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Kriegserinnerungen

Von Rudolf Tauscher, Missionar der Breklumer Mission

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Inhalt


Im Dezember 1938 zogen wir nach Kotapad, um das Seminar hier zu übernehmen. Wir gingen nicht allzu gern. Wir hatten unsere Arbeit in Koraput lieb, wir meinten auch, dass der Herr uns dahingestellt habe, dass er uns die Tür zu der Khonds aufgetan habe, dass er uns auch die Tür zu den anderen Stämmen des Berglandes auftun würde, denn es mehrten sich bereits die Zeichen, dass die Gadoba wohl die nächsten sein würden, die in die Kirche eintreten würden. Der Herr hatte uns auch unter den Christen einen guten Eingang gegeben, hin und her waren auf den Aussenstationen Christengemeinden gewachsen, die wussten, was sie waren, und auch wussten, was sie wollten, die mit eigenen Händen und meistens auch mit einem grossen Aufwand eigener Kosten sich eine feste Kapelle oder ein Schulhaus erbaut hatten, worum sie sich sammelten, die auch für die Erhaltung ihrer Arbeiter viel taten. Ich denke besonders an Pindapodor, Godri, Dangaitput und andere wie Deoghati und Adamunda waren auf dem Wege dazu.

In Litiguda waren auch die schwersten Widerstände beseitigt, und das feste Dach für die Kapelle war da. Es regte sich hin und her. Die Arbeit auf der Station war im Gange. Das Kosthaus hatte seine regelmässigen Bewohner, die Presse hatte ihre Arbeit. Es war kein Wunder, dass es uns schwer fiel. Wir hatten das Vertrauen der Leute, der Lehrer und der Christen gewonnen, hatten es auch in den schweren Tagen als kein Geld oder nur sehr wenig zur Verfügung stand, behalten. So ging es auch meiner lieben heimgegangenen Frau. Es kann vielleicht als Sinnbild gelten, dass eine Witwe mit nicht viel Vermögen mir eine weisse Stola häkelte mit einem feinen Kreuzesmuster und meine liebe Frau ebenfalls ein solches Häkeltuch bekam. Gewiss es ging mir gesundheitlich nicht gut. Mein Bein machte mir immer wieder Schmerzen. War es Überanstrengung? Was war es? Der Arzt in Vizagapatam konnte nicht helfen. Was sollte helfen? Da lag menschlich gesehen nichts näher, als dass uns eine Arbeit übertragen werden sollte, die nicht soviel körperliche Anstrengungen mit sich brachte als die Arbeit im Koraputer Berglande.

Getröstet hat uns in dieser Zeit das Wissen um die Sicherheit und Richtigkeit der Führungen Gottes, der keine Fehler macht, dessen Wege besser sind als unsere Wege. Getröstet hat uns auch das Bewusstsein, dass es in Kotapad Menschen gab, die wir kannten, und die für uns die Hände falteten, die sich auf unser Kommen freuten, und mit denen wir gern zusammenarbeiten wollten. Meine Frau war schon einige Wochen eher nach Kotapad gezogen, während ich noch einmal den Bezirk bereiste. Getröstet hat mich schliesslich auch die Aussicht, dass ich in den Seminarferien mit meinen Leuten in den Khonddistrikt ziehen konnte, um das Evangelium zu predigen, endlich aber auch das, dass ich einen Evangelistenkursus ausbilden sollte, der lediglich aus Khonds bestehen sollte. So hielten wir denn unseren Einzug in Kotapad. Mit dem Anfang des neuen Jahres sollten beide Kurse, der Pastorenkursus mit acht Kandidaten, der Evangelistenkursus mit sieben Kandidaten beginnen. Es war ein frohes Arbeiten. In der heissen Zeit durften wir auf die Berge in Kotagiri und konnten uns dort recht erholen, vor allem konnte ich dort einen deutschen Arzt treffen, der mir auch in gewisser Weise helfen konnte. So ist auch die Zeit nicht vergeblich gewesen.

Am politischen Horizont aber zogen sich die schwarzen Wolken zusammen, immer drohender. Am Anfang der Regenzeit kehrten wir nach Kotapad zurück, und die Arbeit wurde aufs Neue aufgenommen. Mit Angst und tiefer Sorge wurde jeden Tag die Zeitung geöffnet. Die Hetze gegen Deutschland wurde immer stärker. Unser Vaterland hat keinen Freund in der Welt, dass konnte man wohl sagen, wenn man in die Zeitung schaute. Im Juli waren wir alle noch einmal zu einer Konferenz in Nowrangapur zusammen. Es war eine denkwürdige Konferenz, weil wir darüber beraten sollten, wer von uns nach Hause solle. Die finanziellen Mittel waren einfach nicht mehr da, um uns Missionare alle auf dem Felde zu erhalten. Keiner wollte gerne. In Abwesenheit der Einzelnen wurde beraten. Sicherlich hat das nicht zur Hebung des brüderlichen Verhältnisses beitragen können, soweit es menschlich gesehen beurteilt werden kann.

Aber es war bittere Notwendigkeit und es kam auch dabei die Frage auf, wer bis zuletzt auf dem Felde verbleiben sollte. Ist das Gottes Wille, dass wir selber darüber sitzen sollen, dass wir gewissermassen selber unsern Bau hier draussen abtragen sollen? Mitten in den Beratungen erhielt ich einen Brief von meinem Schwiegervater, in dem er uns riet, bereit zu sein für alles, denn es würde bald das Kriegsgewitter heraufziehen. Damals aber wollte man dem noch keinen Glauben schenken. Es schien allen zu unmöglich, dass nach etwa 20 Jahren wieder die Menschen gegeneinander stehen sollten, die sich soeben zu verstehen und zu ertragen gelernt hatten, dass die Völker sobald alles vergessen haben sollten, was der letzte Krieg an Angst und Not gebracht hatte. Mit recht beschwertem Herzen zogen wir alle auf unsere Stationen. Danach begann das Trommelfeuer der Presse. Nachmittags arbeitete ich mit den Seminaristen zusammen im Garten. Dann kam die Zeitung. Die Seminaristen schauten mich an. Sie wussten, dass in der weiten Welt nicht alles seinen ruhigen Gang ging. Sie bekamen auch eine Zeitung, in der sie von all den Möglichkeiten lasen. Für den Kriegsfall hatten wir vorgesehen, dass Jensen in Rayagada einige der Khondevangelisten übernehmen solle, damit doch diese wertvollen Kräfte nicht verkämen. Er hatte auch zugesagt.

Und schliesslich kam der Krieg. Obwohl wir ihn erwarten mussten nach den letzten Nachrichten, so hofften wir doch immer noch, dass er lokal begrenzt werden könnte. Am Sonntag hielt Bruder Speck den Gottesdienst, ohne zu wissen, dass es für lange Zeit sein letzter Gottesdienst hier sein würde. Bruder Meyer war schon bereit mit der Übergabe an die Amerikaner. Am 02.09.1939 kam er nach hier, wir dachten, um den Geburtstag von R. Speck mitzufeiern, aber es war die andere Nachricht, dass Krieg ausgebrochen sei. Ich erinnere genau wie Bruder Meyer in mein Studierzimmer trat mit erregtem Gesicht und sagte "Nun ist unsere Arbeit hier zu Ende!" Zunächst hatte dieser Kriegsausbruch eine gewisse beruhigende Wirkung. Man wusste, was los war. Man war aus der monatelangen Spannung herausgenommen. Das war eine Erleichterung.

Nun gab es schnell einige wichtige Besprechungen. Wir sollten zunächst von den Stationen fort und auf zwei unserer Stationen in Koraput und Jeypore zusammengezogen werden. Helms, Lohse, Ahrens und wir in Jeypore und Hübner, Meyer, Jungjohann und Speck In Koraput. So wurde schnell das Notwendigste gepackt. Am Sonntag, 03.09.1939, erklärte England den Krieg. Am Montagmorgen erschien der Polizeiinspektor und überbrachte uns die Arrestierungsorder. Wir durften den Compound nicht mehr verlassen. Das Seminar erhielt Ferien, d.h. die Pastorenkandidaten sollten von den einzelnen Stationen wieder übernommen werden und die Khondevangelisten sollten zum Teil nach Rayagada, zum Teil in ihre Dörfer wieder zurückkehren. Es wurde weiter gepackt und verstaut, Listen geschrieben und schliesslich am Mittwochmorgen waren wir mit allem fertig, so dass wir auf die Polizeiautos warteten, die uns von hier nach Jeypore nehmen sollten. Es wurde ein langes Warten. Erst gegen Mittag etwa um zwei Uhr erschienen dieselben. Marlene wurde mit Frau Speck zusammen im Wagen des Collectors abgeholt. Das war eine besondere Freundlichkeit des Collectors, mit dem wir in Koraput viel verkehrt hatten, und der sich in einem freundlichen Schreiben an mich entschuldigte, dass er mich leider nicht in seinem Auto abholen könne. Was dieser Mann und seine liebe Frau alles getan haben, um die Härten solchen Ereignisses zu mildern, dass kann in diesen kurzen Erinnerungen nicht alles gesagt werden. Aber nicht nur ich, sondern wir alle denken mit dankbarem Herzen an diesen edlen Mann und seine nicht minder edle Frau.

"Herr Gott, Du bist unsere Zuflucht für und für", das war das Gotteswort, um das meine Frau und ich uns in später Abendstunde am 05.09.1939 sammelten. Es hat uns tief getröstet, wie es wohl unendliche Menschen getröstet hat. Am 06.09.1939 war Geburtstag meiner Frau. Von viel äusserer Feier konnte keine Rede sein. Alles war gepackt. Es sah öde und leer aus. Die Kinder warteten voller Spannung auf die Fahrt, die sie mit dem feinen Auto haben würden. Es regnete, regnete in Strömen, regnete, wie es lange nicht geregnet hatte. Schliesslich kam der Bus. Der Polizeibeamte von Kalkutta musste unnötigerweise noch die Koffer untersuchen, ob nicht noch irgendetwas verborgen war. Kamera und Karten hatten wir schon am Montage dem hiesigen Inspektor abgeben müssen. Eine Menge von Leuten standen um unser Haus herum, vor allem die Seminaristen mit ihren Familien. Für sie bedeutete es etwas, dass sie in ihrem Studium für das Predigtamt so unterbrochen werden sollten und nicht wussten, ob sie je wieder zusammenkommen und studieren konnten. Endlich hiess es einsteigen. In strömenden Regen standen hunderte von Christen unter ihren Regenschirmen. Sie stimmten das Lied "Ich bete an die Macht der Liebe“ an und sangen es in strömendem Regen zu Ende, während ich ihnen die Hände zum Abschied reichte. Aber dann war es auch zu Ende und der Bus setzte sich in Bewegung. In Kotapad selber war kaum jemand zu sehen. Des starken Regens wegen hatten sich alle in die Häuser zurückgezogen.

Im Bus sassen Bruder Jungjohann, Bruder Lohse, Bruder Speck und ich. Plötzlich redete mich der Polizeiinspektor an, der zur Bewachung im Bus sass. 1923/29 als wir in Lakshmipur waren, war er dort Polizeiinspektor gewesen und wir hatten öfter miteinander zu tun gehabt. Besonders ist mir in Erinnerung, dass wir einmal eine Gesundheitswoche dort gehabt hatten, bei welcher Gelegenheit ich den Hunderten von Menschen die Bedeutung der Gesundheit der Seele predigte, und auf den alleinigen rechten Arzt und sein wundervolles Heilmittel hinwies. Zehn Jahre waren seitdem vergangen und so trafen wir uns wieder.

In Boriguma warteten Frau Lohse und Frau Jungjohann auf der Polizeistation auf unseren Bus. Sie waren nicht sehr erbaut über die lange Zeit, die sie dort hatten warten müssen. Aber es ist Krieg und da geht es nicht mehr nach den Wünschen der Einzelnen. In strömendem Regen wurde die Fahrt im Polizeibus fortgesetzt und wir kamen endlich in Jeypore an. Wir sollten unten mit Lohse zusammen wohnen und oben waren Helms, während Ahrens im Office von Bruder Helms ihr Schlafzimmer hatten und oben, mit ihnen zusammen assen. Vor dem Hause und auf der Veranda liefen die Jeyporepolizisten herum. Ich bestand darauf, dass sie im Nebenhause ihren Platz suchen sollten und nicht vor unserem Zimmer auf der Veranda herumliefen und dort schliefen. Helms hatten ihnen dort in verkehrter Freundlichkeit einen Platz angewiesen, aber nicht bedacht, dass wir unten mit zwei Familien wohnen sollten und es daher unerträglich werden würde, wenn die Polizisten auf und ab gingen und dort es sich nach ihrer Art bequem machen würden. Sie hatten auch genug Verständnis einzusehen, dass das nicht ging und verzogen sich in das Nebengebäude.

Es war Marlenes Geburtstag und bisher hatten wir keine Gelegenheit gehabt, ihn zu feiern. Daher nahmen wir den späten Abend wahr und feierten zusammen, soweit es die Umstände zuliessen. Wir wussten nicht was aus uns werden sollte. Würden wir länger in Jeypore verbleiben? Das war der anfängliche Plan. Aber dass ein Polizeimann aus Kalkutta gekommen war, wies uns darauf hin, dass wir wohl nicht allzu lange in Jeypore verbleiben würden. Daher galt es dann auch sich für die Weiterreise, sich für die Trennung zu rüsten. Der folgende Tag wurde mit Zurüsten zugebracht. Er brachte uns auch schon die Nachricht, dass die Männer am Freitagmorgen nach Kalkutta weiter sollten. Die Frauen sollten in Jeypore und Koraput verbleiben. So ging es dann schnell darum, die Koffer zu packen und es war auch bald getan. Am letzten Abend versammelten wir uns oben im Helmschen Wohnzimmer, und ich las den 91. Ps. "Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet und unter dem Schatten des Allmächtigen wohnet, der spricht zu dem Herrn, meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe." Dann vereinigten wir uns im Gebet.

Früh am anderen morgen erschien der Polizeibus. Bald waren unsere wenigen Sachen aufgeladen, und wir nahmen Abschied voneinander, Marlene stand mit Hermann auf dem Arm, und Rolf stand neben ihr. Ich sehe sie noch stehen, fest und getrost. Hermann, der immer in besonderer Weise anhänglich gewesen war, wollte am Tage vorher überhaupt nicht von mir fort. Während der ganzen Packerei sass er oder hing er herum. Ob er etwas ahnte? Die Verbundenheit der Menschen miteinander bringt manches zum Ausdruck, was man vielleicht in normalen Fällen überhaupt nicht erkennen kann. Dann rasten wir durch Jeypore und den Ghat hinauf nach Koraput. In Koraput waren die Brüder auch schon bereit. Es gab noch manche kleine Dinge zu ordnen. Etwa eine halbe Stunde dauerte der Aufenthalt, während der wir mit den Christen und Mitarbeitern in Koraput reden konnten, auch uns von den Frauen dort verabschieden konnten.

Bruder Bräsen lag im kleinen Zimmer in Koraput im Meyerschen Hause. Gleich nach Bekanntmachung der Kriegserklärung hatte Meyer ihn gebeten, nach Koraput zu kommen, damit wir doch alle zusammen sein könnten, wenn sich etwas ereignen würde und Bruder Bräsen war auch ohne viel zu zögern mit seinem Auto heraufgekommen. Aber er war krank. Sein Darm machte ihm immer wieder zu schaffen. So musste er zu Bett liegen. Der untersuchende Arzt hatte festgestellt, dass er die Reise jetzt nicht machen könne, so mussten wir ihn zurücklassen, und in gewisser Weise waren wir froh dazu. So hatten die Frauen doch etwas männlichen Schutz und Rat in den Monaten, wo sie alleine sein mussten.

Endlich war die Zeit zum Aufbruch gekommen. Es hiess einsteigen. Und dann verliessen wir auch Koraput. Oben auf der Veranda standen die Frauen und winkten uns nach. Vom Wege her winkten uns noch der Collector und seine Frau nach. Auch in diesem Zeichen bewiesen sie, dass sie uns nicht als Feinde betrachteten, sondern auch unter diesen Kriegsverhältnissen als das, was wir immer gewesen waren, ihre Freunde. Der Krieg konnte das nicht ändern.

Die Reise nach Salur verlief ohne weitere Beschwerden. Wir sassen gemütlich im Bus, und die Raucher unter uns, es war die .Mehrzahl, hatte Zigarren genug mitgenommen, um alles unter Dampf vor sich gehen zu lassen. Hinter Salur wurde eine Ruhepause gemacht, in der wir das mitgebrachte Frühstück verzehrten. Einige Christen aus Salur, die uns gesehen hatten, waren dahingekommen, vor allem auch Gabriel, der Sohn des alten Martin und unterhielten uns, oder machten jedenfalls den Versuch es zu tun. Ihnen war das Herz ja auch schwer genug, dass sie nun wieder alleine sein sollten. Indien ist voll von dem Gedanken der Freiheit und Selbstbestimmung. Aber wenn es wirklich dahin kommt, dass sie auf ihren eigenen Füssen stehen sollen, wenn ihnen die genommen werden, die ihnen Führer und Väter gewesen sind, dann kommt es Ihnen doch etwas anders vor, jedenfalls hatte ich so den Eindruck von so manchen, die meinten, sie könnten vielmehr ausrichten als ihnen zugetraut worden sei.

Dann kam das letzte Stück der Reise von Salur nach Vizianagram. Es regnete hier nicht mehr so heftig, wie es oben bei uns der Fall gewesen war. Im Nu hatten wir Vizianagram auch erreicht. Die Besorgung unserer Fahrkarten und des Gepäcks konnten wir getrost den Polizisten überlassen. So sorglos sind wir nur als Kinder gereist, als die Eltern und Verwandten nach unseren Dingen sahen. Wir gingen in den Waschraum und konnten uns nach der Busfahrt frisch machen und dann gingen wir in den Wartesaal, d.h. in dass Esszimmer, und dort hatte ich nun die Aufgabe für uns alle ein Essen zusammenzustellen. Das war nicht so schwierig, denn der Saal enthielt einige Schränke mit guten Sachen in Dosen. So gab es alles aus Dosen zurechtgestellt, nur Kartoffeln mussten zubereitet werden. So gab es Suppe, hernach Kartoffeln, Dosenspargel und Dosenwürstchen, hinterher Fruchtsalat. Das mundete allen herrlich nach der langen Tour. Wir brauchten das nicht bezahlen, sondern der Collector hatte genügend Geld mitgegeben, damit die Gefangenen auch unterwegs gut bewirtet werden konnten, und da wir alle einen gesunden Appetit hatten, und dies die einzigen Möglichkeiten waren, Schaden zu tun im Kriege, so haben wir gut gegessen.

Wir hatten unsere Abteile für uns. Einer der begleitenden Polizeisergeanten sass mit uns in den Abteilen zweiter Klasse und der Zug sauste durch das weite indische Land. Wenn wir das Bedürfnis hatten, uns einmal die Füsse zu vertreten, so verliessen wir auf den Haltestationen den Zug und liefen an den Bahnsteigen hin und her, von allen angestaunt. Die Begleitmannschaften liessen sich so wenig wie möglich sehen, nur die Sergeanten gingen mit uns auf und ab. Da sie aber auch freundliche Menschen waren, denen wir kein Leid getan hatten, so konnte man es wohl kaum merken, dass wir Leute waren, die in ein Gefangenlager abgeführt werden sollten. Im Speisewagen des Zuges hatten wir auch unser Abendessen nach der Speisekarte. Und wir fühlten uns den Verhältnissen entsprechend sehr wohl. Nur für Rauchen und Trinken hatten wir selber zu bezahlen. Das andere genossen wir auf Kosten der Regierung. Bruder Jungjohann nahm sich eine sehr teure Zigarre als dieselben nach dem Essen herumgereicht wurden in der Meinung, seinen Anteil an dem Schaden besonders zu erhöhen, in diesem Falle um einige Anna. Aber nachher musste er selber dafür bezahlen. Das hat man davon.

Dann wurde es Abend und Nacht und immer weiter ging es auf Kalkutta zu. Dort endlich angekommen ging es in den Wartesaal. Wir konnten uns nicht mehr frisch machen. Wir hatten das auch schon im Zuge getan, hatten dort auch schon Tee und Brot genossen und was es sonst dazu gab. Nun sassen wir im Saal und warteten, und lasen die Zeitung. Es ging in Polen mächtig voran und es sollte nicht mehr weit vom Ende dort sein. Wir genossen noch die Stunde im Wartezimmer ohne zu wissen, wie bald sich alles ändern sollte.

Schliesslich wurden wir gerufen. Wir gingen die breite Treppe nach unten und an den Bahnsteig, wo uns ein Auto erwartete. Aber was für ein Auto! Es war ein geschlossener Polizeiwagen, wie es wohl für Gefangene gebraucht wird, die man der Öffentlichkeit nicht zeigen mag, worin man die etwa zur Flucht bereiten sicher untergebracht hat. Wir sahen einander an, und unsere Blicke besagten nicht nur grosse Enttäuschung, sondern auch eine gewisse Entrüstung über diesen "Äffenkäfig", wie er schnell von Bruder Jungjohann betitelt wurde. Aber es nützte nichts. Unser Gepäck wurde darin verstaut, und als das zu Ende war, mussten auch wir einsteigen und sassen darin wie die Heringe. Wenn es etwas gibt, um Menschen zum Widerstand aufzurufen, dann ist es sicher solch eine Gelegenheit und eine Behandlung. Gewiss kann man damit nicht einen Menschen bessern. Man muss sich ja der Gewalt, der brutalen Gewalt beugen und tun, was gesagt ist, aber man hat damit doch nichts erreicht, im Gegenteil. Ich bin lange Jahre hindurch staatlich anerkannter Besucher eines Distriktgefängnisses gewesen, und habe mich nach dem Wohl und wehe der Gefangenen erkundigt, habe ihr Essen probiert, ob es geniessbar war, habe die Schlafstätten gesehen, das Hospital und manches andere.

Ich habe auch meine Bemerkungen gemacht, so oft solche zu machen waren. Aber ich habe immer unter dem Eindruck gestanden, dass die Gefangenen es dort gut haben, und wenn es nicht der Fall war, dann ist getan worden, was immer getan werden konnte. Im Grossen Ganzen muss ich sagen, dass die Gefangenenbehandlung der englischen Regierung sehr human war. Ich bin auch Jahre hindurch für gewisse Gefangene Probation Officer gewesen. Manche, die frei wurden, bevor die Zeit abgelaufen war, haben es auch durch die schnell wieder gewährte Freiheit erfahren dürfen, was es um eine humane Regierung ist. Da muss ich wirklich loben. Aber hier in diesem Falle! Was hatten wir getan, dass wir in einen solchen Affenkasten gesteckt wurden, der nicht einmal genügend Luft einliess. Es wurde sicher von aussen verschlossen und dann fuhren wir los, oder vielmehr wir wurden gefahren. Sehen konnten wir kaum etwas von dem Leben auf den Strassen. Es tat auch nicht nötig. Jeder von uns sass in seiner Ecke und machte seine Bemerkungen für sich oder zu den anderen. Der Schweiss brach in Strömen aus. Es war ja im September und die von Feuchtigkeit gesättigte heisse Luft drückte sehr. Vor allem aber drückte uns unsere Lage. Gewiss sagten wir uns immer wieder "Krieg ist Krieg", es gibt keine Rücksichten, auch nicht gegen Leute im Zivilrock, auch nicht gegen Missionare. Aber was uns am meisten beschämte, dass war doch diese scheussliche Heuchelei. Auf der einen Seite vertrat man in diesem Kriege die Menschlichkeit, die Freiheit der Unterdrückten, die Religion, anständiges Wesen auch im Völkerleben, und auf der anderen Seite riss man Missionare aus der Missionsarbeit, nahm sie im Handumdrehen von der ihnen anvertrauten Gemeinde, ohne dieselbe zu fragen, ohne sich um die Leute zu kümmern. War denn eine so grosse Gefahr vorhanden, dass das geschehen musste, so mag man sich fragen.

Es ist wohl wahr, dass der erste Gefallene im Kriege die Wahrheit ist, aber es folgen in schneller Reihenfolge wie vom Maschinengewehr niedergemäht Anstand, Rücksicht, Gerechtigkeit, alles eigentlich, wofür man kämpfen will und Opfer zu bringen bereit ist. Wenn ich an den Polizeioffizier denke, der uns in dem Wagen abholte, so kann ich nicht anders sagen, als dass es die personifizierte Brutalität war. Ist er unschuldig anzusprechen, tat er seine Pflicht nur? Diese Fragen sind schwer zu beantworten. Aber es ist doch so, dass unendlich viele Menschen in solchen Fällen alles ausschalten können, mit lachender Miene alles beiseite tun können, was sie im zivilen Leben vertreten und vertreten wollen; es ist gerade so, als wenn der Krieg nun den Menschen einmal das lang entbehrte Recht schenkt, so grob und brutal zu handeln wie nur möglich. Wir sollten nur zu bald wieder die gleiche Erfahrung machen.


Das Lager Fort William

Endlich kamen wir dahin, wohin man uns haben wollte. Fort William. Das Polizeiauto hielt, wir stiegen aus, froh, endlich wieder frische Luft atmen zu können. Auf einem grossen Sportplatz innerhalb des Forts war ein grosses Zeltlager aufgeschlagen, in dem die Internierten untergebracht waren. Ringsherum war hoher Stacheldraht, stellenweise "live wire" gekennzeichnet. Ob das nun wirklich geladener Draht war oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Das eine wie das andere war gerade demütigend genug. Vor dem Lager war das Zelt der Wächter. Wir wurden nun von der Polizei dem Militär übergeben.

Der wachhabende Sergeant kam aus dem Zelt heraus und musterte uns von oben bis unten. Sein ganzes Aussehen deutete schon darauf hin, dass man von diesem Mann nicht viel Verständnis erwarten durfte. Wir standen in einer Reihe. Unser Gepäck war noch im Wagen drin. "Come on boys" so redete er uns an und forderte uns auf, unser Gepäck aus dem Wagen zu holen. Wir standen alle still und sahen ihn mit ebenso grossen wie erstaunten Augen an. Aber wir rührten uns nicht. Das ganze kam so neu auf uns losgestürmt, dass wir uns damit noch nicht abfinden konnten auf seinen Befehl hin unser Gepäck aus dem Wagen zu holen. Das Ganze musste auch den uns begleitenden Polizisten und dem Sergeanten, der von Koraput mitgekommen war so eigenartig vorkommen sein, dass sie in den Wagen gingen und unser Gepäck herausholten. Wir nahmen es dann in Empfang und jeder stand nun bei seinen Habseligkeiten, die er mitgebracht hatte. Wir sollten warten, bis unser Gepäck durchgesucht war. Das dauerte nun sehr lange, es war längst nach Mittag, als wir soweit waren, dass wir in das Lager gehen konnten, und manche Sachen waren noch im Wachzelt untergestellt worden, weil sie noch nicht durchgesehen waren. Es vergingen Tage ehe wir alles beieinander hatten.

Im Zelt sass der Kommandant des Lagers. Wir wurden hereingerufen, und sollten uns entscheiden, ob wir als Klasse-A oder als Klasse-B gelten wollten. Klasse-A Leute konnten im Kasino essen, mussten dafür selber bezahlen, pro Tag drei Rs. Klasse-B Leute assen im Lager, wo ein grosses Zelt errichtet war, in dem die Mahlzeiten meistens gemeinsam eingenommen wurden. Da alle Deutschen im Lager sich für Klasse-B entschieden hatten, wollten wir auch keine Ausnahme machen, vor allem hatten wir auch nicht das Geld dazu, um das länger durchhalten zu können. Ich habe ja schon erwähnt, dass bevor der Krieg anfing, waren wir derart abgebrannt, dass wir einen Teil der Missionare nach Hause zu schicken auf der letzten Konferenz beschlossen hatten. Jeder hatte noch etwas mit ins Lager bekommen, aber man wusste nicht, wie lange es dauern würde, und wie lange man damit auskommen sollte. Daher war das andere für uns die gegebene Lösung.

Neben dem Kommandanten sass der Lagerleiter, einer der Internierten, Verbindungsmann zwischen den Gefangenen und dem Kommandanten. Es war ein Herr von Kamecke, der in Kalkutta in einer deutschen Firma Vertreterdienste getan hatte. Wir sollten bald näher mit ihm bekanntwerden. Bei den einen hiess es, dass er Gestapomann war, der in Kalkutta die Deutschen beobachtete. Wenn das wirklich der Fall ist, dann ist es gewiss Ironie des Schicksals zu nennen, dass gerade die Engländer, die die Gestapo als Ausgeburt der Hölle betrachteten und bekämpfen wollten, diesen Mann zum Lagerleiter ernannten. Oder hatte ihre Ernennung darin ihren Grund, dass er ehemaliger Offizier, dass er Adliger war. Auch das ist bei den konservativen Engländern möglich. Bei den andern im Lager galt er als Null, der nicht einmal eine offizielle Stellung in der Partei innehatte. War er wirklich ein Mann der Gestapo, so konnte man sich nur wundern, mit welcher Geschicklichkeit das alles verborgen werden konnte.

Ich habe manche Unterredung mit diesem jungen Mann gehabt. Sein Lebensmythos war noch mehr als was Rosenberg hatte darstellen können. Er entstammte einer guten alten und soviel ich weiss auch in hohen Stellen wohlbekannten Familie. Sein Vater war kein Kirchengänger. So war er es auch nicht gewesen ohne sonderlich der Kirche und ihren Vertretern feindlich gegenüber gewesen zu sein. Aber was ihn der Kirche völlig entfremdet, ja eigentlich feindlich gemacht hatte, das war dies, dass nachdem Adolf Hitler an die Macht gekommen war, nachdem die alte konservative Richtung mehr und mehr ausgeschaltet wurde, nachdem alles und jedes in Deutschland gleichgeschaltet werden sollte, sein Vater sich zur Kirche wandte. Nicht darum, weil er sich bekehrt hatte, sondern einfach daher, weil er in der Kirche die Kräfte sah, die dem Staate und all seinen Versuchen Widerstand entgegen setzen könnte und es auch mutig getan hat. Hier war der Ort, von woher auch er seine Ideen dem Neuen entgegensetzen konnte, ohne gleich als politischer Gegner verschrien zu werden. Was im Innern des Vaters vorgegangen war, das konnte er natürlich nicht sagen. Aber er konnte doch die äussere Umkehr sehen und konnte darin nur Falschheit entdecken.

Er konnte also auch in der Kirche nur das Heerlager der Feinde des dritten Reiches erkennen. Das war eins. Das andere war aber sein unverhüllter Hass gegen das Judentum. Ich kann nicht sagen, dass das im Lager zum Ausdruck gekommen ist, so dass wir das erkennen konnten. Aber in den Unterredungen, die ich mit ihm gehabt habe, ging doch klar und deutlich hervor, welch Geistes Kind er war. Der Gott des Alten Testaments, der Gott des Gesetzes, der Gott eines erwählten Volkes, der Gott, der die Sünden der Väter heimsuchen konnte an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, das war ihm etwas Unerträgliches. Das andere aber der Verheissung, das kam nicht in Frage. Lange habe ich an einem Abend mit ihm zusammen gesessen und habe ihm zu erklären versucht, dass das ja gar nicht so sehr verschrien werden könnte, vor allem nicht von solchen, die wirklich den Mythos Rosenbergs und darüber hinaus altdeutsches unverdautes Heidentum zum Ideal ihres dritten Lebens gemacht hatten.

Ich versuchte ihm zunächst einmal die Macht der Sünde klar zu machen, dieser ungeheuren Macht der Unnatur, wie zu allererst der Mensch gerade der besserwissende und besserwollende Mensch sein elendes Erbgut weitergibt. Eine Statistik mancher Verbrecher kann leicht nachweisen, bis zu welchem Ausmass sie ihr Erbgut an die Kinder weitergegeben haben und es noch tun. Das kommt nun nicht von ungefähr, sondern darin liegt eine Schöpfungsordnung Gottes. Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären. Und diesen Fluch hat Gott eben auf die böse Tat gelegt. So ist der Gott des Alten Testaments wirklich nicht ein racheschnaubender Gott, sondern wirklich ein gerechter Gott.

Wie weit nun die Unterhaltung wirklich dazu beigetragen hat, dass dieser Mann ein anderes Gottesbild gewonnen hat, das kann ich nicht sagen. Merkwürdig war aber, dass er weinte, ich hätte Anschauungen wie er über die ganzen Fragen. In der Tat gibt es so manches im Nationalsozialismus, was man bejahen kann wie z.B. die Betonung des Gehorsams, der Einsatzbereitschaft bis zum Opfer hin, die Hilfsbereitschaft zum Dienst am Nächsten, die Hochschätzung der Arbeit usw. Aber das sind doch alles nicht etwa Dinge, die nur erst der Nationalsozialismus gebracht hat, sondern es sind doch wirklich Dinge, die gerade die Bibel Seite für Seite predigt, die die Kirche, wo immer sie Kirche des Wortes Gottes sein wollte, betont hat. Was daran der Nationalsozialismus unserer Tage gebracht hat, das ist die Beziehung zu dem Deutschen Führer, dem deutschen Volke, zur deutschen Leistung, meistens mit Preisgabe der Beziehung zu den Menschen im Allgemeinen, zu allen. Und es ist ohne weiteres klar, dass da das Wort Gottes viel weiter ist als irgendetwas an Idealem, das eine politische Parteiorganisation aufzubringen imstande ist; es zeigt sich darin die Engstirnigkeit und Engherzigkeit dessen, was man so treffend Nationalsozialismus genannt hat.

Es ist sicher wahr, dass es kein rechtes Leben gibt, wenn es sich nicht zu allererst am Volksnächsten beweist, aber es gibt auch kein rechtes Leben in der Völkergemeinschaft, wenn es eben dort stehen bleibt. So manche Unterredungen dieser Art gab es im Lager. Merkwürdigerweise aber nicht sehr oft mit denen, die die offiziellen Vertreter der nationalsozialistischen Volkspartei waren. Was ist der Grund dafür? Waren sie ihrer Position so sicher, dass sie eben auch einen Disput über diese Angelegenheit als überflüssig ansahen? Ich möchte es beinahe annehmen, zum anderen aber auch, dass die allermeisten nicht viel denken konnten oder mochten. Sie nahmen die Ereignisse wie sie waren, und die einzige Stellungnahme, die sie bekunden konnten war Gehorsam und Hurra. Fast alle waren mehr oder weniger an ein Leben gewohnt gewesen, das ihnen alles in jeder Beziehung gebracht hatte, Geld, Vergnügen, Ansehen und Essen und Trinken, Das letztere besonders reichlich. Und wenn der Mensch das alles hat, dann fragt er nicht mehr oft nach dem Woher, sondern sonnt sich in den Verhältnissen, die ihm das alles gegenwärtig vermitteln und hält dieselben einfach für das Idealste, was es geben kann. Aber ein Krieg wie dieser musste doch allen wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommen. Sie haben diesen Blitz aber meistens mit Bier und Whisky und Soda gefeiert.


Unser Zelt

Wir Missionare waren alle zusammen in einem Zelt und da es nicht ganz voll war, hatten wir noch zwei Monteure einer Papierfabrik. Beides waren nette Menschen, mit denen wir keinen Streit gehabt haben. Sie fanden sich schnell ein. Die Betten waren gewöhnliche eiserne Bettstellen, einige hatten ein Stück Wellblech als erste Lage, andere nur das Eisengeflecht des Bettes. Bruder Meyer war so freundlich gewesen, mir ein einigermassen anständiges Bett zu überlassen. Zu meiner Rechten lag Bruder Jungjohann zu meiner Linken Bruder Speck. Zwischen den Betten war nicht allzu viel Zwischenraum. Man konnte gerade hindurchgehen. Wer sich ein Feldbett mitgenommen hatte, konnte das benutzen und hat gut daran getan. In zwei Reihen standen die Betten im Zelte. Die Zeltwände waren meistens hoch, weil es so sehr heiss und schwül am Tage und in der Nacht war. Aber wenn es anfing zu regnen, dann wurden sie schnell heruntergemacht. Das war jedes Mal ein rechtes Stück Arbeit, und noch schlimmer waren das Losmachen und das Trocknen und das Aufrollen. Alles musste vorschriftsmässig geschehen, was ja auch nicht anders sein konnte, wenn irgendetwas davon heil bleiben sollte.

An einem Ende unseres Zeltes war das Offizierszelt der Lagerleute und jenseits desselben, das heisst, jenseits des Stacheldrahtes war das Offizierszelt der Soldaten. Etwa zwischen Beiden lag das Messezelt, wo man alles Mögliche für einigermassen anständige Preisen kaufen konnte oder das sich anschaffen konnte, was man in der Eile vergessen hatte. Und wie es in unserem Zelte aussah, so sah es in den meisten anderen Zelten auch aus. Am anderen Ende war etwas mehr Raum, so dass man dort etwas sitzen konnte. Stühle gab es im Zelte nicht, es sei denn, dass man sich einige mitgenommen hatte, oder dass man sich einige aus der Messe mitgenommen hatte. Einige von uns hockten immer auf den Betten herum. Das konnte man nicht lange im Rücken aushalten, und so legte man sich lang auf das Bett hin. Die Beleuchtung erhielten wir durch Stalllaternen, meistens zwei für das ganze Zelt, aber wenn man zu spät gekommen war, konnte man auch erleben, dass man mit einer davonkam. Einmal brachte Bruder Lohse auch eine mit einem roten Glas, das war verbotenes Licht. Und es hätte wirklich etwas Ernstes passieren können, wenn wirklich jemand damit in der Nacht losgelaufen wäre.

Hinter den anderen Zelten befanden sich die Badezelte. Wir hatten keines hinter unserem Zelte, wuschen uns meistens am offenen Wasserloch. Wenn man aber ein besseres Bad haben wollte, musste man zu den Räumen hinter den ersten Zelten gehen. Dort konnte man auch in Ruhe seine Wäsche waschen, denn die Angelegenheit mit den Dhobis war dort nicht geordnet. Meine Kollegen hatten es so mit Bruder Lohse geordnet, dass er ihre Wäsche sauber machte, während sie für ihn die Arbeit taten, wenn seine Runde kam. Da ich aber einen besonderen Dienst im Lager hatte, habe ich meine Wäsche immer selber gewaschen, mochte auch nicht gerne das jemand anders übertragen.

Am Ostende des grossen Lagerplatzes standen die Badestubenzelte, das heisst in diesem Falle, die Klosetzelte. Es waren nur einige wenige, und für mehr als 120 Mann war das reichlich knapp, obwohl dreimal am Tage ausgetragen wurde. Am Abend wurden vor den Zelten grosse Tonnen hingestellt, worin die Nachtgeschäfte erledigt werden konnten. Alles das war recht primitiv, aber es konnte den Verhältnissen entsprechend nicht anders sein. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich das Küchenzelt. Anfangs hatten wir einige Inder, die das Kochen besorgten unter Mithilfe der etwas von der Kochkunst verstehenden Internierten, nachher wurde das von den Internierten alleine besorgt. Das war ein heisser Dienst. In der Nähe des Küchenzeltes befand sich das Speisezelt. Die grossen Kochtöpfe wurden zur Essenszeit vor dem Zelte aufgestellt und dann traten alle in einer langen Reihe heran und erhielten auf ihren mitgebrachten Tellern oder in ihre Tassen das bereitete Essen. Wir, die wir so ungefähr zuletzt dort eingetroffen waren, hatten unseren Tisch für uns alleine, jedenfalls eine ziemliche Zeit hindurch. Dann kamen noch einige Nachzügler hinzu. Aber sie haben uns nicht an der Essensfreude, soweit die aufkommen konnte gehindert.


Die Lagerordnung

Morgens um sieben Uhr war "Roll call", also mussten wir vorher auf sein. Grosse Toilette wurde von niemanden gemacht, denn es war so heiss, dass man nicht viel Kleidung anhaben konnte. Mitunter war es auch so nass, dass es sich nicht lohnte, während der Zeit in Kleidung zu erscheinen. So hatten fast alle nur Kniehosen an. Viele liefen auch barfuss bis es verboten wurde, da von unglaublich nachlässigen Leuten Rasierklingen fortgeworfen waren, und vor allem auch, weil Wurmgefahr nicht ausgeschlossen werden konnte. So liefen denn bald die meisten in indischen Pantoffeln herum. Das war nicht ganz einfach, wenn der ganze Platz unter Wasser stand, nachdem es einen kräftigen Regenschauer gegeben hatte. Ich musste meiner Füsse wegen immer Strümpfe und Schuhe tragen und trug darum auch lange Hosen.

Zum Roll Call kam der wachhabende Offizier und liess abzählen und durch einen der anderen Soldaten nachzählen. Mitunter wurde auch die Nummer aufgerufen, die wir bei unserem Einzug ins Lager erhalten hatten. Wir waren wirklich Nummern geworden im Lagerbetrieb. Bald nach dem Appell ging es ans Kaffeetrinken. Es gab Porridge und Brot. Zum Brot Marmelade. mitunter gab es auch ein Stück gebratenes Fleisch oder ein gebratenes Ei, mitunter Rührei, mitunter auch gekochte Eier, die nicht immer geniessbar waren. Tee machte den Schluss. Nach dem Kaffee galt es die Zelte für die Inspektion in Ordnung zu bringen, die Betten zu machen und zwar so, wie es im Lager sein sollte. Die Betten mussten aufgerollt werden. Mitunter kam der Kommandant oder sein Stellvertreter und ging durch die Zelte, mitunter warteten wir auch vergebens auf ihn.

Beim Morgenappell war schon kundgegeben worden, dass besondere Arbeiten ausgeführt werden mussten. Die Küche brauchte selbstverständlich Leute, die das Gemüse und Fleisch und Brot holten, das Gemüse und die Kartoffeln schälten, andere mussten die Lampen putzen; andere hatten Lagerdienst, sie sassen als Orderlies im Zelt und hatten Kameraden zu rufen, wenn sie im Kommandantenzelt erforderlich waren, und auch andere Botendienste zu verrichten. Einige mussten im Offizierszelt der Internierten die mancherlei Schreibereien und Rechnereien besorgen. Nach und nach gab es bestimmt Kameraden, die sich für den einen oder anderen Dienst besonders eigneten und die daher dort ständig arbeiteten, während der Rest die gelegentlichen Pflichten übernehmen musste. Ich bekam den Dienst des Sanitäters. Kleine Behandlungen besorgte ich im Lager und holte mir dazu vom Militärhospital in der Nähe die notwendige Medizin. Morgens und nachmittags musste ich mit den Kranken zum Hospital, sie dort dem diensttuenden Arzt vorstellen, ihre Krankheit darstellen, sie in den Behandlungsraum führen und nachher wieder ins Lager mitnehmen. Ein Formular musste jeweils nach dem allen ausgefüllt werden und im Duplikat ins Zelt des Kommandanten gebracht werden. Zum Glück hatten wir keine besonders schwierigen Krankheiten.

Die Behandlung, die ich im Lager vollzog, bestand meistens nur in Bepinselung von Ringwurmstellen. Bei einigen verschwanden sie innerhalb von einigen Tagen, bei anderen dauerte es lange. Am Ende der Behandlung hatte ich den Antrag zu stellen, dass die gesamte Wäsche des Geheilten zur Desinfektion kam. Gelegentlich kam Fieber vor, aber nicht besonders häufig und schwer. Unter denen, die sich meldeten, um zum Hospital geführt zu werden, waren nicht selten solche, die sich von der Arbeit drücken wollten, es waren auch solche, die eigentlich Mitleid suchten, auch solche, die einmal für eine halbe Stunde aus dem Stacheldraht herauskommen wollten, oder solche, die mit Geschlechtskrankheiten behaftet waren. Manche der Leute konnten nur mangelhaft Englisch. Von ihnen musste ich mir alles erzählen lassen um es dem Arzt im Hospital zu sagen. Im dunklen Korridor des Hospitals, oder im Vorraum sassen wir dann, bis es endlich so weit war. Allmählich wurde ich so mit manchen des Lagers bekannt, auch mit den Ärzten und anderen Arbeitern im Hospital, wie auch schliesslich mit den Leuten, die vor unserem Stacheldraht im Wachtzelt sassen, und die meine Berichte entgegennahmen. Manche der Kameraden glaubten, dass ich eine grosse Macht hätte, ihnen mancherlei Vergünstigungen zu verschaffen, Freiheit von der Arbeit, vom Roll Call usw. In einigen Fällen konnte das auch sein, aber in anderen wieder war es zu offenbar, dass es nicht ging.

Da war ein alter Jude, 69 Jahre aus Wien gebürtig, der immer wieder bei mir herumlag. Es war wirklich ein trauriger Fall. Er hatte Wien aus irgendwelchen Gründen verlassen, war nach Indien gekommen, hatte sich eben eine Existenz gegründet als der Krieg ausbrach. Gesundheitlich war er nicht mehr auf der Höhe, das konnte wohl jeder sehen. Es war eine Schande, solch alte Leute in ein Lager zu bringen, vor allem von solchen, die Humanität und was weiss ich nicht alles, für wundervolle Phrasen auf ihre Fahne schrieben. Aber Krieg ist Krieg, das musste man sich immer wieder sagen und da kommt es denn auch zu Härten, die man vielleicht gar nicht wollte und mochte, die aber doch mangelhafter Organisation wegen oder besonderer hasserfüllter Unterinstanzen wegen und nachher bürokratischer Spitzfindigkeiten wegen vorkamen und nur sehr schwer und langsam in Ordnung gebracht werden konnten. Wiederum musste man ja sagen, dass es auch manche gab, die sich unter der Maske der Krankheit und Schwachheit versteckten, so dass es nicht ganz einfach war, die rechte Entscheidung zu treffen. Um sich eben vor Schaden zu hüten wurde erstmal alles zusammengesteckt, dessen man habhaft werden konnte, um nachher zu sortieren. Nun in diesem Falle kam der alte Mann bald ins Hospital. Aber nach einigen Tagen war er schon wieder im Lager und wurde recht hart behandelt von den Soldaten und den Beamten. Der Grund war der, dass er einen Brief an seine Frau einem Inder gegeben hatte um ihn in den Briefkasten zu stecken. Das war gesehen worden und so kam er im Handumdrehen wieder ins Lager und unter die Lagerdisziplin. Er hat nachher wieder jeden Tag mir im Ohr gelegen, um ins Hospital zurückzukommen. Kurz bevor wir nach Ahmednagar  versetzt wurden, gelang das auch, so dass er die lange Reise und all die Unannehmlichkeiten dort nicht mitzumachen brauchte.

Selbstverständlich wurden wir durch einen Soldaten zum Hospital begleitet. Anfangs ging das alles noch mit aufgepflanztem Seitengewehr. Aber später wurde das zur Seite gelegt und dafür kam der Gummiknüppel mit. Aber es war nicht nötig, das eine oder das andere zu gebrauchen. Anfangs empfand man das Entwürdigende einer solchen Begleitung sehr, aber allmählich gewöhnte man sich auch an das alles. Es sah nicht mehr so schlimm aus, man wusste, dass Krieg war, man sah auch ein, dass in ihrem Interesse das alles erforderlich war. Die Soldaten, die uns bewachten gehörten den Cameroon Regimente an. Es waren Leute von nicht allzu starkem Körperbau, auch nicht von grosser Weisheit. Manche von ihnen hatten nach der Elementarbildung nichts anderes getan, als ein Soldatenleben geführt. Danach sahen ihre Gesichtszüge aus. Manche hatten einen überaus rohen und brutalen Zug, manche auch einen ganz gemeinen Zug im Gesicht. Essen und Trinken, Fluchen und Schimpfen, Spielen und Huren war das Wichtigste in den Gesprächen. Erstaunt waren manche von ihnen, vor allem, die besseren, die natürlich auch nicht fehlten, als wir Missionare ins Lager geführt wurden und im Lager behalten wurden.

Die Frage, die der derzeitige Commissioner of Police ausstiess als Bruder Meyer mit ihm eine Unterredung hatte, - "Was wollen sie eigentlich hier?" - hat gewiss auch manchen dieser Soldaten auf dem Herzen gelegen. Aber der Soldat fragt nicht, er hat eben zu gehorchen. Im Laufe der Wochen, die wir in Kalkutta zubrachten, wurden manche sogar freundlich und gesprächig und gekrönt wurde das Ganze wohl damit, dass der Kommandant noch auf den Bahnhof kam als wir das Lager verliessen, in unser Abteil hineinschaute, sich erkundigte, ob wir zufrieden seien und uns eine gute Reise wünschte und das der untersuchende Offizier nicht erst alle Taschen durchstöberte, sondern sich damit begnügte, dass ich ihm versicherte, dass ich nichts Schädliches bei mir hätte. Auch mit seinem guten Wunsch nahmen wir auf die Reise. So hatte sich doch manches in den Wochen geändert, die wir, in Kalkutta sein mussten.

War am Vormittag mancherlei zu tun, so gab es an den Nachmittagen Ruhe. Die Zeitung war meistens gegen Ende des Vormittags gekommen, auf die waren alle sehr gespannt. Es gab für jedes Zelt zwei Zeitungen, den "Statesman", ein Blatt, was viele priesen, womit ich mich aber niemals habe abfinden können. Wenn wir dann auf den Betten sassen und die Zeitung lasen, kamen meistens auch die Kameraden aus den anderen Zelten, die im Englischen nicht besonders firm waren und liessen sich von uns berichten, was es Neues in der Zeitung gab. Es war am Anfang immer allerlei. Nach und nach wurde aber das Interesse weniger. Es waren zuviel Reden und Vermutungen in der Zeitung abgedruckt und weniger Handlungen. Vermutungen hatten wir alle selber sehr reichlich, und wir wussten es immer meistens besser, wie es alles hatte werden sollen, und wie es hätte gehen sollen und gehen können.

An den Nachmittagen gab es nicht viel zu tun. Meistens wurde eine gute Mittagsstunde gehalten und nach dem kurzen Kaffee- oder vielmehr Teetrinken, mitunter war es am Anfang auch Kakao, gingen die meisten der Kameraden zum Sportplatz. Fussball und Handball waren die Spiele, die am allermeisten gespielt wurden. Ich konnte meines Beines wegen leider daran nicht teilnehmen. Aber meine Brüder waren dabei und unsere jungen Brüder waren nicht ungelenk. Das machte vielen der Internierten Deutschen doch einen Eindruck, dass man als Missionar auch ein guter Spieler im Fussball und im Handball sein kann. Nach dem Abendessen sassen wir meistens im Zelt und sangen oder unterhielten uns. Unser Gesang guter alter und neuer deutscher Volkslieder rief auch die Musikliebhaber herbei und sie versuchten dann mit uns zu singen.

Die meisten konnten allerdings nicht viel singen, vermochten vielleicht nur einen Vers mitzusingen. Darüber wunderten sich auch wieder viele, dass die Missionare so viele gute Volks- und Kommerslieder wussten und sie auch singen konnten. Bei manchen erweckte das auch Verdacht. So war einmal an den Kommandanten berichtet worden, dass die Missionare am Abend nationalistische Lieder sangen. Er fragte darum bei einem der Internierten an. Da das aber ein verständiger Mann war, so sagte er die Wahrheit, dass es sich um deutsche Volks- und Studentenlieder handelte. So wurde es denn auch nicht verboten. Und unsere Lieder erklangen noch manchmal in die Nacht hinaus, klangen auch trotz des uns gegenüberliegenden Kino mit all seiner Jazzmusik hinaus und machte uns und manche Genossen unserer Gefangenschaft froh.

Nach dem Abendessen wurde auch die Post verteilt, die eingelaufen war. Wir selber durften pro Woche zwei Briefe schreiben. Dazu wurde ein kleiner Bogen Papier geliefert. Mitunter war es aber auch nur eine vorgedruckte Postkarte, wo man das Allernotwendigste einfügen konnte. Gab es aber Post, dann waren wir alle froh. Am Anfang, als die Zensur noch nicht prompt arbeitete, war es etwas unregelmässig, aber nachher ging es einigermassen, vor allem, wenn man Briefe in Englisch erhielt. Für diejenigen unserer Kameraden, die nicht geläufig genug im Englischen waren, und die manches doch in Englisch noch zu erledigen hatten, hatten Bruder Meyer, Bruder Jungjohann und ich uns angeboten, zu schreiben. Manche haben davon Gebrauch gemacht, manche auch so reichlich, dass es uns manchmal zuviel wurde. Wir haben uns dann abgelöst.

Die meiste Mühe machte uns allen ein Ingenieur, der bei Tata im Dienst gewesen war. Er hatte soviel zu erledigen und merkwürdig, konnte nicht selber schreiben. Bruder Jungjohann und ich haben manchen Brief für ihn geschrieben, meistens waren es immer drei Kopien, denn er wollte sicher gehen, dass seine Briefe auch ankommen möchten. Seine Frau hatte er kurz vor Ausbruch des Krieges nach Batavia geschickt, damit sie von dort Weiterreisen sollte. Ob es ihr gelungen war, weiter zu kommen, dass war so oft Gegenstand seiner Sorge, die in den Briefen an verschiedene zum Ausdruck kam, und so gab es auch noch einige andere, die auch dasselbe getan hatten.

Die Kameraden, die in Kalkutta gewohnt hatten, konnten Besuch von ihren Angehörigen zweimal in der Woche empfangen. Ein Offizier war jedes Mal bei der Unterhaltung zugegen, und dieselbe musste in Englisch vor sich gehen. Wir streckten manchmal den Kopf zum Zelt heraus, wenn die Besucher kamen, meistens waren es die Frauen oder die Verlobten der Kameraden. Es waren nicht alles Deutsche, es waren auch Anglo Inder dabei. Wir waren froh, dass unsere Frauen nicht sich zu einem solchen Besuch anmelden und begleiten lassen brauchten.


Das Lager Ahmednagar 

Verschiedene Male war es durch das Lager gegangen, dass wir nicht lange in Kalkutta bleiben würden, sondern dass alle Internierten in ein Zentrallager nach Ahmednagar  gebracht werden würden. Verschiedene Male hatte sich das alles als blosses Gerede erwiesen. Endlich wurde es uns aber offiziell mitgeteilt. Wir wurden alle photographiert und waren nachher erstaunt über die Verbrechergesichter, die wir alle hatten. Es war sicher einer der ganz kümmerlichen Photoamateure, der die Aufnahmen gemacht hatte. Unsere Personalien wurden noch einmal wieder aufgestellt und unsere Lagerbeamten hatten reichlich zu tun.

Der Schweizer Konsul liess sich auch noch einmal sehen und wer ihn sprechen wollte, hatte dazu Gelegenheit, die am meisten von den Kalkuttakameraden ausgenützt wurden, denn sie mussten ja ihre Frauen und Kinder in Kalkutta zurücklassen. Auch der Commissioner of Police erschien und manche nahmen die Gelegenheit wahr, mit ihm zu sprechen. Als Bruder Meyer sich bei ihm anmeldete, drückte er sein Erstaunen aus, dass wir dort seien. Er meinte, dass wir gar nicht erst nach Ahmednagar  kommen würden, sondern dass wir wieder auf unser Gebiet zurückkehren konnten. Aber er hatte da das bürokratische Handeln vergessen. Er teilte auch mit, dass der Collector in Koraput für Bruder Meyer bereits eingerecht habe, dass derselbe freikommen möchte. Wir alle sollten nur unsere Petitionen um Freilassung einreichen. Das haben wir denn auch getan.

Wir haben uns wohl oft die Frage damals und nachher immer wieder gestellt, ob das recht sei, dass wir darum petitionierten. Es handelte sich für uns nicht in erster Linie, freizukommen, um wirklich persönlich frei zu sein von dem stumpfsinnigen und unproduktiven Lagerleben, obwohl auch das immerhin durchaus verständlich ist, sondern es handelte sich bei uns in erster Linie darum, ob uns die Möglichkeit gegeben werden könne, unseren missionarischen Dienst auch in dieser Zeit auszurichten. Als Missionare waren wir nach draussen gekommen, hatten alles verlassen und unser Arbeitsgebiet und unsere Arbeit als das von Gott uns zugewiesene Stück Erde und Arbeit angesehen. Sicher war uns das Schicksal unseres Volkes nicht gleichgültig. Auch wir wünschten und wünschen das Beste unseres Volkes. Wer das bezweifeln will, mag es immerhin tun. Es ist ihm nicht mit 1000 Gründen und Beweisen auszureden. Wir aber wissen es besser und unser Gewissen ist rein in diesem Stück. Aber der Herr hatte uns ein neues Volk geschenkt, unter dem wir unsere Lebensarbeit tun wollten. Und in dem Masse, wir das ausrichten, unbekümmert um alle Kritik an solchem Handeln, in dem Masse meinen wir, nicht nur unserem Auftrag von Gott her, und von der Missionsgemeinde her nachzukommen, sondern wir meinen allerdings auch, unserm Volke einen Dienst getan zu haben.

Die ungeheure Flut der Lüge, die sofort nach Kriegsausbruch hemmungslos alle Hindernisse durchbrach und die eine dunkle Flut von gemeinsten Schmähungen und Verdächtigungen und Anschuldigungen brachte, und die - merkwürdig zu sagen - mehr und mehr geglaubt wurde, kann meines Erachtens keinen wirkungsvolleren Widerstand finden als darin, dass deutsche Missionare nicht nur im Frieden, sondern auch mitten im Kriege ihren Dienst ausrichten, auch am Feinde ausrichten, denn offiziell war auch Indien unser Feind, und offiziell standen wir auch in unseren Gemeinden als Feinde da. Es ist ja nicht nur das deutsche Volk als solches, das keinen Freund in der Welt hat, verdächtigt und beschmutzt worden in der verlogensten Weise, sondern auch die deutsche Mission, die deutschen Missionare. Und es ist doch gerade die deutsche Mission und es sind die deutschen Missionare gewesen, die Mission und Kolonisation, Mission und Zivilisation, Mission und Kultur, Mission und Propaganda soviel wie möglich auseinanderzuhalten versucht haben. Was nicht von englischen und amerikanischen und anderen Missionen ohne weiteres gesagt werden kann. Eine vorurteilslose Betrachtung wird einmal diese Wahrheit an das Licht bringen.

In der Überzeugung, dass wir auch in dieser Zeit unseren Missionsberuf ausüben sollen wenn uns dazu die Gelegenheit geboten wird, in der Überzeugung schrieben wir unsere Petition, schrieben sie auch nachher als wir wieder dazu aufgefordert wurden in Ahmednagar  zum zweiten Male. Es ist uns nicht schwer gefallen, uns zu verpflichten, uns politisch nicht zu betätigen und den Anordnungen der Regierung hier draussen Folge zu leisten.


Amednagar 1941
FIRE: Gerhard Buelle

Dieses Versprechen hatten wir seinerzeit schon gegeben in meinem Fall lag das schon seit 1927 zurück. Das versteht sich für uns von selber, dass das nicht heissen konnte etwas gegen das Gewissen zu tun, sondern dass man an uns keinerlei Forderungen stellte, die in irgendeiner Weise mit uns als Menschen, die in ihrem Gewissen gebunden sind, vor Gott das Rechte zu tun, die uns dem Vaterlande Schaden zu tun enthielten. Das hat man auch in all den Jahren vor dem Kriege nicht getan, und so lange wir nun hier auf dem Missionsfelde auch mitten im Kriege unsern Dienst taten, eine solche Forderung ist uns niemals gestellt worden. Welcherlei dieselbe hier in unserer abgelegenen Ecke auch sein sollte, und was wir hier draußen wohl tun sollten, das können wir uns nicht recht vorstellen.

Gewiss haben wir anfangs es als ein Stück der feindlichen Propaganda empfunden, die hier in Indien den Leuten zeigen wollte, dass England für die Grundsätze der Freiheit kämpft. Man kann sich ein moralisches Mäntelchen umhängen, um sich den Schein der Gerechtigkeit zu geben. Aber je länger wir hier sind, umso klarer ist doch geworden, dass solche Machenschaften nichts genützt haben. Wo immer die militärische Notwendigkeit sich zeigte, da hat man auch die Missionare rücksichtslos entfernt und da hielten die moralischen Mäntelchen den Sturm nicht aus. Wie schnell das gehen sollte, das haben wir allzu bald erfahren. Die öffentliche Meinung fordert schliesslich auch manches, was man an hoher Stelle von edlen Absichten geleitet einfach nicht mehr halten kann. Und der Hass der öffentlichen Meinung wurde von Tag zu Tage doch klarer. Da kam dann die Frage auf, ob man ihm weichen solle, oder ob man nun gerade erst recht zeigen solle, dass man als ein Christ und Missionar seinen Dienst tun kann. Es scheint mir immer noch recht, dass wir auf dem richtigen Wege gewesen sind.

Ein anderes Moment muss auch noch in Betracht gezogen werden. Die indischen Christen waren nicht mehr eine so bedeutungslose Minderheit, wie sie es im letzten Kriege gewesen waren. Ihre Zahl war nicht nur gewachsen, sondern auch ihr Einfluss und vor allem ihre Überzeugung, dass die Mission nicht mit in den Krieg hineingezogen werden solle. Darauf hatten die Briten Rücksicht zu nehmen. Der Nationalkongress war schon darüber empört, dass die britische Regierung ohne Indien zu fragen, Deutschland den Krieg erklärte, ohne dass Indien als solches, und die Inder als Menschen im Besonderen etwas an Deutschland auszusetzen hatten. Er hat auch im Laufe der Kriegsjahre diese seine Stellung festgehalten und sie zum Ausdruck gebracht. Da konnte man es sich politisch nicht leisten, auch noch der drittgrössten Gruppe Indiens entgegen zu handeln. Das sind wohl so die Beweggründe gewesen, die dazu führten, dass man den Missionaren riet, um ihre Entlassung aus dem Lager einzukommen.


Missionare 1940 in Ahmednagar
stehend von links: 2. Theodor Lorch und 5. Johannes Klimkeit
sitzend 1. von links: Helmuth Borutta, ganz rechts: Otto Wolff

Manches hat sich im Laufe des Krieges verändert. Man wurde überall brutaler, rücksichtsloser, und die Volksmenge wurde durch die entsetzliche Hetzpropaganda allmählich auch einer anderen Meinung gemacht. Aber in all dem hielten wir es doch für unsere Pflicht auf unseren Herrn und seinen Dienst und nur auf den Herrn und seinen Dienst zu sehen und nicht danach zu fragen, was man sich dabei dachte zur Rechten und zur Linken, hüben und drüben. Das haben wir auch in unserm Schreiben klar zum Ausdruck gebracht. Solange die britische Regierung uns die uns übertragene Missionsarbeit tun lässt, so lange wollten wir gerne den Dienst tun um unserer Christen, um unserer Gemeinden, um unserer werdenden Kirche wegen, um unserer Mission daheim, unserer Kirche daheim und unseres Missionsdienstes wegen.

Als endlich das Tauziehen zwischen den polizeilichen und militärischen Instanzen sein Ende genommen hatte, wurden wir vom Militär wieder der Polizei übergeben und diese übernahm nun unseren Transport nach Ahmednagar . Einige Tage vorher hatten wir unsere Sachen alle gepackt und die Koffer standen im Zelte fertig. Als es endlich losging, kam wieder der Schimmel zum Vorschein und alles musste wieder auf den Sportplatz getragen werden und wurde dort untersucht. Das war ein Elend. Ohne schweres Schelten ging es nicht ab. Einige der durchsuchenden Offiziere liessen dabei noch einmal ihre Kunst und ihre Macht uns fühlen und mancher musste seinen Kram, den er so fein geordnet hatte in grösster Unordnung wiederfinden, und wer nicht schnell genug zur Stelle war, musste noch mal hinten antreten und hatte Not zur rechten Zeit fertig zu werden. Es ist nicht gerade die bessere Seite der menschlichen Natur, die sich dann zeigt. Wie ist es leicht mit einem kleinen Retstock durch die Reihen zu gehen und in den Zeughaufen herumzuwühlen und alles durcheinander zu kegeln und andere zum Zorn zu bringen. Aber schliesslich war auch das vorbei.

Auf einigen Lorries wurden die Sachen verfrachtet und einige unsere Kameraden fuhren mit zur Bahn und haben die Sachen in den bereitstehenden Eisenbahnwagen geladen. Sollten wir mit einem Privatzuge in Wagen zweiter Klasse fahren oder in einem Militärzuge, das war eine viel besprochene Frage und hatte den betreffenden Stellen offenbar allerlei Zeit gekostet. Aber schliesslich war es doch ein Militärzug. Die Abteile waren schön geräumig und immer zu dreien waren wir in einem Abteil. Die Reise nach Ahmednagar  verlief ereignislos. In Nagpur konnten wir uns noch einmal vertreten und dann war es aus. Die Polizei hatte soviel Angst, oder waren es andere Gründe. Die Verpflegung war gut, so dass wir darüber nicht zu klagen brauchten. Wir alle durften uns etwas Geld erbitten und konnten unterwegs kaufen, was wir haben wollten.

Am frühen Sonntagmorgen kamen wir auf der Bahnstation an. Da es aber noch dunkel war, mussten wir auf dem Bahnhof warten. Endlich war es soweit, dass wir los sollten. Die ganze Schar sollte zum Lager hinmarschieren, dass war eine gute Stunde Marsch. Ich konnte meines Beines wegen den Marsch nicht wagen und kam daher mit noch einigen anderen Kranken auf einen Bus und war daher sehr schnell im Lager. Ahmednagar  ist eine Militärstation. Und das Militär gibt ihm sein Gepräge, Baracken, grosse Plätze, Bungalows für die Offiziere, das ist so ungefähr alles, was man sieht. Von dem Orte selber sahen wir erst etwas, als wir wieder aus dem Lager entlassen wurden und uns etwas dort kauften. Es ist kein besonders grosser und feiner Ort. Was wir gerne haben wollten, konnten wir dort nicht bekommen. Die wenigen Läden, die es gibt, sind alle mehr oder weniger auf Versorgung der Bedürfnisse der Soldaten eingestellt, und das kann an einem solchen Orte nicht gut anders sein. Die Umgegend war nicht besonders schön zu nennen. In gewisser Weise erinnerte sie mich an die Gegend nördlich von Nandapur mit den kahlen Hügeln.

Endlich waren wir alle vor der Aufnahmebaracke angekommen. Der Kommandant hielt uns eine Rede, von der ich nicht mehr viel erinnern kann. Jedenfalls kam sie darauf hinaus, dass wir Disziplin und Ordnung zu halten hätten, und das, was wir im zivilen Leben gewesen waren, nun vorbei sei. Das war uns nichts Neues. Dann kam die ärztliche Untersuchung, die so elementar wie irgend möglich war. Schliesslich kam die Untersuchung der Sachen. Das dauerte sehr lange und wir sassen in der heissen Sonne und warteten und warteten, bis es endlich so weit war. Es gab ein kleines Essen zwischendurch und das stärkte uns, obwohl keiner richtig davon satt werden konnte. Es wurde Spätnachmittag bis meine Sachen durchgesehen waren und dann ging es in das eigentliche Lager.

Eigentlich waren es hier zwei Lager. In dem einen Lager waren die Internierten, die aus der Bombaypräsidentschaft gekommen waren. Sie waren schon da. Als wir ankamen, kamen auch andere Züge an mit Leuten aus Madras, Lahore und anderen Stellen. Mit unserem Zuge waren einige Wenige aus Schillong gekommen, auch die Gossnermissionare. So kamen wir in das A-Lager. Es bestand aus fünf grossen Baracken. In zwei Baracken wohnten Leute der "A"-Klasse, d.h. solche, die für ihren Aufenthalt dort bezahlen konnten. In zwei anderen Baracken wohnten Leute der "B"-Klasse, die nicht bezahlten. Beide Teile waren bereits voll als wir ankamen, so dass wir wieder in Zelten unterkommen mussten. Da wir nicht alle gleichzeitig durch die Gepäckrevision gekommen waren, so kamen wir auch nicht alle in ein gemeinsames Zelt, wie es in Kalkutta der Fall gewesen war, sondern kamen in verschiedene Zelte. Mit mir war Bruder Jungjohann im Zelt und im Übrigen hatten wir Leute aus dem Kalkuttalager bei uns.

Das Zelt war lange nicht so gross, wie das Zelt im Kalkuttalager. Anfangs wohnten wir dort wie die Heringe beieinander acht Leute in einem Zelt. Aber hernach wurde es geordneter und der Aufenthalt im Zelt wurde damit auch angenehmer. In der Mitte der grossen Wohnbaracken stand die Essbaracke, die aus zwei Flügeln bestand, so dass hier wie dort gegessen werden konnte. In der Mitte waren die Küchen und Vorratsräume. Ganz oberhalb des Lagers waren die Waschgelegenheiten und die Klosets. Für die vielen Leute war es nicht allzu reichlich, aber es war doch mehr als es in Kalkutta der Fall gewesen war, so dass man etwas aufatmen konnte. Vor allem war dort auch Gelegenheit zum Wannen und Brausenbad, dass wir reichlich benutzt haben.

Für die erste Klasse war ebenfalls eine besondere Baracke, etwas vornehmer allerdings, in der die Leute ihre Kantine hatten. Für sie ebenfalls war eine Wasch- und Klosetbaracke vorhanden. Die Baracken waren gross und hoch, so dass sie wirklich luftig waren. 56 Leute wohnten in einer Baracke. Eiserne Betten waren vorhanden, und wer wollte, konnte auch eine Matratze dafür bekommen. Aber die Angst vor Ungeziefer liess uns nicht sofort die Gelegenheit wahrnehmen. Erst als wir länger im Lager waren und alles kannten, haben einige von den Brüder die Gelegenheit benutzt und darum nachgesucht, andere haben sich auch Decken genommen.


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