Denkanstöße zum Thema "Unser Beitrag zur Rettung der
Welt im Prozess der Globalisierung" Walter Hiller
WAS HAT MEINE CHRISTLICHE ERZIEHUNG AN POSITIVEM UND
NEGATIVEM
GEBRACHT?
Von H. Nico Plomp
Eigentlich bin ich mein ganzes erwachsenes Leben
lang beschäftigt mit der Frage wie ich meine christliche Erziehung finde.
Deshalb freue ich mich sehr, dass die Frage jetzt thematisiert ist und jeder
etwas darüber aufgeschrieben hat. Dadurch ist es möglich darüber zu
kommunizieren.
Die Frage setzt aber voraus, dass es möglich ist,
solch eine Bilanz von der eigenen christlichen Erziehung zu machen. Man ist
nicht so autonom wie wir uns oft wünschen vielleicht und auch das Produkt seiner
Erziehung und deshalb kann die Antwort auf die Frage nur eine subjektive und
vorläufige sein. Meine vorläufige Antwort auf die Frage habe ich in drei Teilen
aufgebaut: Elternhaus, Erwachsenheit, Heute.
MEIN ELTERNHAUS
Wie bei mehreren hier war mein Vater Pfarrer. Man
sagt dass das bedeutet, dass wir in einem gläsernen Haus lebten. In sicherer
Hinsicht war das auch der Fall; ich werde gleich noch etwas dazu sagen. Wir
gehörten zur Gereformeerde kerk, eine damals homogene orthodoxe Kalvinistische
Kirche, abgespalten im 19. Jahrhundert von die NH Staatskirche, um mit der
Christianisierung unseres säkularisierten Landes, das es schon im 19.
Jahrhundert war, ernst zu machen. Bei uns zu Hause gab es tägliche Bibellesung,
Gebete beim Anfang und Abschluss jeder Mahlzeit, jeden Sonntag zweimal zur
Kirche und am Sonntagabend wurden geistliche Lieder gesungen im Familienkreis.
Darüber hinaus besuchte ich die Christliche Schule, wo wir jede Woche einen
Psalmvers auswendig lernten für den Fall wir - wie Paulus ins Gefängnis geraten
und sie unsere Sangbücher abnehmen werden, die Lieder doch noch singen und den
Herrn preisen konnten. Auch war ich Mitglied eines christlichen Jugendvereins.
Ich erinnere mich an ein Streitlied, das lautete ´Die Arbeit die wir wollen
beginnen, ist die Welt für Christus zu gewinnen´. Wir waren doch eine Art von
Heilssoldaten. Der orthodoxe Glaube war unzweifelhaft. Der Glaube zu Hause war
eine seriöse Angelegenheit nicht so sehr frohmütig, aber streitbar und fromm.
Das ganze Leben war/sollte vom Glauben durchdrungen sein: die Wahl von der
politischen Partei, Sexualität, Moral der Ehe. Wir sollten dankbar sein für das,
was wir empfangen haben - nicht selbst erworben - und - wie ein Gebet lautete -
nicht am Leben kleben, aber tun was Gott gebietet.
Als Kind habe ich mich ziemlich happy gefühlt in
diesem Milieu. Ich war sicherlich gläubig, streitbar und polemisch. Und ich kann
mich auch jetzt gut in die Lage eines fundamentalistischen Christen oder Muslim
versetzen. Ich hatte meine Freunde damals im kirchlichen Kreis. Es war bekannt
und gab ein Gefühl von Gemeinsamkeit. Die böse Welt machte uns zu Gottes
auserwähltem Volk. Spot und Verachtung - die ich vielleicht selbst hervorrief -
gehörten zu dieser Position der Gläubigen. Bach nannte das: Duld ich schon hier
Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu, meine Freude.
ERWACHSENHEIT
Während meiner Schulzeit hab ich mich ständig
angepasst; blieb zur Kirche gehen, aber der Zweifel schlug zu. Sexualität
erwachte, ich fang an die Zeitung mehr bewusst zu lesen, politisches Interesse
erwachte; ich entdeckte, dass außerhalb des reformierten Rahmens meiner Eltern
andere gute Personen und Ideen waren, die Schule fiel mir manchmal schwer. Das
große Problem für mich war, dass es nicht möglich war, darüber zu reden oder zu
diskutieren. Für mich sicherlich eine sehr negative Seite meiner christlichen
Erziehung. Es hat möglich etwas zu tun mit dem gläsernen Haus was ein
Pfarrerhaus ist, mit dem orthodoxen Glaubenssystem selbst und aber jetzt denke
ich hauptsächlich mit dem traumatisierten Charakter meines Vaters. Das zeigen
von Zweifel war denke ich zu risikovoll, nicht nur für seine Rolle als Pfarrer,
aber auch für ihn persönlich. Er sich hat in seinem Leben sehr eingesetzt für
klare Ziele: studierte als einziges Kind in der Familie, Gefängniszeit, Pastorat
in Konzentrationslager. Das alles habe ich mir erst viel später realisiert.
Fragen und Ansätze zur Diskussion wurden
beschworen mit Texten und Sprüchen. Und meine Mutter bat mich, meinen Vater
nicht zu befragen oder zu attackieren, weil ihn das so unruhig machte. Übrigens
war ich der einzige von den sieben Kindern, der versuchte ihn zu befragen. Die
anderen taten es aus Achtung oder Ehrfurcht nicht.
Ich und viele von meiner Generation suchten aktiv
eine neue christliche Spiritualität, die uns inspirieren sollte und worin wir
den christlichen Elan unserer Erziehung fortführen konnten.
Ich war in der Studentenzeit wieder im
Katecheseunterricht aber konnte keine Konfirmation machen. Ich hatte das Gefühl,
dass ich meinen Hals in die Schlinge stecken würde: als bekennender Christ
sollte man viel machen und auch auf viel verzichten
(Neem mij leven. Laat het Heer.
oegewijd zijn aan uw eert,
Neem mijn handen, maak ze sterk,
dat toegewijd zijn aan uw werk).
Nimm mein Leben, laß es Herr
zu Deiner Ehre sein.
Nimm meine Hände, stärke sie,
damit sie Deinem Werke dienen.
Konfirmation zu machen, bedeutete für mich meine
Seele zu verkaufen. Ja zu sagen zu einem System, was mich beschränkte.
Ich wollte nicht mehr die Welt für
Christ gewinnen, aber ich wollte die Welt kennen lernen! 1966 am Vorabend
der Studenten Revolution, the roary sixties. Es war eine euphorische Epoche,
woran ich aktiv teilgenommen habe, wodurch ich mich sehr inspiriert gefühlt habe
und wovon sehr genossen habe.
Ich wurde Mitglied des Marxisten Kreises der NCSV,
und 1967 fingen meine Reisen nach Berlin an. Es war abenteuerlich und viele der
Freunde und Familie betrachteten eine Reise hinter den eisernen Vorhang als
gefährlich. Aber es war eine Bekanntschaft in Theorie und Praxis mit einer neuen
sozialistischen Gesellschaft und mit Christen, die sich damit engagiert hatten.
Auf katholischer und protestantischer Seite organisierten sich die Christlichen
Radikalen. Wir versuchten Gerechtigkeit, Nächstenliebe praktisch an zu wenden.
Der Nächste war nicht mehr das Kirchenmitglied, sondern der Arme der Dritten
Welt. Das Erbe der kolonialen Vergangenheit versuchten wir politisch wieder gut
zu machen durch die Befreiungsbewegungen in Afrika und Vietnam zu unterstützen.
Die letzte große Anstrengung waren die kirchliche Friedensbewegung und die
Aktionen gegen die Kreuzraketen. Es war großartig, aber der neue Elan verschwand
mit den politischen Items. Es hat keinen neuen religiösen Elan hervorgebracht,
höchstens moderne Engagierte, die oft ihre kirchliche Mitgliedschaft beendet
haben.
HEUTE
Das sichere christliche Nest meiner Kindheit ist
nicht mehr da, auch nicht das solide Bauwerk von Überzeugungen meiner Eltern.
Aber mein Leben ist geprägt durch meine
christliche Erziehung. Ich denke jetzt milder über meine Eltern und kann
letztlich ein Gefühl von Dankbarkeit ihnen gegenüber erfahren.
Ich fühle mich ein Erbe von einer wertvollen
christlichen, reformierten Tradition und darin verbunden mit meinen Eltern, die
GK Kirche, aber auch viel größer, die Europäische Geschichte.
Ich denke mal, die GK- Tradition worin ich
aufgewachsen bin, war eine klare Reaktion auf den liberalen elitären Modernismus
des 19. Jahrhunderts. Religion im liberalen Sinne war eine Sache von guten
Absichten und Gefühlen. Mit solch einer Religionsvorstellung, wie heute New Age
zum Beispiel, fühle ich mich noch nicht verwandt. Ich kann auch nicht leben mit
der Idee von Gottesdienst als totale Übergabe, Unterwerfung an etwas Höheres.
Ich denke, der wichtigste Unterschied zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert ist,
dass wir jetzt in einer pluriformen Gesellschaft leben. Die Herausforderung ist
natürlich, wie die christliche Tradition in heutiger Zeit eine Form bekommen
kann.
Ich bin froh, dass es eine vom Staat
unabhängige Kirche gibt, obwohl ich da selten komme.
Ich bin froh, dass es Leute gibt, die
versuchen in diesen Kirchen mit einem modernen Lebensbewusstsein eine
christliche Lebenshaltung zu bilden. Ich mache das nicht mit, aber erfahre
die Gespräche die wir haben und die Arbeit die wir in unsere vierzigjährige
internationale Gruppe leisten als einen solchen Versuch. Diese Gruppe ist
für mich wie eine Gemeinde zu haben; sicher als wir unseren lieben Piet
Gilhuis vor 2 ½ beerdigt haben. Und Gudrun hat das Gefühl mehrere Male
bestätigt.
Ich bin beeindruckt von den traditionellen
Christen - oft von Afrikanischer oder Surinamischer Herkunft - die einen
konsequenten und disziplinierten Lebensstil haben, worin ich meine Mutter
wieder erkenne und ihre/unsere alte Kirchengemeinde von damals.
Ich bin bewegt zu sehen, wie die Afrikanische
Pfingstenkirche im Stande ist die gesellschaftlichen Randgruppen zu binden.
Ich kann neidisch sein auf die Begeisterung
der Afrikanische Kirchen und Gospel Lieder, aber weiß auch vom beschränkten
Charakter.
Aber die Welt für Christus zu gewinnen? Ich weiß
nicht wie ich das tun soll; ich hätte gerne etwas von diesen christlichen
Inspirationen an meine Kinder weitergegeben, aber das ist nicht gelungen. Ich
hab es sie gefragt. Sie sagten: Gottesdienst ist etwas für die Ängstlichen, für
wenn es Krieg gibt, sich Katastrophen vollziehen. Und das war gerade dasjenige
worauf meine Eltern uns in ihrer christlichen Erziehung ihrer Kinder vorbereiten
wollten, weil gerade Krieg ihr Leben stark bestimmt hatte. Meine Kinder sind
aufgezogen und leben in einer Zeit van Frieden, Großzügigkeit, Wohlfahrt und
unendlicher Informations- and Reiseangebote. Wie verhalten sie sich zu ihrer
Angst, großen Verlusten und Tot? Ihre Trauer wird nicht mehr mit christlichen
Worten und Formeln geäußert werden aber auch nicht verstickt werden.
Was mache ich jetzt? Ich grübele noch wie immer.
Und in meiner Berufsarbeit an der Universität wird das noch geschätzt auch. Ich
mache freiwillige Arbeit, die mir viel Spaß macht und die ich auch erfahre als
einen Dienst an der Gesellschaft. Ich singe in einem Chor und kann ergriffen
sein von Texten und Liedern. Glaube ist ein Verrat der Vernunft und der Ratio.
Darum erwarte ich, dass ich erst nach meiner Pensionierung ein echter Gläubige
werden kann.
WAS HAT MEINE CHRISTLICHE ERZIEHUNG AN POSITIVEM UND
NEGATIVEM
GEBRACHT?
Von Martin Conradi
Ich bin aufgewachsen in einem Pfarrhaus
in einer mitteldeutschen Kleinstadt. Meine Eltern lebten in der Welt
aktiv unter inniglicher Durchdringung durch ihren christlichen Glauben,
und sie richteten ihre Erziehung der Kinder nach christlichen Lehren
aus, wie sie es verstanden. Mich mußte allerdings for-mal meine Mutter
alleine aufziehen: mein Vater kam am Tage meiner Geburt zu Tode in
seinem Frontkrieg. Meine Mutter schulte um von Pfarrfrau auf Katechetin
mit entsprechendem pädagogi-schem Interesse. Die Erziehung an mir kann
also für eine christliche gehalten werden. – Immerhin erkannte ich jetzt
auch deutliche Parallelen zur Erklärung des Gnadauer Bildungswerkes zu
"Christlicher Erziehung in einer pluralistischen Gesellschaft“, wie sie
im Internet steht und wie sie mich für heute recht konservativ anmutet.
Meine Reflexion bezüglich meines
Verhältnisses zum Christlichen Glauben
Einen vor der Welt bestehenden personalen
Gott habe ich auch in der Vorschulzeit nicht erkannt, aber kindgemäß
habe ich die Riten nachgeahmt und übernommen. Seit 10jährig war mir dann
die Welt ohne personalen Gott als vorbestehendem Schöpfer klar. Aber die
kirchliche/christliche Geisteswelt war mir im Wesentlichen angenehm
vertraut und bot beste Möglichkeiten des Reflektierens – wenn auch für
mich leider nur jene eines inneren Reflektierens: Primär nachteilig war
mir die mangelnde Gesprächsmöglichkeit zu Religionsfragen. Ein Makel an
mir bleibt dann, dass ich die Konfirmation wahrnahm und mich nicht zuvor
erklärte. Ich weiß heute aber auch den Erfahrungswert zu schätzen, dass
ich solche Mängel erlebt habe, und dass dies nun hilft zum Verstehen
anderer Menschen in vergleichbaren Situationen mit Anschauungsproblemen
religiös wie politisch wie interpersonell.
Immer mal wieder gab es für mich Anlässe,
mein Religions-Credo zu überdenken. Ich besuchte
Jungschar-Veranstaltungen, war ein Jahr aktiv in der Studentengemeinde
Magdeburg, dann in den Ökumenischen Aufbaulagern. Dort habe ich von der
Kanzel gepredigt und vor der Gemeinde laut gebetet mit der Gottes-Anrede
"Herr“, ich habe Abendmahl eingesetzt und im Kreis daran teilgenommen.
Ich habe mich später bewusst unter die Taufbestätigung gestellt im
katholischen Osternacht-Gottesdienst, und ich habe Taufpatenschaften
übernommen. Ich habe betrachtet, dass viele Menschen und eben auch
Theologen mit Inbrunst im Gebet Gott anreden und das Glaubensbekenntnis
sprechen. In Gedanken an meine Mutter glaube ich, dass viele dabei ein
anderes Gegenüber haben als ich, in Gedanken an manche
Theologen-Aussagen glaube ich aber auch, viele haben wohl ein
vergleichliches Gegenüber wie ich.
Hier nun mein Credo:
Ich suche gern die Gemeinschaft der
Heiligen, aller derer, die in heiligem Geist, und damit meine ich:
im Heiligen Geist, in gemeinschaftlichem Bewusstsein (sowohl mit als
natürlich auch ohne Schöpferglaube) zum Leben in der bewohnten Welt
mitwirken, die also im Leben, Lieben und Arbeiten Gottgeistlichkeit
die Mitte sein lassen (wie etwa ein Theologe Orientierungsglaube
alternativ zu Schöpferglaube beschreibt); da kann ich alles in diese
Transzendenz übertragen wissen, Ehrfurcht haben vor und Zuversicht
aus übermenschlichem Wesenhaftigem / Geisteshaftigem (wenn auch aus
der Menschheit kommend, so doch nicht mehr menschlich einzeln
fassbar im Sinne kalkulierbar, sondern es ist eine eigene Größe: der
aus Menschensicht unendliche Heilige Geist). - Ich neige dazu, Gott
als >Erhöhte Geistigkeit< zu sehen, als "das Gott“, aus dem die
Menschheit lebt.
Nun ja, ich komme nicht ab davon, dass ich damit
unbestimmt einen nie sichtbaren reifen liebevollen alles sehenden
und alles wissenden gerechten Mann, der unermesslich
Gestaltungsmacht hat, diffus irgendwie im Himmel assoziiere mit
Einflussausstrahlung überall hin. Ohne persönliche Metapher kein
persönlicher Begriff.
Meine Ergebnisliste der erfahrenen
christlichen Erziehung
Ich führe hier meine subjektiven
Erfahrungen auf. Deren Verwurzelung in den Eltern fand ich belegt in
ihren Feldpostbriefen, die sie ein halbes Jahr bis zum Kriegstod meines
Vaters am Tage meiner Geburt gewechselt hatten.
Allgemeine Grundsätze, wie ich sie von
Wahrnehmungsbeginn an erlebt habe.
Umfassende Liebe Gottes, aus
der sich in Geborgenheit Hilfe und Vergebung ergibt; Gott ist Basis,
wie ein Elixier für Liebe unter Menschen, also nicht Konkurrent zu
Eros und Agape.
Grundsätzlich unendliches
Gottvertrauen und darin ruhende herzliche Fröhlichkeit; Mutters
Satz: “Gott macht keine Fehler“ zum Tod meines Vaters lässt
reflektieren, warum es manchmal anders richtig ist, als man selbst
dachte oder wollte.
Sorgenfreiheit für das tägliche
Leben in Zuversicht auf Gottes Wirken in/durch/für uns und in der
und für die Welt.
"alles kommt, o Gott, von Dir“ – wir
sind mit Allem Beschenkte, letztlich nur Sachwalter
Konkretes in Lebenshaltung und Lebenshilfen – während der Kindheit
im Elternhaus
Du sollst den Feiertag heiligen
Passionszeit = Fastenzeit
Enthaltsamkeit von Genüssen wie Kino und Süßigkeiten Karfreitag ist der höchste Feiertag (Enthaltsamkeit/Keuschheit in Sexualität hatte untergeordnete
Bedeutung; da fehlte unserer Mutter Mitteilungsfähigkeit; "Ausschweifung“ wäre an
sich schlecht).
Singen Ostersonntag im Hausflur als
Freudengruß für die Nachbarn, Singen Weihnachten bei Alten und
Sylvester-Neujahr aus unserem Fenster zur Straße hin
die Menschen sind vor Gott und damit
vor anderen Menschen der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit
pflichtschuldig konkret ist Offenheit mit Wahrhaftigkeit als Angebot zu Anteilnahme
ein interpersoneller Wert
Soziales Engagement in der Welt als
Wert – in Beruf und Alltag (bis hin zum Gebet: Komm, Herr, sei unser Gast …) und die Praxisübung der Kollektenbereitschaft
sonntags 2 Groschen Taschengeld: 1 für Kollekte, 1 für beliebigen
Verbrauch
prinzipielle Vorurteilsfreiheit im
Konkreten – Gottes Wille ist der Maßstab (Fixbild-Freiheit; den
relativen Glaubenschauvinismus meiner Mutter musste ich nicht
übernehmen, er war nur ein Angebot) Probleme dürfen ihre Zeit
ambivalent in der Schwebe bleiben, ihr Gegenstand kann sich
entwickeln
Konkrete Lehren zu Lebenshaltung und Lebenshilfen – während der
Schulzeit + frühe Jugend
8. Gebot: Du sollst nicht falsch
Zeugnis reden wider Deinen Nächsten. Das ist: Wir sollen Gott
fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht fälschlich
belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen, sondern,
(und das habe ich an meiner Mutter erlebt) (wir) sollen ihn
entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren
Kainsgeschichte: Kain, der erste
Mörder, wurde zwar verflucht und vertrieben, aber dann erhielt er
auch sein Kainsmal, damit niemand ihn erschlüge; und er lebte,
nachdem ihn sein Morden gereut hatte, fortan sozial fruchtbar. – Auf
der einen Seite darf/soll ich als Menschenkind zwar Handlungen
einschätzen und beurteilen, aber nicht die Handelnden endgültig
richten. – Auf der anderen Seite kann ich, und kann jeder als
fehlerbehafteter Mensch, auf Erbarmen/Vergebung/Fehlerlöschung und
neue Chancen hoffen
Jona-Geschichte: mit der Sentenz
gegen Rechthaberei, Eitelkeit und Strafgenugtuung
(theologische) Dogmatik kann offen
sein: Ein Pate regte an, die Schöpfungsgeschichte nicht wortgenau
begreifen zu wollen – das brachte Befreiung zu
Offenheit/Öffentlichkeit des eigenen Denkens in Weltanschauung; von
Mutter erbte ich John A. T. Robinson "Gott ist anders“, welche
Inhalte sie aber nicht mit uns besprochen hatte – wir Kinder waren
da schon aus dem Haus
Was habe ich davon übernommen und was
möchte ich davon weitergeben?
Und siehe, in diesem Weltbild war alles
gut – so empfinde ich, und also soll dies sich weiterentwickeln – in mir
und in der Welt:
Meinen ersten Versuch, dies noch einmal
zusammenzufassen, habe ich gestrichen: es klingt zu banal ideal.
Im zweiten Versuch komme ich wenigstens
zu der Synthese: Wie die Materie (Erde, Wasser, Luft und Licht) ist eine
ebenso essentielle Grundlage allen Lebens Sozialität, also
proexistenzielle Nachbarschaftsliebe; aus ihr kommen wir und nur aus ihr
kommt Befruchtung für eine Zukunft.
Gedanken zum Umgang mit Weltanschauungen
und Interreligiosität sind hier nicht Thema.
Hier möchte ich noch zwei persönliche
kritische Erfahrungsmomente schildern.
Das ist einmal das praktische Fehlen
einer Infragestellung eines Gottesglaubens und damit verbunden die
letztlich fehlende oder mir nicht greifbar herübergebrachte
Darstellung des mütterlichen Gottesbildes oder das eines anderen
Lebenslehrers. Natürlich ist ein Gottesbild immer ein Mystikum, ein
passives und aktives persönliches Geheimnis, aber eben mit diesem
Mystikum blieb ich allein. Oder anders herum: Meine Mutter konnte
mich nicht im rechten Zeitraum dazu führen, mein Denken hierin zu
formulieren und zu äußern. (Nur einer meiner pastörlichen Patenonkel
hat dies einmal angedeutet aufgelöst, vielleicht, als ich 16 Jahre
alt war.) – Sicherlich wäre ein Ausdiskutieren im Leben nicht
möglich; aber es hätte doch ausdrücklich vereinbart werden können,
dass es ein gutes Resultat ist, wenn zwei Personen bei konträren
Schlüssen doch zu einander stehen bleiben.
Und ganz zum Schluss, quasi als Anhang, will ich noch dieses Feld
nennen: Einerseits umgab mich seit der Kindheit eine gewisse
verquickte Religionsbeseeltheit in diesem Sinne: Bei den
Religionsrepräsentanten für mich (also Mutter, Pastoren, Gemeinde)
empfand ich, dass sie als vermeintlich quasi himmlisch
Vorauserhobene, zu besonders erkorener Gruppe gehörend erschienen,
und dass hierzu irgendwie gehörte, dass christlicher Auftrag auch die
Sorgfaltspflicht wäre, dass kein Schäfchen, also jeweils kein
anderer, vom rechten Wege abkomme. "Jeder sorgt um jeden“ bis hin zu
"Jeder passt auf jeden auf“. – Daraus, so schien mir, hat sich
schließlich aber doch die falsche Tendenz zu einem handfesten
Religions-Chauvinismus entwickelt. Konkret stand meine Mutter seit
ihrer Jugend unter dem Einfluss von zwei geistlichen Mentorinnen,
die aus vermeintlicher Sorgepflicht mit bedrückenden
Himmelsstrafdrohungen dem Seelenfrieden meiner Mutter erheblich
zusetzten. (Beide waren unserer Familie bis zum Ende liebevoll
zugeneigt.) Und so hat meine Mutter davon etwas in ihr Wirken auf
uns Kinder mit Familien weitergeleitet, insbesondere ihre geglaubte
Seelennotwendigkeit der Sakramente Taufe und Trauung. Immerhin haben
aber wir vier Kinder solche Haltung nie übernommen. Eher brachte die
innere Auseinandersetzung damit zu Toleranz trotz sonstiger
Loyalität gegenüber unserer zum Teil chauvinistischen Kirche. Und
auch diese Befähigung zur prinzipiellen Vorurteilsfreiheit ist durch
unsere Mutter gebahnt, indem sie Gottes Willen den Maßstab und alle
Dinge seiner Liebe anvertraut sein ließ.
NICHT REFERIERT
Anfängliche Gedanken zum Umgang mit
Weltanschauungen
In der Berliner evangelischen
Kirchenzeitung vom 7. Oktober 2008 kann auf der Titelseite nun nach
100.000 Jahren endlich konstatiert werden: das Problem der Vereinbarkeit
von (religiösem) Glauben und Wissen in einem einheitlichen Geistessystem
glauben manche jetzt gelöst. Diese Grundfrage ist aber nicht mein Thema.
Sondern Zweierlei Praxisfragen bewegen mich:
Wieso ist Religiosität beim Menschen
und Wozu? Ist sie nützlich?
Wie leben Menschen
unterschiedlicher Anschauungen mit- und füreinander?
Die gedankliche Erfassung der Welt bleibt
natürlich eine schwierige und immer nur annähernd mögliche Sache; und
ich will nicht ins Paradies zurück, wo sie verboten war.
Über die materielle Beschreibung hinaus
gehören zur kontextualen Darstellung nun einmal auch seelische,
emotionale, soziologische, ethnomythologische (evtl. gar mystologische),
interdependentiale, konventionale usw. gewichtete Faktorenangaben und
-kritiken. Die notwendige Auswahl wird immer unvollkommen bleiben – eine
Sachlage wird immer nur aspektiv umgrenzt dargestellt werden müssen.
Auch rationale Zusammenhänge, ihr Wesentliches, sind oft erst faßbar von
externaler Warte aus, womöglich aus der Transzendenz heraus. Wir
brauchen irrationale Darstellungen, Märchen, haben Dharma, Gott und
Ähnliches, um nicht einer "Trägheit des Denkens“ zu erliegen, nicht
einfältig festgefahren immer schon Gewusstes fälschlich illusionär auf
neue Situationen zu übertragen. (Im iNet gibt es andersartige Bezüge zu
diesem Stichwort, ich kenne es aber von K. Platonows "Unterhaltsamer
Psychologie“, Urania, 1978/82 und analog durch Sparschuhs "Schwarze
Dame“.) Eine Einlassung auf Gott (den, die oder das Gott) macht dies
notwendige Heraustreten aus der einfach sichtbaren Situation möglich,
öffnet einen Weg zur Fähigkeit für eine unverzichtbare kopernikanische
Wende.
Bei sachter Anfrage zum Selbstverständnis
in der Weltanschauung kommt gelegentlich schon mal die Antwort: Ich will
nicht umdenken müssen, ich komme mit dem mir alt überlieferten
Gottesglauben (jeweils meinem Bild davon, das zu machen doch einst
verboten wurde) so gut zurecht, wird gesagt. Das ist dann auch in
Ordnung. Das hat offenbar auch der Dalai Lama für das Beste gehalten,
als er Konversionswilligen abriet: Bleibe jeder in der Kultur, in der er
aufgewachsen ist, und richte sich nach den dort tradierten ethischen
Verhaltensrichtlinien.
Wir hatten in unserem ÖJD-Seniorenkreis
bereits 2002 die Küng'schen synoptischen Darstellungen zum "Weltethos“
vorgestellt bekommen. Aus der christlichen Theologie haben sich wohl
erstmals 1963 in Bestseller-Qualität Aufbruchgedanken verbreitet zur
Versöhnung der Theologie mit der realen Welt durch die Schrift von John
A. T. Robinsons "Honest to God“ ("Gott ist anders“ bzw. "Aufrichtig vor
Gott“); inzwischen gibt es laiengerechte Publikationen von
John Shelby
Spong, in deutsch z. B. 2004 - Was sich im Christentum ändern muss:
ein Bischof nimmt Stellung ISBN 3-491-72481-3. Er verehrt einen Mann als
Vorbild, weil der aus der Kirche austrat, weil deren Gott ihm zu klein
für sich und die Welt sei.
Nachdem eine Weltkirchenkonferenz
(1948 Amsterdam?) schon proklamiert hatte, in wenigen Jahrzehnten
bestimme die christliche Religion die ganze Welt, ist nun ihre
Weltpräsenz rückläufig, und eine "Theologie der Religionen“ wird
dringlich, wie WOLFGANG RAUPACH-RUDNICK, Beauftragter für
christlich-jüdischen Dialog, sie Juli 2007 in
ONLINE-EXTRA Nr. 52 darstellt (nach Vortrag 2006).
Einen völlig anderen Ansatz zum
Nachdenken über Gott unter den Menschen sehe ich in der praktischen
Untersuchung über Gottesbilder bei den Menschen. Von einem
Informationstext in der Wochenzeitung "die kirche“ vom 31. 08. 2008 hier
den Vorspanntext: "Anna-Katharina
Szagun, bis 2005 Professorin für Religionspädagogik an der
Universität Rostock, begleitete
55 Kinder über viele Jahre und befragte sie zu ihrem Gottesbild. Die
meisten Kinder stammen aus konfessionslosen Familien. Neben Gesprächen
gaben vor allem Collagen und Zeichnungen, die die Kinder anfertigten,
Auskunft über ihre Beziehung zu Gott. Anna-Katharina Szagun sagt, man
kann Kindern nur glaubhaft von Gott erzählen, wenn man seine eigene
religiöse Biografie aufarbeitet.“
Weiter bin ich bislang nicht. Ich würde
gern mit anderen gemeinsam weiter darüber nachdenken.
Sozialismus ist
für mich eine Widerstandsbewegung gegen die Zerstörung der
Liebe in der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Einführung in das Buch von John
Shelby Spong: Warum der alte Glaube neu geboren werden muss
Rezension
Was hat meine christliche Erziehung an
Positivem und Negativem gebracht? Was habe ich davon übernommen und was
möchte ich weitergeben?
Von Klaus Pank
Entsprechend gutbürgerlicher Norm
durchlief ich eine normale christliche Erziehung. Obwohl meine Eltern
vor dem Krieg aus der Kirche ausgetreten sind, meine Mutter später
wieder eintrat, wurde ich mit 12 Jahren gemeinsam mit den Brüdern
getauft,
besuchte oder schwänzte den Religions- und
Konfirmandenunterricht,
nahm trotz den Anfängen der Jugendweihe an der Konfirmation
teil,
ging in den Jugendsingkreis und zum Posaunenchor,
fühlte mich in der Studentengemeinde von Anbeginn wohl und
fand Zugang zu den ökumenischen Aufbaulagern,
schließlich heirateten wir kirchlich.
Das war alles völlig normal außer:
den politischen antichristlichen Spannungen gegenüber der Jungen
Gemeinde nach dem 17. Juni 1953,
den Diskussionen um die Jugendweihe und später
die allgemeine Einstufung der Kirchenzugehörigkeit als
Opposition gegenüber dem Staat.
Aus letzterem Grund konnte ich wiederum
normalerweise mit sympathischen Reaktionen von z. B. Kontaktpersonen im
Berufsleben rechnen. Nach der Wende ist dies auffallend nicht mehr so.
In der eigenen Familie übernahm ich die Gewohnheiten der Eltern.
Tischgebet („nur Kaffee gibt der liebe Gott umsonst"),
Sonntagsgottesdienst (bereits eine
moralische Verpflichtung, weil der Chor jeden Gottesdienst
mitgestaltet),
Taufe der Kinder,
deren Teilnahme an christlicher Unterweisung,
Konfirmation,
Befürwortung der kirchlichen Trauung.
Diesen Lebensweg betrachtete ich
jederzeit dankbar als für meine persön-liche und die unserer Kinder
positive Entwicklung im Kreise Gleichgesinnter zur Erlangung ethischer
Werte ohne größeres Gefährdungspotential gesellschaftlicher
Entgleisungen. Dabei ließ ich mich eher treiben im Mitläufertum ohne
besonderes Auffallen. Wortformulierungen waren nie meine Stärke. Somit
fiel es mir immer schwer meinen Standpunkt auszudrücken,
Meinungsabweichungen zum Ausdruck zu bringen. Ich ziehe mich in mein
Schneckenhaus zurück, aber: mir imponieren Menschen, die in klaren
Worten Ansichten darlegen können.
Gott als Gegenüber in Normal- wie in
Notsituationen spreche ich nur für mich persönlich an, das muss jeder
für sich finden. Diesbezüglich habe ich nichts an meine Kinder
weitergegeben und spreche kaum mit meiner Frau Sigrid darüber. Durch
meine Eltern erfuhr ich von der
Mazdaznan-Lehre,
daher konnte ich mich vom Kirchendogmatismus entfernten.
Mit Hochachtung bin ich anderen dankbar, dass sie christliche
Unterweisung durchführen.
Ich bin dankbar, dass es immer einen Vorbereitungskreis für unsere
Treffen gab!
Redebeitrag zur ÖJD-Konferenz 2008
Gesichtspunkte - Glaube und Gesellschaftliche
Situation - zum Thema "Wandlungen“ aus unserem Archivmaterial
Erinnerung und Aktualität - Hintergrund und Vertiefung von
Gesprächen
Von Gisa Baaske
Giselher Hickel hat auf der Jubiläumstagung zur Gründung der Gossner
Mission im Januar 2005 ein Kurzreferat zum Arbeitsfeld Ökumenischer
Jugenddienst (ÖJD) gehalten, zu den Gesichtspunkten: Damals und Heute.
1. Arbeitsfeld Ökumenischer Jugenddienst Damals (Giselher)
"Nach dem II. Weltkrieg gab es so etwas
wie einen Aufbruch und eine Erneuerung der christlichen Jugendbewegung
aus der ersten Jahrhunderthälfte, Fahrten und Lager waren im Schwange.
Doch die eigentliche Aktualität dieser Form von Jugendbewegung kam aus
Impulsen der ökumenischen Bewegung, seit 1948 in Gestalt des Weltrates
der Kirchen.“......
"Ökumenische Ideen waren in 50/ 60er
Jahren keineswegs überall willkommen. Der Faschismus wirkte noch in den
Köpfen. Kalter Krieg setzte der Toleranz Grenzen. Grenzen sollten aber
die Jugenddienste überschreiten: Länder und Blockgrenzen, Kirchen und
Konfessionsgrenzen, vor allem die Grenze zwischen Kirche und Welt und,
als Konsequenz daraus, die Grenze zwischen Christen und Sozialisten.
Dies war nicht nur ein intellektuelles, und auch nicht nur ein
geistliches Geschehen. Man wollte etwas tun, innerhalb und außerhalb der
Kirche, zusammen mit Gemeinden und zusammen mit dem Nationalen
Aufbauwerk. Man wollte Gesellschaft gestalten und verändern, nicht nur
beobachten, nicht abwarten und überwintern. Öffnung für die Ökumene, das
ist Öffnung für die Welt, und damit auch Öffnung für unbequeme Fragen:
War heute noch richtig, was als kirchliches Dogma galt? Gab es eine
Antwort auf den Hunger der Welt, auf koloniale und neokoloniale
Ausbeutung von Menschen und Völkern? Mussten Christen nichtdie auf den
kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen basierende weltweite
Gewaltherrschaft kritisieren? Welche Kräfte in der eigenen Gesellschaft
suchten ernsthaft nach Alternativen? Wo war Solidarität am Platze, wo
Abgrenzung geboten?“.....
Solche Fragen waren umstritten. Vor allem
war umstritten, welche "....Konsequenzen wir aus den weltweiten
Problemen für unsere Position in der eigenen Gesellschaft gezogen
haben.“
2. Gemeinde in der sich wandelnden Welt
War Thema des Ostertreffens 1960. Die
Diskussionsergebnisse aus Gruppe 1 trage ich vor. Das sind 2 Thesen und
die Antworten der Gruppe darauf:
These I: Unsere
Welt ist größer und anders geworden. Wir haben einen weiteren Horizont,
aber um so weniger verstehen wir. Unser Verstehen und Wissen wird
oberflächlich, dadurch werden wir unsicher in Beurteilung und Handlung.
Antwort: Wir
wollen uns durch die Fülle des Geschehens und der Aufgaben nicht in eine
Resignation treiben lassen. Wir sollten vielmehr versuchen, mit unseren
Kräften die kleinen und konkreten Lebensaufgaben zu bewältigen. Das
geschieht in unserer Familie, in unserem Haus, in unserem Beruf, in
unserer Stadt. Es geschieht
als Einzelner
in der Gemeinschaft mit anderen
innerhalb einer Organisation.
These II: In der
heutigen Gesellschaft wird der Mensch nach seinen Leistungen beurteilt.
Dadurch werden die menschlichen Beziehungen unmenschlich. Die Angst um
seine Existenz zwingt den Menschen zur Selbstbehauptung um jeden Preis.
Antwort: Wir
müssen versuchen, diese Selbstbehauptung in ein gutes Selbstvertrauen
umzugestalten. Das geschieht, indem wir Gottes umfassende Liebe und
Sinngebung auch für das ärmste Leben verkündigen. Das geschieht, indem
wir ernst nehmen, wie der andere sein kleines Leben und seine Aufgaben
bewältigt:
in mitmenschlicher Beziehung
in der Familie
am Arbeitsplatz.
3. Aus einem Brief von Dietrich vom September
1961 (nach dem Mauerbau)
"...Die Zeit der Rundbriefe ist jetzt vorbei. Uns
alle beschäftigt die Frage, was wir nun zu tun haben. Es ist deutlich,
dass unsere Gemeinschaft auf die Probe gestellt wird. Sie kann an den
äußeren Schwierigkeiten zerbrechen, dann haben wir es nicht anders
verdient.....“ "Es wird an uns, an jedem einzelnen liegen, die
Gemeinschaft untereinander festzuhalten. Es wird sich zeigen, ob es uns
um die Sache ging. Unsere Aufgabe, die beschäftigt uns, die wir jetzt
und für die Zukunft haben.
Wir werden neu zu durchdenken haben, was es für uns
als Christen bedeutet, dass Jesus Christus als unser Herr mit uns in
dieser Welt unterwegs ist. Wir sind von neuem gefragt, ob wir bereit
sind mit ihm zu gehen und ihm und der Welt in unserer Situation zu
dienen.
Was wir brauchen ist das brüderliche Gespräch, in dem
wir nach unserem Glauben, unserer Hoffnung und unserem Tun gefragt
werden; das uns hilft die Situation und die Zeichen der Zeit richtig zu
verstehen und darauf Rede und Tat zu wagen.“
Ein Hinweis
In der Zeit vom Ostertreffen 1962 – 1963
war, wie Briefe aus dieser Zeit ahnen lassen, gar nicht so sicher, dass
wir bis heute als große Gruppe zusammen bleiben. 1962, die Erfahrungen
an der Grenze waren zermürbend und zeitaufwendig und es stand in der
Luft, zukünftig parallele Treffen durchzuführen und nur täglich drei bis
vier
Botschafter von West nach Ost zu schicken. Ein gemeinsames inhaltliches
Arbeiten wäre dann wohl sehr schwer, wen nicht unmöglich geworden.
Irgendwann gab es dann bei den Westlern einen inneren
Solidaritätsbeschluss, dass sie in die DDR kommen würden, solange die
Mauer steht.
4. Unser Glaube heute, war Thema des
Ostertreffens 1963
Die holländische Gruppe schreibt in einem Brief unter
anderem:
"Wie ihr wisst, hat sich unser Kreis in den
vergangenen Monaten Gedanken darüber gemacht, was christlicher Glaube in
dieser Zeit für uns bedeutet. Die Veranlassung dazu war ein bei uns
aufgetretenes Unbehagen über das, was man gewöhnlich als christlichen
Glauben bezeichnet,“....“sowie ein Verlangen nach der wahren,
"lebendigen“ Bedeutung des Evangeliums.“
"......Aber was ist Glaube? Es scheint, als ob es
etwas ist, was nicht unbedingt feststeht, nicht objektiv gültig ist; der
Glaube ist veränderlich. Das spürt man schon in der Bibel. An wie viel
Stellen wird nicht ausdrücklich gesagt: "Den Alten wurde gesagt....Ich
aber sage Euch....“ Damit wird nicht das A.T. ungültig erklärt, sondern
es ist ein Hinweis darauf, dass der Glaube in jeder Zeit anders ist,
dass er sich entwickelt. Die ganze Bibel ist eine Zusammenstellung von
Berichten darüber, wie die Verfasser in ihrer Zeit den Glauben erlbten "
... "Um unseren Glauben lebendig zu gestalten, müssen wir mit unserer
Zeit gut vertraut sein.“ ..... "Vielleicht müssten wir sagen Gott, der
Mut zum Leben gibt statt Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, Weil
dadurch deutlich wird, dass der Glaube in Gott bedeutet: nicht mutlos
und negativ dem Leben gegenüber zu stehen, sich nicht mit dem Freund –
Feind – Denkschema abfinden u.a., alles Dinge, die in unserer Zeit
hochaktuell sind.“
Pfarrer Marquardt geht in seinem Referat "Unser Glaube heute“ von dem
Problem aus: Wer ist Gott, wo ist Gott, was meinen wir, wenn wir sagen,
es gibt Gott. Gott ist kein Gegenstand unserer Vorstellung mehr. Die Gedanken Marquardt`s zum Fürbittengebet möchte ich vortragen:
"Die einzige Art und Weise, in der wir heute unseren Glauben formen
und formulieren können, ist das Fürbittengebet:
Im Gebet wird Gott zu meinem Gegenüber.
Das Gebet als Fürbittengebet verbindet mich nicht nur mit Gott,
sondern gleichzeitig mit den anderen Menschen, weil das
Fürbittengebet ökumenisch ist, über Grenzen hinweggeht.
Das Fürbittengebet ist deswegen Grundform meines Glaubens heute,
weil es alle Menschen einschließt. Im Fürbittengebet ist Apartheid
nicht mehr möglich. In der Fürbitte sind wir solidarisch mit den
"Gottlosen“.
Ein Fürbittengebet muss ich jeweils neu formulieren, denn ich
kann nicht die alten traditionellen Formulierungen anwenden, sondern
muss selber mit meiner eigenen Sprache sagen, was ich meine. Das
macht es mir möglich, rationell aufzuklären, auszusagen,
festzustellen, was ich heute für die Menschen, für die Gemeinschaft
will. Das Fürbittengebet ermöglicht mir die Anwendung meines
Verstandes.
Im Gebet zu Gott für meine Brüder spreche ich nur aus, wofür ich
selbst bereit bin mich einzusetzen. Es gibt dann auch keine
Differenz zwischen mir und meinem Wort, mir und meinen Gedanken“
5. Arbeitsfeld ökumenischer Jugenddienst Heute?
(weiter aus dem oben genannten Referat von Giselher
Hickel zum Jubiläum der Gossner Mission 2005)
"Dietrich Gutsch und wir als ÖJD........waren in den
60er und 70er Jahren weiter als nach der Kehrtwende von 1989. Wir waren
näher ander Ökumene. Wir waren näher an denen, in denen Jesus uns heute
begegnet....... Die...Frage ist: Lassen wir die Einsichten und
Positionen der Ökumenischen Bewegung heute an uns heran? Sind wir
bereit, uns ihnen zu öffnen? ...... Sind wir heute bereit, Gemeinde im
Widerstand zu werden und damit Kirche Jesu Christi zu bleiben – eine
sich zu ihm "bekennende“ Kirche?
Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen damals und heute:
Damals ging es darum, in Rede und Praxis Zeugnis davon abzulegen, dass
Gott auch in der als gottlos diffamierten Gesellschaft präsent und am
Werk war.
Heute geht es darum, in Rede und Praxis zu bezeugen, das Gott in der
sich selbst als christlich deklarierten Gesellschaft ein Fremder ist.
Damals ging es darum, in die Gesellschaft einzuwandern.
Heute geht es darum, sich aus der Komplizenschaft mit den die
Gesellschaft prägenden Kräften zu lösen.
Damals ging es um kritische Solidarität.
Heute geht es um Widerstand, der (im Sinne von Barmen und Accra) bereit
ist, nicht nur zu bezeugen, was wir glauben, sondern der es auch wagt zu
sagen: Wir verwerfen...
Damals ging es darum, Grenzen zu überschreiten.
Heute geht es darum, einer grenzenlosen Deregulierung Einhalt zu
gebieten. .....
Das entscheidende Kriterium, unser Verhältnis zur Gesellschaft zu
bestimmen, damals wie heute, sind die Elenden, und zwar ökumenisch –
weltweit. Wann immer wir als Gemeinde in einer Gesellschaft leben, die
Armut, Ausbeutung und Elend produziert, kann das nicht unsere
Gesellschaft sein. .....“
6. Wohin?
Ich denke, wir können immer noch ein wenig Salz und
Pfeffer sein, auch wenn unser persönliches Aufgabenfeld langsam kleiner
wird. Sollten wir beschließen, unsere Konferenzen zu beenden, entlassen
aus der Gemeinschaft sind wir aber dennoch nicht.
Deshalb möchte ich zum Abschluss noch einmal ein paar Worte von Giselher
vorlesen, aus dem Referat, dass er auf der ÖJD – ade Tagung 1994
gehalten hat und danach ein Gebet von Dietrich, das zu seinen Gedanken
zu 1. Petrus 4, 1 – 11 gehört, aus: "Halt uns bei festem Glauben.“
Giselher: "Lasst uns nicht Abschied nehmen von jener
zugleich biblischen und politischen Utopie der einen messianischen
Gemeinde Jesu, der einen Gesellschaft, in der alle Platz haben und es
nicht Sieger noch Besiegte gibt, der einen Welt, in der "Gerechtigkeit
und Frieden einander küssen.“ Lasst uns nicht Abschied nehmen von der
ökumenischen Vision, die uns einmal zusammengeführt hat.“
Dietrich: "Herr Jesus Christus, unsere Gegenwart mit
den Freuden, Aufgaben und Problemen nimmt uns so in Anspruch, dass wir
die Zukunft, Dein Kommen, aus dem Blick verlieren. Damit wird die
Orientierung für unser Reden und Handeln schwierig. Lass uns den
Zusammenhang von Morgen und Heute erkennen, um jetzt das Richtige und
Hilfreiche zu tun. Amen.“
Grußwort zum 50. Todestag von Bischof George Bell am 3.
Oktober 2008
Von Wolfgang Huber
Die Evangelische Kirche in Deutschland erinnert
sich in Dankbarkeit an Bischof George Bell, den Bischof von Chichester. Dieser
große Ökumeniker, Freund Dietrich Bonhoeffer und Botschafter der Versöhnung
starb vor fünfzig Jahren. Sein Engagement für den Frieden, seine Bereitschaft
zum Neubeginn und seine unbeirrbare Freundschaft zu den Christen in Deutschland,
auch in finsterster Zeit, verdienen Achtung und Dank.
"Ihre Arbeit wird in der Geschichte der deutschen
Kirche nie vergessen werden“, schrieb Dietrich Bonhoeffer seinem 23 Jahre
älteren väterlichen Freund im Jahr 1937. Das war nicht leicht dahingesagt;
sondern diese Aussage hatte einen guten Grund. Kaum ein anderer Kirchenführer
außerhalb Deutschlands hat die Geschicke der Kirchen und der Christen in
Deutschland seit Beginn der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts so
intensiv, freundschaftlich und zugleich kritisch begleitet wie George Bell. Er
war ein Kämpfer für den Frieden und für die Wahrheit und hat sich nie gescheut,
seine Überzeugungen mit der Autorität seines Amtes und seiner Person
nachdrücklich zu vertreten, auch im politischen Raum.
Stets achtete er darauf, dass die Kirche nicht
bei sich selbst verharrt, sondern die Botschaft von der Versöhnung in den
gesellschaftlichen und politischen Raum hineinträgt. So half er den aus
Deutschland nach England geflohenen Opfern des Hitler-Regimes und eröffnete
ihnen neue berufliche Perspektiven. Auf seine Initiative wurde die "Christian
Fellowship in Wartime“ gegründet. In der "Times“ veröffentlichte Bell regelmäßig
Artikel über die politische und kirchliche Situation in Deutschland, schon von
1933 an gut informiert durch Dietrich Bonhoeffer und später durch dessen
Schwager Gerhard Leibholz, der wegen seiner jüdischen Herkunft mit seiner
Familie in England Zuflucht suchte.
Besonders als Vorsitzender des Ökumenischen Rates
für Praktisches Christentum ("Life and Work“) unterstützte Bell die Bekennende
Kirche und warb für ihre Anerkennung in der Ökumene.
Entschieden verurteilte George Bell die
Flächenbombardements deutscher Städte, weil sie strategisch sinnlos seien und
vor allem für unschuldige Menschen Leiden oder Tod bedeuteten. Die deutsche
Widerstandsbewegung fand in ihm einen mutigen Unterstützer. Bei einem
konspirativen Treffen in Schweden 1941 übergab ihm Dietrich Bonhoeffer die Bitte
des deutschen Widerstands an die britische Regierung um Rückendeckung. Bells
Eintreten für das "andere Deutschland“, insbesondere auch im House of Lords,
trug ihm in Kirche und Öffentlichkeit seines Landes manche Kritik ein; im
Rückblick haben wir Grund, uns seiner Haltung in großer Dankbarkeit zu erinnern.
Zur Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg trug
George Bell entscheidend bei, indem er den deutschen Kirchen den Weg zurück in
die Ökumene ebnete. Bischof Bell war einer der ersten, die Deutschland wieder
besuchten. In einem bewegenden Gottesdienst predigte in der stark zerstörten
Marienkirche in Berlin und war tief bewegt von dem Elend der Flüchtlinge, die er
z. B. auf den hoffnungslos überfüllten Bahnsteigen des Lehrter Bahnhofs in
Berlin antraf. Mit allem Nachdruck setzte er sich für humanitäre Hilfe ein:
Christian Aid (ursprünglich "Christian Reconstruction in Europe“), die große
englische Hilfsorganisation, entstand unter seiner Beteiligung.
Noch in seiner Abschiedsrede vor dem Oberhaus im
Januar 1958, neun Monate vor seinem Tod, plädierte Bell leidenschaftlich für die
Menschenrechte in der DDR. Er wusste genau, wie dort mit der verfassungsmäßig
garantierten Religionsfreiheit umgegangen wurde. So hat es einen guten Sinn,
wenn wir gerade auch am Tag der Deutschen Einheit seiner gedenken.
Angesichts seiner großen Verdienste ist es nicht
verwunderlich, dass George Bell nach dem Krieg zu den in Deutschland
bekanntesten und beliebtesten westlichen Kirchenmännern gehörte. Fünfzig Jahre
nach seinem Tod wollen wir die Erinnerung an diesen Botschafter der Versöhnung
und den Dank für seinen Dienst am Frieden erneuern.
Die letzten Worte Dietrich Bonhoeffers vor seinem
Tod, die uns durch seinen Mitgefangenen Payne Best überliefert sind, waren ein
Gruß an George Bell. "Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch
der Anfang. Mit ihm glaube ich an unsere universale christliche Bruderschaft,
die alle nationalen Interessen übersteigt.“
Bischof Bell hielt im Juli 1945 in der Holy
Trinity Church in London einen Gedenkgottesdienst für Dietrich Bonhoeffer, der
durch die BBC übertragen wurde. Erst dadurch erhielt die Familie Bonhoeffer die
Gewissheit, dass Dietrich Bonhoeffer den Krieg nicht überlebt hatte.
Gerade durch die tiefe Freundschaft mit Dietrich
Bonhoeffer ist George Bell auf das Innigste mit der Geschichte der Evangelischen
Kirche in Deutschland verbunden. Deshalb grüßen wir unsere Schwesterkirche in
England in tiefer Dankbarkeit für ihren großen Sohn, den Bischof von Chichester
und ökumenischen Vordenker George Bell.
Die dänischen Mohammed-Karikaturen, Verlauf und
Sachinhalt
VonWalter Dalland und Britta Lissner
Unsere Absicht mit diesem Beitrag ist, eine kurze
Darstellung von den Ereignissen bezüglich der Ausgabe der zwölf Karikaturen von
dem Propheten Muhammed zu bringen, darunter von den wesentlichsten Reaktionen
und vom Inhalt der Reaktionen zu sprechen, um zu einer Debatte über die
eigentlichen Sachfragen zu kommen: das Verhältnis zwischen der Meinungsfreiheit
auf der einen Seite und dem Respekt für andere Religionen auf der anderen Seite
- und das Verhältnis zwischen den verschiedenen Religionen in einer
multikulturellen Welt.
Hintergrund und Kontext
Dänemark war bis zu den 1980er Jahren ein
überwiegend homogenes Volk, obwohl es immer eine gewisse Einwanderung gegeben
hat. Aber in den letzten 20 - 25 Jahren haben wir eine für uns größere Menge
Flüchtlinge und Einwanderer empfangen, die aus Kulturen stammen, die fremder für
uns als je vorher sind – das heißt aus Iran, Vietnam, Somalia, Palästina, und
Irak, Tamiler aus Sri Lanka, Muslimer aus Bosnien und andere Gruppen aus dem
zerspaltenen früheren Jugoslawien. Wo es auf die türkischen "Gastarbeiter" in
den 70ger Jahren wenige Reaktionen gab, ist es nun anders geworden. Obwohl der
Stand der dänischen Wirtschaft in dieser Periode - den letzten 20 Jahren -
besser und besser geworden ist, der Wohlstand größer als je, und die
Arbeitslosigkeit immer weniger wurde und jetzt ca.2,4 % ist. Heute ist der Zahl
der nicht dänischen Einwohner 6 %, davon sind nur 3 % aus nicht westlichen
Ländern. Ein bescheidener Anteil im Vergleich zu vielen anderen Ländern.
Warum ist es schwieriger geworden? Schwer zu
sagen. Wir sind es nicht gewöhnt, uns mit der Integration der Fremden zu
arbeiten und zu leben. Der soziale Druck dieser Aufgabe fällt oft auf die
weniger gut Gestellten und mehr sozial Belasteten unter uns. Eine Tatsache, dass
die mehr toleranten, besser gestellten Bürger meistens vergessen. Dazu kommt,
dass sich in Dänemark die Beziehungen zwischen der muslimischen Minderheit und
der dänischen Mehrheit in den letzten Jahren auf Grund einer sehr restriktiven
Einwanderungspolitik und einer scharf geführten Ausländerdebatte zunehmend
verschlechtert haben. Dieses gilt insbesondere seit 2001 unter der Regierung von
Anders Fogh Rasmussen, die aus der rechtsliberalen Partei Venstre und der
Konservativen Volkspartei besteht, und die mit der Stütze oder Duldung der
nationalkonservativen Dänischen Volkspartei regiert. So bezeichneten
beispielsweise Abgeordnete der dänischen Volkspartei den Islam als
"Krebsgeschwür“ und "Terrorbewegung“. Diese rechtsorientierte Partei hat sich
mit einer fremdensfeindlichen Haltung tüchtig promoviert und eine Debatte
ausgelöst, die gar nicht schön ist.
Der Anlass
Die Karikaturen wurden vom Kulturchef der Zeitung
Jyllandsposten an die Zeichner in Auftrag gegeben. Nach Angaben der Redaktion
wollte man prüfen, wie viel Selbstzensur sich die Künstler mit Blick auf den
Islam auferlegen würden. Zuvor hatte der dänische Kinderbuchautor Kåre Bluitgen
keinen Zeichner für sein Buch "Der Koran und das Leben des Propheten Mohammed“
("Koranen og profeten Muhammeds liv“,) gefunden, der mit Namen daran mitwirken
wollte. Das Buch ist jetzt neben dem Autor von einem anonymen Kollaboratör
illustriert worden. 40 dänische Karikaturisten wurden angesprochen, wovon sich
zwölf bereit erklärten, etwas beizutragen; drei davon waren Zeichner der
Jyllands-Posten.
In den Zeichnungen wurde Mohammed unter anderem
dargestellt, indem er einen Turban in Form einer Bombe mit brennender Lunte auf
dem Kopf trug. Unter den zwölf Karikaturen gibt es allerdings auch einige, die
den Propheten nicht explizit bildlich darstellen.
"Lächerlichmachung"
Außer einer Kampagne gegen Selbstzensur hatte der
Kulturredaktör einen zweiten Zweck: Er schrieb: "Die moderne säkulare
Gesellschaft wird von einigen Muslimen abgelehnt. Sie fordern eine
Sonderstellung, wenn sie auf eine besondere Rücksichtsnahme auf ihre eigenen
religiösen Gefühle beharren. Das ist unvereinbar mit der weltlichen Demokratie
und der Redefreiheit, die voraussetzen, dass man bereit sein muss, Hohn, Spott
und Lächerlichmachung ausgesetzt zu sein". Das müssten sie aber lernen, meinte
er sowie manche anderen.
Reaktionen in Dänemark
Drei Wochen nach Veröffentlichung, am 19. Oktober
2005, baten elf Botschafter islamischer Staaten, die eine halbe Milliarde
Muslimer vertreten, den dänischen Premierminister Anders Fogh Rasmussen um ein
Treffen. Sie wollten mit ihm nicht nur über die Karikaturen reden, sondern sich
zu drei anderen antiislamischen Äußerungen in der Öffentlichkeit und auch zur
islamfeindlichen Stimmung im Allgemeinen erörtern. Die Botschafter forderten ihn
auf, im Rahmen der Gesetze des Landes alle möglichen Schritte zu ergreifen ("take
all responsible to task under the law of the land“) "in the interests of
interfaith harmony, better integration and for Denmarks overall relations with
the Muslim world". (um Harmonie zwischen den Religionen, bessere Integration und
die gute Relation Dänemarks mit der muslimischen Welt im Allgemeinen zu
fördern).
Der Premierminister lehnte aber das angetragte
Treffen mit der Begründung der Pressefreiheit in Dänemark ab, er könne über die
Forderungen der Botschafter nicht diskutieren. Man hat es von Regierungsseite so
beschrieben, als wollten die Botschafter, dass der Premierminister gesetzlich
Jyllandsposten vor Gericht einklagen solle. Nach der Meinung einer Gruppe von 22
ehemaligen dänischen Botschafter war das ein großer diplomatischer Fehler, die
islamischen Botschafter überhaupt nicht begegnen zu wollen – gegen alle
gewöhnliche diplomatische Spielregeln. Vielleicht wären die späteren gewaltsamen
Reaktionen dann nicht stattgefunden.
Am 27. Oktober 2005 erstatteten elf Vertreter
dänischer islamischer Organisationen auf Grund des Blasphemie-Paragraphen § 140
im dänischen Strafgesetzbuch Strafanzeige gegen Jyllands-Posten. Die Sprecherin
der Anzeigeerstatter Asmaa Abdol-Hamid erklärte: "Wir meinen, dass es die
Absicht der Zeitung war, zu verhöhnen und zu spotten.“
Es ging ihnen demnach weniger um die Zeichnungen
selbst, sondern um den redaktionellen Zusammenhang. Hier die Übersetzung der
fraglichen Passage mit der Zwischenüberschrift "Latterliggørelsen“ ("Die
Lächerlichmachung“):
Der dänische Blasphemie-Paragraph lautet:
"§ 140. Derjenige, der öffentlich die
Glaubenslehre oder Gottesverehrung irgendeiner legal in diesem Land
bestehenden Religionsgemeinschaft verspottet oder verhöhnt, wird zu einer
Geldstrafe oder Haftstrafe bis zu vier Monaten verurteilt.[“
Am 6. Januar 2006 stellte die Staatsanwaltschaft
in Viborg das Verfahren mit der Begründung ein, dass keine Hinweise auf eine
Straftat nach dänischem Recht vorlägen. Diese Entscheidung wird vom Direktor der
dänischen Staatsanwaltschaft am 15. März 2006 bestätigt und detailliert mit
Bezug auf die Karikaturen begründet. Persönlich finde ich diese Entscheidung
merkwürdig und falsch: der Zweck den Muslimen Spott und Verhöhnung zu dulden
lehren wollen wurde ja explizit formuliert .
Die letzte Verurteilung aufgrund des § 140 wurde
in Dänemark 1938 gegen eine Gruppe dänischer Nationalsozialisten wegen
Antisemitismus ausgesprochen.
Dossier der dänischen Imame und Eskalation
Da die Einwände der Muslimen in Dänemark nichts
bewirkten, reisten zwei dänische Imamen, Ahmad Abu Laban und Akhmad Akkari, im
November und Dezember 2005 nach Ägypten und dem Libanon mit einem von ihnen
angefertigten 42-seitigen Dossier, welches Vertreter der Arabischen Liga sowie
muslimischen Klerikern und Akademikern überreicht wurde. Neben den
Zeitungsartikeln wurden auch drei zusätzliche Abbildungen aufgeführt. Diese
wurden als besonders beleidigend empfunden, waren von der Zeitung aber weder in
Auftrag gegeben noch veröffentlicht worden. Bei der Berichterstattung in der
arabischen Presse wurde teilweise auf diese neuen Zeichnungen Bezug genommen.
Diese Handlung wurde von manchen Dänen als Landesverrat angesehen und rief viel
Zorn auf.
Am 31. Januar entschuldigte sich der
Chefredakteur der Jyllandsposten dafür, dass die Zeitung die Gefühle vieler
Muslime verletzt habe. Er wollte sich aber nicht für die Veröffentlichung der
Bilder entschuldigen. Diese Entschuldigung des Chefredakteurs wurde von
verschiedenen islamischen Vereinigungen Dänemarks als nicht weitgehend genug
zurückgewiesen.
Reaktionen in anderen Ländern
In weiten Teilen der
islamischen Welt sind Abbildungen von Allah,
Mohammed und anderen Propheten in menschlicher Gestalt verboten. Das in der
Debatte herangezogene Bilderverbot in der
islamischen Welt wurde jedoch nicht immer strikt ausgelegt. Zahlreiche bildliche
Darstellungen sind belegt (mærkeligt udtryk). Nachdem die ägyptische
Tageszeitung Al Fager bereits am 17. Oktober 2005 einige der Karikaturen,
darunter die des Propheten mit der Bombe im Turban, abgedruckt hatte, war es
noch zu keinen besonderen Reaktionen gekommen.
Liberale Kritiker wiesen darauf hin, dass die
Mohammed-Karikaturen im Vergleich zu den in arabischen Medien regelmäßig
erscheinenden antisemitischen Witzen und Papstkarikaturen harmlos gewesen seien.
Erst nach der obenerwähnten Reise der beiden
Imamen und auf Anfragen von Journalisten, und nachdem die christliche
norwegische Zeitung Magazinet die Karikaturen am 10. Januar 2006 nachdruckte,
kam es zu weltweiten Protesten empörter Muslime, die diese Karikaturen als
Blasphemie empfanden.
"Doppelbödigkeit der
westlichen Politik muss ein Ende finden"
Der Theologe Hans Küng
sieht eine Mitverantwortung des Westens im Streit um die Karikaturen des
Propheten Mohammed. Im Interview mit DW-WORLD fordert er die westliche
Welt zur Besinnung auf.
DW-WORLD: In
vielen arabischen Ländern halten die gewalttätigen Proteste gegen die
Mohammed-Karikaturen an. In diesem Zusammenhang ist wieder verstärkt von
Samuel Huntingtons Konzept vom "Kampf der Kulturen" die Rede. Hat sich
seine These nun bestätigt?
Hans Küng: Nein, diese
These ist und bleibt falsch. Die Kulturen an sich führen keine Kriege.
Aber eine falsche Politik kann die These wirklich werden lassen, kann
sie zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung machen. Wenn der
Westen weiter eine Politik verfolgt, die die muslimischen Ressentiments
fördert, dann kommt es zu einer gefährlichen Eskalation.
Wollen Sie
damit andeuten, dass der Westen für die Eskalation der Gewalt
mitverantwortlich ist?
Ich will zunächst sagen,
dass ich diese Gewaltausbrüche verurteile und dass ich die ausfälligen
Bemerkungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad völlig
inakzeptabel finde. Aber es wäre nun dringend notwendig, im Westen zu
einer Selbstbesinnung zu kommen und zu akzeptieren, dass viele Fehler
gemacht wurden.
Was hat man
falsch gemacht?
Statt auf Polizeiaktionen
zu setzen, führt man in Afghanistan einen vermeidbaren Krieg. Im Irak
haben wir es mit einem völkerrechtswidrigen und moralisch unhaltbaren
Krieg zu tun, in Tschetschenien baut man weiter auf ein
Unterdrückungsregime und seit Jahrzehnten zögert man die Gründung eines
lebensfähigen zusammenhängenden Palästinenserstaates hinaus. Wenn man
das alles sieht, dann darf man sich doch nicht wundern, dass sich heute
in der muslimischen Welt unendlich viel Frustration, Zorn und Wut
aufgestaut hat und dass das jederzeit explodieren kann.
Der Auslöser
der aktuellen Gewaltausbrüche waren verschiedene Karikaturen vom
Propheten Mohammed. Sind die Zeichner zu weit gegangen?
Ich will hier keine
Pauschalkritik an den Medien äußern. Es gibt sehr gute Kommentare zum
Thema, viele sind oft auch selbstkritisch. Aber ich muss schon darauf
aufmerksam machen, dass die Pressefreiheit auch Presseverantwortung
einschließt. Ich habe für den InterAction Council früherer Staats- und
Regierungschefs unter der Führung des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut
Schmidt eine Erklärung der Pflichten für die Presse ausgearbeitet. Und
da steht im Paragraph 14: "Die Freiheit der Medien bringt eine besondere
Verantwortung für genaue und wahrheitsgemäße Berichterstattung mit sich.
Sensationsberichte, welche die menschliche Person oder die Würde
erniedrigen, müssen stets vermieden werden". Damals haben verschiedene
Pressevereinigungen gegen diese Erklärung protestiert. Heute zeigt sich,
dass es dringend notwendig ist, dass man mit der Pressefreiheit auch die
Presseverantwortung betont.
Haben die
Karikaturzeichner also ihre Presseverantwortung nicht wahrgenommen?
Sie haben mehrere Tabus auf
einmal verletzt. Der Islam ist gegen religiöse Menschendarstellungen und
will den Propheten nicht abgebildet haben, um auch jeglichen
Götzendienst zu vermeiden. Wenn man nun diesen Propheten in Form von
Karikaturen mit terroristischen Zeichen und mit modernen Waffen in
Verbindung bringt, dann ist man da zu weit gegangen. Wenn strafrechtlich
vorgegangen werden kann, gegen die Verleumdung einzelner Personen oder
Organisationen, zum Beispiel gegen Holocaust-Leugner, dann geht es nicht
an, dass man religiöse Symbole beliebig missbrauchen kann. Das gilt
nicht nur für den Propheten Mohammed, sondern auch für Jesus Christus.
Ich habe mich oft darüber geärgert, mit welchem Leichtsinn und welcher
Unverschämtheit Jesus von Nazareth bedacht wurde. Das geht schlicht zu
weit und da wäre Besinnung dringend nötig.
Wie sollte
der Westen mit radikal-islamistischen Gruppen umgehen, zum Beispiel
Hamas? Trotz ihres Wahlsiegs wollen die USA und Israel nicht mit Hamas
sprechen.
Man kann nicht einerseits
demokratische Wahlen fordern und sich danach darüber beklagen, dass die
Mehrheit diejenigen bekommen, die man sich nicht gewünscht hat. Das gilt
auch für den Irak. Man muss das zumindest zur Kenntnis nehmen und sollte
nicht von vorneherein sagen: "Mit denen reden wir nicht".
Also sollte
man mit Hamas verhandeln?
Mit Hamas wird man
verhandeln können, wie man schließlich auch mit Arafat verhandeln
konnte. Da sollte man sich zunächst mit negativen Statements
zurückhalten und erst einmal abwarten. Zunächst sollte man herausfinden,
mit wem haben wir es hier zu tun und welche Ziele verfolgt diese Gruppe.
Schließt man von vornherein Verhandlungen aus, dann hat man eine ganz
schlechte Ausgangsposition, denn früher oder später muss man doch mit
ihnen reden.
Was wäre
jetzt in der aktuellen aufgeheizten Situation in der muslimischen Welt
von Nöten?
Vor allem Ruhe und
Überlegung. Es ist zu fragen nach den Wurzeln dieser Gewaltausbrüche. Am
dringendsten muss aber das Palästina-Problem gelöst werden.
Der
katholische Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng hat sich als
Vordenker des Dialogs zwischen den Religionen und als Gründer des
Projekts Weltethos einen Namen gemacht. Der Vatikan hatte dem Schweizer
1979 die Lehrerlaubnis entzogen, da dieser die Unfehlbarkeit des Papstes
in Zweifel gezogen hatte. Im vergangenen Herbst wurde der 77-jährige
Küng von Papst Benedikt XVI. zu einem Gespräch empfangen.
Das Interview führte Steffen Leidel
Deutsche Welle vom 07.02.2006
http://www.dw-world.de/popups/popup_printcontent/0,,1894702,00.html
In über 50 Ländern haben die Zeitungen darüber
geschrieben .Die vielen Reaktionen über die ganze Welt kennt Ihr wahrscheinlich
von Eure Presse besonders die mit Gewalt verbundenen. Es gab auch friedliche
muslimische Demonstrationen. Aber einer detaillierten Auflistung auf der Website
"Cartoon Body Count: Death by Drawing“ zufolge, sind in Zusammenhang mit dem
Karikaturenstreit bis zum 22. Februar 2006 139 Menschen getötet und 823 verletzt
worden.
Viele Kräfte - westliche und muslimische - haben
fleissig gearbeitet um diese Krise zu de-eskalieren, was im gewissem Masse
gelungen ist. Im Anfang dieses Jahre führte eine Wiederaufdrückung der
Karikaturen (für uns aus gesehen total unnotwendig) in Verbindung mit der
Verhaftung drei Leute in Dänemark wegen ihre Pläne den Zeichner Kurt Westergaard
(der die Zeichnung mit der Bombe im Turban Muhammeds zeichnete) zu mördern zu
neuen Unruhe und Anschläge, die nach einer Weile ausklangen.
Zum Schluss: Die Karikaturen führten weltweit zu
einer Diskussion über die Religions-, Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit. Und
das sind die Themen, die noch bei uns bleiben und bleiben sollen. Wie ist das
Verhältnis zwischen der Meinungsfreiheit und dem Respekt für andere Religionen ?
Welche Ausforderungen auf dem Gebiet der Relationen zwischen den Weltreligionen
und Andersgläubigen liegen hier vor ?
Gross Väter See September 2008
Euphorie und Enttäuschung nach der Wende in Ost und
West
Liebe Freunde,
heute gibt Deutschlandradio ein Wort zum Tag in Deutschland, das mich noch
einmal erinnert, was einiges nachzubesprechen blieb zum Vortrag im Zentrum
unserer Tagung in Groß Väter unter >Euphorie und
Resignation<, zu dem es ja doch kein ordentliches Nachgespräch nach
einer Pause mit dem Referenten hat geben können; auch haben wir weder Manuskript
noch Thesen an der Hand. Was blieb? Es gab ja viele hochlobende und (weniger?)
viele bedauernde Reaktionen.
Im Spiegeln von >Euphorie und Resignation<,
verquickend und auf sachliche Ebenen auflösend, so hatte ich Jürgen Rennert
kennen und lieben gelernt, als wir in unseren Staatsuniformen als Bausoldaten
bei unserem Verweigern von Belohnungen aufrecht und Faust vorstreckend ausriefen
"Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik!" Nun leben wir aktiv "Ich
diene der Bundesrepublik Deutschland!" und suchen ihr Bestes - natürlich seit eh
und je begrenzt durch unsere Globalisierung.
In herzlicher Verbundenheit mit Euch in aller Welt
Euer Martin
Mein Land ist mir zerfallen
Von Jürgen Rennert
Gegen die offiziellen Sprachregelungen des real
existierenden Sozialismus hatte der Ost-Berliner Lyriker
Jürgen Rennert (geb.
1943) schon früh das Motto einer ökologisch-kritischen Naturlyrik formuliert:
"Es stirbt das Land an seinen Zwecken." In den Tagen des politischen Umbruchs
1989/90 schrieb er dann ein Requiem auf das Land, mit dem er sich nur in
widerwilliger, gespaltener Liebe identifizieren konnte. In diesem Gedicht stößt
man wie in vielen lyrischen Texten der späten DDR auf die patriotisch wirkende
Fügung "Mein Land". Bei allen Ambivalenzen bezeugt das besitzanzeigende Fürwort
in "Mein Land" zumindest eine partielle Verbundenheit mit der politisch
kollabierten DDR.
Mein Land ist mir zerfallen.
Sein' Macht ist abgetan.
Ich hebe, gegen allen
Verstand, zu klagen an.
Mein Land ist mir gewesen, Was ich trotz seiner bin: Ein welterfahrnes Wesen, Mit einem Spalt darin.
Mein Land hat mich verzogen, Und gehe doch nicht krumm. Und hat mich was belogen, Und bin doch gar nicht dumm.
Mein Land hat mich mit Wider- Willn an die Brust gepresst. Und kam am Ende nieder Mit mir, der es nicht lässt.
Mein Land trägt meine Züge, Die Züge tragen mich. Ich bin die große Lüge Des Landes. (Wir meint: ich)
Das Gedicht ist am 14. Januar 1990 entstanden,
als sich bereits abzeichnete, dass die DDR den Beitritt zur Bundesrepublik
vollziehen würde. Bei aller Erleichterung über das Ende einer fragwürdigen
Staatsmacht, die ihre Untertanen zur Anpassung und zur Lüge zwingt, enthält der
Text doch auch die Klage über den Untergang dieses Gemeinwesens, dessen
Charakter-"Züge" mit den in ihm lebenden Individuen verwachsen sind.
Die Erde erwärmt sich, das ist offensichtlich. Der Klimawandel wird im besten
Falle unsere Welt von Grand auf verändern, im schlimmsten Falle wird er zu ihrem
Untergang führen Erwärmt sich unser durch Treibhausgase ohnehin schon
überhitzter Planet nur um ein oder zwei Grad mehr, könnten weite Teile der Erde
verdorren. Diese apokalyptische Vision für die kommenden Jahrzehnte wird heute
nicht nur von Umweltschützern geteilt. Wissenschaftler, Politiker und selbst das
im Allgemeinen vorsichtigere Militär sehen im Klimawandel eine Bedrohung für den
Weltfrieden.
Überblick
Der im Februar 2007 erschienene Bericht der Intergovernemental Panel on Climate
Change (IPCC) geht mit einer neunzigprozentigen Wahrscheinlichkeit davon aus,
dass es sich bei dem gegenwärtigen Klimawandel um ein Ergebnis menschlicher
Aktivitäten handelt, das im wesentlichen durch die stetigen Emissionen so
genannter Treibhausgase seit der Industrialisierung verursacht ist. Die
Erwärmung des Klimasystems insgesamt lässt sich an steigender Luft- und
Ozeantemperaturen, am Schmelzen von Gletschern und Dauerfrostböden und an
steigendem Meeresspiegel ablesen.
Seit 1850 werden die Jahresdurchschnittstemperaturen gemessen. Die elf wärmsten
Jahre seither fallen in die Zeitspanne von 1995 - 2006. Die Temperatur der
Ozeane hat sich bis in Tiefen von 3000 m erhöht.
Beobachtete Folgen des Klimawandels sind:
Verschiebung von Regenzonen und Regenhäufigkeiten
Fortschreitende Wüstenbildung
Das vermehrte Auftreten extremer Wetterereignisse wie Hitzeperioden, Stürme,
starker Regen
etc.
Bei gleichbleibenden Emissionen sagt das IPCC einen Anstieg der globalen
Durchschnittstemperatur um 0,2 Grad Celsius je Dekade voraus. Die
unterschiedlichen Szenarien, die für verschiedene Emissionsmengen bzw. -zuwachse
gerechnet wurden, ergeben eine Untergrenze von 1,1 Grad bis zum Ende des
Jahrhunderts und einen oberen Wert von 6,4 Grad. Der Anstieg der Meeresspiegel
wird zwischen 18 und 59 cm liegen. Die Zukunft bringt ein weiteres Abschmelzen
der Eisschilde, der Gletscher und ein Auftauen der Dauerfrostböden mit sich,
Taifune und Hurrikans treten häufiger und an ungewohnten Stellen auf. Die
Regenwahrscheinlichkeit wird nach Norden zu- und nach Süden abnehmen. Dies alles
hat Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt und damit auch für die Ernährungs- und
Überlebenschancen von Menschen. IPCC veröffentlichte dazu die zu erwartenden
sozialen Folgen und prognostiziert für Afrika, dass bereits im Jahr 2020
zwischen 75 und 250 Mio. Menschen kein ausreichendes Trinkwasser haben werden.
Die Landwirtschaft wird ebenfalls unter ausbleibenden Regenfällen und
absinkendem bzw. verschwindendem Grundwasser leiden. Die Lage der Fischerei
sieht nicht besser aus.
Im asiatischen Raum treten ebenfalls erhebliche Trinkwasserprobleme auf, hier
wird zudem mit starken Umweltverschmutzungen, Überschwemmungen und
Lawinenabgängen durch das Abschmelzen der Himalaja Gletscher gerechnet. Vom
Trinkwassermangel könnten bis zum Jahr 2050 mehr als eine Mrd. Menschen
betroffen sein.
Südamerika ist von sinkenden Grundwasserspiegeln und Wüstenbildung betroffen.
Überflutungsgefahren betreffen die Küstenregionen genau so wie in allen anderen
Teilen der Welt. Die Bewältigungs- und Kompensationsmöglichkeiten sind je nach
betroffenem Land unterschiedlich.
In Europa, USA, Australien sind die sozialen Folgen nicht so dramatisch. Sie
sind hier vor allem indirekter Art hinsichtlich des Drucks auf die Grenzen der
veränderten Sicherheitslage.(Migration)
Insgesamt zeigt sich eine globale Ungleichverteilung der sozialen und
ökonomischen Folgen der Klimaveränderung. Die damit einhergehende
Ungerechtigkeit sowohl in geografischer wie generationeller Hinsicht birgt
mittelfristig gravierende Konfliktpotenziale.
Zwei Grad plus
Klimaforscher vertreten die Auffassung, dass die sozialen und ökonomischen
Folgen des Klimawandels dann vielleicht noch beherrschbar sind, wenn die
Erwärmung bei einer Steigerung von plus 2 Grad gegenüber der vorindustriellen
Zeit abgebremst werden, das sind etwa 1,6 Grad mehr als jetzt. Bis zum Ende der
letzten Kaltzeit befanden sich 600 Mrd. t Kohlendioxid in der Atmosphäre. Das
ist der Wert, der bis zur industriellen Revolution in etwa konstant blieb.
Dieser Wert ist seither auf 800 Mrd. t angestiegen und bei einer weiteren
Steigerung liegt die tolerierbare Belastung bei max. 85o Mrd. t.
Gegenwärtig kommen pro Jahr etwa 4 Mrd. t dazu, ohne die Steigerungsraten, die
durch die nachholende Industrialisierung der Schwellenländer verursacht wird.
Danach ist der Wert von 850 Mrd. t in etwa 10 Jahren erreicht. Ein Abbremsen der
Erwärmung auf 2 Grad plus ist nur dann realistisch, wenn die weltweiten
Emissionen in etwa 5 Jahren ihren Höchstwert erreicht haben, in den folgenden 50
Jahren um mindestens die Hälfte absinken und danach weiter im Abwärtstrend
bleiben.
Eindringlich hat im vergangenen Jahr auf der Konferenz in Bali der UN-Klimarat (IPCC)
letzte Zweifel beseitigt, dass die Welt vor dramatischen Umwälzungen steht, wenn
die Zwei-Grad-Erwärmungsgrenze nicht gehalten wird. Dazu müssen die
Treibhausgas-Emissionen bis 2050 global um mindestens die Hälfte und in den
Industrieländern um 80 Prozent sinken. Das bedeutet: Mit ein bisschen mehr
Energieeffizienz hier und einigen Windrädern da ist das nicht zu schaffen. Hier
geht es um eine neue industrielle Revolution: Das Ende des fossilen Zeitalters!
Soziale Folgen für die Menschheit
Der Klimawandel wird zu einer Häufung sozialer Katastrophen führen (New
Orleans). Er gefährdet die Überlebensbedingungen von Menschen durch Mangel an
Trinkwasser, Rückgang von Nahrungsmittelproduktion und erhöhten
Gesundheitsrisiken. Ein beträchtlicher Teil der Weltbevölkerung wird immer mehr
Schwierigkeiten haben, denn zunehmende Wüstenbildungen, Bodenversalzungen und
Bodenerosionen schränken die Überlebenschancen in manchen Gebieten genauso ein
wie die Übersäuerung der Ozeane, die Überfischung, die Vergiftung der Flüsse und
das Verlanden von Seen. All dies sind übrigens keine Naturkatastrophen, als die
zugrunde liegenden Prozesse von Menschen gemacht sind. Daraus resultieren
innerstaatliche Gewaltkonflikte, Bürgerkriege, Völkermorde, Migration. Die
Folgen dieser Entwicklung sind Konflikte zwischen jenen, die dieselben zu
knappen Ressourcen nachfragen, die unbewohnbar gewordene Regionen verlassen
müssen und dort zu siedeln versuchen, wo andere schon sind. Bis zum Jahr 2050
könnten dadurch, wie Berechnungen ergeben, 80 - 400 Millionen Klimaflüchtlinge
zu erwarten sein.
Was tun?
Angesichts dieser Fakten steht die Menschheit vor Herausforderungen wie sie noch
nie in der Geschichte der Menschheit gegeben waren. Dabei geht es um die Frage
unserer Lebensart, unseres Lebensstils, um eingeübte Gewohnheiten und
Verhaltensweisen. Würden wir mit Egoismus und Zynismus an die Beantwortung
dieser Fragen gehen, wäre die Antwort: Was schert uns dieser Teil der Menschheit
im Süden unseres Planeten, sollen sie doch sehen, wie sie zurecht kommen. Dieses
Denken könnte uns dazu verleiten, weiter zu machen wie üblich, mit der Folge:
Wir akzeptieren ein weiteres Wachstum der Wirtschaft, was die fortgesetzte
Nutzung importierter fossiler Energien und anderer Rohstoffe erfordert. Diese
Strategie nimmt in Kauf, dass Autobenzin zur Versorgungssicherheit
Biotreibstoffe beigemischt werden, um die Frist zu strecken, in der noch Erdöl
verfügbar ist. Diese Strategie baut darauf, dass Regenwälder vernichtet werden,
um Anbauflächen für Ölpflanzen zu gewinnen, was bereits in Asien und Südamerika
geschieht, mit der Folge gewalttätiger Landnahme und der Vertreibung
ortsansässiger Bevölkerung. Weitermachen wie üblich setzt auch die
wirtschafts- und außenpolitische Strategien voraus, zur Versorgungssicherheit
Abkommen und Verträge mit Staaten zu schließen, in denen weder Menschenrechte
geachtet noch Umweltschutzstandards eingehalten werden.
Es ist davon auszugehen, dass in den begünstigten Ländern, wie Europa und den
USA eine andere Strategie als Weitermachen wie üblich nicht gewählt wird. Warum
sollten sie auch, denn: Wir sind die Gewinner. Das Klima wird milder. Die
nördlichen Gebiete Amerikas und Asiens werden besser bewohnbar. Die
Landwirtschaft wird einfacher und gegen den steigenden Meeresspiegel bauen wir
Deiche.
Was wirklich getan werden müsste
Aus Gründen der Generationengerechtigkeit oder der Überlebensrationalität der
menschlichen Gattung, sind drei Handlungsebenen zu bedenken, um die Verhältnisse
zum Besseren zu wenden. Die erste und beliebteste ist die Individualisierung des
Problems und seiner Bewältigung. So gibt es eine Reihe von Vorschlägen oder
Tipps zur Rettung der Welt, z.B. Sparlampen zu benutzen, Geschirrspüler erst
anstellen, wenn er voll ist, Fahrgemeinschaften bilden, bei Elektrogeräten
stand-by zu vermeiden u.a. Derlei Tipps, verbunden mit der Suggestion, die Welt
zu retten, stehen in einer grotesken Relation zur Dimension des Problems, weil
dem Problem mit Veränderungen auf der Verhaltensebene nicht beizukommen ist.
Wenn jährlich durch die erdölfördernde Industrie 150-170 Mrd. Kubikmeter Erdgas
abgefackelt werden - soviel, wie die Industrienationen Deutschland und Italien
zusammen im Jahr verbrauchen - dann wird individuelles Sparverhalten so gut wie
wirkungslos. Oder betrachten wir dazu die Emissionssteigerungen der
Schwellenländer China, Indien, SA, Mexiko und Brasilien. Im Jahr 2004 hatte
China Gesamtemissionen von 5253 Millionen t und Indien von 1609 Mio. t. Seit
1990 hatten beide eine Steigerung von 48 bzw. 5o Prozent.
Die zweite Handlungsebene ist die staatliche. Die Berichte der IPCC haben dazu
geführt, dass in vielen Ländern Klimaschutzprogramme beschlossen wurden zur
Energieeinsparung um die C02-Emissionen zu senken. Neben Maßnahmen wie
Wärmeisolierung von Gebäuden, Verwendung von Energiesparlampen,
Geschwindigkeitsbegrenzung für Straßenfahrzeuge, Förderung von regenerativen
Energieträgern (Wind, Wasser, Sonne) und andere, sind ebenfalls ein wichtiger
Beitrag. Jedoch sind nationale Lösungen hinsichtlich ihrer Wirkung beschränkt,
aber dennoch hilfreich: Innovative Strategien einzelner kollektiver Akteure
verändern die Verhältnisse wenigstens graduell und die Rolle des Vorreiters ist
inspirativ. Auch hier ist die psychologische Wirkung wie im Fall der
individuellen Verhaltensänderungen erheblich. Gleichwohl sollte die
systematische Begrenztheit solcher Strategien gesehen werden. Zur Klimawende
können nationale Lösungen nicht führen, weil ihr quantitativer Einfluss zu
gering bleibt.
Bleibt die zwischenstaatliche Ebene, auf der die Komplexität am größten und der
Kontrollverlust am deutlichsten ist. Es gibt keine suprastaatliche Organisation,
die souveräne Staaten veranlassen könnte, weniger Treibhausgase zu emittieren.
Dasselbe gilt für die Verschmutzung der Flüsse, den Bau von Staudämmen, das
Abholzen von Wäldern, den Bau von Atomkraftwerken. Auch gibt es kein
zwischenstaatliches Gewaltmonopol, das die staatliche Souveränität etwa bei
innerstaatlichen Umsiedlungen und Vertreibungen, Enteignungen und Landnahme oder
bei Verletzung der Menschenrechte, auch rücksichtslose Umweltpolitik etc.
sanktionieren könnte. Es existiert zwar eine innerstaatliche, aber keine
zwischenstaatliche Gewaltenteilung. Allein der Völkerbund bietet erste Ansätze
zu suprastaatlichen Regulierungen, mit denen verantwortliche Akteure für
Massaker, Völkermorde etc. vor internationale Gerichtshöfe gestellt werden
können. Gäbe es dagegen eine Weltregierung, dann müsste sie handeln und uns
haftbar machen. Denn es ist klar, dass wir schuld sind, denn wir, die
Industriestaaten haben den Klimawandel verursacht.
Gegenwärtig allerdings sind internationale Vereinbarungen im Umweltbereich auf
Selbstverpflichtungen beschränkt, deren Verletzung von außen kaum sanktionierbar
ist. Deshalb ist es illusionär zu glauben, dass bis zum Jahr 2020 das für eine
Abbremsung der Erwärmung nötige Niveau an Emissionsreduzierungen erreicht werden
kann. Das bedeutet, dass die Erwärmung auch über die noch für kontrollierbar
gehaltenen zwei Grad plus gegenüber dem heutigen Level hinaus fortschreiten
wird, was dazu führt: Das Weltklima kippt!
Überlegungen für Lösungsansätze
Das Problem der Klimaerwärmung ist durch bedenkenlosen Einsatz von Technik
entstanden, weshalb jeder Versuch, es durch weiteren, nun aber besseren
Technikeinsatz zu beheben, Teil des Problems und nicht der Lösung ist. Deshalb
ist es notwendig, darüber nachzudenken, wie ein Ausweg aus der Krise möglich
wird. Nur eine illusionslose Betrachtung ermöglicht es, aus der tödlichen Logik
der Sachzwänge auszusteigen, wie sie sich etwa in der falschen Alternative
wieder zeigt: Ob man nun aus Gründen des Klimaschutzes auf verbesserte
Kohlekraftwerke oder lieber auf Atomkraft setzt. Das sind deshalb falsche
Alternativen, weil beide Energietechnologien auf begrenzte Ressourcen bauen und
beide sich hinsichtlich ihrer Folgen als unüberschaubar erwiesen haben. Eine
falsche Alternative besteht auch in der Frage, ob man die zahlreicher werdenden
Umwelt- und Klimaflüchtlinge in Drittändern zwischenlagert oder im Meer
ertrinken lassen soll. Schließlich haben die Schengenländer vereinbart, dass man
sie nicht haben will.
Suchen wir darüber hinaus einen Weg jenseits falscher Alternativen und
scheinbarer Sachzwänge sollten wir das gesamte Problem des Klimawandels als ein
kulturelles definieren und wir bekämen sogleich eine andere Sicht auf die Dinge.
Uns muss bewusst werden, was die wahre Ursache für diese Situation ist, in der
die Menschheit sämtliche das Klima regulierende Faktoren durcheinander bringt.
Wir müssen fragen, was wahre Entwicklung für die Menschheit sein kann. Wenn
Fortschritt nur die Fortschreibung dessen ist, was in den vergangenen 50 oder
100 Jahren gelaufen ist, dann mag das ja ganz gut gewesen sein für einen kleinen
Teil der Menschheit im Norden, aber es war katastrophal für die anderen 80
Prozent und fiir die ganze Schöpfung. Somit stellt sich die Frage nach den
Möglichkeiten des zukünftigen Überlebens und die Gestaltung der eigenen
Gesellschaft und Lebenswelt. Kann eine Kultur langfristig erfolgreich sein, wenn
sie auf der systematischen Aufzehrung von Ressourcen gründet? Kann sie
überleben, wenn sie den systematischen Ausschluss von Folgegenerationen in Kauf
nimmt? Kann eine solche Kultur modellbildend für jene sein, die sie für ihren
eigenen Fortbestand gewinnen muss? Ist es irrrational, wenn eine solche Kultur
von außen als exklusiv und räuberisch betrachtet und deshalb abgelehnt wird?
Wie man und wie wir selbst in der Gesellschaft, deren Teil man ist, in Zukunft
leben möchten, ist in der Tat die zentrale Frage. Sie zwingt in der
Auseinandersetzung damit, wer zu dieser Gesellschaft zählt, wie Partizipation
gestaltet werden soll, wie materielle und immaterielle Güter wie Einkommen und
Bildung verteilt werden sollen etc. Wir brauchen eine öffentliche Debatte
darüber, wie wir uns versündigen an der ganzen Welt und besonders an den Ländern
der dritten Welt, weil unsere Art, im Wohlstand zu leben auf Kosten der anderen
geht: auf Kosten der Natur, der Dritten Welt, der Zukunft.
II.
Frieden und Globalisierung
Globalisierung in einem friedensorientierten Sinne müsste in einem System
geschehen, in dem beide Geschlechter, die drei Generationen, die zeitgleich auf
der Welt leben, alle Rassen, alle Klassen wie auch die Menschen aller ungefähr
200 Staaten oder Nationen tatsächlich gemeinsam ein Leben in Würde führen
können. (Prof. Galtung)
Heute erleben wir eine Globalisierung, die allein von Männern betrieben wird. Im
engeren Sinne sind es wiederum die Weißen und die Oberschicht, vor allem die
wirtschaftliche Oberschicht. Diese wiederum erhält Unterstützung durch die
militärische und politische Klasse. Das hat keine Zukunft, weil es zunehmend zu
struktureller Gewalt kommen wird. Tatsache ist: 125 000 Menschen sterben heute
Tag für Tag - 25 000 weil sie verhungern und 100 000 weil sie an Krankheiten
leiden, die nicht geheilt werden können, weil sie kein Geld haben. In einem
kapitalistischen System wird ja praktisch alles kapitalisiert, alles wird zu
Geld und Kapital gemacht, auch mit Hilfe des Staatsapparates. Wer also über kein
Geld verfügt, fallt aus dem System der Globalisierung heraus.
Globale Gerechtigkeit ist machbar
Eine globale Durchsetzung von Gerechtigkeitsansprüchen wird in naher Zukunft
kaum möglich sein. Denn die entscheidenden Akteure der Weltpolitik sind keine
Individuen, sondern Nationalstaaten. Und diese betreiben Politik vornehmlich im
Sinne der Machtmehrung oder -erhaltung. Das vorhandene Völkerrecht und die
existierenden globalen Institutionen sind demgegenüber ausgebildet und kaum in
der Lage, globale Gerechtigkeit gegen das Streben nationaler Staaten zu fördern.
Unabhängig davon sind aber die ersten Schritte auf dem Weg zu einer gerechten
globalen Ordnung getan. Internationales Recht, Menschenrechtspolitik und das
System der Vereinten Nationen haben bedeutende Fortschritte erzielen können.
Noch ist viel zu tun..
Das Weltvolk wächst rasant
In Zukunft wird vor allem die Bevölkerung der weltweit 5o ärmsten Länder
wachsen. Für das Jahr 2050 sagen die UN 9,2 Mrd. (mittlere Variante) Menschen
voraus. Das bedeutet einen Zuwachs von 2,5 Mrd. Menschen - heute sind es 6,7
Mrd. Das Bevölkerungswachstum findet ausschließlich in den Entwicklungsländern
statt. Dort wird die Bevölkerung in den nächsten 42 Jahren von 5,4 auf 7,9 Mrd.
Menschen anwachsen. In den Industriestaaten bleibt die Bevölkerungszahl bei etwa
1,2 Mrd. nahezu konstant. Europa wird alt und seine Bevölkerung schrumpft.
Weltweit wird sich die Anzahl der Personen im Alter von über 60 Jahren bis 2o50
von 673 Mio. auf 2 Mrd. verdreifachen. In den Industrieländern wird der Anteil
der über 60-jährigen von 20 auf 33 Prozent im Jahr 2050 steigen. Auf jedes Kind
kommen dann mehr als zwei Personen über sechzig. Europa wird bis 2050 um 67 Mio.
Menschen schrumpfen. Schon heute kennen 28 Industrienationen auf Grund niedriger
Geburtenraten einen Bevölkerungsrückgang nur durch die Aufnahme von Migranten
verhindern, Auch Deutschland gehört mit jährlich 130 000 Einwohnern zu dieser
Gruppe.
Der Hunger in der Welt
Derzeit hungern 854 Millionen Menschen, davon 206 Mio. In Afrika. Bei 854 Mio.
hungernden Menschen ist der Frieden global bedroht und dabei stellt sich die
Frage:: Was tut und was macht die Weltgemeinschaft dagegen? Schon 1974 gelobte
die Welternährungskonferenz den Hunger binnen 10 Jahren zu bannen. Der
Folgegipfel 1996 war schon kleinlauter und proklamierte die Zahl der Hungernden
bis 2015 zu halbieren. Ein Versprechen, das im Jahr 2000 als Millenniumsziel der
UN festgeschrieben wurde. Doch auch damit wird es wohl nichts werden. Im Kampf
gegen den Hunger sind die UN bislang grandios gescheitert, obwohl sie den
Anspruch auf eine angemessene Ernährung als Menschenrecht im Sozialpakt
verankert haben.
Finanzielle Hilfen, die das Überleben sichern, sind immer, an jedem Ort, zu
jeder Zeit wichtig, sie schaffen aber den Hunger nicht aus der Welt.
Ernährungssicherheit für alle ist nur mit einem mutigen Politikwechsel zu
erreichen. So lange reiche Länder, wie die USA und die EU ihre Agrarsubventionen
gegen Kritiker armer Staaten verteidigen und neoliberale Konzepte des freiem
Welthandels, der Privatisierung und einer Export-Landwirtschaft aufrecht
erhalten werden, ändert sich nichts. Eine Politik, von der in den vergangenen
drei Jahrzehnten nur die Industrieländer und Agrarmultis profitiert haben, die
heute die globale Produktion und den Handel mit Rohstoffen dominieren. Verloren
haben die Armen der Welt, die auf Drängen von Internationalem Währungsfonds,
Welthandelsorganisationen und Weltbank, Zölle und andere Handelsschranken für
Doping-Exporte aus dem Norden abbauen mussten. Es ist der wahre Skandal, dass
die Industrieländer mit hochsubventionierten Agrar-Exporten die regionalen und
lokalen Märkte ruinieren. Millionen Kleinbauern haben keine Chance mehr. Wer den
Welthunger erfolgreich bekämpfen will, muss diese Abhängigkeit kappen und mit
vollen Händen in die nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft in armen Staaten
investieren.
Markt und Freihandel werden die Menschen auch in Zukunft nicht satt machen. Wir
brauchen gerechte Strukturen, einen fairen Handel und eine starke Institution,
die global für einen Ausgleich der Interessen sorgt und den Kampf gegen den
Hunger strategisch angeht.
Tödlicher Mangel
Alle 15 Sekunden stirbt ein Kind auf der Welt, weil es unzureichend mit sauberem
Wasser versorgt ist. Aus dem selben Grund verlieren jährlich sechs Millionen
Menschen ihr Augenlicht.
Zur Jahrtausendwende war ein sechstel der Weltbevölkerung, das sind rund 1,1
Mrd. Menschen, ohne Zugang zu sauberem Wasser; 2,4 Mrd. Frauen und Männern
fehlten sanitäre Einrichtungen.
Die Folgen der Unterversorgung sind erschreckend. Durchschnittlich vier Mrd.
Fälle von Durchfallerkrankungen lassen jedes Jahr 2,2 Mio. Menschen sterben. Die
meisten Opfer sind Kinder, die jünger sind als fünf Jahre. "Das ist ein Kind
alle 15 Sekunden", rechnet die Weltgesundheitsorganisation vor. Fünfzehn Prozent
aller toten Kinder in Entwicklungsländer seien an Wassermangel gestorben.
Das Lebensmittel Nr. 1 fehlt am meisten in Afrika und Asien. Zwei von fünf
Afrikanern sind betroffen. Eine besonders gebeutelte Region ist südlich der
Sahara. Dreiundvierzig Prozent der Bevölkerung müsse dort nach Berechnungen des
Kinderhilfswerkes der UN ohne sauberes Trinkwasser auskommen. Jedes 5. Kind
stirbt vor seinem fünften Lebensjahr. In Asien leben 2/3 der Menschen, die ohne
sauberes Wasser und 4/5 derjenigen, die ohne sanitäre Anlagen auskommen müssen.
Probleme gibt es nicht nur in Wüsten und sonstigen Trockengebieten. Wasser
überall, aber keinen Tropfen zu trinken, so formuliert es die
Weltgesundheitsorganisation. Denn selbst Städte, durch die Flüsse täglich
riesige Wassermengen transportieren, haben zu leiden, weil das Wasser
verschmutzt ist.
Kriege und bewaffnete Konflikte
Not, Elend, Hunger, Krankheit sind für Millionen Menschen tägliche Realität.
Dagegen werden von den Industrienationen täglich 200 Dollar pro Kopf der
Weltbevölkerung für Waffen und Kriegsgerät ausgegeben.
Nach 1945 sind weltweit mehr als 200 Kriege geführt worden Die Mehrzahl davon
waren Bürgerkriege postkolonialen oder revolutionären Charakters; nur etwa ein
Viertel entsprach dem klassischen Typ des zwischenstaatlichen Krieges.
Zur Zeit finden weltweit über 40 Konflikte statt. Diese sind Teil der
globalisierten Welt. Wir finden sie in Europa ebenso wie in der ehemaligen
Sowjetunion, in Asien, Afrika und Lateinamerika. Für das 21. Jahrhundert wird
außerdem mit einer erheblichen Zunahme von Umweltkonflikten zu rechnen sein.
Diese werden durch die Verschiebung von bewohnbaren Zonen, in der Wanderung von
Anbauzonen, im Vorrücken von Wüsten und Verknappungen von Wasser auf der einen
und Überflutungen auf der anderen Seite entstehen. Dadurch sind die bestehenden
Balancen des geomacht- und ressourcenpolitischen Spannungsfeldes berührt.
Deshalb ist davon auszugehen, dass in Folge des Klimawandels ein
Konfliktpotenzial entstehen und es in vielen Fällen zu gewaltsamen Lösungen
kommen wird, wie das bereits heute der Fall ist.
Der Traum vom Weltfrieden 1989 ist geplatzt.
Es gibt bis heute eine tief sitzende Enttäuschung über den Gang der Dinge seit
der Gezeitenwende von 1989, als die friedliche Revolution in Mittel- und
Osteuropa zum Ende der bipolaren Welt führte, in der ein perverses Gleichgewicht
des Schreckens für eine prekäre Stabilität sorgte. Damals ging die Hoffnung auf
ein Zeitalter des ewigen Friedens um, in dem Krieg^als Mittel der Politik
verschwindet.
Mit den Kriegen auf dem Balkan (Jugoslawien), den Kriegen im Irak wurden wir
eines besseren belehrt, und dazu kam der 11. September. Dadurch erfolgte in der
öffentlichen Wahrnehmung eine Wende, wobei durch die drei meist beschworenen
Bedrohungen die friedenspolitischen Perspektiven verstellt wurden.
Transnationaler Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und
der Zerfall von Staatlichkeit rückten ins Visier der internationalen
Sicherheitsstrategen, weil man meinte, ihnen vor allem militärisch begegnen zu
können. Sie sind jedoch nur ein Teil der heutigen globalen Bedrohungen. Will man
wirkungsvolle Friedensstrategien entwickeln, muss der Blick geöffnet werden für
alle Gefährdungen, die das Leben und Wohlergehen der Menschen bedrohen: Hunger
und Armut, wirtschaftliche Ungleichheit und politische Ungerechtigkeit,
konfliktverschärfende Gewaltökonomien, gewaltsame Vertreibungen, Epidemien,
Ressourcenknappheit, sowie die vielfaltigen ökologischen Gefahrdungen,
insbesondere der Klimawandel.
Die leidvollen Erfahrungen Alt-Europas
In Europa haben die Erfahrungen zweier Weltkriege den Krieg als Mittel der
Politik diskreditiert. Dies begünstigte zusammen mit der äußeren Bedrohung im
Ost-West-Konflikt und dem Machtverlust der Nationalstaaten im
Globalisierungsprozess die europäische Einigung. Sie zielte darauf, durch
ökonomische und politische Integration nationale Feindschaften und Rivalitäten
zu überwinden und die wirtschaftliche Entwicklung zu fordern. Die so entstandene
europäische Integration gilt mit Recht als erfolgreiches Friedensprojekt und
prägt die europäische Einstellung zur militärischen Gewalt.
Nun mussten wir in den vergangenen Jahren, insbesondere im Rahmen der Diskussion
über den Verfassungsentwurf zur Kenntnis nehmen, dass sich die EU auf das
umstrittene Terrain der außen- und sicherheitspolitischen Strategiebildung
begeben hat. Dabei wurde nach vielen Kompromissen eine Bedrohungsanalyse
erstellt, die mit ihrer Akzentuierung von Terrorismus, Massenvernichtungswaffen,
Staatszerfall und Kriminalität zu eng ist, um den komplexen Herausforderungen
der Globalisierung und den verschiedenen Sicherheitsbedrohungen, wie sie etwa
der Millenniumsreport der UN beschreibt, gerecht zu werden. So wird Sicherheit
von der EU in einem eng militärischen Sinne als Voraussetzung für Entwicklung
definiert, während die umgekehrte Blickrichtung, die soziale, ökonomische und
rechtliche Entwicklungsfaktoren zum Ausgangspunkt für Sicherheit, unterbelichtet
bleibt. Auch die Logik dieser Analyse verwischt zudem die klare Trennung
zwischen zivilen und militärischen Instrumenten in der Krisenprävention.
Vielmehr findet de facto eine Prioritätensetzung zugunsten Militärischer
Ressourcen und Kapazitäten statt. So fehlt auch eine eindeutige Aussage,
militärische Interventionen als Ultima Ratio zu betrachten. Diese Politik ist
Fakt, auch ohne Verfassung oder was daraus noch wird und zeigt sich auch an der
Beschaffung von Waffen. So beläuft sich das jährliche Budget in den
Verteidigungshaushalten der EU-Mitgliedsländer zusammengenommen auf ungefähr 20
Mrd. Euro.
Ohne Krisenprävention kein stabiler Frieden.
Strukturelle Konfliktursachen abzubauen ist der langfristig wirksamste Beitrag
zur Verbesserung globaler Sicherheit. Dies macht weder militärische Maßnahmen
als Ultima Ratio in akuten Notlagen überflüssig, noch die notwendige Vorsorge
obsolet, um terroristische Bedrohungen abzuwehren und die Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen zu unterbinden. Eine umfassende Friedensstrategie aber
orientiert sich an Sicherheit und Wohlergehen aller Menschen und leitet zum
Handeln an, bevor Ordnungen zerfallen, Faustrecht, Selbstjustiz und Vergeltung
die Oberhand gewinnen oder Menschen ihrer fundamentalen Lebensgrundlagen beraubt
werden. Mehr denn je ist es heute an der Zeit, eine solche Umorientierung für
eine internationale Friedenspolitik voranzutreiben.
Das neue Wettrüsten
Der Stillstand in den internationalen Abrüstungsverhandlungen ist schwerwiegend.
Dagegen boomt die Rüstungsindustrie: Die weltweiten Militärausgaben haben 2007
eine neue Rekordhöhe erreicht. Das Militär verschlingt 2,5 Prozent des globalen
Sozialprodukts. Erstmals lagen 2007 die Pro-Kopf-Ausgaben der Weltbevölkerung
für Rüstungsgüter über 200 Dollar. Dieses Bild zeichnet das Stockholmer
Friedensforschungsinstitut Sipri. Zum Vergleich: Für die Verwirklichung der von
den UN ausgegebenen Millenniumsziele zur Halbierung der Armut, wären jährlich
ca. 2 Dollar pro Erdenbürger nötig. Der globale Rüstungsaufwand wird auf 1339
Millionen Dollar (858 Milliarden Euro) beziffert. Das ist eine Steigerung um 6
Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gegenüber 1998, als man noch an eine
"Friedensdividende" nach dem Ende des kalten Krieges glaubte, ist es sogar eine
Steigerung um 45 Prozent. Mit einem Anteil von 45 Prozent stehen die USA für
fast die Hälfte der globalisierten Militärausgaben.
Rüstungsausgaben 2007 in Milliarden Dollar
USA 547,0, Großbritannien 59,8, China 58,4, Japan 44,0 und Deutschland 28,4
(2008 =29,45)
Waffenhandel - ein gutes Geschäft
Wert der Waffenexporte 2007 in Millionen Dollar. USA 7454, Russland 4588,
Deutschland 3395, Frankreich 2590, Niederlande 1355, Großbritannien 1151
Verheerende Wirkungen
Gemessen am Ausmaß der weltweiten Armut ist die Konzentration auf nationale
militärische Sicherheit falsch und nicht vertretbar. Doch wird insbesondere die
Regierung der USA von ihrem Hauptaugenmerk auf militärische Bereitschaft nicht
ablassen. Insgesamt hat sich die Sichtweise der sicherheitspolitischen Ziele und
Prioritäten in der Weltöffentlichkeit verändert und diese Sichtweise wird
insbesondere auf die menschliche Entwicklung, die menschliche Sicherheit und den
Kampf gegen die Armut verheerende Auswirkungen haben. Allein die Bemühungen um
angemessene und nachhaltige Lebensverhältnisse für die mehr als eine Milliarde
Menschen in der Welt werden zu kurz kommen. In den 30 OECD-Mitgliedstaaten
belief sich die Summe der Militärausgaben auf 891 Milliarden US-Dollar während
für Entwicklungshilfe lediglich 104 Milliarden US-Dollar ausgegeben wurden.
Diese Zahlen spiegeln die Prioritäten derjenigen wider, die an den Schalthebeln
der Macht sitzen. Diese Schwerpunktsetzung ist falsch, denn sie gibt - auf
Kosten der Sicherheit eines größeren Teils der Menschheit - einem sehr eng
gesetzten Begriff von nationaler Sicherheit den Vorrang.
Asien meldet sich zurück - der Aufstieg Indiens und Chinas
Der Umbruch in der Weltordnung von 1989 wurde flankiert durch eine große, bis
heute anhaltende Debatte über den Prozess der Globalisierung. In ihrem Zentrum
steht die Analyse der Beschleunigung grenzüberschreitender ökonomischer, aber
auch politischer, sozialer und kultureller Prozesse im Verlauf der vergangenen
Dekaden.
Der 11. September 2001 markiert eine weitere wesentliche Landmarke der
internationalen Entwicklung nach dem Fall der Mauer. Er symbolisiert, dass der
Zusammenbruch von Staaten und Gesellschaften grenzüberschreitende Gewaltprozesse
nicht-staatlicher Gruppen und die Herausbildung transnationaler Terrorbewegungen
genauso zur Globalisierung gehören, wie die Internationalisierung der
Finanzmärkte. Für diese Entwicklung hat bisher die Politik keine wirkungsvollen
Antworten gefunden.
China und Indien betrieben in den vergangenen Jahren eine merkantüistische
Politik, mit dem Ziel, die Industrialisierung durch Export zu fördern und die
allmähliche Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft selbst zu steuern
und damit haben sie sich bis heute nicht den westlichen Kriterien der
Globalisierung unterworfen. Mit diesem grundlegenden Wandel gewinnt Asien
innerhalb der globalen Finanz- und Weltwirtschaft die zentrale Stellung zurück,
die der Region vor dem Zeitalter der Kolonialisierung und der europäischen
industriellen Revolution zukam. China und Indien waren damals die beiden
zentralen Regionen der Weltwirtschaft. Die rasche Integration der beiden
asiatischen Giganten in der Weltwirtschaft beschleunigt die Globalisierung noch
einmal enorm und wird die globalen Machtverhältnisse in den kommenden zwei, drei
Dekaden signifikant verändern. Machtverschiebungen in Richtung Asien deuten sich
an, ein System "turbulenter Multipolarität" entsteht, an dessen Endpunkt mit
hoher Wahrscheinlichkeit die gültige Dominanz des Westens in der Welt an ihr
Ende gerät. Dabei erhebt sich die Frage, in wie weit die USA und der Westen
diese Machtverschiebung akzeptieren oder aber ein Konflikt unvermeidlich wird."
Am Ende dürfte aber eine Neuordnung des globalen Machtgefüges internationaler
Ordnung stehen. Neben den Interessen der OECD-Welt werden auch die
Gestaltungsansprüche der "Asian Drivers of global Change" und weiterer
asiatischer Länder stehen. Diese neue Machtkonstellation könnte jedoch auch eine
fragmentierte, durch ungezügelten Machtwettbewerb charakterisierte, instabilere
und konfliktreichere Weltordnung sein.
Im Zusammenhang dieser globalen Machtverschiebung entscheidet sich auch die
Zukunft des Weltklimas. Misslingt der Versuch, die globale Erwärmung durch eine
wirksame weltweite Klimapolitik auf zwei Grad Celsius zu begrenzen und setzt
sich der "Business as usual Trend" der Emittierung von Treibhausgasen fort,
dürfte die globale Erwärmung gegen Ende des 21. Jahrhunderts irgendwo zwischen
3,5 und 6 Grad liegen. Klimaforscher warnen, dass ab einer Erwärmung von um die
4 Grad "Kipp Punkte" im globalen Ökosystem erreicht werden könnten, die die
Wahrscheinlichkeit des Kollaps kompletter Naturraumsysteme erhöhen.
Der hemmungslose Einsatz unserer übermächtigen Technik hat weltweite
Umweltzerstörung zur Folge.
Unser
Wirtschaftssystem (freie Marktwirtschaft genannt) fordert und fördert diesen
hemmungslosen Einsatz und ist darum ethisch nicht vertretbar.
Unser
Wirtschaftssystem ist nicht in der Lage, allen Menschen Wohlstand zu
bringen. Es verfehlt damit die Erfüllung seiner Verheißung. Es macht zwar
die Reichen reicher, zugleich aber die Armen ärmer.
Unsere
Wirtschaft ist somit nicht nur ökologisch, sondern auch sozial unverträglich.
Sie zerstört ihre eigenen Grundlagen.
Der
Zerstörung kann nicht durch eine als umweltfreundlich bezeichnete Technik
begegnet werden, zumindest nicht, solange diese dann ebenso hemmungslos
eingesetzt wird.
Soll die
vielfältige Zerstörung aufgehalten werden, so bedarf es einer tiefgreifenden
Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen. Von grundlegender Bedeutung ist
das ethische Gebot eines äußerst behutsamen Einsatzes der Technik.
Die
heutige Wirtschaft ist eine "Megamaschine", die unserer Erde jährlich steigende
Mengen an Ressourcen entreißt und diese letztendlich in Berge von Müll und
unzählige Schadstoffe in Luft, Wasser und Erde umwandelt. Permanentes
Wirtschaftswachstum ist darum ein grundsätzlich verkehrtes Ziel.
Die -
heute so bejubelte- Globalisierung bedeutet vermehrten internationalen
Wettbewerb im globalen Zerstörungswerk.
Mindestforderung an eine sozial verträgliche Wirtschaft muß sein, die zum Leben
unbedingten Güter allen Menschen verfügbar zu machen, ohne die Würde des
Menschen zu verletzen. Darüber hinaus kann grundsätzlich nur so viel an Gütern
verfügbar sein, wie ökologisch tragbar ist. Verschwendung ist unverantwortbar.
Überleben
aller muss Vorrang haben vor einem immer besseren Leben für wenige.
Unsere
Wirtschaft erhebt den Anspruch, unsere Welt immer weiter noch zu vervollkommnen,
indem sie der unübersehbaren Menge an Gütern immer noch weitere hinzufügt.
Besser wäre eine Orientierung an dem Satz von Saint-Exupery:" Eine Sache ist
nicht dann vollkommen, wenn man ihr nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn
man nichts mehr weglassen kann." Erst innerhalb einer solchen Orientierung
könnte Behutsamkeit, vielleicht die höchste und wichtigste der Tugenden, in
einer Welt voll von übermächtiger Technik zu einem erstrebenswerten Ideal
werden.
Von den
Mächten , die uns zu hemmungslosem Einsatz der Technik animieren und uns blind
machen gegen die weltweite Zerstörung der Schöpfung, ist die Werbung eine der
stärksten und zugleich der am wenigsten wahrgenommenen. Sie spiegelt uns eine
heile Welt vor, die durch Technik ständig weiter vervollkommnet wird und in der
wir unbesorgt verschwenden können. Die Werbung zu zügeln, ist darum eine hohe
ethische Forderung.
Uracher Seminarist 1936/37, 1969-1989 Vorstand des Instituts für
Physikalische Chemie der Technischen Universität Wien. Das Folgende zitiert aus
dem Schlusswort des Buches "
Umweltethik" (Wien 2001)