flussfahrt zeichnete, wurde das Muster einer sorgfältigen Geländeaufnahme. Fast jeder Baum am Ufer, jede Krümmung des Flussbettes und jede Düne ist eingezeichnet. Das erfordert während der Fahrt ständig konzentrierteste Anspannung. "Den ganzen Tag hindurch muss ich meine Aufmerksamkeit ununterbrochen dem Kompass, der Uhr, der Landschaft, der Karte, dem Notizbuch und dem Strommesser widmen, der uns die Geschwindigkeit angibt. Die Karte geht sehr ins einzelne, und ich wage zu sagen, sie ist das Ideal einer Flusskarte. Nur wenn ich lange Peilungen vor mir habe, kann ich einige Minuten hintereinander aufatmen und mich mit etwas anderem beschäftigen, mit Lesen, Ablesen der meteorologischen Instrumente und dergleichen. Glaubt Ihr, ich komme dazu, mich zu langweilen? Nein, dazu langt die Zeit nicht!"
Es war Mitte September, als Hedin die Tarimfahrt antrat. Zuerst war der Strom meist von lichtem Uferwald begleitet, der sich manchmal zu einer majestätischen Waldkulisse steigerte. Das anfangs blasse Grün des Laubes verwandelte sich rasch in leuchtendes Gelb und Rot. Nach zwei Wochen hörte der Wald auf, und nun dehnte sich ringsum die endlose Weite der Steppe, die schließlich in völlig vegetationslose Wüste überging. An vielen Stellen drängten sich bis zu sechzig Meter hohe Wanderdünen unmittelbar an das Flussbett heran.

Mitte Oktober sank die Temperatur zum ersten Mal auf den Nullpunkt. Drei Wochen später wurden nachts neun Grad Kälte gemessen. Gerade in diesen Tagen kam eine Flussstrecke mit reißender Strömung. Pfeilschnell schössen die beiden Fahrzeuge dahin. Plötzlich tauchte im Fahrwasser eine breite Insel aus Reisig und Treibholz auf, die sich um einen auf Grund geratenen Baumstamm gebildet hatte. Wenn die große Fähre in ihrer rasenden Fahrt dagegen stieß, musste sie unfehlbar kentern. Da sprang der Fährmann Alim mit einem Seil um den Leib in das eiskalte Wasser, und es gelang ihm, vom Ufer das Fahrzeug aus der tosenden Strömung zu ziehen.

 

Eines Morgens war die ganze Landschaft ringsum weiß bereift. Winterkleider und Pelze wurden hervorgeholt. Hedin ließ ein eisernes Becken mit glühenden Kohlen in sein Zelt bringen, um seine Hände vor dem Erfrieren zu schützen. Nur mit Mühe gelang es ihm, die Tinte am Feuer flüssig zu erhalten. In geschützten Buchten bildete sich schon eine Eisdecke. Bald danach waren beide Fähren zum ersten Mal am Ufer festgefroren und mussten mit Äxten losgehauen werden. Sie wurden daher nachts nur noch an solchen Stellen festgemacht, wo die Strömung die Eisbildung verhinderte. Vierzehn Tage später kamen nachts die ersten Eisschollen. Am nächsten Morgen war der ganze Fluss von Treibeis bedeckt, das im Schein der aufgehenden Sonne wie Millionen von Diamanten funkelte. Jetzt bildeten sich auch am Ufer feste Eisränder, die von Tag zu Tag breiter wurden.

Am dritten Dezember forderten Reiter am Ufer die Fähre zum Landen auf. Es waren Boten der beiden Kosaken, die Hedin mit fünfzehn Kamelen vorausgeschickt hatte. Sie sollten ihm melden, dass die Karawane einige Tagereisen flussabwärts ein Lager bezogen hatte und dass der Fluss unterhalb dieser Stelle ganz zugefroren war. Vier Tage später erreichten sie diesen Platz. - Sein eigentliches Ziel, den Lop-nor, hat Hedin nicht erreicht. Aber er besitzt die glückliche Gabe, aus jeder neuen Situation stets das Beste herauszuholen. Und er hat ja viel Zeit. Die Fahrt auf dem unteren Tarim wird auch im nächsten Frühjahr eine reizvolle Sache sein. Und die Lage des Winterquartiers erschien ihm geradezu ideal. Nur drei Tagereisen weit, so stellte er mit Befriedigung fest, war es bis zur nächsten Ortschaft, wo man allerlei kaufen konnte. Und nach Süden und Westen breitete sich die große Wüste aus, die er in diesem Winter noch einmal bezwingen wollte.

Das Winterlager wuchs rasch zu einer ansehnlichen Siedlung. Auf einem großen Platz wurde Hedins Zelt aufgeschlagen. Eine feste Hütte diente zur Aufbewahrung des Gepäcks. Für die Pferde der Karawane wurde ein Stall aus Schilf errichtet. In der Mitte des freien Raumes zwischen dem Zelt und den Behausungen seiner Diener stand ein einsamer Baum. Darunter wurde Tag und Nacht ein Feuer unterhalten. Ringsherum lagen Teppiche, auf denen man Gäste empfangen und Tee trinken konnte. Später kam sogar ein Kaufmann aus Russisch-Turkestan hinzu und eröffnete einen Laden mit vielen schönen Dingen.

 

Kurz vor Weihnachten brach Hedin erneut zu einem Zug durch die Wüste auf. Die Karawane war diesmal nur klein: Vier Diener, sieben Kamele und ein Pferd. Das Gepäck war so gering wie möglich. Drei Kamele trugen nur Brennholz und große Eisblöcke, die in Säcken verpackt waren. Auch auf ein Zelt verzichtete Hedin diesmal. Drei Wochen lang schliefen sie alle auf dem nackten Wüstenboden. Es war seine Absicht, die Takla-makan in südwestlicher Richtung schnurgerade zu durchqueren. Die Strecke war weit länger als der Weg der Todeskarawane vor fünf Jahren, und die Sanddünen stellenweise noch höher. Aber jetzt war es Winter, und Hedin hatte aus seinen früheren Erfahrungen gelernt. - Der Hauptfeind war diesmal die Kälte. Oft zeigte das Thermometer dreißig Grad unter Null. Besonders die nächtlichen astronomischen Beobachtungen wurden dabei zur Qual. Er musste dann immer ein kleines Feuer in der Nähe haben, um zu verhindern, dass seine Finger an den Schrauben des Instrumentes festfroren.

Nach zwei Monaten ist Hedin wieder im Lager am Tarim. Aber nur vierzehn Tage lang gönnt er sich Ruhe; dann unternimmt er einen Vorstoß in das östliche Wüstengebiet. Er findet das ausgetrocknete Seebecken des alten Lop-nor und erkennt die Tendenz des unteren Tarimlaufes und des Sees, nach Osten zu wandern. Mitten in der Wüste entdeckt er auch hier die Ruinen einer alten Stadt, darunter einen Buddhatempel mit kunstvollen Holzschnitzereien. Da der Wasservorrat der Karawane zu Ende ging, musste eine genauere Untersuchung der Ruinen auf später verschoben werden.

Nun war es Zeit, das Winterlager aufzulösen. In sechs Wochen wird der Unterlauf des Tarim befahren und kartographisch aufgenommen. Die große Fähre, mit der er mehr als zweitausend Kilometer auf dem Wüstenstrom zurückgelegt hatte, schenkt Hedin den Bewohnern eines Fischerdorfes. Nur schwer kann er sich von dem Fahrzeug trennen, das ihm so lange Zeit eine schwimmende Heimat war. Aber der Schmerz geht nicht tief. Auch hier erkennt er in dem ewigen Wechsel das Reizvolle seiner Existenz. In einem Brief, den er in diesen Tagen nach Hause schreibt, bekennt er sich zu der Herrlichkeit dieses Lebens: "Ich sitze hier in meiner ruhigen Hütte und denke keinen Augenblick an die Vergänglichkeit der Welt, sondern an das Schöne und Glückliche eines Loses wie des meinen, in so wechselnden Verhältnissen leben zu können, aus dem, was meine Tage mir erzählen, ganze Geschichten formen zu können, meine Lebensbahn in großen, scharfen, kräftigen Linien zu ziehen, statt auf einem Fleck oder einem Katheder zu sitzen und jeden Tag dem anderen gleichen zu lassen. Hier geschieht etwas, und jeder Tag, der dahingeht, lässt eine in grellen Farben gemalte Erinnerung zurück, die man nicht vergisst."

 

Hedins nächstes Ziel ist Tibet. Vor allem möchte er nach Lhasa, dem Sitz des Dalai Lama. Aber auch seine Verkleidung als tibetanischer Pilger hilft ihm nichts. Er wird erkannt und nur wenige Tagereisen vor dem ersehnten Ziel zur Umkehr gezwungen. - Sogleich ändert er seine Pläne und beschließt, durch Westtibet bis zum Himalaja vorzustoßen. Den Anstrengungen dieser Reise erliegen zwei seiner Diener und zwei Drittel aller Karawanentiere. Kurz vor Weihnachten ist er in Leh am Oberlauf des Indus. Hier erreichte ihn eine Einladung des Vizekönigs von Indien, Lord Curzon, der ihn bat, nach Kalkutta zu kommen. Natürlich konnte Hedin einem solchen Angebot nicht widerstehen. Nur von dem Kosaken Schagdur begleitet, der jetzt die Rolle eines Kammerdieners übernahm, reist er nach Süden und ist hingerissen von der Großartigkeit der Landschaft an den Hängen des Himalaja. Dann kommt er durch die berühmten Städte des Gangeslandes. Den tiefsten Eindruck macht auf ihn Agra mit der Grabmoschee Tadsch Mahal. Nichts, was er bisher in Asien und Europa gesehen hat, meint er, kommt der einzigartigen Schönheit dieses Bauwerkes gleich.

Hedin, der in Curzon nicht nur den Staatsmann sah, sondern ihn zugleich als einen der besten Kenner Asiens schätzte, war sichtlich beeindruckt von dem glänzenden Empfang und von der Wärme, mit der er fast wie ein Familienmitglied aufgenommen wurde. "Lady Curzon ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe", erklärt er kategorisch. Nach vierzehn festlichen Tagen unternimmt er noch eine Reise nach Heidarabad und Bombay. Dann ist er ernstlich zur Heimkehr entschlossen. Es kommt ihm aber nicht in den Sinn, dafür den Seeweg zu wählen. Eine Landreise erscheint ihm stets verlockender als die bequemste Seefahrt. Mitte Mai war er wieder in Kaschgar. Hier wurde die Karawane aufgelöst. Fünf Wochen später empfing ihn der Zar in Petersburg. Er war erfreut über das hohe Lob, das Hedin den Kosaken zollte. Jeder von ihnen erhielt einen Orden und ein Geldgeschenk, und sie wurden in einem kaiserlichen Tagesbefehl allen Garnisonen in Sibirien als Vorbild gerühmt.

 

Es folgt nun eine Zeit geruhsamer Arbeit in der Heimat. Eltern, Geschwister und Verwandte hatten ihn wieder am Kai von Skeppsbron empfangen, und in einem Landhaus nahe Stockholm wurde bis tief in die Nacht seine Heimkehr gefeiert. Aber nachdem alle anderen sich zur Ruhe begeben hatten, setzte Hedin sich noch an den Schreibtisch und begann mit der Niederschrift seiner Reiseerlebnisse. Das Werk erschien in Deutschland gleichzeitig mit der schwedischen Ausgabe unter dem Titel "Im Herzen von Asien". Bald folgten Übersetzungen in zehn anderen Sprachen. - Im Frühjahr 1905 wurde Hedin in die Schwedische Akademie der Wissenschaften gewählt. Er war jetzt vierzig Jahre alt, aber noch keinesfalls gewillt, nun ein stilles Gelehrtenleben in der Heimat zu führen. "In den Stunden der Arbeit brausten wilde Pläne von neuen Eroberungszügen nach unbekannten Teilen Asiens durch meinen Kopf, und Wüstenwinde riefen mich: Komm heim!"


Transhimalaja

Diesmal war es das südliche Tibet, das ihn lockte. Im Norden des Himalaja erstreckte sich, wie man wusste, die breite Talfurche des Tsangpo, des oberen Brahmaputra, dessen Quelle freilich noch niemand kannte. Was aber lag jenseits davon? Einige Reisende hatten dort von ferne zahlreiche sehr hohe Berge gesehen; aber wie sich das alles zu einem Gesamtbild ordnete, war völlig unbekannt. Darum sollte diese Region, die zugleich das Quellgebiet der größten Ströme Indiens umfasste, der Schauplatz seiner dritten großen Expedition werden.
Hedin wollte diesmal sein Ziel von Indien aus angehen. Lord Curzon hatte ihm dazu mit warmen Worten seine Unterstützung angeboten. Natürlich verschmähte Hedin auch jetzt für die Anreise den viel bequemeren und rascheren Seeweg, sondern zog durch die berüchtigte Salzwüste Persiens, die schon Marco Polo durchquert hatte, und durch das wilde Gebirgsland Belutschistan. In dem zweibändigen Werk "Zu Land nach Indien" hat er diese Reise geschildert.

In Indien fand er eine ganz neue Lage vor. Curzon war inzwischen durch Lord Minto abgelöst worden, den Hedin sogleich in seiner Sommerresidenz in Simla aufsuchte. Auch der neue Vizekönig war voller Sympathie für Hedins Pläne. Aber die politische Situation hatte sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Im Jahre 1904 hatte die britische Regierung ein Expeditionskorps nach Lhasa geschickt. Schon kurz jenseits der Grenze kam es zu einem Gefecht, bei dem die angreifenden britischen Truppen kaum ein Dutzend, die Verteidiger aber siebenhundert Mann verloren. Hedin war entrüstet, dass seine geliebten Tibeter in dem Kräftespiel zwischen Großbritannien und Russland geopfert werden sollten. In einem Artikel hatte er damals öffentlich zu diesen Vorgängen Stellung genommen: "Der Weg, der unter solchen Verhältnissen nach Lhasa führt, ist keine Via triumphalis, sondern eine Via dolorosa, ein Weg, auf dem das Blut der Niedergemetzelten nach Rache schreit und in den Spuren des Heeres nur Hass und Trauer aufwachsen. Ich wiederhole, meine Sympathien sind ungeteilt auf der Seite der Tibeter."

Gleich nach seiner Ankunft in Simla wurde Hedin eröffnet, dass ihm die Londoner Regierung die Genehmigung verweigert habe, über die indische Grenze nach Tibet einzureisen. Hedin ist empört und sieht in der Entscheidung eine persönliche Schikane des Staatssekretärs für Indien, Lord Morley. Er telegraphiert an den Premierminister, - vergeblich. Lord Minto intervenierte zu seinen Gunsten im Auswärtigen Amt; auch das war umsonst. Sogar im Parlament kommt die Sache zur Sprache. Aber Morley bleibt hart: "Die kaiserliche Regierung hat beschlossen, Tibet von Indien isoliert zu halten."

Hedin ist wütend. Der ganze Ansatz seiner neuen Expedition ist ihm damit verdorben. Aber er beschließt, den Kampf aufzunehmen und durch eine Hintertür in Tibet einzudringen, wenn ihm der direkte Weg verboten wird. Er reist nach Kaschmir und stellt eine große Karawane von über hundert Tragtieren zusammen. Beim Abmarsch gibt er Ostturkestan als Ziel an. Viele Tagereisen geht es jetzt nordwärts, immer höher in die wilde Gebirgswelt hinauf. Bald ist er in einem Gebiet, wo auf der Karte alle Namen fehlen. Der letzte bekannte Punkt war ein fast sechstausend Meter hoher Pass. Nur mit schwerer Mühe bezwingt ihn die Karawane. "Welche Aussicht bot sich dort oben! Am Rande des Horizonts erhob der Himalaja seine weißen Gipfel im hellen Sonnenglanz-, die ewigen Schneefelder schimmerten in blauen Tönen, und der Eispanzer der Gletscher warf die Sonnenstrahlen in blendenden Glanzlichtern zurück. Lange stand ich wie im Traum. Vor mir die höchste Bergkette der Erde. Im Norden das Kwenlun-Gebirge, der Grenzwall gegen das Becken von Ost-Turkestan. Im Osten und Südosten aber breitete sich das öde Tibet aus, dessen letzte Geheimnisse ich zu entschleiern hoffte."

Nun konnte er unbesorgt seinen Kurs ändern und unmittelbar nach Osten vordringen. Tagelang musste die Karawane durch Gegenden ziehen, wo die Tiere kaum einen Grashalm fanden. Hedin widmete sich hier besonders der Vermessung einiger Seen, die er mit seinem Faltboot in abenteuerlichen Fahrten erforschte, solange sie noch nicht von Eis bedeckt waren. Aber der Winter beginnt in diesen Höhen frühzeitig. Schon Mitte Oktober herrschte bittere Kälte. Die Karawanentiere fielen jetzt in Scharen dem Futtermangel und den Schneestürmen zum Opfer. Schließlich blieben von der ganzen Karawane nur noch zwölf Tiere übrig.

Hedins Ziel ist jetzt nicht mehr Lhasa, das er auf seiner vorigen Reise vergeblich zu erreichen versuchte. Nachdem mit dem britischen Expeditionskorps zahlreiche Europäer dahin vorgedrungen waren, hat die heilige Stadt für ihn den verführerischen Reiz des Unbekannten verloren. Dagegen lockt ihn jetzt Schigatse mit seinem berühmten Kloster, und Mitte Januar glaubte er, dass der Weg dahin nun offen vor ihm liege. Aber das war ein Irrtum. "Hier erlebte ich die größte Überraschung und machte auf dieser Reise die bedeutsamste Entdeckung, denn bald ergab sich, dass uns vom Tal des Tsangpo oder obern Brahmaputra, an dem Schigatse liegt, noch eine ungeheure Gebirgsmauer trennte, ein ganzes verwickeltes System von Bergen, von denen bisher nur vereinzelte Punkte bekannt waren und deren Zusammenhang nachgewiesen zu haben das wichtigste Ergebnis meiner ganzen Reise wurde."

Anfang Februar überschritt Hedin den letzten Pass dieses mächtigen Gebirgszuges, dem er den Namen "Transhimalaja" gab. Dann sah er vor sich ein breites Tal und in dessen Tiefe als schmales silbernes Band den Brahmaputra. Aus der eisigen Höhe Tibets stieg er jetzt durch Pappelhaine hinab in eine fruchtbare Kulturlandschaft mit wohl angebauten Feldern, Gärten und Gehöften. Das Land erschien ihm als ein wahres Paradies, und er hatte nur die eine Befürchtung, vor seinem Ziel noch aufgehalten zu werden. Aber diese Sorge war unbegründet. Denn er geriet jetzt in einen immer mehr anschwellenden Strom von Pilgern, die nach Schigatse zogen, um dort das tibetanische Neujahrsfest zu feiern.

 

Das Kloster Taschi-Lunpo ist der Sitz des Taschi Lama. Während der Dalai Lama in Lhasa die weltliche Spitze des Lamaismus verkörpert, ist der Taschi Lama das geistliche Oberhaupt. Beide gelten als Inkarnation göttlicher Wesen, als lebende Buddhas. Hedin hatte seinen Besuch beim Taschi Lama schon vor längerer Zeit angekündigt und konnte eines freundlichen Empfanges sicher sein, wenn er erst einmal bis zu ihm vorgedrungen war. Als er gleich nach seiner Ankunft in Schigatse den Wunsch äußerte, dem Neujahrsfest beiwohnen zu dürfen, wurde ihm zwar erklärt, das sei bisher noch keinem Europäer gestattet worden; aber schließlich gelang es ihm doch, den Widerstand der Lamas zu überwinden.

Am Morgen des Festtages holt ihn ein Kammerherr des Taschi Lama ab und geleitet ihn nach Taschi-Lunpo hinauf. Der Klosterhof, umgeben von Gebäuden mit zahllosen Galerien, Baikonen und Dächern, auf denen sich eine ungeheure Menschenmenge drängt, ist der Festplatz. Ein Chor von Knaben- und Männerstimmen begrüßt mit einer brausenden Hymne das Ende der Winternacht und den Einzug des Frühlings. Posaunenstöße verkünden die Ankunft des Taschi Lama. Als er auf seiner Galerie erscheint, erhebt sich die Menge und begrüßt ihn mit tiefer Verneigung. Nun beginnt die Zeremonie. Zwei Tänzer führen einen Zug von fahnentragenden Mönchen. Dann kommen weißgekleidete Lamas mit Tempelgeräten und Weihrauchfässern. Musikanten erscheinen, Trompeter mit drei Meter langen Posaunen, Flötenbläser und Trommler. Den Schluss bilden Schauspieler in unheimlichen Tiermasken. Sie führen einen wilden Tanz an, der die bösen Geiser beschwören soll. Dann wird in der Mitte des Hofes ein Feuer angezündet. Ein großes Stück Papier, auf dem alle üblen Dinge des vergangenen Jahres aufgezeichnet sind, die man im neuen vermeiden will, geht unter dem Jubel der Menge in Flammen auf. Damit ist die Macht der bösen Dämonen gebrochen. Nun kann man dem neuen Jahr ohne Sorge entgegensehen.

Am Abend dieses Tages ließ der Taschi Lama Hedin bitten, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Der Weg im Palast führte über zahllose Treppen durch verwinkelte Gänge und Hallen, vorbei an Buddhastatuen, vor denen in flachen Schalen die Flammen der Opferlichter flackerten, überall standen Scharen von Mönchen, die mit monotonem Gesang und dem unermüdlich wiederholten Gebet "Om mani padme hum" die bösen Geister beschwören. Endlich stand Hedin vor dem heiligen Mann, dem zu begegnen er sich schon lange gewünscht hatte. "In einer roten Toga, barhäuptig und mit bloßen Armen sitzt er auf einer Bank und schaut träumenden Auges hinaus auf die vergoldeten Kuppeldächer, auf die Stadt im Tal und auf die fernen Berge. Er reicht mir seine beiden Hände, bittet mich, neben ihm Platz zu nehmen, und heißt mich mit weicher, fast schüchterner Stimme willkommen."

Die Audienz dauerte drei Stunden. Hedin musste von seinen Reisen berichten und von den Ländern und Herrschern Europas. Dann erzählte der Taschi Lama von seinen Wanderungen zu den denkwürdigen Stätten des Buddhismus. Zum Schluss kam man auf die politische Stellung Tibets in Zentralasien zu sprechen. Hier stießen die Interessen dreier Großmächte - Russland, Großbritannien und China - zusammen, was Anlass zu ständigen Konflikten und Intrigen gab. Offenbar sah der Taschi Lama in dem ihm persönlich sympathischen Schweden einen neutralen, also ungefährlichen Gast, dem er gern gefällig sein wollte. So gab er ihm volle Freiheit, alles in der Klosterstadt anzusehen, zu zeichnen und zu photographieren. "Zum Abschied reichte der Taschi Lama mir beide Hände und sagte mir mit dem gleichen freundlichen Lächeln Lebewohl. Ob er sich selbst für eine Gottheit hielt, ich weiß es nicht; das eine ist jedoch gewiss, dass es ein edler und liebenswürdiger Mensch war, der mich nun mit seinem Blick verfolgte, bis sich die Tür hinter mir schloss."

Hedin machte von der Erlaubnis zur Besichtigung aller Sehenswürdigkeiten reichlich Gebrauch. Täglich ging er im Kloster umher, zeichnete und photographierte. Er mischte sich unter die Pilger, die im Klosterhof den Segen des Taschi Lama erwarteten, und besuchte im großen Göttersaal die Novizen. Sogar in die Küche drang er ein, wo in einem riesigen Kupferkessel der Tee für die fast viertausend Mönche des Klosters bereitet wird.

Wie Hedin vermutet hatte, waren bald Emissäre aus Lhasa und chinesische Beamte am Werke, um ihn aus Schigatse zu vertreiben. Die herzliche Gastfreundschaft der ersten Wochen erkaltete langsam. Auch der Taschi Lama wurde unter Druck gesetzt und bat ihn, das Kloster nicht mehr zu besuchen. Da Hedin alles gesehen hatte, was ihn interessierte, war er durchaus bereit abzureisen. Aber er wollte keineswegs direkt nach Indien gehen, wie die Tibeter und Chinesen von ihm verlangten, sondern nach Westen, zur Quelle des Tsangpo, um noch einmal in die unbekannte Gebirgsregion einzudringen.

Nachdem er dem Taschi Lama seinen Dank und einen Abschiedsgruß gesandt hatte, verließ er Ende März Schigatse und zog über die Quelle des Brahmaputra zu dem heiligen See Manasarovar. Schon uralte religiöse Schriften der Inder berichten von ihm als dem "See der Götter", und noch jetzt kommen jedes Jahr Tausende von Pilgern aus Indien, um an seinen Ufern zu baden und dadurch Vergebung ihrer Sünden zu erlangen. Er ist fast kreisrund; sein Durchmesser beträgt etwa 25 Kilometer. Im Süden erhebt sich der Doppelgipfel des Gurla Mandatta zu 7.700 Metern, über dem Nordufer thront der Kailas, der "Heilige Berg". Auf ihm soll der Gott Siva in seinem Paradies wohnen. Von Zeit zu Zeit kommt er herunter und schwimmt dann als weißer Schwan über den See.

Hedin wollte eine genaue Karte des Seeufers aufnehmen und seine Tiefe messen. Zu diesem Zweck ließ er das Boot, das er mit sich führte, klarmachen. Doch die Tibeter warnten ihn dringend. Ein so frevelhaftes Vorhaben müsse unfehlbar den Zorn des Seegottes erregen. Aber Hedin ließ sich nicht zurückhalten. Mit zwei Dienern machte er sich eines Abends auf die Fahrt. Nach sechzehn Stunden landeten sie am gegenüberliegenden Ufer. In kurzen Abständen nahm er Lotungen vor und gewann so ein genaues Profil des Seebodens. Statt des Zornes der Götter erlebte er beim Anbruch des Tages über dem heiligen See ein wundervolles Schauspiel: "Langsam verstreichen die Stunden der Nacht. Es dämmert schwach im Osten. Die Herolde des neuen Tages schauen über die Berge. Federleichte Wolken färben sich rosarot, und ihre Spiegelbilder auf dem See lassen uns glauben, dass wir über lauter Rosengärten dahingleiten. Dann treffen die ersten Sonnenstrahlen den Gipfel des Gurla Mandatta, er leuchtet in Purpur und Gold auf. Wie ein Mantel aus Licht gleitet der Widerschein an der Ostseite des Berges herab. Ein Wolkengürtel, der tiefer unten den Gurla Mandatta umschwebt, wirft seinen Schatten auf den Hang. - Jetzt geht die Sonne auf, funkelnd wie ein Diamant, und die ganze wunderbare Landschaft erhält Leben und Farbe. Millionen von Pilgern haben den Siegeszug des Morgens über den heiligen See erblickt, aber kein Sterblicher hat vor uns dies Schauspiel von der Mitte des Manasarovar aus gesehen."

Einen Monat lang hielt sich Hedin am Ufer des heiligen Sees auf, um ein genaues geographisches Bild seiner Umgebung zu gewinnen. Aber in der Nähe lockte noch ein anderes Problem: die Quelle des Indus. Schon Alexander der Große hatte ihn auf seinem Zug nach Indien kennengelernt. Er hielt ihn zunächst für den Oberlauf des Nil, da er vom Indischen Ozean nichts wusste und weil es hier Krokodile gab, die er nur aus Ägypten kannte. "Aber bald wurde ihm klar", schreibt Hedin, "dass die beiden Erdteile durch ein Weltmeer getrennt wurden und dass der Indus seine Fluten in dieses Meer ergoss ... Es war nicht die Quelle des Nil, die er entdeckt hatte, sondern die des Indus. Aber auch dies war ein Irrtum, denn Alexander wusste nichts von dem Hunderte von Kilometer langen Oberlauf des Flusses, und es sollte mehr als 2.200 Jahre dauern, ehe die wirkliche Quelle des Indus entdeckt wurde!" - "Den Mund, aus dem der Löwenfluss kommt" nennen die Tibeter den Ort, wo unter einer flachen Felsplatte vier Quelladern hervortreten und sich zu einem Bach vereinigen. Hedin war der erste Europäer, der an der wirklichen Quelle des Indus stand, und er fühlte sich in diesem Augenblick durchaus als legitimer Nachfahre des großen Königs, dessen Spuren er auf seinen früheren Reisen schon oft gefolgt war.

Noch einmal wandte er sich jetzt in das Bergmassiv des Transhimalaja. Im September hatte er den Gebirgszug zum fünften Male überschritten, dessen Verlauf und innere Struktur sich ihm mehr und mehr entschleierte. Wieder wollten die Tibeter ihn aufhalten. Hedin verkleidete sich als Schafhirt und übte sich eifrig in der tibetanischen Hirtensprache.

Mehrere Wochen lang ging es gut, aber dann wurde er erkannt und gefangen. Doch jetzt war er bereit, über Schigatse nach Indien abzureisen. "Dieser Weg war mir noch unbekannt. Im übrigen war ich reisemüde, ich glaubte, jetzt von Tibet genug zu haben, und sehnte mich danach, auf dem kürzesten Weg nach Hause zu kommen."

Die Engländer in Indien hatten mit sportlichem Interesse verfolgt, wie er allen Verboten Lord Morleys zum Trotz seine Pläne durchgeführt hatte. Als er jetzt in Simla ankam, empfingen sie ihn wie einen Triumphator. - Hier fand er auch eine Einladung der Geographischen Gesellschaft in Tokio vor, die ihn bat, auf der Heimreise noch Japan zu besuchen. In Kobe, Yokohama und Tokio musste er Vorträge halten; an allen Orten wurde ihm ein großartiger Empfang zuteil, über Korea erreichte er die sibirische Bahn. Im Februar 1909 traf er nach einer Abwesenheit von drei Jahren und drei Monaten in Stockholm ein.

 

Wiederum ergießt sich eine Flut von Einladungen zu Vortragsreisen über Hedin. Er stöhnt manchmal darüber und meint, die Reden, Festlichkeiten und Reisen seien anstrengender als die schlimmsten Strapazen in Asien. Aber im Grunde ist er auch hierbei durchaus in seinem Element, denn er hat jetzt das errungen, wovon er als Knabe träumte: den weltweiten Ruhm. Er gilt jetzt unbestritten als der berühmteste Entdeckungsreisende seiner Zeit und als bester Kenner Innerasiens. In Berlin sprach er vor einer glänzenden Gesellschaft in der Königlichen Oper; unter den Anwesenden waren Kaiser Wilhelm und die Kaiserin, der Reichskanzler und Generalstabschef Moltke. In Wien empfing ihn der alte Kaiser Franz Joseph, in Rom Papst Pius X. In London, wo er vor der Geographischen Gesellschaft einen Vortrag hielt, schloss er unter dem brausenden Beifall der Zuhörer Freundschaft mit seinem alten Gegner, dem Staatssekretär für Indien Lord Morley.

Der wachsende Ruhm brachte ihm auch Kritiker und Neider. Manche warfen ihm Eitelkeit vor. Gewiss hat er in seinen Büchern manchmal kräftige Worte gebraucht, um die Bedeutung seiner Entdeckungen ins richtige Licht zu setzen. Aber das ist das Recht jedes Forschungsreisenden. Für Hedin gehört nun einmal - ähnlich wie für Alexander von Humboldt - die Entschleierung des Antlitzes der Erde zu den großen Angelegenheiten der Menschheit, von denen man nicht eindringlich genug reden kann. Hedins Landsmann Kjellen meint dazu: "Man spricht nicht leise, wenn man gewohnt ist, Tibet zum Hörsaal zu haben und den Himalaja und seinesgleichen als Zuhörer."


Ein Volk in Waffen

Für Tagesfragen der Politik hatte Hedin sich bisher nicht sonderlich interessiert. Aber seine ständige Beschäftigung mit den Problemen Asiens führte ihn immer wieder auf die Frage der Beziehungen dieses Kontinentes zu Europa. Da versetzten ihn besonders die wachsenden Rüstungen Russlands in Sorge. Unter dem Titel "Ein Warnungsruf" ließ er eine Schrift erscheinen, die bald in einer Million Exemplaren in Schweden verbreitet war. Er gab darin eine Analyse der politischen Lage in Europa und zeigte die akute Gefahr für sein Heimatland auf, wenn es keine kraftvolle Verteidigung besitzt. "Ist Schweden in starker und kluger Weise gerüstet", schrieb er, "so zaudert jeder Feind vor einem Angriff, der ihm vielleicht mehr Kosten als Freude machen würde. Daher ist das Verteidigungswesen eine Schutzwehr dauernden Friedens, während Abrüstung zum Kriege herausfordert."

Hedin wusste, dass seine Stimme mehr Gewicht hatte als die eines beliebigen Privatmannes. Es war ihm klar, dass dieser Schritt ihn die Freundschaft des Zaren und vieler seiner russischen Freunde kosten würde. Schon wenige Monate nach dem Erscheinen der Schrift strich ihn die Russische Geographische Gesellschaft aus der Liste ihrer Mitglieder. - Auch in zahlreichen öffentlichen Vorträgen trat Hedin für seine Überzeugung ein. Eine Flut von Briefen war die Folge. Viele waren zustimmend, einige aber auch erbittert ablehnend. Ein Anonymus schrieb: "Ich wünschte, der Russe erwischte Sie und machte Hackfleisch aus Ihnen, denn das haben Sie nachgerade durch Ihre vaterlandsverräterische Tat verdient. Sie sind ein Lump, der uns in jeder Weise Krieg mit Russland auf den Hals ziehen will." Ein zweideutiges Telegramm lautete: "Fahr nach Asien. Ein Bewunderer." Aber all das konnte Hedin nicht abschrecken. Er hielt es für seine Pflicht, den Wehrwillen seines Landes zu stärken.

 

Der Sommer des Jahres 1914 brachte die Katastrophe, die Hedin schon lange hatte herannahen sehen. "Als der Weltkrieg ausbrach, gebot mir mein Gewissen und mein Zugehörigkeitsgefühl zum Stamm der Germanen, mich unbedingt auf die Seite Deutschlands zu stellen." An anderer Stelle fährt er fort: "Es war klar, dass die ganze politische und wirtschaftliche Entwicklung für viele Jahrzehnte durch den Ausgang dieses Weltkrieges bestimmt werden würde. Mich ergriff daher ein unbezwingliches Verlangen, den Krieg aus der Nähe zu sehen, in der Feuerlinie. Den modernen Krieg auf dem Schlachtfeld kennenzulernen ist eine wertvolle Erfahrung. Man lernt wenigstens, den Krieg als solchen zu verabscheuen."

Von der deutschen Obersten Heeresleitung erhielt Hedin die Genehmigung, von September bis November die Westfront zu besuchen. Er berichtet darüber in dem Buch "Ein Volk in Waffen", das durch den Verlag Brockhaus rasch in einer Riesenauflage verbreitet wurde. Das Honorar für die Volksausgabe stellte Hedin dem deutschen Roten Kreuz zur Verfügung. - Im nächsten Jahr reiste er an die Ostfront und schrieb darüber das Buch "Nach Osten". 1916 besuchte er die asiatischen Kriegsschauplätze: Mesopotamien, Syrien und Palästina. Doch waren es hier weniger die kriegerischen Unternehmungen, die ihn interessierten, als vielmehr die Länder, Völker und Altertümer des vorderen Orients. In den Büchern "Bagdad - Babylon - Ninive" und "Jerusalem" hat er von diesen Fahrten berichtet.

Durch sein Eintreten für Deutschland verlor er nun auch alle seine Freunde in England und Frankreich. Im März 1915 wurde sein Name aus der Ehrenliste der Geographischen Gesellschaft in London gestrichen. Hedin bemerkt dazu: "Wenn ich in dem Augenblick, als man mich zum Ehrenmitglied der berühmten Gesellschaft wählte, gewusst hätte, dass der Titel Verpflichtungen enthält, in einem Krieg stets an Englands Seite zu stehen, dann hätte ich die Auszeichnung höflich, aber bestimmt abgelehnt."

Auch im eigenen Lande fand Hedin während der Kriegszeit manche neue Gegner. Man kramte wieder die alten Vorwürfe gegen ihn aus, den Adel und die vielen Orden, und als neuesten die Behauptung seiner angeblich jüdischen Abstammung. Hedins Schwester Alma bemerkt dazu: "Der schlimmste Vorwurf, den sie ihm zu machen glauben, ist der: er sei ein Jude. Sven ist zu 15/16 Germane. Das jüdische Erbe, das er von dem Urgroßvater seiner Mutter empfangen hat, ist sicher nichts Tadelnswertes."

Der Zusammenbruch der Mittelmächte im Jahre 1918 erschütterte Hedin so tief, als hätte er sein eigenes Vaterland betroffen. Er war ein aufrichtiger Freund Deutschlands, und sein konservativer Sinn ließ ihn von dem Sturz vieler Fürstenthrone und der grundlegenden Umgestaltung des europäischen Staatengefüges nichts Gutes erwarten. Auch schien ihm der Weg zu einer neuen Forschungsreise nach Innerasien nun auf lange Zeit versperrt. So verbrachte er die folgenden Jahre meist zu Hause in stiller Arbeit an dem großen Werk über seine letzte Expedition.

Mehr zur Ablenkung als aus Forscherdrang reiste er Anfang 1923 in die Vereinigten Staaten, über Europa lagen damals die dunklen Schatten der Ruhrbesetzung. Hedin suchte eine freiere Atmosphäre und neue Eindrücke. In eine eigentliche Vortragstournee ließ er sich nicht einspannen, aber an vielen Orten musste er doch über seine Reisen und sein Leben berichten. Als Geographen interessierten ihn die großartigen Bildungen der Natur wie der Gran Cañon im Staate Colorado und die Landschaft Kaliforniens, über Japan und die Sowjetunion kehrte er in die Heimat zurück. In dem Buch "Von Peking nach Moskau" hat er seine Eindrücke geschildert. Manche Kreise versuchten jetzt, ihn als Bolschewistenfreund zu verdächtigen. Hedin hatte vom zaristischen Russland viel Förderung erfahren, an die er mit Dankbarkeit zurückdachte. Das russische Volk behielt auch weiterhin seine Sympathie. Den neuen Herrschern stand er sehr skeptisch gegenüber, aber er verschwieg nicht, dass ihm vieles, was er jetzt in Russland gesehen hatte, auf einen neuen Aufstieg zu deuten schien: "Ob unter Großfürsten, Zaren oder Kommissaren, dieses gewaltige Reich ändert seinen Charakter nicht; denn dieser ist bedingt durch die geographische Lage, durch die Volksseele, die trotz allem unveränderlich bleibt, durch die Hilfsquellen und Bedürfnisse des Landes ... Das Russland der Zukunft wird auf dem Grund aufgebaut werden, den die blutigen Umwälzungen der letzten Jahre gelegt haben. Dem slawischen Boden entsprießt die neue Entwicklung, und auf dem Wege der Evolution schreitet Russland vorwärts zu neuer Macht und Größe."

 

Auf allen früheren Expeditionen war Hedin allein gereist, das heißt als einziger Europäer mit einer wechselnden Zahl von eingeborenen Dienern. Diese Art zu reisen entsprach zutiefst seinem Temperament. Hier war er allein der Herr, der über alles zu bestimmen hatte, der niemandem Rechenschaft schuldig war, wenn er seinen Reiseplan änderte oder ganz umstieß. Auf diese Weise erlebte er all die großen und kleinen persönlichen Abenteuer, die dann seinen Reisebeschreibungen Leben und Farbe gaben. In späteren Jahren wurde er sich aber klar darüber, dass diese Reisetechnik für ernsthafte wissenschaftliche Forschung eigentlich schon überholt war. Einem so universalen Geist wie Alexander von Humboldt war es hundert Jahre früher noch möglich gewesen, alle wissenschaftlichen Disziplinen zu überschauen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich aber die Wissenschaft immer mehr spezialisiert. Der einzelne Forscher war jetzt kaum imstande, sein eigenes Fachgebiet restlos zu beherrschen. Immer häufiger wurden darum Expeditionen, an denen mehrere Fachgelehrte teilnahmen. Auch Hedin hatte den Ehrgeiz, noch einmal an der Spitze eines solchen Unternehmens zu stehen. Es gelang ihm, mit Unterstützung der chinesischen Regierung eine große Expedition auszurüsten, die ihn in den Jahren 1929 bis 1935 wieder in sein altes Arbeitsgebiet Ostturkestan führte. Mehr als zwanzig Mitarbeiter, Schweden, Deutsche und Chinesen, begleiteten ihn, darunter Vertreter aller wichtigen Einzelgebiete der geographischen Forschung. Die kartographische Aufnahme des Reiseweges der Hauptkarawane übernahm Hedin selbst. Der große Stab der Mitarbeiter wurde in Gruppen aufgeteilt, die eigene Wege gingen. So konnte vor allem die Kenntnis von der Topographie der Wüste Gobi wesentlich erweitert werden. Die Prähistoriker entdeckten mehr als hundert Wohnplätze aus der jüngeren Steinzeit mit 17.000 Fundgegenständen. Der deutsche Meteorologe Dr. Hauge ließ Pilotballons bis in die Stratosphäre steigen und gewann wertvolle Erkenntnisse über die Luftzirkulation Innerasiens. - Im Anschluss an diese Expedition übernahm Hedin noch den Auftrag der chinesischen Regierung, zwei Autostraßen abzustecken, die das eigentliche China mit Ost-Turkestan verbinden und auf dem Weg der alten Seidenstraße schließlich Anschluss bis nach Europa finden sollten.

Die Expedition der Jahre 1928 bis 1935 war das letzte große Unternehmen Hedins, bevor durch den zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsereignisse Innerasien für die internationale Forschung gänzlich verschlossen wurde. Er hat auf ihr mit seinen Mitarbeitern ein ungleich größeres Beobachtungsmaterial zusammengetragen als auf seinen früheren Reisen. Diese größte von allen Expeditionen war ein würdiger Abschluss seiner Forschertätigkeit in Asien. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit wird Hedins Name aber mehr mit seinen früheren Reisen verbunden bleiben, in denen er allein auf abenteuerlichen Fahrten die letzten unbekannten Gebiete Innerasiens durchzog.

 

Auch im zweiten Weltkrieg waren Hedins Sympathien eindeutig auf deutscher Seite. Er hatte den militärischen Wiederaufstieg Deutschlands begrüßt, weil er darin ein Bollwerk für Europa gegen die Gefahr aus dem Osten sah, das auch seinem Lande Schutz bieten konnte. Schon 1935 und im folgenden Jahr kam er nach Berlin, um das neue Deutschland kennenzulernen und Material für ein Buch zu sammeln. Manches in der Anfangszeit der nationalsozialistischen Herrschaft fand seinen Beifall. Er scheute sich jedoch nicht, Kritik zu üben, wo ihm dies notwendig erschien, so besonders in der Frage der Judenverfolgungen, des Kampfes gegen die Kirchen und der Unterbindung der freien Wissenschaft. Das Manuskript seines Buches wurde bei Brockhaus Kapitel für Kapitel ins Deutsche übersetzt und sollte bald erscheinen. Da schaltete sich plötzlich das Propagandaministerium ein und bemühte sich, Hedin klarzumachen, dass solche kritischen Ausführungen auch von einem befreundeten Ausländer nicht geduldet werden könnten. Man legte ihm nahe, die beanstandeten Stellen zu streichen oder auf die Veröffentlichung zu verzichten. Hedins Antwort war eindeutig: "Vor meinem Gewissen habe ich bis jetzt niemals kapituliert und werde es auch diesmal nicht tun. Deshalb wird nichts gestrichen... Ich akzeptiere also die zweite Alternative: das Buch wird in Deutschland nicht erscheinen." Unter dem Titel "Deutschland und der Weltfrieden" kam es jedoch im Jahre 1937 in Schweden heraus.


Der letzte Entdeckungsreisende

Hedin starb am 26. November 1952 im Alter von siebenundachtzig Jahren in Stockholm. Mit ihm ging einer der letzten von den alten großen Männern Europas dahin, deren Lebensarbeit noch tief im neunzehnten Jahrhundert wurzelte und doch bis in unsere Gegenwart lebendig blieb.

Als er geboren wurde, war der größte Teil von Innerafrika noch gar nicht entdeckt. In Zentral- und Nordasien waren Gebiete von fast gleichem Umfang der europäischen Forschung verschlossen. Die Arktis hatte man nur am Rande berührt, im Inneren Australiens und im tropischen Südamerika waren weite Strecken noch ganz unbekannt.

Jetzt sind diese weißen Flecken mit wenigen Ausnahmen von der Landkarte verschwunden. Gewiss wird die Detailforschung auch in Zukunft noch manche Überraschungen bringen. Aber in den wesentlichen Zügen ist das Antlitz der Erde heute entschleiert, bedeutsame geographische Entdeckungen alten Stils sind nicht mehr zu erwarten. Damit ist eine entscheidende Epoche in der Geschichte unseres Planeten beendet: das Zeitalter der Entdeckungen. In der Liste der großen Forscher, deren Namen mit diesen ruhmvollen Eroberungen für immer verbunden sind, ist Sven Hedin der letzte.

Es ist für den Menschen unserer Tage nicht leicht, sich das geographische Raumgefühl vergangener Jahrhunderte zu vergegenwärtigen, als große Teile der Erdoberfläche noch unerforscht waren. Eine magische Anziehungskraft ging von solchen Gebieten aus. Was lag wohl jenseits dieser Grenzen der bekannten Welt? Gab es dort Gebirge und Ströme von ungeahnten Ausmaßen, Wüsteneien oder fruchtbare Landschaften? Gab es dort Menschen, wie man sie noch nicht kannte? Waren es Wilde oder Kulturvölker mit fremdartigen Sitten, Gewohnheiten und Künsten? Zahllose Menschen setzten Vermögen, Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel, um den Schleier zu lüften. Das Bild der Erde und das Bild des Menschen, beide mussten unvollständig bleiben, solange diese Rätsel nicht gelöst waren.

Hedin war diesem Zauber der Terra incognita schon in seinen Jugendtagen verfallen. Seitdem er sich die Erforschung Innerasiens zum Lebensziel gesetzt hatte, kannte er keine Ruhe. Er besaß eine gute Portion Ehrgeiz. Kein anderer sollte ihm zuvorkommen. Zum wirklichen wissenschaftlichen Forschungsreisenden freilich, das hatte er auf seiner ersten Asienfahrt deutlich empfunden, fehlte ihm damals noch so gut wie alles. Richthofen hatte ihm nahegelegt, nicht nur ein flüchtiges Studium zu absolvieren, sondern sich gründlich mit allen Zweigen der erdkundlichen Wissenschaft und den Methoden der Forschungsarbeit vertraut zu machen. In ganz ähnlicher Lage hatte einst der junge Alexander von Humboldt ein volles Jahrzehnt darangesetzt, sich bis ins letzte für seine Lebensarbeit wissenschaftlich vorzubereiten. Hedin aber konnte diese entsagungsvolle Geduld nicht aufbringen. So sehr er seinen großen Lehrer Richthofen verehrte, der ihn nicht nur auf die Bahn des Entdeckers, sondern des wissenschaftlichen Forschers führen wollte, sein ungestümer Drang in die Ferne war stärker. "Ich war dieser Forderung nicht gewachsen", schreibt er im Alter. "Ich war zu früh auf die wilden Wege Asiens hinausgekommen, ich hatte zuviel von der Pracht und Herrlichkeit des Orients, von der Stille der Wüsten und der Einsamkeit der langen Wege verspürt. Ich konnte mich mit dem Gedanken nicht befreunden, wieder für längere Zeit auf der Schulbank zu sitzen."

Man wird heute im Blick auf Hedins ganzen Lebensweg kaum bezweifeln können, dass diese Entscheidung richtig und fruchtbar war, sowohl für ihn selbst wie für die Wissenschaft. Er war seinem Temperament und seiner Veranlagung nach prädestiniert zum Pionier und Entdecker, nicht zum wissenschaftlichen Forscher am Schreibtisch oder auf dem Lehrstuhl einer Universität. Als man ihm nach seiner dritten großen Asienexpedition eine Professur für Geographie in Stockholm anbot, empfand er das als eine tolle Zumutung und lehnte entsetzt ab: "Danke schön, ich würde vor Ausgang des ersten Jahres vor Langeweile sterben! Nein, unsere Jahre und unsere Freiheit können wir besser verwenden."

Der freien Feldforschung galt seine Liebe. Ihr hat er sich in den fünf Jahrzehnten, über die sich seine Asienreisen erstrecken, mit leidenschaftlicher Hingabe gewidmet und dabei Unvergleichliches geleistet. Allein in den Routenaufnahmen, die viele Tausende von Kilometern seiner Karawanenwege mit den Details eines Messtischblattes kartographisch festlegten und durch zahllose Höhenmessungen und astronomische Ortsbestimmungen ergänzt wurden, steckt eine unvorstellbare Arbeitsleistung. Dazu kommen seine systematischen Untersuchungen der Seen Innerasiens, sorgfältige klimatologische Beobachtungen durch viele Jahre sowie umfassende Sammlungen von Gesteinen, Pflanzen, Tieren und Altertümern.

über die eigentlichen Forschungsergebnisse seiner großen Expeditionen gab Hedin jedesmal ein wissenschaftliches Werk heraus. Zur Auswertung des Beobachtungsmaterials zog er einen Stab von Fachgelehrten in der Heimat heran. Der Umfang dieser Veröffentlichungen stieg von Reise zu Reise gewaltig an. Sein erster Forschungsbericht fand noch im Ergänzungsheft einer deutschen Fachzeitschrift Raum. Aber schon das Werk über die zweite Reise "Scientific Results of a Journey in Central Asia", wuchs auf sechs Text- und zwei Atlasbände an. - "Southern Tibet" ist der Titel der dritten großen wissenschaftlichen Veröffentlichung, die insgesamt zwölf Bände umfasst, davon drei Atlanten. Seit 1936 schließlich erscheint das gewaltige Sammelwerk über die Gemeinschaftsexpedition der Jahre 1928 bis 1935, das rund fünfzig Bände umfassen soll, aber auch heute noch nicht vollständig vorliegt.

Neben diesen der Wissenschaft dienenden Werken stehen die erzählenden Reiseberichte, die sich an ein breiteres Publikum wenden. Sie sind bei Hedin keineswegs - wie bei vielen anderen Reisenden - eine Volksausgabe seiner wissenschaftlichen Werke, auch nicht eine bloße Nebenfrucht seiner eigentlichen Forschungen. Er verfolgt mit ihnen ein durchaus eigenes Ziel, das ihm wohl ebenso wichtig ist wie seine wissenschaftlichen Bemühungen. Den Menschen zu Hause, die nicht das Glück hatten, gleich ihm Asien aus eigener Anschauung zu erleben, will er ein eindringliches Bild dieser bunten und vielgestaltigen Welt geben. Sein Ehrgeiz ist die große Reisebeschreibung klassischen Stils, das Epos des letzten Entdeckungsreisenden, das den Leser unmittelbar die Entschleierung der Terra incognita miterleben lässt.

Seine Schilderungen sind lebendig und farbig. Alle Erscheinungen der Natur und des Menschen werden mit gleicher Liebe und Darstellungskraft behandelt. Wir erleben mit ihm den Aufruhr der Natur bei einem Sandsturm in der Wüste oder die furchtbare Gewalt eines Schneesturms auf dem tibetanischen Hochland. Er lässt uns teilnehmen an den Freuden und Strapazen des Karawanenlebens und an seinen Abenteuern mit freundlichen und feindlichen Asiaten. Hedin ist ein Meister in der Behandlung der Eingeborenen. Stets achtet er ihre Sitten und religiösen Gefühle. Auch in scheinbar aussichtslosen Situationen entwickelt er erstaunliche diplomatische Fähigkeiten, und es gelingt ihm fast stets, sein Ziel zu erreichen. Von seinen Dienern verlangt er viel, aber immer ist er ihnen ein wohlwollender patriarchalischer Herr. Jede Arroganz des Europäers ist ihm fremd. Oft gibt er ihnen als Anerkennung für besondere Leistungen ein Fest oder einen Schmaus, und immer entlohnt er sie weit über das vereinbarte Maß hinaus. Dafür setzen sie sich auch bis zum Äußersten für ihn ein, und wenn am Ende einer Reise die Karawane aufgelöst werden muss, gibt es für beide Teile ein wehmütiges Abschiednehmen.

Die gleiche Anhänglichkeit empfindet Hedin gegenüber den Tieren, die ihn auf seinen Reisen begleiten. Mit einem Kamel, das ihn monatelang durch die Wüste getragen hat, kann er sich befreunden wie mit einem Menschen. Der Tod seines kleinen Ladakischimmels, mit dem er lange Zeit über die eisigen Hochflächen Tibets gezogen war, erschüttert ihn wie der Verlust eines guten Kameraden.

Hedin nimmt die Welt vor allem durch das Auge auf. Seine Naturbeschreibungen wirken oft wie buntfarbige Aquarelle, wenn er die Linien und Stimmungen einer Landschaft im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten malt oder die Pracht eines Sonnenuntergangs in der Wüste schildert. Aber das Wort allein ist ihm nicht genug. Schon auf seinem ersten Streifzug durch Persien hielt er seine Eindrücke in einer großen Anzahl von Skizzen fest, und auf den späteren Reisen hat er sein Zeichentalent weiter entwickelt. Auch brachte er stets viele Hunderte von Photos mit nach Hause. Beim Erscheinen seiner ersten Bücher vor fünfzig Jahren waren sie als dokumentarisches Anschauungsmaterial aus einer bisher verschlossenen Welt eine Sensation. Heute, da wir aus Bildbüchern und Filmen technisch und künstlerisch weit Vollkommeneres kennen, erscheinen sie matt und blass. Umso mehr wirken auf uns die Bilder von Hedins eigener Hand, die Zeichnungen von Karawanenszenen, Volkstypen, und Bauwerken, dazu seine Aquarelle, auf denen die Landschaften Innerasiens und der Zauber orientalischer Stadtbilder mit leuchtenden Farben lebendig werden.

 

Im Jahre 1898 bot Hedin das Manuskript zu seinem Buch "Durch Asiens Wüsten" dem Verlag Brockhaus in Leipzig an. Albert Brockhaus, der Chef dieses damals schon berühmten Verlagshauses, war bereit, das Werk herauszubringen und bot ein Honorar von siebentausend Mark. Hedin, der nach dem triumphalen Empfang in den Hauptstädten Europas den Wert seines Namens jetzt nicht gering ansetzte, verlangte zehntausend. Brockhaus schlug ein mit der Bemerkung: "Ihrer persönlichen Liebenswürdigkeit wegen."

Damit begann eine freundschaftliche Verbindung, die bis zum Tode von Albert Brockhaus währte und beiden Partnern reichen menschlichen und geschäftlichen Gewinn brachte. Das von Susanne Brockhaus herausgegebene Buch "Sven Hedin und Albert Brockhaus. Eine Freundschaft in Briefen zwischen Autor und Verleger" ist ein schönes Dokument dieser Verbindung zweier bedeutender Männer. Brockhaus sah von Jahr zu Jahr deutlicher, dass er in dem Schweden den erfolgreichsten Reiseschriftsteller seiner Epoche gewonnen hatte. Und Hedin erkannte, dass er unter der freundschaftlichen Fürsorge des großen Verlegers für seine Bücher eine Heimat gefunden hatte, wie er sie sich nicht besser wünschen konnte.

Hedin war auch als Schriftsteller ein emsiger Arbeiter. Nachdem er den "Transhimalaja" beendet hatte, schrieb er triumphierend an Brockhaus: "Ich habe ja das Unmögliche geleistet, ein Buch von zwei dicken Bänden in einhundertundsieben Tagen zu schreiben, und es ist gut geschrieben." - Gelegentlich stöhnt er in seinen Briefen an Brockhaus über die viele Arbeit am Schreibtisch, aber im Grunde war ihm das Berichten über seine Expeditionen ebenso Lebensbedürfnis wie das Reisen selbst; und zugleich war es neben den Vortragsreisen seine einzige Einnahmequelle. Er gesteht selbst im Alter: "Während fast fünfzig Jahren war meine persönliche Ökonomie wesentlich auf den Honoraren von Brockhaus aufgebaut." In den Jahren 1899 bis 1940 erschienen von ihm in deutscher Übersetzung bei Brockhaus achtundzwanzig Werke mit insgesamt sechsunddreißig Bänden, also fast jedes Jahr ein Band, wobei die gekürzten Ausgaben noch nicht einmal mitgezählt sind. Schon frühzeitig legte Hedin auch die Vermittlung der Verlagsrechte für andere fremdsprachige Ausgaben in die Hand von Albert Brockhaus, der seine weitreichenden Verbindungen spielen ließ und erstaunliche Erfolge brachte. So konnte er von dem Transhimalaja-Werk noch vor dem Erscheinen der deutschen Ausgabe zehn Übersetzungen in anderen Sprachen sichern. Ähnlich war es bei dem Buch "Von Pol zu Pol". Noch bevor das Werk in Leipzig fertig war, hatte er Verträge für elf Übersetzungen abgeschlossen, und fünfzehn weitere standen in Aussicht.

Viele von Hedins Büchern erzielten hohe Auflageziffern und brachten ihm bedeutende Honorare. Trotzdem versichert er uns glaubhaft, dass er sich während der Zeit der großen Reisen aus seinen Einkünften als Schriftsteller niemals ein Vermögen hat ansammeln können. Jede neue Expedition wurde kostspieliger als die vorhergehende, und vor allem verschlangen die wissenschaftlichen Veröffentlichungen riesige Summen, die in einzelnen Fällen höher waren als die eigentlichen Reisekosten. Sie mussten kostbar ausgestattet sein, und der Preis wurde dadurch so hoch, dass nur wenige Bibliotheken und Institute sie kaufen konnten. Wohl bewilligte ihm der schwedische Reichstag meist eine Beihilfe für die Drucklegung, aber einen großen Teil der Kosten musste er selbst tragen. Klagend schreibt er einmal an Brockhaus: "Mein Werk ,Southern Tibet' ruiniert mich gänzlich. Bis jetzt belaufen sich die Kosten auf dreihundertsiebenundsechzigtausend schwedische Kronen! Bezahlt sind einhundertachtzigtausend Kronen. Ich muss also zweihunderttausend Kronen haben, bevor das Resultat x = o ist. Den Preis haben wir schon auf siebenhundertfünfzig Kronen erhöht und steigen vielleicht nochmals, bevor alles vorliegt. Nur hundert Exemplare sind verkauft. Ich muss noch dreihundert Exemplare verkaufen, um gerettet zu sein. Was soll ich machen, um sie loszuwerden?"

Um solche und ähnliche Verpflichtungen abzudecken, hatte Hedin neben seinen Buchhonoraren nur noch eine Möglichkeit: die Vortragsreisen. In einer Zeit, in der der Film noch gar nicht und die illustrierten Zeitungen noch wenig über die entlegensten Länder berichteten, fanden die Vorträge berühmter Forscher eine viel breitere Resonanz als heute. Kein anderer Reisender übertraf Hedin an Popularität. In den großen geographischen Gesellschaften Europas war er durch Jahrzehnte der gesuchteste Redner, vor allem in Deutschland. Da er in seinen Vorträgen keineswegs nur abstrakte Wissenschaft bot, sondern immer wieder die großen Wunder der Natur und die Abenteuer des Entdeckers anschaulich zu machen verstand, zog er auch weit über den Kreis der Fachwissenschaft hinaus ein interessiertes Publikum an. Schon 1903 erhielt er ein Angebot, das ihm für fünfzig Vorträge in Amerika und zwanzig in England ein Honorar von hunderttausend Kronen zusicherte. Doch damals lehnte er stolz ab: "Geld verdient jeder reiche Spießbürger, aber kein anderer als ich kann meine wissenschaftliche Arbeit zu Ende führen, und es ist meine Pflicht sowohl gegen mich wie gegen mein Land, sie so gründlich und so gut wie möglich auszuführen. Sie wird immer bestehen bleiben, während das Geld zerrinnt."

Später freilich war er nicht mehr so ablehnend, denn es wurde ihm klar, dass er die würdige Herausgabe seiner wissenschaftlichen Werke nur auf diesem Wege finanzieren konnte. 1909 schreibt er von einer Vortragsreise durch Deutschland aus Stuttgart: "Heute Abend habe ich den ersten öffentlichen Vortrag gehalten, vollgepfropft; er bringt sicher dreitausend Mark ein, denn die Eintrittspreise gingen bis zu sechs Mark hinauf. Ich halte es fast für eine Gaunerei, so viel Geld an sich zu raffen, nur damit man dasteht und sieben Viertelstunden etwas Auswendiggelerntes hersagt. Aber im übrigen mache ich mir kein Gewissen daraus, denn wenn die Menschen so verrückt sind, sechs Mark zu bezahlen, um mich eine Zeitlang angucken zu können, meinetwegen!" - Sogar noch als Siebzigjähriger entschloss sich Hedin im Jahre 1935 zu einer großen Vortragsreise, um Schulden aus seiner letzten Asienexpedition abzudecken. Es wurde eine tolle Jagd. Einhundertelf Vorträge hielt er in einundneunzig deutschen Städten, dazu neunzehn in den Nachbarländern. "In fünf Monaten legten wir eine Strecke von der Länge des Äquators zurück, dreiundzwanzigtausend Kilometer mit der Bahn und siebzehntausend Kilometer mit dem Auto."

 

Als die glücklichste Zeit seines Lebens bezeichnet Hedin immer wieder die vielen Jahre, die er in der Einsamkeit Innerasiens zugebracht hat. Das rauschende Leben der großen Gesellschaft brauchte er nicht und vertrug es nie lange. Wenn er doch gelegentlich daran teilnahm, so nur, um seine eigentlichen Ziele zu fördern. Trotzdem gewann er eine Popularität und einen weltweiten Ruhm, wie er unter den geographischen Forschern wohl nur Alexander von Humboldt hundert Jahre früher zuteil wurde. Das Leben beider Männer weist bei recht verschiedenartigen Anlagen manche Parallelen auf. Beiden war ein ungewöhnlich langer und vom Schicksal begünstigter Lebenstag beschieden, den sie mit Leidenschaft der Erforschung der Erde widmeten. Frauenliebe spielte in ihrem Leben nie eine Rolle; Asien sei ihm durch Jahrzehnte Braut und Gattin gewesen, schreibt Hedin im Vorwort zu "Von Pol zu Pol". Beide opferten ohne Zögern Vermögen oder Einkommen, um ihre Reisen durchzuführen und ihre wissenschaftlichen Werke in würdiger Form herauszubringen. Beide wollten nicht als Fachgelehrte totes Wissen anhäufen, sondern ein lebendiges Bild von den Wundern unseres Planeten geben. Wohl ist Humboldt der universalere und tiefere Geist. Jede einzelne Beobachtung und Erkenntnis ist ihm nur ein Baustein zu dem großen Gesamtbild der Natur, dem Kosmos.

Hedins Ziele sind vordergründiger und begrenzter. Er will als Erforscher der letzten großen Geheimnisse Innerasiens in die Geschichte eingehen und er will am Ende dieser Epoche noch einmal das gewaltige Epos der Terra incognita schreiben. Beide Ziele hat er erreicht. Millionen von Lesern in den vergangenen fünfzig Jahren verdanken seinen Büchern ihr Bild von den Wundern einer fernen Welt, von Not und Sorge, Glück und Triumph des Entdeckungsreisenden. Für sie alle verbindet sich mit dem Namen Hedin das großartige Bild von Land und Leben Innerasiens. "Es ist diese ganze seltsame und gewaltige Welt jener Wüsten, Steppen und Hochgebirge", schreibt einer seiner deutschen Freunde, Georg Wegener, "die Sven Hedins eigenster Lebenshintergrund geworden sind, die ihm eine so großartige Entfaltung seiner Persönlichkeit gestattet, ihm so außerordentliches äußeres und inneres Leben gespendet haben. Diese Welt der endlosen Horizonte, der himmelragenden Gipfel, der erhabenen Einsamkeiten, der schimmernden Seen und Gletscher, mit ihrem fremdartigen, wilden und freien Leben, ihren rasenden Stürmen und schweigenden Sternnächten, ihren ursprünglichen Tieren und Vögeln, ihren rauhen Jägern und Räubern, ihren Hirten und psalmodierenden Mönchen, ihren verlockenden Rätseln und ihren stählenden Gefahren. Man fühlt aus jedem Wort, wie all das in seiner Seele lebt mit der Kraft einer leidenschaftlichen Liebe."

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