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Papstrede vom 12.09.2006 in Regensburg und Presseecho

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Inhalt

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Inhaltsverzeichnis


APOSTOLISCHE REISE VON PAPST BENEDIKT XVI.
NACH MÜNCHEN, ALTÖTTING UND REGENSBURG
(9.-14. SEPTEMBER 2006)

TREFFEN MIT DEN VERTRETERN
AUS DEM BEREICH DER WISSENSCHAFTEN

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Aula Magna der Universität Regensburg
Dienstag, 12. September 2006

 

Glaube, Vernunft und Universität.
Erinnerungen und Reflexionen.

Eminenzen, Magnifizenzen, Exzellenzen,
verehrte Damen und Herren!

Es ist für mich ein bewegender Augenblick, noch einmal in der Universität zu sein und noch einmal eine Vorlesung halten zu dürfen. Meine Gedanken gehen dabei zurück in die Jahre, in denen ich an der Universität Bonn nach einer schönen Periode an der Freisinger Hochschule meine Tätigkeit als akademischer Lehrer aufgenommen habe. Es war – 1959 – noch die Zeit der alten Ordinarien-Universität. Für die einzelnen Lehrstühle gab es weder Assistenten noch Schreibkräfte, dafür aber gab es eine sehr unmittelbare Begegnung mit den Studenten und vor allem auch der Professoren untereinander. In den Dozentenräumen traf man sich vor und nach den Vorlesungen. Die Kontakte mit den Historikern, den Philosophen, den Philologen und natürlich auch zwischen beiden Theologischen Fakultäten waren sehr lebendig. Es gab jedes Semester einen sogenannten Dies academicus, an dem sich Professoren aller Fakultäten den Studenten der gesamten Universität vorstellten und so ein Erleben von Universitas möglich wurde – auf das Sie, Magnifizenz, auch gerade hingewiesen haben – die Erfahrung nämlich, daß wir in allen Spezialisierungen, die uns manchmal sprachlos füreinander machen, doch ein Ganzes bilden und im Ganzen der einen Vernunft mit all ihren Dimensionen arbeiten und so auch in einer gemeinschaftlichen Verantwortung für den rechten Gebrauch der Vernunft stehen – das wurde erlebbar. Die Universität war auch durchaus stolz auf ihre beiden Theologischen Fakultäten. Es war klar, daß auch sie, indem sie nach der Vernunft des Glaubens fragen, eine Arbeit tun, die notwendig zum Ganzen der Universitas scientiarum gehört, auch wenn nicht alle den Glauben teilen konnten, um dessen Zuordnung zur gemeinsamen Vernunft sich die Theologen mühen. Dieser innere Zusammenhalt im Kosmos der Vernunft wurde auch nicht gestört, als einmal verlautete, einer der Kollegen habe geäußert, an unserer Universität gebe es etwas Merkwürdiges: zwei Fakultäten, die sich mit etwas befaßten, was es gar nicht gebe – mit Gott. Daß es auch solch radikaler Skepsis gegenüber notwendig und vernünftig bleibt, mit der Vernunft nach Gott zu fragen und es im Zusammenhang der Überlieferung des christlichen Glaubens zu tun, war im Ganzen der Universität unbestritten.

All dies ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich kürzlich den von Professor Theodore Khoury (Münster) herausgegebenen Teil des Dialogs las, den der gelehrte byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos wohl 1391 im Winterlager zu Ankara mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit führte.[1] Der Kaiser hat vermutlich während der Belagerung von Konstantinopel zwischen 1394 und 1402 den Dialog aufgezeichnet; so versteht man auch, daß seine eigenen Ausführungen sehr viel ausführlicher wiedergegeben sind, als die seines persischen Gesprächspartners.[2] Der Dialog erstreckt sich über den ganzen Bereich des von Bibel und Koran umschriebenen Glaubensgefüges und kreist besonders um das Gottes- und das Menschenbild, aber auch immer wieder notwendigerweise um das Verhältnis der, wie man sagte, "drei Gesetze" oder "drei Lebensordnungen": Altes Testament – Neues Testament – Koran. Jetzt, in dieser Vorlesung möchte ich darüber nicht handeln, nur einen – im Aufbau des ganzen Dialogs eher marginalen – Punkt berühren, der mich im Zusammenhang des Themas Glaube und Vernunft fasziniert hat und der mir als Ausgangspunkt für meine Überlegungen zu diesem Thema dient.

In der von Professor Khoury herausgegebenen siebten Gesprächsrunde (διάλεξις  – Kontroverse) kommt der Kaiser auf das Thema des Djihād, des heiligen Krieges zu sprechen. Der Kaiser wußte sicher, daß in Sure 2, 256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen – es ist wohl eine der frühen Suren aus der Zeit, wie uns ein Teil der Kenner sagt, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Aber der Kaiser kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen – Bestimmungen über den heiligen Krieg. Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche Behandlung von "Schriftbesitzern" und "Ungläubigen" einzulassen, wendet er sich in erstaunlich schroffer, für uns unannehmbar schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten".[3] Der Kaiser begründet, nachdem er so zugeschlagen hat, dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. "Gott hat kein Gefallen am Blut”, sagt er, "und nicht vernunftgemäß, nicht "σὺν λόγω” zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung… Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann...".[4]

Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.[5] Der Herausgeber, Theodore Khoury, kommentiert dazu: Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner ist dieser Satz evident. Für die moslemische Lehre hingegen ist Gott absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit.[6] Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten französischen Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, daß Ibn Hazm so weit gehe zu erklären, daß Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und daß nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Götzendienst treiben.[7]

An dieser Stelle tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert. Ist es nur griechisch zu glauben, daß vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das immer und in sich selbst? Ich denke, daß an dieser Stelle der tiefe Einklang zwischen dem, was im besten Sinn griechisch ist, und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben sichtbar wird. Den ersten Vers der Genesis, den ersten Vers der Heiligen Schrift überhaupt abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums mit dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. Dies ist genau das Wort, das der Kaiser gebraucht: Gott handelt "σὺν λόγω”, mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft. Johannes hat uns damit das abschließende Wort des biblischen Gottesbegriffs geschenkt, in dem alle die oft mühsamen und verschlungenen Wege des biblischen Glaubens an ihr Ziel kommen und ihre Synthese finden. Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der Evangelist. Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des griechischen Denkens war kein Zufall. Die Vision des heiligen Paulus, dem sich die Wege in Asien verschlossen und der nächtens in einem Gesicht einen Mazedonier sah und ihn rufen hörte: Komm herüber und hilf uns (Apg 16, 6 – 10) – diese Vision darf als Verdichtung des von innen her nötigen Aufeinanderzugehens zwischen biblischem Glauben und griechischem Fragen gedeutet werden.

Dabei war dieses Zugehen längst im Gang. Schon der geheimnisvolle Gottesname vom brennenden Dornbusch, der diesen Gott aus den Göttern mit den vielen Namen herausnimmt und von ihm einfach das "Ich bin", das Dasein aussagt, ist eine Bestreitung des Mythos, zu der der sokratische Versuch, den Mythos zu überwinden und zu übersteigen, in einer inneren Analogie steht.[8] Der am Dornbusch begonnene Prozeß kommt im Innern des Alten Testaments zu einer neuen Reife während des Exils, wo nun der landlos und kultlos gewordene Gott Israels sich als den Gott des Himmels und der Erde verkündet und sich mit einer einfachen, das Dornbusch-Wort weiterführenden Formel vorstellt: "Ich bin’s." Mit diesem neuen Erkennen Gottes geht eine Art von Aufklärung Hand in Hand, die sich im Spott über die Götter drastisch ausdrückt, die nur Machwerke der Menschen seien (vgl. Ps 115). So geht der biblische Glaube in der hellenistischen Epoche bei aller Schärfe des Gegensatzes zu den hellenistischen Herrschern, die die Angleichung an die griechische Lebensweise und ihren Götterkult erzwingen wollten, dem Besten des griechischen Denkens von innen her entgegen zu einer gegenseitigen Berührung, wie sie sich dann besonders in der späten Weisheits-Literatur vollzogen hat. Heute wissen wir, daß die in Alexandrien entstandene griechische Übersetzung des Alten Testaments – die Septuaginta – mehr als eine bloße (vielleicht sogar wenig positiv zu beurteilende) Übersetzung des hebräischen Textes, nämlich ein selbständiger Textzeuge und ein eigener wichtiger Schritt der Offenbarungsgeschichte ist, in dem sich diese Begegnung auf eine Weise realisiert hat, die für die Entstehung des Christentums und seine Verbreitung entscheidende Bedeutung gewann.[9] Zutiefst geht es dabei um die Begegnung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen rechter Aufklärung und Religion. Manuel II. hat wirklich aus dem inneren Wesen des christlichen Glaubens heraus und zugleich aus dem Wesen des Griechischen, das sich mit dem Glauben verschmolzen hatte, sagen können: Nicht "mit dem Logos" handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.

Hier ist der Redlichkeit halber anzumerken, daß sich im Spätmittelalter Tendenzen der Theologie entwickelt haben, die diese Synthese von Griechischem und Christlichem aufsprengen. Gegenüber dem sogenannten augustinischen und thomistischen Intellektualismus beginnt bei Duns Scotus eine Position des Voluntarismus, die schließlich in den weiteren Entwicklungen dahinführte zu sagen, wir kennten von Gott nur seine Voluntas ordinata. Jenseits davon gebe es die Freiheit Gottes, kraft derer er auch das Gegenteil von allem, was er getan hat, hätte machen und tun können. Hier zeichnen sich Positionen ab, die denen von Ibn Hazm durchaus nahekommen können und auf das Bild eines Willkür-Gottes zulaufen könnten, der auch nicht an die Wahrheit und an das Gute gebunden ist. Die Transzendenz und die Andersheit Gottes werden so weit übersteigert, daß auch unsere Vernunft, unser Sinn für das Wahre und Gute kein wirklicher Spiegel Gottes mehr sind, dessen abgründige Möglichkeiten hinter seinen tatsächlichen Entscheiden für uns ewig unzugänglich und verborgen bleiben. Demgegenüber hat der kirchliche Glaube immer daran festgehalten, daß es zwischen Gott und uns, zwischen seinem ewigen Schöpfergeist und unserer geschaffenen Vernunft eine wirkliche Analogie gibt, in der zwar – wie das Vierte Laterankonzil 1215 sagt – die Unähnlichkeiten unendlich größer sind als die Ähnlichkeiten, aber eben doch die Analogie und ihre Sprache nicht aufgehoben werden. Gott wird nicht göttlicher dadurch, daß wir ihn in einen reinen und undurchschaubaren Voluntarismus entrücken, sondern der wahrhaft göttliche Gott ist der Gott, der sich als Logos gezeigt und als Logos liebend für uns gehandelt hat. Gewiß, die Liebe "übersteigt", wie Paulus sagt, die Erkenntnis und vermag daher mehr wahrzunehmen als das bloße Denken (vgl. Eph 3, 19), aber sie bleibt doch Liebe des Gottes-Logos, weshalb christlicher Gottesdienst, wie noch einmal Paulus sagt, "λογικη λατρεία" ist – Gottesdienst, der im Einklang mit dem ewigen Wort und mit unserer Vernunft steht (vgl. Röm 12, 1).[10]

Dieses hier angedeutete innere Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in die Pflicht nimmt. Wenn man diese Begegnung sieht, ist es nicht verwunderlich, daß das Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat. Wir können auch umgekehrt sagen: Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann.

Der These, daß das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört, steht die Forderung nach der Enthellenisierung des Christentums entgegen, die seit dem Beginn der Neuzeit wachsend das theologische Ringen beherrscht. Wenn man näher zusieht, kann man drei Wellen des Enthellenisierungsprogramms beobachten, die zwar miteinander verbunden, aber in ihren Begründungen und Zielen doch deutlich voneinander verschieden sind.[11]

Die Enthellenisierung erscheint zuerst mit den Anliegen der Reformation des 16. Jahrhunderts verknüpft. Die Reformatoren sahen sich angesichts der theologischen Schultradition einer ganz von der Philosophie her bestimmten Systematisierung des Glaubens gegenüber, sozusagen einer Fremdbestimmung des Glaubens durch ein nicht aus ihm kommendes Denken. Der Glaube erschien dabei nicht mehr als lebendiges geschichtliches Wort, sondern eingehaust in ein philosophisches System. Das Sola Scriptura sucht demgegenüber die reine Urgestalt des Glaubens, wie er im biblischen Wort ursprünglich da ist. Metaphysik erscheint als eine Vorgabe von anderswoher, von der man den Glauben befreien muß, damit er ganz wieder er selber sein könne. In einer für die Reformatoren nicht vorhersehbaren Radikalität hat Kant mit seiner Aussage, er habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben Platz zu machen, aus diesem Programm heraus gehandelt. Er hat dabei den Glauben ausschließlich in der praktischen Vernunft verankert und ihm den Zugang zum Ganzen der Wirklichkeit abgesprochen.

Die liberale Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts brachte eine zweite Welle im Programm der Enthellenisierung mit sich, für die Adolf von Harnack als herausragender Repräsentant steht. In der Zeit, als ich studierte, wie in den frühen Jahren meines akademischen Wirkens war dieses Programm auch in der katholischen Theologie kräftig am Werk. Pascals Unterscheidung zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs diente als Ausgangspunkt dafür. In meiner Bonner Antrittsvorlesung von 1959 habe ich mich damit auseinanderzusetzen versucht,[12] und möchte dies alles hier nicht neu aufnehmen. Wohl aber möchte ich wenigstens in aller Kürze versuchen, das unterscheidend Neue dieser zweiten Enthellenisierungswelle gegenüber der ersten herauszustellen. Als Kerngedanke erscheint bei Harnack die Rückkehr zum einfachen Menschen Jesus und zu seiner einfachen Botschaft, die allen Theologisierungen und eben auch Hellenisierungen voraus liege: Diese einfache Botschaft stelle die wirkliche Höhe der religiösen Entwicklung der Menschheit dar. Jesus habe den Kult zugunsten der Moral verabschiedet. Er wird im letzten als Vater einer menschenfreundlichen moralischen Botschaft dargestellt. Dabei geht es Harnack im Grunde darum, das Christentum wieder mit der modernen Vernunft in Einklang zu bringen, eben indem man es von scheinbar philosophischen und theologischen Elementen wie etwa dem Glauben an die Gottheit Christi und die Dreieinheit Gottes befreie. Insofern ordnet die historisch-kritische Auslegung des Neuen Testaments, wie er sie sah, die Theologie wieder neu in den Kosmos der Universität ein: Theologie ist für Harnack wesentlich historisch und so streng wissenschaftlich. Was sie auf dem Weg der Kritik über Jesus ermittelt, ist sozusagen Ausdruck der praktischen Vernunft und damit auch im Ganzen der Universität vertretbar. Im Hintergrund steht die neuzeitliche Selbstbeschränkung der Vernunft, wie sie in Kants Kritiken klassischen Ausdruck gefunden hatte, inzwischen aber vom naturwissenschaftlichen Denken weiter radikalisiert wurde. Diese moderne Auffassung der Vernunft beruht auf einer durch den technischen Erfolg bestätigten Synthese zwischen Platonismus (Cartesianismus) und Empirismus, um es verkürzt zu sagen. Auf der einen Seite wird die mathematische Struktur der Materie, sozusagen ihre innere Rationalität vorausgesetzt, die es möglich macht, sie in ihrer Wirkform zu verstehen und zu gebrauchen: Diese Grundvoraussetzung ist sozusagen das platonische Element im modernen Naturverständnis. Auf der anderen Seite geht es um die Funktionalisierbarkeit der Natur für unsere Zwecke, wobei die Möglichkeit der Verifizierung oder Falsifizierung im Experiment erst die entscheidende Gewißheit liefert. Das Gewicht zwischen den beiden Polen kann je nachdem mehr auf der einen oder der anderen Seite liegen. Ein so streng positivistischer Denker wie J. Monod hat sich als überzeugten Platoniker bezeichnet.

Dies bringt zwei für unsere Frage entscheidende Grundorientierungen mit sich. Nur die im Zusammenspiel von Mathematik und Empirie sich ergebende Form von Gewißheit gestattet es, von Wissenschaftlichkeit zu sprechen. Was Wissenschaft sein will, muß sich diesem Maßstab stellen. So versuchten dann auch die auf die menschlichen Dinge bezogenen Wissenschaften wie Geschichte, Psychologie, Soziologie, Philosophie, sich diesem Kanon von Wissenschaftlichkeit anzunähern. Wichtig für unsere Überlegungen ist aber noch, daß die Methode als solche die Gottesfrage ausschließt und sie als unwissenschaftliche oder vorwissenschaftliche Frage erscheinen läßt. Damit aber stehen wir vor einer Verkürzung des Radius von Wissenschaft und Vernunft, die in Frage gestellt werden muß.

Darauf werde ich zurückkommen. Einstweilen bleibt festzustellen, daß bei einem von dieser Sichtweise her bestimmten Versuch, Theologie "wissenschaftlich" zu erhalten, vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrigbleibt. Aber wir müssen mehr sagen: Wenn dies allein die ganze Wissenschaft ist, dann wird der Mensch selbst dabei verkürzt. Denn die eigentlich menschlichen Fragen, die nach unserem Woher und Wohin, die Fragen der Religion und des Ethos können dann nicht im Raum der gemeinsamen, von der so verstandenen "Wissenschaft" umschriebenen Vernunft Platz finden und müssen ins Subjektive verlegt werden. Das Subjekt entscheidet mit seinen Erfahrungen, was ihm religiös tragbar erscheint, und das subjektive "Gewissen" wird zur letztlich einzigen ethischen Instanz. So aber verlieren Ethos und Religion ihre gemeinschaftsbildende Kraft und verfallen der Beliebigkeit. Dieser Zustand ist für die Menschheit gefährlich: Wir sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft, die notwendig ausbrechen müssen, wo die Vernunft so verengt wird, daß ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören. Was an ethischen Versuchen von den Regeln der Evolution oder von Psychologie und Soziologie her bleibt, reicht einfach nicht aus.

Bevor ich zu den Schlußfolgerungen komme, auf die ich mit alledem hinaus will, muß ich noch kurz die dritte Enthellenisierungswelle andeuten, die zurzeit umgeht. Angesichts der Begegnung mit der Vielheit der Kulturen sagt man heute gern, die Synthese mit dem Griechentum, die sich in der alten Kirche vollzogen habe, sei eine erste Inkulturation des Christlichen gewesen, auf die man die anderen Kulturen nicht festlegen dürfe. Ihr Recht müsse es sein, hinter diese Inkulturation zurückzugehen auf die einfache Botschaft des Neuen Testaments, um sie in ihren Räumen jeweils neu zu inkulturieren. Diese These ist nicht einfach falsch, aber doch vergröbert und ungenau. Denn das Neue Testament ist griechisch geschrieben und trägt in sich selber die Berührung mit dem griechischen Geist, die in der vorangegangenen Entwicklung des Alten Testaments gereift war. Gewiß gibt es Schichten im Werdeprozeß der alten Kirche, die nicht in alle Kulturen eingehen müssen. Aber die Grundentscheidungen, die eben den Zusammenhang des Glaubens mit dem Suchen der menschlichen Vernunft betreffen, die gehören zu diesem Glauben selbst und sind seine ihm gemäße Entfaltung.

Damit komme ich zum Schluß. Die eben in ganz groben Zügen versuchte Selbstkritik der modernen Vernunft schließt ganz und gar nicht die Auffassung ein, man müsse nun wieder hinter die Aufklärung zurückgehen und die Einsichten der Moderne verabschieden. Das Große der modernen Geistesentwicklung wird ungeschmälert anerkannt: Wir alle sind dankbar für die großen Möglichkeiten, die sie dem Menschen erschlossen hat und für die Fortschritte an Menschlichkeit, die uns geschenkt wurden. Das Ethos der Wissenschaftlichkeit – Sie haben es angedeutet Magnifizenz – ist im übrigen Wille zum Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung, die zu den wesentlichen Entscheiden des Christlichen gehört. Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint, sondern um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs geht es. Denn bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen, und müssen uns fragen, wie wir ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf neue Weise zueinanderfinden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre ganze Weite wieder eröffnen. In diesem Sinn gehört Theologie nicht nur als historische und humanwissenschaftliche Disziplin, sondern als eigentliche Theologie, als Frage nach der Vernunft des Glaubens an die Universität und in ihren weiten Dialog der Wissenschaften hinein.

Nur so werden wir auch zum wirklichen Dialog der Kulturen und Religionen fähig, dessen wir so dringend bedürfen. In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr zugehörigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tief religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluß des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen angesehen. Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen. Dabei trägt, wie ich zu zeigen versuchte, die moderne naturwissenschaftliche Vernunft mit dem ihr innewohnenden platonischen Element eine Frage in sich, die über sie und ihre methodischen Möglichkeiten hinausweist. Sie selber muß die rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht. Aber die Frage, warum dies so ist, die besteht doch und muß von der Naturwissenschaft weitergegeben werden an andere Ebenen und Weisen des Denkens – an Philosophie und Theologie. Für die Philosophie und in anderer Weise für die Theologie ist das Hören auf die großen Erfahrungen und Einsichten der religiösen Traditionen der Menschheit, besonders aber des christlichen Glaubens, eine Erkenntnisquelle, der sich zu verweigern eine unzulässige Verengung unseres Hörens und Antwortens wäre. Mir kommt da ein Wort des Sokrates an Phaidon in den Sinn. In den vorangehenden Gesprächen hatte man viele falsche philosophische Meinungen berührt, und nun sagt Sokrates: Es wäre wohl zu verstehen, wenn einer aus Ärger über so viel Falsches sein übriges Leben lang alle Reden über das Sein haßte und schmähte. Aber auf diese Weise würde er der Wahrheit des Seienden verlustig gehen und einen sehr großen Schaden erleiden.[13] Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und könnte damit einen großen Schaden erleiden. Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt. "Nicht vernunftgemäß, nicht mit dem Logos handeln ist dem Wesen Gottes zuwider", hat Manuel II. von seinem christlichen Gottesbild her zu seinem persischen Gesprächspartner gesagt. In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein. Sie selber immer wieder zu finden, ist die große Aufgabe der Universität.  


[1] Von den insgesamt 26 Gesprächsrunden (διάλεξις – Khoury übersetzt "Controverse") des Dialogs ("Entretien") hat Th. Khoury die 7. "Controverse" mit Anmerkungen und einer umfassenden Einleitung über die Entstehung des Textes, die handschriftliche Überlieferung und die Struktur des Dialogs sowie kurze Inhaltsangaben über die nicht edierten "Controverses" herausgegeben; dem griechischen Text ist eine französische Übersetzung beigefügt: Manuel II Paléologue, Entretiens avec un Musulman. 7e Controverse. Sources chrétiennes Nr. 115, Paris 1966. Inzwischen hat Karl Förstel im Corpus Islamico-Christianum (Series Graeca. Schriftleitung A.Th. Khoury – R. Glei) eine kommentierte griechisch-deutsche Textausgabe veröffentlicht: Manuel II. Palaiologus, Dialoge mit einem Muslim. 3 Bde. Würzburg - Altenberge 1993 – 1996. Bereits 1966 hatte E. Trapp den griechischen Text – mit einer Einleitung versehen – als Band II. der Wiener byzantinischen Studien herausgegeben. Ich zitiere im folgenden nach Khoury.

[2]Vgl. über Entstehung und Aufzeichnung des Dialogs Khoury S. 22 – 29; ausführlich äußern sich dazu auch Förstel und Trapp in ihren Editionen.

[3]Controverse VII 2c; bei Khoury S. 142/143; Förstel Bd. I, VII. Dialog 1.5  S. 240/241. Dieses Zitat ist in der muslimischen Welt leider als Ausdruck meiner eigenen Position aufgefaßt worden und hat so begreiflicherweise Empörung hervorgerufen. Ich hoffe, daß der Leser meines Textes sofort erkennen kann, daß dieser Satz nicht meine eigene Haltung dem Koran gegenüber ausdrückt, dem gegenüber ich die Ehrfurcht empfinde, die dem heiligen Buch einer großen Religion gebührt. Bei der Zitation des Texts von Kaiser Manuel II. ging es mir einzig darum, auf den wesentlichen Zusammenhang zwischen Glaube und Vernunft hinzuführen. In diesem Punkt stimme ich Manuel zu, ohne mir deshalb seine Polemik zuzueignen.

[4]Controverse VII 3b - c; bei Khoury S. 144/145; Förstel Bd. I, VII. Dialog 1.6  S. 240 – 243.

[5]Einzig um dieses Gedankens willen habe ich den zwischen Manuel und seinem persischen Gesprächspartner geführten Dialog zitiert. Er gibt das Thema der folgenden Überlegungen vor.

[6]Khoury, a.a.O.  S. 144 Anm. 1.

[7]R. Arnaldez, Grammaire et théologie chez Ibn Hazm de Cordoue. Paris 1956 S. 13; cf Khoury S. 144. Daß es in der spätmittelalterlichen Theologie vergleichbare Positionen gibt, wird im weiteren Verlauf dieses Vortrags gezeigt.

[8]Für die viel diskutierte Auslegung der Dornbuschszene darf ich auf meine "Einführung in das Christentum" (München 1968) S. 84 – 102 verweisen. Ich denke, daß das dort Gesagte trotz der weitergegangenen Diskussion nach wie vor sachgemäß ist.

[9]Vgl. A. Schenker, L’Ecriture sainte subsiste en plusieurs formes canoniques simultanées, in: L’interpretazione della Bibbia nella Chiesa. Atti del Simposio promosso dalla Congregazione per la Dottrina della Fede. Città del Vaticano 2001 S. 178 – 186.

[10]Ausführlicher habe ich mich dazu geäußert in meinem Buch "Der Geist der Liturgie. Eine Einführung." Freiburg 2000 S. 38 – 42.

[11]Aus der umfänglichen Literatur zum Thema Enthellenisierung möchte ich besonders nennen A. Grillmeier, Hellenisierung – Judaisierung des Christentums als Deuteprinzipien der Geschichte des kirchlichen Dogmas, in: ders., Mit ihm und in ihm. Christologische Forschungen und Perspektiven. Freiburg 1975 S. 423 – 488.

[12]Neu herausgegeben und kommentiert von Heino Sonnemans (Hrsg.): Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen. Ein Beitrag zum Problem der theologia naturalis. Johannes-Verlag Leutesdorf, 2. ergänzte Auflage 2005.

[13]90 c – d.  Vgl. zu diesem Text R. Guardini, Der Tod des Sokrates. Mainz – Paderborn 19875  S. 218 – 221.

Inhaltsverzeichnis


Presseecho

Der Papst fordert: "Vernunft und Glaube müssen auf neue Weise zueinander finden." Nur ein vernünftiger Gottesglaube kann Grundlage für Europa sein.

Die Vernünftigkeit des Gottesglaubens und jeder Religion sei Grundlage für ein wahres Menschenbild und die Möglichkeit eines objektives Ethos, erklärte Papst Benedikt XVI. heute in seiner Vorlesung im Auditorium Maximum an der Universität Regensburg. Wer Gott in unzugängliche Transzendenz entrückt, wie es im Islam geschehe, laufe Gefahr, den göttlichen Willens zu verzerren, der von seinem Wesen her mit jedem Aufruf zu aktiver Gewaltanwendung inkompatibel sei. Zudem warnte der Heilige Vater vor einer rein empiristischen und somit verkürzten Wahrnehmung der Realität.

In seinem Vortrag zum Thema "Glaube, Vernunft und Universität" berührte der Papst grundlegende Punkte des derzeitigen religionsphilosophischen und wissenschaftstheoretischen Diskurses. So plädierte der Oberhirte der katholischen Kirche für einen vernünftigen und dialogfähigen Glauben an den Gott der Offenbarung sowie für eine dementsprechende theologische Reflektion. Der biblische Glaube, so unterstrich Papst Benedikt XVI. vor seinen Zuhörern, habe sich nämlich in der Begegnung mit der griechischen Rationalität als Offenbarungsreligion zu einer Wahrheitsreligion objektiviert, die eine Begegnung mit der kritischen Vernunft nicht scheuen sollte und der so stets ein Platz in der Universität gebühre.

Ausgehend vom Verhältnis der "drei Gesetze: Altes Testament – Neues Testament – Koran" legte der Bischof von Rom im Hinblick auf die verschiedenen Gottesbilder, Menschenbilder und das jeweilige Ethos ein historisches Dokument aus: den jüngst von Professor Khoury veröffentlichten Dialog des mittelalterlichen christlichen Kaisers Manuel II. Palaelogos (1391) mit einem gebildeten Perser.

In seinem Diskurs führte der Heilige Vater den Standpunkt dieses Kaisers an, der in griechischer Philosophie geschult war und erklärte, "warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider".

Dagegen richte sich das Konzept der moslemischen Lehre, die Gott in eine derart absolute Transzendenz verweise, so dass sich sogar seine Entscheide der Vernünftigkeit entzögen. Die daraus resultierend Konfrontation zweier Gottesbilder wertet der Papst als die unmittelbare Herausforderung für die heutige Geisteswelt.

Es gelte, in der philosophischen Durchdringung des Glaubens jeder Tendenz zu wehren, die den Wahrheitsgehalt des Glaubens und die Selbstoffenbarung Gottes dem Zugriff der prüfenden Vernunft durch eine übersteigerte Transzendierung Gottes und seiner Vorsehung zu entziehen versuche.

Gottes Wille bleibe im Christentum – wenn auch geheimnisvoll – immer plausibel und widerspreche nie seinem Wesen "Gott ist Liebe". Konsequenterweise wandte sich der Papst auch gegen jede voluntaristische Strömung in der christlichen Geistesgeschichte: "Dieses hier angedeutete innere Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in Pflicht nimmt", denn, so gab er zu bedenken: "Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann."

Mit dieser Feststellung ordnete Benedikt XVI. dann Versuche wie die "drei Wellen" einer "Enthellenisierung des Christentums" ein: den Ruf nach der "sola scriptura" als mögliche Rückkehr zum Ureigenen des Christentums, die liberale Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts sowie den Versuch, hinter die "erste Inkulturation des Christentums" zurückzugreifen, um jeweils neu eine Praxis der Inkulturation und Theologie zu entwickeln.

Er umriss daraufhin die Konsequenzen einer "modernen Auffassung von Vernunft" für das theologische Denken – ein Anliegen, das ihn schon bei seiner Antrittsvorlesung an der Bonner Theologischen Fakultät bewegte. Als wesentlichen Exponenten dieser Richtung, die nach "einer durch den technischen Erfolg bestätigten Synthese zwischen Platonismus (Cartesianismus) und Empirismus" sucht, stellte er Adolf von Harnack vor. Dieser habe vor dem Hintergrund der kantschen Forderung nach Rationalität eine streng historische und wissenschaftliche Methode für eine, wie er meinte, vernünftige und mit der neuzeitlichen Philosophie kompatible Theologie entwickelt. Zu dieser Richtung bekannte sich auch Jacques Monod, der nur Ergebnissen, die "im Zusammenspiel von Mathematik und Empirie" entwickelt worden seien, ein Maß von Gewissheit zusprach.

An diesem Punkt hackte Benedikt XVI. ein, um zwei Einschränkungen einer solchen Weltanschauung zu bedenken: Die Methode schließe die Gottesfrage aus, die als "unwissenschaftliche oder vorwissenschaftliche Frage" verworfen werde. Dadurch komme es zu einer "Verkürzung des Radius von Wissenschaft und Vernunft", wodurch das Christentum fragmentiert und das Menschenbild "verkürzt" werde. So werde die Realität von Ethos und Religion "ins Subjektive" abgeschoben, in die Beliebigkeit, weil nun das "subjektive Gewissen" des Individuums "zur letztlich einzigen ethischen Instanz" geworden sei.

Die Berührung mit dem griechischen Denken habe das Eigentliche des Christentums nicht einfach verzerrt. Es gehöre vielmehr zum Glauben selbst, dass er jeweils das "Suchen der menschlichen Vernunft" einschließe. Deshalb unterstrich der Papst abschließend: "Das Ethos der Wissenschaftlichkeit ist im übrigen Wille zum Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung, die zu den Grundentscheiden des Christlichen gehört." Und er forderte: "Vernunft und Glaube müssen auf neue Weise zueinander finden." Dies könne allerdings nur dann geschehen, "wenn wir die selbst verfügte Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden".

Zenit vom 12.09.2006

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Vatikan-Erklärung vom 16.09.2006

"Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten"

Der neue Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone hat am Samstag in einer vom vatikanischen Presseamt verbreiteten Erklärung zur Kritik an Äußerungen des Papstes zum Islam bei seiner Rede in Regensburg Stellung genommen. "Kathpress" dokumentiert die Erklärung im Wortlaut:

"Angesichts der Reaktionen von muslimischer Seite auf einige Passagen der Rede von Papst Benedikt XVI. an der Universität von Regensburg, möchte ich den Klärungen und Präzisierungen des Direktors des Presseamtes des Heiligen Stuhles, P. Federico Lombardi SJ, noch Folgendes hinzufügen:

  • Die Haltung des Papstes zum Islam ist unmissverständlich diejenige, sich sich im Konzilsdokument "Nostrae Aetate" findet: "Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten".
     

  •  Die Option des Papstes zu Gunsten des interreligiösen und interkulturellen Dialogs ist ebenfalls unmissverständlich. Bei dem Treffen mit Vertretern einiger muslimischen Gemeinschaften in Köln sagte er am 20. August 2005, dass dieser Dialog zwischen Christen und Muslimen "nicht auf eine Zeitgeistentscheidung reduziert werden" darf. Und er fügte hinzu: "Die Lehren der Vergangenheiten müssen uns davor bewahren, die gleichen Fehler zu wiederholen. Wir wollen Wege der Versöhnung suchen und lernen, so zu leben, dass jeder die Identität des anderen respektiert".
     

  •  Was das Urteil des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologos betrifft, das er in der Rede von Regensburg wiedergab, hat der Papst nicht beabsichtigt und beabsichtigt keinesfalls, es sich zu eigen zu machen. Er hat die Worte nur als Anlass benutzt, um - in einem akademischen Kontext und wie es sich aus einer vollständigen und aufmerksamen Lektüre des Textes ergibt - einige Reflexionen zum Thema der Beziehung zwischen Religion und Gewalt im Allgemeinen zu entwickeln. Und er folgerte daraus eine klare und radikale Zurückweisung der religiösen Motivation von Gewalt, von welcher Seite sie auch immer kommen mag.
     

  • Es lohnt sich, sich in Erinnerung zu rufen, was Benedikt XVI. selbst jüngst in seiner Gedenkbotschaft zum 20. Jahrestag des interreligiösen Friedenstreffens bestätigte, zu dem sein Vorgänger Johannes Paul II. im Oktober 1986 nach Assisi eingeladen hatte: " .... Die Manifestationen der Gewalt darf man nicht den Religionen als solchen anlasten, sondern den kulturellen Grenzen, in denen sie im Laufe der Zeit gelebt und entwickelt wurde. ... Tatsächlich finden sich Zeugnisse einer inneren Verbindung zwischen Gottesbeziehung und einer Ethik der Liebe in allen großen religiösen Traditionen".
     

  • Der Heilige Vater bedauert daher zutiefst, dass einige Passagen seiner Rede als Beleidigung des Empfindens gläubiger Muslime klingen konnten, und dass sie in einer Weise interpretiert wurden, die keinesfalls seinen Intentionen entspricht. Andererseits hat er, angesichts der tiefen Religiosität gläubiger Muslime, die westliche säkularisierte Kultur vor einer "Verachtung Gottes und einem Zynismus" gewarnt, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht".

  • Indem er seinen Respekt und seine Hochachtung gegenüber denen unterstreicht, die sich zum Islam bekennen, wünscht sich der Papst, dass man ihnen helfe, seine Worten in ihrem richtigen Sinn zu verstehen. Auf diese Weise könne der schwierige Moment überwunden werden, damit das Zeugnis für den "einzigen Gott, den lebendigen und in sich seienden, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat" gestärkt wird, und damit auch die Zusammenarbeit "für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen" wächst."

der Standard vom 16.09.2006

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Kallscheuer: "Benedikt sollte sich nicht entschuldigen"

Papst Benedikt wird nach seiner Rede in Regensburg von Muslimen weltweit kritisiert. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE rät der Philosoph Otto Kallscheuer dem Vatikan, die Nerven zu bewahren. Die päpstliche Rede werde bewusst von Teilen der muslimischen Welt missverstanden.

SPIEGEL ONLINE: Nach einer Vorlesung in Regensburg wird der Papst von Teilen der muslimischen Welt scharf kritisiert. Er hat sich vor allem zum Verhältnis von Gewalt und Religion geäußert. Stößt der Papst damit eine Debatte an, die längst überfällig ist?

Kallscheuer: Sie liegt Ratzinger seit fast vier Jahrzehnten am Herzen. So hat er denn auch in Regensburg auf seine eigene Antrittsvorlesung von 1958 in Bonn angespielt, in der er versuchte, den Gott der Philosophen und den Gott der biblischen Offenbarung in Verbindung zu setzen. Und das ist eine Debatte, die mit dem Christentum selbst beginnt und die darauf hinausläuft, ob sich das Christentum in Beziehung setzen lässt zur Aufklärung - und die war in seiner Entstehungszeit die griechische Philosophie.

SPIEGEL ONLINE: In der Tat sprach der Papst von der Beziehung zwischen Vernunft und Religion. Wie hängt dies aber mit seinen Ausführungen zum Verhältnis von Religion und Gewalt zusammen?

Kallscheuer: Ein Gott, der neben der Religion Zwang nötig hätte, wie ihn ja auch der vom Papst zitierte Koran ablehnt, kann nicht der Inbegriff der Herrlichkeit sein. Benedikts erste Enzyklika identifizierte den Gott der sprechenden Vernunft, den Logos, mit der Liebe.

SPIEGEL ONLINE: Der Papst zitiert in seiner Vorlesung den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaelogos im Gespräch mit einem gebildeten Perser. Darin heißt es, er solle ihm zeigen, was Mohammed Neues gebracht habe, "und da wirst Du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten". Wird dieses Zitat deshalb missverstanden, weil die anderen, relativierenden Stellen zum Islam in dem sehr abstrakten Vortrag des Papstes dahinter verschwinden?

Kallscheuer: Möglicherweise. Es war vielleicht ein Fehler, ein harmloses Zitat ausgerechnet von einem Vertreter des letzten byzantinischen Kaiserstums zu verwenden.

SPIEGEL ONLINE: Wieso harmlos? Verwundert Sie, dass Muslime dieses Zitat, gesprochen von einem Papst, als Angriff gegen ihre Religion verstehen?

Kallscheuer: Der Autor des Zitats ist schlecht gewählt. Aber das Argument, das der Papst hier als Zitat benutzt, trifft zu. Muslime, die meinen, dass der "allerbarmende" Gott mit dem Schwerte bekehrte, missverstehen die Botschaft des Propheten.

SPIEGEL ONLINE: In ihrem zuletzt erschienenen Buch "Die Wissenschaft vom lieben Gott" verwenden Sie zum Teil dieselben historischen Zitate wie der Papst in seiner Rede. Schadet es nicht dem Dialog der Religionen, in der Geschichte zu schürfen?

Kallscheuer: Das schadet gar nicht. Der Papst hat ein historisches Argument als ein bloßes logisches verwendet - es ist wichtig, in welchem Kontext er das getan hat. Er hat es gefasst in eine Kritik an der Enthellenisierung des Christentums. Gemeint ist damit eine Reduktion des Christentums auf einen bloßen Glauben. Die hellenistische Vernunft ist im mittelalterlichem Christentum aber nicht zuletzt durch arabische Denker vermittelt worden. Man kann also das eine gegen das andere nicht ausspielen. Wenn man das missverstehen wollte - wonach es Benedikt bestimmt nicht lag, - dann bekommt der Dialog zwischen Religion und Vernunft eine falsche politische Schlagseite.

SPIEGEL ONLINE: Warum dann aber die große Empörung in der muslimischen Welt?

Kallscheuer: Die offensichtlichste Ursache, dass zeigt vor allem die türkische Reaktion, ist eine Retourkutsche, weil Ratzinger sich noch in seiner vorherigen Funktion als Kardinal skeptisch geäußerte hatte zu einem möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Da wollte man ihm offenbar etwas heimzahlen.

SPIEGEL ONLINE: Der Papst hielt seine Rede an der Universität Regensburg. Sie war sehr abstrakt und lädt vielleicht gerade deshalb zu Angriffen ein. Ist dies überhaupt die richtige Form, um über religiöse Legitimität von Gewalt zu sprechen?

Kallscheuer: Warum sollte er nicht darüber so sprechen? Da hat er als ehemaliger Professor das Wort ergriffen. Er hat im Kreise seiner alten Akademie eine Vorlesung gehalten, in der er eines seiner Lieblingsthemen behandelt hat - nämlich das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Wenn er andere Orte besucht, dann spricht er auch anders. Meiner Ansicht nach hätte er aber angesichts der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit stärker achtsam sein müssen. Sein Mitarbeiter, der ihm das gegengelesen hat, hätte sagen müssen: Lieber heiliger Vater, es ist nicht geschickt, einen der letzten byzantinischen Kaiser als Beleg für die Friedfertigkeit des christlichen Gottes zu zitieren. Vor allem nicht, weil der Papst ja demnächst in die Türkei reisen will, das einst zum Herrschaftsgebiet von Byzanz gehörte.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann der Vatikan den Konflikt eindämmen - in dem er um Verzeihung bittet?

Kallscheuer: Nein. Papst Benedikt sollte sich nicht entschuldigen. Der Vatikan sollte darauf hinweisen, dass hier Vertreter der türkischen Gemeinschaft ihn falsch verstanden haben. Da muss sicher Überzeugungsarbeit geleistet werden. Ich empfehle, ruhige Nerven zu bewahren und auf Gott zu vertrauen.

Das Interview führte Tobias Betz
Otto Kallscheuer wurde 1950 im Rheinland geboren. Er lehrte als Politikwissenschaftler und Philosoph an der Freien Universität Berlin und am Institute for Advanced Study an der Universität Princeton. Kallscheuer schrieb zahlreiche Bücher zu Fragen der Theologie in der Moderne. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Die Wissenschaft vom Lieben Gott", in dem er über das Verhältnis von Gott und Vernunft nachdenkt.
Spiegel-online vom 15.08.2006

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Steinbach: Kritik an Papst unbegründet

Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt Papst Benedikt XVI. ebenfalls in Schutz

Der Leiter des Hamburger Orient-Instituts, Udo Steinbach, versteht die Empörung vieler Muslime über den Papst nicht. Benedikt XVI. fordere explizit einen Dialog zwischen den Kulturen, sagte der Professor den «Lübecker Nachrichten». Der Papst liefere dazu wichtige Positionen aus christlicher Sicht, durchaus auch selbstkritisch, meinte Steinbach.

«Aber eigentlich war die Vorlesung auch eine Steilvorlage an islamische Theologen, ihrerseits zum Verhältnis von Gewalt und Religion Stellung zu nehmen, um die Friedfertigkeit des Islam zu untermauern», sagte er.

Die Muslime, die sich über die Äußerungen empören, könnten nicht die ganze Rede des Papstes gelesen haben, sagte Steinbach. «Es geht da um das Verhältnis von Religion und Frieden, und der Papst gibt dazu wichtige Anmerkungen aus christlicher Sicht.» Andere Interpretationen würden «von Leuten benutzt, die die Missstimmungen, die es seit dem Karikaturenstreit gibt, noch verstärken wollen», meinte der Wissenschaftler.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Papst Benedikt XVI. vor Kritik im Zusammenhang mit seinen Äußerungen zum Islam in Schutz genommen. «Wer den Papst kritisiert, verkennt die Intention seiner Rede», sagte Merkel der «Bild»-Zeitung «Sie ist eine Einladung zum Dialog der Religionen, und der Papst hat sich ausdrücklich für diesen Dialog eingesetzt, den auch ich befürworte und für dringend notwendig halte. Was Benedikt XVI. deutlich macht, ist eine entschiedene und kompromisslose Absage an jegliche Anwendung von Gewalt im Namen der Religion».

Die Neue Epoche vom 15.09.2006

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Khoury: Keine Kampfansage an den Islam

Der Streit um die Islam-Äußerungen des Papstes schlägt hohe Wellen. Wir sprachen mit dem Religionswissenschaftler, katholischen Priester und Islam-Experten Professor Adel Theodor Khoury (Münster), aus dessen Buch Benedikt XVI. zitiert hatte.
Will der Papst dem Islam den Kampf ansagen?

Khoury: Nein, auf keinen Fall, das war nicht seine Intention, und das kann man nicht ablesen von seinem Text. Das hat er nie gesagt, nirgendwo. Der Text, den er zitiert, ist weder von mir noch von ihm, sondern ein Zitat aus einem Streitgespräch am Ende des 14. Jahrhunderts. Das ist nur ein Aufhänger, um überzuleiten zu seinem Thema: "Darf die Religion Gewalt anwenden im Dienste der Religion?"

Wäre es nicht besser gewesen, nur zu erklären, dass Religion nicht mit Gewalt durchgesetzt werden darf, als dieses Zitat zu benutzen?

Khoury: Ja, das könnte man nachträglich sagen. Vielleicht wäre ein anderes Zitat besser geeignet. Aber das ist ein wissenschaftlicher Vortrag gewesen, vor wissenschaftlichem Publikum. Das muss man nach den wissenschaftlichen Methoden analysieren und bewerten.

Kann man nicht trotzdem sagen, dass diese Vorlesung eine Art Steilvorlage für die islamischen Fundamentalisten ist?

Khoury: Ja, die können bei jeder Kritik am Islam so etwas benutzen, um Aufregung zu erzeugen. Aber gut, der Text ist ja da. Seine Intention war nicht, den Islam anzugreifen.

Können Sie denn nachvollziehen, dass es derart heftige Reaktionen gibt?

Khoury: Nein, ich nehme an, dass diese Menschen den Text nicht gelesen haben und ihn nicht nach wissenschaftlichen Kriterien analysiert haben.

Es gibt ja Muslime, die den Papst jetzt mit Adolf Hitler vergleichen.

Khoury: Es gibt alles Mögliche, auch den Vorwurf der Kreuzzug-Mentalität. Das sind Anzeichen von Unüberlegtheit.

Sehen Sie sich in dem Zusammenhang vom Papst im richtigen Kontext zitiert?

Khoury: Ich werde nicht zitiert. Es wird aus einem Buch von mir zitiert, das in französischer Sprache 1966 in Paris erschienen ist. Aus diesem Buch hat er eben diese Passage zitiert. Und bei der Erklärung zu dieser Passage leitet er über zum Thema "Kann man Gewalt anwenden, entspricht das dem Wesen Gottes" und zitiert von mir einen Kommentar dazu. Der Papst behandelt folgende Themen: Glaube und Gewalt, Glaube und Vernunft und dann Glaube und Wissenschaft. Das ist sein Anliegen und nicht ein Angriff gegen den Islam. Das ist absolut übertrieben!

Aber hat der Papst nicht recht, wenn er Gewaltverherrlichung im Islam anprangert?

Khoury: Es gibt eine solche Lesart im Islam. Vielleicht ist es ein Seitenblick auf diese Lesart der radikalen Militanten unter den Muslimen. Und diese Militanten stehen in der Kritik - nicht nur bei uns im Christentum, sondern auch bei den Muslimen. Die Zeitung "Hürriyet" hat geschrieben: ,Der Papst hat den radikalen Islam abgekanzelt’. Die haben richtig gesehen, wohin die Blickrichtung geht.

Sehen Sie jetzt die Türkeireise des Papstes im November gefährdet? Das türkische Religionsministerium verlangt eine Entschuldung des Papstes!

Khoury: Man entschuldigt sich, wenn man einen Fehler gemacht hat. Ich sehe hier keinen Fehler. Deswegen ist eine Entschuldigung überflüssig. Das ist eine übertriebene Forderung. Ich glaube, dass die Menschen den Text nicht gelesen haben. Sie kennen den Kontext nicht. Und dann kommt es zu diesen Emotionen und Wallungen.

Und die Türkeireise?

Khoury: Ich weiß es nicht, ob sie gefährdet ist. Wenn die Türkei weiter in diese Richtung reagiert, könnte die Reise kippen. Aber ich hoffe, dass die Vernunft wieder die Oberhand gewinnt.

Befürchten Sie, dass es in der islamischen Welt Exzesse geben könnte wie beim Karikaturenstreit?

Khoury: Ja, das könnte sein. Aber das wäre wirklich deplatziert und total übertrieben. Ich hoffe, dass die großen Gelehrten wie zum Beispiel in der Azhar-Moschee in Kairo die Einsicht vertreten, dass dies alles übertrieben ist und nicht der Realität entspricht.

Hat der Theologe Ratzinger die diplomatischen Verwicklungen nicht beachtet?

Khoury: Ich weiß es nicht, wie man das jetzt bewerten soll. Vielleicht hätte er ein paar Worte der Differenzierung sagen sollen, um dem Zuhörer und Leser weiterzuhelfen.

Wie wird es weitergehen?

Khoury: Ich nehme an, dass die Sache nicht so lange dauert. Es sei denn, es gibt Menschen, die ein Interesse daran haben, dies weiter zu schüren.

Merkur-online vom 16.09.2006

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Khoury: "Das Zitat trifft nur auf eine Minderheit der Muslime zu"

Eine byzantinische Quellenedition in französischer Sprache, die 1966 erschienen ist, sorgt für Aufregung in aller Welt: Der emeritierte Theologe Adel-Théodore Khoury, aus dessen Buch der Papst in seiner umstrittenen Regensburger Rede zitierte, im Interview.

Professor Khoury, was hatten Sie vorgestern für einen Tag?

Den ganzen Tag riefen die Medien an. Das Fernsehen war da. So etwas habe ich noch nie erlebt.

Konnten Sie denn damit rechnen, daß Ihr Buch einen derartigen Wirbel verursachen würde?

Eine byzantinische Quellenedition in französischer Sprache, die 1966 erschienen ist? Ich bitte Sie.

Können Sie uns noch etwas zum Kontext des Zitats sagen?

Der Kaiser und der persische Gelehrte trafen sich außerhalb von Konstantinopel, in einem muslimischen Militärlager. Dort haben die in gelöster Atmosphäre und höchst polemisch über die Religion des anderen diskutiert, es gab von beiden seiten kritische Formulierungen an die andere Seite, keiner hat den anderen geschont. Der Papst hat das Zitat aber gar nicht benutzt, um etwas über den Islam zu sagen. Das war ja gar nicht sein Thema. Er brauchte es nur, um zu seinem nächsten Gedanken überzuleiten. Etwas später kommt ja der entscheidende Satz: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Es ging ihm um die Frage des göttlichen Voluntarismus. Das ist übrigens auch in der islamischen Theologie eine große Diskussion.

Sie sind auch Islamwissenschaftler. Finden Sie denn in dem Zitat den Islam korrekt charakterisiert?

Noch mal: Darum ging es dem Papst in dieser Vorlesung gar nicht. Sonst hätte man dazu noch einiges anmerken müssen, denn das Zitat gibt den Gedanken des Korans nicht exakt wieder: Es geht nicht um Bekehrung durch das Schwert, sondern um Unterwerfung von Herrschaftsgebieten durch das Schwert bei gleichzeitiger religiöser Duldung zumindest der Schriftreligionen. Wenn es dem Papst um den Islam gegangen wäre, hätte er noch auf ganz andere Strömungen hinweisen müssen, die auch die Vernunftgemäßheit des göttlichen Handelns betonen. Im übrigen finden Sie ja auch im Koran Passagen, in denen auf Argumente und rechtes Handeln zur Bekehrung Wert gelegt wird.

Wie erklären Sie sich die große Aufregung in der muslimischen Welt?

Ich sehe das eben vor dem Hintergrund der großen Spannungen gegenwärtig. Alle sind so empfindlich, es kommt zu Mißverständnissen. Viele vermissen vom Papst einige Worte der Differenzierung, der Einordnung, ein: Ich, Benedikt XVI., sehe den Islam aber nicht so.

Hätten Sie denn dem Papst zu einem solchen Kommentar geraten?

Ich glaube schon. Er hätte präzisieren können, daß er damit nur eine radikale Minderheit unter den Muslimen, die gewaltbereiten Islamisten, meint. So hat es die türkische "Hürriyet" verstanden, und ich glaube, zu Recht: Das Zitat des Kaisers Manuel trifft heute nur auf eine Minderheit der Muslime zu.

Die Fragen stellte Nils Minkmar.
Adel-Théodore Khoury ist emeritierter Theologe an der Universität Münster und hat die Quellensammlung ediert, aus der der Papst zitiert hat.
FAZ vom 18.09.2006

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FAZ: Nein zu Gewalt und heiligem Krieg

Von Daniel Deckers

Benedikt XVI: Kritik an westlicher "Verachtung Gottes”

In drei großen öffentlichen Ansprachen hat sich Papst Benedikt XVI. in der zurückliegenden Woche über das Verhältnis von Religion und Gewalt geäußert: zunächst am Sonntag in der Predigt in München, sodann in Regensburg während der Predigt am Dienstag vormittag. Am ausführlichsten ging er auf das Thema im Rahmen des Vortrags ein, den er am Dienstag nachmittag in der Universität Regensburg hielt. Die drei Äußerungen stehen in engem Zusammenhang und dürfen nicht unabhängig voneinander gelesen werden.

In München ging Benedikt auf das Thema im Zusammenhang mit seiner Kritik an der katholischen Kirche in Deutschland und ihren Hilfswerken ein. Er referierte die Klage afrikanischer Bischöfe, für soziale Projekte hierzulande schnell Unterstützung zu erhalten, bei Projekten zur Verbreitung der Glaubensverbreitung - der Papst sprach von "Evangelisierung" - auf Zurückhaltung zu stoßen.

Technisches Können zuwenig

Benedikt zog daraus den Schluß, in Deutschland seien manche der Meinung, "die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben, die seien doch eher partikulär und nicht gar so wichtig". Seine Haltung stimmte mit der der afrikanischen Bischöfe überein: "Das Soziale und das Evangelium sind nicht zu trennen", doch müsse die Evangelisierung vorausgehen, "daß der Gott Jesu Christi bekannt, geglaubt, geliebt werden, die Herzen umkehren muß, damit auch die sozialen Dinge vorangehen; damit Versöhnung werde; damit zum Beispiel Aids wirklich von den tiefen Ursachen her bekämpft und die Kranken mit der nötigen Zuwendung und Liebe gepflegt werden können".

Biete der Westen nur technisches Können, sei das zuwenig. "Dann treten die Techniken der Gewalt ganz schnell in den Vordergrund, und die Fähigkeit zum Zerstören, zum Töten wird zur obersten Fähigkeit, um Macht zu erlangen, die dann irgendwann einmal das Recht bringen soll und es doch nicht bringen kann."

Westliche "Verachtung Gottes"

Die "technische" Rationalität des Westens, "die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt und dies für die höchste Art von Vernunft ansieht", deutete Benedikt auch als Ursache der wachsenden Ablehnung, die der christlich geprägten Zivilisation unter den Völkern Afrikas und Asiens entgegenschlägt. Ihre Identität sähen sie nicht durch den christlichen Glauben bedroht, sondern durch "die Verachtung Gottes" und einen "Zynismus", der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansehe und Nutzen für zukünftige Erfolge der Forschung zum letzten ethischen Maßstab erhebe.

Die Konflikte auf dem Feld der Bioethik, auf die der Papst hier anspielte, ließ er an dieser Stelle wie auch auf allen anderen Stationen seiner Reise außer acht. Statt dessen konzentrierte er sich auf die Folgen der westlichen "Verachtung Gottes" für das Zusammenleben der Völker und appellierte an die westliche Welt, ein neues Verständnis von Toleranz und kultureller Offenheit zu entwickeln: "Die Toleranz, die wir dringend brauchen, schließt die Ehrfurcht vor Gott ein - die Ehrfurcht vor dem, was anderen heilig ist. Diese Ehrfurcht vor dem Heiligen der anderen setzt voraus, daß wir selbst die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen. Diese Ehrfurcht kann in der westlichen Welt nur dann regeneriert werden, wenn der Glaube an Gott wieder wächst, wenn Gott für uns und in uns wieder gegenwärtig wird."

"Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen"

Daß der Westen diesen Glauben mit Gewalt oder Zwang verbreiten könne, liegt dem Theologen Benedikt fern. "Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen. Aber die Freiheit der Menschen rufen wir an, sich für Gott aufzutun; ihn zu suchen; ihm Gehör zu schenken." Auf die Geschichte des Christentums wie auch die Geschichte anderer Weltreligionen, etwa des Islams, ging der Papst nicht ein.

Vielmehr sprach er am Ende seiner Predigt unter Bezug auf die Bibel und auf die Heilsbotschaft Christi im Tod am Kreuz: "das Nein zur Gewalt, die ,Liebe bis ans Ende'." Der Papst fuhr fort: "Diesen Gott brauchen wir. Wir verletzen nicht den Respekt vor anderen Religionen und Kulturen, die Ehrfurcht vor ihrem Glauben, wenn wir uns laut und eindeutig zu dem Gott bekennen, der der Gewalt sein Leiden entgegenstellt; der dem Bösen und seiner Macht gegenüber als Grenze und Überwindung sein Erbarmen aufrichtet. Ihn bitten wir, daß er unter uns sei und daß er uns helfe, ihm glaubwürdige Zeugen zu sein."

"Lebensgefährlichen Erkrankungen der Religion"

Zwei Tage später griff der Papst dieses Motiv kurz in seiner Predigt auf: Gott habe in Jesus Christus ein menschliches Gesicht angenommen, sagte Benedikt: "Er liebt uns bis dahin, daß er sich für uns ans Kreuz nageln läßt, um die Leiden der Menschheit bis an Gottes Herz hinaufzutragen." Dieses Paradox des Glaubens wandte der Papst unmittelbar ins Politische und sprach davon, man müsse die "Pathologien und die lebensgefährlichen Erkrankungen der Religion und der Vernunft sehen, die Zerstörungen des Gottesbildes durch Haß und Fanatismus". In dieser Situation sei es wichtig, "klar zu sagen, welchem Gott wir glauben, und zu diesem menschlichen Antlitz Gottes zu stehen".

In seiner Vorlesung am Nachmittag an der Universität Regensburg entfaltete Benedikt das Thema Religion und Gewalt nicht in einem von der Auslegung der Bibel geprägten Gedankengang, sondern in einer von Philosophie und systematischer Theologie bestimmten Argumentation. Der Papst erinnerte zunächst an seinen eigenen Werdegang als Professor und bestimmte die Aufgabe der Theologie im Konzert der universitas der Wissenschaft.

"In erstaunlich schroffer Form"

Sie frage nach der "Vernunft des Glaubens". Dieser Gedanke sei ihm kürzlich bei der Lektüre des Dialogs des spätbyzantinischen Kaisers Manuel II. Palaiologos mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und die Wahrheit der beiden Religionen wieder in den Sinn gekommen. Aus diesem Dialog griff der Papst einen Aspekt heraus, der für den Aufbau des Religionsgesprächs keine Bedeutung hatte, ihn aber "im Zusammenhang des Themas Glaube und Vernunft fasziniert" habe: das Thema Dschihad (heiliger Krieg).

"Der Kaiser wußte sicher", so der Papst, "daß in Sure 2, 256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen - es ist eine der frühen Suren aus der Zeit, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war." Aber Manuel habe natürlich auch die später entstandenen Bestimmungen des Korans über den heiligen Krieg gekannt. Daher habe sich der Kaiser "in erstaunlich schroffer Form" : in der schriftlichen Fassung des Vortrags stand "schroff" - mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt an seinen Gesprächspartner gewandt. "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten."

"Scheideweg im Verständnis Gottes"

Der Papst gibt dann nicht die Antwort des kaiserlichen Gesprächspartners wieder, sondern referiert die Ansicht des Kaisers, daß Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig sei. Sie stehe im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. Der entscheidende Satz in dieser Argumentation "gegen Bekehrung durch Gewalt" laute: "Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider."

Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner sei dieser Satz evident, so der Papst unter Berufung auf den Herausgeber und Kommentator dieses Religionsgesprächs, den Münsteraner Professor Khoury. Für die muslimische Lehre hingegen sei Gott absolut transzendent, sein Wille an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit.

Indirekt wendet sich der Papst nun gegen diese Sicht Gottes, die für den Islam charakteristisch und auch in der Geschichte des Christentums nicht unbekannt sei: "Hier tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert."

Eher in Richtung des christlichen Westens

Der Papst läßt offen, welcher Art dieser "Scheideweg" ist und worin die "unmittelbaren Herausforderungen" liegen. Später kommt er nicht mehr auf das Thema Gewalt und Religion zurück. Weder wendet er sich direkt an die Muslime, etwa mit der Aufforderung, der Gewalt abzuschwören, noch bringt er das historischen Veränderungen unterworfene Verhältnis des Christentums zur Gewalt zur Sprache.

Allerdings findet sich gegen Ende der Vorlesung noch einmal die Warnung von "den uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft", die notwendig ausbrechen müßten, "wo die Vernunft so verengt wird, daß ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören". Dieser Satz ist aber eher in Richtung des christlichen Westens gesprochen.

FAZ vom 15.09.2006

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Spiegel: Der Griff in die Geschichte

Von Alexander Schwabe

Muslime in aller Welt sind empört über die Rede des Papstes, sie sehen das Gottesbild des Islam angegriffen. Dabei ging es Benedikt XVI. eigentlich um eine Kritik am Westen - wo die Bedeutung von Religion und Glaube stetig schwindet.

Als am Montag nahezu die ganze Welt der Anschläge vom 11. September 2001 gedachte, besuchte Papst Benedikt XVI. den Marienwallfahrtsort Altötting und feierte eine Messe mit Tausenden Gläubigen. Dem Angriff muslimischer Terroristen der al-Qaida schenkte er in seiner Predigt kein Wort. Lediglich in den vorgetragenen Fürbitten wurde der Opfer der Attacken in Anwesenheit des Papstes kurz gedacht.

Am Dienstag kam der Papst auf seiner weiß-blauen Jubelfahrt durchs Heimatland Bayern in einem akademischen Vortrag an der Universität Regensburg auf den "Dialog der Kulturen", auf Christentum und Islam zu sprechen, eingebettet in einen grundlegenderen Diskurs über Glaube und Vernunft.

Ausgerechnet einen Dialog aus dem 14. Jahrhundert, geführt zwischen Kaiser Manuel II. Palaeologos mit einem gebildeten Perser, führte Benedikt XVI. an, um sein Thema zu erläutern. Und innerhalb des Dialogs zwischen Christ und Muslim griff der Papst zu einem, so seine Einschätzung, "eher marginalen Punkt" - ein Punkt, der nun zu einer gewaltigen Kontroverse zwischen dem Vatikan und weiten Teilen der muslimischen Welt führt.

Dieser "marginale Punkt" führte den Papst zu einem "Scheideweg im Verständnis Gottes" und "in der konkreten Verwirklichung von Religion". Er kritisierte das Gottesbild des Islam, so wie er es versteht. Daran erhitzen sich nun die Gemüter, auch wenn die eigentliche Intention seiner Rede war, die westliche Welt zu ermahnen, sich der eigenen, von Glaube und Vernunft geprägten Wurzeln zu besinnen.

Im Unterschied zur christlichen sei in der muslimischen Lehre Gott "absolut transzendent". In Übereinstimmung mit dem Herausgeber des Dialogs zwischen dem mittelalterlichen Kaiser und dem persischen Gesprächspartner zeichnete Benedikt den islamischen Gott zudem als ein Wesen der Willkür: "Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es der Vernünftigkeit." Gott sei durch nichts verpflichtet, nicht einmal durch und an sein eigenes Wort - offenbart für Christen in Jesus Christus, für Muslime in den im Koran niedergeschriebenen Worten Mohammeds.

Bedenkenswert ist der Einwand des Vorsitzenden des deutschen Islamrats, Ali Kizilkaya, der interkulturelle und interreligiöse Dialog werde nicht befördert, "wenn wir alle in die historische Kiste greifen wollten". Musste der Papst den Satz des Kaisers zitieren: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten"? Genügte es, sich von diesem Satz lediglich in seiner Form ("erstaunlich schroff"), nicht aber inhaltlich zu distanzieren? Musste er das "Thema des Dschihad" aufgreifen, um deutlich zu machen, "warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist"? Sicher nicht. Es hätte in der christlichen Tradition genügend Beispiele für eine verfehlte, Menschen verachtende Mission gegeben.

So erstaunlich es ist, dass sich der Papst ausgerechnet diesen Dialog aus der langen Geschichte der "Glaubensverbreitung durch Gewalt" herausgeklaubt hat, so wenig kommt man darum herum, in Rechnung zu stellen, dass es dem Papst nicht um eine historische Aufrechnung ging. Es ging Benedikt XVI. vielmehr um eine prinzipielle, systematische Aufarbeitung des Verhältnisses von Religion und Gewalt. Und darin ist dieser Papst geradezu brillant.

Im Abendland gilt Glaube als vormodern - doch das verstößt gegen die innersten Überzeugungen anderer Religionen

Der Papst beklagt das Missverhältnis von Glaube und Vernunft in der westlichen Welt. Gleichzeitig kann man bei ihm eine Bewunderung der "tief religiösen Kulturen der Welt" heraushören. Der westlichen Welt hingegen gilt seine scharfe Kritik. Vorwürfe richten sich vornehmlich an sie, nicht an den Osten. Die Ursachen der Ablehnung westlicher Werte in der islamischen Welt sieht der Papst ursächlich im Westen, nicht nur im Osten. Weil im Abendland Religion und Glaube als irrational und vormodern abgetan werden, reißt der Okzident eine Kluft zu den "tief religiösen Kulturen der Welt" des Orients.

Der Papst bezweifelt die Fähigkeit des Westens, einem "Dialog der Kulturen" gewachsen zu sein: Weil heutzutage das Göttliche aus der Universalität der Vernunft ausgeschlossen ist. Weil in den westlichen Gesellschaften die Gefahr der Gottvergessenheit besteht. Weil eine "Schwerhörigkeit gegenüber Gott" besteht, wie der Papst es in München formulierte.

Dieser Ausschluss des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft sei es, der gegen die "innersten Überzeugungen" anderer Religionen verstoße. In westlichen Gesellschaften werde die Religion in den "Bereich der Subkulturen" abgedrängt - eine Parallele zu Erfahrungen vieler Muslime, die sich als Menschen zweiter Klasse stigmatisiert sehen.

Benedikt fordert vom Westen eine Selbstklärung darüber, was seine Stärke ist, nämlich die "Weite der Vernunft", die den vernunftgemäßen Glauben mit einbezieht. Nur so sei der Westen auf den "Dialog der Kulturen" vorbereitet. Die "Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft" sieht der Papst als Bedrohung der abendländischen Kultur.

Benedikts Botschaft an militante Islamisten

Gleichzeitig darf die Botschaft des Papstes auch an militante Islamisten oder deren Sympathisanten gerichtet gedeutet werden: Gewalt ist unvernünftig und daher auch nicht gottgemäß. Seine Begründung ist eine griechisch-christliche: Es ist der Logos, der laut dem Johannesevangelium Fleisch geworden ist. Ergo ist auch die "Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig". "Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele", so der Papst in Anlehnung an den "gelehrten byzantinischen Kaiser".

Wenn man die Erinnerung an die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft als Kernpunkt der Rede Benedikts sieht, muss man sich nur bedingt die Frage stellen, ob der Papst mit seiner Kritik am islamischen Gottesbild noch in der Tradition seiner Kirche seit dem Zweiten Vatikanum und in der seines Vorgängers Johannes Pauls II. steht.

In "Lumen Gentium", der dogmatischen Konstitution über die Kirche, erkennt das Konzil den Islam als eigenständige Religion an. Es hebt das gemeinsame monotheistische Bekenntnis hervor und gesteht Muslimen zu, nach dem Willen Gottes zu trachten, wie es auch Christen tun. Zuvor war der Islam über Jahrhunderte als eine häretische Form des Christentums gesehen worden.

Vor allem Johannes Paul II. hat den Dialog mit dem Islam forciert. Erster Meilenstein war eine Rede vor Jugendlichen in Marokko Anfang der achtziger Jahre. 2001 besuchte Johannes Paul II. die Omaijaden-Moschee in Damaskus. Die Kirche verpflichtete sich auf ein wechselseitiges besseres Verstehen und auf den Aufbau einer gerechteren, friedvolleren Welt.

Seit 1986 rief der Papst zum theologischen Dialog der Religionen nach Assisi. Die Friedensgebete waren auf Grund der Erkenntnis initiiert worden, dass die zivile Welt von Fundamentalismen und vom Extremismus gefährdet sei - lange bevor Samuel Huntington vom "Zusammenprall der Zivilisationen" sprach. Beim zweiten großen Friedensgebet in Assisi war die Botschaft: Gewalt kann nicht im Namen Gottes verübt werden. Und im Advent 2001 rief die katholische Kirche als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September während des Ramadans zu einem Solidaritäts-Fasten mit Muslimen auf.

Spiegel vom 16.09.2006

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Die Zeit: Zu nonchalant

Ein Papst darf mit seinen Äußerungen nicht provozieren. Ein Kommentar zur Debatte um die Rede von Benedikt XVI.

Von Jan Roß

Ist das der nächste Karikaturenstreit, ein neuer globaler Kultur- und Religionskonflikt wie der Skandal über die respektlosen satirischen Darstellungen des Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung? Papst Benedikt XVI. ist unter massive muslimische Kritik für seine Regensburger Äußerungen über den Islam geraten. Der Papst will im November in die Türkei reisen; im Augenblick muss man zweifeln, ob der Besuch zustandekommen kann. Joseph Ratzinger ist dort ohnehin nicht sonderlich willkommen, weil er sich noch als Kardinal ungewöhnlich deutlich gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft ausgesprochen hat. Die Sorge reicht aber weit über irgendwelche diplomatischen Verstimmungen hinaus; die Angst geht um, es könne der Startschuss für eine gefährliche nächste Runde im "clash of civilizations" gefallen sein.

Es ist wichtig festzuhalten, was der Papst gesagt und was er nicht gesagt hat. Benedikt XVI. hat einen byzantinischen Kaiser der Zeit um 1400 mit feindseligen Bemerkungen über Mohammed zitiert; er hat sich diese Bemerkungen nicht zu eigen gemacht. Der Papst hat auf seiner Bayern-Reise Respekt vor der Religion gefordert, auch vor der Religion der anderen; seine Appelle zu mehr Ehrfurcht vor dem Heiligen waren ganz offenkundig eine nachträgliche pro-muslimische Stellungnahme zum Karikaturenstreit.

Trotzdem ist die jetzige Aufregung keineswegs grundlos. Der Papst mag den ruppigen Angriff auf Mohammed nur zitiert haben. Dass er das Christentum dem Islam für überlegen hält, versteht sich von selbst. Aber er hat diese Überlegenheit mit der Vernünftigkeit des Christentums begründet, und er hat umgekehrt eine gewisse Irrationalität im Gottesbild des Islam mit dem Problem der religiös motivierten Gewalt in Verbindung gebracht. Mohammed – Heiliger Krieg – Terror: die Verbindungslinien wurden nicht wirklich anklägerisch gezogen, aber doch gewissermaßen schraffiert. Das war provozierend.

Und provozieren darf ein Papst nicht. Es ist durchaus nicht verkehrt, den Dialog der Kulturen und Religionen auf eine etwas realistischere, härtere Basis zu stellen als unter Johannes Paul II., der hier ein bisschen zu großzügig weltumarmend war. Es ist auch nicht verkehrt, die christliche Identität zu stärken und zu meinen, dass man mit Andersgläubigen nur ins Gespräch kommen wird, wenn man selbst an etwas glaubt. Seine Weltreligionspolitik in diesem Sinne neu auszurichten, ist offenbar eine bewusste Entscheidung von Benedikt XVI. Aber die nonchalante Art, mit der er in seiner Regensburger Vorlesung gelehrten Religionsvergleich getrieben hat, hätte ihm nicht unterlaufen dürfen. Ein Papst kann nicht einfach wieder in die Professorenrolle schlüpfen und die Unverbindlichkeit der akademischen Freiheit genießen, ein Papst ist immer der Papst und muss seine Worte wägen. Man kann nur hoffen, dass kein größerer Schaden daraus entsteht.

Die Zeit vom 15.09.2006

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SZ: Der Theologe steht dem Papst im Weg

Benedikt XVI. lässt in seiner Regensburger Vorlesung das Gespür für sein Amt vermissen. Auch wenn er mit ihr theologische Kompetenz bewies - als Papst handelte er unkorrekt und politisch töricht.

Von Andreas Zielcke

Wütende Muslime in Srinagar, Indien: Als Philosoph durfte der Papst so reden - doch als Kirchenmann hätte er besser geschwiegen.

Vor zweieinhalb Jahren führte Joseph Ratzinger, damals noch Kardinal, sein berühmtes Gespräch mit Jürgen Habermas über Vernunft und Religion.

Dass der Kardinal ausgerechnet mit dem kirchenfernen Theoretiker der kritischen Vernunft den Austausch der Argumente suchte, war nicht nur ein Beispiel dafür, wie offen und unpolemisch sich das säkulare und das religiöse Lager begegnen können. Es war vor allem ein Zeichen dafür, dass sich unter dem Galero, dem Kardinalshut, ein akademischer Kopf behauptet.

Kaum einem Kirchenmann ist das geisteswissenschaftliche Denken so nahe wie Ratzinger.

Was aber bei einem Kardinal im Zweifel als Bereicherung seines Amtes gelten kann, geht bei dem Oberhaupt der katholischen Kirche nicht mehr ohne Weiteres unter einen Hut. In seiner Regensburger Vorlesung hat Joseph Ratzinger seinem theologischen und kirchengeschichtlichen Denken auf frappierende Weise den Vorrang vor den Anforderungen seines singulären Amtes eingeräumt. Der gescheite Denker hat sich als naiver, um nicht zu sagen: gedankenloser Amtsinhaber verhalten.

Wie er den christlichen Glaubensbegriff mit dem hellenistischen Erbe der Vernunftphilosophie verknüpft und durch die Kirchengeschichte hindurch entfaltet, beweist - so bestreitbar dies für die säkulare Geisteswissenschaft ist - eine hohe theologische Kompetenz.

Der Theologe ist ein miserabler Berater des Papstes

Doch den Dialog zwischen dem byzantinischen Kaiser Manuel II. und dessen persischem Gesprächspartner, bei dem die Worte über das "inhumane" Gebot Mohammeds fallen, dass der Glaube mit dem Schwert zu verbreiten sei, mag er als Theologe korrekt zitiert haben - als Papst handelte er unkorrekt und politisch töricht.

Dessen Auditorium ist nicht die Universität, noch nicht einmal nur die katholische Welt, es ist die Welt aller, die sich auf denselben Gott berufen. Vor dieser Welt redet Joseph Ratzinger als oberster Kirchenmann des Vatikans, nicht als Dozent. Will er als Papst tatsächlich auf eine Doktrin von der notwendigen Inhumanität des Islam hinaus? Derselbe, der gerade noch den Dialog mit dem Islam forcierte? Derselbe, dessen nächste Reise in die Türkei führt?

Der Theologe ist ein miserabler Berater des Papstes. So wie er in Auschwitz bei der entscheidenden Äußerung über den Holocaust und die Deutschen jegliche Sensibilität vermissen ließ, als habe er nur mangelhaften Kontakt zur zeitgeschichtlichen Moralität, so verdeckte hier der Theologe dem Papst den Blick auf die religionspolitische Realität.

Natürlich hat der Papst das Recht, den christlichen Glauben vom Islam abzugrenzen, auch das Recht, die islamistische Gewaltbereitschaft zu kritisieren. Doch gerade ihm muss dies auf eine Weise gelingen, die ihn nicht über die Religion der anderen erhebt. Si tacuisses, philosophus mansisses ... hier gilt umgekehrt: Als Philosoph durfte er in Regensburg so reden, doch als Kirchenmann hätte er besser geschwiegen.

SZ vom 16.09.2006

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Die Welt: Der Papst als neues Feindbild

Benedikt XVI. stellt das Konzept von Gewalt im Glauben infrage und löst damit einen Sturm der Empörung bei fundamentalistischen Muslimen aus.

Von Boris Kalnoky

Am 12. September hielt Papst Benedikt XVI. an der Universität Regensburg eine Rede, die zu einem definierenden Augenblick seines Pontifikats werden könnte. Er, der zum Thema Islam bislang vor allem geschwiegen hatte, erhob den Islam zum Kern seiner Vorlesung. Die Folge ist seit drei Tagen ein Sturm der Empörung in der muslimischen Welt.

Benedikt XVI. hatte das Konzept des Heiligen Krieges (Dschihad) indirekt als vernunftwidrig bezeichnet und "Vernunft" zum göttlichen Grundprinzip erhoben. Mit anderen Worten, Dschihad ist gotteswidrig. Das wird in der muslimischen Welt als Frontalangriff des katholischen Kirchenoberhauptes gegen den Koran gesehen.

Wenn Benedikt XVI. beabsichtigte, eine Debatte zum Thema Islam und Gewalt auszulösen: Es ist ihm gelungen. Zumindest hagelt es emotionsgeladene und teilweise gewaltschwangere Reaktionen aus allen muslimischen Ländern der Welt. Viele Argumente werden vorgebracht, aber eines ist allen diesen Reaktionen gemein: Keine einzige der Wortmeldungen von Politikern und Schriftgelehrten versucht den zentralen Punkt der Papst-Rede inhaltlich zu entkräften, dass nämlich der Koran unter bestimmten Umständen das Töten von Menschen erlaubt. Stattdessen ist in allgemeinen Worten vom Islam als Religion des Friedens die Rede.

Benedikt XVI. plant, im November in die Türkei zu reisen. Vorher sollte er sich vielleicht die Zeitungen des Landes zu Gemüte führen: Da vergleicht ihn der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der (islamischen) Regierungspartei AKP mit "Hitler und Mussolini". Salih Kaposuz ist sein Name, einer von mehreren AKP-Politikern, die seit der Papstrede ins Rampenlicht drängen. Der Papst sei "ignorant", sagt er, "bemitleidenswert", ein "Mann, der immer noch die Mentalität des dunklen Mittelalters hat und von den Reformen der christlichen Welt nicht profitieren konnte". Mit Benedikt XVI., so Kaposuz weiter, werde "die Mentalität der Kreuzfahrer wieder belebt". Dunkel deutet er an, der Papst sei auch für den Karikaturenstreit Anfang dieses Jahres verantwortlich: "Seit Benedikt Papst wurde, ist es offensichtlich geworden, aus welcher Quelle die Karikaturenkrise und ähnliche Kampagnen sich nähren." Dass es islamistische Gewalt sein könnte, die die Frage nach der Gewalt im Islam aktuell erscheinen lässt, auf diesen Gedanken kommen weder Kaposuz noch die meisten anderen Kommentatoren der muslimischen Welt.

Die türkischen Medien nennen den Papst "fanatisch" ("Radikal") und "Kreuzzügler" ("Türkiye") und zitieren zahlreiche Vertreter aus Politik und Religion, halten sich jedoch mit eigenen Kommentaren spürbar zurück. Es fällt auch auf, dass Regierungschef Erdogan bislang nicht reagierte. Zu brisant ist die Lage im Vorfeld des Papstbesuches.

Es formiert sich jedoch Widerstand gegen diesen Besuch. Gleich zwei Gewerkschaftsvorsitzende wollen den Besuch stoppen, Ahmet Yildiz von der Gewerkschaft der Angestellten des Religionsamtes (das sind unter anderen alle Imame) und Mustafa Basoglu, Chef der Gesundheitsgewerkschaft Saglik-Is. Ali Baradkoglu, Chef des (staatlichen) Religionsamtes, fordert eine sofortige Entschuldigung des Vatikans. Mehrere Politiker, auch aus der säkular orientierten CHP, sprechen von einer gefährlichen Entwicklung, die zu einem "Krieg der Religionen" führen könne. Der stellvertretende Fraktionschef der CHP, Haluk Koc, sagte, Benedikt XVI. habe "Öl aufs Feuer gegossen in einer Welt, wo die Gefahr eines Krieges zwischen den Religionen immer größer wird".

Auch Pakistans Parlament forderte einstimmig eine Entschuldigung des Papstes. Eine Sprecherin sagte, wer "den Islam als eine intolerante Religion bezeichnet, der fordert Gewalt heraus"; damit meinte sie vermutlich die Gewalt islamischer Glaubensanhänger. Sie verwies auf die "Tradition der Toleranz" des Islam - so habe das Osmanische Reich viele Juden aufgenommen, nachdem sie Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien von Christen vertrieben wurden.

Unterstützung kam vom türkischen Oberrabbiner Isaak Haleva. Wer über eine Religion reden wolle, so sagte er, der dürfe das nur, wenn er ihr angehöre.

Militant klangen Aufrufe der ägyptischen Islamischen Arbeitpartei. Ähnlich wie schon zur Zeit des Karikaturenstreits erhebt sie den Vorwurf, der Prophet sei beleidigt worden. Damals waren bei weltweiten und teilweise staatlich gelenkten Unruhen in muslimischen Ländern mehrere Menschen ums Leben gekommen. "Wacht auf, Muslime, der Papst beleidigt den Propheten und bezeichnet den Islam in seiner Ahnungslosigkeit als möglichen Feind", hieß es in einer Erklärung des Partei.

Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) sprach von einer "Verleumdungskampagne gegen den Propheten Mohammed" und betonte, sie selbst und die meisten muslimischen Länder hätten immer deutliche Zurückhaltung geübt, statt beispielsweise die Kreuzzüge des Christentums zu kritisieren. Der Papst hatte in seiner Rede die "Bekehrung durch das Schwert" durch muslimische Eroberungsfeldzüge indirekt kritisiert. (Bernard Lewis, einer der anerkanntesten Nahost-Experten schlechthin, sieht die Kreuzzüge unter anderem als Reaktion auf die vorangegangenen muslimischen Eroberungen.)

Derweil zeigte Benedikt XVI. mit einer Personalentscheidung, dass er die Beziehungen zum Islam und zu den muslimischen Ländern für einen der wichtigsten Bereiche der Außenbeziehungen der katholischen Kirche hält: Zum neuen Außenminister ernannte er Erzbischof Dominique Mamberti, der in Marokko geboren wurde und über Erfahrungen in der muslimischen Welt verfügt.

Nun stellt sich die Frage, was Benedikt mit seiner Rede bezweckte. Sein vorangegangenes langes Schweigen zum Thema Islam, die jetzige, offenbar wohlüberlegte Rede und die Ernennung Mambertis könnten bedeuten, dass er eine Diskussion auslösen möchte, die im Islam selbst kaum oder zumindest kaum hörbar geführt wird. Jene nämlich, wie Muslime zu heiliger Gewaltausübung stehen, ob nun Dschihad, islamischer Terror oder Steinigungen oder Köpfungen für Ehebrecherinnen. Bei allem Furor könnte noch Gutes daraus entstehen, wenn Muslime diesem Thema nicht ausweichen, sondern sich fragen, ob es Widersprüche gibt zwischen den Konzepten "Dschihad" und "Religion des Friedens" und ob Gott das Töten von Menschen erlaubt.

Die Welt vom 16.09.2006

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taz: Im Glaubenskrieg 

Kommentar von Daniel Bax

Der Ablauf erinnert fatal an den "Karikaturenstreit" vor neun Monaten. Waren es damals ein paar Cartoons des Propheten Mohammed, die in vielen muslimischen Ländern zu demonstrativer Entrüstung führten, so sind es diesmal ein paar missverständliche Sätze des Papstes über den Islam, die den gleichen Reflex provozieren.

Dabei melden sich wieder die üblichen Verdächtigen zu Wort: Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), die schon im Karikaturenstreit eine unrühmliche Rolle spielte und jetzt dem Papst nichts weniger als eine gezielte "Verleumdungskampagne" vorwirft. Die Muslimbruderschaft in Ägypten, die einmal mehr die Chance wittert, sich in die Pose der Verteidiger des rechten Glaubens zu werfen. Die Politiker im pakistanischen Parlament, die sich opportunistisch dem Druck radikaler Abgeordneter beugen und eine Entschuldigung fordern: kurz, die ganze Palette des beleidigten Irrsinns.

All diese Kräfte gießen nur neues Öl ins Feuer, um darauf ihr eigenes Süppchen zu kochen. Dabei muss man natürlich differenzieren. Dass sich einzelne muslimische Verbände in Europa über die unglückliche Papst-Rede irritiert zeigen und nach einer "Klarstellung" verlangen, ist angesichts der streitbaren Aussagen durchaus verständlich. Doch all die reflexhaften Forderungen nach einer sofortigen "Entschuldigung" sind überzogen und dienen allein der Eskalation.

Wie sehr die Erregung innenpolitischen Motiven geschuldet ist, sieht man am Beispiel der Türkei. Ende November soll der Papst auf Einladung des türkischen Staatspräsidenten an den Bosporus reisen. An dieser Frage hatte sich schon zuvor der lange schwelende Konflikt zwischen säkularem Establishment und religiöser Regierungspartei entzündet. Der Chef der türkischen Religionsbehörde gehörte zu den Ersten, die sich über die Papst-Worte empörten. Inzwischen rudert er, auf Druck von oben, merklich zurück.

Besser wäre jedoch, wenn besonnene Stimmen jetzt laut und deutlich zu einer Mäßigung aufriefen - bevor irgendwelche glaubenseifrigen Hooligans wieder das Heft in die Hand nehmen und das Bild vom "gewalttätigen Islam" bestätigen, das der Papst mit seinen Andeutungen beschworen hat.

taz vom 16.09.2006

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The Hindu: Pakistan condemns Pope's comments

By Nirupama Subramanian

Pakistan on Friday joined the protests against Pope Benedict XVI, with the Parliament passing unanimous resolutions against him for making "derogatory" comments about Islam and the Vatican envoy being summoned to the Foreign Ministry.

Both the National Assembly and the Senate adopted unanimous resolutions condemning the Pope.

The National Assembly resolution said the "derogatory remarks by the Pope about jihad and Prophet Muhammad had hurt Muslim sentiments across the world, could cause divisions between religions, and violated the United Nations charter on Human Rights."

It demanded that the Pope withdraw his remarks immediately to promote harmony between religions.

The Senate also passed a resolution condemning the Pope and asked him to retract his statement in order to prevent the recurrence of such "divisive rhetoric".

On Thursday, the Vatican said the pontiff's remarks earlier in the week during a visit to his hometown Bavaria in Germany, quoting a 14th century Byzantine Christian emperor about Islam, were not meant to offend Muslim sensibilities.

The Apostolic Nuncio was summoned to the Foreign Office, where a senior official handling Europe conveyed to him that the Pope's remarks "were deeply disturbing for Muslims all over the world and had caused great hurt and anguish," according to a statement from the Ministry.

The Holy See's envoy heard that the remarks were "unfortunate" at a time "when there was an acute need for promoting inter-faith harmony." The official told him that any reference that could strengthen the prevailing misperceptions of Islam should be avoided.

The Foreign Ministry statement said the Apostolic Nuncio regretted the hurt caused to Muslims.

He said the media misconstrued the quotes the Pope had used in his lecture. According to the statement, the envoy said the Pope had "profound respect for Islam and it was [his] intention to cultivate an attitude of respect for all religions and cultures."

Earlier, the Pakistan Foreign Ministry described the remarks as "regrettable" and "highly controversial," and said the statement could spread religious disharmony.

Spokesperson Tasnim Aslam said the Pope's statement showed that he was unaware of the life of Prophet Muhammad.

The Hidu from 16/09/2006

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The Times: Homily on faith, logic and holy war was seen as a slur on Islam

By Richard Owen

Experts say the Pope was addressing Western culture and did not intend to offend Muslims

IT BEGAN as the joyous homecoming of one of Bavaria’s best-loved sons, with excited crowds lining streets to applaud the German priest who became the leader of 1.1 billion Roman Catholics worldwide.

The organisers who had included a visit to the town of Regensburg on the banks of the River Danube thought that it would be a gentle diversion for Pope Benedict XVI, who agreed to address scholars at the local university before continuing on his tour of the German hinterland.

But the homily given by the former Cardinal Joseph Ratzinger on Tuesday has provoked a firestorm of Islamic rage and left in doubt his eagerly anticipated trip to Turkey later this year, which was intended to improve relations between Christians and Muslims.

Yesterday effigies of the Pope were set alight in Pakistan and hundreds joined protests in countries from Indonesia to Lebanon.

Presidents, prime ministers and religious leaders urged the Vatican to issue an apology.

At the Vatican the Pope’s senior advisers were mystified by the extraordinary scenes, which were eerily reminiscent of the protests over cartoons that appeared in Danish newspapers last year depicting the Prophet Muhammad. Then, as now, the reaction was slow to develop, and was stoked by an aggressive internet and e-mail campaign that urged Muslims to take to the streets over what was described as a most vile slur on Islam.

Attempting to dampen down the flames, the Vatican claimed that the Pope had been quoted out of context. In his Regensburg speech, he had referred to a dialogue on Christianity and Islam between Manuel Paleologus II, the 14th century Byzantine Christian emperor, and an educated Persian.

He said: "The emperor comes to speak about the issue of jihad, holy war. He said, and I quote, ‘Show me just what Muhammad brought that was new, and there you will find things only evil and inhuman, such as his command to spread by the sword the faith he preached’.”

The phrases on Islam were "brusque”, he said, and he pointed out several times that he was quoting the emperor, not endorsing him. Yet insiders were left wondering whether he had deliberately raised the issue of Islamic extremism to provoke debate.

"Pope Benedict’s remarks about jihad may have been taken out of context but they were not an aberration,” said Father Federico Lombardi, the newly appointed Jesuit head of the Holy See press office. "On the contrary, they stem from his thinking about Islam and the West in the one and a half years since he became Pope.”

Father Lombardi added: "What emerges from an attentive reading of the text is a clear and radical rejection of the religious motivation for violence. It was certainly not the intention of the Holy Father to undertake a comprehensive study of the jihad and of Muslim ideas on the subject, still less to offend the sensibilities of Muslim faithful. Quite the contrary, what emerges clearly from the Holy Father’s discourses is a warning, addressed to Western culture, to avoid ‘the contempt for God and the cynicism that considers mockery of the sacred to be an exercise of freedom’.

"What is clear, then, is the Holy Father’s desire to cultivate an attitude of respect and dialogue towards other religions and cultures, including, of course, Islam.”

Although the desire for "respect and dialogue” is not in question, it has emerged that, six months after he succeeded John Paul II, Pope Benedict convened an unpublicised two-day conference on Islam, the West and Christianity at Castelgandolfo, his summer residence, attended by Western experts on the Muslim world.

At the end, according to Vatican insiders, the Pope concluded that it was time for a "more robust” approach to Islam, which in its "fanatical” or "violent” form posed a danger to the West. The problem with Islam, the Pope told delegates, was that unlike Christianity, which distinguished (in Christ’s words) between "that which is God’s and that which is Caesar’s”, Islam sought to "integrate the laws of the Koran into all elements of social life”.

Whereas Jesus and the gospels offered a model to follow, the Koran was imposed rigidly with "no distinction between civil and religious law”. There was little spiritual or religious common ground, he is said to have told the conference. Therefore, Christianity could engage with Islam only as a "culture” and remind it to "respect human rights”, including the rights of Christian minorities in Muslim countries.

In May, the Pope told a Vatican conference on immigration that although he favoured "dialogue” with Islam it could only be conducted on the basis of "reciprocity”. Christians should "open their arms and hearts” to Muslim immigrants, but Muslims in turn had to overcome "the prejudices of a closed mentality”. As L’Espresso magazine observed yesterday: "This is not exactly a diplomatic pope.”

Since becoming Pope, the former Cardinal Ratzinger has been at pains to counteract the image he acquired as a ruthless enforcer of doctrinal orthodoxy when he was John Paul’s Prefect of the Congregation for the Doctrine of the Faith.

Once nickamed God’s Rottweiller, or the Panzer Kardinal, he has projected a gentler public face — making jokes, beaming from beneath his wavy white hair and even kissing babies as he meets crowds.

Many were pleasantly surprised when, in January, he chose the theme of love, sex and Christianity for his first papal encyclical. But he was elected in April last year over, say, a Latin American candidate because many cardinals were impressed by his insistence on the need to bolster Christian values not just in the Third World but also in Europe, which he believes is threatened by secularism, loss of faith — and Muslim immigration. As a cardinal, he was on record as opposing Turkish membership of the European Union. He has also, despite liberal Catholic hopes, so far shown no sign of relaxing doctrine to allow the use of condoms to prevent Aids in Africa.

In a little-noticed sign of his tougher line on Islam, in February he abolished the Council for Inter-Religious Dialogue, subsuming it into another council and dispatching its head, Archbishop Michael Fitzgerald, as his emissary to Egypt and the Arab League. The move was seen by many as a snub to Archbishop Fitzgerald, the most senior Briton in the Vatican, for his conciliatory approach to Muslims.

"It is difficult to imagine Benedict entering a mosque, as John Paul did in Damascus in 2001,” said Marco Politi, the Vatican correspondent of La Repubblica. Although he made overtures to Jews, Muslims and non-Catholic Christians after his election, and paid homage at Auschwitz in May, Pope Benedict lays less emphasis than his predecessor on dialogue with other faiths, let alone praying with or learning from them.

Vito Mancuse, lecturer in theology at the San Raffaele University of Milan, said: "The message of Regensburg is that logos — reason — is at the heart of Christianity, whereas the God of Islam is more arbitrary, and in the absence of reason lie the seeds of war. For Christians, God is love. Muslims don’t know what God is, only that he exists and dominates the world.”

CENTURIES OF ANIMOSITY

  • When Manuel II Paleologus, a 14th-century Byzantine emperor, said that Muhammad brought "things only evil and inhuman”, Christianity and Islam already had a long history of animosity
     

  • Within a few decades of Islam’s 7th-century beginnings, its empire had spread from modern-day Saudi Arabia to encroach on the Christian heartlands of Spain to the west and Jerusalem to the east
     

  • A further psychological blow was struck in AD846 when Muslims raided the Church of St Peter and Paul in Rome. Christians within Muslim areas were largely allowed freedom of worship and autonomy to run their own affairs
     

  • Relations deteriorated in the 11th century, with Al Hakim, the Egyptian Shia ruler, ordering the destruction of the Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem and an onslaught on Christians in the Holy Lands
     

  • By the 11th century a Christian counter-offensive was well under way. Muslims were pushed back in Spain and Pope Urban II preached the First Crusade, calling for the recapture of the Holy Lands. Eight crusades would follow over the next 200 years, but ultimately Jerusalem remained under Islamic control
     

  • The Muslim advance continued in the East, with Byzantium (Istanbul) falling in the 15th century, and a high-water mark in the 17th century when Turkish Ottoman troops besieged Vienna
     

  • In the West, Islam was less successful. After the 15th-century Muslim retreat from the Iberian Peninsula the "Andalusian model”, whereby worshippers of both faiths coexisted, was abandoned. Muslims had to choose conversion or expulsion
     

  • Over the following centuries the Turkish Ottoman Empire gradually declined in importance, until its final dissolution after defeat in the First World War

The Times September 16, 2006

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The Guardian: After a quiet first year as pontiff, God's Rottweiler shows his teeth

Pope believes his church should take tougher line on Islam

By John Hooper

The anniversary of Pope Benedict's election in the spring focused a question that had been forming in the minds of Vatican-watchers throughout his first 12 months: "What happened to God's Rottweiler?"
As head of the Congregation for the Doctrine of the Faith - the Vatican ministry that once ran the Inquisition - Joseph Ratzinger had done a fine job for Pope John Paul of intimidating the thinkers of the Roman Catholic church into sullen conformity.

But since he emerged on to the balcony of St Peter's basilica after his election in April 2005, the guard dog seemed to have become a pussycat - a benign old gent with a harmless taste for anachronistic headgear and a habit of boring his audiences with abstruse theological discourse.

The German commentator Wolfgang Cooper had cautioned before Benedict's election that the new Pope was an academic who "prefers intellectual discussions". And, indeed, by the time the papal jet touched down near Munich last Saturday, Karol Wojtyla's snappy soundbites were no more than a fond recollection in the collective memory of the Vatican press corps.

On the day he uttered the phrases that have prompted such uproar in the Muslim world, Pope Benedict celebrated an open-air mass. How did he try to reach out to the crowd? Initially, by talking about the medieval theological compendiums known as summae - not exactly a topic of burning currency in pious, rural southern Germany.

It is tempting to see the Pope's controversial reference to a 14th century Byzantine emperor in the same light - as the gaffe of an other-wordly intellectual who does not stop to think that his words are going to be seized on by journalists.

However, he more or less apologised in advance for the "startling brusqueness" of the emperor's remark that Muhammad brought "only evil and inhuman" things. That suggests he was fully aware of the impact it could make.

What is more, it is clear from the passage that followed that the Pope fully supports, if not the emperor's language, then certainly his underlying contention - that holy war is at odds with reason.

There are two further motives for thinking Benedict is ready to upset the believers in other faiths rather than shrink from what he believes needs to be said (or not said).

First, he has done it before. At Auschwitz, in May, he appalled many Jews by passing up what they saw as a historic opportunity for a German pope to apologise for the Roman Catholic church's conduct in the second world war. The second factor is that Pope Benedict has signalled clearly that he favours a tougher line in his church's dealings with Islam.

The key word in the Vatican now is "reciprocity". The leadership of the Roman Catholic church is increasingly of the opinion that a meaningful dialogue with the Muslim world is not possible while Christians are denied religious freedom in Muslim states.

One of the Pope's earliest personnel moves was to send Archbishop Michael Fitzgerald, the Vatican's leading expert on Islam, to Cairo as the Holy See's envoy to the Arab League. The department he left behind, the Pontifical Council for Inter-religious Dialogue, has been absorbed into the Vatican's "culture ministry".

That reshuffle is one of several major changes effected by Pope Benedict. With what, for the Vatican, is uncharacteristic haste, he has put new men in several top jobs including the secretariat of state. He has set a new agenda for the Vatican whose new concerns include not only relations with the Islamic world but also a redoubled attempt to heal the breach with Orthodox Christianity and a drive to assert the role of God in the processes of creation and evolution.

At the same time - and in contrast to the approach of his predecessor - Benedict has begun to deliver on his pledge to drive the "filth" from the church. In May, in a singularly public and humiliating manner, he disciplined one of the church's most influential priests, the head of the Legionnaires of Christ movement, who had been accused of sexual abuse.

The Guardian, September 16, 2006

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"Der Islam ist eine andere Kultur"

Kardinal Walter Kasper, Ökumene-Beauftragter des Papstes, zum Streit mit den Muslimen

SPIEGEL: Herr Kardinal, überrascht Sie die heftige Reaktion von Muslimen in aller Welt auf die Vorlesung des Papstes in Regensburg?

Kasper: Da der christliche Glaube ein freier personaler Akt ist, kann der Papst die berechtigten Anliegen der Aufklärung aufgreifen: die Idee der allgemeinen Menschenrechte, der Religionsfreiheit und die Unterscheidung von Religion und Politik. Denn die katholische Kirche ist Weltkirche und. heute mehr denn je ein Global Player.

SPIEGEL: Da bleiben Konflikte mit anderen Religionen offenbar nicht aus.

Kasper: Die Auseinandersetzung mit dem Islam durchzieht ja die gesamte europäische Geschichte, und die wollte der Papst in Erinnerung rufen. Heute scheint die Begegnung mit dem Islam in eine neue Phase einzutreten. Viele sprechen vom "clash of civilisations", einem Kampf der Kulturen. Aber man muss mit diesem Begriff sehr sorgfältig umgehen, damit daraus nicht eine selbsterfüllende Prophezeiung wird. Die Alternative zu Konflikt heißt Dialog. Dafür optieren die Kirchen, dafür ist auch der Papst. Wir wollen eine friedliche Auseinandersetzung. Die besteht freilich auch auf Gegenseitigkeit. Über die Schwierigkeiten darf man sich keine Illusionen machen.

SPIEGEL: Warum ist für die katholische Kirche der Dialog mit dem Islam so schwierig?

Kasper: Es gibt nicht den Islam, der Koran ist vieldeutig und der Islam keine monolithische Größe. Die Unterscheidung zwischen radikalem Islamismus und gemäßigten Muslimen ist wichtig, auch die Unterscheidung zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen militantem und mystischem Islam. Neben dem Islam in der arabischen Welt steht der indonesische, pakistanische, türkische Islam. Selbst innerhalb der arabischen Welt hält sich die Solidarität in Grenzen, und den bei uns lebenden Muslimen gelingt es nicht, eine alle Muslime vertretende Organisation aufzubauen. Diese könnte uns vor irrationalen Angstphantasien bewahren, die den Islam komplett zum Feindbild machen. Aber unter den bisherigen Umständen ist es schwierig, repräsentative Gesprächspartner zu finden.

SPIEGEL: Halten Sie einen gleichberechtigten Dialog für möglich?

Kasper: Man darf bei diesem Dialog nicht blauäugig sein. Der Islam verdient zweifellos Respekt. Er hat manches mit dem Christentum gemeinsam, wie den gemeinsamen Stammvater Abraham und den Ein-Gott-Glauben. Aber er hat sich schon am Anfang gegen das orthodoxe Christentum gebildet und versteht sich als dem Christentum überlegen. Tolerant verhält er sich bisher nur dort, wo er in der Minderheit ist. Wo er die Mehrheit hat, kennt er keine Religionsfreiheit in unserem Sinn. Der Islam ist eine andere Kultur, was nicht heißt, eine minderwertige Kultur, wohl aber eine Kultur, welche bis jetzt keinen Zugang zu dem gefunden hat, was die positiven Seiten unserer modernen westlichen Kultur ausmacht - die Religionsfreiheit, die Menschenrechte oder die Gleichberechtigung der Frau. Diese Defizite sind ein Grund für die Frustration vieler Muslime, die oft in Hass und Gewalt gegenüber dem als gottlos und dekadent verachteten Westen umschlägt. Selbstmordattentate sind Taten von Verlierern, die nichts zu verlieren haben. Der Islam dient dabei als Maske, hinter der sich nicht Religion, sondern Verzweiflung und Nihilismus verbergen.

SPIEGEL: Wohin, glauben Sie, entwickelt sich der Islam?

Kasper: Eine offene Frage ist, ob in Zukunft ein Euro-Islam möglich ist, der Islam mit Demokratie verbindet. Dabei sollte man den Wunsch nicht mit der Realität verwechseln. Wie soll sich Europa verhalten? Europa ist aufgrund seines eigenen Selbstverständnisses eine weltoffene Gemeinschaft; es will und kann kein "christlicher Club" sein. Doch "Multikulti", das bloße Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen, ist europaweit gescheitert. Integration setzt eine Mindestbasis gemeinsamer Werte voraus, da» beißt eine Kultur gegenseitiger Toleranz und gegenseitigen Respekts, also genau das, was das Herz europäischer Kultur ausmacht. Integration ist daher nicht ohne Ausgrenzung von solchen möglich, welche diese Kultur nicht anerkennen. Wer nicht toleranzbereit ist, kann nicht selbst Toleranz erwarten oder gar fordern.

SPIEGEL: Was für ein Europa will die Kirche?

Kasper: Ein Europa, das seine eigenen Werte relativiert, wirkt in den Augen der Muslime nicht anziehend. Europa muss als ein geistig und geistlich starker Partner auftreten und von seinen eigenen Vorzügen überzeugt sein. Nur so werden wir Respekt finden. Nur ein seiner eigenen Werte bewusstes Europa kann nicht nur ein wirtschaftlich starker, sondern auch ein moralisch und geistig geachteter Partner sein und Gastfreundschaft üben. Es ist doch eine Kulturschande, dass wir No-go-Areas für Ausländer ausweisen müssen.

SPIEGEL: Ist der Rückgriff in die Historie von Christentum und Islam wirklich hilfreich, wenn man den Dialog will?

Kasper: Das Christentum brachte etwas revolutionär Neues: die Freiheit und die unbedingte Würde jedes einzelnen Menschen, unabhängig von seiner Religion, Kultur, Nationalität. Seit den Kreuzzügen aber sind Ost und West einander fremd geworden. "Lieber der Turban der Türken als die Mitra der Römer", hieß es im Osten. Die Abkoppelung vom Osten bedeutete eine geistige Verarmung, die im späten Mittelalter zu einer innerkirchlichen Krise führte; sie war eine der Ursachen der Reformation des 16. Jahrhunderts. Die Reformation brachte mit dem Gedanken der "Freiheit des Christenmenschen" einen wichtigen geistigkulturellen Impuls in die europäische Kultur ein. Sie führte aber auch zum Auseinanderbrechen der westlichen Christenheit ...

SPIEGEL:... und zu Religionskriegen.

Kasper: Diese Religionskriege zeigten, dass der christliche Glaube nicht mehr länger die Einheitsklammer Europas war. Man brauchte eine neue gemeinsame Grundlage, und man fand sie in der allen Menschen gemeinsamen Vernunft. Das war eine der Ursachen der Aufklärung und ihrer Idee der allgemeinen Menschenrechte. Die wissenschaftlichen und zivilisatorischen Leistungen der Moderne sind unbestreitbar. Doch im Gefolge der Französischen Revolution emanzipierte sich die Neuzeit zunehmend von den christlichen Wurzeln und wurde so selbst wurzellos. Der Sonderweg dauerte denn auch nicht lange. Das Ende des Ersten Weltkriegs war auch das Ende der bürgerlichen Kultur. Es entstand eine innere Leere, die im 19. und 20. Jahrhundert den Boden für zwei Ideologien bereitete, welche nicht nur Europa, sondern die Welt in den Abgrund rissen und in eine Katastrophe stürzten.

SPIEGEL: Und für diese geistliche Lücke hat jetzt die Kirche eine Lösung parat?

Kasper: Die Grundfrage für die Zukunft Europas wird sein, ob und wie es gelingt, die Ideale, die Europa einmal groß gemacht haben - besonders seine christlichen Wurzeln - in die verwandelte Weltsituation von heute zu übertragen. Niemand will ins Mittelalter zurück.

SPIEGEL: Das ist Ihre Lehre aus der Inquisition und den Versuchen, gewaltsam zu missionieren?

Kasper: Für das heutige Christentum ist die Unterscheidung von religiöser und weltlicher Ordnung grundlegend. Diese Unterscheidung stellt sowohl gegenüber dem Islam wie gegenüber dem Judentum eine Neuerung und einen Vorzug dar, welche die Gestalt Europas geprägt hat. Sie ist in dem Wort Jesu grundgelegt, man solle dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.

Interview: Peter Wensierski
Der Spiegel vom 18.09.2006

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Mohammeds Schwert - Der Papst, der Islam, die Gewalt und die Kreuzzüge

Von Uri Avnery

Seit den Tagen, als römische Kaiser Christen den Löwen zum Fraß vorwarfen, haben die Beziehungen zwischen Kaisern und Kirchenführern viele Wandlungen durchgemacht.

Konstantin der Große, der 306 – genau vor 1.700 Jahren – Kaiser wurde, förderte die Ausübung des Christentums im Kaiserreiche, zu dem auch Palästina gehörte. Jahrhunderte später teilte sich die Kirche in einen östlichen (orthodoxen) und einen westlichen (katholischen) Teil. Im Westen erwarb der Bischof von Rom den Titel Papst und verlangte vom Kaiser, seine Überlegenheit anzuerkennen.

Der Kampf zwischen den Kaisern und Päpsten spielte in der europäischen Geschichte eine zentrale Rolle und spaltete die Völker. Es gab Höhen und Tiefen. Einige Kaiser setzten den Papst ab oder vertrieben ihn, einige Päpste setzen den Kaiser ab oder exkommunizierten ihn. Einer der Kaiser, Heinrich IV., "ging nach Canossa", stand drei Tage barfuss im Schnee vor der Burg des Papstes, bis der Papst sich herabließ, seine Exkommunizierung aufzuheben.

Aber es gab auch Zeiten, in denen Kaiser und Päpste in Frieden miteinander lebten. Heute erleben wir solch eine Zeit. Zwischen dem gegenwärtigen Papst Benedikt XVI. und dem gegenwärtigen Kaiser George Bush II. besteht eine wunderbare Harmonie. Die vor einer Woche gehaltene Rede des Papstes, die einen weltweiten Sturm auslöste, passt gut zu Bushs Kreuzzug gegen den "Islamofaschismus" im Kontext des "Kampfes der Kulturen".

In seiner Vorlesung an einer deutschen Universität beschrieb der 265. Papst, was er als großen Unterschied zwischen Christentum und Islam ansieht: während das Christentum sich auf die Vernunft gründe, verleugne der Islam diese. Während die Christen die Logik in Gottes Handlungen erkennen, verleugneten die Muslime jegliche Logik in den Taten Allahs.

Als jüdischer Atheist habe ich nicht die Absicht, mich auf den Streitboden dieser Debatte zu begeben. Es liegt weit außerhalb meiner bescheidenen Fähigkeit, die Logik des Papstes zu verstehen. Aber ich kann eine Passage nicht übersehen, die auch mich betrifft, als Israeli, der in der Nähe der Verwerfungszone dieses "Kampfes der Kulturen" lebt.

Um den Mangel an Vernunft im Islam zu beweisen, behauptet der Papst, dass der Prophet Muhammad seinen Anhängern befahl, seine Religion mit dem Schwert zu verbreiten. Nach Ansicht des Papstes ist dies unvernünftig, weil der Glaube der Seele entstammt und nicht dem Körper. Wie könnte das Schwert die Seele beeinflussen?

Um diese These zu unterstützen, zitierte der Papst ausgerechnet einen byzantinischen Kaisers, der natürlich zur konkurrierenden Kirche des Ostens gehörte. Ende des 14. Jahrhunderts erzählte Kaiser Manuel II. Palaeologus von einem Streitgespräch, das er mit einem nicht namentlich genannten persisch muslimischen Gelehrten geführt habe - sagte er zumindest (das Vorkommnis wird bezweifelt). In der Hitze des Gefechtes schleuderte der Kaiser (nach seiner eigenen Aussage) folgende Worte gegen seinen Kontrahenten:

"Zeige mir doch, was Mohammad Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Unmenschliches finden wie seinen Befehl, den von ihm gepredigten Glauben durch das Schwert zu verbreiten."

Diese Worte geben Anlass zu drei Fragen:

  1. Warum sagte der Kaiser sie?

  2. Sind sie wahr?

  3. Warum hat der gegenwärtige Papst sie zitiert?

Als Manuel II. seine Abhandlung schrieb, war er das Oberhaupt eines sterbenden Imperiums. Er kam 1391 an die Macht, als dem einst so blühenden Kaiserreich nur noch wenige Provinzen geblieben waren. Auch diese wurden bereits von den Türken bedroht.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die ottomanischen Türken bereits das Donauufer erreicht. Sie hatten Bulgarien und den Norden Griechenlands erobert und zweimal von Europa gesandte Entlastungsheere besiegt, die das östliche Kaiserreich retten sollten. Am 29. Mai 1453, nur wenige Jahre nach Manuels Tod, eroberten die Türken seine Hauptstadt Konstantinopel - das heutige Istanbul - und setzten dem Kaiserreich ein Ende, das mehr als tausend Jahre gedauert hatte.

Während seiner Herrschaft hatte Kaiser Manuel II. die Hauptstädte Europas besucht und versucht, Unterstützung zusammenzutrommeln. Er versprach, die Kirche wieder zu vereinigen. Zweifellos schrieb er seine religiöse Abhandlung, um die christlichen Länder gegen die Muslime aufzustacheln und sie zu einem neuen Kreuzzug zu bewegen. Das Ziel war praktisch ausgerichtet, die Theologie diente der Politik.

In diesem Sinn passt das Zitat genau zu den Erfordernissen des gegenwärtigen Kaisers George Bush II. Auch er will die christliche Welt gegen die hauptsächlich muslimische "Achse des Bösen" einigen. Außerdem klopfen die Türken wieder an die Türen Europas, dieses Mal friedlich. Es ist allgemein bekannt, dass der Papst die Kräfte unterstützt, die gegen den Eintritt der Türkei in die Europäische Union sind.

Steckt irgendeine Wahrheit in Manuels Behauptung?

Der Papst selbst hat Vorsicht angemahnt. Als seriöser und namhafter Theologe konnte er es sich nicht leisten, geschriebene Texte zu verfälschen. Deshalb gab er zu, dass der Koran ausdrücklich verbietet, den Glauben mit Gewalt zu verbreiten. Er zitierte die 2. Sure, Vers 256 (seltsam fehlbar für einen Papst - er meinte den Vers 257) der lautet: "In Glaubenssachen darf es keinen Zwang geben".

Wie kann man eine so unzweideutige Feststellung ignorieren? Der Papst behauptete einfach, dass dieses Gebot vom Propheten zu Beginn seiner Karriere festgelegt worden sei, als er noch schwach und ohnmächtig war, aber später die Anwendung des Schwertes im Dienst des Glaubens befohlen habe. Solch einen Befehl gibt es im Koran nicht. Mohammed rief zwar zur Anwendung des Schwertes in seinem Krieg gegen feindliche Stämme - christliche, jüdische und andere – in Arabien auf, als er seinen Staat aufbaute. Aber das war ein politischer und kein religiöser Akt; grundsätzlich ein Kampf um Gebiete, nicht um die Verbreitung des Glaubens.

Jesus sagte: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." Die Behandlung anderer Religionen durch den Islam, muss mittels eines einfachen Tests beurteilt werden: Wie haben sich die muslimischen Herrscher mehr als tausend Jahre lang verhalten, als sie die Macht hatten, "den Glauben mit dem Schwert zu verbreiten"?

Nun, sie haben es einfach nicht getan.

Viele Jahrhunderte lang herrschten Muslime über Griechenland. Wurden die Griechen Muslime? Versuchte jemand auch nur, sie zu islamisieren? Im Gegenteil, christliche Griechen besetzten die höchsten Ämter in der ottomanischen Regierung. Die Bulgaren, Serben, Rumänen, Ungarn und andere europäische Nationen lebten zeitweise unter ottomanischen Herrschaft und hielten an ihrem christlichen Glauben fest. Keiner zwang sie, Muslime zu werden und alle blieben gläubige Christen.

Die Albaner konvertierten zwar zum Islam und auch die Bosniaken. Aber niemand behauptet, dass dies unter Zwang geschehen sei. Sie nahmen den Islam an, um Vergünstigungen der Regierung zu erlangen und sich der Früchte zu erfreuen.

1099 eroberten die Kreuzfahrer Jerusalem und massakrierten willkürlich seine muslimischen und jüdischen Einwohner, im Namen des sanften Jesus. Zu jener Zeit, 400 Jahre nach der muslimischen Besetzung Palästinas, waren die Christen noch die Mehrheit im Lande. Während dieser langen Periode wurden keine Anstrengungen unternommen, ihnen den Islam aufzuzwingen. Erst nach der Vertreibung der Kreuzfahrer aus dem Land begann die Mehrheit der Bewohner damit, die arabische Sprache und den muslimischen Glauben anzunehmen – und sie sind die Vorfahren der meisten heutigen Palästinenser.

Es gibt auch keinen Beweis für einen Versuch, den Juden den Islam aufzuzwingen. Wie allgemein bekannt ist, erlebten die Juden Spaniens während der muslimischen Herrschaft eine Blütezeit, wie sie sie nirgendwo anders beinahe bis in unsere Zeit erlebten. Dichter wie Yehuda Halevy schrieben arabisch, genau wie der große Maimonides. Im muslimischen Spanien waren Juden Minister, Dichter, Wissenschaftler. Im muslimischen Toledo arbeiteten christliche, muslimische und jüdische Gelehrte zusammen und übersetzten die antiken griechischen philosophischen und wissenschaftlichen Texte. Das war wirklich das Goldene Zeitalter. Wie hätte das nur möglich sein können, hätte der Prophet die "Verbreitung des Glaubens mit dem Schwert" verordnet?

Was dann geschah, ist aber noch aufschlussreicher. Als die Katholiken Spanien von den Muslimen zurückerobert hatten, begannen sie eine Herrschaft des religiösen Terrors. Juden und Muslime wurden vor eine grausame Wahl gestellt: entweder zum Christentum zu konvertieren, massakriert zu werden oder das Land zu verlassen. Und wohin flohen die hunderttausenden von Juden, die sich weigerten, ihren Glauben aufzugeben? Fast alle von ihnen wurden mit offenen Armen in den muslimischen Ländern aufgenommen. Die sephardischen ("spanischen") Juden siedelten in der ganzen muslimischen Welt von Marokko im Westen bis zum Irak im Osten, von Bulgarien (damals ein Teil des ottomanischen Reiches) im Norden bis in den Sudan im Süden. Nirgendwo wurden sie verfolgt. Sie kannten nichts wie die Folterungen der Inquisition, die Flammen der Ketzerverbrennungen, die Pogrome, die schrecklichen Massenvertreibungen durch, die in fast allen christlichen Ländern bis zum Holocaust stattfanden.

Warum? Weil der Islam ausdrücklich jede Verfolgung der "Völker des Buches" verboten hat. In der islamischen Gesellschaft war ein besonderer Platz für Juden und Christen reserviert. Sie hatten zwar nicht völlig die gleichen Rechte, aber beinahe. Sie mussten eine besondere Steuer bezahlen, waren aber vom Militärdienst befreit – eine Übereinkunft, die vielen Juden sehr willkommen war. Es wurde gesagt, dass muslimische Herrscher vor jedem Versuch – selbst mit sanfter Überzeugung - Juden zum Islam zu konvertieren, zurückschreckten, weil das den Verlust von Steuern nach sich zog.

Jeder ehrliche Jude, der die Geschichte seines Volkes kennt, kann nicht anders, als gegenüber dem Islam große Dankbarkeit zu empfinden, da er die Juden 50 Generationen lang geschützt hat, während die christliche Welt die Juden verfolgte und viele Male "mit dem Schwert" versuchte, sie von ihrem Glauben abzubringen.

Die Geschichte über die "Verbreitung des Glaubens mit dem Schwert" ist eine üble Legende, eine der Mythen, die in Europa während der großen Kriege gegen die Muslime - die Rückeroberung Spaniens durch die Christen, der Kreuzfahrten und die Zurückschlagung der Türken, die beinahe Wien erobert hätten - wuchsen. Ich habe den Verdacht, dass auch der deutsche Papst ehrlich an diese Märchen glaubt. Das bedeutet, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche, der selbst ein namhafter Theologe ist, sich nicht die Mühe gemacht hat, die Geschichte anderer Religionen zu studieren.

Warum äußerte er diese Worte in der Öffentlichkeit? Und warum jetzt?

Man kann sie jetzt nur vor dem Hintergrund des neuen Kreuzzugs von Bush und seinen evangelistischen Unterstützern sehen mit seinen Wahlsprüchen vom "Islamofaschismus" und "dem globalen Krieg gegen den Terror" – nachdem "Terrorismus" ein Synonym für Muslime geworden ist. Für Bushs Steuerer ist dies ein zynischer Versuch, die Herrschaft über die Öl-Ressourcen der Welt zu rechtfertigen. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte, wird ein religiöses Mäntelchen über die Nacktheit wirtschaftlicher Interessen gebreitet; nicht zum ersten Mal wird der Feldzug eines Räubers zu einem Kreuzzug.

Die Rede des Papstes passt zu diesen Bemühungen. Wer kann die unheilvollen Folgen voraussehen?

Übersetzung Ellen Rohlfs
Freace vom 25.09.2006

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Offener Brief von 38 führen den Muslim-Gelehrten und Führern an Papst Benedikt XVI vom. 12. Oktober 2006

Eure Heiligkeit,
unter Bezugnahme auf Ihre Vorlesung in der Universität Regensburg in Deutschland am 12. September 2006 halten wir es im Geist einer offenen Begegnung für angemessen, die Diskussion zwischen Kaiser Manuel II. Paläologos und einem "persischen Gelehrten“ anzusprechen, die Sie zum Ausgangspunkt für einen Diskurs über die Beziehung zwischen Vernunft und Glaube nahmen. Während wir Ihren Kampf gegen die Herrschaft des Positivismus und Materialismus im menschlichen Leben begrüßen, müssen wir doch einige Irrtümer ansprechen, wie Sie den Islam als Gegenbild zum ordentlichen Gebrauch der Vernunft darstellen, wie auch einige fehlerhafte Behauptungen, die Sie zur Unterstützung Ihrer Argumentation anführen.

Kein Zwang in Glaubenssachen

Sie erwähnen, dass "nach Meinung der Experten“ der Vers, der beginnt "In der Religion gibt es keinen Zwang…“ (al-Baqarah 2:256) aus der frühen Periode stammt, "in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war“, aber das ist nicht richtig. In Wirklichkeit gehört diese Sure in die Zeit der Offenbarung des Korans und somit in den politischen und militärischen Aufstieg der jungen moslemischen Gemeinschaft. Kein Zwang in Glaubenssachen war nicht ein Gebot für die Moslems, standhaft zu bleiben angesichts der Bedrängnis unter Zwang den Glauben zu widerrufen, sondern war eine Ermahnung für die Muslime selbst, wenn sie einst Macht besäßen, könnten sie nicht das Herz eines anderen zwingen zu glauben.

Kein Zwang in Glaubenssachen meint jene in der Position der Stärke, nicht der Schwäche. Die ältesten Kommentare zum Koran (wie der von Al-Tabari) machen deutlich, dass einige Muslime von Medina ihre Kinder zwingen wollten, vom Judentum oder Christentum zum Islam zu konvertieren - und diese Sure war für sie eine klare Antwort, nicht ihre Kinder mit Gewalt zum Islam zu zwingen. Mehr noch werden Muslime geführt durch Suren, die sagen: "Und sag, es ist die Wahrheit, die von eurem Herrn kommt. Wer nun will, möge glauben, und wer will, möge nicht glauben…“ (al-Kahf 18:29); und: "Sag, Ihr Ungläubigen! Ich verehre nicht, was ihr verehrt, und ihr verehrt nicht, was ich verehre. Und ich verehre nicht, was ihr bisher immer verehrt habt, und ihr verehrt nicht, was ich verehre. Ihr habt Eure Religion und ich die meine.“ (al-Kafirun: 109:1-6).

Die Transzendenz Gottes

Sie haben auch gesagt, "für die muslimische Lehre hingegen ist Gott absolut transzendent“ – eine Vereinfachung, die zu Missdeutung führen kann. Der Koran hält fest: "Er ist der Schöpfer von Himmel und Erde…“ (asch-shura 42:11), aber der Koran lehrt auch: “Allah ist das Licht von Himmel und Erde…“ (al-Nur 24:35); und: Wir sind ihm näher als seine Halsadern (Qaf 50:16); und: "Er ist der Erste und der Letzte, (deutlich) erkennbar und (zugleich) verborgen…“ (al-Hadid 57:3) und: “…er ist mit euch, wo ihr auch seid…“ (al-Hadid 57:4); und: “…wohin ihr euch wenden möget, da habt ihr Allahs Antlitz vor euch…“(al-Baqarah 2:115). Lasst uns also das Wort des Propheten in Erinnerung rufen, das festhält, dass Gott sagt: "Wenn ich ihn liebe (den Beter), bin ich sein Gehör, wenn er hört, bin ich sein Auge, wenn er sieht, die Hand, mit der er greift und der Fuß, mit dem er geht.“ (Sahih al-Bukhari Nr. 6502, Kitab al Riqaq).

In der islamischen Spiritualität, in der theologischen und philosophischen Tradition, ist der von Ihnen erwähnte Denker Ibn Hazm (+1069) eine verdienstvolle, aber doch Randfigur. der zur Zahiri-Rechtsschule gehörte, der in der heutigen islamischen Welt niemand mehr folgt. In der klassischen Transzendenzlehre gibt es bedeutendere Muslime wie al-Ghazali (+1111) und viele andere, die einflussreicher und repräsentativer für den Islam sind als Ibn Hazm.

"Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner“, so argumentieren Sie mit einem Zitat, "ist evident: Gott hat kein Gefallen am Blut“. Als Gegenbeispiel führen Sie die moslemische Lehre an: "Gott ist absolut transzendent.“ Es ist aber eine Vereinfachung, die missverstanden werden kann, wenn Sie sagen: "Gottes Wille (im Islam) ist an keine unserer Kategorien gebunden (und sei es die der Vernünftigkeit). Gott hat viele Namen im Islam wie: der Barmherzige, der Gerechte, der Sehende, der Hörende, der Wissende, der Liebende, der Sanftmütige. Die tiefste Überzeugung von Gottes Einzigartigkeit und dass es in der Sure (al- Ikhlas 112:4) heißt: "keiner kann sich mit ihm messen,“ hat die Muslime nicht dazu geführt Gottes Zuschreibung dieser Eigenschaften zu ihm selbst und zu (einigen) seiner Geschöpfe zu leugnen (wobei der Begriff "Kategorie’ zunächst beiseite gestellt werden soll; dieser Begriff bedarf im Kontext noch einer weiteren Klärung). Was nun Seinen Willen anbetrifft - daraus zu schließen, dass Muslime an einen launischen Gott glauben, der vielleicht oder auch nicht zum Bösen verführt, heißt zu vergessen, dass Gott im Koran sagt: "Allah befiehlt (zu tun), was recht und billig ist, gut zu handeln, und den Verwandten zu geben (was ihnen zusteht). Und er verbietet (zu tun), was abscheulich und verwerflich ist, und gewalttätig zu sein. Er ermahnt euch (damit). Vielleicht würdet ihr die Mahnung annehmen.” (al-Nahl, 16:90). Auch würde man vergessen, dass Gott im Koran sagt: (Allah) "hat sich (den Gläubigen gegenüber?) zur Barmherzigkeit verpflichtet.“ (al-An’aam, 6:12, siehe auch: 6:54). Weiter sagt Gott im Koran: "…aber meine Barmherzigkeit kennt keine Grenzen…” (al-A’raaf 7:156). Das Wort für Barmherzigkeit, rahmah, kann auch übersetzt werden mit Liebe, Freundlichkeit und Mitleid. Von diesem Wort rahmah kommt die heilige Formel, die Muslime täglich sprechen: Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Mitfühlenden. Ist es nicht evident, dass Vergießen von unschuldigem Blut sich gegen Barmherzigkeit und Mitleid richtet?

Der Gebrauch der Vernunft

Die islamische Tradition ist reich an Erforschungen der Natur der menschlichen Intelligenz und ihre Beziehung zur Natur Gottes und Seines Willens, einschließlich der Frage, was evident ist und was nicht. Jedoch besteht der Gegensatz zwischen "Vernunft“ einerseits und "Glaube“ andererseits nicht exakt in der gleichen Weise im islamischen Denken. Eher haben sich Muslime mit der Kraft und den Grenzen menschlicher Intelligenz auf eine Hierarchie der Erkenntnis geeinigt, von der die Vernunft ein äußerst wichtiger Teil ist. Im allgemeinen hat die islamische Lehrtradition zwei Extreme vermieden: 1. den analytischen Verstand zum letzten Richter der Wahrheit zu machen, und 2. die Fähigkeit menschlichen Verstehens, letzte Fragen anzusprechen, zu leugnen. Bedeutender aber ist, dass muslimische Forschung Jahrhunderte hindurch in ihrer reifsten Hauptrichtung eine Übereinstimmung gefunden hat zwischen der Wahrheit der koranischen Offenbarung und den Erfordernissen menschlicher Intelligenz, ohne eins für das andere zu opfern. Gott sagt: "…Wir werden sie (draußen) in der weiten Welt und in ihnen selber unsere Zeichen sehen lassen, damit ihnen klar wird, dass es die Wahrheit ist (was ihnen verkündet ist)…“ (Fussilat 41:53). Vernunft selbst ist eines der vielen Zeichen in uns, wodurch Gott uns einlädt zu meditieren und uns damit zu befassen als einen Weg zur Erkenntnis der Wahrheit.

Was ist "Heiliger Krieg“?

Wir möchten hier feststellen, dass “Heiliger Krieg” kein Begriff ist, der in den islamischen Sprachen existiert. Dschihad – das muss deutlich gesagt werden – bedeutet Kampf, und im besonderen Einsatz für die Sache Gottes. Dieser Kampf kennt viele Formen, einschließlich den Gebrauch von Gewalt. Obgleich ein Dschihad ein entschlossener Kampf für ein heiliges Ideal sein kann, ist er nicht notwendigerweise ein "Krieg“. Außerdem ist es bemerkenswert, dass Manuel II. Paläologos sagt, dass "Gewalt“ im Widerspruch zum Wesen Gottes steht, dabei hat doch Christus selbst Gewalt gegen die Geldwechsler im Tempel ausgeübt und selbst gesagt: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert…“ (Mt 10,34-36). Als Gott den Pharao ertränkte – war das gegen Sein eigenes Wesen? Vielleicht wollte der Kaiser sagen, dass Grausamkeit, Brutalität und Agression gegen Gottes Willen ist, dann hätte er das klassische und überlieferte Gesetz des Dschihad im Islam absolut richtig verstanden.

Sie sagen: "Aber der Kaiser kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen – Bestimmungen über den heiligen Krieg.“ Aber wie wir oben in Bezug auf "Kein Zwang in Glaubenssachen“ sagten, sind diese erwähnten Bestimmungen keineswegs später entstanden. Mehr noch: die Feststellung des Kaisers über Zwangskonversionen zeigen, dass er nicht weiß, was diese Bestimmungen sind und immer waren.

Die maßgebenden und überlieferten islamischen Kriegsregeln können wie folgt zusammengefasst werden:

  1. Nicht-Kriegsteilnehmer sind keine erlaubten oder legale Ziele. Dies wurde ausdrücklich und immer wieder vom Propheten betont, auch von seinen Begleitern und von der weitergegebenen Tradition.

  2. Der religiöse Glaube allein macht niemand zum Angriffsziel. Die ursprüngliche moslemische Gemeinschaft kämpfte gegen Heiden, die sie vertrieben, verfolgt, gemartert und ermordet hatten. Die späteren islamischen Eroberungen waren politischer Natur.

  3. Muslime können und sollen friedlich mit ihren Nachbarn leben. "Und wenn sie dem Frieden zuneigen, dann neige (auch du) dich ihm zu (und lass vom Kampf ab)! Und vertrau auf Allah!...“ (al-Anfaal, 8:61). Das schließt jedoch nicht eine legitime Selbstverteidigung und Erhaltung der Souveränität aus.

Muslime sind im Gehorsam ebenso an diese Bestimmungen gebunden, wie sie Diebstahl und Ehebruch unterlassen müssen. Wenn eine Religion Regeln für den Krieg aufstellt und die Voraussetzungen festlegt, wann dieser notwendig und gerecht ist, bedeutet das nicht, dass sie kriegerisch ist, ebenso wie die Aufstellung von Normen der Sexualität eine Religion anzüglich macht. Wenn einige eine lange und wohlbegründete Tradition missachtet haben wegen utopische Träume, in denen das Ziel die Mittel rechtfertigt, haben sie auf eigene Faust gehandelt und nicht in Übereinstimmung mit Gott, mit Seinem Propheten oder der überlieferten Tradition. Gott sagt im Heiligen Koran: "…Und der Hass, den ihr gegen (gewisse) Leute hegt soll euch ja nicht dazu bringen, dass ihr nicht gerecht seid. Das entspricht eher der Gottesfurcht...“ (al-Ma’ida, 5:8). In diesem Zusammenhang müssen wir feststellen, dass der Mord am 17. September an einer unschuldigen katholischen Ordensschwester in Somalia – und jede andere ähnliche Tat mutwilliger Gewalt einer Einzelperson – als Antwort zu Ihrer Vorlesung in der Universität Regensburg – völlig unislamisch ist, und wir solche Taten absolut verurteilen.

Zwangskonversion

Die Bemerkung, Muslimen sei geboten ihren Glauben “durch das Schwert” auszubreiten oder dass der Islam faktisch und weithin “durch das Schwert” ausgebreitet wurde, hält einer Überprüfung nicht Stand. In der Tat breitete sich der Islam als politisches Gebilde als Folge der Eroberungen aus. Weit mehr aber war die Ausbreitung Folge von Predigt und Mission. Die islamische Lehre schreibt nicht vor, dass besiegte Völker durch Zwang oder Gewalt konvertieren müssen. So blieben viele der zuerst von Muslimen besiegten Länder mehrheitlich über Jahrhunderte nicht-muslimisch. Hätten die Muslime gewollt, dass alle anderen mit Gewalt zum Islam konvertierten, wäre nirgendwo in der islamischen Welt auch nur eine einzige Kirche oder Synagoge zurückgeblieben. Das Gebot "Es gibt keinen Zwang in Glaubenssachen“ meint dasselbe – heute wie damals. Die bloße Tatsache, dass jemand nicht Moslem ist, war zu keiner Zeit ein Kriegsgrund im islamischen Gesetz oder Glauben. Was die Kriegsregeln angeht so zeigt die Geschichte, dass einige Moslems islamische Grundsätze bezüglich der Zwangskonversion verletzt haben, das betrifft auch die Behandlung anderer religiöser Gemeinschaften. Aber die Geschichte zeigt auch, dass dies bei weitem die Ausnahme ist, die die Regel bestätigt. Nachdrücklich stimmen wir zu, dass andere zum Glauben zu zwingen – wenn das überhaupt möglich ist – Gott nicht gefällt und Gott hat kein Gefallen an Blut. Wir glauben wirklich, und Moslems haben immer geglaubt, "…dass, wenn einer jemanden tötet (und zwar) nicht (etwa zur Rache) für jemand (anderes, der von diesem getötet worden ist) oder (zur Strafe für) Unheil,(das er) auf der Erde (angerichtet hat), es so sein soll, als ob er die Menschen alle getötet hätte...“ (al-Ma’ida, 5:32) 

Etwas Neues?

Sie erwähnen die Behauptung des Kaisers: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“. Was der Kaiser nicht verstanden hat – unabhängig von der Tatsache (die wir oben erwähnten) dass es nie ein solches Gebot im Islam gab – ist dies: Der Prophet hat nie behauptet, irgend etwas grundlegend Neues zu bringen. Gott sagt im heiligen Koran: "…Zu dir (Muhammad) wird nichts anderes gesagt, als was zu den Gesandten vor dir gesagt worden ist…“ (Fussilat 41:43). Und, sage (Muhammad): "… ich bin kein Wunder von einem Gesandten (der über alles und jedes Auskunft geben könnte). Und ich weiß nicht, was mit mir, und was mit euch geschehen wird. Ich folge nur dem, was mir (als Offenbarung) eingegeben wird, und bin nichts als ein deutlicher Warner…“ (Al-Ahqaaf 49:9). So ist der Glaube an den Einen Gott nicht Besitz einer einzigen religiösen Gemeinschaft. Nach islamischen Glauben verkündeten alle wahren Propheten dieselbe Wahrheit verschiedenen Völkern zu unterschiedlichen Zeiten. Die Gesetze mögen unterschiedlich sein, aber die Wahrheit ist unveränderlich.

"Die Experten“

Sie beziehen sich an einer unbedeutenden Stelle auf "Kenner“ (des Islams) und zitieren dann zwei katholische Gelehrte mit Namen: Prof.(Adel) Theodor Khoury und Prof. Roger Arnaldez. Es genügt hier zu erwägen, dass sie sympathische Nicht-Muslime und katholische Christen sind, die echt als "Kenner“ des Islams angesehen werden können. Muslime aber sehen diese nicht als "Experten“ an, auf die Sie sich berufen, und kennen sie auch nicht an als Vertreter der Moslems oder deren Sichtweise. Am 25. September 2006 wiederholten Sie Ihre bedeutende Aussage in Köln vom 20. August 2005, "der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden. Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt.“ Während wir hier mit Ihnen in vollkommen übereinstimmen, erscheint uns ein wesentliches Ziel des interreligiösen Dialogs darin zu bestehen, die Bereitschaft zuzuhören und sorgfältig die aktuelle Stimme derer zu erwägen, die am Dialog teilnehmen und nicht nur der unserer eigenen Überzeugung.

Christentum und Islam

Christentum und Islam sind die größte und zweitgrößte Religion in der Welt und in der Geschichte. Christen und Muslime – so wird berichtet – machen über ein Drittel und über ein Fünftel der Menschheit aus. Zusammen umfassen sie mehr als 55 % der Weltbevölkerung. Die Beziehungen zwischen diesen beiden religiösen Gemeinschaften ist ein sehr bedeutender Faktor für die Friedensarbeit in der ganzen Welt. Als Führer von mehr als einer Milliarde katholischer Christen und als moralisches Vorbild für viele andere auf der Erde sind Sie vermutlich die einzige maßgebliche Stimme, die diese Beziehung vorantreiben kann mit dem Ziel der gegenseitigen Verständigung. Wir teilen Ihr Verlangen nach einem freien und ernsthaften Dialog und erkennen seine Bedeutung in einer zunehmend miteinander verbundenen Welt. Auf der Grundlage dieses ernsthaften und freien Dialogs hoffen wir weiterzuarbeiten an einer friedvollen und freundlichen Beziehung in gegenseitigem Respekt, in Gerechtigkeit und in der wesentlichen Teilhabe an unserer gemeinsamen abrahamitischen Tradition, vor allem in den "zwei größten Geboten’ in Markus 12,29-31 (und auch Matthäus 22,37-40) "…der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“

Muslime würdigen die folgenden Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils:

"Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. (Nostra Aetate, 28. Oktober 1965).

Und in gleicher Weise die Worte des verstorbenen Papstes Johannes Paul II., für den viele Moslems große Achtung und Wertschätzung empfinden:

"Wir Christen anerkennen mit Freude die religiösen Werte, die wir gemeinsam haben mit dem Islam. Heute möchte ich wiederholen, was ich vor einigen Jahren jungen Moslems in Casablanca sagte: "Wir glauben an denselben Gott, den einzigen Gott, den lebendigen Gott, den Gott, der die Welt geschaffen hat und seine Geschöpfe zur Vollendung führt“ (Insegnamenti VIII/2 [1985], P497, zitiert aus der Generalaudienz vom 5. Mai 1999).

Muslime schätzen auch Ihren beispiellosen persönlichen Ausdruck der Trauer, Ihre Klarstellung und Versicherung (am 17. September), dass Ihr Zitat nicht Ihre persönliche Meinung wiedergibt, aber auch die Bestätigung des Konzilsdokumentes "Nostra Aetate“ des Staatssekretärs Tarcisio Bertone (vom 16. September). Und schließlich anerkennen Muslime, dass Sie vor den versammelten Botschaftern islamischer Staaten (am 25. September) Ihre "Wertschätzung und den tiefen Respekt für alle Muslime“. Wir hoffen, dass wir all die Fehler der Vergangenheit vermeiden und in Zukunft zusammenleben in Frieden, in gegenseitiger Annahme und Achtung.

Und alles Lob gebührt Gott, und es gibt keine Macht noch Stärke außer durch Gott.

Inhaltsverzeichnis

UNTERSCHRIFTEN IN ALPHABETISCHER ORDNUNG

1. Allamah Abd Allah bin Mahfuz bin Bayyah, Professor, King Abd Al-Aziz Universität, Saudiarabien, Vizepräsident em.; Justizminister;
Erziehungsminister und Minister für Religiöse Angelegenheiten, Mauritanien
2. Professor Dr. Allamah Muhammad Sa'id Ramadan Al-Buti, Dekan des Fachbereichs für Religion, Universität Damaskus, Syrien
3. Prof. Dr. Mustafa Cagrici, Obermufti von Istanbul
4. Scheich Professor Dr. Mustafa Ceric, Obermufti and Vorsitzender der Ulema von Bosnien und Hercegowina
5. Scheich Ravil Gainutdin, Obermufti von Russland
6. Scheich Nedzad Grabus, Obermufti von Slowenien
7. Scheich Al-Habib Ali Mashhour bin Muhammad bin Salim bin Hafeez, Imam der Tarim Moschee, Vorsitzender des Fatwa Rates, Tarim, Jemen
8. Scheich Al-Habib Umar bin Muhammad bin Salim bin Hafeez
Dekan, Dar Al-Mustafa, Tarim, Jemen
9. Professor Dr. Farouq Hamadah, Professor der
Traditionswissenschaften, Mohammad V. Universität, Marokko
10. Scheich Hamza Yusuf Hanson, Gründer und Direktor des Zaytuna Instituts, Kalifornien, USA
11. Scheich Dr. Ahmad Badr Al-Din Hassoun, Obermufti der Republik Syrien
12. Dr. Scheich Izz Al-Din Ibrahim, Kulturberater, Amt des
Ministerpräsidenten, Vereinigte Arabische Emirate
13. Professor Dr. Omar Jah, Vorsitzender des Muslim-Gelehrten-Rates, Gambia, Professor der Islamischen Kultur und Ieengeschichte, Universität Gambia
14. Scheich Al-Habib Ali Zain Al-Abideen Al-Jifri, Gründer und Direktor des Taba Institutes, Vereinigte Arabische Emirate
15. Scheich Professor Dr. Ali Jumu'ah, Obermufti der Republik Ägypten
16. Professor Dr. Abla Mohammed Kahlawi, Dekan für Islamische und Arabische Studien, Al-Azhar Universität (Frauenkolleg), Ägypten
17. Professor Dr. Mohammad Hashim Kamali, Dekan am Internationalen Institut für Islamische Ideengeschichte und Kultur (IS TAC), Malaysien, Professor für Islamisches Recht, Internationale Islamische Universität, Malaysien
18. Scheich Nuh Ha Mim Keller, Scheich im Shadhili Orden und Leitendes Mitglied des Aal al-Bayt Institutes für Islamische Ideengeschichte (Jordan),
U.S.A.
19. Scheich Ahmad Al-Khalili, Obermufti des Sultanats Oman
20. Scheich Dr. Ahmad Kubaisi, Gründer der Ulema Organisation, Irak
21. Allamah Scheich Muhammad bin Muhammad Al-Mansouri
Hohe Autorität (Marja',) der Zeidi Muslime, Jemen
22. Scheich Abu Bakr Ahmad Al-Milibari, Generalsekretär der Ahl Al-
Sunna-Gesellschaft, Indien
23. Dr. Moulay Abd Al-Kabir Al-Alawi Al-Mudghari, Generaldirektor der Bayt Mal Al-Qods Al-Sharif Agentur, Religionsminister em., Marokko
24. Scheich Ahmad Hasyim Muzadi, Generalpräsident der Nahdat al- Ulema, Indonesien
25. Professor Dr. Seyyed Hossein Nasr, Professor für Islamische Studien, George Washington Universität, Washington D.C, U.S.A.
26. Scheich Sevki Omerbasic, Obermufti von Kroatien
27. Dr. Mohammad Abd Al-Ghaffar Al-Sharif, Generalsekretär im Ministerium für Religionsangelegenheiten, Kuwait,
28. Dr. Muhammad Alwani Al-Sharif, Chef der Europäischen Akademie für Islamische Kultur und Wissenschaft, Brüssel, Belgien
29. Scheich M. Iqbal Sullam, Stellvertr. Generalsekretär der Nahdat al- Ulema, Indonesien
30. Scheich Dr. Tariq Sweidan, Generaldirektor des Risalah Satelliten Fernsehens
31. Professor Dr. H. R. H. Prince Ghazi bin Muhammad bin Talal, Vorstandsvorsitzender des Aal al-Bayt Institutes für Islamische Ideengeschichte, Jordanien
32. Ayotollah Muhammad Ali Taskhiri, Generalsekretär der Weltvereinigung für Islamische Denk-Schulen (WAPIST), Iran
33. Shaykh Nairn Trnava, Obermufti des Kosovo
34. Dr. Abd Al-Aziz Uthman Al-Tweijri, Generaldirektor für die Organisation Islamische Erziehung, Wissenschaft und Kultur (ISESCO), Marokko
35. Justice Mufti Muhammad Taqi Uthmani, Vizepräsident, Dar Al-Ulum, Karachi, Pakistan
36. Scheich Muhammad Al-Sadiq Muhammad Yusuf, Obermufti von Usbekistan
37. Scheich Abd Al-Hakim Murad Winter, Scheich Zayed Dozent für Islamische Studien, Divinity School, Universität Cambridge, U.K. Direktor des Muslim Academic Trust, UK.
38. Scheich Muamer Zukorli, Mufti des Sanjak, Bosnien

Inhaltsverzeichnis


Rede des Limburger Bischof Franz Kamphaus beim Martinsempfang in Mainz über das Verhältnis der westlichen Welt zum Islam 

"Selten hat eine Vorlesung so viel Aufmerksamkeit gefunden in aller Welt wie die des Papstes am 12. September dieses Jahres in Regensburg. Genau einen Monat später haben 38 muslimische Führer Benedikt XVI. in einem offenen Brief geantwortet. Sie sprechen für einen gewichtigen Teil des Islam, und sie sprechen zur Sache. 

Sie halten sich nicht bei unverbindlichen Höflichkeiten auf und scheuen bei allem Respekt nicht Widerspruch und Kritik. Sie erinnern sehr zu Recht an die globale Verantwortung, die Christen und Muslimen schon auf Grund ihres Anteils an der Weltbevölkerung zuwächst. Ihr können beide nur gerecht werden, wenn sie sich zumuten, über das zu sprechen, was sie religiös bewegt, in gesellschaftlicher Verant­wortung.

Ich möchte das in vier Schritten versuchen.

  1. Zur Schriftauslegung Nicht zufällig sagen Muslime seit alters sehr anerkennend von Juden und Christen, sie seien wie sie selbst „Leute der Schrift“. Diese Charakterisierung ist nicht falsch, doch sie bedarf aus christlicher Sicht einer wichtigen Einschränkung: Zwar verstehen Christen die Bibel als Wort Gottes. Dennoch steht im Zentrum des Glaubens nicht die Heilige Schrift, sondern die Person Jesu Christi. Das Christentum ist darum erst in zweiter Linie eine Schriftreligion. Die Offenbarung Gottes ist Jesus Christus, die Bibel enthält die Antwort der maßgebenden Glaubenszeugen darauf. Sie ist für Christen Gottes Wort in Menschenwort, während Muslime den Koran als direkte, von mensch­lichem Einfluss freie Offenbarung Gottes glauben. Was für sie der Koran ist, ist für Christen eher Jesus Christus als die Bibel. Die menschliche Ausdrucksform des göttlichen Wortes darf nicht mit diesem selbst gleichgesetzt werden. Dieser Vorbehalt erlaubt es, den geschichtlichen Zusammen­hang der Bibel ernst zu nehmen, ohne ihr spezifisches Gewicht als Glaubensurkunde aufzugeben. Er ermöglicht es, zwischen dem bleibend verbindlichen Gehalt und der zeitbedingten Ausdrucksform zu unterscheiden, biblische Texte und Aussagen der Tradition von ih­ren Entstehungsbedingungen her historisch kritisch zu analysieren und dadurch neu zu verstehen. Darin liegt ein Schlüssel zur Reformfähigkeit von Re­ligion und zur Eröff­nung eines Religionsgespräches, das mehr ist als eine höfliche Variante propagan­distischer Überredungskunst. Das mag Sie überraschen. Sie denken vielleicht, die dargelegte Unterscheidung im Schriftverständnis sei ein innertheologisches Problem ohne gesellschaftliche Rele­vanz. Weit gefehlt! Das zeigt bereits die Entstehung des Begriffs Fundamentalismus. Er ist zunächst nicht, wie man denken könnte, zur Charakterisierung bestimmter gesellschaftspolitischer Richtungen im Islam geprägt worden. Man hat damit zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts bestimmte Kreise inner­halb des Protestantismus in Nordamerika bezeichnet, die auf einem wortwörtlichen, zeitenthobenen Verständnis der Bibel bestanden. Im Schrift- und Traditionsverständnis werden die Weichen ge­stellt für die Reform- und Dialogfähigkeit von Religion überhaupt. Hier entscheidet sich die Vereinbarkeit von Religion und moderner Kultur, die Möglichkeit einer Inkulturation. Ohne Klärung der hermeneutischen Grundfragen wird den Religionen eine Aus­einandersetzung mit den Herausforderungen der modernen Welt nicht gelingen. Von innen wie von außen ist der Islam gefragt, ob er eine historisch-kritische Be­trachtung des Koran zulassen kann. Christen, speziell Katholiken wissen sehr genau, dass das nicht einfach ist. Sie haben einen langen, leidvollen Weg zurückgelegt, bis die historisch-kritische Methode zur Auslegung der Bibel offiziell akzeptiert wurde. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Säurebad historischer Kritik die Heilige Schrift nicht zerfressen muss, son­dern den Zugang zu ihrem Verständnis reinigen kann. Die Muslime, die dieses Wag­nis nicht scheuen, sind noch in der Minderheit und brauchen Ermutigung. Sie gehen einen beschwerlichen Weg, der keiner Religion erspart wird und den auch Christen längst nicht ausgeschritten haben. So lange man sich gegen ihn sperrt, wird man weiterhin mit einzelnen aus dem Zusammenhang der Heiligen Schriften gerissenen Schlagwörtern aufeinander einschlagen oder Befrei­ungsschläge versuchen. Im offenen Brief der 38 muslimischen Gelehrten an Papst Benedikt wird im ersten Punkt „Kein Zwang in der Religion“ die Sure 18,29 zitiert: „Und sag: Die Wahrheit ist von eurem Herrn, also wer will, so soll er glauben, und wer will, so soll er den Glau­ben verweigern.“ – So weit so gut! Der nächste Vers lautet (in der Übersetzung von A. Khoury): „Wir haben denen, die Unrecht tun, ein Feuer bereitet, dessen Zeltdecke sie umschließt. Und wenn sie um Hilfe rufen, wird ihnen mit Wasser gleich ge­schmolzenem Erz geholfen, das die Gesichter verbrennt. Welch schlimmer Trank und welch schlechter Lagerplatz!“ Wie soll man das zusammenbringen?
     

  2. Zu den Menschenrechten Muslime stehen im Verdacht, im Namen des göttlichen Rechts die Menschen­rechte nicht anzuerkennen. Das ruft in der westlichen Welt Unverständnis und Sorge hervor. Nicht ohne Grund! Auch Christen haben die Idee der Menschenrechte zunächst bekämpft. Obwohl sie auch historisch gesehen im christlichen Menschenbild wurzelt, hat das Lehramt der katholischen Kirche sie lange Zeit zu den unseligen Irrtümern der Moderne gezählt. Es verteufelte nicht we­nige Theologen, die Kirche und Moderne auszusöhnen versuchten, als „Modernisten“ und entzog ihnen die Lehrerlaubnis. Katho­liken haben also keinen Grund, die muslimische Position heute mitleidig zu belächeln. Es dauerte immerhin bis zum Vatikanum II, dass die katholische Kirche ihre Ablehnung des Menschenrechtsdenkens grundsätzlich und verbindlich revi­dierte. Seither ist sie zu einer ent­schiede­nen Befürworterin und Ver­teidigerin der Menschen­rechte geworden, zumal durch Johannes Paul II. Nicht wenige Katholiken empfanden diese Kehrtwende als Verrat an der überlieferten Lehre und warfen dem Konzil vor, sich dem Diktat des modernen Ungeistes unterworfen zu haben. Ihre Vorwürfe gleichen denen aus der islamischen Welt. Manches spricht dafür, dass sie auf ähnlichen Missverständnissen beruhen. Die Anerkennung der Menschenrechte bedeutet nicht, sie über das göttliche Recht zu setzen. Der vom Konzil vollzogene Positionswechsel in dieser Sache kam nicht von ungefähr. In einer Neubesinnung auf die christliche Botschaft und unter dem Eindruck der Zeichen der Zeit (der säkularen Kultur) erkannte man, dass die Menschenrechte nicht einfach nur menschliches Recht sind. Gott selbst hat sie dem Menschen eingestiftet. Deshalb vor allem verdienen sie un­bedingten Respekt sowohl von Seiten des Staates wie auch von Seiten der Kirche. Menschenrechte und göttliches Recht lassen sich nicht ge­genein­ander ausspielen. Die Menschenrechte bilden eine Mindestnorm, die die Würde des Menschen als Gottes Geschöpf wahrt. Sie anzuerkennen und zu achten, bedeutet also nichts anderes als Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Nur man­gelnde Einsicht kann befürchten lassen, Glaube und Menschenrechtsethos stünden zueinander im Widerspruch. Umgekehrt ist ernsthaft zu fragen, ob sich der unbedingte Geltungsanspruch der Menschenrechte ohne religiöse Verankerung durch­halten lässt. Wenn Christen sich heute in aller Welt für die Achtung der Menschenrechte einset­zen und auch von den Muslimen ihre uneingeschränkte Anerkennung erwarten, dann nicht, um sie ihrer eigenen Kultur zu entfremden und sie zu verwestlichen. Sie tun das, weil sie dem Islam den gleichen Lernprozess zutrauen, den sie selbst leidvoll durchgemacht haben. Das Wort „Islam“ bedeutet bekanntlich „Hingabe an den Willen Gottes“. Wenn die Menschenrechte dem göttlichen Willen entspre­hen, dann ver­pflichtet der Islam selbst dazu, sie gemeinsam mit allen Menschen guten Willens an­zuerkennen.
     

  3. Zum Staatsverständnis Im christlich-islamischen Dialog spielt die Frage nach dem rechten Verhältnis zwi­schen Religion und Staat eine wichtige Rolle. Dem Islam wird weithin die Fähigkeit abgesprochen, beide Bereiche zu trennen. Umgekehrt ist die Trennung ein ganz we­sentliches Kennzeichen der westlichen Moderne und wird (wie die Menschenrechte) als ein enormer zivilisatorischer Fortschritt gewertet, der auf keinen Fall preis­gege­ben werden darf. Wir haben aus der Geschichte bittere Erfahrungen gewonnen und gelernt: aus den Konfessionskriegen nach der Reformation und nicht zuletzt aus den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Beide Kontexte liegen zeitlich weit aus­ein­ander, sie berühren sich aber in sachlicher Hinsicht: Einmal werden der Religion Grenzen gesetzt, zum anderen dem Staat. Das geschieht aus der Überzeugung, dass diese wechselseitige Begrenzung beiden Seiten nutzt und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen dient. Der Versuch, christliche Staaten zu errichten (Staatskirche, Kirchenstaat), ist unter hohen Kosten gescheitert. Nichts spricht dafür, dass es islamischen Staaten besser ergeht. Der springende Punkt dabei ist einmal mehr das Ver­ständnis der Men­schenrechte. Es kann aus christlicher Perspektive nicht nachdrücklich genug betont werden, dass weder Kirche noch Staat die Menschenrechte gewähren. Es handelt sich um ange­borene und unveräußerliche Rechte der menschlichen Person, wie zu Beginn aller Men­schenrechtserklärungen und –konventionen immer wieder betont wird. Die Anerken­nung der Religions-, Gewissens- und Meinungsfreiheit meint des­halb mehr als die Duldung Andersgläubiger durch einen religiösen Staat. Der religiös und weltanschaulich neutrale Rechtsstaat hat die Freiheitsrechte aller Menschen nicht nur zu tolerie­ren, sondern zu achten und zu schützen. Er gewährt allen Weltan­schauungen und Religionen Raum, ist aber selbst weltanschaulich neutral. Von daher ist es zumindest ungenau, wenn es im Koalitionsvertrag vom November 2005 heißt, „ein interreligiöser und interkultureller Dialog“ sei für die Bundesregierung ein wichtiger Bestandteil der Integrationspolitik. Der interkulturelle Dialog ist Sache des Staates, nicht aber der interreligiöse. Der ist Sache der Religionen. Und wenn diese ihn nicht wahrnehmen, mag man sie wachrütteln und darauf hinweisen, was die Stunde geschlagen hat. Der moderne Staat jedenfalls vertritt als solcher keine re­ligiöse Überzeu­gung. Es ist zu unterscheiden zwischen der Ge­sellschaft, die mehr oder minder stark religiös geprägt ist, und dem Staat, der das Zusammenleben aller Men­schen regelt und darum keiner bestimmten Religion oder Weltanschauung verpflichtet ist. Er kann den interreligiösen Dialog fordern und fördern, er kann und muss mit den Religionen einen intensiven Dialog führen. Er selbst ist aber nicht Partner im interreligiösen Dialog. Es bleibt zu hoffen, dass die Islam-Konferenz diese Grenzziehung beachtet. Der Staat hat seine religiöse Neutralität zu wahren. Sie schützt ihn vor pseudo­religiöser Selbst­überschätzung und die Religionen davor, die staatliche Gewalt zu ih­ren Gunsten zu missbrauchen. Es sind diese beiden Gefahren, die der Islamismus he­raufbeschwört. Christen wollen, dass Muslime sich in den westlichen Staaten heimisch fühlen kön­nen. Das erwarten wir aber auch für uns selbst, wir möchten in keinem Staat Bürger zweiter Klasse sein, was wir in nicht wenigen islamischen Staaten derzeit leider im­mer noch sind, auch in der Türkei. Deswegen widersetzen wir uns den islamistischen und allen gleichartigen fundamentalistischen Staatsvorstellungen. Wir hoffen auf ei­nen Is­lam, der den modernen Staat bejaht und ihn nicht nur als Übergangsphase zu ei­nem islamischen Staat betrachtet. In diesem Punkt müssen die Muslime Farbe be­kennen. Die Islamisten unter ihnen tun es auf ihre Weise ohnehin.
     

  4. Zur Gewalt im Namen der Religion Die Stellung zur Gewalt ist in der Weltgesellschaft zur Gretchenfrage für alle Religio­nen geworden. Zu Recht. Denn es trifft zu, was Hans Küng seit Jahren unermüdlich anmahnt: „Kein Weltfriede ohne Religionsfrieden“. Muslime beklagen sich immer wieder darüber, der Islam stünde ständig am Pranger und unter Generalverdacht. Das hat seinen Grund. Es ist leider so, dass die Seuche terro­ristischer Gewaltakte seit langem zum weitaus überwiegenden Teil von islamischen Gruppen ausgeht. Es sind islamische Staaten, in denen Christen benachteiligt oder gar verfolgt werden, nicht christlich geprägte Länder, die Muslime daran hindern, ihre Religion auch öf­fentlich zu gestalten. Der islamistische Terror fordert freilich die mit Abstand meisten Opfer unter den Mus­limen und richtet sich auch gegen islamische Staaten. Darum wehren sich Muslime zu Recht gegen die Gleichsetzung von Islam und Terror. Doch es bleibt da ein Problem, das bereits angedeutet wurde: Wie bewerten sie den islamistischen Griff nach der Staatsmacht? Verwerfen sie nur die Wahl der (terroristischen) Mittel, billigen aber das Ziel? Christen können solche Fragen nicht redlich stellen, ohne sich der eigenen Gewalt­geschichte zu erinnern. Die Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung von Juden bleibt auf immer ein Schandfleck. Auf andere Weise belastet vergangene Gewalt auch die Beziehung zwischen Christen und Muslimen. Oft scheint es, als präge die traumatische Erfahrung der Kreuzzüge bis heute unauslöschlich die muslimische Identität. Und selbst im Westen gelten sie vielen als Symptom für die Gewaltträchtig­keit des Christentums. Nun gibt es an den Kreuzzügen nichts zu beschönigen, aber sie betrafen auch slavische Völker, jüdische Gemeinden und christliche Abweichler. Mit einem grundsätzlich antimuslimischen Hass hatten sie wenig zu tun. Die Muslime sollten nicht ver­gessen, dass lange vor dem ersten Kreuzzug arabisch-muslimische Heere jenes Land erobert hatten, das Christen als „Heiliges Land“ galt und noch gilt. Damals fie­l ihnen auch die Heilige Stadt Jerusalem mit ihren vielen heiligen Stätten in die Hände. Die Frage muss erlaubt sein, wie Muslime damals und heute auf die Ein­nahme Mekkas durch Christen reagieren würden. Wenn wir einen ehrlichen Dia­log wollen, müssen wir uns an die Fakten halten und aufhören, sie mit zweierlei Maß zu messen. Man kann nicht das eigene ideale Selbstbild mit der wenig idealen Wirklichkeit der anderen Religion vergleichen. Man kann nicht die Kreuzzüge verdammen und die Heiligen Kriege glorifizieren. Der interreligiöse Dialog wird nicht von abstrakten Wesen geführt, son­dern von Men­schen und Gemeinschaften, die einander oft ein Übermaß an Leid zugefügt haben. Keine Religion kann sich davon freisprechen, dass in ihrem Namen Gewalt ausgeübt wurde oder wird. Die dadurch entstehende Erblast erledigt sich nicht von selbst. Es gibt Vergangenheiten, die nicht vergehen wollen, schon gar nicht ohne den gemein­samen Willen zu histori­scher Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit. Dazu gehört mehr, als sich über die Tatsachen zu verständigen, so schwer das oft auch ist. Auf der Tagesordnung aller Religionen steht die Aufgabe, in Anbetracht der Geschichte ihr Ver­hältnis zur Gewalt in der Gegenwart für die Zukunft zu klären. Sie reicht weit über die Problematik des Heiligen Krieges hinaus. Wie geht eine Religion mit den Menschen um, die sich von ihr abwenden? Wie mit solchen, die den Glauben verfälschen oder ver­spotten? Im christlichen Abendland wurden jahrhunderte lang Apostasie, Ketzertum und Blasphemie mit dem Tode bedroht und geahndet. Das ist vorbei, hoffentlich für immer. Denn der wichtige Grundsatz, niemand dürfe zum Glauben gezwungen wer­den (vgl. Sure 2,256), kommt erst dann ganz zum Tragen, wenn er auch die Frei­heit garantiert, den Glauben aufzugeben, ihn anders zu verstehen oder gar zu ver­achten. Es ist allein Gottes Sache, das Gewicht eines solchen Verhaltens zu beur­teilen. Nur ER vermag in die Herzen der Menschen zu schauen. Wir sollten uns darum hüten, SEIN Gericht vorwegnehmen zu wollen. Tatsächlich gibt es für wahr­haft Fromme keine wichtigere Sache auf der Welt als die Religion. Was sie freilich von religiösen Fanatikern trennt, ist die Tugend der Demut. Die Ehrfurcht gegenüber Gott untersagt es kategorisch, sich seine Rolle anzumaßen. ER allein ist Herr über Leben und Tod, niemand sonst. Religion besteht darin, Gott zu verehren, nicht darin, Gott zu spielen. Das sollten nicht zuletzt auch Regierungen beherzigen, die es sich zugute halten einer Religion nahe zu stehen. Wer Gott wirklich die Ehre gibt, dem steht der Sinn weder nach Heiligen Kriegen noch nach Kreuzzügen – schon gar nicht in ihrer modernen Variante. Der Dialog zwischen Christen und Muslimen steht erst am Anfang. Die sich ihm stellen, brauchen Vertrauen und einen langen Atem. Um des Friedens willen gibt es keine Alternative zu ihm, auch nicht um des Glaubens willen. Man könnte fast mei­nen, wir seien zum Dialog verdammt. Doch das wäre nicht einmal die halbe Wahrheit. Wir sind es zuerst und vor allem uns selbst und unserem Glauben schuldig, trotz aller bedrückenden Erfahrungen miteinander zu sprechen. Das ist es, was Gott uns zumutet, der Gott, den wir gemeinsam mit den Muslimen den Barmherzigen, den Gerechten, den Liebenden und Sanftmütigen nennen. Den Autoren des offenen Briefes an Benedikt XVI. gebührt Dank dafür, dies ins Gedächtnis gerufen zu haben."

RPO vom 15.11.2006

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